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One Piece - Der Weg zum Piratenkönig

Eine eigene One Piece Geschichte
von

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Das Ende einer Legende

Edit: 29.06.2010

Der Prolog wurde im Zuge einer Wiederaufnahme des Projektes einer gründlichen Korrektur und Überarbeitung unterzogen.
 


 

Prolog
 

*Vor über 30 Jahren*
 

Ruhig lag einer der vielen labyrinthartigen Wege vor ihnen. Zellen zu beiden Seiten mit verzweifelten Gefangenen, die sie ununterbrochen anflehten sie doch aus dieser Hölle auf Erden zu befreien. Ihnen neue Freiheit und Hoffnung zu schenken. Mehr wollten diese verzweifelten Seelen nicht, doch wegen ihnen war die Gruppe nicht hier.

Man hatte sie bereits entdeckt und ihnen einen Trupp seltsam anmutender blauer Monster auf den Hals gehetzt. Doch diese hatten nie auch nur den Hauch einer Chance gegen sie gehabt. Vermutlich wollte man sie nur verlangsamen, bis Verstärkung aus dem Marinehauptquartier eintraf. Schließlich bahnten sich hier nicht irgendwelche namenlose Piraten ihren Weg durch einen der sichersten und gefährlichsten Orte der Welt, sondern die berühmteste und stärkste Bande, die seit dem Anbeginn des neuen Zeitalters die Meere besegelt hatten.

„Ich traue der plötzlichen Ruhe nicht. War das alles, was sie zu bieten hatten?“, überlegte einer von ihnen laut, während er sich eine Zigarette anzündete. „Uns war von vorn herein klar, dass dies eine Selbstmordmission war.“

„Schon, aber dennoch würde ich hier gerne wieder heil rauskommen können.“

„Dann verschwinde. Noch hast du die Chance dazu.“

„Willst du mich verarschen, Spinatkopf? Ich will unsern Kapitän genauso dringend befreien, wie du!“, brüllte der Raucher plötzlich seinen Gefährten an.

„Hört auf ihr Beiden“, mischte sich einer der Anderen ein. Unter der braunen Kapuze seines Mantels kam lediglich eine längliche Nase zum Vorschein. Denn bis auf dieses markante Merkmal war nichts von seinem Gesicht zu erkennen, was vor allem daran lag, dass er zu seiner Verkleidung eine seltsame gelbe Maske mit drei wellenartigen Zacken trug.

„Wir sind hier, weil wir unseren Kapitän und Freund retten müssen. Wir haben keine Zeit für eure Spielereien“, herrschte der Maskenträger die anderen Beiden gebieterisch an. Das waren sie von ihm früher nicht gewohnt gewesen. Zwar hatte er sich in den letzten Jahren verändert, doch noch nie hatte er derartig sein Wort gegen sie erhoben. Schweigend griff er sich an die Maske und zog sie behutsam von seinem Gesicht.

„Bist du dir sicher, das du das tun willst?“, fragte einer der beiden Streithähne, während er sich eines seiner drei Schwerter zwischen die Zähne schob.

„Ja, ich brauche sie nicht mehr. Sie hat mir gute Dienste geleistet, aber so will ich ihn nicht retten“, meinte der Langnasige resigniert und ließ die Maske achtlos zu Boden fallen.

„Yohohohoho~, wollen wir dann weiter?“, fragte der Größte von ihnen, dessen Haupt von einem dichten Afro geziert wurde. Es war der Raucher, der ihm entgegnete: „Ja, bevor sie noch mehr von ihren Monstern schicken. Irgendwo hier muss er eingesperrt sein. Soweit wir wissen, ist dieses Gebäude in Stockwerke unterteilt. Vermutlich ist er ganz unten eingesperrt. Die Frage ist nur, ob wir uns unseren Weg auf rabiate Weise freimachen wollen.“

„Ist das wirklich so eine gute Idee? Würden wir damit die Aufmerksamkeit nicht nur weiter auf uns ziehen?“

„Sie wissen ohnehin bereits, dass wir hier sind. Es macht keinen Sinn sich zu verstecken. Wir sollten uns beeilen, bevor es unnötig schwierig wird hier dann auch wieder heraus zu kommen!“

Alle sahen sich an, während ein bedrückendes Schweigen einsetzte. „Lasst uns gehen. Wir haben genug wertvolle Zeit vergeudet.“

So schnell sie konnten, eilten sie durch die Gänge. An den Zellen Verzweifelter vorbei. Ihr Weg führte sie tiefer in das Herz des berühmt-berüchtigten Unterwassergefängnisses. In schweigendem Abkommen entschieden sie ihre Kräfte für die Flucht zu sparen und nicht bereits bei der Suche zu vergeuden. Schließlich war der Weg klar. Nach unten.

Denn dort unten, in den Tiefen dieses Schlunds hinab führend in ein Reich der Alpträume und Qualen, befand sich der Mann, für den sie ihr eigenes Leben aufs Spiel setzten.

„Mich wundert, dass die Marine noch nicht verlauten ließ, dass sie ihn gefangen haben“, begann einer von ihnen wieder eine Unterhaltung.

„Vermutlich erhoffen sie sich so zu verhindern, dass wieder ein neues Piratenzeitalter ausbricht. So wie einst zu Rogers Zeiten oder bei Whitebeards Tod“, beantwortete ein anderer die Frage.

„Wenn er aber längere Zeit verschollen bleibt, wird es so oder so ausbrechen. Das Leben eines Piraten ist gezeichnet von den Träumen derer, die es leben. Und deshalb wird es sie immer geben. Die tapferen Männer der See“, mischte sich der Langnasige in die Unterhaltung ein.

„Freunde… ich bin stolz darauf, dass ich an eurer Seite kämpfen und die Grand Line bereisen durfte…ungeachtet dessen, was heute hier passieren mag. Ich bin froh ein Strohhut zu sein!“, mit diesen Worten beendete der Schwertkämpfer ihre letzte Unterhaltung. Es waren sowohl ungewohnte, als auch unerwartete Worte. Aber sie entsprangen seinem und ihren Herzen und somit waren es vor allem passende Worte.

Und so eilte die tapfere Bande schweigend ihrem Schicksal entgegen.
 

*Vor 7 Jahren*
 

„Papa, was geschah dann?“, fragte der kleine rothaarige Junge aufgeregt seinen Vater. Dieser hatte mit dieser Geschichte eigentlich seinen Sohn in den Schlaf wiegen wollen, doch letztendlich nur das Gegenteil bewirkt. Und so erzählte er mit ruhiger Stimme weiter: „Sie fanden ihren Kapitän natürlich am tiefsten Punkt Impel Downs. In einem Stockwerk, welches eigentlich gar nicht existiert. Oder existieren dürfte. Ein Ort an den jene gebracht werden, deren Existenz aus den Geschichtsbüchern verdammt werden sollen. Doch befreien konnten sie ihn trotz allem nicht. Denn… er wollte es nicht. Stattdessen befahl er ihnen zu fliehen, damit nicht auch sie noch geschnappt wurden. Und um eine Botschaft zu verbreiten. Sie sollte in alle Ecken der Welt getragen werden, da er dazu nicht in der Lage war.“

„Dann wurde einer von ihnen gefasst, richtig?“

„Ja, einer von ihnen wurde gefasst. Nun hör aber auf dich in meine Geschichte einzumischen, wenn ich sie dir erzählen soll. Du springst nämlich schon wieder in ihrem Ablauf herum“, meinte er und legte seine große, starke Hand auf den Kopf seines Knaben, „Zuerst opferte sich der mit der langen Nase. Er opferte sich, damit seine Freunde fliehen konnten. An jenem Tag starb er in der Etage, die unter den Gefangenen und Wärtern als ‚Flammen-Hölle‘ bekannt ist. Ein Ort der genauso lichterloh brannte, wie der Mut und Geist dieses Mannes.“

„Was für ein Feigling, in den Tod zu fliehen“, meinte der Rotschopf jedoch enttäuscht und setzte ein trotziges Gesicht auf. Diese Stelle der Geschichte hatte er nie gemocht, denn obwohl diese Männer Piraten waren, waren sie für ihn wegen ihres Mutes und ihrer Kraft immer heimliche Helden gewesen. Und ausgerechnet an einem von ihnen fand sich ein solcher Schandfleck. „Oh nein. Feige war er mit Sicherheit nicht. Ganz im Gegenteil, mein Sohn. Es gehört viel Mut dazu sich seinen Feinden zu stellen und noch viel mehr für seine Freunde in den Tod zu gehen!“

„Dann war er einfach zu schwach und hatte bei ihnen nichts zu suchen“, versuchte der Knabe es erneut und weiterhin trotzig.

„Er war unterlegen, aber er hatte gekämpft wie ein Löwe. Er hatte damals sämtliche Marinemitglieder, denen er den Weg versperrt hatte, stolze dreißig Minuten lang in Schach gehalten. Das war unheimlich viel Zeit bedenkt man die Umstände. Er hat letztendlich so verbissen gekämpft, dass er nicht einmal die Zeit fand Tod umzufallen. Nein, stattdessen starb er stehend, als wollte er noch im Moment wo das Leben seinem Leib entwich seine Feinde daran hindern ihn zu passieren.“

Plötzlich sah der Rotschopf diesen Piraten mit neuen Augen. So hatte sein Vater den Piraten bisher nie beschrieben. Und mit genauso neuem Interesse, hakte er weiter nach: „Was geschah dann?“

„Ein weiterer von ihnen erlitt das Schicksal niemals wieder die Mauern Impel Downs verlassen zu können. Es handelte sich dabei um den Schwertkämpfer. Er hatte sich in den Gängen des Gefängnisses verirrt und war seinen Gegnern letztendlich in die Arme gelaufen. Doch bevor sie ihn in einem erbitterten und langwierigen Kampf hatten fassen können, hatte er unzählige Menschen niedergestreckt. Er kämpfte bis sogar die Verstärkung eintraf und selbst diese wurden zu einem Großteil von ihm bezwungen. Es war mit abstand der schlimmste Kampf, den das Gefängnis jemals in seiner Geschichte hatte über sich ergehen lassen müssen. Er hatte wahrlich wie ein Teufel gekämpft…“

„Und wie viele hatte er genau bezwungen?“

„Du solltest einen Mann niemals an der Zahl seiner gefallenen Gegner messen. Bedenke, dieser Mann war der stärkste Schwertkämpfer seiner Zeit gewesen. Er hatte sich wacker geschlagen und einen Respekt verdient, der bis heute anhält. Schwertkämpfer auf der ganzen Welt werden noch immer von Ehrfurcht ergriffen, wenn sein legendärer Name fällt. Ich wage zu behaupten, dass sich bis heute niemand mit ihm messen könnte.“

„Und was geschah mit seinen Gefährten?“

„Sie konnten fliehen. Man sagt, dass sie sich ein letztes Mal auf der letzten Insel der Grand Line, Unikon, versammelt haben sollen und von dort aus alle ihres Weges gegangen sind. Die meisten von ihnen wurden danach auch nicht mehr gesucht. Warum man sie ihrer Verbrechen frei sprach wissen nur wenige. Denn es ist eines der unzähligen Geheimnisse der Marine! Nur auf wenige traf dieses nicht zu, doch wurden sie ohnehin niemals gefasst. Alle Mitglieder dieser einstigen Piratenbande sind letztendlich Legenden geworden und berühmter als der erste Piratenkönig es jemals sein könnte. Sie waren gerade mal zwei Hand voll Mannen und Frauen und dennoch haben sie die Welt dazu gebracht sich anders zu drehen. Und vergiss nicht was ich dir gesagt habe, mein Sohn.“

„Ich weiß, ich darf Niemandem von der Geschichte erzählen.“

„Genau. Sie ist ein Geheimnis. Ein zweites noch größeres Geheimnis. Vielleicht sogar das am Best gehütete Geheimnis der Marine. Würde die Welt von den damaligen Ereignissen erfahren, würde es mit Sicherheit schwerwiegende und vor allem schlimme Folgen nach sich ziehen!“, mit diesen letzten Worten blies der Mann die Kerze auf dem Nachttisch seines Sohnes aus und stand vom Rande seines Bettes auf.

„Gute Nacht, Papa.“

„Gute Nacht, mein Sohn.“

Bevor er den Raum verlassen konnte, ertönte noch ein letztes Mal die Stimme seines Sohnes, die müde fragte: „Was waren eigentlich die Worte, die die Piraten im Namen ihres Kapitäns verbreiten sollten?“

„Der König ist tot…“

Viel Zirkus um eine Karte

Edit: 03.07.2010

Kapitel 1 wurde im Zuge einer Wiederaufnahme des Projektes einer gründlichen Korrektur und Überarbeitung unterzogen.
 


 

Es war ein schöner wolkenloser Tag. Die Sonne stand hoch über der berühmten Handelsstadt Los Birt und fröhliches Lachen war auf den Straßen zu hören. Kinder spielten hier und da und Händler aus dem gesamten West Blue waren angereist, um ihre Waren anzubieten und darum zu feilschen. Zwar konnte man beinahe alles bei ihnen finden, doch musste man aufpassen, dass man nicht über den Tisch gezogen wurde. Schließlich galten die Händler aus Los Birt nicht umsonst, als gewiefte Geschäftsmänner. Man konnte sie beinahe, als schlimmere Gauner als die Piraten auf den Meeren bezeichnen.

Bevorzugt wurden von ihnen Delikatessen aus aller Welt, Schmuckstücke, kleine Kunstwerke und Waffen angeboten. Alles was das Herz eines Reisenden begehren konnte. Oder eines Kriegers. Eines Kochs. Einer reichen Dame. Ein jedes Herz eben.

Nur ein rothaariger Jungspund – dessen Name Tyke war – schlenderte gelassen zwischen den Ständen umher und begutachtete hier und da interessiert das eine oder andere Objekt. Anders als viele andere Marktbesucher lies er sich nicht von der Hektik des Treibens mitreißen. Vielleicht lag es aber auch einfach nur daran, dass er kein Geld hatte um sich irgendwas von dem was er sah kaufen zu können.

Seinen letzten Berry hatte er nämlich für einen knackigen roten Apfel ausgegeben, damit er zumindest etwas im Magen haben würde, bevor er seine Reise fortsetzte. Doch im Grunde war es weniger der Apfel, sondern vielmehr die alte gebrechliche Frau gewesen, die ihn zum Kauf bewegt hatte. Vielleicht war aber auch sie eine der gerissenen Händler gewesen. Womöglich war sie sogar die gewiefteste aller hiesigen Händler, da sie ihr äußeres Erscheinungsbild dazu ausnutzte Käufer zu gewinnen. Tyke war es egal, er hatte bekommen was er wollte und sie auch.

Nachdem er sich jeden Winkel des gigantischen Marktes – der eine Fläche belegte die die Hälfte der Stadt ausmachte – angeschaut hatte und ihn langsam die Langeweile überfiel, entschloss er sich dazu in Richtung Hafen zurück zu gehen. Dorthin wo seine kleine Nussschale vermutlich bereits zu sinken drohte, dies aber bei seiner momentanen Glücksträhne hoffentlich noch nicht getan hatte.

Auf seinem Weg dorthin betrachtete er ruhig und fröhlich grinsend die Umgebung. Es war – wie er bereits erkannte hatte – ein schöner Tag. Ein wunderschöner sogar. Was man leider Gottes nicht auf alle Bereiche der Stadt übertragen konnte.

Der Markt befand sich im Herzen Los Birts, wo auch die größten und prachtvollsten Gebäude standen. Es waren die Häuser reicher Geschäftsmänner. Und so war es auch ein Viertel, aus der Luft betrachtet war er geformt wie ein Ring der sich um den Markbereich zog, voll mit reichen Menschen. Mit Sicherheit das Wohlhabendste aller Viertel. Dies merkte man schnell, wenn man betrachtete wie sich der Zustand der Häuser und der Straße in Richtung Hafen oder auch Stadtrand immer weiter verschlechterte. Unweigerlich musste er an die Jahresringe eines Baumes denken, die nach außen hin von immer schlechteren Zeiten geprägt schienen.

Die hellen Farben an den Hauswänden wurden mehr und mehr von Schmutz und Dreck verdunkelt und die eine oder andere Schmiererei war ebenfalls zu entdecken. Drohungen gegen die Reichen, Flüche gegen das System auf der Insel und Aufforderungen zum Umsturz waren am häufigsten zu sehen.

Tyke konnte nur mit dem Kopf schütteln. Obwohl die Stadt so reich war, tat sie nichts für die Ärmsten. Und irgendwann würden sich die Bürger erheben, wenn die in ihnen brodelnde Wut die Überhand nahm. Explodierend wie ein Vulkan würde der Zorn auf die Reichen nieder gehen. Es würde ein blutiges, unvermeidbares Ereignis werden. Er wünschte sich tief in seinem Herzen etwas gegen diese Ungerechtigkeit tun zu können, um dieses zukünftige Gemetzel verhindern zu können. Doch waren ihm als einzelne Person die Hände gebunden.

Vielleicht wenn er eines Tages seinen Traum erreicht haben würde, würde er die Macht dazu besitzen. Wenn er Schätze angehäuft haben würde. Dann könnte er hierher zurückkehren und es an die Armen verteilen. Obwohl eine solche Wohltat dann mit Sicherheit bereits zu spät sein könnte. Oder angesichts seiner zukünftigen Wünsche so manchen Bürger hier irritieren könnte. Aber das war ihm egal.

Wer sagte, dass man in einer solchen Position sich nicht so verhalten dürfe? Er konnte nicht anders als breit zu Grinsen, über seine seltsamen Gedankengänge.

Allmählich kam der Hafen in Sicht, wodurch sich auch der Dschungel von Marktständen lichtete und der Lärm ebenfalls zu schwinden begann. Leise war noch der eine oder andere Marktschreier in der Ferne zu hören, doch war dies für Tyke nicht weiter von belang. Er blieb kurz stehen, um seine Karte des West Blues heraus zu kramen. Schließlich wollte er sich vorher entscheiden, wohin es als nächstes fahren solle, ehe er mit seinem Boot ablegte. Er war nicht der Mensch der einfach drauf los schipperte, dennoch entschied er aus dem Bauch heraus, welche näher gelegene Insel spannend sein könnte. Gleichzeitig musste er im Hinterkopf behalten, dass seine Nussschale keine längeren Strecken würde schaffen können.

Plötzlich wurde er von der Seite angerempelt und sowohl er als auch die andere Person – die gegen ihn gerannt war – fielen auf den Hintern. Dabei entglitt ihm zu allem Übel auch noch seine Karte aus der Hand und kullerte ein Stück weg von ihm.

„Aua, pass doch auf wo du stehst!“, beschwerte sich das fremde Mädchen und rieb sich den schmerzenden Hintern. Vorwurfsvoll und leicht erbost entgegnete Tyke: „Du rennst gegen mich und ich bin schuld?!“

Zur selben Zeit vernahmen sie Stimmen aus der Richtung, aus der auch das Mädchen gekommen war.

„Haltet die Diebin!“

„Argh, Mist“, flüsterte die Unbekannte Zähne knirschend. Schnell rappelte sie sich wieder auf und wollte bereits erneut davonrennen, als sie bemerkte dass auch aus der anderen Richtung Marinesoldaten heran eilten. „Verdammt, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig. Tagtraum!“

Plötzlich blieben die beiden Gruppen von Marineangehörigen stehen und fuchtelten wild in der Gegend umher. Es wirkte so, als würden sie unsichtbare Gegner bekämpfen und Tyke glaubte zudem so etwas wie „Hilfe, Bienen!“ zu hören, war sich dessen aber aufgrund der Distanz nicht ganz sicher und dachte daher vorerst nicht weiter daran.

Stattdessen stand er langsam auf und blickte das Mädchen fragend an. Augenscheinlich schien sie diesen Zustand bei den Soldaten hervorgerufen zu haben. „Warst du das?“

„Ja, dank meiner Teufelskräfte“, antwortete sie kurz und knapp und sah sich nach einem Fluchtweg um.

Offensichtlich war es für sie eine absolute Selbstverständlichkeit über ihre Kraft zu sprechen. Es gab Menschen die diese Kräfte vielmehr als Fluch und weniger als Chance sahen.

„Du besitzt Teufelskräfte?“

„Sagte ich doch eben! Aber nun muss ich schnell weg. Verpfeif mich bitte nicht, ja?“

Sie gab ihm zum Abschied einen Kuss auf die Wange und rannte in die Richtung, aus der er selbst zuvor gekommen war. Überrascht und auch überrumpelt sah er ihr einen Moment hinter, begann dann aber zu grinsen und folgte ihr schließlich schnellen Schrittes. Dabei vergaß er völlig seine Karte, die ihm aus der Hand gefallen war und noch immer auf dem Boden lag.

„Hey, warte! Ich will dich in meiner Bande haben!“ Der Rotschopf rannte dem Mädchen hinterher, die sich nur kurz umdrehte und dann ihre Arme vor der Brust verschränkte. Nur wenige Sekunden später begann plötzlich die Luft vor ihm zu flimmern. Es schien dasselbe Phänomen zu sein, wie es an sehr heißen Tagen auftrat.

Und mit einem Male lösten sich die Grenzen der Realität auf und fügten sich neu zusammen. Eine neue trat an die Stelle der Alten und somit war wie aus dem Nichts ein wütender, gigantischer Stier vor Tyke erschienen. Sein dunkles schwarzes Fell glänzte im Licht der Sonne. Seine rötlichen Augen funkelten wie die eines animalischen Dämons. Blutrünstig.

Im ersten Moment völlig entsetzt, suchte der Rotschopf sein Heil in der Flucht. Doch dann besann er sich eines besseren und drehte sich augenblicklich abrupt um. Seine Finger umschlossen einen kleinen Stoffbeutel an seinem Gürtel und in seinem Kopf manifestierte sich lediglich ein einziger Gedanke: „Es wurde Zeit sich zu wehren.“

Doch dann bemerkte er etwas mehr als nur Merkwürdiges. Der Stier der auf ihn zustürmte besaß keinen Schatten. Kaum hatte er diese Erkenntnis erlangt, verschwand das Untier so plötzlich, wie es zuvor erschienen war.

„Eine Illusion? War das ihre Teufelskraft?“
 


 

* * * * *
 

Suchend durchstreifte Tyke die Straßen von Los Birt. Er wollte unbedingt das seltsame Mädchen wieder finden. Doch suchte er bereits seit einigen Stunden, während die Nachmittagssonne sich allmählich in einen rötlichen Feuerball verfärbte, der optisch im Meer zu versinken drohte.

Bisher hatte er nicht einmal die kleinste Spur von der Unbekannten entdecken können. Es machte den Eindruck, als wäre sie vom Erdboden verschluckt worden. Wieder einmal erreichte er auf seiner Suche zum dutzendsten Male den berühmten Lester-Stacks-Brunnen an der Nordseite der Stadt direkt vor dem Rathaus. Der Springbrunnen war zugleich als Denkmal einem Bürger der Stadt – welcher inzwischen ein berühmtes Marinemitglied geworden war – gewidmet.

„Mist. Ich habe sie eindeutig verloren…“, dachte der Rotschopf laut und drehte sich einmal im Kreis. Sein Blick blieb an dem Brunnen haften und ein verschmitztes Lächeln erschien auf seinen Lippen. Seine Gedanken wollten bereits zu einer vergangenen Zeit schweifen. Eine Zeit in der er noch ein kleiner, sorgenloser Junge war. Zu einer Zeit als…

Plötzlich schoss ein junger Bursche aus einer Seitenstraße heraus und sprintete genau auf Tyke zu. Dieser bemerkte den Knaben aus den Augenwinkeln heraus, drehte sich ruckartig zu ihm und schloss vor Schreck schnell die Augen, in ängstlicher Erwartung eines harten Aufpralles. Doch blieb dieser zur seiner Verwunderung aus. Vorsichtig öffnete er schließlich eines seiner Augen wieder. Niemand zu sehen.

Noch immer überrascht öffnete er nun auch sein anderes Auge, als er auf einmal zwei Hände auf seinem Rücken spürte. Als er über seine Schulter blickte, sah er den Jungen, der ihn offenbar als lebendiges Schild zweckentfremdete. „Hey, was soll das…?!“

„Da ist der Knirps“, rief plötzlich eine Person und als Tyke sich der Stimme zu wand, konnte er zwei bullige Kerle ausmachen, welche aus derselben Seitenstraße hervortraten, aus der auch der Knabe zuvor gekommen war.

„Papa, beschütz mich vor denen!“, schrie dieser ohne Vorwarnung so laut los, dass sich einige Passanten dem Geschehen zuwendeten.

„Häää? Wie bitte?“, kreischte der Zweckentfremdete entsetzt und riss seinen Mund weit auf.

Verzweifelt, übertölpelt und auch sprachlos, blickte er immer wieder zwischen dem Burschen und den beiden Schlägern hin und her. Eigentlich hatte er keine Lust auf Ärger. Er hatte doch nur das Mädchen suchen wollen.

„Du bist also der Vater von diesem kleinen Dieb?“, fragte einer der beiden Hünen und strich über seinen Zopf um sicher zu gehen, dass dieser nicht aufgegangen oder womöglich – so unwahrscheinlich es ja auch sein mochte – abhanden gekommen war. Dabei ignorierte er völlig die Tatsache, dass der Rotschopf augenscheinlich zu jung war, um der Vater des Burschen sein zu können. Was dieser auch prompt als Argument einsetzte bei seinem Versuch die Situation zu klären: „Was?! Nein! Ich kenn den Kleinen nicht! Ich sehe den zum ersten Mal. Außerdem was glaubt ihr wie alt ich bin?! Ich bin noch viel zu jung um Vater zu sein. Ich habe andere Pläne und…“

„Aber Papa, wie kannst du nur so etwas sagen? Zu deinem eignen Fleisch und Blut?!“, warf der fremde Junge lautstark ein und einige, definitiv falsche, Tränen rannen über seine Wangen hinab.

Allmählich fingen auch die Passanten an zu tuscheln. Es war offensichtlich, dass sie dem Kind mehr glaubten als ihm. „Der Knirps hat uns bestohlen. Und wenn ihr Beide uns nicht sofort wiedergebt, was uns gehört, dann setzt es was!“

„Waaah! Hast du gehört? Gib ihnen wieder, was du geklaut hast!“, keifte Tyke den Jungen bereits mit einer Spur Verzweiflung in der Stimme an.

„Ich hab nichts gestohlen! Das gehört mir! Sie haben es mir stehlen wollen“, beteuert dieser jedoch eisern.

Dabei erkannte der Rotschopf, dass sein Gegenüber offensichtlich das Objekt der Begierde unter seiner Jacke zu verstecken versuchte und so griff er blitzschnell danach. Doch der Junge war nicht so dumm und langsam, wie er gehofft hatte und ließ sein Ende des inzwischen auseinander gerollten Blattes einfach nicht los. Beide zogen sie so fest sie konnten, keiner wollte dem Anderen nachgeben und so musste es kommen, wie es kommen musste. Das Papier riss in der Mitte durch und beide fielen sie auf ihre Hintern.

„Argh, meine Karte!“, schrie der Junge beinahe schon panisch und wimmernd.

„Waaah, es ist durchgerissen!“, stellte auch Tyke das Offensichtliche fest und blickte zu den beiden muskulösen Männern, deren Zorn ihre Gesichter zur Fratzen verzog, „Ähehehe… hier bitte. Das kann man sicher kleben.“

Mit einem missglückten Lächeln reichte er ihnen seine Kartehälfte, doch scheinbar bemerkten sie es nicht einmal. Der Hüne mit dem Zopf riss am Kragen von Tykes schwarzem Hemd und hob ihn hoch, als wiege er nichts. Danach holte er aus und verpasste ihm einen Schlag mitten ins Gesicht. Zwar ließ er das Hemd seines Opfers kurz vor dem Aufprall los, doch dafür schleuderte die Wucht ihn regelrecht durch die Luft, ehe er gut zwei Meter entfernt hart auf den Boden aufschlug. Reglos blieb der Rotschopf mit den wild abstehenden Haaren liegen. Aufgrund des Szenarios befürchteten bereits einige entsetzt dreinblickende Passanten das Ableben des Rothaarigen.

Entsetzt blickte auch der Junge zu dem scheinbar Leblosen. Zitternd saß er da. Das hatte er nicht gewollt. Er hatte nicht gewollt, dass jemand wegen ihm zu Schaden kam. Tränen überfluteten nun gänzlich seine Wangen. Er wehrte sich nicht, als der andere Kerl ihn genauso grob hochriss und ihm die zweite Kartenhälfte wegnahm.

„Hey, lass den Jungen los!“

Überrascht sah nicht nur der Knabe Tyke, welcher gemächlich aufstand, sondern auch die beiden Hünen. Damit hatten sie nicht gerechnet und waren daher viel zu perplex, um den zornigen Blick ihres Opfers zu registrieren. Er wandte seinen Blick zu keiner Sekunde von den beiden Muskelpaketen ab, als er sich ein wenig Blut aus dem Mundwinkel wischte. Sie hatten ihn härter getroffen, als er erwartet hatte. Hätte er das vorher gewusst, hätte er den Schlag nicht freiwillig eingesteckt. „Ich versteh ja viel Spaß. Aber eines solltet ihr lernen: Mich macht man lieber nicht wütend.“

Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen, ließ er demonstrativ seine Finger knacken. Anschließend fügte er seinen vorherigen Worten hinzu: „Wenn ihr euch prügeln wollt, dann kommt nur her. Mit euch Schwächlingen werd ich locker fertig.“

„Kümmere du dich um ihn Marco.“

„Gerne doch, Polo“, antwortete der Zopfträger, nachdem er sich aus seiner Schockstarre hatte lösen können. Sein Gegenüber kam ihm auch noch entgegen und begann sich mit einem lautmalerischen Gähnen über Marco lustig zu machen. Die Geste erzürnte seinen Feind, welcher daraufhin erneut einfach auf ihn einschlagen wollte. Doch wich der Rotschopf diesmal überraschend schnell aus, indem er sich unter dem Schlag hinweg duckte, und verpasste seinem Kontrahenten einfach einen Tritt gegen den Hals. Marco wurde förmlich von den Beinen gerissen und krachte in einem hohen Bogen auf den hölzernen Karren eines Händlers, welcher augenblicklich unter der aufprallenden Last in sich zusammen brach.

Danach wand sich Tyke dem anderen Hünen zu und grinste wieder schelmisch. Ohne Vorwarnung rannte er los und Polo ließ sofort den Jungen los, um schreiend sein Heil in der Flucht suchen zu können.

Sein Partner mit dem Zopf, der sich inzwischen wieder hatte aufrichten können, folgte ihm ächzend und stöhnend so schnell er konnte.

„Was für Feiglinge, hahaha. Hauen beim kleinsten Widerstand ab“, spottete Tyke mit sich selbst zufrieden, als er den Jungen erreichte und auf die Beine verhalf.

„Wow! Du bist ja total stark“, schwärmte dieser prompt. Seine Augen leuchteten förmlich aufgrund der Vorstelllung die Tyke geboten hatte. „Danke. Aber kannst du mir bitte jetzt endlich erklären, was das eben alles sollte?“
 


 

* * * * *
 

Still blickte die ominöse Gestalt vom Dach des Hauses hinab. Seine weiße Kutte wiegte sich sanft im leichten Wind, der über die Dächer hinwegfegte und die kalte Luft vom Meer in die Stadt trieb. Doch dies störte ihn nicht. Sein Blick ruhte auf den rothaarigen Jungen, der soeben einen fast doppelt so großen Widersacher niedergestreckt hatte.

„Hab ich dich endlich gefunden. Ist schon etwas her, seit wir uns das letzte Mal sahen. Nicht wahr, Tyke?“

Ein letzter Blick genügte um sicher zu gehen, danach wand er sich vom Geschehen ab und begab sich zu der Tür hinter ihm, die wieder ins warme Innere des Gebäudes führte.
 


 

* * * * *
 

Eine weitere Person, jedoch in dunklen Kleidern verhüllt, schien ebenfalls den rothaarigen Burschen aufs Genauste zu beobachten. Jedoch waren die Beweggründe des schwarzhaarigen Kerls, mit den vielen furcht erregenden Tätowierungen, alles andere als erfreulicher Natur. Sein zorniger Blick ruhte auf Tyke und sein Körper zitterte vor Anspannung und Erregung.

Auch er hatte den Rothaarigen schon lange gesucht. Wollte er doch eine alte Rechnung mit ihm begleichen. Am liebsten hätte er sich sofort auf ihn gestürzt. Jedoch konnte er sich unter Aufbringung all seiner Willenskraft zurückhalten und entschloss sich auf einen besseren Zeitpunkt zu warten. Und so verschwand er still und heimlich in den Schatten der Straßen.
 


 

* * * * *
 

„Verstehe. Dein Vater war also auf der Grand Line und diese Karte von der Selbigen ist das Einzige Andenken das du noch an ihn hast, seit er verstorben ist“, fasste Tyke zusammen, was ihm so eben von dem Jungen erzählt wurde – welcher sich ihm inzwischen als Jim vorgestellt hatte.

„Ja und nun ist sie kaputt“, meinte sein Gesprächspartner und betrachtete die beiden Kartenhälften in seiner Hand. „Tut mir Leid. Ich wollte das nicht.“

„Ist schon gut. Meine Mutter meinte sowieso, ich hinge zu sehr daran. Mein Vater würde dies sicher auch nicht wollen.“

„Aber mir ist dennoch nicht ganz klar, was diese beiden Trottel jetzt eigentlich mit der Karte wollten. Sie sahen nicht unbedingt so aus, als könnten sie alleine zur Grand Line reisen. Geschweige denn dort lange überleben.“

„Sie arbeiten für einen alten Freund meines Vaters. Du musst wissen, mein Vater segelte auf dem Schiff Soldado. Das Schiff von Käpt’n Dracov, einem sehr berühmten Piraten. Dieser hatte meinen Vater als Navigator beschäftigt, weshalb er auch die Karte der Grand Line besaß und beschützen musste. Doch während einer stürmischen Fahrt wurde er über Bord gespült. Mein Vater starb auf einer Insel in der Grand Line, an den Folgen seiner Verletzungen, die er in jener Nacht erlitten hatte. Ich weiß das so genau, weil er mir von dort aus eine Nachricht und die Karte hat zukommen lassen. Darin stand, dass er in Wirklichkeit von Bord gestoßen wurde, weil eben dieser einstige Freund die Karte für sich haben wollte. Der Verräter ist inzwischen aus Käpt’n Dracovs Crew abgehauen aus Angst vor der Rache seines ehemaligen Kapitäns, versucht aber gleichzeitig noch immer an die Karte zu kommen.“

„Uh, muss ein übler Kerl sein. Verrat ist auf der Grand Line ein schweres Verbrechen unter Piraten. Kein Kapitän erduldet so etwas normalerweise. Weißt du denn wie er aussieht oder heißt?“

„Nein, leider nicht. Das stand nicht im Brief meines Vaters.“

„Hm“, kam es nur noch von dem Älteren der Beiden, während er die Straße zu seiner Rechten entlang sah. Er und Jim hatten die letzte halbe Stunde auf einer Bank am Lester-Stacks-Brunnen gesessen und sich unterhalten. Nun aber setzte ein bedrückendes Schweigen ein, welches aber prompt wieder von den Geräuschen um sie herum gebrochen wurde.

Sie hörten die Rufe jubelnder Menschen und dazu laute, fröhliche Musik aus einer der breiteren Nebenstraßen kommen. Überrascht von dem Trubel sahen sich die Beiden kurz skeptisch an, sprangen auf und rannten sofort los um nachzusehen was los war.

Kaum hatten sie das Ende der Straße erreicht, fanden sie sich vor einer Wand aus Menschen wieder. Diese versperrten ihnen die Sicht auf das vor ihnen liegende Geschehen. Kurz entschlossen fackelten die Beiden nicht lang und quetschten sich auf unterschiedliche Art und Weise zwischen den Schaulustigen hindurch.

„Liebe Bürger von Los Birt, wir laden euch ein der Vorstellung des berühmten und vor allem einzigen schwimmenden Zirkus der Welt – dem Valdarim – beizuwohnen!“, rief ein kleinwüchsiger Mann in einem seltsam bunten Clownskostüm. Er führte dabei eine Reihe anderer Artisten, aber auch eine Meute von Tieren, an, die zu Werbezwecken durch die Stadt streiften. Es war im Grunde ein seltenes Bildnis, dass etwas anderes als der große Markt die Scharen zusammen zu trommeln vermochte.

Und diese Gruppe verstand dabei ihr Handwerk ganz offensichtlich, denn die Straße war zu beiden Seiten mit einer großen Menschenreihe gefüllt, die den Zirkusleuten zujubelten. Auch Tyke mit seinem jungen Begleiter konnten endlich – jetzt wo sie sich in die vorderste Reihe gedrängelt hatten – die Artisten und Statisten des Marsches bewundern und anfeuern.

Sie waren überwältigt von dem Spektakel, welches sich ihnen bot. Einige weitere Clowns schienen harte Kämpfe gegen imaginäre Gegner auszufechten und vollführten dementsprechend so manche artistische Einlage. Ab und zu rannte einer von ihnen jedoch auf die Zuschauer zu und verschenkte großzügig Freikarten. Zwar versuchten sowohl Tyke, als auch Jim immer wieder eine zu ergattern, doch hatten meistens andere Passanten das Glück beschenkt zu werden. Aber dank der drei Elefanten und einem seltsam aussehendem Löwen, welche ebenfalls genug Beachtung von den Zuschauern geschenkt bekamen, vergaßen sie schnell wieder ihre Trauer.

Vor allem Jim und einige weitere Kinder zeigten ein großes Interesse an den Tieren. So manches wagemutiges Kind tanzte und hüpfte sogar lachend, um eben diese herum. Die Tiere nahmen ihrerseits von dem Treiben scheinbar keine Kenntnis. Dennoch konnte man – wenn man genau hinsah – erkennen, dass es den Tieren gefiel so beachtet zu werden und sie ihre Gleichgültigkeit nur spielten. Sie wollten scheinbar damit nur noch mehr Interesse an sich wecken. Ganz besonders der Mischlingslöwen – dessen Fell dem Muster eines Tigers gleich kam, nur das seine Streifen gelb waren und der Rest seines Felles dagegen schwarz. Dieser präsentierte sich stolz den Kindern und ließ hin und wieder sein mächtiges Gebrüll erklingen.

Jedoch erhielten trotz aller Bemühungen und Leistungen zum Trotz, weder die Clowns noch die Tiere die meiste Aufmerksamkeit. Sondern zwei Männer die ungefähr in der Mitte des Zuges mit marschierten.

Der Eine trug nur eine Badehose und Sandalen, um so seine ölig glänzenden Muskelpakete besser zur Schau stellen zu können. Immer wieder behauptete er lautstark von sich selbst der stärkste Mensch ohne Teufelskräfte auf der ganzen Welt zu sein. Um diese Behauptung anschließend zu untermauern, stellte er sein Können unter Beweis, als einer der Clowns ihm eine Eisenstange reichte und der Muskelprotz in diese einen Knoten formte. Und das ohne auch nur das Geringste Zeichen von körperlicher Anstrengung.

Der andere Mann dagegen war eher der ruhige Typ. Seine langen, bläulichen Haare waren zu einem Zopf gebunden und seine stahlgrauen Augen waren stets auf weibliche Zuschauer gerichtet, denen er zudem verführerische und zugleich mysteriöse Blicke zuwarf. Ab und an begab er sich zu einer von ihnen und vollführte für sie ein kleines Kunststück, indem er beispielsweise eine Blume aus dem Nichts herbei zauberte oder einen Ring hinter ihrem Ohr hervor holte. Er war eindeutig das Hauptaugenmerk aller weiblichen Passantinnen. Diesen Umstand wusste er darüber hinaus auch perfekt zu nutzen und so schmachteten unzählige Damen ihrem Herzensbrecher nach.

Tyke und Jim nickten sich derweil kurz zu und rannten gleichzeitig los. Immer dem Zug hinterher. Sie kämpften sich bis an die Spitze und liefen kurzerhand mit den Clowns zusammen die Straße entlang. Einige von ihnen banden die Beiden sogar in ihre Kunststücke ein. So lieferte sich der Rothaarige beispielsweise einen harten Zweikampf mit einem dürren Clown und verlor schließlich. Jedoch musste er selbst über seine miese schauspielerische Leistung lachen, genauso wie die meisten Passanten und auch Jim konnte nicht an sich halten und fiel beinahe vor Lachen auf den Boden.

Als der Clown an der Spitze des Zuges die beiden Fremdlinge in seinen Reihen bemerkte und ihre Aktionen, schien er ein wenig über ihr Verhalten überrascht zu sein. Doch dann eilte er plötzlich aber auf sie zu, wandte sich anschließend blitzschnell an Jim und fragte den kleinen Jungen: „Na du? Wie heißt du denn?“

„Jim. Jim Hawkins, Sir.“

„Du bist aber wohl erzogen. Und scheinbar macht es dir Spaß dich an meinem Zug zu beteiligen. Willst du vielleicht eine Freikarte für unseren Zirkus haben? Du hast es dir redlich verdient, mit deinen eigenen Kunststücken hier“, sprach der Clown und bezog sich dabei auf Jims eigenen Showkampf mit zwei anderen Clowns.

„Das wäre spitze, Sir!“, rief Jim begeistert und seine Augen strahlten wie kleine Sterne. Doch dann bemerkte er den etwas traurigen Gesichtsausdruck seines Aufpassers und fragte daher vorsichtig: „Könnte mein Freund vielleicht auch eine Freikarte bekommen? W-Wenn die Frage nicht zu unverschämt ist…“

Der Clown musterte den Rotschopf kurz, gab dann aber schnell auf, zuckte mit den Schultern und gab sich geschlagen: „Von mir aus, warum nicht? Hier habt ihr zwei Freikarten. Und kommt auch ja früh genug, damit ihr euch Spitzenplätze ergattern könnt. Also bis heut Abend zur Premiere.“

Eilig hastete der Künstler wieder an die Spitze des Werbezuges und ließ die Glückspilze mit sich alleine. Diese freuten sich wie kleine Kinder über die Freikarten und jubelten so lautstark, dass sie sogar den Lärm der Zirkusleute zu übertrumpfen wussten.

„Juhu, dass macht die kaputte Karte wieder wett“, feierte Jim und zog Tyke hinter sich her.

„Wohin gehen wir?“

„Zu mir nach Hause. Ich will dich meiner Mutter vorstellen. Außerdem will ich nicht mit diesen schmutzigen Sachen zur Zirkuspremiere gehen.“
 


 

* * * * *
 

„Ihr Tölpel, Nichtsnutze, Idioten! Ich sollte euch den Haien zum Fraße vorwerfen!“, brüllte der Piratenkäpt’n seine beiden Untergebenen an, während sich sein verächtlicher Blick wie eine Harpune durch diese bohrte und aufspießte. In diesem Moment wünschte er sich, dass er die Fähigkeit hätte sie allein auf diese Weise umbringen zu können.

„Aber Boss“, versuchte es Polo, doch wurde er sofort wieder unterbrochen. „Klappe, du Riesenbaby! Einem einfachen Kind die Karte abnehmen, mehr hattet ihr nicht zu tun! Ist selbst das für euch Schwachmaten zu schwierig?“

„Aber da war dieser Kerl und der war unheimlich stark“, versuchte Marco es diesmal.

„Ihr seid einfach nur unheimlich schwach. Narren, Trottel, Dummköpfe!“ Unverhofft legte sich eine kräftige Hand auf die Schulter des Kapitäns, welcher sich daraufhin etwas beruhigte und seinen ersten Maat ansah.

„Tsuyoi, du kümmerst dich jetzt drum. Anscheinend bist du das einzige verlässliche Mitglied meiner Bande. Schnapp dir den Jungen. Ich muss an die Karte rankommen. Koste es was es wolle.“

Er stand von seinem thronartigen Stuhl auf, setzte seine rote Mütze auf und nahm seinen Gehstock zur Hand. Aufgrund seines mehr als rundlich erscheinen lassenden Körperfülle tapste er schwerfällig zu seinen beiden Untergebenen und sah sie erneut zornig an. Noch immer war die Wut so brodelnd heiß in seinen Augen, dass diese es keine Sekunde lang vermochten seinem mächtigen Blick stand zu halten. Stattdessen sahen sie schuldbewusst und verängstigt, wie zwei Hasen die erwarteten jeden Augenblick von einer gefährlichen Riesenschlange verschlungen zu werden, zu Boden. Innerlich schickten sie Stoßgebete gen Himmel, auf das ihr Kapitän ihnen doch verzieh und sie nicht bestrafen würde.

„Und was euch beide angeht. The show must go on! Nicht wahr?”

Mit weichen Knien nickten sie nur und hielten sich fest umklammert. All ihre Hoffnungen starben in diesem kleinen Moment. Sie erkannten, dass ihr Boss derartig von ihnen angewidert war, dass sie froh sein konnten wenn sie seine Strafe überhaupt überleben würden. Wobei… dies war meist eigentlich die bessere Option, denn die Strafen ihres Kapitäns waren meistens schlimmer als der Grauen des Todes es zu sein vermochte.

Plötzlich erhob der Käpt’n seinen Stock und klopfte zweimal auf den Boden. Marco und Polo wussten sofort was dies bedeutete und ehe sie reagieren konnten, öffneten sich die Planken unter ihnen und sie fielen in ein tiefes dunkles Loch.

Käpt’n Tich, the black Dog

Ein gigantisches Festmahl war vor Tyke aufgebaut worden und mit gierigem Blick begutachtete er die köstlichen Speisen genauestens. Sie alle wirkten wie kleine kulinarische Meisterwerke. Nein, sie waren es auch.

Fleischgerichte waren mit den wunderbarsten und buntesten Früchten verziert, die Tyke je gesehen hatte. Verschiedene Nachspeisen wie Pudding oder Kuchen ließen dem Rothaarigen das Wasser im Mund zusammen laufen.

„Das ist alles für mich?,“ fragte er erneut, um sicher zu gehen, dass er sich nicht verhört hatte.

„Ja. Ich will ihnen damit danken, dass sie Jim gerettet und sich so gut um ihn gekümmert haben.“

„Ach, so besonders war das ja auch wieder nicht. Aber das ist so viel. Sicher, dass sie nicht ein wenig übertreiben? Ich will ihnen schließlich nicht ihre Vorräte aufessen. Ich meine, wie können sie sich das Leisten?!“

„Essen sie ruhig,“ versicherte Jims Mutter erneut und so gab sich der Rotschopf schließlich geschlagen.

Eifrig machte er sich daran den Berg von Nahrungsmitteln zu verputzen, da er nicht wollte, dass das ganze schöne Essen verdarb und er wollte nicht unhöflich erscheinen, da man ihn mehrere Male auffordern musste.

„Käpt’n Drake, der Kapitän meines Vaters schickt uns Geld. Er und mein Vater waren gute Freunde, daher fühlt sich der Käpt’n dazu verpflichtet uns zu helfen,“ erklärte Jim und nahm sich ein großes Stück Kuchen.

„Mmpf, faht ma, lewt hier in deh Staft ein Mäfchän mid Däupelzgräpfen?,“ fragte Tyke plötzlich mit vollem Mund ohne auf Jims Antwort weiter einzugehen.

Doch als er nur die fragenden Blicke von dem Jungen und dessen Mutter sah, kaute er etwas schneller, um all die Speisen – welche er in seiner Gier sich so in seinen Mund gestopft hatte – auf einmal herunter zu schlucken.

„Uah… zu viel des Guten. Ich wollte nur wissen, ob hier in der Stadt ein Mädchen mit Teufelskräften lebt.“

„Nicht das ich wüsste,“ antwortet Jims Mutter und dachte zur Sicherheit noch einmal kurz nach, schüttelte dann aber energisch den Kopf.

„Wieso willst du das wissen?,“ fragte Jim verwirrt.

„Weil ich so einer begegnet bin, bevor ich dich getroffen habe.“

„Wie sieht sie denn aus?,“ fragte Frau Hawkins schließlich.

„Weiß ich gar nicht so genau,“ gestand Tyke, während er versuchte sich daran zu erinnern.

Er hatte sie sich in der Hektik ihres Zusammenstoßes nicht genau angeschaut und konnte sich daher nun nicht mehr an ihr Aussehen erinnern. Er wusste nur noch, dass sie haselnussbraune Haare gehabt hatte. Angestrengt kniff er die Augen zusammen, während er eine Speise nach der Anderen verdrückte, in der Hoffnung das ihm doch noch etwas zu ihrem Äußeren einfallen würde. Leider vergeblich.

„Und was willst du von ihr?,“ fragte Jim irgendwann.

„Ich will sie in meine Bande holen.“

„Deine Bande?,“ fragten die Beiden ihren Gast synchron.

„Ja, ich will ein großer Pirat werden, auf die Grand Line reisen und vor allem: Ich will der nächste König der Piraten werden.“

Beiden, Jim und seiner Mutter, fielen die Kinnläden fast bis zum Boden herunter und entsetzt schrieen sie gemeinsam: „Du willst König der Piraten werden? Bist du verrückt? Weißt du was für starke und grausame Piratenkapitäne auf der Grand Line existieren? Für die bist du nichts weiter als Fischfutter!“

„Haha, ihr seid amüsant,“ meinte Tyke lachend, doch plötzlich blickte er sehr ernst und fuhr fort – während er sich ein Stück Steak in den Mund schob –, „es ist mein Traum und wer seinen Traum nicht lebt, der hat sein Leben verschenkt. Warum sollten wir nur träumen? Viel interessanter wird es doch erst, wenn man versucht seine Träume wahr werden zu lassen! Und glaubt mir, ich bin nicht schwach. Mein Leben war nicht einfach, es hat mich schon immer mit Gefahren und Abenteuern übersät. Kein Wunder wenn man überlegt auf welchem Schiff ich seit meiner Kindheit lebte. Genau deshalb weiß ich, dass ich nicht einfach nur vor mich hin träume, sondern dass ich es auch schaffen kann!“

Mit einem selbstsicheren Grinsen stand er ruckartig auf und schnappte sich seinen Seesack, welchen er – auf den Weg zu Jims Heim – von seinem Boot geholt hatte, das sich kurz daraufhin in Richtung Hafenboden verabschiedet hatte.

Sprachlos sahen Jim und seine Mutter den rothaarigen Kerl an. In den Augen des Jungen lag Bewunderung für den Fremden, doch in denen seiner Mutter Trauer. Und in denen Tyke das Feuer der Entschlossenheit, das lichterloh brannte.

„Ist er nicht genau, wie du es einst warst, Liebling?,“ dachte Jims Mutter, als sie dies sah und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel weg, während sie ein unscheinbares Bild zu ihrer Linken betrachtete, auf welchem sie mit einem Mann zu sehen war, der ein kleines Baby in seinen Armen hielt. Sie vermisste ihren Mann, doch nun war nicht die Zeit zu trauern.

Schnell, ehe einer von ihnen ihren traurigen Blick bemerken konnte, wandte sie sich an die beiden Burschen: „Müsst ihr nicht allmählich los? Oder wollt ihr zu spät zur Zirkusvorstellung kommen?“

„Aaaah! Verdammt! Lass uns los, Jim,“ brüllte Tyke entsetzt und wie von einer Tarantel gestochen, rannten sie mit einem unglaublichen Tempo los.

Da Jim in Tykes Augen jedoch ziemlich langsam war, packte er diesen kurzerhand und setze ihn auf seine Schultern, so dass der Junge dem Rotschopf den Weg weisen konnte. Erneut überraschte der Rotschopf seinen noch jungen Freund mit seinen unglaublichen Fähigkeiten.

Nie hätte dieser gedacht, dass jener komische Kauz von einem Mann so schnell rennen könne und eine so verdammt gute Kondition habe.

„Jetzt links. Nein, das andere links! Da an der Kneipe rechts. Weiter gerade aus und da drüben wieder links. Ah, siehst du das da? Da ist bereits der Hafen zu sehen,“ dirigierte Jim sicher und Beide sahen sich, als sie den Hafen endlich erreicht hatten, um.

Schließlich würde die Vorstellung auf einem Schiff stattfinden, also musste es sich doch hier irgendwo befinden, oder etwa nicht?

„Schau mal dort. Das komische weiße Schiff da hinten. Ich glaube das muss es sein,“ behauptete Jim und zeigte auf ein längliches, weißes Schiff dessen vorderer Teil aussah wie ein Clownsgesicht. Eigentlich war diese Gallionsfigur schon Beweis genug, dass es sich um ein Zirkusschiff handeln musste.

„Lass uns dahin gehen,“ meinte Tyke und setzte Jim wieder ab.

Gelassen schlenderten sie zu dem Schiff und konnten bereits aus einiger Entfernung sehen, wie zwei Clowns die Eintrittskarten der Gäste überprüften und erst danach den Zuschauern Einlass gewährten. Zielsicher gingen Tyke und Jim auf die lustigen Figuren zu.

„Eure Karten bitte,“ meinte der Dünnere der Beiden und streckte seine Hand fordernd aus.

Jim und Tyke zeigten ihre Freikarten und mit einem Lächeln machten die Clowns den Weg frei. Sie wünschten viel Spaß bei der Vorstellung und überprüften danach die nächsten vermeintlichen Zuschauer auf deren Karten.

Sich freudig umschauend, folgten die Beiden dem Steg und als sie das Deck erreicht hatten, erkannten sie dass genau dieses als Bühne für die Vorstellung diente. Der Hauptmast war abgebaut worden und stattdessen hatte man eine größere, runde Fläche mit Sägespänen bestreut. Um diese abgegrenzte Stelle herum, waren Stühle aufgestellt worden und viele von ihnen waren bereits von den verschiedensten Besuchern besetzt. Scheinbar wollten die meisten Zuschauer in den ersten Reihen sitzen und aus diesem Grund waren sie bereits sehr früh zur Vorstellung gekommen. Das hatte der Clown ihnen auch gesagt, leider hatten sie es danach versäumt und so hofften sie noch gute Plätze zu finden.

„Schönen Abend und willkommen beim Zirkus Valdarim! Bitte sucht euch die Plätze aus, die euch am Meisten gefallen,“ sprach eine schöne Blondine sie unverhofft an.

Tyke seinerseits, gaffte sie jedoch regelrecht an, da sie äußerst aufreizend angezogen war. Dies wurde Jim wiederrum ein wenig peinlich.

„Tyke, lass das. Komm wir suchen uns lieber ein paar tolle Plätze aus,“ meckerte er und zog den jungen Piraten am Ohr hinter sich her.

Kaum hatten sich die Beiden ihre Plätze ausgesucht, ging die Blondine möglichst unauffällig einige Schritte zur Seite und holte eine kleine Teleschnecke aus einem Fass heraus. Schnell hob sie den Hörer ab und als sich am anderen Ende eine Stimme meldete, sprach sie im leisen Flüsterton: „Boss? Ja, sie sind da. Platz 17E und 18E.“

Plötzlich standen die Beiden jedoch ohne ersichtlichen Grund auf, diskutierten kurz und rannten dann zu zwei anderen Stühlen, um sich dorthin zu setzen.

„Ah, sie haben sich umgesetzt. 9B und 10B. Moment,“ kaum hatte sie ihre Worte ausgesprochen, setzten sich Tyke und Jim erneut um.

Scheinbar konnten sie sich einfach nicht entscheiden, denn sie setzten sich zirka alle zwei Minuten um. Was langsam auch andere Gäste verstimmte und zu Protestrufen und Beschwerden führte.

„Ihr beiden Knallköpfe da, setzte euch gefälligst endlich hin und bleibt sitzen!,“ baffte die zuvor so schöne Blondine nun mit wutverzerrter Fratze und einem regelrechten Haifischmaul, während sie zudem mit leeren Flaschen nach den Beiden warf.

Erschrocken setzten sich Tyke und Jim endlich hin und riefen brav: „Jawohl, Ma’am!“

Dies führte zu einem kurzen Applaus und damit war endlich Ruhe.

„Sie sitzen endlich, Sir. Platz 1G und 2G. Ich sorge dafür, dass die Beiden da auch gefälligst sitzen bleiben,“ sprach sie schließlich in den Apparat und legte anschließend auf.

Nachdem sie die Teleschnecke wieder in dem Fass platziert hatte, holte sie stattdessen als Ausgleich ein überdimensionales Nudelholz heraus und postierte sich mit verschränkten Armen hinter dem Rotschopf und dem Knirps. Diese bemerkten sofort ihre Wächterin und jammerten mit verschränkten Armen über den Köpfen: „Uwaaah! Nicht hauen. Wir bleiben ja schon sitzen!“
 

* * * * *
 

„Ist alles bereit?,“ fragte der dicke Kapitän seine Leute, die vor ihm knieten.

„Ja, Sir. Sobald die Vorstellung beginnt können sie nicht mehr weg. Und wenn Aisuru seine Tricks vorführt schnappen wir uns den Kleinen,“ antwortete der kräftige Tsuyoi.

„Und die Marine ist auch informiert?“

„Ja. Wir haben ihnen die falschen Informationen zukommen lassen. Sie müssen sich also auch nicht um Aisuru Sorgen machen!“

„Wuaharharhar! Alles läuft also wie geplant. Wunderbar. Am Ende dieses Tages habe ich also die Karte der Grand Line, welche der alte Bill mir nicht geben wollte, und zudem bin ich diesen Spinner Aisuru los.“

Mit einem diabolischen Grinsen erhob sich der kleine Kerl von seinem ‚Thron’ und setzte erneut seinen Hut auf, denn er vor kurzem ausgezogen und zur Seite gestellt hatte.

Anschließend stellte er sich an eine bestimmte Stelle des Raumes, die mit einem kleinen Punkt markiert worden war und schnippte mit den Fingern. Plötzlich bewegte sich der Boden unter ihm, mit lautem Rattern, und langsam aber sicher wurde die dickliche Gestalt in die Höhe befördert. Über ihm öffnete sich eine Luke, durch die er somit nach oben gelangte.
 

* * * * *
 

Ungeduldig warteten Tyke und Jim auf den Beginn der Show. Wieso dauerte so etwas auch immer so ewig? Und es gab nicht einmal irgendwelche Süßigkeiten zu kaufen, auch wenn Tyke sich diese niemals hätte leisten können. Er hatte ja kein Geld mehr.

„Was glaubst du was wir alles zu sehen bekommen?,“ fragte Jim irgendwann seinen Begleiter.

„Also ich hoffe ja auf eine Zaubershow. Ich mag Zauberer! Die sind cool,“ schwärmte dieser hellauf begeistert.

„Ich freu mich auf die Clowns,“ meinte Jim breit grinsend.

„Japp, die sind auch cool,“ bestätigte Tyke lachend.

Auf einmal hörten die Beiden jemanden „Anker lichten!“ rufen und kurz darauf stach das Zirkusschiff in die See. Nur wenige Sekunden später öffnete sich eine Luke inmitten des mit Holzspänen übersäten Bodens und eine kleine dicke Gestalt erschien daraus. Es war der Clown, von dem Tyke und sein kleiner Begleiter ihre Karten erhalten hatten. Doch diesmal trug er statt eines Clownskostümes, ein roten Smoking mit einem unglaublich großen schwarzen Hut. Dieser musste – rein vom Augenmaß her – mindestens so groß, wie der Clown selbst. Und scheinbar war er auch eigentlich der Direktor des Schiffszirkus. Zumindest ließ seine jetzige Kleidung darauf schließen.

„Wuaharharhar! Willkommen meine lieben Gäste im ersten und einzigen schwimmenden Zirkus, dem Valdarim! Während der gesamten Vorstellung werden wir die Insel mehrere Male umsegeln, bewahren sie also bitte Ruhe. Dies ist kein Überfall einer Piratenbande. Es gibt also keinen Grund zur Sorge. Wuaharharhar.“

Das Publikum lachte über den kleinen Witz des ebenso kleinen Direktors. Vor allem Tyke, der beinahe vor Lachen vom Stuhl fiel. Einige Gäste hatten sogar aufgehört zu Lachen und sahen stattdessen verärgert zu diesem. Jim – dem das mal wieder ziemlich peinlich war – versuchte seinen laut lachenden Freund zu beruhigen. Tyke war schon ein ziemlich widersprüchlicher Mensch.

„Mein Name ist Zirkusdirektor Tich. Ich freue mich sie zur heuten Premiere begrüßen zu dürfen. Machen sie es sich also bequem und genießen sie die Vorstellung!“

Auf einmal explodierte Etwas vor den Füßen des Clownsdirektors. Es handelte sich dabei nur um eine versteckte und völlig harmlose Sprengkapsel. Bereits wenige Sekunden später wurde Tich von einem dicken, rötlichen Rauch eingehüllt.

Als dieser sich nach einiger Zeit endlich verzogen hatte und wieder freie Sicht gestattete, stand an Stelle des Direktors eine andere Person. Jim erkannte sie sofort, es war der blauhaarige Mann, den er auch am Mittag bereits gesehen hatte. Er war es auch gewesen, dem alle Frauen zu Füßen gelegen und ihn angehimmelt hatten. Ein richtiger Frauenheld.

„Einen wunderschönen Abend, meine Damen und Herren. Dürfte ich mich vorstellen? Mein Name ist Aisuru Casanova. Gentleman und Magier von Beruf. Ich werde als Erster Ihren Abend, im wahrsten Sinne des Wortes, verzaubern dürfen und ich hoffe Sie lassen sich von mir mitreißen in eine Welt voller Magie und Illusionen,“ sprach der Blauhaarige ruhig und mit sanfter Stimme.

Mit verführerischem Blick sah er durch die Publikumsreihen, als suche er jemanden bestimmtes darunter. Und immer wenn sein Blick sich dabei mit dem einer Zuschauerin traf, schmachtete diese regelrecht dahin. Bei einigen eilten sogar Clownssanitäter herbei, um ihnen zu helfen, sich von ihrem Liebesschock zu erholen.

Während er suchte, vernahm er die lautstarken Rufe eines rothaarigen Burschens aus der ersten Reihe, der immer wieder rief: „Hier! Ich! Nimm mich!“

Doch Aisuru entschied sich anders.

„Du mein Junge,“ er deutete auf Jim, „komm her. Ich möchte, dass du mir bei meinem ersten Trick assistierst!“

Mit strahlenden Augen eilte Jim zu dem Magier und stellte sich aufgeregt vor diesen hin.

„Menno! Dabei wollte ich doch so gerne ihm assistieren,“ beschwerte sich der Rotschopf, der niemand geringeres als Tyke gewesen war.

„Wie heißt du, mein Bursche?,“ fragte der Blauhaarige mit einem strahlenden Lächeln, dass Frauen zu Wachs in seinen Händen machen konnte und auch machte, wenn man in die sich lichtende Reihen der Zuschauer sah.

„Mein Name ist Jim Hawkins, Sir.“

„Gut Jim. Ich werde dich nun verschwinden lassen. Hast du Angst davor einfach im Nichts zu landen?“

„Nein, Sir. Ich habe niemals Angst.“

Bevor Aisuru weitersprach, verband er seinem kleinen Gehilfen mit einem schwarzen Tuch die Augen und legte anschließend seine Hände, auf Jims Schultern.

„Das ist gut zu hören, denn …,“ ehe er seinen Satz zu ende sprechen konnte, wurden Beide in eine Feuersäule eingehüllt, welche aus dem Boden heraus schoss und gut drei Meter in die Luft reichte.

Aus dieser Säule heraus, hörte man einen kurzen Aufschrei und beinahe sofort danach erlosch das Feuer wieder. Nun stand nur noch Aisuru an seinem Platz mit – in die Luft ausgestreckten – Armen und beendete seinen Satz: „… schon viele schrieen, als sie das Reich der Illusionen betraten!“

Das Publikum applaudierte und der blauhaarige Magier verbeugte sich gekonnt. Es mischten sich sogar einige Jubelschreie in den Beifall ein, welche jedoch fast ausschließlich von dem Rothaarigen aus der ersten Reihe kamen.

„Und nun werde ich …,“ doch weiter kam er mit seinem Satz nicht mehr, da er plötzlich von einer gebieterischen und markanten Stimme – markant dadurch, dass sie sich anhörte wie ein Kanarienvogel auf Helium – unterbrochen wurde: „Nichts mehr machen!“

Eine große kräftige Gestalt, der man eine solch lachhafte Stimme niemals zugetraut hätte, erhob sich aus dem Publikum, ging zu dem Magier und legte ihm blitzschnell Handschellen an. Ein entsetztes Raunen verbreitete sich unter den Zuschauern so rasant, wie ein Buschfeuer.

„Aisuru Casanova, ich nehme sie im Namen der Marine in Gewahrsam! Ihnen wird vorgeworfen illegalen Handel mit Waffen zu betreiben und ein Kind heute entführen zu wollen. Äh… Entführt zu haben!,“ korrigierte sich der Mann von der Marine schnell, nachdem er sich kurz umgesehen hatte, um sich zu vergewissern das Jim auch wirklich verschwunden war.

„Aber… Halt… Einen Moment mal! Das stimmt doch überhaupt nicht! Da muss ein Missverständnis vorliegen. Ich habe niemanden entführt. Der Junge ist in einem versteckten Raum unter dem Deck. Die Luke öffnet sich wenn das Feuer entzündet wird und da plumpst er nur hinein. Sehen sie nach, er müsste noch da drinnen sein,“ stotterte Aisuru sofort los, dem in diesem Moment die Verschwiegenheit eines Magiers bezüglich seiner Kunststücke ziemlich schnuppe war.

Schließlich ging es hier um seine Freiheit und die Ehre als Magier nützte ihm im Gefängnis nichts, wohin er zudem auch gar nicht wollte. Daher trat er auch augenblicklich auf einen versteckten Schalter unter einer der Planken und vor dem Marineleutnant öffnete sich tatsächlich eine Klapptür. Doch zum Entsetzen des Magiers war die geheime Kammer leer.

„Scheinbar wollten Sie mich reinlegen. Oder schlimmer noch, mich da reinfallen lassen. Das beschert Ihnen nun auch noch eine Strafe wegen Widerstand gegen die Marinegewalt… Staatsgewalt… Welche Gewalt auch immer ein. Kommen sie nun mit, ich bringe sie ans Festland und werde mich dort um sie kümmern,“ entschied der Hüne.

„Ich betreibe aber keinen Schmuggel!,“ versuchte es Aisuru erneut.

„Meine Männer haben eine Kiste mit illegalen Waffen in Ihrer Kabine gefunden.“

„Das kann nicht sein. Jemand versucht mir das anzudrehen. Und wann vor allem haben sie mein Zimmer durchsucht?!“

„Vor Beginn der Zirkusshow, habe ich von Direktor Tich verlangt uns auf das Schiff zu lassen, da wir uns umsehen müssten.“

Kurz darauf erschien der besagte Zirkusdirektor Tich, wie auf Stichwort und wollte wissen was passiert sei. Der Marineleutnant erklärte ihm die Umstände und der Direktor sah seinen Magier nur entsetzt an. Immer wieder behauptete er, dass dies nicht sein könne. Das Aisuru ein ehrlicher Mensch sei, doch der Mann der Marine ließ nicht mit sich reden.

Nachdem der Leutnant sich eines der Rettungsboote des Zirkusschiffes hatte zu Wasser setzen lassen, entschuldigte er sich noch einmal für die unangenehme Unterbrechung, wünschte noch einen schönen Abend und stieg mit seinem Gefangenen hinab. Als sie das Beiboot erreicht und sich hingesetzt hatten, ruderte der Leutnant mit kräftigen Schlägen davon. Offensichtlich wollte er schnellstmöglich seinen Gefangenen verhören.

Als zwischen dem Schiff und dem Ruderboot eine beachtliche Distanz entstanden war, drehte sich der Direktor wieder zu seinem Publikum um, legte ein verzerrt wirkendes Grinsen auf und meinte lautstark: „Was für ein Blödmann, ein Schwachkopf, eine Dumpfbacke! Wuaharharhar! Nun, mein liebes Publikum, jetzt wo wir die Marine vom Hals haben, möchte ich mich wirklich vorstellen. Man nennt mich Tich, the black Dog. Meines Zeichens Zirkusdirektor und Pirat. Wuaharharhar. Und sie meine lieben Geiseln, dürfen zusehen, wie wir beim umrunden Ihrer ach so geliebten Insel die Stadt Los Birt dem Erdboden gleichmachen. Kanonen ausrichten und Feuer!“

Mehrere laute Explosionen drangen aus dem Schiffsinneren nach oben und kurz darauf konnten die Passagiere erkennen, wie ein halbes Dutzend Häuser auf dem Festland regelrecht in Stücke gerissen wurden, durch den hinterhältigen Angriffes. Es hatte ganz den Anschein, als wären sie von überdurchschnittlich großen Kanonenkugeln getroffen worden. Denn das Ausmaß der Zerstörung war gewaltig.

„Sie mein liebes Publikum, haben nun die Chance Ihre geliebte Insel freizukaufen. Wuaharharhar! Also, wer bietet zuerst?“
 

* * * * *
 

„Was war das?,“ fragte der Marineleutnant überrascht und sah zu den brennenden Häusern von Los Birt.

„Das kam von der Valdarim. Aber… Wieso feuern die auf die Insel?,“ meinte Aisuru verwirrt und bemerkte den starren und von entsetzen gezeichneten Blick des Marineleutnants.

Der Magier sah nun seine Chance gekommen zu fliehen. Geschickt verrenkte er seine Hände, um aus den Handschellen herauszuschlüpfen und mit einer kräftigen Rechten konnte er den unvorbereiteten Leutnant von Bord befördern.

„Schwimmen Sie nach Los Birt und versuchen Sie zu helfen. Ich rudere zur Valdarim. Vielleicht kann ich herauszufinden, was da los ist,“ brüllte Aisuru während er wie wild zu rudern begann.

„Hey! Du willst doch nur abhauen.“

Während Aisuru sich langsam aber sicher wieder dem Zirkusschiff näherte, rief er dem Leutnant zu: „Entscheiden Sie sich. Mich verfolgen oder den Menschen von Los Birt helfen!“
 

* * * * *
 

„Das kann doch nicht Ihr ernst sein!,“ brüllte ein vornehmer, älterer Herr und stand energisch auf.

Tyke fand, dass er unglaublich viel Würde ausstrahlte, wie er da auf seinen Gehstock gestützt stand. War das vielleicht sogar der Bürgermeister?

„Ach nicht? Männer, Feuer!“

Erneut wurde die kleine Stadt von einer Salve Kanonenkugel erschüttert und man konnte selbst vom Schiff aus sehen, wie Menschen schreiend durcheinander rannten, um sich in Sicherheit zu bringen. Das wutverzerrte Gesicht des Herrn lies erahnen, dass er erkannt hatte, wie ernst es Käpt’n Tich mit der Versteigerung ihrer Heimat war.

„Vier Millionen Berry,“ rief eine dicke Frau, um deren Hals sich massenhaft Schmuck legte.

Tich hatte es geschickt eingefädelt. Erst jetzt erkannte Tyke, dass sich hauptsächlich nur reichere Bewohner Los Birts auf dem Schiff tummelten.

„So wenig? Nun ja, vielleicht sollte ich noch einmal…“

„Hören Sie damit sofort auf! Das können Sie nicht machen, Sie verrückter Fettwanst!“

Ein junges Mädchen stand auf und blickte zornig den falschen Zirkusdirektor an. Sie hatte ihn – zum Entsetzen beinahe aller Geiseln – beleidigt. Tyke erkannte sie sofort als die Diebin, mit der er am Morgen am Hafen zusammengestoßen war, wieder.

„Aaaah, das Diebesweib!,“ schrie er erfreut, rannte zu ihr hin und ergriff ihre beiden Hände.

Erst sah sie ihn erstaunt an, doch dann schien sie seine Worte begriffen zu haben und verpasste ihm eine harte Kopfnuss, mit den Worten: „Wer ist hier ein Weib, du Flammenschädel?!“

„Auauauau, das tut doch weh!“

„Selbst schuld! Mich einfach zu beleidigen.“

„Ich wollt dich nicht beleidigen, ich wollte dich bitten in meiner Piratenbande einzusteigen! Du weißt schon. So mit Grand Line besegeln, Abenteuer erleben und…“

Erneut traf ihn eine harte Kopfnuss und zwar zielsicher an der Stelle, wo sich bereits die Beule der Ersten gebildet hatte. Durch den heftigen Schlag – und der Tatsache, dass Tyke mitten beim Sprechen war – hatte er sich zu allem Übel auch noch auf die Zunge gebissen und jammerte nun wie ein Schlosshund deswegen.

„Ich werde doch kein Pirat, wie sehe ich denn aus?!“

„Lass mich doch erst einmal ausreden. Also: Grand Line besegeln, Abenteuer erleben und Schätze finden!“

Das fremde Mädchen hatte bereits zu einem erneuten Schlag ausgeholt, dann aber bei der Erwähnung des letzten Aspekts eines Piratenlebens inne gehalten.

„Schätze?“

„Ja. Ganz viele! Versprochen! Also bist du dabei?“

Kräftig wie ein Donnerschlag traf ihn die dritte Kopfnuss begleitet von den Worten: „Niemals! Nicht in hundert Jahren, werde ich ein Pirat! Schätze kann ich mir auch so besorgen!“

„Hey, ihr Beiden. Was soll denn das hier werden. Der Aufstand der Knallköpfe, der Trottel, der Schwachmaten? Ich warne euch. Wenn ihr beiden Kinderchen euch nicht brav wieder hinsetzt, dann verkauf ich dieses schöne Dörfchen da hinten nicht,“ dabei deutete er mit einem Daumen in Richtung Los Birt, „sondern sprenge sie von allen Seekarten des West Blues weg, Wuaharharhar!“

„Das lasse ich nicht zu,“ meinte das Mädchen und streckte ihre Arme vor sich aus, als bereite sie etwas vor.

„Ich warne dich Kleine. Nur ein Wimpernzucken und ich gebe den Feuer Befehl. Und ich denke Mal, dass du das nicht unbedingt möchtest, oder?“

Wütend biss sie ihre Zähne zusammen. Sie wusste, dass er nicht mit leeren Drohungen um sich warf, sondern wahr machen würde was er sagte. Das hatte er ja bereits bewiesen.

„So ist es schon besser. Und nun setzt euch beide wieder hin!“

Langsam und vorsichtig setzten sich sowohl Tyke, als auch das fremde Mädchen wieder hin. Tyke aber band dabei möglichst unauffällig einen kleinen Beutel von seiner Hüfte los und schüttete dessen Inhalt vorsichtig auf dem Holzdeck aus.

„Also, bei welchem Gebot waren wir zuletzt?“

„Neun Millionen Berry!,“ bot nun der ältere Herr, der zu Anfang protestiert hatte.

„Ich bitte euch. Keine Scherzangebote. Ansonsten, Feuer!“

Entsetzt sahen die Passagiere zu Tich, doch das Geräusch der schießenden Kanonen blieb diesmal aus und alle sahen nun eher verwirrt einander an.

„Häh?! was ist denn bei diesen Deppen los?! Tsuyoi!“

Ein kräftiger Kerl tauchte wie aus dem Nichts heraus auf und Tyke erkannte auch diese Person. Es war der muskulöse Kerl, der mit dem Magier am Mittag auf der Parade der Zirkusleute die meiste Aufmerksamkeit erhalten hatte. Schließlich hatte er behauptet der stärkste Mensch der Welt ohne Teufelskräfte zu sein.

„Ja, Sir?“

„Geh nach unten und schau was die Idioten bei den Kanonen schon wieder machen. Ich werde solange die Versteigerung weiterführen. Wir sammeln dann einfach die Attacken, die wir auf diese schöne Insel abfeuern werden. Wuaharharhar!“

„Ich werde mich sofort darum kümmern, Sir.“

Augenblicklich begab sich der Hüne unter Deck und kaum war er verschwunden, drehte sich Tich wieder zu seinen ‚Gästen’, mit einem diabolischen Grinsen, um.

„Nun gut, dann wollen wir mal…“

„Magnetisierung – Iron Punch!“, rief Tyke so laut er konnte und plötzlich bildete sich eine metallische Faust unter Tich. Diese verpasste dem dicken Zwerg einen so kräftigen Kinnhaken, dass er im wahrsten Sinne des Wortes von den Beinen gefegt wurde.

Ein überraschtes Raunen ging durch die Menge und auch das diebische Mädchen war von dieser Aktion mehr als nur erstaunt.

„Was… war das?!“, fragte Tich schwerfällig und stand langsam auf.

Die Faust – die vor wenigen Sekunden den Piraten getroffen hatte – platzte mit einem kleinen ploppartigen Geräusch und ein feines, staubwolkenförmiges Gebilde hing in der Luft.

„Das ist meine Teufelskraft. Ich habe von der Magnet Frucht gegessen. Diese Wolke besteht aus feinen Eisenspänen, die ich nach Belieben formen und verändern kann.“

Tyke wollte bereits auf seinen Gegner zugehen, um ihn noch einige Schläge zu verpassen solange er schutzlos war, doch plötzlich wickelte sich etwas längliches, schuppiges um seinen Hals und drückte mit einer solch unglaublichen Kraft zu, dass der Rotschopf sofort in die Knie gehen musste und verzweifelt nach Luft zu schnappen versuchte.

„Endlich hab ich dich. Ich denke der Dicke da, wird schon nichts dagegen haben, wenn ich mich um dich kümmere,“ sprach eine Person hinter dem Rotschopf und er glaubte sogar, die Stimme irgendwoher zu kennen. Sie bereits einmal gehört zu haben. Aber wo?

„Langsam reicht es mir. Wer bist du schon wieder?,“ wollte Tich sichtlich verärgert wissen, nachdem er sich endlich wieder aufgerichtet hatte und seinen Hut sanft sauber strich.

„Mein Name ist Ikiteru Seizu, der Künstler des Todes und ehemaliger Vize der Schakal Piratenbande,“ stellte sich die hagere Gestalt vor und positionierte sich so, dass nicht nur Tich ihn gut sehen konnte, sondern auch sein Opfer Tyke.

Dieser erkannte nun, dass zwei schwarze und leicht durchsichtige Schlangenkörper aus Ikiterus Körper zu kommen schienen. Sie waren es, die ihm die Luft abdrückten. Was Tyke dabei jedoch überraschte war, dass an den Stellen wo sie mit Ikiterus Leib verbunden zu sein schienen, sich in Wirklichkeit zu Tätowierungen verwandelten und seine helle Haut zierten.

Die dunkle Kleidung, welche er trug, bildete einen extremen Kontrast zu seiner beinahe schon unmenschlichen Hellhäutigkeit. Aufgrund dessen glich Ikiteru viel mehr einer lebendigen Leiche, als einem lebendigen Menschen. Dieser Eindruck wurde von seinen dürren und fahlen Haaren noch zusätzlich verstärkt.

„Und ich habe eine alte Rechnung mit diesem Kerl offen. Er hat sich mit meinem Kapitän angelegt. Ich sollte die Ehre meines Käpt’ns wiederherstellen und diesen Wicht in einem Zweikampf besiegen. Doch der Kleine hat mich besiegt und danach am Leben gelassen. Somit war nicht nur meine Ehre, sondern auch die meines Käpt’ns vernichtet. Mein Käpt’n lies mir danach das Zeichen eines Ronin auf meinen Nacken tätowieren. Das Zeichen eines Entehrten und Verstoßenen. Als Verstoßener auf der Grand Line, hat man so gut wie keine Überlebungschancen. Aber zum Glück aß ich kurz danach – per Zufall – eine Frucht, welche mein Leben veränderte, indem sie mir die Kraft verlieh meine Tätowierungen real werden zu lassen. Und seit dem jage ich diesen Jungen, um mir zurück zu holen, was er mir genommen hat. Meine Ehre und meinen Stolz,“ erklärte Ikiteru kurz und ließ seine Schlangen ein wenig fester zudrücken, so dass Tyke vor Schmerz aufstöhnte und sich bereits mit einer Hand auf dem Deck abstützen musste.

„Deine schöne Trauergeschichte interessiert mich nicht. Also nerv mich auch nicht mit ihr! Aber wenn du dich mit diesem Wicht bekämpfen willst, habe ich kein Problem damit. Wuaharharhar. Dann bin ich eine Sorge mehr los und werde auch noch unterhalten,“ antwortete Tich genervt und wischte sich ein wenig Blut weg, welches aus seiner Nase geflossen war.

„Hmmm… eine interessante Ausgangssituation. Nicht wahr? Wie mir scheint, werde ich dann wohl anstelle des Rotschopfs kämpfen müssen… Somit haben wir scheinbar eine Patt-Situation. Wirklich sehr interessant,“ mischte sich lautstark eine weitere Person in das Gespräch ein, doch Tich konnte nicht erkennen woher sie kam.

Allmählich aber driftete das ganze in eine Farce über. Sein schöner Plan wurde von einem Haufen Spinner über Bord geworfen. Dabei wäre alles doch so einfach gewesen.

Erst als Tich schließlich nach oben blickte, zu einem der kleinen Ersatzmäste, welche aufgebaut worden waren solange man den Hauptmast nicht nutzen konnte, sah er eine in eine weiße Kutte gehüllte Gestalt, die ihrerseits zu ihm hinab sah.

Kampfspektakel

Tsuyoi ging die letzten, wenigen Stufen in den Kanonenraum hinunter und sah in einen sehr düsteren Raum. Jemand hatte die Fackeln, welche hier normalerweise brannten, gelöscht, um sich scheinbar einen Vorteil zu verschaffen. Ruhig schloss Tsuyoi seine Augen, damit sich diese schneller an die Dunkelheit gewöhnten. Schließlich musste er auf alles gefasst sein.

„Was soll das? Wieso bedient ihr nicht die Kanonen?,“ rief er wütend in die Dunkelheit hinein, doch kam keine Antwort zurück. Selbst nach längerem warten und einer erneuten Frage.

Als er schließlich die Augen wieder öffnete, glaubte er gesehen zu haben, wie sich jemand in der Finsternis scheinbar bewegt hatte. Und tatsächlich. Plötzlich konnte er die Umrisse einer Person erkennen, welche langsamen Schrittes auf ihn zu ging, doch dann überraschend – gut zwei Meter vor ihm – stehen blieb. Noch immer waren seine Augen nicht gänzlich an die neuen Verhältnisse gewöhnt und so konnte er nicht erkennen, um wen es sich bei der Person hielt. Doch würde es notfalls für einen Kampf reichen.

„Ihr habt mich reingelegt. Ihr seid eine elendige Piratenbande! Und ich Idiot hab euch vertraut. Dafür werdet ihr nun büßen,“ ertönte eine ihm wohlbekannte Stimme.

„Aisuru, bist du das? Wie bist du auf das Schiff gekommen und wo sind meine Männer?“

„Die hab ich schlafen gelegt. Doch mach dir keine Sorgen. Du wirst gleich mit ihnen gemeinsam Träumen dürfen! Elendiges Piratenpack.“

Plötzlich und ohne Vorwarnung stürmte der blauhaarige Magier auf seinen Gegner zu. Dieser konnte in der Dunkelheit den schnellen Bewegungen Aisurus nicht folgen und versuchte daher vorerst zu fliehen und auszuweichen. Aisuru aber – der prächtig in dieser Umgebung sah, da er sich hier schon seit einigen Minuten aufhielt – schaffte es den Muskelprotz zu packen und ihm mit einem gezielten Tritt in die Kniekehlen, auf die Knie zu zwingen. Danach schlug er schnell die Tür zu und anschließend Tsuyoi mit der Faust ins Gesicht.

Da die Tür nun geschlossen war und somit auch kein Licht mehr von oben in den Raum drang, herrschte nun so gut wie völlige Finsternis. Ein entscheidender Vorteil für den Magier. Tsuyoi war nicht mehr in der Lage zu bestimmen, wo sich Aisuru befand und war diesem somit vorläufig schutzlos ausgeliefert. Es gab demnach nur eine Option für Tsuyoi: Den Vorteil aufzuheben.

Da er keine Möglichkeit sah Licht in diesem Raum zu erzeugen, musste er den anderen Weg einschlagen. Aus diesem Grund und weil er sowieso, dank dem Schlag ins Gesicht, nicht mehr richtig sehen konnte, schloss er erneut seine Augen und hoffte, dass sie sich schnellstmöglich an die ungünstigen Lichtverhältnisse gewöhnen würden.

Tsuyoi wusste auch, dass er sich momentan auf seine anderen Sinne konzentrieren musste. Angespannt lauschte er in die Finsternis hinein. Er hörte von überall her Geräusche, konnte diese jedoch nicht einordnen. Es war einfach nicht geübt genug in solch einer Art der Orientierung. Aufgrund dessen wurde er mehrere Male von Aisuru getroffen und musste so manchen besonders harte Schlag einstecken, ehe er das Gefühl bekam sich allmählich auch ohne zu Sehen in dem Raum zu Recht finden zu können. Überraschend für seinen Gegner – und wohl auch für ihn – gelang es dem Muskelprotz einer linken Geraden auszuweichen und seinerseits Airusus rechte Seite zu treffen. Der Magier aber verstand sofort, dass er seinen Gegner nicht nur unterschätzt hatte, sondern auch sich hatte von seiner Wut verleiten lassen. Mit wesentlich bedachteren Schritten und vor allem auch leiseren, griff er erneut an. Sehr zum Leidwesen seines Gegners, welcher erneut mehrere schmerzhafte Schläge einstecken musste.

Tsuyoi blieb nichts anderes übrig, als sich wieder auf seine Augen verlassen zu müssen. Es waren bereits einige Minuten verstrichen und so hoffte er, dass er endlich wieder seine Umgebung erkennen würde, wenn er die Augen öffnete. Zusammengesunken und keuchend hockte er da, als sich vorsichtig umsah. Doch niemand war zu sehen. Eine eisige Stille erfüllte den Raum. Beinahe wie auf einem Friedhof.

„Wo bist du? Zeig dich du Feigling!“

Auf einmal explodierten einige Rauchbomben und zusätzlich eine Blendgranate. Aisuru schien auch diese Situation einkalkuliert zu haben, denn durch diesen Trick wurde Tsuyois mühseliger Versuch wieder Etwas erkennen zu können zunichte gemacht. Der Vorteil blieb bestehen.

Die Augen des Muskelpaketes hatten den schlagartigen Helligkeitsunterschied nicht verkraftet und schmerzten nun höllisch. Außerdem kam hinzu, dass sie wie betäubt wirkten und er vorübergehend wieder nur Schemen und Umrisse erkannte. Und das auch nur sehr verschwommen, da durch den Schmerz ihm auch Tränen in die Augen geschossen waren und ebenfalls seinen Blick trübten. Was er aber sah, verwirrte ihn eindeutig.

Mehrere Gestalten waren zum Vorschein gekommen. Still und reglos standen sie da und blickten zu ihm. Nein, Moment! Was dachte er da? Aisuru hatte definitiv Attrappen aufgebaut, um ihn in die Irre zu führen. Das war sein Plan. Deshalb die Blendgranate. Und teilweise ging dieser auch auf, denn Tsuyoi war nicht in der Lage zu erkennen, welcher dieser Umrisse Aisuru gehörte.

„Jeder kämpft auf seine Weise. Du nutzt deine Körperstärke und ich…“

Tsuyoi sah, dass eine der Gestalten ihren rechten Arm hob und sofort stürmte er auf eben diese zu. Mit einem mächtigen Schulterblock und den Worten „Iron Shoulder!“, rammte er die vermeintliche Person zu Boden und erst jetzt erkannte er, dass die Person eine seiner Männer gewesen war. Aisuru hatte ihn mit Hilfe von Schnüren am Deckenbalken befestigt und als Schutz für sich missbraucht, um nicht direkt von Tsuyoi attackiert zu werden. Zudem bemerkte der Kraftprotz, dass zusätzlich um den Arm seines Mannes eine Schnur gebunden worden war, wodurch die Illusion einer Armbewegung entstand war. Entsetzt riss er die Augen auf. Er war mitten in eine Falle gerannt.

Kurz darauf spürte er, wie jemand ihm Etwas gegen den Hinterkopf drückte. Er glaubte den Lauf einer Pistole zu spüren, war sich aber nicht sicher. Schließlich war Aisuru ein Meister der Illusionen. Wie er so eben wieder auf böse Weise erkennen musste.

„…ich nutze meinen Grips und meine Zaubertricks.“

„Zaubertricks? Ha! Das ich nicht lache. Wenn ich dich einmal zu packen bekomme, helfen die dir auch nicht weiter. Ich schwöre dir, ich reiße dir den Schädel ab und verfüttere ihn an die Tiger im Bug des Schiffes.“

Mit einer schnellen Drehung schlug er Aisurus Arm zur Seite – musste dabei feststellen, dass sein Zweifel berechtigt und die Pistole lediglich eine Attrappe gewesen war – und verpasste dem Magier einen kräftigen Schlag in die Magengegend. Als dieser sich vor Schmerz krümmte, holte sein Gegner zu einem weiteren mächtigen Hieb aus.

„Forceful Strike!“, brüllte Tsuyoi und verpasste dem schlanken Zauberkünstler einen Kinnhaken, so dass im wahrsten Sinne des Wortes vom Boden abhob, durch die Luft flog und durch einen Stützbalken hindurch krachte, „Ich glaube das war genug für dich. Grips und Zaubertricks. So ein Unfug.“

Mit trübem Blick sah Aisuru die Stiefel von Tsuyoi nur knapp neben seinen Kopf aufstampfen. Er fühlte sich, als hätte er Bekanntschaft mit der Faust eines Riesen gemacht. Die Wucht war unglaublich gewesen. Bisher hatte er nur eine Person gekannt, die eine solche Schlagkraft besessen hatte. Nein, die Person hatte eine viel größere Kraft besessen. Nicht umsonst hatten selbst Riesen seine knochenzerberstenden Schläge gefürchtet.

Aisuru war eindeutig schlampig mit seinem Körper gewesen. Früher hätte er einen derartigen Angriff mit Leichtigkeit eingesteckt. Kein Wunder, bei seinem Meister. Und was war nun? Nach einem Treffer am Boden. Er schwor sich, dass wenn er diesen Kampf überstehe, er seinen Körper wieder stählen würde.

„Aisuru… Steh auf Aisuru… Du wirst doch wohl nicht aufgeben, oder Aisuru?,“ flüsterte eine kindliche Stimme ihm ins Ohr.

Erst glaubte er der Wind und sein Verstand würden ihm einen Streich spielen, doch plötzlich spürte er eine sanfte Berührung an seiner Wange. Konnte es sein? Eine weitere Person seiner Vergangenheit? Oder bildete er es sich doch nicht einfach alles ein. Immerhin hatte er einen kräftigen Hieb abbekommen. Nein, daran wollte er nicht glauben. Doch klammerte er sich viel lieber an dem vorherigen Gedanken, wie ein ertrinkender an den letzten Hoffnungsschimmer.

„Sa…tsu… ki…“

Überrascht blieb Tsuyoi auf halbem Wege zur Tür stehen. Eigentlich sollte dieser Schwächling Tod sein, oder zumindest diesem Nahe. Jedoch schien er dagegen immer noch zu lebendig dafür. Wieso blieb er nicht einfach still liegen und entging so weiterer Dresche? So würde er sich einige Schmerzen ersparen.

Während der Hüne sich wieder seinem Opfer zu wand, hörte er den Blauhaarigen irgendetwas flüstern, konnte es aber auf die Entfernung nicht genau verstehen. Verständnislos schüttelte er mit dem Kopf und als er wieder zu seinem Gegner sah, staunte er nicht schlecht, denn Aisuru stemmte sich mit all seiner restlichen Kraft wieder auf die Beine.

„Du… solltest mich… nicht unterschätzen. Ich bin zwar… Magier… aber ich wuchs bei einem… Bare-Knuckle Fighting Champ auf,“ stieß Aisuru zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor.

„Soll ich mich nun vor dir fürchten? Du bist ein Magier, kein Kämpfer. Wenn du mich eben schon nicht besiegen konntest, dann wird es dir jetzt auch nicht gelingen.“

„Mein Meister… brachte mir bei… nur für die Ehre einer Frau… zu kämpfen… oder um mich… zu verteidigen… wenn ich in Lebensgefahr bin. Ich sollte mein Wissen… niemals nutzen… um anzugreifen. Also bitte… ich überlasse dir den ersten Schlag,“ kam es erneut stoßweise von dem Blauhaarigen.

„Power Fist!,“ schrie sein Gegner, der sich diese Verhöhnung nicht gefallen lassen wollte.

Mit einer Geschwindigkeit, die Aisuru Tsuyoi niemals zugetraut hatte, versuchte er mit der alten und zuvor erfolgreichen Masche eines harten Kinnhakentreffers Aisuru KO zu schlagen, doch zu seiner Überraschung, wand sich der Magier wie eine Schlange zur Seite und konnte so dem Angriff des Hünen spielend leicht ausweichen.

„Cobra Loop.“

Ohne Vorwarnung traf Aisurus Faust zielsicher die linke Niere seines Gegners und dieser Bäumte sich vor Schmerz auf. Währenddessen ging der Magier kurz in die Knie, sprang dann mit aller Kraft hoch und vollführte dabei eine seitliche Drehung. Durch die athletische Einlange war er in der Lage seine ganze Kraft die er noch hatte in einen gezielten Schlag gegen Tsuyois Kinn zu richten.

„Cyclone Uppercut!“

Diesmal war es Tsuyoi, der von den Füßen gefegt wurde und wie ein schwerer alter Baum zu Boden fiel. Seine Augen waren verdreht und ein leichtes, letztes Röcheln drang aus seiner Kehle, ehe er scheinbar endgültig ohnmächtig wurde. Als stolzer Sieger torkelte Aisuru auf die Tür zu, um den Raum verlassen zu können.

Doch kaum hatte er diese erreicht brach plötzlich die Decke ein und zwei miteinander kämpfende Körper krachten herunter. Der eine sah aus wie eine Mischung aus Hund und Mensch, mit einem schwarzen Fell und einem roten angerissenen Smoking, während der andere eine weiße Hose trug und ein hellblaues Hemd mit dem Wappen der Marine an der linken Brust, aber auch auf der Rücken.

„Was ist hier los?!,“ schrie Aisuru entsetzt, beim Anblick der beiden Kontrahenten.

Während der Kerl der Marine aufstand und sich schmerzverzerrt die Schulter hielt, blieb der Hundemensch bewusstlos liegen. Aisuru sah mit Ekel den gelblichen Schaum an, welcher sich um die Schnauze des schwarzen hundeartigen Wesens gebildet hatte.

„Was ist denn hier passiert?!,“ fragte ebenfalls der Mann von der Marine ruhig.
 

*Wenige Minuten zuvor*
 

„Langsam reicht es mir. Wie kommen diese ganzen nervigen Kakerlaken, Ratten, Schweine auf mein Schiff?!,“ brüllte Tich wutentbrannt und stampfte wie verrückt auf, „Kann man jetzt nicht einmal mehr in Ruhe seinen Piratengeschäften nachgehen?“

Ohne zu zögern sprang der Unbekannte vom Mast herunter, doch statt mitten durch das Deck zu krachen, verlangsamte sich sein Fall und er landete sanft wie eine Feder auf dem alten morschen Holz.

„Was wird das hier. Die Versammlung der Teufelskräftenutzer? Gleich platzt mir der Kragen! Ihr wollt Teufelskräfte? Dann will ich euch welche geben!,“ kreischte der Clownsdirektor inzwischen und fletschte seine Zähne. Sein Blick war dabei wild und sein Speichel rann über sein Kinn. Er benahm sich nicht mehr wie ein Mensch, sondern wie ein Tier.

Plötzlich begann er auch noch zu knurren. Gebannt sahen die Geiseln, aber auch die Kontrahenten zu Tich, dessen Körper sich langsam aber sicher veränderte. Aus seinem Mund bildete sich eine kleine Schnauze, mit gefletschten Lefzen, und seine Wangen hingen nach unten hin durch.

Sein roter Smoking riss an einigen Stellen auf, da sich sein Körperbau ebenfalls veränderte und sich mehr Muskelmasse bildete, so dass der rote Stoff dieser Spannung nicht mehr gewachsen war. Tich wuchs – anders als bei vielen anderen Zoan-Früchtennutzern – kaum, war jedoch nun mit deutlich mehr Kraft gesegnet.

„Grrrr. Das ist die Hund-Hund Frucht, Model Bulldogge. Dagegen habt ihr keine Chance! Und nun sollte ich euch wohl zeigen, wozu ich wirklich im Stande bin,“ beffte der kleine Mann voller tosender und regelrecht brodelnder Wut.

„Hmm, nun verstehe ich, warum Sie als ‚Tich, the black Dog’ bekannt wurden,“ meinte der Unbekannte in der weißen Kutte vollkommen ruhig und legte sein Gewand vollkommen ab.

Zum Vorschein kam ein blonder junger Mann, mit weißer Hose und einem ebenfalls weißen Jackett. Dieses zog er ebenfalls in aller Ruhe aus, legte es jedoch – anders als seine Kutte – sorgfältig über die Lehne eines Stuhles, und so konnte Tyke das hellblaue Hemd darunter sehen, auf dessen Rückseite das Symbol der Marine abgebildet war.

„Lange nicht gesehen Tyke. Wie geht es dir?,“ meinte der blonde Schönling, während er sein Jackett zur Seite legte.

Überrascht, dass der Fremde seinen Namen wusste, betrachtete dieser ihn eingehend. Erst jetzt merkte er, dass sein Gegner den Würgegriff seiner seltsamen Tattooschlangen ein wenig gelockert hatte und Tyke dadurch wieder einigermaßen atmen konnte. Derartig gefesselt waren sie Beide vom Anblick des Marinemitgliedes gewesen.

„Woher… kennst du meinen Namen?,“ fragte er sichtlich verwirrt.

„Na, na, sag nicht du hast mich vergessen. Dabei sahen wir uns doch erst vor einem halben Jahr das letzte Mal, mein alter Freund,“ meinte sein Gesprächspartner und lachte herzhaft über die Vergesslichkeit des Rotschopfs.

Und auf einmal traf es ihn wie ein Donnerschlag. Er wusste sofort wer der Blondschopf war. Wie hatte er ihn nur vergessen können? Einen der wichtigsten Menschen in seinem Leben.

„James! James Hallowell!“

„Haha, ich wusste doch, dass du mich noch kennst. Aber inzwischen bin ich Kapitän bei der Marine, also musst du mich ab sofort mit Käpt’n James Hallowell ansprechen,“ im selben Atemzug in dem er Tyke dies erklärte, drehte er sich zu seinem alten Freund um und wand seinem von ihm bestimmten Gegner dafür vollends den Rücken zu.

Dieser wollte die Chance nutzen und diesen Grünschnabel attackieren und so eine Lektion erteilen. Doch kaum war er wenige Schritte gerannt, kam ein starker Wind auf und erfasste den Hundemenschen. Die Kraft der Windböe reichte aus, um ihn mit ungeheurer Wucht gegen die Reling zu schleudern. Und beinahe hätte er diese auch durchschlagen.

„Sehr geehrter Käpt’n Tich, Sie sollten mich nie mehr versuchen hinterrücks zu attackieren. Ich besitze – wie scheinbar jeder von uns, der sich diesem amüsanten Kampfgemängel angeschlossen hat – Teufelskräfte. Ich aß von der Sturm-Sturm Frucht und kann somit als Sturmmensch, die Luft um uns herum kontrollieren. Ich denke nun, da Sie meine Teufelskraft kennen und ich Ihre sehen kann, sind die optimalen Bedingungen für einen Kampf gegeben, nicht wahr Herr Tich?“

Mit einem selbstsicheren Lächeln wand er sich wieder dem Hundemenschen zu und begab sich in seine Kampfposition. Sein Freund Tyke würde mit seinem Gegner schon fertig werden. Das wusste er, schließlich kannten sie sich nun schon lange genug.

Der dicke Hundemensch Tich, begab sich inzwischen auf alle vier Gliedmaßen und rannte so schnell er konnte, auf seinen Gegner zu. Es war beachtlich, welche Geschwindigkeit dieser dicke Klops erreichen konnte. Und dennoch, war er nicht schnell genug, um James erstem Angriff ausweichen zu können. Sein Gegner war schließlich die Luft die ihn umgab.

„Schirokko,“ flüsterte dieser und plötzlich kam zum widerholten Male wie aus dem Nichts ein starker Wind auf, der einige Passagiere von den Füßen fegte. Aber auch Tich hatte Probleme nicht weggeschleudert zu werden, obwohl er auf allen Vieren stand und sich mit seinem gesamten Gewicht gegen den orkanartigen Wind stemmte.

Ohne Vorwarnung ertönte ein Aufschrei hinter James und als er einen kurzen Blick über die Schulter warf, sah er dass Tyke sich aus dem Griff seines Gegners hatte lösen können. Schnell drehte er sich wieder zu seinem Feind um, damit dieser ihn nicht überraschend angriff und seine Situation so ausnutze.

Er hatte ja gewusst, dass Tyke zu Recht kommen würde.

„Herr Tich, ich werde es schnell machen, denn ich bin nicht wegen Ihnen hier. Kosava!“

Aus der genau entgegen gesetzten Richtung kam ein wesentlich kälterer, aber nicht minder starker Wind auf. Zwar verstand Tich nicht, was James im Schilde führte, jedoch merkte er augenblicklich, dass etwas nicht stimmte, denn er fühlte sich auf einmal so leicht an. Als ob er mit einem Schlag viel weniger wiegen würde. Wie war das möglich? Lag das an der Teufelskraft dieses Burschen?

„Wenn eine meiner kalten Sturmböen, auf eine warme trifft, dann entsteht eine andere meiner Attacken. Einfache Meteorologie, mein Lieber. Jeder gute Navigator und auch Kapitän, sollte darüber ein gewisses Maß an Grundwissen besitzen, finden sie nicht auch? Hurricane!“

Ehe der Hundemensch reagieren konnte, wurde er von einem gigantischen Sog ruckartig in luftige Höhen gerissen und dort herum geschleudert. Er konnte gerade noch sehen, dass James einfach in den Wirbelsturm eintrat und sich hochziehen ließ.

Der Blondschopf flog dabei genau auf Tich zu und schaffte es irgendwie diesen am Kragen zu packen. Man konnte eindeutig erkennen, dass James schon öfter diese Attacke eingesetzt hatte, so leicht wie er sich in dem kleinen Wirbelsturm bewegte.

Und es war genauso eindeutig, dass Tich sich in der wesentlich schlechteren Lage befand. Dennoch wollte er nicht aufgeben und nutzte den Umstand aus, dass James freiwillig die Nähe zu dem Hundemenschen innerhalb dieses Sturmes gesucht hatte. Er verpasste ihm einen kräftigen Schlag in die Magengrube, begleitet von den Worten „Bulldoggenpunch“, und biss sich anschließend mit aller Kraft die sein animalischer Kiefer aufbrachte in seiner Schulter fest.

„Bulldoggenknirscher.“

„Argh! Was soll das? Ist dies etwa schon alles, was ihr zu bieten habt, Herr Tich? Ich wage zu behaupten, dass die Piraten des West Blues langsam aber sicher verweichlichen!“

Die spitzen Hundezähne bohrten sich immer tiefer in James Schulter. Wie ein Schraubstock zog sich Tichs Kiefer dabei zusammen und drohte die gesamte Schulter des Marinekapitäns, samt Knochen, einfach abzubeißen.

Was dem Schönling jedoch mehr besorgte, war der Umstand, dass die Wirkung des Wirbelsturms nachließ und das durfte nicht passieren. Wollte er den Kampf schnell beenden, so brauchte er die Wirkung des Sturmes.

„Multi Zonda.“

Mehrere Male wurde Tich von kräftigen, scheinbar unsichtbaren, Schlägen in den Rücken getroffen. Dies geschah so lange bis er vor Schmerz aufjaulte und somit auch von James Schulter abließ. Er wusste nicht, dass es sich dabei lediglich um starke Windböen handelten die zielsicher aufgeprallt waren. Doch war dies egal, denn der Schmerz und das Gefühl beim Aufprall, waren derselbe wie der von kräftigen Fausthieben.

Der Blondschopf nutzte seine Chance, legte seinen Arm um Tichs viel zu kleinen und dicken Hals, so als wolle er ihn hinterrücks erwürgen. Danach versuchte er sich in der Luft so auszurichten, dass er und sein Gegner mit dem Gesicht in Richtung Schiffsdeck blickten. Nach einigen Schwierigkeiten – da Tich sich nicht so einfach ergeben wollte und wie ein Verrückter herum zappelte – gelang es ihm dann schließlich.

„Das wird nun das Ende. Boreas Impuls!“

Auf einmal wirkte es so, als würde sich die gesamte, zerstörerische Kraft des Wirbelsturms an James Füßen sammeln und sich dort als kleine, weißlich wirkende Kugel zu verdichten. Als dieser Vorgang schließlich seinen Höhepunkt erreicht hatte, entlud sich die gesamte Wirbelsturmstärke mit einem Schlag und sowohl Tich, als auch James krachten mit voller Wucht auf das Deck und durchschlugen dieses letztendlich auch.

Da Tich zuerst mit dem Schiffholz zusammengeprallt war – James hatte ihn noch zusätzlich nach unten geschleudert –, hatte er auch die meiste Wucht des Aufpralls abbekommen und lag nun inmitten der zerstörten Holzplanken. Gelblicher Schaum säumte seine Schnauze und es schien nicht so, als würde er bald wieder aufwachen. Ein einfacher Pirat wie er, war nun einmal kein Gegner für James. Und zudem wusste James um die Effektivität seiner Kräfte. Keine langen Kämpfe, sondern schnelle Beseitigung seiner Gegner. Das war sein Motto.

„Was ist hier los?!“

„Was ist denn hier passiert?!,“ fragte James seinerseits zurück.

Sofort erkannte er den blauhaarigen und verdutzt dreinschauenden Magier, der eigentlich zuvor von seinem Kollegen abgeführt worden war.

„Ich dachte Leutnant Loser hätte Sie abgeführt, Herr Casanova.“

„Wie meinen? Leutnant Loser? Ach der! Den hab ich ins Wasser befördert. Ich denke Mal, dass er inzwischen den Hafen von Los Birt erreicht haben sollte und dort bei der Evakuierung hilft. Aber wer…?“

„Wer ich bin? Ich bin Käpt’n James Hallowell, Zuständigkeitsbereich Marinehauptquartier auf der Grand Line,“ stellte er sich vor und klopfte den Schmutz von seinem schönen Hemd, immer darauf bedacht, seine verletzte Schulter nicht zu viel zu bewegen, während er sich zu Aisuru begab.

„Was? Ein Käpt’n direkt aus dem Marinehauptquartier? Was suchen sie denn hier?“

„Sie können mich ruhig Duzen, Herr Casanova. Und lassen Sie uns später darüber reden. Wir sollten lieber Tyke helfen gehen.“

„Wer oder was ist Teig?“
 

* * * * *
 

Dem Rotschopf fiel es sichtlich schwer den Tattooschlangen seines Gegners auszuweichen. Obwohl diese Dinger eigentlich nur Bilder waren, bewiesen sie dennoch, dass sie unglaublich flink sein konnten.

„Schlangenwickel!,“ kündigte Ikiteru seinen Angriff an und ehe Tyke reagieren konnte, wickelten sich die beiden Bilderschlangen bereits um dessen Hals.

Schon wieder, wie er leider zugeben musste.

„Ahhh. Mir reicht es mit diesen Dingern. Magnetisierung – Iron Blade.“

Die Eisenspäne – welche nach Ikiterus erstem Angriff zu Boden gerieselt waren und seit dem von Tyke nicht mehr genutzt worden waren – flogen auf diesen zu, umhüllten seine Hand und formten sich zu einem länglichen, schwarzen Schwert.

Mit einem kräftigen Hieb durchtrennte Tyke die beiden schwarzroten Biester und kaum war dies Geschehen, zerflossen sie und die ekelhafte schwarze und rote Farbe prasselte zu Boden. Die Körper der Schlangen jedoch fügten sich Ikiterus Körper wieder zu und man konnte genau erkennen, dass die Tattoos ebenfalls durchtrennte Schlangen zeigten.

„Du hast meine schönen Schlangen zerstört. Das wirst du mir büßen. Rhino Fist.“

Plötzlich beulte sich die Haut an Ikiterus Handgelenk aus und verfärbte sich auch noch leicht gräulich. Die wabernde Masse schien eine bestimmte Form bilden zu wollen und tatsächlich war kurz darauf ein geöffneter Nashornschädel zu sehen. Das Untier schloss sein Maul, wodurch es so aussah, als habe Ikiteru keine linke Hand mehr, sondern stattdessen einen Nashornkopf als Faust.

Kurz nachdem das Tattoo seine reale Form angenommen hatte, sprang Ikiteru so kräftig er konnte nach oben und holte zu einem verheerenden Schlag aus.

„Magnetisierung – Ultimative Verteidigung.“

Das Eisenschwert löste sich innerhalb eines Wimpernschlages auf und verformte sich augenblicklich zu einem gigantischen runden Schild, hinter dem sich Tyke komplett verbergen konnte. Und obwohl das Schild nur wenige Millimeter dick war – nur so konnte es einen sehr großen Durchmesser erreichen – prallte Ikiterus Angriff einfach an der Verteidigung Tykes ab. Er hatte nicht einmal eine kleine Schramme in das Schild seines Gegners schlagen können.

„Ha! Du hast einen Fehler gemacht. Aus der Verteidigung heraus kannst du nicht angreifen. Tattoobiss.“

Zur Überraschung Tykes formten sich aus Ikiterus Seiten schwarze tentakelartige Gebilde, welche sich um Tykes Schild schlängelten und sich in dessen Arm bohrten.

„Denkst du das wirklich?,“ stieß dieser unter Schmerzen hervor, „Ich denke eher, dass du nun nicht mehr abhauen kannst. Magnetfeld – Vortex!“

Tykes Schild zog sich zusammen und bildete auf diese Weise eine Kugel um dessen Faust. Kurz darauf schienen die Eisenspäne, wie ein kleiner Strudel um eben diese schwarze Kugel zu fliegen. Immer mehr Späne entfernten sich aus ihr und fügten sich stattdessen dem Strudel hinzu. Dieser wurde zu einem kleinen Wirbel, dessen Spitze in Ikiterus Richtung zeigte.

„Schattenrüstung.“

Sofort begannen sich alle Tätowierungen auf Ikiterus Körper zu einem klumpigen Brei zu vereinen, der sich über Ikiterus gesamten Körper ausbreitete und dadurch eine schwarze schützende Rüstung bildete. Inzwischen begannen auch die Eisenspäne sich innerhalb des kleinen Wirbelwindes immer schneller zu drehen und die, welche das Ende des Ministurmes erreichten, wurden aus diesem herausgeschossen. Dadurch prallten sie mit ungeheurer Geschwindigkeit auf den Schattenpanzer seines Gegners auf. Doch der seltsame Schutz hielt tatsächlich dem direkten Angriff stand.

„Scheinbar haben wir beide eine perfekte Defensive. Jedoch kann ich deine umgehen, du meine nicht. Pech gehabt, nicht wahr?,“ spottete Ikiteru schadenfroh.

„Noch bin ich nicht besiegt,“ sprach Tyke und wollte sich von seinem Gegner entfernen, merkte dann aber unter Schmerzen, dass die schwarzen Tentakel sich noch immer in seinen Arm gebohrt hatten.

„Deine Malereien nerven mich.“

„Tut mir Leid, aber keine Sorge, sie werden dir gleich auch wehtun!“

Auf einmal wuchsen aus den Tentakeln, die sich bereits in Tykes Arm befanden, weitere kleinere und feinere Tentakel, die ebenfalls in seinen Arm stachen. Die Schmerzen wurden immer unerträglicher. Erst verstand Tyke nicht, was da mit ihm geschah. Es war, als würde sein Arm von innen zerrissen werden. Und da begriff er, dass die schwarzen Gebilde sich an seinen Muskeln zu schaffen machten.

„Argh… Verdammt… Ahhh,“ schrie Tyke auf und versuchte die schwarzen Dinger aus seinem Arm zu ziehen, jedoch bereitete dies ihm nur noch viel qualvollere Schmerzen.

Er entschied sich daher dasselbe zu versuchen, wie mit den Schlangen und formte erneut sein eisernes Schwert. Die Hauptsache war erst einmal von Ikiteru loskommen. Über die Konsequenzen konnte er sich hinterher sorgen.

„Tintenverhärtung.“

Statt die seltsamen Tentakel – wie erhofft – zu durchtrennen, prallte sein Schwert diesmal ab. Verwundert sah er zu seinem Widersacher, dessen Panzer sich zurückgebildet hatte und nun sein hämisches Grinsen freigab.

„Dachtest du, dass nachdem du meinen Panzer schon nicht knacken konntest, ich zulassen würde, dass du erneut meine geliebten Tattoos vernichten würdest? Dank meiner Farb-Farb Frucht kann ich die Farbe, die zum tätowieren genutzt wird nicht nur zum Leben erwecken, sondern zudem sie sich auch noch extrem verhärten lassen. Beim ersten Mal hattest du mich überrascht, weshalb ich nicht rechtzeitig meine Schlangen schützen konnte, aber noch einmal passiert mir das nicht!“

Er zog seinen Gegner mit Hilfe der schwarzen Stränge an sich heran und schlug Tyke so kräftig er konnte mit seiner Nashornfaust ins Gesicht. Als der Rotschopf versucht erneut sein Schild zu bilden, bohrten sich auch einige Tentakel in seinen anderen Arm und drückten sie so weit es ging auseinander. Tyke war nun den Schlägen Ikiterus ausgeliefert. Einer nach dem Anderen traf sein Gesicht oder seinen Brustkorb. Warmes Blut floss über seine Lippen. Wenn er nicht bald einen Ausweg fand, würde sein Abenteuer hier enden und das konnte und wollte er nicht zulassen.

Kurz darauf bildete sich auf Ikiterus Rücken erneut die wabernde Masse und formte scheinbar ein weiteres Gebilde. Aufgrund der vielen Schläge war Tykes Sicht jedoch verschwommen und so konnte er nicht erkennen um was es sich handelte, bis er Ikiterus Ankündigung vernahm: „Drachenschwingen.“

Kaum hatte Tykes Gegenüber das Wort ausgesprochen, wurden aus der schwarzen zähen Masse zwei gigantische Flügel.

Es waren grüne, schuppige Flügel. Flügel einer Echse. Flügel eines Drachen.

Die Spannweite war enorm. Sie betrug sicherlich acht Meter auf jeder Seite, mindestens.

Kurz darauf begannen sich die Schwingen zu bewegen. Erst langsam, dann immer schneller werdend. Tyke spürte wie die Kraft der Flügel ihn und Ikiteru in die Luft trugen. Er wurde von den Tentakeln nicht losgelassen und so zog die gesamte Kraft direkt an seinen Muskelsträngen. Furchtbare Schmerzen durchfluteten seinen Körper, aber er versuchte nicht zu schreien, keine Reaktion zu zeigen.

Als sie anscheinend den höchsten Punkt erreicht hatten, zogen sich die Tentakel aus einem Arm zurück und Ikiteru begann Tyke am anderen Arm herumzuschleudern.

Woher besaß sein Gegner, nur diese unglaubliche Kraft, um ihn herum schleudern zu können. Und das an nur einem Arm? Erst nachdem Tyke wieder einigermaßen klar sehen konnte, erkannte er, dass die Tentakel, die sich zurückgezogen hatten, den anderen Arm Ikiterus als eine Art künstlichen Muskel verstärkten. Doch half ihm dieses Wissen jetzt nicht mehr.

Mitten in einer der Schleuderbewegungen, ließen auch die restlichen Tentakel los und Tyke wurde mit einer enormen Wucht in Richtung Schiff geschleudert.

„Elvegust!,“ glaubte er von irgendwoher zu hören.

Und tatsächlich blies plötzlich ein kräftiger, bitterkalter Wind von unten und bremste Tykes Sturz immens. Zwar prallte der Rotschopf immer noch mit einer verheerenden Wucht auf das Holzdeck, doch durchschlug er es zumindest nicht.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht, richtete Tyke sich schließlich wieder auf und sah zu seinem alten Freund, der wieder das Deck erreicht hatte und den blauhaarigen Magier bei sich hatte.

„Danke James.“

„Ihr kennt einander?,“ fragte Aisuru verwundert.

„Ja, aber für Erklärungen ist nicht die Zeit. Wir müssen Tyke helfen…“

„Nichts da. Der Typ ist mein Gegner. Du hattest deinen Spaß schon.“

„Dann hör wenigstens auf zu spielen. Ikiteru scheint keine Scheu davor zu haben, dieses Schiff samt Mann und Maus zu versenken. Ich als Marinekapitän darf dies nicht zulassen, dass weißt du.“

„Ist ja gut, James,“ versuchte Tyke James zu beschwichtigen.

Wollte aber nicht ihm sagen, dass er schon längst aufgehört hatte zu spielen. Wie war das möglich? Als sie sich das letzte Mal gesehen hatten, war Ikiteru kein Gegner für ihn gewesen und damals hatte er auch keine Teufelskräfte gehabt. Wie konnte dieser Mann in so kurzer Zeit seine Kräfte derartig gut beherrschen?

Schwankend stand Tyke da und atmete einmal kräftig und tief ein und wieder aus. Er schloss die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Die Eisenspäne stiegen erneut in die Luft und begannen ihn zu umkreisen. Eigentlich wand er diese Technik ungern an. Er beherrschte sie noch nicht gut genug. Sie konnte zu gefährlich werden. Schließlich wollte er Ikiteru nur besiegen, nicht umbringen.

„Sucht ihr nach Jim. Ich beende jetzt diesen Kampf.“

„Ich kümmere mich schon darum,“ meinte Aisuru bestimmt und verschwand kurz darauf in einer der vielen versteckten Luken.

So blieb James alleine mit Tyke zurück und blickte angespannte zwischen seinem Freund und dessen Widersacher hin und her. Er vertraute dem Rotschopf zu genüge, um sich nicht einzumischen, war aber jederzeit bereit, sein Versprechen im Notfall zu brechen.

„Was hast du vor, Tyke?“

„Hey, Ikiteru! Ich kann dich nicht von außen verletzten, aber ich zeig dir etwas, was dir viel mehr Schwierigkeiten bereiten wird, als jede Wunde die du haben könntest! Magnetfeld – Humanmagnet.“

Die Eisenspäne um Tyke schossen auf Ikiteru zu, doch dieser erschuf innerhalb des Bruchteils einer Sekunde erneut seinen vermeintlich undurchdringbaren Panzer. Anders als erwartet griffen die Eisenspäne ihn jedoch nicht an, sondern legten sich nur auf seinen gesamten Körper, oder besser gesagt auf seine Panzerung, genauso wie es seine Schattenrüstung tat. Verwundert betrachtete Ikiteru das Schauspiel an sich.

„Willst du meinen Schutz noch zusätzlich verstärken, oder was… was… Argh… Verdammt… Ahhh…!“

Ohne Vorwarnung begann der tätowierte Pirat sich zu krümmen und zu schreien. Seine Schwingen begannen sich wieder in eine wabernde Masse zu verwandeln, genauso wie der Nashornkopf um seine Faust herum.

Auf James hatte es den Eindruck, als habe Ikiteru keine Kontrolle mehr über sich oder seine Teufelskräfte. Irgendwas schien ihm furchtbare Qualen zu bereiten und störte damit auch seine Konzentration.

Als die Flügel gänzlich wieder im Körper des Piraten verschwanden und dieser auf das Deck zu stürzen drohte, erschuf James erneut seinen Wind um auch den Fall Ikiterus zu bremsen. Tyke hatte den Kampf überraschenderweise für sich entschieden. Wie war nur die Frage.

Tykes Piratenbande

„Was hast du mit ihm gemacht?“

„Ich habe meine Eisenspäne um seinen Körper gelegt und magnetisiert. So stark, dass selbst die kleinsten Eisenteilchen in seinem Körper davon angezogen wurden. Die im Blut beispielsweise. Von überall her. Dadurch fängt der Körper an verrückt zu spielen ohne dass man es will. Leider ist dies ein äußerst schmerzhafter Vorgang. Es endet meistens mit einem Kreislaufkollaps. Vielleicht könnte es sogar mit dem Tod enden, aber soweit lasse ich es nie kommen.“

„Also, als wir uns vor einem halben Jahr zuletzt sahen, hattest du diese Kräfte noch nicht.“

„Ja, ich weiß. Ich habe meine Teufelskraft erst danach erhalten. Kurz bevor ich aus der Bande meines Aniki austrat, um eine eigene zu gründen, fanden wir eine solche sagenumwobene Frucht. Er meinte, wer möchte darf sie verspeisen. Doch die, die bereits Teufelskräfte hatten, wagten sich nicht – da es ja heißt, dass man beim Verzehr einer zweiten sterbe – und die, die keine hatten, wollten auch nicht.“

„Und wie kam es, dass du sie gegessen hast.“

„Man könnte es… einen Unfall nennen. Ich bin in der Nacht schlafgewandelt und hab sie dabei gegessen.“

„Das nenn ich Pech.“

„Ich weiß, James. Danke das du es mir noch einmal unter die Nase reibst.“

„Bitte doch.“

Beide sahen zu dem bewusstlosen Piraten. Seine Tätowierungen hatten sich wieder normalisiert und waren nur noch zierende Bilder auf seiner Haut. Scheinbar bedurfte es immenser Konzentration und Kraft, um sie in ihrer anderen Form zu erhalten.

„James, kannst du ihn bitte nicht verhaften?“

„Wieso?“

„Weil er nicht böse ist. Er ist ein guter Mann. Hat das alles nur für seinen Käpt’n auf sich genommen. Ich bin sicher, dass dieser stolz auf ihn sein wird. Und auch wenn er nicht gewonnen hat, seine Ehre und die seines Kapitäns sind wieder hergestellt. Ich will sehen, was aus Ikiteru wird. Und dann noch mal mit ihm kämpfen. Eines Tages. Ich erwarte, dass er dann viel stärker sein wird … und sogar meine Humanmagnet Attacke übersteht.“

„Du bist ein hoffnungsloser Fall. Er hätte dich beinahe besiegt, wenn du diese Attacke nicht hättest anwenden können. Beim nächsten Mal wirst du es also noch viel schwieriger mit diesem Verrückten da haben. Aber ich beuge mich deinem Wunsch. Der alten Zeiten Willen.“

„Beim nächsten Mal, werde auch ich stärker sein. Ich weiß ja jetzt, dass selbst hier im West Blue schon gefährliche Piraten hausen,“ meinte der Rotschopf grinsend voller Freude auf ihren nächsten Kampf.

„Einer unter Hundert Weicheiern. Nun ja. Selbst das kann schon ausreichen,“ entgegnete James nur und schüttelte ungläubig den Kopf.

„Tyke!,“ schrie plötzlich der kleine Jim und tauchte aus der Luke auf, in die Aisuru zuvor verschwunden war. Mit diesem.

„Hey, da bist du ja.“

„Sie hatten ihn über eine Luke in der Geheimluke entführt, aber ich hab ihn schnell gefunden. Einfach meinen Trick versauen, was für eine Frechheit,“ beschwerte sich der Magier, als auch er endlich durch die Luke wieder an Deck gekommen war.

Bevor Aisuru aber auch nur noch ein weiteres Wort sagen konnte, hörte er das Klicken zweier Handschellen und ehe er sich zudem versah, erkannte er diese an seinen und Tykes Händen.

„Hey, was soll das,“ beschwerte sich Aisuru lautstark.

„Ihr Beide seit wegen Piraterie verhaftet und weil ihr die Passagiere dieses Schiffes mit euren Kämpfen in Gefahr gebracht habt.“

„Das kannst du doch nicht machen, sie haben uns geholfen,“ jammerte Jim.

„Außerdem bin ich kein Pirat! Und überhaupt, du warst doch der Einzige von uns, der das Schiff zu Kleinholz verarbeitet hat!,“ protestierte Aisuru weiter.

Tyke sank unterdessen in sich zusammen und seine Gliedmaßen schienen nur noch schwach herunter zu baumeln, so als hätten sie keine Knochen in sich.

Besorgt fragte Jim sofort den fremden Marinekapitän: „Was ist mit ihm?“

„Ihm habe ich Handschellen aus Seesteinen angelegt. Diese kann ich leider nur mit Handschuhen anfassen, ansonsten würde es mir wie ihm ergehen,“ demonstrativ zeigte er seine Hände, über die er, scheinbar während alle durcheinander geredet hatten, schwarze Lederhandschuhe gestreift hatte, „Damit er nicht seine Teufelskräfte nutzen kann um vor mir zu fliehen. Gut, dass er mir von ihnen berichtet hat. Und außerdem Herr Casanova, waren sie doch jahrelang Mitglied auf diesem Piratenschiff, oder nicht?“

„Ich wusste doch nicht, dass sie welche waren.“

„Laut dem Gesetzt der Marine ist jeder, der mehr als ein Jahr auf einem Piratenschiff verbringt – egal ob als Gefangener oder auf freiwilliger Basis – offiziell als Pirat zu vermerken,“ erklärte James ruhig

„Was?!,“ brüllte der Magier entsetzt.

„Dann kannst du… ja in meiner Bande… eintreten. Bist ja… nun eh schon… ein Pirat,“ nuschelte Tyke in einer Art Delirium und zwang sich zu einem wenigstens schiefen Grinsen.

„Du spinnst doch wohl,“ schrie Aisuru zornig und trat auf Tykes Gesicht ein.

„Herr Aisuru Casanova, sie sind wegen Piraterie festgenommen und werden einem Marinegericht vorgestellt, welches über ihre Zukunft entscheiden wird,“ erinnerte und erklärte James dem Blauhaarigen seine Situation, „Ich bitte sie Folge und keinen Widerstand zu leisten. Tyke, du ebenfalls.“

„Ich bin kein Pirat. Verdammt.“

„Tyke, gehört dieser Mann zu dir?“

„Auf jeden Fall.“

Aisuru sah zu dem Angesprochenen mit der scheinbar in Flammen stehenden Frisur.

Sah ihn genauestens an und sah dabei sein breites Grinsen.

Und da verstand er endlich was Sinn und Zweck dieser Scharade war.

„So ist das also. Ein Marinekapitän spielt ein falsches Spiel. Ich glaub es einfach nicht. Verpetzen sollte ich dich! Nun gut, dann gehöre ich wohl zu diesem Kerl ab sofort, auch wenn es mir alles andere als geheuer ist.“

Aisuru warf seine Handschellen James zu, der mehr als verblüfft diese ansah. Das hatte er nun wirklich nicht erwartet. Hätte er aber vielleicht sollen, bei einem Magier.

Ehe er noch etwas tun konnte, warf dieser zusätzlich eine Rauchbombe auf den Boden und als der Qualm sich verzogen hatte, waren er, Tyke und Jim verschwunden. Das einzige Überbleibsel ihrer Anwesenheit waren die Seesteinhandschellen, welche vor wenigen Sekunden noch an Tykes Händen befestigt gewesen waren.
 

* * * * *
 

Mit kräftigen Ruderschlägen entfernte sich das zweite Rettungsboot von der Valdarim. Zwei der Insassen grinsten so breit, dass ihre Mundwinkel von einem Ohr bis zum Anderen reichten.

„Was ist?,“ fragte der blauhaarige Ex-Magier die beiden Grinsekatzen in einem mehr als zornigen Tonfall.

Doch das störte diese nicht und so grinsten sie feuchtfröhlich weiter.

„Du bist nun ein Pirat. Ich will auch einer werden,“ meinte Jim lachend, „Tyke, nimmst du mich auch auf?“

„Dafür bist du noch zu jung,“ antwortete der Angesprochene und lehnte sich ein wenig zurück.

„Bin ich gar nicht! In einem halben Jahr werde ich dreizehn!,“ beschwerte sich Jim und schlug auf Tykes Brust ein, der nur laut loslachte.

Es dauerte nicht lange, bis die Drei das Festland erreichten. Sie konnten dabei bereits aus der Ferne das besorgte Gesicht von Jims Mutter sehen, welches sich jedoch nun ihn ein glückliches wandelte. Als sie Jim und Tyke wohlbehalten erblickte, lösten sich auch einige Tränen der Freunde und kullerten über ihre rußbedeckten Wangen.

„Mama, wie kommst du hierher?“

„Ich habe mir Sorgen um euch gemacht. Außerdem wurden wir von einigen Marinesoldaten evakuiert. Hinter die Hügel dort drüben,“ dabei deutete sie hinter sich, zu einigen größeren Hügeln, die einen Teil der Stadt eingrenzten.

„Mama, diese beiden Kerle sind unglaublich stark. Sie haben die Piraten auf dem Zirkusschiff besiegt. Und Tyke hat den Magier hier überredet in seiner Bande mitzumachen,“ berichtete Jim fröhlich und wirkte dabei wie ein Kind dessen Geburtstag mit Weihnachten und vielleicht auch Ostern auf ein Datum fiel.

„Ich wurde gezwungen. Nur um das kurz richtig zu stellen. Aber nun gut, da kann man wohl nichts machen,“ beschwerte sich Aisuru immer noch leicht angesäuert.

„Auf dem Schiff waren Piraten? Kein Wunder, dass sie die Stadt angegriffen haben. Wir waren alle verwirrt warum auf uns geschossen wurde,“ meinte Jims Mutter.

„Hmm, wenn die Marine in der Nähe ist, müssen wir wohl schnellstens wieder abhauen,“ meinte Tyke grinsend und ging an Land.

„Aber nicht in dieser Nussschale,“ antwortete Aisuru und verließ ebenfalls das Rettungsboot.

Er hatte genug vom Rudern und bis zur nächsten Insel dieser Tätigkeit nachzugehen, lag nun wahrlich nicht in seinem Interesse.

„Wir werden uns hier verabschieden müssen. Denn ihr könnt nicht mit uns in das Innere der Stadt mitkommen. Dort ist es sicher noch sehr gefährlich durch die Brände und ähnlichem. Außerdem ist es besser, wenn ihr nicht mit Piraten gesehen werdet,“ sagte Tyke und das Grinsen schien schon gar nicht mehr aus seinem Gesicht weichen zu wollen. Dabei zerwuschelte er Jims Haare und ging an ihm und seiner Mutter vorbei.

„Also ist es an der Zeit auf Wiedersehen zu sagen?,“ fragte Jim ganz bedrückt, woraufhin Tyke kurz über seine Schulter blickte.

„Japp,“ ohne ein weiteres Wort des Abschiedes, drehte er sich wieder nach vorne und zusammen mit seinem blauhaarigen Begleiter machte sich der Rotschopf auf den Weg.

Sie hatten sich einige Meter von ihren beiden neuen Freunden entfernt, als sie diese plötzlich rufen hörten: „Tyke, auf welchen Namen sollen wir achten, wenn die neusten Steckbriefe kommen werden? Wir müssen doch den Werdegang des nächsten Piratenkönigs verfolgen.“

„Aisuru Casanova,“ schrie der ehemalige Magier den Beiden zu.

„Raven D. Tyke!,“ war Tykes Antwort.

Und sowohl Jim mit seiner Mutter, als auch Aisuru rissen ihre Augen auf und sahen mit weit geöffneten Mündern den grinsenden Piraten an, welcher gemütlich ins Zentrum der brennenden Stadt Los Birt ging.
 

* * * * *
 

„Aaaaaah! Musstest du denn unbedingt einen Marinesoldaten nach dem Weg fragen?!,“ schrie Aisuru aufgebracht, während er und Tyke vor den gut zwei Dutzend Marinesoldaten hinter ihnen quer durch die brennende Stadt flohen.

„Hab halt nicht drauf geachtet!,“ versuchte sich dieser zu verteidigen.

„Aber wieso sprichst du ihn auch mit ‚Hallo, ich bin der nächste Piratenkönig Raven D. Tyke. Könnten sie mir den Weg zum Hafen erklären?’ an?!,“ fügte Aisuru hinzu, doch Tyke kratzte sich nur beschämt am Hinterkopf, anstatt zu antworten.

„Stehen bleiben, ihr elendigen Piraten,“ rief dafür aber die Marinemeute hinter ihnen.

„Was willst du überhaupt hier? Eben hast du noch nach dem Weg zum Hafen gefragt und dahin sollten wir auch lieber hingehen und uns ein Schiff… nun ja… ‚ausleihen‘?“

„Mir ist eingefallen, dass wir erst ein wenig Proviant brauchen. Ich habe nämlich nichts mehr und Geld habe ich auch keines.“

„Du willst also stehlen?“

„Wir sind eh schon Verbrecher, dadurch dass wir Piraten sind. Und wie sagtest du so schön. Ich möchte es mir nur ‚ausleihen’.“

„Essen ausleihen? Du hast einen Knall. Kannst du sie ein wenig weiter aufhalten? Ich schlage mich solange zum Hafen durch und suche ein geeignetes Boot zur Flucht,“ ignorierte der Blauhaarige die Erklärung seines Kapitäns.

„Und was ist mit dem Proviant?“

„Herr Gott noch eins! Die nächste Insel ist nicht so weit entfernt von hier. Bis dahin kommen wir auch ohne klar. Und dort kaufen wir uns dann etwas zu essen,“ brüllte Aisuru wütend, „Also, kannst du sie beschäftigen?“

„Ich habe meine Eisenspäne auf dem Zirkusschiff zurück gelassen. Wie soll ich sie also aufhalten?“

„Hier gibt es genug Eisen für dich. Gib mir etwa fünfzehn Minuten, das reicht absolut.“

„Argh! Na gut. Ich versuche es.“

Tyke blieb abrupt stehen und drehte sich zu seinen Verfolgern um, die vor Schreck ebenfalls stoppten und mit erhobenen Schwertern ihren Gegenüber ansahen. Aisuru dagegen rannte weiter und nutzte die Gunst der Stunde, um zum Hafen zu gelangen.

„Auf ihn, Soldaten!,“ rief der Leutnant, der zuvor Aisuru von der Valdarim abgeführt hatte und sich irgendwann während der Flucht der Beiden zu seinen Mannen hinzugesellt hatte.

„Wah! Können wir das nicht ausdiskutieren?,“ fragte Tyke und wich geschickt einigen Attacken aus.

Die Schwerter der Soldaten verfehlten ihn meist nur um Haaresbreite.

Irgendwann wurde es ihm dann doch zu bunt. Zwar wollte er sich ungern auf einen Kampf einlassen, doch gab es für ihn auch andere Wege seine Gegner kampfunfähig zu machen. Mit Hilfe seiner Teufelskraft magnetisierte er sämtliche Schwerter, so dass diese sich gegenseitig anzogen und die Marinesoldaten sie nicht mehr voneinander trennen konnten.

„W-Was ist hier los?!“

„S-Sind das Teufelskräfte?!“

„Männer, ihr sollt ihn ergreifen und nicht herum hampeln!,“ brüllpiepste – anders konnte man diese Tonlage nicht beschreiben – der Leutnant.

„Aber wir versuchen es doch, Leutnant.“

„Ich muss nun weg. Hehe, war nett mit euch gespielt zu haben,“ rief Tyke und rannte – winkend –, um die nächste Ecke.

Schließlich wollte er den Marinetrupp endlich loswerden. So schnell er konnte rannte er durch die vielen Straßen und nach einer längeren Suche fand er auch den Hafen der zerstörten Stadt. Aisuru stand bereits an einem Boot, welches einer der vielen Markthändler vom Morgen in seiner Panik zurückgelassen haben musste. Heftig gestikulierend versuchte er Tykes Aufmerksamkeit zu erlangen, was ihm letztendlich auch gelang. Mit einem letzten Spurt und einen kräftigen Sprung gelangte der Käpt’n der kleinen Piratenbande in das Boot und sofort setzte der Blauhaarige das Segel.

Und so ließen sie Los Birt hinter sich. Sie waren sich sicher, dass die Marinesoldaten sie nicht weiter verfolgen würden. Für die war die höchste Priorität die Stadt nicht gänzlich auf ihre Grundmauern niederbrennen zu lassen. Außerdem war da noch James auf dem Zirkusschiff. Er würde mit Sicherheit die Brände löschen können.

„Sag mal. Weißt du überhaupt wo wir hinfahren?!,“ fragte Tyke mit großen Augen und aus einer Position heraus, die bereits beim Betrachten weh tat.

Er war nicht gerade glücklich gelandet, als er auf das Boot gesprungen war.

„Ja. Ich war auf Käpt’n Tichs Schiff der Navigator. Ich bin nämlich früher viel alleine herumgereist und habe mir daher selbst beigebracht, wie man ein Schiff navigiert und sicher ans Ziel bringt. Meine Fähigkeiten sind zwar bescheiden, werden aber schon ausreichen. Fürs Erste.“

„Echt?! Das ist ja cool,“ freute sich Tyke und setzte sich in eine weitaus angenehmere Haltung hin.

Da hatte er ja einen richtigen Glücksgriff gelandet bei seinem ersten Mitglied.

„Sag mal, Tyke. Gehörst du tatsächlich zu denen, die das berühmte ‚D’ im Namen tragen?,“ kam Aisuru auf den Namen seines Kapitäns zu sprechen.

Dieser drehte seinen Kopf wie in Zeitlupe zu seinem ersten Piratenmitglied und offenbarte erneut sein gigantisch breites Grinsen.

„Nö.“

Verdutzt und erschrocken kippte Aisuru um. Er hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit dieser kurzen Antwort, die zudem völlig überraschend kam.

„Was?!,“ entkam es ihm dabei, nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte, „Aber du sagtest doch vorhin, du heißt Raven D. Tyke?!“

„Tu ich auch.“

„Dann bist du ja doch einer von den berühmten ‚D’s!“

„Nein.“

„Willst du mich verarschen?!,“ brüllte Aisuru zornig und verpasste Tyke mehrere Faustschläge ins Gesicht, so dass dieser anschließend von Beulen und blauen Flecken überseht war.

„Aufa… daff tuf fee!“

„Selbst schuld, du Knalltüte! Und jetzt erklär mal, warum du dieses legendäre Zeichen hast, wenn du keiner von ihnen bist.“

„Nun ja, ich bin nicht in die Familie hineingeboren worden. Aber ich wurde aufgenommen. Ich bin ein Waisenkind, seit sechs Jahren… und damals wurde ich von einem der ihren gerettet. Er war es auch, der mich in seine Familie aufnahm. Du musst wissen, eigentlich haben James und ich unsere einstigen Träume über Bord geworfen, an dem Tag an dem wir alles verloren, was uns einmal lieb und teuer gewesen war und sind einen neuen Lebensweg gegangen.“

„Wie meinst du das?“

„James und ich wuchsen auf einer Insel hier im West Blue auf. Es ist… war eine kleine Fischerinsel. Die einzigen Attraktionen waren James Familie und die meine. Denn James war der Sohn eines einst sehr berühmten Piraten und ich der Sohn eines hochrangigen Marineoffiziers, der aus dem Dienst ausgetreten war. Schon unsere Großväter waren Piraten, beziehungsweise Marinemitglieder gewesen. So wollten natürlich auch er und ich in die Fußstapfen unserer Vorfahren eintreten. Er wollte einer der größten Piraten werden, die die Weltmeere je gesehen haben und ich wollte den Rang eines Admirals erlangen, um alle beschützen zu können, die mir wichtig waren. Na ja, manchmal hat das Schicksal andere Wege für einen vorgesehen. Nun ist es genau umgekehrt. Ich bin ein Pirat und James ein Mitglied der Marine. Unsere Väter würden uns umbringen, wenn sie davon wüssten… uns es überhaupt könnten.“

„Wie kam es dazu?,“ fragte Aisuru vorsichtig und überprüfte schnell den Kurs ihres Schiffes, um danach seine Aufmerksamkeit auf Tyke richten zu können.

„Wir hatten zwei verschiedene, aber dennoch prägende, Erlebnisse. Erlebnisse die man nicht einmal seinem Feind wünscht. Zumindest zum Teil. Vielleicht kann man es auch Glück im Unglück nennen. Jedenfalls haben wir damals sozusagen unsere Plätze in der Welt getauscht.“

Plötzlich wirkte Tyke völlig ausgewechselt. Sein ewiges Grinsen war zum ersten Mal komplett aus seinem Gesicht verschwunden. Stattdessen blickte er mit einem gezwungenen Lächeln hinauf zu den Wolken. Aisuru hatte erst fragen wollen, was ihm widerfahren war, doch kam der Rotschopf ihm stattdessen zuvor.

„Weißt du, ich glaube jeder hat so seine kleine ‚Geschichte seines Lebens’ zu erzählen. Willst du vielleicht die Meine hören?“

Still nickte Aisuru nur und Tyke begann mit zittriger Stimme zu erzählen.

Die Kindheit eines Piraten

*Vor 6 Jahren*
 

„Tyke, du bist zu langsam. So fängst du mich nie, wenn ich einmal Pirat bin!“

Der Blondschopf rannte zielsicher zwischen den Bäumen hindurch und an größeren Büschen vorbei. Er kannte den Wald wie seine Westentasche und war sich ebenfalls bewusst, wie er die natürliche Umgebung zu seinem Vorteil ausnutzen konnte. Sein taktisches Verständnis für die Umgebung war außerordentlich gut ausgebildet, was aber hauptsächlich an seinem Training durch seinen Vater lag.

Aber auch sein Verfolger, ein rothaariger Junge, kannte sich in diesem Gebiet bestens aus und ließ sich einfach nicht abschütteln. Da er aber zwei Jahre jünger war, als sein blonder Freund, kam er nicht mit dessen Tempo mit und fiel immer weiter zurück.

„Ich erwische dich schon noch, James,“ rief der junge Tyke und versuchte noch einmal alle seine Kräfte zu mobilisieren.

Doch reichte es nicht mehr aus, um seinen Freund einzuholen. James hatte bereits den Waldrand erreicht und somit ihr kleines Wettrennen gewonnen. Stolz – und breit grinsend – wartete er auf den etwas kleineren Rotschopf und zog eine fiese Grimasse, als auch er das Ziel erreichte.

„Und so einer will zur Marine gehen, bäääh! Ich sagte doch, dass du mich so niemals erwischen wirst, wenn ich einmal Pirat bin. Du erwischt mich ja jetzt nicht einmal bei einem einfachen Wettrennen.“

„Klappe! Du bist auch älter als ich.“

„Das ist eine lahme Ausrede.“

„Ich werde zur Marine gehen und dann werde ich eines Tages zum Admiral befördert. Und wenn ich erst einmal Admiral bin, dann werde ich dich fangen! Das wird dann ein Kinderspiel werden, du wirst schon sehen.“

„Du wirst mich niemals fangen. Nicht in tausend Jahren! Außerdem hat sich noch keiner meiner Vorfahren, von einem Marinedeppen fangen lassen! Da werde ich bestimmt nicht der Erste sein, dem so etwas Peinliches passiert.“

„Ach ja? Und warum lebt dein Papa dann unter Aufsicht meines Papas hier auf dieser Insel? Weil mein Papa deinen gefangen hat! So einfach ist das.“

„Nein, er hat sich freiwillig gestellt. Er wollte kein Pirat mehr sein! Dein Vater konnte meinen gar nicht gefangen nehmen, selbst wenn er es gewollt hätte, schließlich war mein Papa sogar einer der sieben Samurai!“

„Er wurde trotzdem gefangen genommen! Und zwar von meinem. Denn mein Papa wurde von der Marine ausgezeichnet, dafür dass er zwei der berühmten Strohhutpiraten besiegt hat!“

„Mein Papa hat sich gestellt!“

„Gefangen genommen!“

„Hat sich gestellt!“

Wütend knurrten sich die beiden Freunde an und stießen ihre Köpfe gegeneinander. Keiner von ihnen wollte nachgeben und so begannen sie auch noch an ihren Gesichter zu ziehen und sich so zusätzliche Schmerzen zu bereiten, in der Hoffnung, dass der jeweils Andere aufgeben würde. Doch obwohl Tyke gute zwei Jahre jünger war als sein bester Kumpel, konnte er es mit dem kleinsten Spross einer großen Piratenfamilie ganz gut aufnehmen.

Nicht umsonst wurden sie alle Beide von ihren Vätern getrimmt. Sie sollten schließlich eines schönen Tages die ehrenvollen Namen ihrer Familien weiterführen können. Und so war es auch kein allzu großes Wunder, dass Tyke es mit James aufnehmen konnte. Der Rotschopf hatte mit seinen dreizehn Jahren schon so manches harte Training über sich ergehen lassen müssen, welches selbst hart gesottene Erwachsene in die Knie zwang. Aber er hatte keine Wahl als jüngstes Kind einer berühmten Familie, bestehend aus ehrenhaften Mitgliedern der Marine.

„Tuh shurer Pock!,“ fluchte James, während Tyke seine Mundwinkel möglichst weit auseinander zog.

Doch dann geschah etwas, womit sie nun wirklich nicht gerechnet hatten. Ohne Vorwarnung wurde James linke Wange von einem Stein und Tyke ebenfalls linke Wange von einem dicken Ast getroffen, wodurch die beiden Jungen vor Schmerz schreiend zu Boden gingen.

„Was soll der Unsinn, ihr kleinen Vollidioten!,“ schrieen zwei barsche Männerstimmen aus verschiedenen Richtungen.

„Argh! Papa!,“ entgegneten die Kinder und blickten aus großen – vor Schreck geweiteten – Augen zu ihren jeweiligen Vätern.

Beide eilten sie zu den Burschen und sahen erst diese streng an und danach sich gegenseitig.

„Hallo, Herr Vizeadmiral Nemo,“ begrüßte James Vater seinen Gegenüber und legte seine Hand auf dessen Schulter.

„Harhar, Käpt’n Omen. Lange haben wir uns nicht mehr gesehen. Wieso kommen Sie mich und meine Frau nicht einmal besuchen?,“ meinte der kräftige Vizeadmiral und grinste fröhlich.

„Keine Zeit, keine Zeit. Wir müssen doch einen Plan entwickeln, wie wir vor Ihnen endlich abhauen können.“

„Das schaffen Sie niemals, harhar!“

„Lust auf einen Drink? Ich lade Sie ein, Herr Vizeadmiral.“

„Harhar! Einen Humpen in ehren, kann man wahrlich nicht verwehren, nicht wahr? Alter Freund.“

Gemeinsam machten sie sich auf in Richtung Lincoln, die einzige Stadt auf der kleinen Insel wo sie mit ihren Familien seit langem lebten. Es schien als hätten sie ihre Kinder, die sich geprügelt hatten, einfach so vergessen, doch als sich plötzlich James Vater zu den beiden Knaben umdrehte und seinen Zeigefinger tadelnd erhob, wussten sie das dem nicht so war. Aller Hoffnung zum Trotz waren sie noch nicht sicher vor dem Zorn dieser gewaltigen Männer deren Namen auf der ganzen Welt bekannt waren.

„Erwische ich euch noch einmal bei einer Prügelei, gibt es doppeltes Training für einen Monat.“

Entsetzt und wie zu Salzsäulen erstarrt, blickten die Beiden zu Omen Hallowell. Aus Furcht vor dem angedrohten Sondertraining nickten sie nur.

„Das gilt auch für dich Tyke! Und wehe du verlierst noch einmal gegen James. Dann gibt es dreifaches Training für dich!“

„Och, Menno,“ jammerte dieser und scharrte mit seiner Fußspitze über den Boden.

Als ihre Väter endlich außer Sichtweite waren, wagten die Kinder es endlich wieder zu atmen, da sie aus Angst etwas falsch zu machen diese schnell angehalten hatten, und holten daher auch erst einmal sehr tief Luft. Kaum hatten sie erleichtert ausgeatmet, mussten beide lauthals loslachen.

„Menno, sind wir Memmen.“

„Hey! Bei solchen Väter darf man das auch sein,“ meinte Tyke sofort.

„Treffen wir uns morgen wieder wie immer in unserer Basis im Wald?“

„Klar. Bis morgen, James.“

Einander zuwinkend liefen sie in getrennte Richtungen, da ihre Familien an genau gegenüberliegenden Punkten auf der Insel lebten. Es waren sogar die Beiden, am weitesten voneinander entfernt liegenden Stellen der kleinen Insel. Aber dies war nicht schlimm, denn so waren sie meistens vor ihren Vätern in Sicherheit wenn sie sich in dem kleinen Wald im Herzen der Insel trafen.

Oftmals hatte Tyke sich auch gefragt, warum sein Vater es überhaupt zuließ, dass James Vater so weit entfernt wohnte, obwohl er diesen doch beobachten sollte. Doch irgendwann war ihm in den Sinn gekommen, dass sein Vater Nemo Omen Hallowell einfach vertraute. Denn sie hatten sich inzwischen angefreundet, was vermutlich auch besser war, wenn man sowieso gemeinsam sein Leben auf einer Insel verbrachte, auf der das einzige Highlight ein Fest einmal im Jahr war, bei dem man soviel trinken durfte wie man vertrug.

So schnell ihn seine Beine tragen konnten, rannte Tyke zu seinem zu Hause. Er freute sich bereits auf den Eintopf seiner Mutter. Sie hatte nämlich versprochen ihm eine besonders große Portion zu machen, wenn er wieder nach Hause kommen würde und so wurde sein Tempo noch durch seinen Hunger beflügelt.

„Ach, wäre ich nur beim Wettrennen so schnell gewesen,“ dachte er sich verärgert, schüttelte dann aber die unnützen Gedanken wieder ab.

Was geschehen war, konnte man nun einmal nicht rückgängig machen. Er wusste nur, dass er definitiv mehr trainieren musste. Schließlich konnte er diese Schmach doch nicht auf sich sitzen lassen, oder? Und überhaupt würde sein Vater das auch nicht zulassen.

Er war beinahe zu Hause gewesen, als er plötzlich die Rauchwolken am Himmel bemerkte. Sie kamen eindeutig aus der Richtung, wo auch das Haus seiner Eltern lag. Doch konnte der Rauch unmöglich von der Feuerstelle vor ihrem Heim stammen, denn dafür war er zu dick und zu schwarz. Sofort erkannte er, dass irgendwas nicht stimmten konnte. Und ausgerechnet jetzt war sein Vater mit dem von James in die Kneipe der kleinen Inselstadt gegangen einen zu heben. Entsetzt riss der Rothaarige die Augen weit auf.

„Das bedeutet Mama ist alleine zu Hause,“ traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag ins Gesicht.

Als Tyke in der Nähe seines Hauses war, verlangsamte er seinen Schritt und versteckte sich hinter einigen Büschen, um sich von dort ein wenig Überblick über die Situation verschaffen zu können. Sein Vater hatte ihm oft genug eingetrichtert, dass man erst die Lage auszukundschaften habe, ansonsten würde man garantiert in sein Verderben laufen. Und trotz der Umstände, schaffte Tyke es rational zu bleiben und sich nicht von seinen Gefühlen mitreißen zu lassen.

Doch das alles nützte ihm leider nichts, als plötzlich eine kräftige Hand ihn von hinten packte und ihn an seinem Kragen hoch hob. Tyke blickte in das bärtige Gesicht eines sonnengebräunten und kräftigen Mannes, welcher ein finsteres Grinsen aufsetzte, wodurch wiederum zwei Reihen gelber Zähne zum Vorschein kamen. Ein abscheulicher Anblick.

„Na, wenn haben wir denn da? Vielleicht eine Ratte? Was schleichst du Knirps hier herum? Gehörst du etwa zu der Alten aus dem Schnöselheim?“

„Meine Mutter ist nicht alt!,“ brüllte Tyke und versuchte dem Fremden eine zu verpassen, doch dieser umschloss mit der anderen Hand den Hals des Jungen und drückte kräftig zu.

Tyke bekam kaum noch Luft und versuchte den eisernen Griff des Fremden zu lockern, jedoch ohne auch nur die Chance auf Erfolg. Den kleinen Jungen wie eine Trophäe vor sich haltend, ging dieser die letzten Meter zu dem Heim der Marinefamilie, wo mehrere fremde Gestalten standen und alles verwüsteten. Sie setzten die Scheune in Brand, töteten das Vieh seiner Eltern und bereicherten sich an dem Alkohollager seines Vaters. Doch seine Mutter konnte er nirgends sehen.

„Wer seid ihr? Und was habt ihr mit meiner Mutter gemacht?,“ krächzte Tyke verzweifelt und versuchte sich erneut aus dem Griff des Unbekannten zu lösen.

„Wer wir sind? Wir sind Piraten. Und deine Mutter hat bereits das Zeitliche gesegnet. Hahaha! Aber keine Sorge, du wirst ihr bald Folgen und dann seid ihr wieder vereint, hahaha!“

Der bärtige Pirat schleuderte Tyke vor die Füße der anderen Piraten, die sofort damit begannen ihn mit Tritten zu malträtieren. Er wusste nicht wie viele um ihn herum standen und wie viele Treffer er einstecken musste, doch glaubte er zu wissen, dass er hier und jetzt sterben müsse. Dabei war er doch noch so jung.

Nach einem weiteren, von unzähligen, Tritten brach Tyke endgültig zusammen und musste sogar Blut spucken. Jedoch wollte er nicht aufgeben. Plötzlich brach der Kampfeswille in ihm durch. So wollte er nicht sterben. Jämmerliche zusammengetreten wie ein alter Hund. Er wollte wie ein Mann dem Tod ins Gesicht sehen. Sein Vater hatte ihn schließlich sehr hart trainiert, damit er sich und seine Mutter würde beschützen können. Und nun sollte all das harte Training umsonst gewesen sein? Außerdem wollte er nicht wahr haben, dass seine Mutter bereits tot sein solle. Sicherlich brauchte sie Hilfe. Seine Hilfe. Ihres kleinen starken Mannes. Mühselig rappelte er sich auf, doch der Bärtige stieß ihn mit der Fußsohle an, so dass der Rotschopf mit dem Gesicht im Dreck landete. Tränen sammelten sich in seinen Augen.

War er wirklich so schwach? Wieso konnte er nicht die beschützen, die ihm wichtig waren?

„Gum-Gum-Peitsche!,“ hörte Tyke plötzlich eine Stimme rufen.

Kurz darauf zischte etwas langes, hautfarbenes über ihm hinweg und schleuderte die Piraten mehrere Meter weit weg. Einige von ihnen sogar bis zur brennenden Scheune, wo eben diese Freibeuter ebenfalls Feuer fingen. Mit großen Augen sah er zu den brennenden Gestalten, die gepeinigt umher rannten und mit aller Macht versuchten die Flammen, welche an ihren Leibern leckten, zu löschen, und drehte sich dann ruckartig um. Es gab nur einen Piraten mit der berühmten Gum-Gum Frucht. Mit der Kraft sich zu strecken und zu dehnen. Den berühmtesten Gummimenschen der Welt. Den zweiten Piratenkönig.

Der Käpt’n der Strohhutbande.

Monkey D. Ruffy.

Aber das war völlig unmöglich. Er kannte die wahre Geschichte. Er war einer der Wenigen, die diese Wahrheit kannten. Über den legendären Ruffy, den Tod des berühmten Scharfschützen Lysop, die Gefangennahme des gefürchteten Schwertkämpfers Lorenor Zorro und die Vorkommnisse in Impel Down vor mehr als dreißig Jahren.

Als Tyke zu seinem Retter blickte, sah er eine Gestalt, die viel zu jung war um Ruffy sein zu können. Der Schwarzhaarige mit den roten Strähnen und dem Pferdeschwanz, sah lächelnd zu Tyke und ging dann gemächlich – mit den Händen in den Taschen – zu dem verletzten Jungen.

„Alles in Ordnung mit dir?“

„Wer… wer bist du?“

„Mein Name ist Monkey D. Loris, zukünftiger König der Piraten.“

„Monkey D. Loris? Gehörst du zu Ruffys Familie?“

„Ja. Ich bin sein Enkel. Aber lass uns später reden. Sind hier noch weitere Personen, die Hilfe benötigen?“

„Meine Mutter… sie meinten,… dass sie meine Mutter…,“ plötzlich ergriff ihn die Trauer, welche er zuvor versucht hatte mit aller seiner Willenskraft aus seinem Geist zu verbannen, und wieder stiegen die Tränen in seine Augen, wodurch sich sein Blick verschleierte.

„Ganz ruhig. Bleib hier. Ich kümmere mich um diese Kerle.“

Seelenruhig knöpfte er die obersten beiden Knöpfe seines weißen Hemdes auf und lockerte seine pechschwarze Krawatte ein wenig.

„Warte… Loris. Wieso hast du diese Teufelskraft? Ist nicht jede Teufelskraft einzigartig? Wieso hast du die Kräfte des berühmten Piratenkönigs Ruffy?“

Loris blieb augenblicklich stehen, wandte sich aber nicht zu seinem Gesprächspartner um, sondern stand mit dem Rücken zu ihm. Tyke glaubte zu erkennen, wie sich seine Unterarme anspannten. Er hatte wohl versehentlich einen wunden Punkt getroffen.

„Bist du nicht der Sohn von Ex-Vizeadmiral Nemo Pacis, dem ‚Peacemaker‘?“

Tyke nickte nur, zu mehr war er in diesem Moment nicht im Stande. Auch wenn Loris dies nicht sehen konnte. Woher wusste er von seinem Vater? Sein Vater war zwar weltbekannt, aber dass er hier auf dieser Insel lebte, war nur Mitgliedern der Marine bekannt und dass er einen Sohn habe, sollte ein Pirat eigentlich auch nicht wissen dürfen.

„Hat er dir dann nie die Geschichte erzählt? Die Geschichte warum er die Marine verließ? Ja, alle Teufelskräfte sind einzigartig… es gibt keine zwei Menschen mit derselben Kraft… und deshalb verfluche ich meine Teufelskraft so sehr. Sobald eine Person mit Teufelskräften stirbt, wächst die Teufelsfrucht die er einst aß erneut heran. Deshalb weiß ich, dass mein Großvater, der seit dreißig Jahren für die Welt als verschollen gilt… Tod sein muss. Ich bin hier, weil ich mit deinem Vater reden wollte. Es muss so sein, aber ich wollte es dennoch von ihm hören. Von dem Mann, der den Scharfschützen der Strohhüter tötete und ihren Schwertkämpfer gefangen nahm. Von dem Mann, der für diese ‚Heldentaten’ von der Marine ausgezeichnet wurde. Von dem Mann, dessen Spitzname in der Marine gleichzeitig ein Spott ihm gegenüber ist.“

Beschämt sah Tyke zu Boden und flüsterte leise: „Tut mir Leid.“

Er verstand zwar nicht was dieser Pirat meinte, aber er traute sich auch nicht weiter nach zu haken. Sein Vater hatte ihm als Kind erzählt, was einst auf Impel Down geschah. Das die Marine ihm zugesprochen habe, zwei der Strohhüter besiegt zu haben. Obwohl dies nie so geschah. Aber, dass sein Vater auch noch von ihnen verspottet worden war mit seinem Spitznamen, das hatte er nicht gewusst. Was war vorgefallen? Zum ersten Mal in seinem bisher jungen Leben, verspürte Tyke den Wunsch zu erfahren, wieso sein Vater die Marine verlassen hatte.

„Das muss es nicht. Ich habe es eigentlich bereits akzeptiert. Aber ich hoffe, dass du mir nicht die Schuld gibst, für meine folgenden Worte. Ich bin nicht gerne der Überbringer schlechter Nachrichten. Ich hoffe deine Mutter lebt noch. Denn ansonsten muss ich dir sagen, dass du… nun ein Waisenkind bist.“

Verwirrt richtete sich Tyke langsam auf und wollte gerade fragen, was der Schwarzhaarige damit meinte, als plötzlich sein Familienhaus in sich zusammenbrach. Einige der Piraten, die Feuer gefangen hatten, waren gegen die Außenwand gerannt, so dass auch das Haus in Flammen aufgegangen war. Tyke hatte dies zu spät bemerkt und deshalb nun umso fassungsloser. Niemand konnte dieses Inferno überleben.

Leider begriff er durch dieses Schreckensbild Loris’ Worte. Sein Vater musste ebenfalls gefallen sein. Wie war das nur möglich? Er war doch ein ehemaliger Vizeadmiral!

„Mama!,“ brüllte der Rotschopf in seiner Trauer so laut er konnte und wollte bereits in das flammende Inferno hineinrennen, als Loris plötzlich herum wirbelte und ihm einen kräftigen Schlag ins Gesicht verpasste. Zu seinem eigenen Schutz.

Das letzte was Tyke sah, ehe er ohnmächtig wurde, waren die Tränen. Wie Perlen des Leids und Schmerzes, rannen sie über Loris’ Gesicht.
 

* * * * *
 

„Wo… bin… ich?“

Leise und stoßweise kamen die Worte, Silben und Buchstaben aus seinem Mund. Ein leises Stöhnen folgte darauf. Und ein stechender Schmerz in seiner Schläfe.

„Käpt’n, er ist aufgewacht,“ rief eine helle Frauenstimme, die einem Engel gehören musste. So rein und klar. Schöner als der Sonnenaufgang und der Morgentau.

„Wieso nehmen wir den Zwerg überhaupt mit?,“ fragte dagegen eine männliche Stimme. Hart und kalt wie das Eisen einen scharfen, alles vernichtenden Schwertes. Eine solche Stimme konnte nur Angst in den Herzen seiner Gegner erwecken.

„Dummkopf, musst du das Thema jetzt anfangen? Der Junge hat doch jetzt niemanden mehr, außer uns,“ antwortete eine andere männliche Stimme barsch. Sie klang wesentlich freundlicher. Warmherzig. Sie passte zur Engelsstimme.

„Seid jetzt still, Eliot, Flynn!,“ meinte die bekannte Stimme von Loris.

„Wo… bin ich?,“ fragte Tyke erneut und war froh, dass diesmal der Schmerz ausblieb.

Als er seine Augen vorsichtig öffnete, konnte er nur verschwommen sehen, erkannte dennoch eine Holzdecke über sich. Zudem schien der Raum sich ein wenig hin und her zu bewegen, als würde er von den Wellen des Meeres geschaukelt.

„Du bist auf meinem Schiff. Der Eternal Jolly. Weißt du noch wer ich bin?“

„Der Enkel… von Ruffy… Loris, oder?“

„Stimmt genau. Scheinbar bist du nicht so schwer verletzt.“

„Ein Glück. Wie dumm kann man sein, einen kleinen Jungen KO zu schlagen?!,“ schrie eine zweite, neue Frauenstimme von irgendwoher. Sie klang nur gespielt aggressiv. Scheinbar verbarg sich auch dahinter ein gutes Herz.

Loris hielt sofort dagegen: „Schrei nicht so rum, dass tut dem Jungen sicher auch nicht gut. Sagst du mir eigentlich auch deinen Namen?“

„Ich heiße Tyke Pacis.“

„Der Knabe ist der Sohn von Ex-Vizeadmiral Nemo Pacis? Dem ‚Peacemaker’? Wen hast du uns da nur aufs Schiff geholt?! Sein Vater wird ihn sicher retten wollen!,“ meckerte wieder die zweite Frau, die kurz zuvor rum geschrieen hatte, doch diesmal schien sie wirklich aggressiv zu sein.

Doch Loris schüttelte nur, mit geschlossenen Augen, den Kopf. Der Rotschopf konnte den Zopfträger aus den Augenwinkeln heraus leicht erkennen.

„Tyke, sei bitte tapfer. Ja? Ich habe eine schlechte Nachricht für dich. Oh man, ich bin eigentlich echt nicht der Bote für solche Sachen. Bis auf dich und einen weiteren Jungen, hat niemand den Angriff der Piraten überlebt. Auch… dein Vater nicht.“

Tyke kämpfte wieder mit den Tränen, versuchte sie verzweifelt zu unterdrücken. Wollte sich keine Schwäche anmerken lassen. Dies hatte sein Vater ihn gelehrt.

Er hatte erwartet, dass dies kam. Auf der Insel hatte Loris dies schon angedeutet und es eben auch noch einmal. „Außer uns hat er doch jetzt niemanden“ hat er gesagt. Klare Worte. Klar wie ein Messerstich direkt ins Herz.

„Das kann nicht sein. Mein Vater war Vizeadmiral der Marine. Ein paar dumme Piraten können ihn nicht besiegen!“

„Es waren auch nicht einfache dumme Piraten, die ihn getötet haben. Sagt dir der Name Sammy Puppet etwas?“

Der Rotschopf schüttelte leicht, kaum merklich, mit dem Kopf.

„Er ist ein gefürchteter Pirat. Viele glauben, dass die Marine ihn zum Samurai der Weltmeere ernennen könnten.“

Tyke wusste, dass einige Posten wieder frei waren. Es hatte eine Art Krieg gegeben. Die Welt war nun schon seit vielen Jahren im Wandel. So manches hatte sich verändert. In den Reihen der Marine, der Samurai und der Kaiser. Und der Preis für den ständigen Wandel wurde mit Blut beglichen. Es hieß zwei der Samurai seien gefallen, einer tödlich verletzt und einer besiegt. Dies alles habe ein einziger Kaiser vollbracht. Wie sollte sich so wieder ein Gleichgewicht der Mächte einpendeln können?

„Wieso war er hier?,“ wollte Tyke schließlich wissen.

„Er war auf der Suche nach starken Menschen, die er zu Mitgliedern seiner Mannschaft machen konnte.“

„Mein Vater würde niemals ein Pirat werden.“

„Loris, er darf sich nicht zu sehr aufregen,“ meldete sich wieder die erste Frauenstimme zu Wort. Sie klang besorgt. Sorge einer Ärztin oder Sorge einer Frau mit Muttergefühlen? Egal, Sorge blieb Sorge.

„Ist gut, Jillian. Eliot, Flynn, Suri? Am Besten ihr verlasst erst einmal das Zimmer. Ich komme gleich nach.“

Die drei angesprochenen Personen nickten nur, was Tyke jedoch nicht sehen konnte, und taten wie ihnen geheißen. Als sie das Zimmer letztendlich verlassen hatten, meldete sich Tyke wieder zu Wort.

„Wer… wer ist der andere Junge?“

„Sein Name ist glaube ich James. Er wurde von einem Marinekapitän gerettet, der mich schon seit langem verfolgte. Zufällig führte unsere Reise – oder besser gesagt meine Flucht – uns an deiner Insel vorbei und da bekamen wir den Angriff mit.“

„James? James Hallowell?“

„Was für Kinder leben denn auf dieser Insel?! Hallowell ist doch der Name von Käpt’n Omen Hallowell, der ‚West Blue Sturm’ oder?,“ hörten sie prompt die erste männliche Person, die von Loris Eliot genannt worden war, hinter der Tür entsetzt rufen.

„Nicht zu glauben… lauschen die unserem Gespräch. Ihr sollt abhauen! Sonst setzt es gleich was,“ rief Loris und bekam sofort von Jillian einen leichten Schlag gegen Hinterkopf verpasst.

„Nicht so laut! Sonst muss ich dir noch eine verpassen!“

„Tut mir Leid.“

„Mein Vater sollte James Vater in Auge behalten, nachdem dieser sich freiwillig der Marine gestellt hatte,“ erklärte Tyke und richtete sich schwerfällig auf.

„Tyke… Du scheinst ein ziemlich tapferer Bursche zu sein. Ich wäre stolz, wenn ich dich meinen Sohn nennen dürfte,“ sprach Loris ruhig und erntete dafür überraschte Blicke von Jillian und Tyke.
 

*Vor etwa 4 Jahren*
 

„Raus aus meiner Küche, du Lausebengel!,“ brüllte Kouji, Smutje auf der Eternal Jolly, lautstark, „Wie oft denn noch? Vor dem Essen wird nicht genascht!“

Wie von der Tarantel gestochen, stürmte Tyke aus der Kombüse heraus, mit zwei Schälchen Nachtisch im Gepäck, und wich dabei den fliegenden Küchenuntensilien aus, die ihm nachgeworfen wurden.

„Hast du den Nachtisch?,“ fragte Loris vorsichtig, als Tyke zu ihm ans Bug des Schiffes eilte.

„Klar doch!“

„Haha, ich wusste ja, dass ich mich auf dich verlassen kann,“ meinte Loris stolz und nahm seine Schüssel entgegen, „Du bist in so etwas einfach viel geschickter als ich.“

Kaum hatte er sich einen Löffel voll von dem Schokoladenpudding in den Mund geschoben, stöhnte er bereits vor Entzückung auf: „Mmmmh: Köstlich! Dass Kouji uns das auch immer vorenthalten muss.“

„Du, Aniki?“

„Ja, kleiner Bruder, was ist denn?“

„In letzter Zeit denke ich immer wieder über meine Heimat nach. Meinen Vater und meine Mutter. Die Insel auf der ich aufwuchs. An James.“

„Es war für dich eine schwere Zeit,“ gestand der Pirat und blickte in den Himmel hinauf.

„Ich bin dir dankbar, dass du mich aufgenommen hast. Ich hätte sonst nicht gewusst, wohin ich hätte gehen sollen. Aber eigentlich spreche ich das Thema aus einem anderen Grund an.“

„Du willst mehr über Impel Down und deinen Vater wissen. Über den Grund warum er austrat.“

Überrascht sah der Rotschopf zu dem Mann, der ihn die letzten zwei Jahre behandelt hatte wie einen jüngeren Bruder und dem er sein Leben zu verdanken hatte.

„Woher weißt du das?“

„Ich wüsste keinen anderen Grund außer diesen. Aber ich kann und will dir nichts darüber sagen.“

„Wieso nicht?“

„Weil du deinen Vater so in Erinnerung behalten sollst, wie du ihn kanntest. Ich bringe es nicht übers Herz dieses Bild dir zu nehmen.“

Ein bedrückendes Schweigen setzte ein und voller Trauer blickte Tyke seinen gestohlenen Nachtisch an. Er wollte nicht weinen. Zu oft hatte er Schwäche gezeigt, seit dem er alleine war. Nein, eigentlich war er nicht alleine. Loris’ Bande war zu einer zweiten Familie für ihn geworden und dennoch. Er vermisste seine Mutter und seinen Vater. Seine Heimat. Die Wettstreite mit James. Er vermisste sein altes Leben.

Zwar hatte er viel Spaß an Loris’ Seite. Bei den Streifzügen und Abenteuer. Dennoch, war es einfach anders.

„Ich will auch ein Pirat werden. Meine eigene Mannschaft gründen. Das One Piece finden und der nächste König der Piraten werden,“ flüsterte Tyke.

„Ich dachte du wolltest immer zur Marine gehen.“

„Die Marine hat meinen Vater fallen lassen, weil er für sie nicht mehr arbeiten wollte. Sie ließen zu, dass er von einem Piraten getötet wurde. Sie haben nichts gemacht. Nein! Zu ihnen will ich nicht mehr. Ich will die Freiheit, die ich auf deinem Schiff kennen lernen durfte, für immer behalten!“

„Haha, also habe ich einen weiteren Rivalen?“

„Ja,“ meinte Tyke entschlossen und sah Loris in die Augen.

Es war ein Blick, wie Loris ihn nur zu genüge kannte. Ein Blick den auch er einst gehabt hatte, leider aber verloren hatte. Der Blick eines Träumers.

„Hör niemals auf zu träumen, Tyke. Ich weiß, du bist stark. Ich weiß, du bist schnell. Ich weiß, du bist listig. Wie ein Rabe. Die Viecher sind ja sogar deine Freunde! Haha. Und darum wirst du deine Träume verwirklichen, wenn du an ihnen festhältst. Raven D. Tyke!“
 

*Vor einem Monat*
 

„Es ist soweit. Die Zeit des Abschieds,“ meinte Loris und blickte von der Rehling hinab zu seinem ‚kleinen Bruder’ Tyke, der von dem kleinen Hafen aus zu ihm aufsah.

Lange hatten sie sich auf diesen Tag vorbereitet und dennoch fiel es allen schwer. Jillian weinte sich in Flynns Armen aus. Sogar der kühle Eliot nahm auf seine eigene Weise Abschied. Kouji dagegen fragte mehrfach nach, ob er dem Rotschopf nicht zur Sicherheit noch ein Lunchpacket zusammenstellen sollte. Doch das war nun wirklich nicht nötig. Der halbe Seesack von Tyke war mit Nahrung voll gestopft. Auch der Rest von Loris’ lebhafter Bande hatte sich versammelt und wünschte ihrem jüngsten Gefährten alles Gute.

„Wir werden uns wieder sehen. Auf der Grand Line, wenn ich eine tolle Mannschaft um mich herum versammelt habe. So wie deine.“

„Haha, mit meiner Mannschaft wirst du es nie aufnehmen können. Dafür bist du zu schwach,“ behauptete der Schwarzhaarige mit den roten Strähnen.

„Grrr, du wirst schon sehen!,“ brüllte der Rotschopf zurück und hätte beinahe seinen Seesack auf seinen ‚großen Bruder’ geworfen.

„Viel Glück, Raven D. Tyke.“

„Auf Wiedersehen, Monkey D. Loris!“
 

*In der Gegenwart*
 

Aisuru wusste nicht, was er machen oder sagen sollte. Mit offenem Mund gaffte er zu seinem neuen Kapitän. Schweigen breitete sich aus, bis der Rotschopf endlich das Wort wieder ergriff.

„Ich hatte in den sechs Jahren, die ich bei ihm lebte, meine Liebe für die Piraterie entdeckt. Und James war bis dahin zur Marine gegangen. Somit haben wir unsere Träume getauscht. Ziemlich verrückt das ganze, nicht wahr? Vielleicht erzähle ich dir ein anderes Mal mehr über meine Vergangenheit. Aber nicht jetzt. Nimm es mir nicht übel, ja?“

Aisuru nickte. Er verstand es. Sehr gut sogar. Doch dann konnte er nicht anders als doch noch eine Frage zu stellen: „Sag mal… wie hieß denn der Mann, der James damals gerettet hatte?“

„Marinekapitän Lester Stacks. Der Mann, dem der Brunnen in Los Birt gewidmet war. Gewidmet von seiner Heimatstadt.“

„Was?! Ist der Kerl nicht die rechte Hand eines Admirals?“

„Ja, das ist richtig. Und Loris ist während der Zeit, die ich bei ihm verbracht habe, zu einem der sieben Samurai ernannt worden. Zum Glück hat sich allmählich wieder ein Gleichgewicht der Kräfte eingefunden. Auch wenn dafür einige seltsame Entscheidungen getroffen wurden. Wenn ich so nachdenken… Es hat sich für mich viel verändert und manchmal wirkt es auf mich wie ein großer verrückter Traum.“

„Ist das dein ernst?! Er ist einer der sieben Samurai?,“ wiederholte der ehemalige Magier ungläubig die Worte seines Käpt’ns.

„Hey! Ich lüge nicht. Man sagt Loris sei einer der drei stärksten der jetzigen Samurai. Ich weiß, dass Loris stark ist. Ungeheuerlich stark sogar. Ich habe ihn oft kämpfen sehen. Zwischen ihm und mir… uns trennen Welten. Aber das ist mir egal. Eines Tages werde ich stärker sein als er. Ach und ob der Vergleich stimmt weiß ich nicht, da ich nie einen der anderen Samurai getroffen habe. Nicht einmal den, der meinen Vater getötet haben soll. Und was Lester Stacks angeht. Er war es, der der Marine den Vorschlag vorlegte, den Admirälen persönliche Assistenten zu zuweisen. Auf diese Weise wäre es leichter einen Ersatz zu finden sollte mit einem Admiral etwas passieren. In diesem Fall wird sein Assistent einfach in diesen Status erhoben. Das sagt also auch einiges über Lester Stacks Kraft aus. Er ist übrigens der Assistent mit dem niedrigsten Rang, was viele hohe Tiere in der Marine sehr verärgerte. Man hat ihn glaube ich der ‚purpurnen Spinne’ zugewiesen.“

„Du kennst dich verdammt gut in der Marine aus. Wie kommt das?!“

„Bei unserem letzten Treffen vor einem halben Jahr hat James mir so manche Information bezüglich der Marine gegeben.“

„Puh… was für eine Vergangenheit. Hey, sag mal…“

„Argh! Verdammt,“ brüllte Tyke plötzlich los und schlug mit seiner rechten Hand, die er zu einer Faust geballt hatte, in seine linke Handfläche.

„Was ist den los?!“

„Ich hab das coole Mädchen schon wieder aus den Augen verloren.“

„Welches Mädchen?“

„Na die, mit den Teufelskräften. Die auch auf dem Schiff von diesem dicken Zirkusdirektor war.“

„Da muss ich wohl gerade abwesend gewesen sein. Ich weiß echt nicht wen du meinst.“

„Mensch, die war ziemlich interessant. Ich will sie unbedingt in meiner Bande haben.“

„Was du willst und bekommst, sind zwei Paar Schuhe.“

„Ich will sie aber,“ jammerte Tyke und machte große, traurige Hundeaugen.

„Und was soll ich machen? Sie aus meinem Hut zaubern?!“

„Du bist doch Magier!“

„Illusionist, kein Magier. Magie gibt es nicht wirklich, dass sind nur Taschenspielertricks.“

„Du bist kein Magier?!“

„Nein.“

„Wirklich nicht?“

„Nein!“

„Echt nicht?“

„Nein!,“ schrie Aisuru inzwischen sichtlich genervt.

„Dann will ich dich nicht mehr,“ behauptete Tyke mit verschränkten Armen und geschlossenen Augen.

„Wie bitte?! Der ganze Stress umsonst?! Ich bring dich um!,“ brüllte der ehemalige Magier wütend und begann seinen neuen Kapitän zu strangulieren.

„Uwaaah! Lass mich los… Hilfe! HILFE!“

„Stirb!“

Die beste Köchin des West Blues

„Wo sind wir hier?“

„Keine Ahnung. Als ich deiner Geschichte zugehört habe, habe ich nicht mehr auf den Kurs geachtet.“

„Toller Navigator.“

„Klappe.“

„Ich brauch dich echt nicht. Kein Magier, schlechter Navigator. Was kannst du eigentlich?“

„Dich gleich töten, wenn du nicht still bist, Tyke!“

„Bitte nicht,“ jammerte dieser und legte sein Kinn auf den Rand ihres kleinen Bootes.

„Hmmm… wir erreichen bald eine Insel.“

„Woher willst du das so plötzlich wissen, ich dachte du hast den Kurs verloren?!“

„Das bedeutet nicht, dass ich nicht weiß wo wir sind.“

„Weißt du auch, welche Insel das ist?“

„Ich bin mir nicht sicher, aber es könnte die Marineinsel Ironbase sein.“

„Eine Marineinsel? Das wird ja immer besser.“
 

* * * * *
 

„Wo bleibt das verdammte Essen?,“ hallte es durch die Gänge der Marinebasis, die scheinbar einsam und verlassen dalagen. Doch in Wahrheit mussten die Soldaten der Basis wie die Tiere im Keller schufften.

„Dieser elendige Fresssack… will ständig was aufm Tisch haben, kann aber nie warten,“ beschwerte sich der Chefkoch der basisinternen Küche und schnitt mehrere Karotten gleichzeitig in feine Scheibchen, „und wo steckt überhaupt Nina, verdammt noch eins?“

Die Küche war neben dem Keller der aktivste Punkt der Basis. Und jeder der in der Küche arbeiten durfte, war auch froh darüber. Man hatte es dort einfacher. Viel einfacher.

„Ich glaube sie ist wieder bei den Kindern,“ rief einer der Köche und schmeckte danach seine Suppe ab.

„Verdammt noch eins! Wenn das Kapitän Nelson erfährt rastet er wieder aus. Kümmert ihr euch um die Mahlzeit. Ich suche das störrische Ding.“

„Jawohl, Chefkoch,“ riefen die jungen Köche und strengten sich umso mehr an, um ihren Meister auch nicht zu enttäuschen. Aber auch, weil sie die Strafe des Kapitäns fürchteten, sollte ihm das Essen missfallen. Denn dieser hatte unglaublich hohe Ansprüche.

Der Chefkoch dagegen legte seine Kochmütze ab, samt Schürze, und verließ die große Küche schnellen Schrittes. Er musste sich beeilen, bevor sein Fehlen oder das von Nina entdeckt wurde. Schon oft hatte sich das Mädchen aus der Küche geschlichen, um frische Nahrungsmittel an die heimatlosen Straßenkinder zu verschenken. Er selbst hatte nie ein Problem mit ihrem Verhalten gehabt. Er fand es sogar gut, dass sich wenigstens ein Mensch auf dieser gottverlassenen Insel um die armen Kinder kümmerte. Doch seit vor fünf Monaten ein neues Befehlshabende Mitglied der Marine, Kapitän Nelson, die Marineinsel übernommen hatte, hatte sich so einiges geändert. Er tolerierte Ninas Verhalten nicht, denn in seinen Augen waren die eigentlich Schutzbedürftigen Jungen und Mädchen nichts anderes als potentielle Diebe und Kriminelle. Die womöglich eines Tages Banditen oder, schlimmer noch, Piraten werden könnten. Er wollte sie lieber jetzt verhungern sehen, als ihnen die Möglichkeit zu geben eine Bedrohung in naher Zukunft werden zu können.

Der Chefkoch glaubte jedoch, dass der Kapitän ihnen damit auch die Chance nahm, etwas ganz anderes zu werden. Großartige Mitglieder der Marine, stolze Piratenjäger, einfache Bürger ohne Berufe, die dem Wohle der Welt dienlich sein könnten. Wäre noch der alte Befehlshaber hier, hätte er eine solche Einstellung von Seiten der Marine niemals toleriert oder akzeptiert, geschweige denn zugelassen. Er fehlte allen Bewohnern der Insel. Aber ganz besonders Nina.

„Da sind zwei Esel aufeinander getroffen,“ nuschelte er in seinen buschigen Schnauzer hinein.

Natürlich meinte er mit seiner Bemerkung niemand anderes als Nina und Kapitän Nelson. Schon oft waren sie einander in die Haare geraten, aufgrund ihrer unterschiedlichen Ansichten. Doch würde er sich hüten einem von Beiden dies ins Gesicht zu sagen. Schließlich waren alle Beide jähzornig und außergewöhnlich starke Kämpfer. Schon so mancher Pirat – der es gewagt hatte die Insel anzugreifen oder versuchte von hier zu fliehen – wurde von ihnen beinahe zu Tode geprügelt.

Denn ein weiterer Punkt, der sie verband war ihr eiserner Glauben in die Gerechtigkeit der Marine, auch wenn sie ihn unterschiedlich auslebten und auch zeigten. Gnade war aber für jeden von ihnen ein Fremdwort. Nina war beispielsweise davon überzeugt, dass die Marine die Menschen zu beschützen habe und ihnen helfen müsse, egal auf welche Art und Weise. Nelson dagegen vertrat die Überzeugung, die Marine müsse jegliche Art von Gefahr bereits im Keim ersticken, um so eine sichere Welt zu erschaffen. Unterschiedlicher hätten ihre Gedanken aber nicht sein können.

Der Chefkoch selbst mochte Ninas Ansicht der Marine weitaus mehr. Womöglich weil er wusste, woher sie diese hatte. Der ehemalige Leiter der hiesigen Marinebasis war ein guter Mensch gewesen und auch er hatte diese Ansicht vertreten. Er war der Grund gewesen, warum Nina der Marine beigetreten war und gleichzeitig sich zum Koch ausbilden ließ. Obwohl ihr Leben immer doppelt so hart war, wie das der anderen Kadetten und Küchenburschen, hatte sie sich nie beschwert und immer den größten Erfolg aufweisen können. Sie hatte gekämpft um Leben zu dürfen und einen Platz in der Welt beanspruchen zu dürfen. Ein erstaunliches Weib. Das musste auch er eingestehen.

Allmählich näherte er sich der Geheimbasis der Straßenkinder. Das ‚Fort Nina’… benannt nach der Frau, die ihnen so viel half. Es lag abseits der kleinen Stadt, die direkt um die Marinebasis gebaut worden war wie ein schützender Ring. Menschen als lebender Schutzwall.

Hinter dem Fort kam nur noch ein dichter und finsterer Wald. Viele unheimliche Geschichten kursierten über ihn und aus diesem Grund wagten sich die Straßenkinder nur an seinen Rand, um etwas Feuerholz zu sammeln oder um Bäume zu fällen für ihr Heim.

Nur er selbst und Nina kannten den Weg zum Fort, weil die Kinder nur noch ihnen blindlings vertrauten. Es lag versteckt genug, dass die meisten Bewohner der Insel – wenn sie sich denn mal in den Wald wagten – das Fort nicht bemerkten. Aber der beste Schutz war der Wald an sich. Denn nicht nur die Straßenkinder wagten sich kaum hinein, sondern auch die anderen Inselbewohner. Angst war ein hilfreiches Mittel. Das wusste Nelson auf seine Weise und auch die Straßenkinder.

Als er endlich sein Ziel erreicht hatte, stand er vor einem gut drei Meter hohen, hölzernen Schutzwall. Dieser wirkte jedoch lächerlich, wenn man bedachte, dass er gerade einmal stabil genug war, um aufrecht stehen zu bleiben und nicht beim erst besten Windhauch umzufallen.

„Wer wagt es die Ruhe des Forts zu stören?,“ rief eine kindliche Stimme aus dem Inneren.

„Hört auf mit den Spielereien. Ich will zu Nina!“

Er konnte hören, wie von innen ein Balken zur Seite geschoben wurde und kurz darauf öffnete sich das hölzerne Tor. Vor Wut kochend, betrat der Chefkoch stampfend die kleine Welt der Straßenkinder.

Hier lebten etwa zwei Dutzend Mädchen und Jungen im Alter von sechs bis siebzehn Jahren. Einige von ihnen hatten sich in der Mitte ihres Forts versammelt, um ein Feuer zu entzünden. Es diente abends nicht nur um sie zu wärmen, sondern auch um sie vor den wilden Tieren des Waldes zu schützen.

Kaum hatte er sie erblickt, diese armen ausgehungerten Geschöpfe, tat ihm sein Herz weh. Sie waren Verstoßene, die man in der Stadt nicht sehen wollte. Waisenkinder die von Niemandem geliebt wurden, von Niemandem außer Nina. Ihre mageren Körper und zerlumpten Kleider sahen grausam aus. Auch ihre provisorischen Hütten innerhalb ihres Forts waren ein weiteres Beispiel dafür wie schlecht es ihnen eigentlich ging.

Früher hatten die älteren Kinder wenigstens Arbeit in der Stadt gefunden und wurden irgendwann als normale Bürger dort aufgenommen. Doch seit Nelson hier war, hatten sie diese Möglichkeit nicht mehr. Diese Chance der Geld- und Nahrungsbeschaffung existierte einfach nicht mehr. Da Nelson jeden Bürger, der den Waisenkindern half, für eine Nacht in die Arrestzelle steckte oder mit Peitschenhieben strafte. Er war wie ein kleiner Tyrann, der die Insel unter seinem eisernen Griff terrorisierte.

Der Schnauzenträger hoffte, dass sich bald ein Schimmer der Hoffnung am düsteren Firmament des Forts zeigen würde. Er würde es den Ärmsten der Armen mehr als nur gönnen.

„Chefkoch, wieso sind sie hier?,“ ertönte plötzlich eine Stimme und riss ihn aus seinen traurigen und beinahe schon düsteren Gedanken.

Es war Nina, die gerade aus der größten Hütte trat. Sie gehörte dem Ältesten aller Straßenkinder, der allein dadurch zu ihrem Anführer ernannt worden war. Ein stolzer und gutmütiger Junge. Der Chefkoch war froh, dass er die Straßenkinder anführte. Doch anstatt sich weiter seinen Gedanken hinzugeben, blickte der Lehrmeister von Nina zu eben dieser und musterte sie streng.

Nina trug ein weißes Hemd, welches vorne – kurz unter ihrer Brust – zusammengeknotet war, so dass man ihren schlanken Bauch sehen konnte. Ihre Hosenbeine waren bis knapp über die Knie hochgekrempelt, weshalb auch ihre schlanken aber dennoch kräftigen Waden zur Geltung kamen. Und ihre dunkelrote Haarmähne wehte sanft im Wind des Waldes, wodurch sie zum eindeutigen Blickfang wurde. Wild und dennoch bezaubernd. Am besten konnte man sie mit einer Amazone vergleichen.

„Ich brauch dich in der Küche, du stures Weib! Du weißt, dass es Ärger mit Kapitän Nelson gibt, wenn er erfährt, dass du dich wieder hier herumtreibst.“

„Machen sie ihr keine Vorwürfe, verehrter Chefkoch. Ich habe sie gerufen,“ meinte eine weitere Stimme und kurz darauf trat aus der Hütte, aus der schon Nina zuvor gekommen war, ihr Besitzer heraus.

Es war der Anführer der Straßenkinder höchst persönlich, Allen. Doch zu Chefkochs entsetzen, sah er alles andere als gut aus. Seine sonst so gesunde Haut wirkte fahl und trocken. Sein rechtes Bein war bandagiert, weshalb er sich auf eine Krücke stützen musste und da er nichts weiter als eine alte zerlumpte Hose trug, konnte man deutlich seinen ausgehungerten Körper sehen. Allen schien beinahe nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen. Das Bild eines zum verhungern Verurteilten.

„Ich habe die beste Köchin des West Blues gebeten zu kommen, da es mir nicht so gut ging. Ich fürchte, dass ich nicht mehr lange aushalte. Der Hunger bringt mich im wahrsten Sinne des Wortes um.“

„Oh mein Gott, Allen! Was ist passiert?“

„Das Fort beherbergt zu viele Kinder. Wir können nicht mehr alle ausreichend ernähren. Die Ältesten des Forts entschlossen sich daher dazu ihre Rationen zu verkleinern. Ich persönlich habe meine Ration sogar gänzlich an die jüngeren abgegeben. Durch die Zwangsarbeiten des Kapitäns werden viel zu viele Kinder zu Waisen und dann verstoßen. Das Fort hat seine Grenzen erreicht.“

„Er hat seit langer Zeit nichts mehr gegessen. Sein Körper besitzt so gut wie keine Fettreserven mehr. Ich bin kein Arzt, aber ich weiß, dass wenn es so weitergeht mit ihm, sein Körper sich selbst verdauen wird. Und da er so schwach ist, hatte ich ihm eigentlich verboten aufzustehen. Es ist jetzt das erste Mal seit Wochen, dass er seine Hütte verlassen hat. Doch es reicht jetzt, Allen. Leg dich auf der Stelle wieder in deine Hütte und iss die Lebensmittel, die ich dir gebracht habe.“

„Nein. Gib sie lieber den Jüngeren.“

„Allen, diskutier lieber nicht mit diesem Esel von Frauenzimmer. Befolg ihre Anweisungen, sonst werde ich das für dich übernehmen. Bei deiner Verfassung wirst du dich kaum wehren können,“ baffte der Chefkoch und kam damit der feurigen Köchin zur Hilfe. Auch wenn sie diese eigentlich nicht bedurfte.

Zwar blickte der junge Anführer den bärtigen Mann erstaunt an, nickte dann jedoch lächelnd und betrat wieder sein privates Reich. Kaum hatte er seine beiden Gäste verlassen, blickte die Rothaarige verzweifelt zu ihrem Küchenchef. Doch dieser blickte nur betrübt zu Boden. Er wusste was sie dachte, jedoch wusste er nicht wie sie den Kindern, und vor allem Allen, helfen konnten.
 

* * * * *
 

„Gut, dass wir bisher nur mit einem kleinen Kahn unterwegs waren. Dadurch hatten wir noch keine Piratenflagge am Mast und konnten Sorglos hier ankern,“ meinte Aisuru betrübt, nachdem er dem Hafenmeister die Gebühr für den hiesigen Hafen gezahlt hatte, „und außerdem geht uns das Geld aus.“

Noch betrübter sah er in seinen Geldbeutel. Wenigstens er besaß noch ein paar Berry, ganz im Gegensatz zu seinem Kapitän.

„Huuuuunger…,“ jammerte Tyke und lag schlapp auf dem Boden.

„Mensch, jetzt steh schon auf… Das ist ja peinlich mit dir!,“ beschwerte sich der Schönling, als er bemerkte wie ein paar reizende Damen über die beiden Piraten kicherten und unter sich witzelten.

So etwas war er einfach nicht gewohnt. Schließlich war sein Nachname mit einem Ruf verbunden, den es zu verteidigen galt. Dem Ruf eines Frauenschwarms. Was seinerseits auf Vorteile einbrachte.

„Ich will was essen.“

„Ich ja auch. Aber ich schmeiß mich wenigstens nicht in den Dreck.“

„Ich habe aber bis auf eine Kleinigkeit bei Jim kaum was richtiges gegessen,“ meinte Tyke und verschwieg lieber, dass er von Jims Mutter ein wahres Festmahl vorgesetzt bekommen hatte, welches einem Adligen in Neid versetzt hätte.

Eigentlich bekam er nie so schnell Hunger, doch die Flucht von der letzten Insel, der vorherige Kampf und die Geschichte die er Aisuru erzählte, forderten ihren Tribut in Form von Energie. Energie, die er nur mit etwas Essbarem wieder herstellen konnte.

„Hareharehare, ihr seid ja zwei Landradd’n,“ lachte plötzlich eine tiefe Stimme hinter Aisuru und als dieser sich umdrehte, sah er in das breite Grinsen eines dicklichen Mannes.

„Hey! Wir sind keine Landratten! Wir sind stolze Pira…au!,“ wurde Tyke durch einen kräftigen Tritt seitens Aisuru unterbrochen.

„Was sollte das?!“

„Bist du bekloppt? Wir sind auf einer Marineinsel. Du darfst nicht rumposaunen, dass wir Piraten sind. Sonst haben wir mächtigen Ärger, können nichts essen und müssen sofort wieder abhauen.“

„Och nööööö. Ich hab doch so einen Hunger,“ jammerte der Kapitän erneut und kullerte auf dem Boden herum.

„Wenn ihr Hunger habd, dann sollded ihr ma’ schau’n, ob ihr die Marineköchin Nina im Resdaurand ihres Ziehvaders finded. Die is’ die Besde Köchin weid und breid.“

„Danke, Sir,“ antwortete Aisuru dankbar und drehte sich zu Tyke um, doch dieser war plötzlich wie vom Erdboden verschluckt, „Häh? Wo ist der Knallkopf schon wieder hin?! Nichts als Ärger hat man mit dem.“
 

* * * * *
 

Nachdem Tyke diese viel versprechende Aussage gehört hatte, war er aufgesprungen und losgerannt um die ominöse Wunderköchin zu finden. Wenn er Hunger bekam, setzte bei dem Rotschopf der Verstand meist völlig aus. Einen Umstand den schon seine Mutter gehasst und den auch Loris ihm immer wieder unter die Nase gerieben hatte. Zum Glück trat dieser Umstand nur ein, wenn er sich wirklich verausgabte. Den Kopf hin und herschleudernd, rannte er mit ungeheurem Tempo durch die Straßen der Stadt. Als er dabei mit voller Geschwindigkeit um eine Ecke spurtete, krachte er leider mit der gesamten Wucht seines Spurtes gegen etwas Großes und Stabiles.

„Argh! Das kommt mir doch bekannt vor,“ meinte er sich den schmerzenden Hintern reibend und blickte auf, um zu sehen gegen wen oder was er da eigentlich gerannt war.

Dabei erblickte er die boshaftesten und zornigsten Augen die er je gesehen hatte. Sie waren so schrecklich, dass selbst er – und Tyke hatte so einige boshafte Blicke in seiner Zeit auf Loris’ Schiff gesehen – erschrak und in der Bewegung an sich, noch zur Salzsäule erstarrte. Dabei schien er einen ziemlich belustigenden Eindruck zu machen, da die Menschen um ihn herum sich über ihn schlapp lachen mussten.

Der Mann, dem die zornigen Augen gehörten, dagegen fand es ganz und gar nicht lustig. Er packte Tyke an seinem schwarzen Hemdkragen und stemmte ihn in die Luft, als wiege dieser nichts. Er aber – in seiner Furcht vor dem Mann, der außerdem wohl noch zur Marine gehörte – befand sich immer noch in seiner seltsamen Schreckpose und wagte sich nicht, auch nur einen Millimeter zu bewegen.

„Pass auf wo du hinrennst, du Balg,“ warnte der Fremde ihn und schleuderte Tyke gegen die nächst beste Wand. Und zwar mit einer so enormen Kraft, dass er durch eben diese krachte und sie teilweise zum Einsturz brachte. Die Passanten blickten entsetzt zu dem Jungen und dem Mann der Marine. Der Ärmste war zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen.

„Habt ihr den Chefkoch und diese Nina endlich gefunden?,“ fragte er anschließend einige Marinesoldaten, die zu ihm heran geeilt waren.

„Nein, Kapitän Nelson.“

„Dann sucht weiter, ihr Idioten! Wenn ihr sie nicht bald findet, dann lasse ich euch ein halbes Jahr ohne Lohn schuften. Elendige Köche. Dachten sie ich würde ihr Fehlen nicht bemerken?“

„J-Jawohl, Sir!“

Die Marinesoldaten verteilten sich augenblicklich wieder in alle Himmelsrichtungen auf der Suche nach den beiden Marineköchen. Kapitän Nelson dagegen blieb jedoch genervt an seinem Platz stehen und spuckte auf den Boden. Er war es langsam Leid, diesem Weib hinterher rennen zu müssen.

Er war es Leid auf dieser Insel stationiert zu sein.

Er wollte wieder aufs Meer hinaus, doch hatte er es sich mit der Führungsspitze der Marine ein wenig vermasselt, weshalb er nun hier gelandet war. Auf einmal kam ihm eine Idee, wo Nina sein könnte. Kaum war er einige Schritte gegangen, bewegten sich die Steine, unter denen Tyke begraben lag. Dabei hatte der Marinekapitän geglaubt, dass dieser Bursche erst einmal einen Besucht ihm Krankenhaus nötig haben würde. Verwundert blickte er daher über die Schulter und wartete gespannt was nun geschah.

„Uaaaawh! Ich dachte schon, ich ersticke unter dem Gerümpel. Puuuuuh. Glück gehabt kann man da nur sagen. Hey, du! Das war unfair! Meinen Zustand so schamlos auszunutzen! Außerdem stell dich hinten an. Ich wollte zuerst bei Nina essen!,“ posaunte der Rotschopf herum und deutete dabei mit seinem Zeigefinger auf Kapitän Nelson.

Kaum hatten die Worte seinen Mund verlassen, blickten die Passanten zum zweiten Male entsetzt zu ihm. Doch verstand er nicht was sie alle hatten. Schließlich konnte er nicht wissen, dass sie schon so manchen Jungspund erlebt hatten, der respektlos Kapitän Nelson gegenüber gewesen war und dass mit dem Leben bezahlen musste. Denn Gnade war nun einmal ein Fremdwort für den Kapitän.

Langsam drehte sich dieser zu Tyke um und strafte ihn erneut mit einem seiner finsteren Blicke. Seine kopfgroßen Bizepsmuskeln spannten sich unter dem schwarzen Smoking, mit dem Symbol der Marine auf der linken Brust, an und zerrissen beinahe den edlen Stoff.

„Du frecher Bengel suchst wohl Streit. Nicht in meiner Basis!,“ noch ehe er zu Ende gesprochen hatte, rannte er bereits auf Tyke zu und wollte diesem mit seiner mächtigen Faust niederschlagen. Er sollte zu spüren bekommen, was es bedeutete einen Marinekapitän zu verärgern.

Tyke aber packte diese einfach und stoppte dadurch ohne größere Mühe den Schlag seines Gegners. Verblüfft sahen die Passanten zu den beiden Kontrahenten. Sie erahnten, dass es zum Kampf kommen würde und versteckten sich, um nicht ebenfalls Opfer eines Angriffs zu werden.

„Was zum…,“ doch weiter kam Nelson nicht, da sein rothaariger Gegner ihm mit dem Fuß gegen sein Kinn trat, wodurch es den hünenhaften Kapitän von den Beinen fegte und dieser bewusstlos zu Boden krachte, welcher unter dem Aufprall sogar Risse bekam..

„Man sollte vorsichtig sein, wen man sich zum Feind macht. Auf der Grand Line, werden Kerle wie du es bist, nämlich als Frühstückssnack angesehen. Und nun such ich mal diese Köchin. Wenn sie wirklich so toll ist, will ich sie in meiner Bande haben. Schließlich sollte der Piratenkönig nur das Beste zu essen bekommen, haha!,“ brüllte Tyke lachend und machte sich wieder auf die Suche.
 

* * * * *
 

„Schließlich sollte der Piratenkönig nur das Beste zu essen bekommen, haha!,“ hörte Aisuru Tyke herumschreien und legte sein Gesicht in seine rechte Handfläche.

„Dieser Trottel. Was hatte ich ihm eben gesagt?! Nun ja, egal. Ich sollte ihn lieber suchen gehen und auch schnellstens finden. Ehe die Marine das für mich übernimmt,“ entschied er leise für sich.

Auf einmal rannten mehrere Leute aufgeregt an Aisuru vorbei, zurück in Richtung Hafen. Verblüfft sah er ihnen nach und packte kurzerhand einen am Arm, um ihn zu fragen weshalb alle so aufgeregt waren.

„Hey, was ist hier los? Wohin rennt ihr alle?“

„Vizeadmiral Ne Lasag ist zurückgekommen. Er war einst Kommandant dieser Insel, bis er ersetzt wurde. Und nun scheint er zurückgekommen zu sein. Endlich! Das ist für uns ein Tag der Freude,“ erklärte der Mann und riss sich schließlich wieder von dem Blauhaarigen los.

„Vi-Vizeadmiral?! Verdammt… Das wird ja immer schlimmer. Und dabei fängt unsere Reise doch erst an.“

Sich um Tyke und ihre Situation Sorgen machend blickte Aisuru in den Himmel. Nun wo sein Kapitän herumposaunt hatte, dass er ein Pirat war, sollten sie schnellstens wieder abhauen. Bevor dieser Vizeadmiral Wind davon bekam und sich entschließen könne, auf sie Jagd zu machen. Aisuru hatte nun wahrlich keine Lust bereits zu Beginn ihrer abenteuerlichen Reise auf einen so mächtigen Gegner zu treffen. Vor allem da Tyke ohne Eisenspäne seine Teufelskraft nicht effektiv nutzen konnte.

Vielleicht fand er ja einen Schmied irgendwo, der ihm für seine letzten Berry einen Sack voll verkaufen würde. Auf jeden Fall musste sich der ehemalige Magier beeilen.

Vertrieben aus dem Garten Eden

„Wir sollten erst einmal weg von hier. Wenn Kapitän Nelson uns hier findet, dann hilft das den Kindern auch nicht,“ meinte der Chefkoch und Nina nickte nur, da sie wusste dass er Recht hatte.

Sie betrat kurz noch einmal Allens Zelt, um sich zu verabschieden und verließ danach gemeinsam mit ihrem Küchenchef das kleine Fort. So schnell sie konnten eilten sie zurück zur Stadt. Sie hatten schon genug Zeit verplempert und sollten es daher nicht weiter übertreiben.

Beide sprachen unterwegs kein Wort, doch konnten sie sich denken, was dem jeweils Anderen gerade auf der Zunge lag. Der Chefkoch – dessen Name im Grund keiner so richtig wusste , weil er ein Geheimnis darum zu machen schien, und der seinen Schützlingen lediglich als Chefkoch bekannt war, da sie ihn unter diesem ‚Namen’ kennen gelernt hatten – wusste warum Nina den Straßenkindern helfen wollte. Einst war sie auch eine von ihnen gewesen.

Der ehemalige Befehlshaber der Marinebasis hatte sie auf die Insel mitgebracht, jedoch war sie kurz daraufhin abgehauen. Es war eine Trotzreaktion gewesen, da sie ihn zum damaligen Zeitpunkt gehasst hatte, für das was er getan hatte.

Sie hatte sich anschließend in ihrer einsamen und hilflosen Lage den Straßenkindern unter der damaligen Führung von Doozer angeschlossen und bei ihnen zwei ganze Jahre lang gelebt. In der Zeit hatte der Vizeadmiral höchst persönlich den Kindern Nahrungsmittel gebracht und manchmal sogar frisch für sie vorbereitet. Nina hatte damals erkannt, wie wichtig und kostbar Essen doch war und so hatte sie eines Tages eingewilligt mit ihm zur Marinebasis zu gehen, um dort das Kochen zu lernen. Ihren besten Freund, den sie im Fort kennen gelernt hatte, wurde nach einiger Zeit der neue Anführer der Straßenkinder, da Doozer sich danach sehnte Abenteuer auf dem Meer zu erleben.

Der Chefkoch hatte sie damals einige Zeit nach ihrer Ankunft in der Marinebasis bei sich aufgenommen. Er war so etwas wie ihr Vater geworden, doch waren sie Beide sich einig gewesen, dass sie ihn niemals so nennen sollte.

Eigentlich hatte er sie nicht bei sich aufnehmen wollen, aber der Vizeadmiral – dessen Spitzname „Marinekoch“ war – hatte es ihm befohlen und so hatte sich der Chefkoch seinem Willen schließlich beugen müssen. Ne Lasag hatte Nina eine große Zukunft in der Marine voraus gesagt und auch er selbst glaubte an diese Vorhersage. An Ninas Können als Kämpferin und als Köchin.

Mit ihren Kochkünsten und ihrer Kampfkraft könnte sie sicherlich einmal in Ne Lasags Fußstapfen treten, wenn sie es wollen würde. Vielleicht sogar ihn übertreffen.

Eigentlich war es nie ihr Wunsch gewesen, der Marine bei zu treten, nachdem Ne Lasag sie aber schon hatte überreden können zur Marinebasis zu kommen, um dort von ihm das Kochen zu erlernen, hatte es nicht mehr lange gedauert, bis sie sich auch dort als Marinesoldatin einschrieb.

„Gehen wir zum Restaurant oder in die Marinebasis?,“ durchbrach sie schließlich die bedrückende Stille.

„Zum Restaurant. Ich brauche noch einige Zutaten von dort,“ entschied der Chefkoch kurzerhand.

Kaum hatten sie die Stadt betreten, wurden sie bereits von mehreren Marinesoldaten mit gezückten Schwertern umzingelt.

„Was soll das?“

„Kapitän Nelson sucht nach euch. Leistet bitte keinen Widerstand, sondern kommt freiwillig mit uns zur Basis.“

„Wir waren nur ein paar Kräuter im Wald suchen,“ log Nina.

„Ich sagte keinen Widerstand,“ meinte der Soldat erneut und richtete sein Schwert auf sie.

„Wir müssen erst einige Zutaten aus meinem Restaurant holen,“ sprach der Chefkoch trocken und machte sich auf, dies auch in die Tat umzusetzen.

Er ließ die verblüfften Soldaten einfach so dastehen. Aber einer der Soldaten konnte diese schnell überwinden und rannte doch noch auf ihn zu. Als er ihn eingeholt und überholt hatte, stellte er sich vor den Schnauzerträger und hielt diesem seine Schwertklinge an die Kehle.

„Habt ihr meine Worte nicht verstanden? Ihr sollt direkt mit zur Marinebasis kommen.“

„Kleiner, wenn dir dein Leben lieb ist, nimmst du deinen kleinen Zahnstocher weg,“ grummelte der Chefkoch wütend und blickte zornig zu dem Soldaten.

Dieser wich eingeschüchtert zurück und nach kurzem zögern gab er schließlich den Weg frei. Man sollte sich eben nie mit einem wütenden Koch anlegen.
 

* * * * *
 

Jemand klopfte kräftig gegen Kapitän Nelsons Tür, woraufhin dieser nur ein kurzes „Herein!“ brüllte.

Als sich die Tür öffnete, blickte ein verschüchterter Soldat herein und meldete, dass der Chefkoch und seine Oberköchin Nina inzwischen gefunden worden waren und nun in der Marinebasis eingetroffen seien. Er verschwieg dabei lieber den Umweg, denn sie hatten machen müssen, weil der Chefkoch seinen Willen hatte durchsetzen wollen.

Augenblicklich stand der Kapitän auf, mit einem Eisbeutel in der rechten Hand, und eilte in das Foyer, wo man die Beiden hingebracht hatte. Dort standen sie. Auf den Kapitän wartend. Er ließ sich Zeit und betrachtete sie eingehend, während er sich ihnen näherte.

„Hahahaha, wie sehen sie den aus?!,“ prustete Nina lauthals los, als sie Nelsons demoliertes Gesicht sah.

Sie war vermutlich die Einzige in der Basis die sich das Leisten konnte, ohne von Nelson halbtot geprügelt zu werden, da sie es mit ihm jederzeit aufzunehmen vermochte.

Vielleicht war es sogar so, dass der Kapitän sie niemals angriff, weil er fürchtete, dass sie sogar stärker als er sei und ihn halbtot prügeln würde. Der Chefkoch dagegen sah nur erstaunt zu Nelson und wunderte sich ebenfalls, wer dies auf der Insel geschafft haben solle. Es kam einfach niemand in Betracht, es sei denn ein Fremder von einer anderen Insel hatte dem Kapitän dies angetan. Anders lies es sich nicht erklären.

„Ich bin nur hingefallen. Mehr nicht.“

„Natürlich… Hahahaha… Hingefallen! Mitten in die Faust von jemand Anderem, oder was?“

„Fuß…,“ nuschelte ein Soldat kaum merklich neben Nina.

„Was?! Ihn hat einer ins Gesicht getreten?! Das ist zu göttlich. Hahahaha!“

„Soldat, du schälst für den Rest des Monats Kartoffeln und dein Sold wird in dieser Zeit auch gestrichen,“ schrie Nelson daraufhin wütend, da auch er die Randbemerkung mitbekommen hatte.

„J-Jawohl, Sir. Verzeihung für meinen Verrat, Sir.“

„Und nun zu euch Beiden. Wo wart ihr?“

„Kräuter sammeln. Aber ohne dabei mit dem Gesicht voraus in fremde Füße zu fallen. Hahahaha,“ Nina genoss die Situation sichtlich und war nicht mehr in der Lage ihre Grenze zu erkennen.

Sie musste diesen Moment einfach in vollem Maße mit all möglichen Anspielungen, die ihr nur einfielen, auskosten. Nelsons Gesicht dagegen errötete sich bereits vor Wut und er drohte jeden Moment völlig auszurasten. Einen solchen Zorn hatte noch keiner der Soldaten in Nelsons Gesicht erkennen können. Und wollte es auch nie wieder.

Auf einmal eilte der Kapitän, mit zwei großen Schritten, auf Nina zu und schlug ihr mit seiner ganzen Kraft ins Gesicht. Aufgrund des überraschenden Angriffes und ihrem Lachkrampf, hatte sie es nicht geschafft der Attacke ihres Angreifers auszuweichen. Der Treffer warf sie zu Boden, wo sie hart aufschlug und für einen Moment auch benommen und überrascht liegen blieb.

„So! Nun mir scheint, du bist auch in eine Faust gerannt. Miststück!,“ schrie er sie dabei erzürnt an.

Nina richtete sich schwerfällig auf, da der Schlag ihr doch mehr zusetzte, als sie zugeben wollte, und funkelte den Marinekapitän zornig an. Ein wenig Blut rann ihren Mundwinkel hinab und als sie dies bemerkte, wollte sie bereits auf ihren Vorgesetzten zustürmen und sich dafür revanchieren. Doch der Chefkoch streckte seinen Arm aus und hielt sie dadurch auf. Sie wusste, dass er es nur gut meinte und sie hatte zu viel Respekt vor ihm, um sich über diese Geste hinwegzusetzen.

„Lass es, Nina.“

„Genau, Obergefreite Nina. Hör auf den alten Trottel. Sonst findest du dich bald auf einem Gerichtsschiff wieder! Also, wo wart ihr wirklich?“

„Wir waren im Fort der Straßenkinder. Sie sind am verhungern. Wir müssen ihnen helfen,“ erklärte der Chefkoch.

„Nein, müssen wir nicht. Je eher diese Plage ausgemerzt ist, umso eher können wir uns wichtigeren Dingen zuwenden.“

„Aber Kapitän, es sind Kinder! Sie könnten einst großartige Menschen werden, wenn wir ihnen helfen,“ versuchte der Chefkoch es erneut.

„Oder gefährliche Piraten. Sie sind ja jetzt schon eine Diebesbande. Nein, so weit lasse ich es nicht kommen. Und nun geht mir aus den Augen. Ich will endlich was zu essen haben.“

Die Soldaten brachten – etwas rabiat – die beiden Köche zurück in die Küche, damit sie sich ihrer Aufgabe zuwenden konnten.

Als der Trupp von Marinesoldaten Nina und den Chefkoch außer Sichtweite gebracht hatten, wand sich Nelson an seinen, so wie er glaubte, treusten Leutnant: „Nimm dir so viele Männer mit, wie du willst. Ich möchte, dass ihr dieses stinkende Holzgebilde, oder was es auch sein mag, in dem dieses Lumpenpack lebt, dem Erdboden gleich macht. Findet es bis heute Abend und zerstört es. Keiner soll euren Angriff überstehen! Hast du verstanden?“

„Aber, Sir!“

„Willst du dich mir widersetzen?“

„N-Nein, Sir. Wie sie befehlen, Sir.“
 

* * * * *
 

Seit geraumer Zeit saßen Aisuru und Tyke nun schon vor dem Restaurant ‚Seemeile’ in dem die Köchin Nina arbeiten solle. Aisuru hatte seinen Kapitän glücklicherweise angetroffen, als er beim örtlichen Schmied wie geplant einen Sack voller Eisenreste gekauft hatte. Dieser war durch die Straßen herumgeirrt, da er eigentlich keinerlei Ahnung hatte wo die Spitzenköchin eigentlich arbeitete.

Vom Schmied erfuhren sie schließlich den Namen des Restaurants und den Weg dorthin. Und seit dem saßen sie schon hier. Mit knurrenden Mägen und jeder Menger schlechter Laune.

„Tyke, lass uns doch woanders hingehen. Ich hab einen riesigen Kohldampf und wer weiß wann dir hier öffnen.“

„Nein.“

„Wieso denn nicht? Ich dachte du hast auch so mächtigen Hunger.“

„Habe ich auch. Aber du hast den Schmied gehört. Er sagte, dass dies das Restaurant vom diesem Chefkoch und seiner Oberköchin Nina sei und dass sie jeden Abend erst um sieben Uhr öffnen. Schließlich sind sie auch Marineköche. Da ich aber unbedingt bei dieser Nina essen will, werden wir hier warten bis sie geöffnet haben. Außerdem wenn sie wirklich so eine spitzen Köchin ist, will ich sie auch in meiner Bande haben,“ entschied Tyke und für ihn gab es daran auch nichts mehr zu rütteln.

„Denkst du echt, sie macht mit? Ich meine wenn sie für die Marine kocht, wird sie dich bei denen eher verpfeifen, oder nicht? Oder erst zusammen dreschen und anschließend verpfeifen. Die Leute scheinen vor ihr einen Heidenrespekt zu haben. Sie soll ziemlich stark sein.“

„Wieso sollte sie, ich habe nicht einmal ein Kopfgeld. Haha. Und außerdem, wenn sie auch noch kämpfen kann, ist das nur noch ein Grund mehr sie bei uns aufzunehmen.“

„Das ist nichts worüber man lachen sollte, du Rabenhirn. Übrigens… es ist schon acht… wo bleiben die denn nur? Pünktlichkeit scheint keine ihrer Stärken zu sein.“
 

* * * * *
 

„Was ist hier nur passiert?,“ fragte der blonde Mann, mit der Kochmütze.

Sein Blick, erfüllt von unbeschreiblichem Entsetzen, wanderte über das grausige Bild der Zerstörung, welches sich ihm bot.

„Offenbar wurde das Heim der Kinder zerstört, Vizeadmiral. Wenn sie mir eine Einschätzung erlauben, Sir, würde ich sagen, dass kaum Zeit verstrichen ist, seit diese Schandtat begangen wurde. Die Art der Verwüstung und die noch warme Glut des Lagerfeuers deuten daraufhin, dass es vor vielleicht ein oder zwei Stunden passierte,“ meinte einer der Soldaten salutierend.

„Vertrieben aus ihrem kleinen Garten Eden. Nicht einmal diese Zufluchtsstätte gönnt man ihnen. Was denkt sich der neue Kommandant der Marinebasis dabei eigentlich?,“ meinte Ne Lasag traurig und wischte sich die Tränen weg, die seine Wangen hinab rannen.

Es zerriss ihm beinahe das Herz. Sie hatten doch bereits soviel Leid erleiden müssen und nun war ihnen nicht einmal dieses bisschen Glück vergönnt gewesen. Wenn man sie nur schlug und trat, wie einen räudigen Köter, musste man sich nicht wundern wenn sie in Form von kriminellen Taten zurückbissen.

Eigentlich war er extra zuerst hierher gekommen, um seinen alten Freund Allen zu Besuchen. Doch hätte er niemals damit gerechnet das Fort so vorzufinden. Dabei hatte der Vizeadmiral doch allein für ihn und seine Schützlinge erlesene Speisen mitgebracht und die besten Zutaten, die er auf dem Markt von Los Birt hatte finden können, um ein gigantisches Festmahl den Straßenkindern zu zubereiten zu können.

Und nun stand er hier. Sah auf den zertrümmerten Holzwall. Die abgebrannten Hütten. Die leblosen Körper auf dem Boden.

Es waren die Leichen der älteren Kinder. Sie mussten sich den Angreifern in den Weg gestellt haben, um den jüngeren Kindern die Flucht zu ermöglichen. Den einzigen Hoffnungsschimmer, den der Vizeadmiral noch hatte war, dass er Allens Körper nicht unter den Toten fand. Ein kleiner Trost in einer solchen Stunde der Trauer.

Wieso war er nicht früher hier angekommen? Vielleicht hätte er dann dieses grausige Massaker verhindern können.

„Soldaten, begrabt die armen, namenlosen Kinder und schreibt auf ihre Grabsteine: ‚Verbannte Seelen des Garten Edens. Viel zu jung starbt ihr. Doch seid gewiss, euer Mut sich allem und jedem entgegenzustellen, wird auf Ewig von Vizeadmiral Ne Lasag bewundert’,“ befahl der Blonde seinen Mannen.

„Jawohl, Sir,“ rief der kleine Marinetrupp, der mit ihrem Vizeadmiral hierher gekommen war, unter Tränen und mit lautem Schluchzen und bedauernden Klagelauten.

Sie zögerten keine Sekunde lang und machte sich augenblicklich an die Arbeit, diese herzzerreißende Arbeit zu erledigen. Den Schmerz der Kinder teilend, zogen sie sich ihre Hemden aus und scheuten sich nicht davor sich mit der dunklen Erde der Trauer zu beschmutzen.

Ne Lasag dagegen setzte sich auf einen Stein in der Nähe und weinte…

Für jedes der toten Kinder…

Einhundert bittere Tränen der Trauer.
 

* * * * *
 

Schweigend saßen die beiden Piraten vor der Tür des Restaurants. Ihre Mägen knurrten abwechselnd um die Wette und einige der vorbeilaufenden Leute, blickten die Beiden verwundert an. Seit Kapitän Nelson hier herrschte gab es keine Obdachlose oder Herumtreiber mehr. Nelson warf sie entweder in den Kerker oder gefesselt auf ein kleines Boot, welches er dann von den Wellen aufs Meer hinaustreiben lies. Zur Sicherheit wollte Niemand mit ihnen in Verbindung gebracht werden, aus Angst vor dem Kapitän. Sicher war sicher.

Aisuru und Tyke dagegen beachteten die Blicke der Passanten nicht. Sie sahen nur vor ihren geistigen Augen erlesene und köstliche Speisen aus der ganzen Welt und der Speichel, der sich in ihren Mündern bereits angesammelt hatte, lief ihnen über das Kinn und tropfte auf den staubtrockenen Boden. Es waren Wahnbilder erzeugt vom Hunger, doch das ließ sie nicht weniger delikat aussehen.

„Gebratene Ente mir Reis,“ nuschelte Tyke.

„Eine große Schale frisch angebratener Garnelen,“ entgegnete Aisuru.

„Ein zwei Kilo schweres T-Bone Steak,“ trumpfte der Rothaarige wieder auf.

„Dazu noch eine Zitronen-Sahne-Torte, mindestens drei Etagen groß,“ vollendete der ehemalige Magier des Zirkus Valdarim ihren gemeinsam Traumspeiseplan.

„Schau Nina, wir haben Kundschaft,“ rief auf einmal eine Stimme vom linken Ende der Straße herüber.

Blitzschnell richteten sich die Blicke der Piraten zu den Personen, die dort standen und strahlten sie aus verzweifelten Augen heraus an. Aisuru jedoch vergaß beinahe seinen Hunger, als er sah dass eine der beiden Personen eine Frau war. Und was für eine.

Die Rothaarige blickte skeptisch zu den beiden, verwahrlost wirkenden, Gestalten, die aufgestanden waren und sich ihnen nun langsam näherten. Aisuru, der sich inzwischen sicher war keinem – vom Hunger verursachten – Tagtraum zu haben, klopfte sich den Staub von der Kleidung und überprüfte im Schaufenster des Restaurants, ob er auch einigermaßen akzeptabel aussah.

Nachdem er sich dessen vergewissert hatte und zu dem Entschluss gekommen war, dass alles in Ordnung war, sprang er mit großen Sätzen zu der Frau, mit der wilden Haarmähne, hinüber und zückte eine rote Rose aus seinem Ärmel, die er der schönen Rothaarigen auch prompt entgegenstreckte.

„Eine rote Rose, für eine rote Schönheit,“ sagte er mit all seinem Charme und setzte zudem einen seiner verführerischsten Blicke auf.

Auf diese Weise hatte er schon unzählige Frauen dahinschmachten lassen. Aber diese war anders, wie er schnell bemerken sollte. Nina blickte nämlich lediglich verdutzt auf die Rose.

Nachdem einige Sekunden nichts geschah, sah sie ihn schließlich an und meinte nur kurz und knapp: „Geh sterben.“

Die weiblichen Fußgängerinnen, um sie herum – die bei dieser Szene und aufgrund von Aisurus Charme schmachtend zu Boden gegangen waren, so wie er es eigentlich bei Nina geplant hatte – schauten entsetzt und mit offenen Mündern zu der scheinbar so kaltherzigen Köchin. Diese öffnete jedoch seelenruhig das Restaurant und verzog sich direkt in ihr eigenes kleines Reich, die Küche.

Einige Passantinnen riefen ihr noch ein verärgertes „Eisprinzessin!“ hinterher, was die Rothaarige jedoch gänzlich unberührt lies.

Aisuru, der wie ein begossener Pudel zurückgelassen worden war und dessen wunderbare Blume inzwischen ebenfalls den hübschen Blütenkopf hängen ließ nach dieser Abfuhr, stammelte dagegen unverständliches Zeug vor sich her.

Als er auch nicht einmal Anstalten machte das Restaurant zu betreten, wurde er schließlich von Tyke am Kragen gepackt und hinein gezogen.

„Was darf es sein, meine lieben Gäste?,“ fragte der Chefkoch seine Kundschaft.

„Das Beste was Ihr habt. In mindestens zehn Gängen, bitte!,“ rief Tyke augenblicklich und ohne lange zu zögern. Dabei ließ er Aisuru los, der stocksteif zu Boden krachte und sah sich in dem schönen kleinen Restaurant um.

„Oha! Könnt ihr das den auch bezahlen?“

„Übergebt den da einfach der Marine. Ist ein Pirat ohne Kopfgeld, aber die Marine bezahlt sicher ein paar Berry für ihn,“ meinte Tyke und zeigte auf den immer noch erstarrten Aisuru, der bei diesen Worten jedoch aufsprang, sich zu seinem Käpt’n umdrehte und diesen auch gleich anfuhr: „Was bist du denn für ein Käpt’n?! Einfach deine Mannschaft versetzen! Womit hab ich das verdient?!“

Während der blauhaarige Navigator herum schimpfte, würgte er Tyke noch zusätzlich so stark er konnte.

Plötzlich aber tauchte völlig unerwartet die rothaarige Köchin neben den beiden Streithähnen auf und versuchte diesen mit Hilfe eines Marineschwertes die Köpfe von ihren Leibern abzutrennen. Jedoch schafften es Tyke und Aisuru gerade noch der Attacke auszuweichen. Zwar zerstörte sie dabei ein wenig die – wie Aisuru fand – schöne und teure Einrichtung, doch scheinbar war ihr dies in diesem Moment egal.

Solange sie nur die Beiden würde töten können.

„Nina, was soll das? Sie sind unsere Gäste.“

„Genau, sind wir!,“ bestätigten die beiden Piraten ängstlich.

„Ich koche nicht für lumpige Piraten. Ich, Obergefreite Nina der Marinebasis Ironbase, nehme euch hiermit im Namen der Gerechtigkeit fest,“ zischte sie lediglich erbost.

„Nina, wir sind hier nicht in der Marinebasis, sondern in meinem Restaurant. Hier spielt die Musik nach meinen Regeln. Müsstest du das nicht allmählich wissen? Das heißt: Wer die Schwelle meiner Tür durchschreitet ist Gast. Egal ob Verbrecher oder Mitglied der Marine. Hier werden alle bedient,“ meinte der Chefkoch ruhig und gelassen.

„Ja, genau! Hör bloß auf deinen Chef,“ bejahten Tyke und Aisuru die Aussage des bärtigen Mannes sofort und umklammerten sich zitternd. Den Blick, welcher ihnen von der Köchin zu geworfen wurde, war furchteinflößend. Noch nie hatten die Beiden etwas Vergleichbares gesehen.

Tyke entschied sogar, dass der Blick schlimmer war, als von diesem Idioten den er zuvor verdroschen hatte.

„Und wer kein Geld hat, macht den Abwasch, nachdem er gegessen hat.“

„OK,“ meinte Tyke prompt, wand sich dann aber zu seinem ersten Mannschaftsmitglied, „also Aisuru. Als dein Käpt’n befehlige ich dir meinen Abwasch auch zu machen.“

„Wie jetzt?! Spinnst du?“

„Ach Nina…,“ begann Tyke und wand sich sofort wieder von seinem Navigator ab, da er sich stattdessen um die hübsche Köchin kümmern wollte.

„Sprich mich nicht an.“

„Hey! Ich hab dich was gefragt, Tyke!,“ versuchte Aisuru auf sich aufmerksam zu machen.

„Nina…,“ wiederholte der Rotschopf lediglich.

„Lass mich in Ruhe.“

„Wieso ignorierst du mich jetzt, verdammt noch eins?!“

„Nina…!,“ kam es zum dritten Male von Tyke.

„Was ist?!,“ brüllte die Angesprochene schließlich, da ihre Nerven nicht mehr mitmachen wollten.

„Jetzt darf ich dich also doch ansprechen? Super! Nun aufgrund deiner Reaktion denke ich mal nicht, dass du meiner Bande beitreten willst?“

„Schnauze oder ich bringe dich gleich um,“ keifte Nina.

„Da mach ich liebend gerne mit,“ kam es von Aisuru und krempelte schon einmal seine Ärmel hoch.

Tyke erschauerte aus Furcht. Nina macht ihm zwar ein bisschen mehr Angst, als Aisuru, dennoch war er fest entschlossen sie zu überreden. Auch auf die Gefahr hin, von einem der Beiden schließlich noch einmal getötet zu werden.

Koste es was es wolle, er wollte sie.

Doch ehe er noch weiter an seinem Plan zur Überredung Ninas feilen konnte, wurde die Restauranttür aufgestoßen und ein kleiner, verletzter Junge torkelte herein.

„Nina… das Fort wurde… zerstört.“

Nina’s Entscheidung

Entsetzt blickte Nina zu dem leblos wirkenden Kinderkörper. Kaum hatte der Knabe mit letzter Kraft seine Worte gesprochen, war er auch schon an der Türschwelle zusammengebrochen.

Doch ehe sie zu ihm rennen konnte, wurde der Junge bereits von Tyke behutsam hochgehoben und auf eine Sitzbank gelegt. Anschließend bekam er den ersten Gang des Menüs, welches für Tyke und Aisuru gedacht und vom Chefkoch inzwischen zubereitet worden war, vorsichtig, Löffel für Löffel in den Mund geschoben.

Zwar blickte der blauhaarige Navigator unter Tränen zu den schönen Speisen, dennoch wusste er dass der Junge sie in diesem Moment einfach dringender brauchte.

„Lass das! Er erstickt sonst noch!,“ brüllte Nina aufgebracht – nachdem sie endlich ihre Starre der Verwunderung überwunden hatte – und wollte Tyke von dem Jungen wegzerren.

Doch der Rotschopf stemmte sich gegen sie und bewegte den Kiefer des Burschen, da dieser das Essen nicht alleine kauen konnte. Als die Masse zu einem leicht schluckbaren Brei zerkaut war, erhob Tyke den Oberkörper des Jungen ein wenig und strich mit der Hand immer wieder dessen Kehle entlang. Auf diese Weise gelangte das Essen letztendlich in den Mangen des Jungen. Erst dann ließ er von dem Knaben ab, legte ihn wieder behutsam hin und wand sich an Nina.

„Willst du, dass der Junge stirbt? Dann halt mich das nächste Mal früher auf und auch effektiver. Vielleicht mit einem Schlag in den Nacken oder einen Tritt gegen den Kopf?!“

Die Köchin zuckte zusammen. Sie war überrascht wie dieser Pirat mit ihr umging. Was erlaubte er sich überhaupt? Er als Verbrecher, ein Mitglied der Marine nieder zu machen.

„Tyke es reicht,“ versuchte Aisuru es.

„Nein, tut es nicht! Sie war unfähig zu handeln und als sie dazu fähig war, hat sie die falschen Entscheidungen getroffen und damit das Leben eines unschuldigen Jungen gefährdet. Allein durch Sorgen kann man keine Leben retten! Man muss handeln. Vor allem muss man richtig handeln. Die Lage erkennen, entscheiden und dann die Entscheidungen auch in die Tat umsetzen. Der Junge brach zusammen, weil er ausgehungert war. Er war geschwächt. Ich habe ihm etwas zu essen gegeben. Ihm geholfen zu kauen und zu schlucken. Sie hatte Angst dass er erstickt und dafür wäre er verhungert. Du bist eine miese Köchin wenn du nicht einmal erkennst, wenn jemand vor deinen Augen hungert!,“ brüllte Tyke und Nina konnte einen unbändigen Zorn in seinen Augen erkennen.

Es war nicht Wut darüber, dass sie falsch gehandelt hatte.

Es war nicht Wut darüber, dass sie ihm nichts zu essen hatte machen wollen.

Es war die Wut darüber, dass sie als Köchin versagt hatte.

Aber wieso war er wütend, wenn sie versagte? Er kannte sie doch nicht. Sie musste doch auf sich selbst sauer sein und nicht ein daher gelaufener Pirat.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, wandte er sich von ihr ab und sah besorgt zu dem Straßenkind. Auch der Chefkoch und der blauhaarige Begleiter des Piraten schenkten ihre volle Aufmerksamkeit dem dürren Knaben. Für sie war damit die Situation beendet.

Nicht aber für die Marineköchin. Nina, die bereits seit geraumer Zeit aufgehört hatte an den Kleidern des Piratenkapitäns zu reißen, schämte sich für ihr Verhalten. Sie hatte die Aufgabe den Menschen zu helfen, indem sie ihnen Speisen zubereiteten und zu servieren. Galt der Hungertod, nicht als einer der Qualvollsten und Schlimmsten Tode?

Ein Pirat…

Ein Verbrecher… hatte ihre Aufgabe erledigt.

Plötzlich riss der Junge seine Augen auf – die regelrecht zu strahlen schienen – und schrie so laut er konnte: „Das ist tooootal lecker! Ich will mehr davon!“

Erleichterung machte sich unter den Anwesenden breit, als es dem zerlumpten Knirps wieder besser zu gehen schien. Und sowohl Tyke, als auch der Chefkoch mussten Grinsen. Was ein Teller voll Essen, doch so alles bewirkte.

„Einmal das Spezialmenü, kommt sofort,“ meinte der Chefkoch lachend und machte sich augenblicklich daran, weitere Portionen für seinen kleinen Gast zu kochen.

Noch während er sich in die Küche begab, ergriff Nina das Wort: „Pepe, was ist los? Was ist mit dem Fort?“

Sie hatte nicht die Worte vergessen, mit denen er das Restaurant des Chefkochs betreten hatte. Und sie wollte auch nicht unnötige, beziehungsweise kostbare Zeit verlieren. Sie wollte nicht noch einmal falsch handeln.

Nur ihren Fehler wieder gut machen.

„Einige Soldaten von der Marine sind bei uns im Fort aufgetaucht. Sie haben den Schutzwall eingeschlagen und uns attackiert. Die älteren Kinder haben uns beschützen wollen, damit wir wegrennen konnten. Ich glaube… sie sind…,“ begann er mit weinerlichen Stimme zu erzählen, doch sein Erzählfluss wurde immer wieder von einem bitterlichen Schluchzen unterbrochen. Solange bis er einfach nicht mehr in der Lage war weiter zu sprechen.

Die grausigen Erlebnisse waren noch zu frisch und zu tief verwurzelt, in dem Gedächtnis des ärmlichen und ausgelaugten Waisenkindes. Welches Leid sie doch schon in so jungen Jahren durchleben mussten.

„Sssssscht, ganz ruhig. Es ist schon gut. Jetzt bist du ja in Sicherheit. Hier wird dir nichts geschehen. Aber sag, wie geht es Allen? Ist er geflohen? Oder hat auch er sich den Angreifern in den Weg gestellt.“

„Er ist mit uns geflohen, da er zu schwach zum Kämpfen war. Er hat mich auch zu dir geschickt. Ich sollte dir Bescheid geben. Dir von dem Angriff der Marine erzählen. Er meinte du würdest dich darum kümmern.“

„Weißt du wo er im Moment ist?“

„Ja, aber er hat mir verboten dich dahin zu bringen. Er hat Angst, dass die Marine dich verfolgt und auch unser zweites Versteck angreift.“

„Er hat Recht,“ meinte sie mit Tränen in den Augen und biss sich von Trauer erfüllt auf die Lippe, „Es ist besser so. Chefkoch, kümmere dich bitte um Pepe.“

Schnellen Schrittes verschwand Nina in der Küche, kam jedoch nach wenigen Minuten wieder heraus.

„Was hast du vor?,“ fragte der Chefkoch, der inzwischen fertig war mit der Zubereitung seines kulinarischen Wunderheilmittels, und reichte Pepe eine weitere Schale seines Spezialmenüs, welches sogar im ganzen West Blue bekannt war.

„Ich stelle Kapitän Nelson zur Rechenschaft. Er hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Nun wird er mich kennen lernen, dieser Mistkerl.“

„Nina, das ist zu gefährlich. Auch wenn du sehr stark bist, alleine hast du keine Chance, gegen die ganze Basis.“

„Das ist egal! Ich meine es waren Kinder! Verstehst du? Kinder!,“ schrie sie ihren Mentor unter Tränen an und fuchtelte aufgebracht mit den Armen vor ihm herum. Sie war scheinbar nicht mehr Herrin ihrer Sinne und handelte nur noch auf emotionaler Basis, „Sie hatten keine Chance. Konnten sich nicht wehren. Das kann so nicht weiter gehen.“

Noch bevor sie das Restaurant verlassen konnte, traf eine kleine eiserne Kugel ihre Seite und zwang sie so in die Knie. Das kleine Eisengebilde flog anschließend zu dem Rotschopf von einem Piraten zurück und fiel in ein kleines Säckchen, das er offen vor sich hielt.

Zum Glück hatte Aisuru die Geistesgegenwärtigkeit besessen, ihm neue Eisenspäne zu besorgen.

„Was…?!,“ entfuhr es ihr, sich die schmerzende Seite haltend, während sie in die Knie ging.

„Und mit offenen Armen in den Tod rennen? Ich weiß nicht genau, worum es hier eigentlich geht, aber… Denkst du, dass du damit diesen Kindern einen gefallen tust?,“ sprach Tyke seelenruhig, aber dennoch mit herrischer Stimme, „Ich sagte zwar, dass Taten Leben retten, aber ich sagte auch, dass man zuvor die richtigen Entscheidungen zu treffen hat!“

„Du hast Teufelskräfte?,“ rief Pepe bewundernd und verschlang nebenbei den bereits vierten Teller mit Essen, auf den Aisuru inzwischen schon wehleidig blickte.

„Ja. Ich habe einst von der Magnet Frucht gegessen. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Nina, du hast noch nicht die richtige Entscheidung getroffen.“

„Die da wäre?“

„Hilfe von uns zu erbitten. Aber ich werde diese Entscheidung dir abnehmen. Wir werden dir helfen…“

Plötzlich knurrte sowohl sein Magen, als auch der von Aisuru lautstark. Sie forderten nach Nahrung und das sofort.

„Aber erst einmal möchte ich essen und wissen wobei wir dir helfen,“ meinte Tyke beschämt und setzte sich mit errötetem Gesicht gegenüber von Pepe an den Tisch.

„Erst den coolen Typen raushängen lassen und dann das ganze Szenario sprengen. Toll hast du das gemacht Tyke,“ spottete Aisuru und überging dabei die Tatsache, dass auch sein Magen sich protestierend ins Rampenlicht gestellt hatte, „Du hast keine Ahnung von einem guten Auftritt.“

„Hehe. Vielleicht… Aber du bist auch nicht viel besser! Und wenn du noch weiter auf mich rumhackst, lasse ich dich gleich bei der Basis, die wir stürmen werden, einfach als Zahlungsmittel für das Essen zurück.“

„Du Elendiger…“
 

* * * * *
 

„Verstehe. Dieser neue Kapitän sieht in den Straßenkindern also nur zukünftige Piraten,“ fasste Aisuru die Erklärung des Chefkochs zusammen und nippte an seinem schwarzen Tee.

Sein Blick haftete an Nina, die keines Wegs von der Situation begeistert zu sein schien. Sie wollte ganz offensichtlich keine Hilfe von Piraten, doch immer wenn sie versucht hatte das Restaurant zu verlassen, hatte Tyke sie daran gehindert. Entweder mit Eisengeschossen, oder indem er einfach die ganze Tür mit einer Wand aus Eisen versperrt hatte.

Das ganze lief solange ab, bis sie schließlich aufgegeben hatte und sich auf einen Stuhl am Schaufenster gesetzt hatte. Seit dem saß sie da und warf dem Rotschopf bitterböse Blicke zu. Wenn Blicke töten könnten, dann…

„Genau so ist es. So, Nina, das müsste vorerst helfen,“ meinte der Chefkoch und begutachtete den Verband, den er Nina angelegt hatte.

„Tut mir Leid… ich wollte dir nicht die Rippen prellen,“ entschuldigte sich Tyke breit grinsend und biss herzhaft in seine Lammkeule. Eine seiner Kugeln war wohl ein wenig zu hart aufgetroffen. Konnte ja schließlich jedem einmal passieren. Oder?

„Und das soll ich dir glauben?! Was hast du erwartet, bei deinem blöden Kugelbombardement?,“ baffte diese zurück und schmiss ihm einen Apfel an den Kopf.

„Mit Essen spielt man nicht,“ nörgelte Tyke sich die schmerzende Stelle reiben und bekam prompt für die Bemerkung einen zweiten ab.

Vorsichtig erhob Nina sich schließlich von ihrem Stuhl und versuchte sich ihre schmerzende Seite nicht anmerken zu lassen. Doch alle im Raum, einschließlich Pepe, erkannten, dass sie nicht nur von ihren physischen Schmerzen geplagt wurde.

„Warte ich helfe dir,“ versuchte Aisuru sich ihr zu nähern, doch sie stieß ihn von sich.

„Ich brauche keine Hilfe von Piraten. Außerdem habe ich schon genug Zeit dank euch Blödmännern vergeudet.“

„Als ob es wichtig wäre, was wir sind. Solange unsere Prinzipien die Gleichen sind, solltest du dankbar sein, dass du nicht alleine in die Marinebasis musst,“ warf Tyke ihr vor, stand auf und hob sie sich auf die Schulter.

„Hey! Lass das! Ich kann alleine laufen.“

„Spar deine Kräfte, wenn du unbedingt kämpfen willst.“

„Aber…“

„Nichts aber! Zum Klabautermann noch eins, du willst dich unbedingt kloppen? Bitte sehr! Tu dir keinen Zwang an. Habe ich kein Problem mit. Aber wenn du deine Kräfte nun vergeudest, wirst du deinen Tod in dieser blöden Marinebasis finden, mehr nicht. Außerdem bin ich an deinem Zustand schuld, von daher ist es das Mindeste was ich als Entschädigung tun kann,“ motzte Tyke wütend herum, woraufhin die Rothaarige sofort verstummte und eingeschüchtert nickte.

Sie protestierte nur einmal kurz, aufgrund der Art, wie er sie durch die Stadt tragen wollte, so dass er sie kurz absetzte, nur um sie dann Huckepack zu nehmen. Was sie auch dann stillschweigend akzeptierte.

„Passt auf euch auf,“ meinte der Chefkoch zum Abschied, als die drei das Restaurant verließen.

„Übrigens… ihr habt uns von eurem alten Kommandanten erzählt. Irgend so ein Vizeadmiral, wenn ich mich nicht irre. Heute bekam ich am Hafen mit, dass dieser angeblich wieder hier sei,“ meldete sich Aisuru plötzlich zu Wort.

„Wenn das Wahr ist, dann werde ich zum Hafen gehen und ihn versuchen zu finden,“ meinte der Schnauzerträger augenblicklich, „und ihr solltet endlich los. Passt gut auf Nina auf. Denn wenn ihr nur ein Härchen gekrümmt wird, bekommt ihr es mit mir zu tun.“

„Aye, aye, Sir!,“ meinten die beiden Piraten und machten sich mit Nina im Schlepptau endlich auf den Weg zur Marinebasis der hiesigen Insel.

Während Nina als Einzige sprach, um ihnen den Weg zu weisen, schien es so, als ob Tyke und Aisuru über etwas nachdachten. Keiner von ihnen sagte auch nur ein Wort. Stattdessen blickten sie skeptisch in Richtung der Basis, die sich allmählich über den Dächern der Stadt erhob.
 

* * * * *
 

„Endlich hab ich dich gefunden, Allen,“ meinte der blonde Vizeadmiral und sah auf den ausgehungerten Jungen.

„Vizeadmiral? Sind sie es wirklich?,“ fragte dieser seinerseits.

Der Anführer der Straßenkinder glaubte sich schon in einem Todesdilirium zu befinden und aufgrund dessen irgendwelchen Halluzinationen zu unterliegen. Vielleicht sah er auch einfach bereits Gespenster, aufgrund seines Nahrungsmangels, zu sehen.

„Ja, ich bin es. Du siehst schrecklich aus. Was ist nur passiert, seit ich diese Insel verlassen habe?!“

„Kapitän Nelson, hat uns behandelt wie Verbrecher.“

„Kapitän Nelson sagst du? Also hierhin hat die Marine ihn versetzt. Haben sie denn nichts gelernt, aus den Ereignissen der Vergangenheit? Aber du solltest dich lieber nicht überanstrengen. Ich habe extra etwas zu Essen für euch mitgebracht. Ein Festmahl für unser Wiedersehen.“

„Danke, Vizeadmiral. Sie sind ein Engel im Anzug der Marine. Aber sagen sie, wie haben sie mich gefunden?“

„Ich habe seit unserem letzten Treffen so manche neue Technik gelernt.“

Vorsichtig reichte er die ersten gebratenen Speisen an seinen jungen Freund aus alten Tagen. Dieser biss gierig in das köstliche Mahl und kümmerte sich nicht um Essmanieren. Der Hunger beherrschte ihn und der Vizeadmiral verstand dies.

Auch die anderen Kinder, die den Angriff auf ihr geliebtes Fort überlebt hatten und nun über ihren Anführer wachten, stürzten sich auf die wunderbaren Köstlichkeiten. Es erschien ihnen wie ein Traum, doch zu ihrem Glück war es keiner. Explosionen von Geschmäckern überfluteten ihre Sinne, als sie die kulinarischen Wunder verzehrten. Zu lange war es her, dass sie so gegessen hatten. Dass sie Nahrung so hatten genießen können. Sie hatten bereits vergessen gehabt, wie die Speisen des „Marinekochs“ schmeckten.

Und so verwunderte es keinen der Marinesoldaten, die ihren Kommandanten begleitet hatten, dass die Kinder nicht anders konnten, als vor Freude zu weinen.

Nie wieder würden sie Essen als Selbstverständlichkeit hinnehmen. Weder die Kinder, noch die Soldaten. Satt zu sein war ein Geschenk.

„Ich werde scheinbar gesucht,“ meinte der Vizeadmiral plötzlich und richtete sich ächzend auf.

„Was? Woher wollen sie das auf einmal wissen?“

„Ich kann es hören.“
 

* * * * *
 

„Hier ist es also?“

„Ja.“

„Das ist die Marinebasis?“

„Ja.“

„Und das sind Soldaten dieser Basis?,“ fragte Tyke erneute und deutete auf die vielen Männer, die die kleine Gruppe umzingelt hatten und mit gezückten Gewehren auf sie zielten.

„Ja,“ antwortete Nina ebenfalls erneut und leicht die Zähne knirschend.

Sie hätte ahnen müssen, dass so was passierte, wenn sie sich auf die Hilfe eines Piraten einließ.

„Warum sind die denn alle draußen? Ich dachte wir wollten die Basis stürmen.“

„Dann hättest du Knalltüte vielleicht nicht schreien sollen: ‚Nelson, du fieser Sack, wo bist du? Es gibt nun Schläge!’ Oder was denkst du?,“ meinte Aisuru und hob seine Hände, um zu zeigen, dass er unbewaffnet war.

„Meinst du? Aber das wollte ich schon immer mal machen!,“ verteidigte sich Tyke, „Außerdem ist das Leben zu kurz, um sich wegen jeder Kleinigkeit Sorgen zu machen. Dieser Trupp ist nicht stark genug, um uns aufzuhalten. Da muss die Marine schon schwerere Geschütze ausfahren, wenn sie mich erwischen wollen.

„Wir sind aber nicht kugelsicher! Bevor wir sie erreichen, sind wir schon eine neuentdeckte Käsesorte.“

„Piraten… ich wusste doch, dass ich eure Hilfe nicht hätte annehmen sollen.“

„Keine Sorge, ich regele das schon. Wie gesagt, die sind nicht stark genug,“ meinte Tyke und setzte Nina vorsichtig ab.

Anschließend nahm er sein kleines Säckchen von seinem Gürtel und schüttete den feinen Inhalt aus. Es waren die Eisenspäne, die sein Navigator ihm besorgt hatte und die er bereits eingesetzt hatte. Zu seiner eigenen Freude stellte er fest, dass es mehr war, als er früher besessen hatte. Dadurch offenbarten sich ihm ganz neue Möglichkeiten.

„Aufhören, du elendiger Pirat! Noch eine Bewegung und wir schießen,“ warnte einer der Soldaten.

„Magnetisierung – Ultimate Defense!“

Im selben Moment, als Tyke seine Worte sprach, schossen die gut zwei Dutzend bewaffneten Soldaten. Doch ihre Kugeln erreichten ihre Opfer nicht. Denn diese befanden sich plötzlich in einer eisernen Halbkugel, die von dem Rotschopf dank seiner Kräfte innerhalb eines Wimpernschlages errichtet worden war. Zwar konnten die drei im Inneren der Halbkugel erkennen wo die Geschosse in das Eisen eingeschlagen waren – aufgrund von kleinen Dellen und dem Loch am höchsten Punkt der Kuppel, damit auch genug Licht in das Innere gelang –, jedoch hatten sie es nicht geschafft Tykes Schutz zu durchdringen.

Aus dem Inneren der Kuppel hörten die Marinesoldaten plötzlich wie Tyke einen Gegenangriff ankündigte.

„Magnetisierung – Flying Spears!“

Plötzlich schossen aus der eisernen Schutzhaut mehrere kleine, spitz zulaufende Gebilde, welche die Soldaten an den Händen und Armen trafen. Vor Schreck und aufgrund des Schmerzes, ließen diese ihre Waffen zu Boden fallen. Kaum war dies geschehen, flogen die Eisengebilde zurück zu der Halbkugel und verschmalzen wieder mit ihr. Zudem formte sich die Kuppel zu einer kleinen Kugel, welche knapp über Tykes Handfläche schwebte, und gab somit wieder die Sicht auf die beiden Piraten und ihre Begleiterin frei.

„Das ist beeindruckend,“ musste Nina gestehen.

„Lasst uns endlich diese Basis stürmen,“ befahl Tyke jedoch energisch und schleuderte seine Kugel gegen den verriegelten Eingang der Basis, der aus zwei schwarzen, schweren Stahltüren bestand.

„Magnetisierung – Cannonball!“

Tyke polarisierte das Eisen seiner Kugel und das Eisen der Zierbolzen der Tür so, dass sie sich gegenseitig anzogen, woraufhin seine Kugel genug Kraft aufbrachte, um die stabile Tür einfach zu durchschlagen.

Nina wieder auf dem Rücken tragend, rannte der Piratenkapitän vor, während Aisuru mit Hilfe von Rauchbomben sicherstellte, dass man sie nicht von Hinten anschoss.

Nachdem sie endlich das große Gebäude betreten hatten, mussten sie feststellen, dass sie zum wiederholten Male von Soldaten der Marine umzingelt waren. Jedoch waren es diesmal gut dreimal so viele, wie zuvor draußen vor der Basis.

„Was soll das hier werden?!,“ rief Kapitän Nelson wütend und trat hinter seinen Soldaten hervor.

„Das könnte ich sie fragen. Wieso haben sie die Straßenkinder angreifen lassen?,“ herrschte Nina ihren Vorgesetzten vom Rücken des rothaarigen Piratenkapitäns an.

„Du hast also davon erfahren? Wie bedauerlich. Ich wollte es aussehen lassen, wie ein Überfall durch Banditen, puharhar.“

„Sie verdammter… sie sind keinen Deut besser, als ein gemeiner Pirat,“ schrie Nina, die inzwischen von Tyke runtergelassen wurde, um sich Nelson entgegenstellen zu können.

Nelson gefiel dies offensichtlich gar nicht, mit einem niederen Piraten auf ein und dieselbe Stufe gestellt zu werden. Ninas Worte brachten ihn erneut zur Weißglut, weshalb er seine Soldaten zur Seite schlug, auf das Mädchen zustürmte und ihr einen kräftigen Faustschlag in die Magengrube verpasste. Die Wucht des Angriffs ließ sie nach Hinten taumeln. Sie hatte das Gefühl sich übergeben zu müssen. Doch Nelson holte bereits zu einem neuen Schlag aus.

„Es reicht!,“ hallte Tykes Schrei voller Zorn durch den Raum und mit Leichtigkeit packte er Nelsons Arm, bevor dieser Nina treffen konnte.

Aisuru dagegen war plötzlich hinter Nina aufgetaucht und stütze sie sanft, um sie vor dem umfallen bewahren zu können.

„Wie seid ihr so schnell… Hey, lass meinen Arm los!,“ brüllte Nelson wütend, doch aller Versuche zum Trotz schaffte er es einfach nicht, sich aus Tyke schraubstockartigen Griff zu befreien.

Und plötzlich erkannte er den Jungen. Es war derselbige, der ihn heute bereits einmal niedergestreckt hatte. Sofort waren die ersten Schweißperlen auf der von Sorgenfalten durchzogenen Stirn des Kapitäns zu erkennen.

„Was denn? Kannst du dich etwa nur an Schwächeren vergreifen? Kaum taucht jemand auf, der stärker ist als du, sieht es für dich alles andere als rosig aus. Wie hast du Null, es nur zum Kapitän in der Marine geschafft? Haben die so einen Mangel, das jetzt jeder Versager Aufstiegschancen hat?,“ fragte Tyke und verstärkte seinen Griff an Nelsons Arm.

„Ich bin nicht schwächer als er,“ protestierte Nina, musste sich aber immer mehr auf Aisuru stützen, da ihre Kräfte sie gänzlich verließen.

„Im Moment bist du schwächer als er, egal ob es dir nun gefällt oder nicht,“ meinte Aisuru und setzte Nina vorsichtig auf den Boden, „Du könntest ihm vielleicht einige Zeit Parole bieten. Leider Gottes, bist du aber verletzt. Und selbst wenn du es nicht wärst, könntest du ihn nicht besiegen. Nicht zu diesem Zeitpunkt.“

„Wer sagt das?,“ beschwerte sich diese augenblicklich.

„Wir sagen das,“ meinte Tyke nachdem er von dem Marinekapitän abgelassen hatte und zu Nina gegangen war.

Behutsam hob er sie hoch und brachte sie ein Stück von Aisuru und Nelson weg. Die beiden Piraten hatten schnell erkannt, dass Nelson noch ein Ass im Ärmel haben musste. Und alle Beide waren sie einfach zu neugierig darauf zu sehen, wie dieses Ass aussah. Aus diesem Grund verschwieg Tyke auch, dass er diesen Mann bereits einmal besiegt hatte und dieses vermutlich auch mit Leichtigkeit wieder schaffen könnte. Doch am wichtigsten war, dass er so sehen konnte, was sein erstes Piratenbandenmitglied eigentlich im Kampf zu bieten hatte.

„Was soll das werden?,“ fragte Nina doch wehrte sie sich nicht mehr gegen die Behandlung.

„Du bist Kapitän Nelson? Scheint mir, dass du keine Manieren hast. Mein Vater sagte mir immer, als ich noch ein kleiner Junge war, dass man als Mann nie eine Frau schlagen sollte und das ein Mann die Ehre einer Frau zu verteidigen habe,“ sprach Aisuru in aller Ruhe und machte sich mit Hilfe von ‚Dehnübungen‘ ein wenig warm.

Tyke hatte entschieden, dass Aisuru gegen diesen Kerl kämpfen sollte und obwohl er nichts dergleichen gesagt hatte, bisher, wusste der Blauhaarige, was sein Kapitän dachte. Im Übrigen hatte er nicht vor dagegen zu protestieren.

„Willst du an ihrer Stelle mich bekämpfen? Verschwinde lieber Knirps. Das ist eine Sache zwischen mir und dieser Deserteurin!“

„Deserteurin?,“ wiederholte Nina entsetzt.

„Nina, ich möchte dich etwas fragen. Möchtest du zu einer Marine gehören, die unschuldige Kinder tötet?,“ fragte Tyke sie mit ernster Mine.

„N-Nein… eigentlich nicht. Die Aufgabe der Marine ist es doch eigentlich Unschuldige zu schützen!,“ antwortete sie nach kurzem Zögern.

„Aisuru, du hast es gehört. Mein erster Befehl als dein Käpt’n ist… die Ehre unserer Smutje wieder herzustellen!,“ schrie Tyke so laut er konnte.

„Ich will kein Pirat werden,“ schrie Nina dagegen verärgert zurück.

Aisuru aber überhörte ihren Protest einfach und zeigte stattdessen den Beiden nur seinen erhobenen rechten Daumen.

Gemächlich legte er danach seinen azurblauen Mantel ab und rückte sein weißes Rüschenhemd zurecht. Danach begab er sich in seine ganz persönliche Kampfposition und machte seinem Gegner durch eine gezielte Handbewegung klar, dass er bereit war.

„Schon so gut wie erledigt, Käpt’n.“

Für die Ehre einer Frau

Lange ließ sich Kapitän Nelson nicht bitten. Blind vor Wut und Zorn – wie ein wilder Stier der nur das rote Tuch, welches man vor seiner Nase schwenke, sah – stürmte er auf den ehemaligen Magier zu. Als sich jedoch dessen Hemd ohne ersichtlichen Grund aufzuplustern begann, blieb er überrascht stehen. Verwundert sah er zu, wie sich das weiße Hemd in alle Richtungen ausbeulte, bis es schließlich mit einem kleinen Knall auseinander platzte. Hervor kamen mehrere weiße Tauben, die direkt auf Nelson zuflogen. Dieser hielt sich – erschrocken wie er war – die Hände schützend vors Gesicht, um dort nicht von den Vögeln verletzt zu werden.

„Dovemanship!,“ ertönte Aisurus Stimme von irgendwoher lachend.

Seine Chance nutzend, schlug er mit einem gut ein Meter langen schwarzen Stab – den er wie aus dem Nichts aus seinem Ärmel gezogen hatte – dem Marinekapitän gegen die linke Kniekehle. Daraufhin knickte diesem, sein linkes Bein weg, woraufhin er sich mit seiner linken Hand abfangen musste, da er sonst einfach zu Boden gegangen wäre. Auf diese Weise in die Knie gezwungen, war es ihm nicht möglich dem nächsten Schlag in sein Gesicht rechtzeitig auszuweichen.

„Das wird ja viel einfacher als ich gedacht habe,“ verhöhnte der Navigator seinen Gegner.

„Du kämpfst nicht fair,“ meinte Tyke ernüchternd aus der vordersten ‚Zuschauerreihe’.

„Wer sagt, dass ich als Pirat fair kämpfen muss? Stimmen sie mir da nicht zu, Kapitän Nelson?,“ entgegnete Aisuru, knöpfte sein Hemd zu, zog dabei aber einen zusammengedrückten Zylinder aus eben diesem hervor und verpasste ihm durch einen kleinen Klapser seine alte Form.

Spielerisch setzte er sich den Hut anschließend auf und vollführte einige Fingerspielereien mit seinem Stab.

„Es ist nicht dir rohe Gewalt, die zum Sieg führt. Es ist das taktische Verständnis eines Menschen, der über Sieg oder Niederlage entscheidet. Solange sie mich mit purer Kraft angreifen, werde ich ihnen haushoch überlegen bleiben,“ meinte der Blauhaarige zu seinem Gegner.

„Du kämpfst trotzdem nicht fair! Sag mal Nina, wie viel gibt die Marine einen, für einen steckbrieflosen Piraten?,“ ertönte Tykes Stimme erneut.

„Schnauze du Flammenschädel! Erst mich in deine Bande zwängen und dann so ein Mist bringen?!,“ brüllte der Blauhaarige zornig und warf seinem Kapitän einen Blumenstrauß gegen den Kopf, den er zuvor aus seinem Zylinder gezogen hatte.

Der Blumenstrauß prallte gekonnt an dem Kopf des Piratenkapitäns ab und landete danach in den Händen von Nina. Aisuru, der selbst ein wenig über den glücklichen Wurf überrascht war, nutzte dies jedoch sofort aus.

„Ein Strauß Blumen, für die Königin der Schönheit.“

„Geh sterben.“

„Wieso so kaltherzig?,“ kam es jammernd zurück.

Nelson – der inzwischen sich die Nase reibend aufgestanden war – funkelte seinen Kontrahenten zornig an. Hätten Blicke in jenem Moment töten können, wäre Aisuru ein Dutzend qualvoller Tode gestorben.

„Was soll diese blöde Show hier? Ich dachte wir wollten kämpfen!,“ keifte der Hüne so laut er konnte und stürmte gleich darauf wieder auf seinen Gegner zu. Scheinbar hatte er nichts aus seinen Fehler gelernt.

Aisuru hielt ihm plötzlich seinen Stab vors Gesicht und bremste somit dessen Angriff ab.

„Einen Moment bitte.“

„Hä, wie jetzt?“

Ohne Vorwarnung platzte das Ende des Stabes auf und ein wenig Konfetti so wie ein weiterer, nur kleinerer, Blumenstrauß wurde dem Kapitän entgegen geschleudert. Dieser verstand nicht, was dass alles eigentlich sollte. Vielleicht lag es an der Überraschung oder einfach an einem Reflex, jedenfalls fing er den kleinen Strauß, bestehend aus verschiedenen bunten Blumen, auf und sah ihn kurz verdutzt an, ehe er sich wieder an seinen Magierpiratenkontrahenten wandte.

„Verarsch mich nicht…,“ doch weiter kam er nicht.

Zur Überraschung aller floss eine merkwürdige und etwas zähe Flüssigkeit aus den grünen Blütenstielen heraus. Als der Kapitän sich diese genauer anschauen wollte, aktivierte sich ein weiterer Mechanismus und sprühte ihm eine zweite Substanz aus den Blütenkelchen heraus, direkt ins Gesicht – hauptsächlich aber in die Augen. Woraufhin diese furchtbar zu jucken und zu tränen begannen, so dass er kaum noch etwas sehen konnte.

Als er dann auch noch den Fehler beging und mit seinen Händen über die Augen rieb, schmierte er sich selbst die erste Flüssigkeit dagegen, woraufhin sie zu allem Überfluss auch noch höllisch zu brennen begannen.

„Surprise, Surprise!,“ rief Aisuru lachend und nutzte erneut die Hilflosigkeit seines Gegners aus, um ihm dieses Mal gegen die linke Seite zu treten.

Als Nelson – sich die schmerzende Stelle haltend – zurücktaumelte, sah er noch ziemlich verschwommen – zumindest was man unter diesen Umständen als ‚sehen’ bezeichnen konnte –, wie Aisuru seinen Stab an beiden Enden packte und zusammen schob. Dadurch kam an dem blumenlosen Ende eine metallische Klinge zum Vorschein.

Tyke und Nina sahen zwar verwundert zu Aisuru, doch mischten sie sich nicht in den Kampf ein, denn er musste so kämpfen wie er es für richtig hielt. Außerdem würde er sich mit Sicherheit davor hüten an einem solchen Ort vor so vielen Zeugen einen Mord an einem Marinemitglied zu begehen. Davon war zumindest Tyke überzeugt. Nelson jedoch konnte von der Zuversicht Tykes nichts wissen.

Nachdem er es irgendwie geschafft hatte wieder fest auf seinen Füßen zu stehen ohne irgendwohin taumeln zu müssen, bemerkte er viel zu spät, dass sein Gegner inzwischen bei ihm war und mit seiner Waffe zu stach. Beziehungsweise zustechen wollte.

„Aaargh!,“ schrie er entsetzt auf und sah an seinem inneren Auge innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde, sein ganzes Leben an ihm vorüber ziehen.

Es stimmte also doch, dass man im Angesicht des Todes noch einmal all seine Taten, Entscheidungen und wichtigen Augenblicke sah. Vielleicht als Strafe? Oder um sich vor Augen zu halten was man alles falsch im Leben gemacht hatte?

Dann aber bemerkte er, dass die vermeintlich metallische Klinge gar nicht in ihn eingedrungen war. An sich hinab sehend, musste er feststellen, dass die auf den ersten Blick stabil wirkende Messerklinge, in Wahrheit aus Gummi bestand und sich an seinem Körper zur Seite bog. Hektisch blickte er wieder empor, direkt in das Gesicht Aisurus, konnte aber nur noch die Faust sehen, die bereits auf ihn zusauste und mitten in sein Gesicht traf. Erneut hatte der Illusionskünstler ihn ausgetrickst.

Der blauhaarige Pirat schien Recht zu behalten. Mit reiner Kraft hatte er vermutlich keine Chance. Oder er hatte nicht genug Kraft, um eine Chance zu haben. Der Kapitän blieb nicht lange liegen, sondern richtete sich schnellst möglich wieder auf und versuchte seinen Gegner zu fixieren. Zum Glück sah er, trotz der harten Treffer, die er bereits eingesteckt hatte, noch nicht doppelt.

„Hmmm… Stehvermögen haben sie, Kapitän Nelson,“ gab Aisuru anerkennend zu.

„Du zwingst mich zum Äußersten… wenn meine Kraft nicht ausreicht, um dich zu besiegen, muss ich eben über meine Grenzen hinweg gehen… Collateral Damage!“

Der Marinekapitän spannte die Muskeln in seinem ganzen Körper an. So kräftig wie er nur konnte. Schweiß trat aus seinen Poren und lief über seine stählernen Muskeln, die sich mehr als deutlich abzeichneten. Er überstieg dabei bei weitem das körperliche Maß, bei dem er sich selbst nicht verletzte. Doch hatte er sich dazu entschieden, dass er Begleitschaden in Kauf nehmen musste, um nicht unter zu gehen. Um nicht erneut von einem lausigen Piraten besiegt zu werden.

„Hören sie auf. Ich sagte doch rohe Gewalt reicht nicht aus, sie schädigen nur sich selbst,“ versuchte Aisuru den Marinekapitän von seinem vorhaben abzuhalten, doch dieser rannte bereits zum wiederholten Male auf seinen blauhaarigen Gegner zu.

Dieser überlegte dabei bereits, wie er den Koloss von einem Marinemitglied erneut überlisten konnte, doch ließ dieser ihm keine Chance dazu.

„Friendly Fire!,“ schrie Nelson und schlug im selben Moment mit seiner Faust auf den Boden.

Durch die enorme Wucht des Schlages, platzte der Grund der Marinebasis auf und ein Riss bildete sich bis zu Aisuru. Als Nelson daraufhin erneut auf den Boden einschlug, brach dieser endgültig auf und es entstanden durch die Erschütterung lehmige und steinige Brocken, die aus dem Riss herausgeschleudert wurden und wie gefährliche Spieße herausragten. In letzter Sekunde hatte der Blauhaarige ausweichen können, anders als die Soldaten, die dem Schauspiel beiwohnten. Einige wurden von der Attacke an den Beinen oder einige wenige sogar an den Armen oder dem Oberkörper getroffen.

Sowohl Tyke und Nina, als auch Aisuru waren über das Verhalten des Kapitäns geschockt. Scheinbar waren ihm alle Mittel Recht, wenn er damit Verbrecher niederringen konnte. War dies sein extremes Verständnis von Gerechtigkeit? Der Zweck heile die Mittel?

Aufgrund seines Entsetzens und der damit verbundenen, kurz anhaltenden Starre, war Aisuru es diesmal gewesen, der unaufmerksam geworden war. Zu seiner Überraschung tauchte nämlich Nelson neben ihm auf und packte ihn am Kragen.

„Agent Orange!“

Die Faust des Muskelstrotzenden Kapitäns traf genau den Brustkorb seines Gegners und Aisuru stieß einen markerschütternden Schmerzensschrei aus. Die Kraft des Schlages war sogar so stark, dass einige Marinesoldaten, welche in beachtlicher Entfernung hinter Aisuru gestanden hatten, ebenfalls um geschleudert wurden. Und nicht nur das.

Aisuru spürte, dass die Kraft des Schlages nicht einfach Schaden in Form von Schmerzen verursachte, sondern sogar das Muskelgewebe, Nerven und die Knochenstruktur einfach in Fetzen riss und somit furchtbare Qualen auslöste. Dennoch war der Magier nicht bereit zur Freude seines Gegners zu jammern oder vor Schmerzen zu schreien. Was er aber nicht verhindern konnte, war der schwere Husten, bei dem sogar Blut aus seinem Mund spritzte. Ein unübersehbares Zeichen, für die gewaltige Kraft von Nelsons Schlag. Tyke war überrascht. Nie hätte er dem Kapitän eine solche Kraft zugetraut, nachdem er ihn doch mit solch einer Leichtigkeit bezwungen hatte.

„Orange Crush!,“ verkündete Nelson seinen nächsten Angriff, schleuderte Aisuru in die Luft und schlug dann mehrere Male mit seiner gesamten Kraft gegen dessen Brust und Kopf.

Dieser fiel anschließend, wie ein nasser Sack zu Boden und blieb regungslos liegen. Innerhalb eines kurzen Augenblickes hatte sich das Blatt zu Gunsten des Marinekapitäns gewendet. Sogar seine Männer, die eigentlich geglaubt hatten zu wissen, was er für ein Mensch sei, waren über die Grausamkeit ihres Vorgesetzten entsetzt und wusste nicht so Recht, wie sie handeln sollten.

„Seht ihr, was passiert, wenn ihr euch mir in den Weg stellt? Ich bin das Gesetz und genauso erbarmungslos! Wer lieber ein Verbrecher sein will, bitte. Denn werde ich persönlich richten!“

„Aisuru!,“ schrie Nina entsetzt und wollte diesem bereits zur Hilfe eilen, doch Tyke hielt sie fest.

Als sie sich ihm zuwandte, schüttelte der Rotschopf nur leicht den Kopf.

„Was soll das, lass mich los. Siehst du nicht, dass dein Freund in Schwierigkeiten steckt?“

„Wenn er nicht einmal mit einem so einfachen Gegner zu Recht kommt, dann wird er mir auf der Grand Line keine Hilfe sein. Ganz im Gegenteil. Aber ich bin mir sicher, dass er es schaffen kann. Wir müssen nur an ihn glauben. Das Einzige was du erreichst, wenn du jetzt zu ihm rennst, ist eine tiefe Wunde in seiner Ehre. Und seine Mühe deine zu schützen, wären ebenfalls umsonst gewesen.“

„Aber... ich kann doch nicht einfach zusehen,“ flehte sie beinahe schon hilflos.

„Doch. Kannst du. Du bist eh nicht in der Verfassung ihm zu helfen. Du erkennst sicherlich inzwischen, dass dieser Kapitän über das Maß deiner Kraft hinaus reicht. Seiner Fähigkeit, seine Muskeln über ihr Limit hinweg zu trimmen, bist du nicht gewachsen. Erst Recht nicht unter diesen Umständen. Was also willst du machen? Denkst du, wenn du dich dauernd in den Tod stürzt, würdest du jemandem damit helfen können? Irgendwann endet es damit, dass jemand sein Leben verliert, weil er dich aus einer solchen Situation retten will,“ meinte Tyke hartherzig und verschränkte seine Arme vor der Brust.

Es war eindeutig, dass er keine Widerworte hören wollte und auch nicht bereit war, sich auf eine weitere Diskussion einzulassen. Mit weit aufgerissenen Augen sah die Köchin mit den dunkelroten Haaren zu Tyke. Sie wusste nicht was sie seinen Worten entgegnen sollte. Sie ahnte, dass er Recht hatte. Nein, sie wusste es, aber sie wollte es sich nicht eingestehen. Irgendwas musste sie doch tun können. Irgendwas.

Sie wollte sich nicht mehr hilflos und schwach fühlen. Das hatte sie sich vor Jahren geschworen. Sie wollte nicht auf Kosten anderer Leben. Bisher war sie immer gut alleine zu Recht gekommen. Verzweifelt kniff sie ihre Augen zusammen und kämpfte mit den Tränen. In ihrem endlosen Schmerz begann sie auf den Boden einzuschlagen und lauthals los zu weinen.

„Puharhar, seht euch das an! Die Deserteurin weint um einen stinkenden Piraten. Keine Sorge, um dich kümmere ich mich auch noch, du elendiges Weibsbild. Ich bringe dich um, so wie ich es jetzt mit ihm hier machen werden,“ spottete Nelson und trat mit seinem Fuß auf Aisurus Gesicht und wiederholte anschließend seine vorherigen Worte erneut, „Jeder der sich den Gesetzen der Marine widersetzt, hat es nicht besser verdient! Und ich bin das Gesetz der Marine, so wie der Arm der es vollstreckt!“

Doch Nina bekam dies nicht mit. Seine Worte drangen nicht zu ihr durch. Immer wieder schlug sie auf den Boden in ihrer Verzweiflung ein, so dass sogar ihre Hände zu bluten begannen. Auf einmal aber packte jemand ihre Handgelenke, zog sie zu sich hoch und umarmte sie.

Überrascht riss sie ihre Augen auf und sah, dass es Tyke war der sie herzlich in seinen Armen hielt. Er wirkte wie ausgewechselt, nachdem er sie zuvor doch zu Recht gewiesen hatte. Sie verstand nicht, warum ausgerechnet er – ein Pirat – sich so um sie sorgte und ihr ein solches Verständnis entgegen brachte. Doch sie spürte diese trauernde Wärme, die sie umfing. Eine Wärme, wie sie sie in ihrem Leben schon lange vermisst hatte.

„Aaargh,“ hörten sie plötzlich Nelson aufschreien.

Sofort wandten sich Tyke und Nina wieder den Kämpfenden zu. Sie brauchten nicht lange, um zu erkennen was der Grund für seinen Schrei gewesen war. Das Bein des Kapitäns – mit dem er zuvor auf Aisuru rumgetrampelt war – stand plötzlich auf bizarre Weise ab. Es war ihm gebrochen worden und das… sogar mehrfach.

„Tyke, du Verräter… ich Prügel mich für sie… und du schnappst mir das Mädchen weg,“ warf Aisuru seinem Käpt’n scherzhaft vor und richtete sich stöhnend auf.

Blut tropfte zu Boden, während er wieder auf seinen Beinen stand und versuchte nicht wieder einzuknicken. Ächzend wischte er sich ein wenig davon aus seinem Gesicht und lächelte danach Nina aufmunternd zu.

„Du miese Kakerlake! Wie kannst du es wagen mir mein Bein zu brechen?!,“ kreischte Nelson mit schriller Stimme.

Er wollte erneut Aisuru ins Gesicht schlagen, doch dieser wehrte den Schlag mit dem linken Arm ab und verpasste ihm seinerseits einen rechten Haken.

„Parry to Uppercut. Double Stinger.“

Geschickt machte der Navigator einen Ausfallschritt nach links, um seinem Gegner einen Schlag gegen die Niere zu verpassen. Anschließend folgte ein kräftiger rechter Kinnhaken, so dass Nelson verwirrt zurück taumelte – oder besser gesagt hopste, da er unmöglich auf sein gebrochenes Bein auftreten konnte.

Sogar die entsetzt dreinblickenden und in ihrer Loyalität schwankenden Soldaten erkannten, dass sich ihr Vorgesetzter kaum noch auf den Beinen halten konnte und auf dem besten Weg war zu verlieren.

„Sie haben es nicht anders gewollt. Daher muss ich Feuer mit Feuer bekämpfen. Eigentlich hat man mir gelehrt, dass ich meine Fähigkeiten nur einsetzen solle, um mich zu verteidigen wenn ich in höchster Not bin oder um die Ehre einer Frau zu verteidigen. Da letzteres der Fall ist, wird mir mein Meister sicherlich vergeben können. Sie müssen wissen, Kapitän Nelson, nachdem ich meine Familie verloren hatte, wuchs ich bei einem Bare-Knuckle Fighting Champ auf. Dem berühmten Powell „Bear-Fist“ Sallivan! Glauben sie mir… Niemand kann mir so zusetzen wie er. Deshalb kann mich niemand mit reiner Muskelkraft besiegen. Sie sind kein Gegner für mich. Und dennoch muss ich sagen, kämpfe ich ungern in diesem Stil.“

Kaum hatte er seine Worte gesprochen, verpasste er seinem Gegner erneut mehrere Links-Rechts Kombinationen. Immer schneller schlug er auf den Kapitän ein. Für die Umstehenden sah es beinahe so aus, als würde er nicht mit lediglich zwei Fäusten, sondern mit acht, zehn oder vielleicht sogar noch mehr, zuschlagen. Der Kapitän aber schien einfach nicht umfallen zu wollen. Kämpferisch hielt er sich auf den Beinen.

„Cyclone Uppercut!,“ verkündete Aisuru zum Abschluss und vollführte einen Rückwärtssalto.

Dabei traf er mit der Spitze seines Fußes den Unterkiefer des Kapitäns, so dass dieser sogar eine kleine Fontäne aus Blut spucken musste. Dennoch schien er sich weiterhin zu weigern umfallen zu wollen. Er blieb einfach stehen. Selbst der ehemalige Magier war ein wenig überrascht.

„Unglaublich! Sie wollen einfach nicht umfallen, oder? OK. Dann muss ich eben zu noch härteren Mitteln greifen,“ sprach Aisuru, schloss die Augen und vollführte einige – der Konzentration dienenden – Bewegungen mit den Armen, Händen und Fingern, welche auch verschiedene Zeichen formten, „Release One – Speed…“

„Aisuru, es reicht. Der Kerl kippt nicht um, weil er stehend bewusstlos geworden ist,“ meldete sich plötzlich Tyke zu Wort und packte seinem Navigator an der Schulter, „Das kommt wohl davon, dass er seine Muskeln derartig extrem angespannt hat. Die Anspannung klingt selbst jetzt noch nicht ab und so kann er einfach nicht umfallen.“

Der Blauhaarige blickte überrascht zu Nelson und erkannte, dass sein Kapitän Recht hatte. Man erkannte es unter anderem, an den verdrehten Augen. Eigentlich etwas ziemlich auffälliges.

„Das mir das nicht aufgefallen ist,“ meinte Aisuru leise.

Er hatte sich so in den Kampf hineingesteigert, dass ihm die Kleinigkeiten, die eigentlich entscheidend waren, einfach nicht aufgefallen waren. Ein wenig schämte er sich dafür, doch scheinbar machte Tyke keine Anstalten ihn dies vorzuwerfen. Daher beließ er es ebenfalls dabei.

Anschließend drehte sich das erste Mitglied von Tyke Piratenbande lächelnd zu Nina um und streckte ihr siegreich den erhobenen Daumen entgegen. Diese aber wendete jedoch ihr leicht errötetes Gesicht ab, wischte sich einige Tränen weg und warf ihm erneut ein kaltherziges „Geh sterben“ an den Kopf.

Das siegreiche Lächeln verschwand sogleich aus seinem Gesicht und er ließ gebrochen seine Schultern hängen: „Warum ich?“

„Haha, ganz ruhig Aisuru, sie gewöhnt sich noch an dich!,“ meinte Tyke aufmunternd.

„Ich sagte doch ich werde kein verdammter Pirat!,“ schrie Nina daraufhin.

Plötzlich sackte Aisuru zusammen, warf sich spielerisch zu Boden und blieb mit ausgestreckten Armen und Beinen dort liegen.

„Ich brauch… eine Pause.“

„Den hast du dir verdient. Aber schlaf nicht ein. Ich will dich nicht tragen müssen.“

„Alles klar, Käpt’n.“

„Was soll dieser ganze Lärm hier?,“ meldete sich der Chefkoch auf einmal vom Eingang her.

Er überblickte kurz die ganze Situation und lächelte dann schadenfroh.

„Die beiden Burschen haben tatsächlich den Kapitän besiegt? Scheinbar sollte er aus der Marine austreten, wenn zwei Lausebengel ihn so einfach bezwingen können.“

„Nein, ich hab damit nichts zu tun, das ist alles seine Schuld,“ rief Tyke sofort und zeigte auf Aisuru, der noch immer auf dem Boden lag.

„Du hast es mir doch befohlen!“

„Stimmt doch gar nicht. Du wolltest doch Ninas Ehre retten!“

Augenblicklich sprang Aisuru wieder auf die Beine und sofort begannen die Beiden miteinander zu kämpfen. Als sie auch noch anfingen aneinander zu zerren, mischte sich Nina schließlich ein.

„Könnt ihr damit endlich aufhören? Ihr seid ja wie die Kinder! Noch ein Grund warum ich niemals mit euch reisen würde,“ schrie sie extrem genervt und zog den Beiden so kräftig sie konnte Ohren lang, damit sie endlich Ruhe gaben.

Sich vor Schmerzen krümmend lagen sie letztendlich auf dem Boden und kullerten über diesen hin und her. Offensichtlich war Nina gröber mit ihnen umgesprungen, als es notwendig gewesen wäre.

„Ich finde du passt ganz gut zu ihnen, Nina.“

„W-Warum sagen sie so was, Chefkoch? Wollen sie mich beleidigen?“

„Ich weiß warum du kein Pirat sein willst. Es ist wegen deinem Vater, nicht wahr? Du behauptest zwar, du kannst dich nicht an ihn erinnern, aber in Wahrheit weißt du noch ganz genau, was damals passiert ist. Habe ich Recht?,“ meinte der Chefkoch und setzte sich auf eine Kiste am Eingang.

Tyke blickte zu Nina und Aisuru hatte sich wieder schwer atmend auf dem Boden ausgestreckt. Schweigend hörten sie den Beiden zu. Es war nicht ratsam sich in eine solche Unterhaltung einzumischen.

„Ich weiß nicht, was sie meinen,“ behauptete Nina felsenfest.

„Doch, du weißt es. Du kennst noch ganz genau deine Abstammung. Deine Herkunft. Und du weißt, dass du nur dank Vizeadmiral Ne Lasag bei der Marine aufgenommen wurdest. Eigentlich dürfen Kinder von Piraten nicht der Marine beitreten. Doch die Marine hat schon so manche Ausnahme gemacht, so auch bei dir.“

„Du bist die Tochter eines Piraten?,“ meinte Aisuru verblüfft und sah zu der Rothaarigen.

„Nein bin ich nicht. Ich… ich weiß nicht einmal wer mein Vater sein soll,“ wehrte sich diese vehement.

„Rede kein unsinniges Zeug. Du weißt es. Du weißt, dass du die Tochter von Piratenkapitän Rene ‚mit dem Stahlfuß’ bist und die Enkelin von…,“ begann der der Chefkoch wütend zu schreien und sowohl Tyke und Aisuru, als auch die restlichen Soldaten der Basis sahen mit offenen Mündern und aufgerissenen Augen zu Nina, welche ihren Mentor aber genauso schreiend unterbrach: „Seien sie still!“

„Die Tochter von Piratenkapitän Rene ‚mit dem Stahlfuß’?!,“ wiederholten die einzigen beiden Piraten innerhalb der Marinebasis unisono.

Kapitän Rene war ein berühmter Name vor langer Zeit im West Blue gewesen, bis er angeblich vor gut zehn Jahren verschwunden sein solle.

„Du erinnerst dich an den Tag, als du das erste Mal die Insel betreten hast, oder?“

„Ja,“ gestand sie schließlich unter Tränen.

„Du weißt wieso du noch am Leben bist und warum er es machen musste, hab ich nicht Recht?“

Nina konnte nur noch nicken, da sie sich auf die Lippen biss. Sie wollte nicht erneut laut los weinen müssen. Wozu hatte sie sich in all den Jahren ihren eigenen Schutz aufgebaut, wenn sie nun doch, wie ein kleines hilfloses Kind vor sich hin weinte?

„Und trotzdem machst du ihm Vorwürfe?“

„Ich wäre lieber mit ihm gestorben, als von ihm getrennt zu sein. Er hat mich verraten! Piraten sind nichts weiter als Gesindel. Sie belügen ihre eigene Familie und hintergehen sie wann immer sie können!“

„Hat er dich hintergangen oder hat er dein Leben gerettet? Er wollte doch nur, dass du die Chance bekommst dein Leben zu genießen. Wie kannst du ihm dies nur vorwerfen? Es schmerzt in meinem Herzen dies aus deinem Munde zu hören. Wie kannst du einen so tapferen Mann schlecht machen. Wie kannst du nur seine Ehre derartig beschmutzen?,“ meldete sich diesmal eine andere Person vom Eingang der Marinebasis aus.

Es war Vizeadmiral Ne Lasag, der dort stand und zu seiner Schülerin blickte. Bittere Tränen liefen über seine Wangen hinab und benetzten seine strahlend weiße Uniform.

Das Leben einer Waise

*Vor 10 Jahren*
 

„Nina, du solltest lieber nicht so nah an die Rehling heran gehen. Wenn du nämlich nicht höllisch aufpasst, fällst du noch ins Wasser,“ rief der große blonde Mann zu dem kleinen Mädchen.

Diese blickte nun ihrerseits zu ihm, schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln und rannte anschließend freudestrahlend auf ihn zu. Sie wusste, dass er es nur gut meinte und sich um ihr Wohl sorgte. War sie doch das Einzige, was er noch hatte, seit dem Tod ihrer Mutter.

„Papa, Papa, wann werden wir endlich auf der Insel sein?“

„Schon bald, mein Kleines,“ meinte dieser nur und strich ihr sanft über den Kopf, während sie sich in einer herzhaften Umarmung an ihn klammerte.

„Kapitän Rene,“ rief eine Stimme auf dem Krähennest.

„Was ist los, Dowen?“

„Wir werden von einem großen Marineschiff verfolgt.“

„Gehört es dem Vizeadmiral?“

„Scheinbar. Ich kann es noch nicht genau erkennen,“ entgegnete der Mann hoch oben über dem Schiff.

„Ist gut. Alle Mann auf Gefechtsstation. Nina, mein Liebes. Geh bitte unter Deck in mein Zimmer und warte dort. Hier ist es nicht sicher, wenn die Marine uns angreift.“

Das kleine Mädchen nickte nur und rannte sofort los.

Sie verstand, dass ihr Vater sich große Sorgen um sie machte. Besonders da sie wie gesagt die einzige Verwandte war, die er noch hatte. Sie war sein kostbarster Schatz und so lag ihm ihre Sicherheit mehr als am Herzen.

Er hatte ihr einmal sogar verraten, dass sie der Grund war, warum er noch lebte. Nachdem sein eigener Vater und damit ihr Großvater ihn verstoßen hatte, habe er eine schwere Zeit gehabt. Hinzu kam zu jener Zeit der Tod ihrer Mutter. Und da war er dann gewesen. Ein Piratenkapitän mit einer damals gerade mal dreijährigen Tochter. Er hatte also nicht nur für sich kämpfen müssen, sondern auch für sie. Nur deshalb, hatte er sich einen großen Namen im West Blue machen können. Und einen ständigen Rivalen bei der Marine.

Außerdem wusste ihr Vater, dass sie ja noch nicht gelernt hatte zu schwimmen, was für sie das Todesurteil bedeuten würde, würde das Schiff in einem Seegefecht einmal untergehen. Daher schimpfte er auch immer mit ihr, wenn sie an der Rehling stand. Sie konnte aber nicht anders. Der Blick von dort hinaus aufs Meer war unbeschreiblich. Sie spürte, dass sie förmlich davon angezogen wurde. Sie wollte für immer auf dem Meer bleiben. Mit ihrem Vater über die Weltmeere segeln und Abenteuer erleben. Deshalb musste sie schnellst möglich lernen zu schwimmen.

Während sich das kleine Mädchen unter Deck begab, rannte der Piratenkapitän des stolzes Dreimasters inzwischen an die Rehling und ergriff mit einer Hand diese und mit der Anderen eines der Taue. Anschließend beugte er sich über den hölzernen Schutz, der verhindern sollte, dass man ins Wasser fiel, und sah in die Richtung, in der sein Mann gewiesen hatte.

Tatsächlich war am Horizont ein Schiff zu erkennen und es näherte sich dem ihren mit rasanter Geschwindigkeit. Eindeutig ein Marineschiffe, daran bestand auch für ihn kein Zweifel. Und es war viel schneller als Renes Schiff, die Sturmwind.

Er sah wieder zum Bug des Schiffes. Sie steuerten auf eine Gewitterfront zu. Dies würde kein einfaches Manöver werden.

„Alle Mann auf Gefechtstation!,“ wiederholte er seinen Befehl

„Jawohl, Kapitän!,“ brüllte die Mannschaft geschlossen und alle eilten endlich auf ihre Plätze.

Wahrlich, kein leichtes Manöver.
 

* * * * *
 

Der Sturm riss an den Fenstern in Renes Kajüte. Ängstlich verkroch sich das unschuldige Kind unter dem Schreibtisch ihres Vaters. Dieser war am Boden befestigt worden und somit das sicherste Versteck in dem geräumigen Zimmer, in welchem sie mit ihrem Vater lebte.

Hier schliefen sie während ihren Reisen. Hier besprach Rene die Routen mit seinem Navigator und seinem Steuermann. Hier war ihr Heim. Der Ort den sie ihr zu Hause nannte. Ein zu Hause, welches sie überall hin bringen konnte wohin sie nur wollte. Doch nun war dies nicht der schöne Ort den sie eigentlich gewohnt war. Der stürmische Wind pfiff durch winzige Ritzen in den Holzverkleidungen des Raumes. Der Regen prasselte gegen die Scheiben wie eine Armee winziger, nasser Krieger die das kalte Glas zum bersten bringen wollten, um das Kind, welches sich dahinter in Sicherheit glaubte, angreifen zu können. Blitze zerrissen den Himmel und der Donner grollte lautstark, wie tausend wütende Ungeheuer, welche nur darauf warteten, dass ihre Regenvorhut ihre Aufgabe erfüllte. Die Fantasie des Mädchens erschuf einen beängstigend Gedanken nach dem Anderen.

Wo blieb ihr Vater? War das Kampfgebrüll, der da vereinzelt durch das Getöse des Unwetters hindurch brach? Kämpften die Männer ihres Vaters mit jemandem? Hatte das fremde Schiff sie schließlich doch eingeholt?

Sie war wenigstens froh, dass sie nicht mehr beschossen wurden. Die lautstarken Kanonensalven, waren jedes Mall nur knapp neben dem Schiff ins Meer eingeschlagen. Ständig hatte sie Angst gehabt getroffen zu werden. Zu versinken. Doch der Steuermann ihres Mannes war ein unglaublicher Mann. Es war also kein Wunder, dass noch nie eine Kanonenkugel ihr Schiff getroffen hatte.

Sie musste wieder an die Männer ihres Vaters denken und das sie vermutlich jetzt um ihr Leben kämpften. Und damit indirekt um das von ihr. Einem schwachen Mädchen, welches sich sogar vor dem Unwetter fürchtete und wie ein ängstliches Mäuschen verkroch.

Sie wusste, dass die Mannschaft stark war. Sie hatten so manches Abenteuer an der Seite ihres Vaters überstanden und so manchen mächtigen Gegner bezwungen. Sie würden es mit Sicherheit auch dieses Mal schaffen. Sie glaubte blind an diese tapferen Männer.

Vorsichtig kam sie hinter ihrem hölzernen Schutz hervor und kämpfte sich zur Tür. Immer wieder verlor sie dabei den Halt aufgrund des hohen Wellenganges, der das Schiff ziemlich durchrüttelte. Jedoch kämpfte sie sich jedes Mal wieder auf die Beine und näherte sich so Stück für Stück der Tür.

Nachdem sie aber die halbe Strecke bereits hinter sich gebracht hatte, entschied sie sich lieber dafür bis zu ihrem Ziel zu robben, wodurch sie wesentlich schneller vorankam.

Behutsam legte sie ihr Ohr auf das dunkle Holz und lauschte.

Sie spürte ihr Herz bis zu ihrem Hals schlagen. Doch zwang sie sich selbst zur Ruhe und versuchte erneut etwas zu hören. Und tatsächlich.

Schreie… Rufe… Stahl das auf Stahl prallte… Gewehrschüsse.

Sie hörte dies alles. Doch waren die Geräusche ganz leise. Der Kampf fand scheinbar lediglich auf dem Deck statt und hatte sich noch nicht in das Innere des Schiffes verlegt. Zudem musste das Unwetter einen Großteil des Lärmes verschlucken.

Sie fürchtete sich zwar davor diese Tür, diesen Wall der sie in diesem Zimmer hielt und vor der Brutalität des Kampfes bewahrte, zu öffnen, aber sie wollte zu ihrem Vater. Sie konnte doch nicht untätig hier sitzen, während er um sein und ihr Leben kämpfte. Gemeinsam mit den Männern, die ihm ewige Treue geschworen hatten und mit ihm bis zum letzten Blutstropfen das Schiff zu verteidigen versuchten.

Entschlossen schloss sie die Augen und riss die Kabinentür mit einem Ruck auf. Die Stimmen waren nun deutlicher zu hören. Die Kampfesgeräusche. Die Schreie.

So schnell sie konnte rannte sie ihnen entgegen. Sie wusste, dass es ein Fehler war. Das ihr Vater ihr etwas Anderes befohlen hatte. Aber das war ihr egal. Wenn er und seine Mannen gegen die Marine kämpfen, dann musste sie ihm helfen. Sie wollte ihn nicht alleine lassen. Nicht im Stich lassen. Immer wieder gingen ihr diese Gedanken durch den Kopf.

Sie merkte nicht, dass die Geräusche des Kampfes inzwischen verstummt waren.

„Papa!,“ schrie sie unter Tränen, während sie die letzten Treppenstufen hoch rannte, welche direkt aufs Deck führten, „Papa!“

Mit diesem Schrei erreichte sie endlich die letzte Stufe und sprang nach draußen. Aufs Deck.

Das Bild, welches sich ihr bot war entsetzlich.

Ihr Vater… Die ganze Crew… Sie waren besiegt worden… Und sie knieten vor den Marinesoldaten… Angekettet.

Wie konnte das sein? Ihr Vater war doch unbesiegbar. Er war doch der Sohn eines der größten Piraten, welcher je die Grand Line und die vier Blues befahren hatte. Hatte von ihm das Kämpfen gelernt. Hatte sich einen Namen gemacht. Ganze neunundsiebzig Millionen Berry war er der Marine wert. Und nun sollte alles einfach vorbei sein? Das schöne Leben als Pirat? Einfach so vorbei?

„Rene ‚mit dem Stahlfuß’, Kapitän der ‚Smutje’ Piratenbande, Sie werden im Namen der Marine und der Weltregierung der Piraterie angeklagt,“ verkündete der Mann vor Rene und sein Gesicht wirkte dabei kalt und hart, während er von einem Pergament in seinen Händen ablas.

Nina erkannte dabei aber nicht, dass nicht all die Tropfen in seinem Gesicht vom Regen stammten.

Sie konnte nicht sehen, dass der Marineoffizier weinte.

„Zufrieden, jetzt wo du mich doch noch erwischt hast? Das wird dir sicher ein dickes Lob und vielleicht sogar eine Beförderung einbringen, oder liege ich da etwa falsch?,“ fragte Rene lachend.

„Kapitän Rene, Sie wissen welches Urteil auf Piraterie steht? Ich nehme einmal stark an. Doch bevor ich dieses vollstrecke, gestatte ich ihnen einige letzte Worte zu sprechen,“ meinte der Mann der Marine und zog anschließend sein Schwert aus dessen Scheide.

Sein Herz schmerzte. Er hatte gehofft sich ewig mit seinem Rivalen duellieren zu können. Ihn niemals besiegen zu müssen. Ihn sein Leben lang zu jagen. Doch irgendwann kam für jeden Mann der Marine und jeden Piraten dieser Moment. Der Moment, wenn man dem Tode ins Auge sehen musste.

„Ich habe nur einen letzten Wunsch…,“ begann Rene.

„Der da wäre?“

„Ich möchte, dass meine Tochter leben darf. Ich weiß, sie ist die Tochter eines Piraten. Meine Tochter. Und damit ist sie eigentlich dem Tode geweiht, genau wie ich. Und das alleine durch ihr Urteil, das sie hier und jetzt ausgesprochen haben und nun vollstrecken werden. Aber bitte… sie ist doch noch so jung. Zu jung. Kümmern sie sich um meine Tochter. Ich will nicht, dass ihr Leben jetzt schon endet. Es wäre verfrüht.“

Rene senkte sein Haupt und seine Stirn berührte bereits die hölzernen Planken seines Schiffes. Während seine Hände nicht auf seinem Rücken gefesselt gewesen, hätte er sie neben seinen Kopf gelegt, um seiner Bitte Ausdruck zu verleihen.

„Nein, Papa!,“ ertönte plötzlich eine kindliche Stimme und das kleine Mädchen lief weinend zu ihrem geliebten Vater, „Nein, Papa. Ich will nicht leben, wenn du dafür sterben musst.“

„Nina, meine Kleine. Verzeih, dass ich dich nicht umarmen kann. Ich bin… ein wenig verhindert, hehe,“ scherzte er und ließ sich stattdessen von ihr in den Arm nehmen, ehe er mit zittriger Stimme fortfuhr: „Mein Kleines, du musst leben. Du bist noch jung, so jung. Du hast noch dein ganzes Leben vor dir. Versprich es mir, ja? Versprich mir, dass du Leben wirst! Außerdem, egal wo du bist, egal zu wem du gehörst, du bist und bleibst immer meine Tochter. Die Tochter eines stolzen Piraten. Du wirst dein Leben lang ein Pirat bleiben. Tief in deinem Herzen. Aber es ist besser für dich, wenn du es niemandem zeigst oder erzählst. Nur so kannst du in Freiheit leben. Im Übrigen, weiß ich dass du immer auf dem Meer bleiben wirst. Selbst wenn du zur Marine gehst, bedeutet es, dass du immer das Meer bereisen wirst. Und das ist es, was schließlich zählt, oder?“

„Aber du hast immer gesagt, ich soll stolz sein, ein Pirat zu sein!“

„Sollst du auch. Und ich hoffe, dass du es auch bleibst, egal was kommen mag. Vergiss niemals auf deine Herkunft stolz zu sein! Jedoch… darfst du ab nun keine mehr sein. Darfst du keinem mehr diesen stolz zeigen. Nur noch in deinem Herzen darfst du ihn behalten. Du musst mich verleugnen, damit du leben darfst. Lebe! Nina, lebe! Leb für mich weiter!,“ schrie Rene schließlich und Tränen rannen wie Sturzbäche seine Wangen hinab.

Es schmerzte ihn tief in seinem Herzen, seine Tochter dies zu Bitten. Ihr diese Last auf zu erlegen.

Doch nicht nur er, sondern auch seine Crew kämpfte mit den Tränen. Sie alle hatten Nina in ihr Herz geschlossen. Sie war der kleine Sonnenschein im Leben der Piraten gewesen. Der Wirbelwind, der sie immer auf Trab gehalten hatte. Ihr Lachen war schöner als die edelste Melodie gewesen und ihr Weinen herzzerreißender als der Tod eines der Ihren. Und für sie war es sicher schlimmer, als für die „Smutje“ Piratenbande dieser Bitte folge zu leisten. Diese Last auf sich zu nehmen. Doch ihr Kapitän hatte Recht. Und sie alle wussten das. Aber es änderte nichts an ihrer Lage.

„Nina, wir lieben dich!,“ schrie einer von ihnen.

„Vergiss uns niemals!,“ fügte ein anderer hinzu.

„Wir werden immer bei dir sein!,“ versprach Dowen.

„Leb für uns alle!,“ riefen sie schließlich als das was sie waren… Eine Mannschaft.

Ihre Rufe und Schreie erfüllten die schwere Luft und machten sie noch viel schwerer. Sie drückte auf die Herzen aller Beteiligter. Sogar die Soldaten der Marine begannen nun bitterlich zu weinen. Doch dies war das Schicksal, welches man in Kauf nahm. Als Pirat und als Mitglied der Marine.

„Dein Wunsch wird dir gewährt,“ sprach der Vizeadmiral leise und stieß sein Schwert richtend in die Brust seines ewigen Rivalen.

Piratenkapitän Rene ‚mit dem Stahlfuß’.

Das zweite Mitglied: Nina, das rechte Bein der Götter

*In der Gegenwart*
 

„Mein Vater… hat mich verraten…,“ schluchzte sie und verdeckte mit ihren Händen ihr von Trauer und Leid gezeichnetes Gesicht.

Tyke sah zu Boden, während Aisuru die Decke anstarrte.

Keiner von ihnen wagte es auch nur ein Wort zu sagen. Sie warteten geduldig was geschah.

„Eigentlich, hättest du an jenem Tag vor zehn Jahren sterben müssen. Es wäre meine Pflicht gewesen dich zu töten. Aber auch ohne die Bitte deines Vaters, hätte ich es nie übers Herz gebracht, diese Aufgabe zu erfüllen. Er wollte nur das Beste für dich. Wieso also beharrst du so an dieser Ansicht?,“ fragte der Vizeadmiral schließlich.

„Weil es so ist! Ich hasse Piraten! Ich hasse meinen Vater! I-Ich… bin… kein… Pirat!,“ kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, traf Tykes Faust ihre Wange.

Die Marineköchin schlug hart auf den Boden auf, obwohl sie es noch in letzter Sekunde schaffte sich wenigstens ein wenig mit den Händen abzufangen. Sie setzte aber nicht zu einem Gegenschlag an. Stattdessen konnte man ihr leises Schluchzen vernehmen. Sich die schmerzende Wange haltend blickte sie anschließend, mit wutverzerrtem Gesicht, zu dem rothaarigen Piraten.

„Was sollte das? Was fällt dir überhaupt ein?“

„Du kannst deinen Vater hassen,“ begann Tyke und Nina bemerkte, wie die Faust – mit der er sie geschlagen hatte – kaum merklich zitterte, „Du kannst ihn für seine Taten und seine Entscheidung verurteilen. Du kannst dich weigern in meine Bande einzutreten. Aber…“

Mit geweiteten Augen und fassungslosem Blick sah sie zu ihm. Er kämpfte mit sich.

„Aber du kannst niemals deine Herkunft verleugnen!“

Die Worte des rothaarigen Piraten, die wie eine Explosion aus ihn herausplatzten und ihr voller Wut entgegen geschmettert wurden, trafen Nina schwerer als sein Faustschlag kurz zuvor. Sie waren wie ein spitzer Speer, der direkt durch ihr Herz gerammt wurde.

Sie riss ihre Augen weit auf und sah ihn mit einem leeren Blick an. Tränen sammelten sich in ihren Augen. Er hatte Recht, aber das wollte sie nicht. Sie wollte nicht, dass er Recht behalten solle. Das der Chefkoch und Vizeadmiral Ne Lasag Recht hatten. Sie durften es einfach nicht. Ansonsten hätte sie doch all die Jahre umsonst gehasst. Ihre Wut wäre sinnlos gewesen. Ihr Leben.

Leb für uns…

Noch heute konnte sie die Stimmen der Crew hören. Ihre Rufe. Ihren Stolz spüren.

Leb für uns…

Den Stolz Piraten zu sein. Den Stolz wenigstens ihr Leben gerettet zu haben, wenn schon nicht das Eigene.

Leb für uns…

„Sag es!,“ schrie Tyke, während er Nina am Kragen packte und empor riss, „Los sag es noch einmal!“

Leb für uns…

Die Tränen bahnten sich ihren Weg und tropften zu Boden. Sie hatte ein Versprechen einzulösen. Nicht ihr Vater hatte sie verraten, sondern sie hatte ihren Vater verraten.

Leb für uns…

Hatte die Crew ihres Vaters verraten.

Leb für uns…

Hatte ihre Herkunft vergessen.

Leb für uns…

Hatte ihren Stolz vergessen.

Leb für uns…

Sie hatte vergessen wer sie war.

Leb für uns…

Ja, wer war sie? Wer war sie wirklich? War sie diese rothaarige Köchin der Marine, die sie jetzt sehen würde, wenn sie in einen Spiegel blicke?

Leb für uns…

Nein. Das war nicht sie. Das war nicht ihr wahres Ich. Das war nicht ihr Ich, welches ihr Vater so geliebt hatte. Für das seine Crew ihr Leben hergegeben hatte. Das war nicht ihr wahres Ich.

Leb für uns…

„Nimm mich mit!,“ schrie sie letztendlich dem Rotschopf entgegen, „Nimm mich mit auf die See, denn ich gehöre dorthin. Aufs weite Meer gehöre ich. Das Meer, welches ich als Kind so geliebt habe. Welches ich als Kind eines Piraten befahren habe. Welches ich als Pirat befahren will. Denn ich bin ein Pirat! Ich war schon immer ein Pirat und ich werde es immer sein! Ich bin stolz ein Pirat zu sein. Ich bin stolz die Tochter von Rene ‚mit dem Stahlfuß’ zu sein. Und ich wäre stolz Mitglied deiner Bande sein zu dürfen! Bitte… Bitte nimm mich mit. Nimm mich dahin mit, wohin ich gehöre. Auf die hohe See!“

Tränen rannen ihre Wangen hinab, während sie all ihren Gefühlen, die sie so lange geleugnet und weggesperrt hatte, endlich freien Lauf ließ.

Schluchzend und weinend krallte sie sich am Hemd ihres neuen Kapitäns fest. Sie hatte immer an die Gerechtigkeit der Marine geglaubt. Doch dieser Glaube war erschüttert worden. Vielleicht fand sie ja Gerechtigkeit im Leben eines Piraten wieder. Denn schließlich hatte Tyke ihr bewiesen, dass nicht alle Piraten böse Menschen waren.

Stille kehrte in den Raum ein. Niemand wagte etwas zu sagen. Niemand wagte diesen Moment zu zerstören. Weder Aisuru, noch die Soldaten der Marine. Auch der Chefkoch und der Vizeadmiral nicht. Alle wartete sie auf die Antwort des Rothaarigen. Dieser nahm sie herzlich in den Arm. Drückte sie an sich.

„Klar doch. Dein Wunsch sei dir gewährt,“ flüsterte Tyke und es kam Nina so vor als reiche sein Grinsen von einem Ohr bis zum Anderen.

Da waren sie gewesen. Die befreienden Worte. Und plötzlich brauch es aus den anwesenden Soldaten heraus. Jubelschreie. Sie feierten regelrecht die Aufnahme von Nina, in dieser kleinen Bande.

Auch Aisuru war erleichtert und streckte erneut seine Hand mit dem erhobenen Daumen aus.

Sie hatten also ein weiteres Mitglied für ihre Bande gefunden.

Ihre Köchin.

Doch dann erinnerte sich der Blauhaarige daran, dass sie sich noch immer mitten in einer Marinebasis befanden – auch wenn diese gerade dabei war zu feiern, zu jubeln und zu lachen – und ein Vizeadmiral ihnen den Fluchtweg versperrte.

„Ich will jetzt nicht die Stimmung trüben, aber wir sind aus der Geschichte noch nicht ganz raus,“ meldete er sich schließlich zu Wort und blickte besorgt zu Ne Lasag.

Langsam richtete er sich auf und gesellte sich zu seinen beiden Freunden. Gemeinsam sahen sie zu dem Vizeadmiral. Es war unmöglich seinen Blick einzuschätzen.

„Bursche, wie ist dein Name?“

„Ich heiße Raven D. Tyke,“ antwortete der Rothaarige und blickte starr in die Augen seines Gegenübers.

Der Vizeadmiral konnte keinen Funken Angst in ihnen erkennen.

Nein, stattdessen brannte ein leidenschaftliches Feuer in ihnen. Dieser Junge würde einmal ganz groß werden. Er konnte jetzt diesen aufstrebenden Stern im Keim ersticken oder ihn ziehen lassen und sehen was aus ihm heranwachsen würde.

„Einer der D’s? Erstaunlich. Aber dein Name ist mir nicht bekannt.“

„Ich bin erst seit kurzem alleine auf See unterwegs. Davor war ich nur Passagier… Nein… Mitglied auf einem anderen Piratenschiff,“ erklärte Tyke und verschränkte seine Arme vor der Brust.

Nicht eine Sekunde lang wandte er seinen Blick ab. Wozu auch? Er hatte dazu keinen Grund. Er war sich seiner Sache sicher. Ein verschmitztes Lächeln erschien auf seinen Lippen. Er würde sich seinen Weg bahnen. Egal wie.

„Auf wessen Schiff denn?“

„Der Eternal Jolly. Das Schiff des Samurai Monkey D. Loris!“

Sämtlichen Marinesoldaten im Raum, entgleisten ein weiteres Mal die Gesichtszüge, bei diesem Namen, während sie zu feiern und zu jubeln aufhörten. Was für Menschen hatten sich in diesem Raum eingefunden?

Dieser Name war einer von denen, die einem Schlag ins Gesicht gleich kamen. Namen von lebenden Legenden. Jeder kannte Loris. Auch wenn er nicht der Samurai mit dem höchsten ehemaligen Kopfgeld war, wussten alle, dass er mitunter der Gefährlichste war. Und vielleicht sogar der Stärkste der momentanen sieben Samurai der Weltmeere.

Schließlich war Loris der Enkel des zweiten Piratenkönigs.

„Erstaunlich, erstaunlich,“ wiederholte Ne Lasag seine Worte anerkennend, „Dann kann man von dir Großes erwarten?“

„Natürlich! Schließlich will ich der nächste König der Piraten werden!,“ protzte Tyke lautstark herum.

„Nun denn, nächster Piratenkönig. Ich überlasse dir einen Angriff. Zeig mir was du kannst! Vielleicht lasse ich sogar Gnade vor Recht walten,“ entschied Ne Lasag, was dazu führte, dass die Soldaten der Marinebasis Ironbase zu tuscheln begannen.

Wie konnte ein Vizeadmiral nur ein solch unmoralisches Angebot einem Piraten unterbreiten?

Tyke aber ließ sich nicht zweimal bitten und ergriff kurzerhand sein kleines Säckchen mit den Eisenspänen.

Gelassen und ruhig, schüttete er den Inhalt aus und streckte anschließend seine Hände nach vorne aus.

„Magnetisierung – Fists of Iron!“

„Du besitzt also Teufelskräfte?,“ stellte Ne Lasag fest, jedoch ohne ein Anzeichen von Überraschung, und wartete mit zur Seite gestreckten Armen auf Tykes Angriff.

Kaum hatte der Rotschopf seine Worte zu Ende gesprochen, umhüllten die kleinen metallischen Eisenspäne seine beiden Fäuste und umgaben sie so mit einer harten Schicht aus Eisen. Dies würde seine Schlagkraft deutlich verstärken.

Langsam ging er auf den Vizeadmiral zu. Als er ihm genau gegenüber stand blieb er schließlich stehen. Ein kurzer Blick in die Augen des Vizeadmirals. Mehr war nicht nötig.

Es wirkte für alle Anwesenden wie in Zeitlupe, als der Rotschopf seinen Arm erhob und…

Seine Hand auf die Brust des Vizeadmirals legte.

„Ich habe es nicht nötig mich zu beweisen,“ flüsterte Tyke und ging einfach an dem stolzen Mann vorbei.

Der rothaarige Piratenkapitän hatte wahre Größe bewiesen.

Ja, er konnte es schaffen, da war sich der Vizeadmiral nun sicher.

Mit weit geöffneten Augen stand er da. Seine Arme noch immer ausgestreckt.

An der Tür zur Marinebasis blieb Tyke stehen und wartete.

Aisuru war der Nächste, der sich in Bewegung setzte.

„Wir werden gut auf Nina acht geben. Darauf gebe ich ihnen mein Wort als Mann von Ehre,“ sprach Aisuru, als er an dem Vizeadmiral vorbei trat.

Nachdem auch er den Eingang erreicht hatte, drehten sich die beiden Piraten um und warteten erneut. Auf das neuste und letzte Mitglied ihrer noch jungen Bande. Diese wischte sich über ihr Gesicht, um halbwegs ansehnlich auszusehen und trat dann vor den Vizeadmiral heran.

„Vielen Dank, für alles. Ich werde ihnen nie vergessen, was sie für mich getan haben. Passen sie bitte für mich auf Allen und die Kinder auf, ja?“

„Natürlich.“

Nina wollte bereits weiter gehen, als sie plötzlich hinter ihm stehen blieb und sich gegen den Rücken ihres Mentors anlehnte.

„Bevor ich es vergesse. Ich erwarte sie auf der Grand Line. Ich muss doch meinen Vater rächen. Keine Sorge, ich will sie nicht töten. Das würde ich nicht über mein Herz bringen. Nicht nach all den Jahren, die sie für mich da waren. Ich will sie nur besiegen. Und das werde ich,“ kaum hatte sie die Worte gesprochen begab sie sich zu ihren neuen Gefährten.

Langsam drehte sich ihr Mentor um und rief ihr fröhlich entgegen: „Auf diese Worte habe ich seit zehn Jahren gewartet. Zehn lange Jahre.“

Gemeinsam verließen die drei Piraten die Basis und machten sich auf den Weg zum Hafen. Es war an der Zeit zur nächsten Insel zu fahren. Nur wenige Sekunden nachdem sie die Marinebasis verlassen hatten, wollten die Soldaten ihnen bereits hinterher stürmen, doch wurden sie aufgehalten.

„Halt!,“ befahl der Vizeadmiral, „Ich könnte diesen Jungen zwar hier und jetzt besiegen. Doch würde es nichts an der Tatsache ändern, dass der Junge mich bereits übertroffen hat.“
 

* * * * *
 

Genüsslich aßen Tyke und Aisuru die vielen Speisen, die der Chefkoch ihnen auftischte. Zwar hatten sie direkt zum Hafen gehen wollen, um von dort aus zur nächsten Insel zu gelangen, doch als er sie eingeholt und ihnen angeboten hatte, ihnen ein Festmahl zum Abschied zu zubereiten, konnten sie einfach nicht absagen. Außerdem hatten die Beiden noch immer nichts Vernünftiges zwischen die Kiefern bekommen.

„Haha, ihr seid ja ganz schön ausgehungert,“ lachte Nina und half dem Chefkoch in der Küche.

„Wenn ihr wollt, könnt ihr von mir auch ein wenig Proviant haben,“ bot dieser der kleinen Truppe an.

„Vielen Dank. Aber wir wollen ihnen nicht zur Last fallen,“ meinte Tyke.

„Keine Sorge. Ich tu das gerne. Ihr habt Nina fröhlich gemacht, so glücklich habe ich sie in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.“

„Chefkoch!,“ protestierte diese und versuchte ihr leicht rotes Gesicht zu verstecken.

„Kein Problem,“ meinte Aisuru und hoffte diesmal Erfolg zu haben, mit seinem erhobenen Daumen.

„Geh sterben.“

„Wuhääää! Wieso ist sie die einzige Frau, die ich je erlebt habe, bei der mein Charme nicht funktioniert? Tyke, willst du nicht vielleicht eine andere Köchin?“

„Willst du Ärger, Blaubeere? Dich blöden Zauberfutzi, hau ich doch locker KO!,“ schrie Nina sofort und warf mit einem feuchten Küchenlappen, auf den Navigator der kleinen Bande.

Zielsicher traf sie dabei sein Gesicht und bewirkte somit, dass dieser vor Schreck von seinem Stuhl fiel.

„Was soll das, du dummes Mannsweib?!“

„Sag das noch einmal!“

„Dummes Mannsweib!“

„Argh, komm her! Renn nicht davon, Angsthase.“

„Mit denen, wirst du keine Ruhe mehr haben,“ meinte der Chefkoch an Tyke gewand.

„Iff vinfe zie luzfig,“ entgegnete der Rotschopf mit vollem Mund und war bereits dabei auch Aisurus Portion wegzuessen.

„Ja, da hast du Recht. Was habt ihr als nächstes vor?“

Tyke kaute ein wenig schneller und versuchte alles auf einmal herunter zu schlucken, jedoch war der Speisebrocken zu groß und so drohte der junge Kapitän auch noch daran zu ersticken.

Schnell eilte Nina herbei und drückte immer wieder gegen seinen Brustkorb, um ihm zu helfen das Essen wieder auszuspucken. Doch schnell zeigte Tyke, dass er das Essen lieber runterschlucken wollte, indem er die Hände so fest er konnte vor den Mund hielt.

Daraufhin begann Aisuru ihn zu würgen und dabei den Essensklops seinen Hals hinab zu drücken.

„Uaaaah! Ich dachte schon ich sterbe! Danke ihr Beiden. Also erst einmal brauche ich eine volle Mannschaft. Das heißt ich will vor der Grand Line noch einen Schiffsarzt haben und einen Zimmermann, der unser Schiff reparieren kann.“

„Wir brauchen erst einmal ein vernünftiges Schiff,“ entgegnete Aisuru bei dem Gedanken an ihre kleine Nussschale, die auch noch geklaut war.

„Einen guten Zimmermann findet ihr im West Blue nicht. Ihr solltet euch lieber einen auf der Grand Line suchen. Da gibt es ganz Berühmte. Vor allem die Männer aus Water 7 sind legendär. Und dann auch noch die Zimmermänner aus Kilmandscho. Dort soll ein ganz begabter Junge leben, habe ich gehört,“ meinte der Chefkoch.

„Weißt du auch, wo wir gute Ärzte finden?“

„Ihr könntet es auf einer Insel ganz hier in der Nähe versuchen. Sie heißt Acidem und dort soll vor Jahren ein berühmter Arzt hingezogen sein. Es heißt er lebe dort als alter Eremit.“

„Dann ist unser nächstes Ziel Acidem!,“ entschied Tyke sofort, „Und bring uns sicher dorthin, Aisuru. Ansonsten kannst du gleich da bleiben. Ich brauch keinen miesen Navigator der nicht einmal zaubern kann.“

„Schnauze!“

„Aber du willst doch nicht nur zwei weitere Mitglieder finden, oder?,“ fragte der Chefkoch.

„Nein, ich habe mich bereits entschieden, dass ich elf weitere Personen um mich versammeln will.“

„Nur elf?“

„Ja.“

„Wieso nur elf?“

„Weil wir dann insgesamt ein Dutzend Mann wären. Eine schöne Zahl, wie ich finde.“

„So etwas kannst du doch nicht anhand deiner Sympathie zu einer Zahl festmachen,“ meinte Nina geschockt.

„Wieso nicht? Elf starke Männer und Frauen an meiner Seite. Mehr brauch ich nicht um König der Piraten zu werden. Zwei habe ich schon, fehlen mir nur noch neun.“

„Nun ja, auch der berühmte Monkey D. Ruffy hatte keine tausend Mann gebraucht, um sein Ziel zu erreichen. Wenn du sagst, dass elf reichen, dann werden sie auch reichen,“ verteidigte der Chefkoch die Position des Rothaarigen.

„Wir können ja eh seine Meinung nicht ändern,“ meinte Aisuru resignierend und trank einen kräftigen Zug seines Bieres.

„Ich wünsch euch Dreien auf jeden Fall alles Gute. Ich werde alles verfolgen, was ich über euch finden kann. Vor allem freue ich mich schon auf eure ersten Steckbriefe. Insbesondere auf deinen, Nina.“

„Wieso das denn?“

„Nun ja. Ich will sehen, ob du deinen Vater übertrumpfen kannst. Ob du es vielleicht sogar so weit bringst wie dein Großvater,“ meinte der Bärtige grinsend.

„Ich gebe mein Bestes.“

„Das ist die richtige Einstellung. Chefkoch, haben sie eigentlich auch einen richtigen Namen? Nicht nur dieses ‚Chefkoch’?,“ fragte Tyke plötzlich in die Runde und wechselte damit schlagartig das Thema.

„Ja, habe ich. Aber ich habe ihn schon lange abgelegt. Und da ich der älteste innerhalb der Reihen der Marinebasis bin, kennt dort keiner meinen richtigen Namen mehr.“

„Wieso haben sie ihn abgelegt?,“ fragte Tyke weiter.

„Vielleicht erzähle ich es dir, wenn du wieder kommst. Als Piratenkönig natürlich. Außerdem dachte ich, ihr wolltet ein wenig feiern vor eurer Abreise?!“

„Stimmt ja! Na dann: Auf unsere Abenteuer!,“ schrie Tyke glücklich und so stießen sie fröhlich lachend ihre Bierkrüge aneinander.
 

* * * * *
 

„Mein Schädel dröhnt wie verrückt,“ jammerte die attraktive Köchin.

„Kein Wunder, du hast mehr gesoffen als wir Beide zusammen,“ behauptete Aisuru und deutete dabei auf sich und ihren Kapitän, „Typisch Mannsweib eben.“

„Geh sterben,“ stieß sie schwach hervor und als eine weitere Welle das kleine Boot traf, übergab sich die Rothaarige augenblicklich in das klare Meerwasser.

„Wie lange brauchen wir bis nach Acidem?,“ fragte Tyke und machte es sich auf ihrem Boot so gemütlich wie nur irgend möglich.

„Ungefähr eine Woche. Wenn der Wind gut steht,“ meinte Aisuru und legte sich ebenfalls hin.

„Wieso geht es euch nicht so schlecht wie mir? Ihr habt auch jeder mindestens ein Fass leer getrunken.“

„Wir vertragen den Alkohol besser,“ antworteten sie gleichzeitig und bekamen noch mit, wie Nina erneut das leckere Essen, welches sie auf der Marinebasis verspeist hatten, den Hals emporstieg.
 

* * * * *
 

„Kapitän, ganz ruhig. Halten sie bitte noch aus. Wir sind bald da! Dort wird man sie behandeln. Der alte Eremit soll ein ausgezeichneter Arzt sein,“ meinte der dunkelhäutige Mann zu seinem bleichen Kapitän.

Auch die anderen Crewmitglieder sahen besorgt zu ihrem einst so stolzen Anführer, der nun als gebrochener Mann in seinem Bett lag. Das Fieber war zwar ein wenig zurückgegangen, doch wirkten seine Augen bereits leblos und vollkommen leer.

Er hatte schon vor Tagen aufgegeben sich gegen die Krankheit zu wehren. Obwohl er es auf die Grand Line geschafft hatte und stets dadurch auffiel nie aufzugeben. Doch scheinbar war das alles umsonst gewesen, wenn er nun von irgendeiner Krankheit dahin gerafft wurde, deren Namen er nicht einmal kannte.

So weit war es also mit dem berühmten Schrecken aus dem West Blue gekommen.

Dem berühmt-berüchtigten Kapitän Arsen.

Nie hatte er Gnade walten lassen und nun schien das Schicksal ihm gegenüber ebenfalls keine zeigen zu wollen. Also wozu noch kämpfen?

„Kapitän, wir sind bald da. Bitte halten sie durch!“

Eine Insel in Gefahr

„Sag mal, Aisuru… Was soll das Ganze?,“ fragte Tyke und verschlang einen großen Löffel voll von seinem köstlichen Pudding, welchen Nina ihm vor wenigen Minuten überreicht hatte.

Es war eine Eigenkreation der Smutje, welche sie ‚Zauberpudding’ taufte, da man weder Milch noch einen Herd brauchte, um den Pudding zu zubereiten zu können. Und da beide Dinge auf ihrem kleinen Boot nicht vorhanden waren, war dies eine praktische Lösung.

Tyke musste auch zugeben, dass – obwohl er nicht auf die herkömmliche Art und Weise gemacht wurde – der Pudding dennoch vorzüglich schmeckte. Vor allem da er Tykes Lieblingsgeschmacksrichtung hatte… Zitrone.

„Ich glaube bei unserer Smutje habe ich eine bessere Wahl getroffen, als beim Posten des Navigators,“ flüsterte der Kapitän leise vor sich hin, doch Aisuru hatte – zu seinem Leidwesen – sehr gute Ohren.

„Schnauze, Tyke! Ansonsten fliegst du gleich aus dem Boot. Und um zu deiner Frage zurück zu kommen: Ich muss trainieren,“ stieß dieser angestrengt hervor.

„Solltest du nicht lieber auf den Kurs achten?,“ fragte Nina und schleckte den Löffel in ihrer Hand ab.

Sie hatte sich selbst ebenfalls eine Puddingportion gegönnt und diese bereits aufgegessen.

„Tu ich schon. Keine Sorge.“

„Und wieso willst du unbedingt trainieren?,“ hakte Tyke weiter nach.

„Ich habe während meiner Zeit auf Tichs Schiff meinen Körper verwahrlosen lassen. Früher, als ich noch bei meinem Meister gelebt habe, war ich viel stärker. Wäre ich noch so fit wie damals, könnte es keiner nur mit reiner Körperkraft mit mir aufnehmen. Denn das Training bei Meister Sullivan ist sehr hart und ich bin der Einzige all seiner Schüler, der es je bis zum Schluss absolviert hat.“

„Verstehe. Sullivan… irgendwoher meine ich den Namen zu kennen,“ nuschelte der Rotschopf sich am Kopf kratzend, zuckte dann aber mit den Schultern und meinte stattdessen, „Ich sollte vielleicht auch meine Teufelskräfte trainieren, damit ich größere Objekte als nur Eisenspäne steuern kann.“

„Hmm? Wie meinst du das,“ wollte Nina diesmal interessiert wissen.

„Ich habe meine Kräfte noch gar nicht so lange. Höchstens fünf oder sechs Monate… wenn es hoch kommt. Ich muss mich selbst also noch an sie gewöhnen und an die Möglichkeiten, die ich mit ihnen habe. Außerdem habe ich auch noch nicht einmal viel Erfahrung mit meinen Kräften. Bisher war es nur selten wirklich notwendig sie einzusetzen.“

„Also, seit ich dich kenne, hast du sie bereits verdammt oft genutzt,“ ächzte der Blauhaarige angestrengt.

„Verstehe. Da bin ich ja froh, dass ich keine Teufelskräfte habe. Aisuru, wann erreichen wir eigentlich Acidem? Unser Proviant neigt sich nämlich langsam aber sicher dem Ende entgegen.“

„Morgen sollten wir dort sein. Und nun stört mich nicht weiter. 1157… 1158… 1159…,“ bei jeder ausgesprochenen Zahl, vollführte der Blauhaarige einen Liegestütz aus, jedoch mit dem sichtlich gelangweilten Kapitän der kleinen Bande auf dem Rücken sitzend.

Als zusätzliches Trainingsgewicht.
 

* * * * *
 

Erbarmungslos knallten die heißen Sonnenstrahlen auf den Hafen von Kinatob, der wichtigsten von drei Städten auf der kleinen und unscheinbaren Insel Acidem.

Es war bereits seit Tagen unglaublich heiß gewesen und offenbar sollte die Hitzewelle sobald auch kein Ende nehmen, weshalb die meisten Arbeiter und auch die sonstigen Männer in der Stadt mit nackten Oberkörpern umherliefen. Die Frauen dagegen mussten sich mit Bikinioberteilen oder luftigen Shirts begnügen. Bei manchen Damen war dies für die Männer sogar eine Augenweide… bei einigen Anderen eher weniger. Wobei sicherlich auch die Frauen nicht mit jedem Mann, den sie sahen zufrieden sein konnten.

Und dennoch – oder vielleicht gerade wegen diesen zusätzlichen Heißmachern – perlte den Männern am Hafen der Schweiß schier Literweise über ihre muskulösen Körper. Sie mussten es akzeptieren und irgendwie kamen sie damit schon klar. Sie hatten schon ganz andere Sachen durch gestanden.

„Schaut! Dort nähert sich ein Schiff,“ rief auf einmal einer der vielen Hafenarbeiter seinen Kollegen zu.

Er hatte eher zufällig auf Meer hinaus gesehen und dabei den großen Zweimaster erblickt. Die anderen Hafenarbeiter schauten unterdessen verwirrt auf, ließen die Arbeit kurz ruhen und gesellten sich danach zu ihrem Kameraden, um ebenfalls zu dem mächtigen, aus dunklem Holz gefertigten Schiff blicken zu können, welches sich ihnen langsam näherte.

Außer einigen wenigen Handelsschiffen, die noch nicht erwartet wurden, sah man eher selten Schiffe in diesen Meeresgefilden. Alle fragten sich aus diesem Grund, um was für ein Schiff es sich handeln möge. Aufgrund der noch viel zu großen Entfernung konnten sie nämlich nicht eindeutig die gehisste Flagge des fremden Holzungetüms erkennen. Ein Marineschiff konnte es jedenfalls nicht sein, soviel war schon einmal sicher. Denn diese besaßen meist eine spezielle, zur Tarnung dienliche, Musterung, welche in diesem Fall jedoch nicht zu erblicken war.

War es vielleicht doch das Schiff eines Händlers auf Reisen? Womöglich war er vom Kurs abgekommen und brauchte Hilfe.

Nach wenigen Minuten, in denen das Schiff sich rasch dem Hafen genähert hatte, weiteten sich die Augen eines Arbeiters, der plötzlich aufgebracht schrie: „Oh mein Gott! Es ist ein Piratenschiff!“

In diesem Moment sahen auch die anderen Hafenarbeiter das Zeichen auf der Flagge.

Es handelte sich um einen giftgrünen Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen, die jedoch leicht wabbelig und verschwommen wirkten. Man könnte meinen, dass dies an der wehenden Flagge lag. Doch wer dieses Zeichen kannte, wusste dass die Knochen tatsächlich so gezeichnet worden waren. Dies diente nur einem Zweck: Sie sollten so aussehen, als seien sie nicht fest und stabil, sondern viel mehr gasförmig oder flüssig.

Denn dies war das Zeichen von… Piratenkapitän „Giftpilz“ Arsen.
 

* * * * *
 

„Alter Mann! Alter Mann!,“ ertönte eine fröhliche Kinderstimme und errang damit die Aufmerksamkeit des weißhaarigen Einsiedlers und der jungen Frau, die an seiner Seite stand und nun leicht den Kopf erhob.

Sie musste unter Schmerzen einsehen, dass ihr Nacken eindeutig verspannt war. Scheinbar hatte sie zu lange in ihrer vorn übergebeugten Haltung gestanden.

„Schrei doch nicht so herum, hohoho,“ antwortete der Eremit lachend aus seiner Höhle heraus und blickte fröhlich zu der blonden Frau, die ihm bis zu diesem Moment zur Hand gegangen war. Auch sie musste lächeln, widmete sich dann aber wieder ihrer Aufgabe zu, bei der sie einige Kräuter mit einem Mörser in einer weißen Keramikschale zerrieb. Offensichtlich war er nicht so verspannt wie sie. Dabei war er doch viel älter als sie.

„Sie ist immer so lebensfroh… aber auch laut,“ dachte die Blondine, um auf andere Gedanken zu kommen, und schüttelte leicht mit dem Kopf.

Doch war es ihr nicht vergönnt auf andere Gedanken kommen zu können, denn plötzlich stürmte ein kleines Mädchen – von vielleicht elf oder zwölf Jahren –, wie ein kleiner, zum Leben erwachter Wirbelsturm, in die Berghöhle des Einsiedlers.

Ihre Stimme war es auch gewesen, die der Alte und seine Assistentin zuvor gehört hatten.

Ihr brauner, zotteliger Haarschopf wehte umher, während sie zwischen den beiden Höhleninsassen lachend umher wuselte. Die Stille der Einsamkeit wurde von ihrer Lebhaftigkeit vernichtet und in alle Winde verstreut. Denn nun war sie der Mittelpunkt, den es zu beachten galt.

„Sei gegrüßt, May,“ meinte der Eremit glucksend.

„Alter Mann,“ rief die kleine May ihrerseits wieder und sprang ihn förmlich an- jedoch erwischte sie gerade einmal seine Hüfte, wobei sie ihn jedoch auch herzlich umarmte und kräftig an sich drückte. Daraufhin beugte er sich kurz zu ihr hinab, um sie ebenfalls an sich zu drücken.

„Hohoho! Na da freut sich aber jemand. Bist du wegen deiner Schwester hier?“

Das Mädchen nickte so kräftig, dass ihre Haare, wie schon bei ihrer wilden Rennerei durch die Höhle, in alle Richtungen geschleudert wurden und zum Schluss in ihrem Gesicht hingen. Sie grinste breit hinter dem Haarvorhang hervor und begann dann die eigensinnige Mähne zu zähmen. Anschließend drehte sie sich um und lächelte auch der Blondine entgegen. Diese konnte erneut nur mit dem Kopf schütteln.

Viel zu lebhaft…

„Offensichtlich muss ich nach Hause, Doktor,“ meinte die Frau anschließend, schob die Schale mit den zerriebenen Kräutern von sich und zerzauste neckisch ihrer kleinen Schwester ordentlich die Haare, welche darüber jedoch alles andere als begeistert war und wütend die Wangen aufplusterte. Doch das reichte ihr nicht aus, um ihre Stimmung zum Ausdruck zu bringen, weshalb sie zusätzlich und in trotziger Haltung die Arme vor der Brust verschränkte. Ihre ältere Schwester setzte jedoch noch eins drauf, setzte mit ihren Zeigfingern an die Wangen ihrer Schwester an und drückte sie zusammen, woraufhin diese die aufgesogene Luft wieder auspusten musste. May war auch damit nicht zufrieden und eilte schnell zu dem alten Eremiten, um sich hinter ihm schützend zu verstecken.

„Hohoho. Wirklich amüsant. Wirst du später wieder kommen?“

„Ja, Doktor. Wir müssen doch die Arznei für meine Schwester vorbereiten. Es ist bald bei ihr so weit,“ antwortete die Ältere, während die Jüngere wieder mit ihren Haaren kämpfte, dennoch auf ihre Schwester aufpasste, da sie nicht erneut Opfer irgendeiner Hinterhältigkeit zu werden.

„Keine Sorge. Sie wird es schon überstehen,“ antwortete der alte Mann und verabschiedete sich von den Beiden. Bei May mit einer Umarmung, bei seiner Assistentin mit einem kurzen Nicken. Als die Beiden schließlich die Höhle verlassen hatten, begann er in Ruhe wieder an der Zubereitung des Medikaments weiter zu arbeiten.

Denn wie seine Assistentin und Schülerin schon erwähnt hatte… Bald war es soweit.
 

* * * * *
 

„Kapitän, wir sind da,“ rief der dunkelhäutige Mann, der auch gleichzeitig der erste Maat der Fingerhut-Piraten war, seinem Kapitän zu.

Doch diesen schien die Information wenig zu interessieren. Von Schmerzen gepeinigt ächzte er, als seine Männer ihn auf Befehl des Vizes auf eine Trage betteten und vorsichtig vom Schiff trugen. Trotz des vorsichtigen Umganges, wurde ihnen zusätzlich angeordnet, sie sollen sich auch ein wenig beeilen, da mit jeder Sekunde die verstrich, die Chancen auf sein Überleben ihres Kapitäns immer schlechter standen.

Während die Männer der Fingerhut-Piratenbande also dem Befehl ihres ersten Maats nachgingen, eilte dieser zu einem der Hafenarbeiter, packte ihn am Kragen und zog ihn ganz nah an sein Gesicht heran. Sein eisiger Blick bohrte sich in den des Arbeiters. Ein Blick der vielleicht sogar töten könne. Doch im Moment galt es den Kapitän zu retten.

„Wo ist der Eremit?,“ zischte der Dunkelhäutige, wie eine Schlange die ein wenig mit ihrer Beute spielte, ehe sie sie gänzlich verschlang.

„W-Welcher… Eremit?“

„Spiel lieber nicht mit deinem Leben. Unser Käpt’n liegt im sterben und angeblich lebt hier der ehemalige Privatarzt des Königshauses von Dalhambra. Nur deshalb sind wir hier. Wir wollen zu ihm. Also… Ich frage dich erneut: Wo ist der Eremit?“
 

* * * * *
 

Schweigend saßen die vier Personen an dem schweren, dunklen Eichentisch.

Nur das Klimpern und Klappern ihres versilberten Besteckes auf dem teuren, weißen Porzellan durchbrach diese beinahe fühlbare und belastende Stille.

Die ältesten beiden Personen saßen dabei gemeinsam an einem Ende des gut sechs Meter langen Tisches und verspeisten dort ihre Mahlzeiten. Es handelte sich bei ihnen, um einen Mann und seine Frau. Und auch um die Eltern der beiden Mädchen, welche an dem anderen Ende saßen.

Der Familienvater, sein Name war Matsu Medica, hatte das Kopfende für sich beansprucht, während seine Frau zu seiner Linken, an der längeren Seite, Platz genommen hatte. Außer ihren Tellern, befanden sich auch Schalen mit verschiedenen Soßen und Salaten oder Platten, mit Fisch- und Fleischgerichten auf dem Tisch. Die Menge an Lebensmittel vor den Vieren hätte vermutlich sogar zehn Leute satt machen können. Doch irgendwie hatte keiner am Tisch so Recht Hunger und so blieben die Köstlichkeiten zu einem Großteil unangetastet. Nur wollte keiner von ihnen unhöflich wirken. Vor allem da sich die Köchin so viel Mühe mit der Zubereitung gegeben hatte. Daher zwangen sich alle zumindest ein bisschen zu essen.

Abgesehen von den schmackhaften Speisen, befanden sich aber auch ein sechsarmiger Kerzenleuchter und verschiedene Blumendekorationen auf der Seite des Tisches, wo auch die Eltern saßen. Anders als bei den beiden Mädchen, die auf jegliche Art der Dekoration gerne verzichteten.

„Wirst du ihn heute noch einmal besuchen?,“ fragte Matsu plötzlich seine ältere Tochter.

Diese blickte daraufhin zum ersten Mal während des Essens auf. Ein kurzes Nicken war ihre Antwort, mehr nicht. Mehr war im Grunde auch nicht nötig.

„Bald ist es soweit, nicht wahr? Du musst dich mit ihm, um deine Schwester kümmern.“

Sie nickte erneut und beide Schwestern sahen sich schweigsam an. Doch dann lächelte die Angesprochene leicht, weshalb auch ihre junge Schwester zu lächeln begann. Es war, als wenn eine dicke Eisschicht durchbrochen worden wäre. Das Lächeln beider Mädchen war voller Wärme und sie schienen damit sogar den Raum erleuchten zu können.

„Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als du um dein Leben gefürchtet hast. Und nun schau dir May an. So ruhig. Obwohl sie weiß, was auf sie zukommen wird,“ meinte Herr Medica betrübt.

„Ich vertraue auf meine Schwester,“ meinte May ruhig, „Sie tut alles um mich zu beschützen.“

„Dafür muss sie aber ein sehr großes Opfer leisten. Es tut uns Leid, mein Liebes. Wegen uns konntest du nicht abreisen, als dich dieser nette Mann gefragt hatte. Dabei wolltest du doch so sehr,“ begann Matsus Frau, Shion Medica, die Mutter der kleinen Familie, und sah mitleidig zu ihrem geliebten Sonnenschein.

Diese schüttelte mit den Kopf, wodurch ihre golden leuchtenden Haare ein wenig aufgewirbelt wurden: „Mmh… Es ist in Ordnung. Ich bin Niemandem böse und gebe auch Niemandem die Schuld. Es ist, wie es ist. Macht euch also bitte keine Sorgen, Okaa-san, Otou-san.“

Mays große Schwester erhob sich von ihren Platz und verbeugte sich leicht. May tat es ihr gleich, woraufhin sofort zwei Dienstmägde zur Stelle waren, um das Geschirr abzuräumen.

„Du… Ihr seid schon so erwachsen. Wie die Zeit doch verfliegt,“ meinte ihr Vater, der sein Kinn auf seine, wie zum Gebet gefalteten, Hände stützte. Keiner wusste, dass er insgeheim tatsächlich betete, dass seine jüngere Tochter auch die Chance bekäme so ein Leben wie ihre Schwester führen zu können.

Nachdem sich die beiden Mädchen von ihren Eltern verabschiedet und den Raum verlassen hatten, näherte sich eben diesen ein stolzer, in die Jahre gekommener Mann mit Glatze, Schnauzer und in einem schwarzen, adretten Anzug gekleidet. Es handelte sich um den Butler der Familie Medica.

„Ma…,“ setzte er an, doch der Herr des Hauses unterbrach ihn: „Ist mein Paket angekommen, Alfred?“

Der Butler nickte lediglich, da er wusste, dass er sowieso nur wieder unterbrochen werden würde.

„Sehr schön. Entschuldige mich bitte,“ sprach Matsu zu seiner Frau, erhob sich, gab ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange und verließ eiligen Schrittes den Raum.
 

*Ein Tag später*
 

„Das ist Acidem?,“ fragte Tyke mit einem skeptischen Blick zu Aisuru.

„Ja! Wie oft denn noch?“

„Ich will nur sicher gehen. Du hast schon einmal im navigieren versagt.“

„Klappe, sonst werfe ich dich von Bord,“ drohte der ehemalige Magier seinem Kapitän genervt, wissend dass dieser ein Problem mit dem Schwimmen haben würde.

„Wenn wir an Land gehen, werde ich mich um die Verpflegung kümmern,“ schlug Nina vor, um das Thema zu wechseln, damit Aisuru seine Drohung nicht doch noch in die Tat umsetzte.

„Schon?“

„Ja. Falls wir schnell die Insel wieder verlassen müssen,“ erklärte Nina ihrem Kapitän den Grund, der eigentlich auf der Hand liegen sollte.

„Gut. Dann werden Aisuru und ich uns nach diesem Eremiten umschauen.“

„Willst du wirklich einen alten Mann in unsere Bande aufnehmen?,“ wollte der Blauhaarige wissen.

„Wenn er ein toller Arzt ist, warum nicht?“

„Ich muss ausnahmsweise Aisuru Recht geben. Wenn er schon ein alter Mann ist, wäre das nicht so gut. Ein junger Arzt wäre wesentlich besser.“

Doch kam Tyke nicht mehr dazu eine Entscheidung zu fällen – geschweige denn seine bisherige auf irgendeine Weise zu begründen –, da sie bereits den Hafen, der ihnen noch völlig fremden Insel, erreicht hatten und die Diskussion somit vorerst beendet war.

Während Aisuru ihr Boot am Hafensteg befestigte, damit es nicht abtrieb, bezahlte Nina den Hafenmeister. Ihre beiden Freunde schienen ja ärmer als Kirchenmäuse zu sein und da sie all ihr Erspartes auf die Reise mitgenommen hatte, blieb es an ihr hängen diese Aufgabe zu erfüllen. Dennoch entschied sie, dass sie auf jeden Fall ihre Taschen mit ein wenig Geld füllen mussten. Nur wie war die Frage.

Anschließend verabschiedete sie sich und versuchte herauszufinden, ob es irgendwo in der Nähe einen Marktplatz gab. Hoffentlich würde der Rest noch reichen für eine ausgewogene Menge an Proviant. Schließlich war neben dem Arzt der Schiffskoch die wichtigste Person, wenn es um die Gesundheit der Mannschaft ging.

„Und? In welche Richtung sollen wir gehen?“

„Wie wäre es, wenn wir jemanden fragen?,“ schlug Tyke vor und ging, noch bevor Aisuru etwas weiteres sagen konnte, zu einem kräftig aussehenden Hafenarbeiter, der gerade mehrere Holzbretter auf seine Schulter hievte und wegtragen wollte.

„Verzeihung?,“ begann Aisuru, da er das Fragen lieber übernehmen wollte. Doch als der Gigant sich zu ihnen wand, nahm sein Kapitän das Ruder wieder in die Hand und überrumpelte damit seinen Navigator vollkommen: „Wir suchen einen alten Eremiten. Können sie uns sagen, wo wir den finden?“

Er stellte die Frage, als seien Eremiten der neuste Modetrend und an jeder Ecke zu bekommen oder als würden sie an Bäumen wachsen, was ihm daher auch einen viel sagenden Blick des ehemaligen Magiers einbrachte. Vor allem sagte der Blick aber: „Trottel!“

Für einen kurzen Moment glaubte Aisuru dann aber so etwas wie Angst in dem Gesicht des Mannes aufblitzen zu sehen, weshalb er seine volle Aufmerksamkeit von seinem Kapitän losriss und stattdessen auf den Arbeiter richtete, ehe dieser endlich antwortete: „W-Was… H-Hier lebt kein Eremit.“

„Uns wurde aber gesagt, dass hier einer leben würde und dass er ein Arzt wäre.“

Der Hafenarbeiter schien kurz nachzudenken, bevor er seinerseits nun eine Frage stellte: „Was wollt ihr von ihm?“

„Ha! Also lebt hier ja doch einer!,“ rief Tyke triumphierend, ehe er hinzufügte, „Wir wollen, dass er unserer Bande beitritt.“

„Soviel zu einem jungen Arzt,“ nuschelte Aisuru beiläufig, ohne dabei den Arbeiter aus den Augen zu lassen.

„Eurer Bande?“

„Ja. Wir sind nämlich Piraten.“

Kaum hatte der Rotschopf die Worte ausgesprochen, ließ der Mann die schweren Holzbretter zu Boden fallen, wo sie lautstark aufprallten, und taumelte von den Beiden ein Stück weg. Der Krach hatte Aufmerksamkeit erregt und so blickten nun auch andere Arbeiter zu ihnen hinüber.

Es waren skeptische, vorsichtige Blicke. So als warteten sie nur auf ein Signal, um den beiden Jungspunden eine ordentliche Tracht Prügel zu verpassen.

„I-I-Ihr seid P-P-Piraten?!,“ rief der Gigant ängstlich.

Sofort entfernten sich auch die anderen Arbeiter von den beiden Burschen. Ihre vor wenigen Sekunden noch vorhandene Angriffslustigkeit, war einem unbändigen Entsetzen gewichen, welches ihre Gesichter zu absurden Werken modernster Kunst formte.

Was war mit denen auf einmal los? So eine Reaktion hatten die Beiden nun wirklich nicht erwartet. Erstens weil sie ihre Namen ja nicht einmal genannt hatten und zweitens weil sie sich noch keine Namen gemacht hatten, vor denen man sich fürchten müsse. Mal davon abgesehen, dass sie sowieso keine von diesen ‚Städte-plündern-yohohoho‘-Piraten sein wollten.

„Sind wir schon so berühmt? Wusste ich ja noch gar nicht,“ fragte Tyke seinen Begleiter grinsend und wandte sich dann wieder an den Mann vor sich: „Also, wo finden wir ihn denn nun?“

„Geht ins Zentrum der Stadt. Dort steht eine große, prächtige Villa. Fragt dort nach dem Eremiten. Man wird euch dort sicherlich weiterhelfen. Aber bitte verschwindet jetzt von hier.“

„Warum nicht gleich so?“

Gut gelaunt marschierte Tyke los, gefolgt von seinem Navigator. Dieser blickte ein letztes Mal argwöhnisch, zu den Hafenarbeitern. Irgendwas stimmte hier ganz und gar nicht. Wieso schickte man sie zu einer Villa wo sie nachfragen sollten, anstatt ihnen direkt den Weg zu dem Eremiten zu weisen? Und wieso hatten sie so ängstlich reagiert? Wieso hatte man ihnen überhaupt nach dieser Reaktion noch geholfen?

Tyke schien diese Unstimmigkeiten weder bemerkt, noch es eilig zu haben, die besagte Villa aufzusuchen. Ruhig schlenderte er durch die Straßen und sah sich jedes Gebäude genauestens an. Aisuru dagegen merkte, dass die Passanten – überall wo sie auftauchten – zu tuscheln begannen. Scheinbar hatte sich die Nachricht von den zwei Piraten, wie ein Lauffeuer in der Stadt ausgebreitet.

Hoffentlich würde das keinen Ärger bedeuten…
 

* * * * *
 

„Der Preis ist viel zu überteuert!,“ beschwerte sich Nina lautstark, was ihr einiges an Beachtung einbrachte, welche ihr unangenehm gewesen wäre, hätte sie ihrerseits die Umstehenden beachtet, „Ich bin keine Anfängerin, okay? Ich kenn mich mit Speisen, Lebensmitteln und ihren Preisen aus.“

„Das ist hier aber der normale Preis,“ verteidigte sich der Händler.

„Nichts da. Sie wollen nur bei mir als Reisende mehr abkassieren!,“ keifte Nina und eilte schnellstens von dem Stand davon.

Auch als der Händler versuchte seine verlorene Kundin wieder einzufangen, indem er ihr Preisvergünstigungen der Superlative versprach, achtete sie nicht darauf. Mit Halsabschneidern machte sie grundsätzlich keine Geschäfte.

Wütend stampfte sie daher zum nächsten Stand und betrachtete dort das frische Obst, welches zur Schau gestellt wurde. Auch das musste sie einkaufen. Leider wusste sie ja noch gar nicht richtig, welche Art von Speisen ihre Gefährten bevorzugten. Waren sie überhaupt Freunde der grünen Nahrungs- und Energiequelle? Wenn nicht, würde sich das mit ihr in der Kombüse schnell ändern.

Gerade wollte sie auch hier nach dem Preis fragen, als sie plötzlich vernahm wie zwei Frauen hinter ihr zu tuscheln begannen: „Hast du gehört? Am Hafen sind schon wieder Piraten aufgetaucht. Es sollen nur zwei sein. Aber wer weiß wie viel Männer es in Wahrheit sind. Und wo sie sich versteckt haben. Vielleicht sind es nur Kundschafter oder etwas Derartiges. Und die eigentliche Crew hat sich mit dem Schiff irgendwo versteckt und wartet auf ein Zeichen!“

„Schlimm, schlimm. Wieso haben die es nur auf uns abgesehen? Als ob wir nicht schon genug Probleme mit… du weißt schon wem… hätten.“

„Es heißt sie suchen auch nach dem alten Eremiten.“

„Ich habe schon immer gesagt, dass der nur Ärger bringt. Was ist an dem so toll, dass ihn so viele auf einmal suchen? Und wo sind die Beiden jetzt?“

„Angeblich sind sie auf dem Weg zur Villa der Medicas im Stadtzentrum.“

„Wenn sie nur zu zweit sind, dann werden sie dort schon ihr Ende finden. Die Ärmsten. Beinahe tun sie mir irgendwie Leid. Ich mein sie können ja nicht wissen, dass sie nicht die Einzigen sind, die nach dem…“

„Jetzt hör aber auf!,“ unterbrach die Dickere von ihnen ihre Freundin.

Entsetzt drehte sich Nina unterdessen um, woraufhin die beiden Frauen schließlich bemerkten, dass sie offensichtlich zu laut gesprochen hatten und sich eilig davon machten. Nina beachtete sie aber bereits nicht mehr. Wie wild kreisten ihre Gedanken um ein anderes, wichtigeres Thema.

„Wie schaffen Tyke und Aisuru es nur, sich innerhalb kürzester Zeit in Schwierigkeiten zu bringen?!,“ dachte die Smutje noch, bevor sie schließlich losrannte, in der Hoffnung die Beiden vielleicht ja noch abfangen zu können. Sie hatte ja nicht einmal richtig Zeit gehabt den Proviant einzukaufen und nun so etwas.
 

* * * * *
 

Es hatte nicht lange gedauert – trotz Tykes Schluderei und Zeitschinderei –, bis die Beiden den Weg, oder besser gesagt ihr Ziel, gefunden hatten. Doch nun standen sie vor dem verschlossenen gusseisernen Tor, welches den Eingang zu dem Gelände der Villa darstellte, und wussten nicht, wie sie hinein gelangen sollten. Was sollten sie machen? Mit Gewalt sich den Weg frei hauen? Das war vermutlich nicht die beste Idee, wenn man nur eine kleine Information haben wollte.

Das Gebäude selbst, war ein prächtiger weißer und etwas altmodischer Bau, dessen Dach aus orangenen Ziegeln gefertigt worden war. Gut dreißig bis vierzig Jahre alt. Man könnte also von einem richtigen Altbau sprechen. Vielleicht sollte er aber nur so alt aussehen, denn Mängel schien das Gebilde von Außen keine zu haben. Das könnte aber auch nur daran liegen, dass das Haus immer gut gepflegt wurde.

Definitiv war es aber ein wahrlich schönes Heim. Aber auch der Garten selbst war nicht zu verachten. Während ein Kiesweg direkt vom Tor zum Hauseingang führte, und auf halber Strecke mit einem Marmorbrunnen verziert worden war, säumten zwei gigantische Grünanlagen links und rechts den Weg. Dort fanden sich kleine Obstbäume und Büsche, deren Blätter und Geäst so beschnitten waren, dass sie verschiedene Tiere darstellten. Anscheinend lebte hier eine sehr reiche Familie, die Wert auf Ästhetik legte. Wie Teuer es wohl sein musste den Garten derartig penibel zu pflegen?

Doch bevor sie dies herausfinden konnten, mussten sie an den beiden Wachen vorbei, die sich ihnen in den Weg stellten und das Tor auch vor ihren Nasen verschlossen hatten. Bisher hatten sie ihnen zwar keine Beachtung geschenkt, doch da die beiden Piraten in die Villa wollten, mussten sie das wohl nun wohl oder übel. Aisuru bemerkte dabei, dass sie weniger wie Wachmänner, als vielmehr wie Seeleute aussahen. Waren sie vielleicht Hafenarbeiter? Oder doch viel mehr…

„Wer seid ihr Beiden?,“ fragte der Kleinere von ihnen und zückte ein Säbel, welches er an Tyke Kehle hielt. Nun war sich Aisuru relativ sicher, wer diese Männer waren.

„Waffen sind nicht geeignet für kleine Kinder,“ meinte sein Käpt’n mit einer eisigen Stimme, die der Magier ihm im Traum niemals zugetraut hätte und bisher auch nicht erleben durfte, „Außerdem werde ich nicht gerne bedroht.“

„Schnauze! Mir doch egal, ich tu es trotzdem. Also wer seid ihr?“

„Man hat uns hierher geschickt, weil wir den alten Eremiten suchen, der auf dieser Insel leben soll. Angeblich könne man uns hier weiter helfen,“ meinte Aisuru trocken und beobachtete die beiden Wachen genauestens und ihre Reaktion auf diese Aussage. Doch kam keine ungewöhnliche Reaktion. Kein Zucken, kein verräterisches Zeichen.

„Verstehe, aber das war nicht die Antwort auf meine Frage.“

„Wir sind Piraten,“ meinte Tyke ehrlich und augenblicklich holte der zu kurz geratene Kerl mit seinem Säbel zum Hieb aus…
 

* * * * *
 

„Ma…,“ setzte der Butler an, doch sein Herr unterbrach ihn sofort.

„Wir haben Besuch?“

Alfred nickte leicht.

„Erneut Piraten?“

Wieder nickte der Butler.

„Die Ärmsten… Sie wissen nicht einmal, warum sie sterben werden. Und das nur, weil dieser Schuft seine Männer hier gelassen hat. Ist er oder gar meine Tochter endlich wieder zurückgekehrt?“

Diesmal schüttete der Butler mit dem Kopf, woraufhin der Hausherr sein Gesicht in seinen Händen verbarg. Die Antwort hatte ihn wie ein Stich ins Herz getroffen, doch hatte er auch keine Andere erwartet, wenn er ehrlich war.

Was für ein Vater war er eigentlich, wenn er nicht einmal seine Familie zu beschützen vermochte?
 

* * * * *
 

Keuchend blieb Nina stehen und blickte zu dem schwarzen Eisentor, welches mit einem ebenfalls schwarzen Zaun verbunden war, der das gesamte Villengelände einrahmte. Doch war der Zaun momentan nicht der Punkt, auf den sich ihr Blick richtete.

„Und wie war der Einkauf?,“ fragte Tyke grinsend und schlug sich den Schmutz von seiner Kleidung.

„Ich mach mir Sorgen um euch und ihr spielt hier herum!,“ schrie sie wütend, stürmte auf ihre Freunde zu und verpasste beiden jeweils einen kräftigen Tritt ins Gesicht.

Während Tyke gegen die nächste Hauswand krachte, durchschlug Aisuru dagegen den Eisenzaun. Und obwohl man nun glauben müsste, dass alle Beide nach einem solchen Zusammenprall – egal ob mit Ninas Bein oder ihren jeweiligen Flughindernissen – schwer verletzt oder gar tot sein müssten, keuchten und ächzten sowohl Kapitän, als auch Navigator ihrer Drei-Mann-Piratenbande lediglich protestierend über diese grobe Behandlung.

Nachdem Nina ihrer Wut nun ein wenig Luft gelassen hatte, sah sie zu dem riesigen Fleischberg – welcher sich aus gut drei bis vier Dutzend Männern zusammensetzte –, der direkt vor dem Tor aufgehäuft worden war. Offensichtlich war dies das Werk ihrer Gefährten gewesen. Zumindest wenn man den Grad der Verletzungen dieser Männer beachtete, kam sonst niemand in Frage für diese Tat.

„Wer sind die?“

„Die haben uns angegriffen. Erst waren es nur zwei vor dem Tor. Der Rest kam wie aus dem Nichts. Ich denke, sie hatten sich in den umliegenden Häusern versteckt und auf so eine Situation gewartet. Wir sind wohl geradewegs in eine Falle gelaufen,“ meinte Tyke und richtete sich ächzend auf.

„Die sehen aus wie Seemänner.“

„Das fiel mir ebenfalls auf. Ich vermute einmal, dass es sich um andere Piraten handeln,“ erklärte Aisuru und stieg über den verbogenen und schwer beschädigten Zaun. Hoffentlich mussten sie das nicht bezahlen. „Und Tyke: Du bist in die Falle gelaufen. Das nächste Mal lass mich sprechen! Vielleicht geht es dann mit weniger Krawall aus.“

„Wieso bist du eigentlich hier?,“ fragte Tyke seinerseits die Smutje und ignorierte somit, wieder einmal, den blauhaarigen Navigator, der kurz vor einem Super-GAU stand.

„Ich habe auf dem Markt mitbekommen, wie man über euch sprach. Und das ihr auf dem Weg hierher seid. Die Frauen, die über euch geredet haben, meinten ihr seid in Gefahr, wenn ihr hierher kommt. Vermutlich waren damit diese Weicheier hier gemeint,“ gleichzeitig trat sie gegen einen der untersten Männer, welcher schwerfällig ächzte, „Aber eine Gefahr würde ich das nun wirklich nicht nennen.“

„Ich denke damit waren definitiv diese Kerle gemeint. Für jemand Anderen als uns, wären sie sicherlich auch eine Gefahr gewesen. Sie griffen uns in dem Moment an, in dem ich meinte wir seien Piraten. Also wurden sie für eben diesen Fall hier postiert. Vielleicht finden wir im Inneren der Villa Antworten.“

Zwar kannten Aisuru und Nina ihren rothaarigen Freund noch nicht solange, jedoch hatten sie ihn bisher nicht als die große Leuchte eingeschätzt. Mit dieser Aussage bewies er zumindest für diesen Moment, dass sie Unrecht gehabt haben müssen.

„Willst du wieder einkaufen gehen, oder…,“ begann Aisuru schließlich an Nina gewand.

„Ich bleibe wohl besser vorerst bei euch. Wer weiß was ihr sonst noch anstellt.“

„Als ob das unsere Schuld gewesen ist.“

„Euch die Schuld zu geben ist dennoch einfacher,“ behauptete die Köchin.

„Seid lieber still,“ meinte Tyke, was seine Begleitung überraschte. Ihr Kapitän war erstaunlich ernst auf einmal. Erneut eine ungewohnte Tatsache. Was war los? Ahnte er irgendwas?

Plötzlich bemerkte Nina den starren Blick ihres Kapitäns, der auf dem prachtvollen Haus ruhte. Doch dann verflog Tykes Anspannung wieder und mit einem kurzen Handzeichen, gab er seinen Freunden zu verstehen ihm zu folgen.

Zu dritt betraten sie schließlich den Kiesweg – nachdem Nina ihnen den Weg frei getreten hatte, da sie auf die Schnelle nicht den Schlüssel zu dem Tor fanden. Vielleicht hätten sie ihn gefunden, wenn sie Lust gehabt hätten sämtliche, verschwitzten Männer des, von Tyke angelegten, Schweinebergs zu durchsuchen. Die hatten sie aber nicht und damit war dies die Einfachste und vor allem die Schnellste aller Lösungen gewesen. Erneut konnte Aisuru aber nur hoffen, dass man von ihnen nicht verlangen würde, den Schaden zu ersetzen. Soviel Geld hatten sie doch gar nicht.

Der weiße Kies, welcher als Weg diente, knirschte lautstark unter jedem ihrer Schritte. Es war daher anzunehmen, dass sämtliche Hausbewohner wohl nun bereits wussten, dass sich jemand dem Gebäude näherte. Denn das harte Knirschen der Steine, war auch der einzige Laut, der die Stille – welche sie scheinbar wie eine unsichtbare Kuppel umgab – durchdrang.

Es gab keinen Grund zu reden, weshalb sie vorerst schwiegen, während sie das prächtige Grundstück und das teure Gebäude darauf bestaunten. Der Eremit lebte wohl nicht hier, aber egal wer hier wohnte, er konnte ihnen scheinbar helfen diesen zu finden. Und ihnen vermutlich erklären warum man sie angegriffen hatte.

Als sie schließlich bei der Tür ankamen, wurde diese von innen geöffnet, noch bevor einer der Dreien auch nur die Chance bekam den Türklopfer zu ergreifen, geschweige denn ihn auch zu benutzen.

Vor ihnen stand ein hagerer, glatzköpfiger Mann in einem schwarzen Anzug, der bestimmt bereits siebzig oder achtzig Jahre alt sein musste. Mit ruhigen und dennoch wachen Augen musterte er die Ankömmlinge kurz, ehe er seinen Mund öffnete um die Fremden zu begrüßen: „Will…“

Doch bevor er seinen Satz richtig anfangen konnte, unterbrach Tyke ihn kurz darauf mit den Worten: „Hallo. Sind sie der Besitzer dieses Hauses? Wir suchen den alten Eremiten!“

Sofort spürte der Rotschopf die Hände von Nina und Aisuru, die ihn am Hinterkopf packten und ihn mit einem kräftigen Ruck in Richtung Erdboden beförderten. Leider war er zu überrascht, um darauf rechtzeitig reagieren zu können, womit der Boden das Einzige war, was seinen Fall – auf schmerzhafte Weise – stoppte.

Auf eine wirklich äußerst schmerzhafte Art und Weise.

„Lass den Mann doch erst einmal ausreden! Außerdem, was war das für eine bescheuerte Fragenkombination?!,“ war ihre gemeinsame Begründung für die Strafe an ihrem Kapitän.

Der Anzugträger blickte erstaunt zwischen den Gästen hin und her. Aisuru und Nina dagegen beruhigten ihn schnell mit den Worten „Der übersteht das schon“, woraufhin der alte Mann einen Schritt zur Seite machte und mit einer Geste sie einlud einzutreten. Demonstrativ schritten sie in das bezaubernde Gebäude, wobei sie dabei ‚versehentlich‘ auf Tyke herum trampelten. Nina auf seinem Kopf, Aisuru zum Glück nur auf seinem Rücken.

Schweigend führte der Mann, nachdem auch der demolierte Anführer des Dreiertrupps endlich den Weg ins Haus gefunden hatte, sie anschließend durch das Gebäude und die drei Piraten konnten ihre Blicke nicht von der Ausstattung der Villa abwenden. Im Inneren wirkte alles noch viel größer und pompöser, als es von Außen den Eindruck machte. Der Boden war mit schneeweißem Marmor ausgelegt und teure Teppiche mit den schönsten Mustern, die sie je gesehen hatten, bedeckten diesen wiederum. Von überall her strahlten und glänzten ihnen kristalline, silberne, goldene oder makellosweiße Objekte entgegen. Es war einfach nicht in Worte zu fassen. Es sah aus wie das Innere eines Märchenschlosses.

Inzwischen war ihnen auch klar geworden, dass der Mann, dem sie folgten, so etwas wie ein Butler sein musste. Als er schließlich stehen blieb, fanden sie sich in einem gigantischen Zimmer wieder, welches entweder das Empfangszimmer für Gäste sein musste oder das Arbeitszimmer des Hausherren. Eindeutig konnte man das aber nicht sagen. Zu wirr waren die Möbel und dekorativen Elemente innerhalb des Zimmers aufgestellt worden.

Während der Butler den Raum wieder verließ, um den wahren Hausherren zu holen, betrachtete Aisuru die wunderschönen Jagdtrophäen, welche an einer der beiden kürzeren Wände – der Raum hatte nämlich eine rechteckige Grundstruktur – hingen. Ob sie wohl echt und vielleicht auch alle selbst geschossen worden waren? Er war zwar kein Freund der Jagd, doch hatten diese Zeugen erfolgreicher Jagdausflüge einen gewissen ästhetischen Wert für ihn.

Nina dagegen bestaunte den schönen Kamin und die große, gläserne Verandatür, durch die man den, in ein Blumenmeer getauchten, Garten erblicken konnte. Es war einfach zu schön um wahr zu sein, weshalb sie sich heimlich in den Arm kniff. Doch musste sie erkennen, dass dieses Wunder einer Gartenanlage real war. In den unterschiedlichsten Farben leuchteten und strahlten mindestens ein Dutzend verschiedene Blumen ihr entgegen. Jede wollte die alleinige Gunst der Betrachterin erwerben.

Doch plötzlich fiel Nina etwas anderes, ebenfalls hochinteressantes, ins Auge. Es handelte sich um eine seltsame Frucht, die auf einem silbernen Tablett auf einem schweren und klotzartigen Arbeitstisch zu ihrer Linken lag. Sie hatte noch nie eine solche Frucht gesehen. Neugierig näherte sie sich ihr. Vorsichtig, als ob die unbekannte Frucht sie vielleicht angreifen oder wie ein sehr altes Objekt zu Staub zerfallen könne, stupste sie sie an und begutachtete skeptisch das seltsame, von Spiralen geprägte Muster, welches sich auf der Schale abzeichnete. Sicherlich würde man ihr nicht allzu böse sein, wenn sie diese Frucht ein wenig kostete. Als Smutje war sie schließlich immer auf der Suche nach neuen, ihr unbekannten Lebensmitteln und auch Rezepten. Nur ein kleines Stück, würde sicherlich Niemandem schaden.

Noch ein letztes Mal betrachtete sie die Frucht eingehend, so als würde diese dadurch all ihre Geheimnisse vor der Schiffsköchin offenbaren, doch geschah dies nicht. Leider.

Ein wenig ähnelte das Objekt ihrer Neugierde einer Zitrone, zumindest von der Form her. Und je länger Nina das fruchtige Nahrungsmittel bestaunte, umso stärker spürte sie den Drang von ihr zu Kosten. Langsam legte sie ihre Finger um die unbekannte Frucht und führte sie sich an den Mund, doch ehe sie hinein beißen konnte, ertönte Aisurus Stimme neben ihr: „Das würde ich lieber nicht machen. Die sind nicht mehr frisch aus, mit diesem seltsamen Muster…“

Erschrocken zuckte Nina zusammen und strafte den Navigator ihres Dreiergespanns mit einem bitterbösen Blick, den er jedoch konsequent ignorierte – oder es zumindest versuchte.

„Erschreck mich nicht so. Außerdem als Smutje muss ich mir unbekannte Früchte kosten, egal wie sie aussehen. Schließlich bin ich immer auf der Suche nach neuen Delikatessen.“

„Dann beiß doch rein. Aber wenn dir schlecht wird, werde ich dich daran erinnern, dass ich dich gewarnt hatte.“

Mit diesen Worten entfernte er sich wieder von ihr und nach einem letzten Blick auf die unbekannte Zitrusfrucht, legte Nina das Objekt wieder zurück auf das Tablett. Dabei hätte sie so gerne von ihr gekostet.

Tyke hatte sich inzwischen wenig um die Innenausstattung gekümmert. Und auch seinen Freunden hatte er keine Aufmerksamkeit gescheckt. Das lag daran, dass er etwas entdeckt hatte, was für seinen Geschmack weitaus spannender war.

Seit er den Raum betreten hatte, betrachtete er nun schon ein mannshohes Familienporträt. Offenbar war es mit Öl gemalt worden und sehr wertvoll, da ein besonders schöner und sicherlich auch teurer Rahmen für das Bild gewählt worden war. Es zeigte ein Elternpaar gemeinsam mit einer Schar von Kindern. Insgesamt zählte er fünf Knaben und zwei Mädchen. Doch bei dem Baby im Arm der Frau, war er sich nicht gänzlich über das Geschlecht im Klaren. Es war noch zu jung.

„Das ist ein sehr altes Bild,“ ertönte plötzlich eine Stimme von der Tür her, durch welche sie ebenfalls das Zimmer zuvor betreten hatten.

Sie gehörte einem stämmigen Mann, dessen Gesicht ein dicker, brauner Vollbart zierte und kurze, ebenfalls braune Haare. Seine kleine randlose Brille verschwand dabei unter den ganzen Haaren.

Dennoch erkannten Tyke und seine beiden Freunde, dass der Hausherr müde und entkräftet wirkte. Irgendetwas schien an ihm zu zerren oder ihm schlaflose Nächte zu bereiten.

„Verzeiht die ruppige Begrüßung am Eingang. Es waren nicht meine Männer, daher hatte ich keine Befehlsgewalt über sie. Ich freue mich aber zu sehen, dass es euch gut geht.“

„Wir lassen uns nicht so schnell aus der Welt schaffen,“ meinte Tyke.

„Ich hörte, ihr seid auf der Suche nach dem Eremiten, der auf unserer Insel lebt. Darf ich fragen, was ihr von ihm wollt.“

„Er soll unserer Bande beitreten.“

„Ihr seid Piraten?“

Tyke nickte.

„Es tut mir Leid, aber es wird nicht gehen.“

„Wieso nicht?“

„Er ist schon alt… und krank. Ich fürchte, dass er eine abenteuerliche Reise an eurer Seite nicht überstehen würde.“

Eine bedrückende Stille breitete sich unter den Anwesenden aus. Aisuru und Nina hatten so etwas geahnt, weshalb sie ihren Kapitän auch gefragt hatten, ob er wirklich den Eremiten als Mitglied der Bande haben wolle. Aber Tyke war eindeutig jemand, der sich etwas in den Kopf setzte und sich danach nicht mehr davon abbringen lies. Eine gute Eigenschaft, wenn man ein selbst gesetztes Ziel erreichen wollte. Eine schlechte, wenn es um den Umgang mit Menschen ging.

„Außerdem wird er hier benötigt,“ meinte der Hausherr plötzlich.

„Wieso, wenn ich fragen darf?,“ wollte Aisuru wissen.

„Dieses Bild,“ der Hausherr deutete dabei auf das große Porträt, welches Tyke sich zuvor angesehen hatte, „zeigt mich und meine Frau vor vielen Jahren. Wir hatten eine große Familie, weshalb wir dieses Haus gekauft hatten. Es bot uns genug Platz. Wie ihr sicher schon gesehen habt, sind wir wohlhabend und konnten uns daher so einen kleinen Palast leisten. Doch unserer wahrer Reichtum waren unsere Kinder. Dieses Haus lebte, durch sie. Sie hatten hier eine schöne und von Lachen erfüllte Zeit. Sie hielten uns stets auf Trab und dennoch liebten wir diesen Zustand. Es war die mit Abstand schönste Zeit unseres Lebens. Aber nichts ist für die Ewigkeit gemacht. Unser Glück hielt lange. Aber nicht lange genug. Dieses Haus war von Leben erfüllt, bis… bis zu dem Tag, an dem mein ältester Sohn krank wurde. Doch war dies erst der Anbeginn vom Ende gewesen. Sie alle erkrankten in den darauf folgenden Jahren. Und Einer nach dem Anderen starben sie an den Folgen ihrer Erkrankung. Kein Arzt konnte ihnen helfen, egal welchen wir aufsuchten oder wie teuer die Behandlung war. Nichts half. Man erklärte uns, dass es eine erbliche Krankheit sei. Meine Frau und ich hätten beide ein defektes Gen, doch hatten wir das Glück das die Krankheit bei uns nicht ausgebrochen war. Unsere Kinder hatten nicht das Glück. Sie hatten diesen Defekt von uns Beiden vererbt bekommen. Wir hatten das Gefühl, dass der Himmel uns für eine begangene Sünde strafen wolle. Es war schrecklich. Bei jedem von Ihnen brach die Krankheit immer kurz vor oder nach ihrem zwölften Geburtstag aus und ließ ihnen dann noch maximal ein halbes Jahr zu Leben. Von meinen vielen Kindern, die ihr hier seht, ist mir nur noch eines Geblieben.“

Er deutete auf das Baby in den Armen der Frau. Ein kleiner Wonnepropen, der dem Betrachter entgegen zu lächeln schien. Es war ein schönes und warmes Lächeln. Als würde man von der Sonne höchstpersönlich angelacht.

„Und eines welches wir erst nach der Schaffung dieses Kunstwerkes zeugten. Meine Frau nennt unsere ältere Tochter, das Baby welches ihr hier seht, liebevoll unseren Sonnenschein. Sie hat nur dank des Eremiten überlebt. Er hatte das Unmögliche möglich gemacht. Ein wahrer Wunderarzt. Aber was erwarte ich von einem Genie wie ihm. Unsere Tochter konnte dank ihm leben. Unsere zweite Tochter May dagegen wurde noch nicht geheilt. Und ihr zwölfter Geburtstag steht kurz bevor.“

Der Eremit und das Mädchen

*Vor 8 Jahren*
 

„Happy Birthday!,“ riefen die Eltern des blonden Mädchens ihrem Kind zu und stellten gemeinsam einen wunderschönen Sahnekuchen vor ihr auf den Tisch.

Die kleine, vier Jahre alte Schwester des Geburtstagskindes klatschte dabei fröhlich und lachend, während sie laut rief: „Glückwunsch!“

Es war eine idyllische Szene, die aber keinen Einfluss auf das Geburtstagskind selbst hatte. Innerlich war sie aufgewühlt und würde am Liebsten einfach weinen. Sie wusste mehr, als ihre Eltern ihr vermutlich zutrauten. Beinahe schon gelangweilt, zumindest konnte man ihre Haltung so missdeuten, schloss das Mädchen kurz die Augen und blies anschließend alle Kerzen auf einmal aus. Das hatte sie noch nie zuvor geschafft, aber vielleicht lag es daran, dass ihr noch nie ein Wunsch so wichtig gewesen war. Eigentlich war sie zu alt für solche Dinge und glaubte auch nicht daran, aber in ihrer Verzweiflung klammerte sie sich an jeden erdenklichen Strohhalm, den sie noch hatte.

„Toll gemacht! Jetzt wird dein Wunsch sicher in Erfüllung gehen!,“ jubelte ihr Vater und drückte seine Tochter kurz an sich.

„Willst du auch den Kuchen anschneiden? Du bist doch jetzt ein großes Mädchen,“ fragte dagegen ihre Mutter Shion, doch das Mädchen schüttelte nur mit dem Kopf.

Besorgt sahen sich ihre Eltern kurz an, ehe Frau Medica das Messer zur Hand nahm und vorsichtig in den schönen runden Kuchen schnitt.

„Nur noch ein Jahr…,“ hörten sie plötzlich ihre Tochter flüstern.

„Wie bitte?,“ meinte ihr Vater, der sehr wohl die Worte verstanden hatte und auch in welchem Zusammenhang sie gemeint waren. Doch versuchte er eben diese Unsicherheit zu verstecken. Es sollte ja ein schöner Tag werden, der auch feiernswert sein sollte.

„Ich habe nur noch ein Jahr zu leben, oder?“

Mit einer solchen Frage hatten die beiden Elternteile in diesem Moment nicht gerechnet und vor Schreck fiel Shion sogar das Messer aus der Hand, als sie gerade zum zweiten Schnitt ansetzen wollte.

„W-Was… Was redest du da?,“ fragte Matsu Medica seine Tochter.

Diese schlug ihrerseits mit beiden Händen auf den Tisch, richtete sich auf und schrie wütend: „Ich bin doch bald genauso Tod, wie… wie…“

Weiter kam sie nicht. Die Tränen erstickten ihre Stimme. Doch ihre Eltern wussten, dass sie damit ihre Brüder und Schwestern meinte, die bereits verstorben waren. Sie war zwar noch jung, aber nicht dumm. Sie verstand was mit ihr passieren würde. Sie hatte es miterlebt bei ihren Geschwistern. Eigentlich hatten ihre Eltern ihr dieses Wissen ersparen wollen, doch war es ihnen leider nicht gelungen. Man konnte so etwas nicht auf Dauer verheimlichen. Schon gar nicht vor einem neugierigen Kind, wie ihre ältere Tochter es war.

„Sag so etwas nicht!,“ donnerte Matsu plötzlich und seine Frau, so wie seine jüngste Tochter zuckten erschrocken zusammen. Aber nicht seine ältere Tochter.

„Wieso nicht? Es ist die Wahrheit! Ich bin verflucht. Ich werde sterben. Ihr wusstet das. Wieso habt ihr also May zu Welt gebracht. Wieso muss auch sie diesen Weg gehen?! Das haben wir nicht verdient!,“ schrie sie wütend und rannte mit Tränen in den Augen aus dem Zimmer.

Dabei warf sie ihren Stuhl um, der laut scheppernd zu Boden fiel.

„Mein Sonnenschein!,“ rief die Mutter des blonden Mädchens und wollte ihrer Tochter nacheilen, doch ihr Mann hielt sie fest. Bestürzt sah sie ihn an, doch er schüttelte nur leicht mit dem Kopf.

„Lass sie alleine. Sie brauch etwas Ruhe,“ entschied er mit krächzender Stimme.

Er kämpfte mit sich. Mit seiner Entscheidung. Am liebsten wäre er ihr ebenfalls nachgeeilt, doch dies war vermutlich die schlechteste Entscheidung, die sie in diesem Moment fällen konnten.

Eine eisige Stille nahm den Raum in Besitz und alle blickten sie zu der Tür, aus der das Mädchen hinaus gerannt war.
 

* * * * *
 

Die Schritte des alten Mannes fielen ihm von Mal zu Mal schwerer, wenn er über das anstrengende Gelände des größten Inselberges eilte. Selbstverständlich hätte er sich seine Kräuter, für die er immer wieder diese Strapazen aufnahm, direkt vor sein Domizil pflanzen können, doch so kam er wenigstens ein wenig an die frische Luft und aus seiner stillen, einsamen Höhle heraus, in die er sich vor langer Zeit verkrochen hatte. Und solange er den Weg – auch wenn mit Müh und Not – noch irgendwie schaffte, wollte er ihn auch gehen.

Plötzlich aber, als er sich eine kurze Pause gönnte, vernahm er ein leises Wimmern. Es kam aus der Richtung, in die er eigentlich hatte gehen wollen. Doch als er den herzzerreißenden Laut vernahm, spielte er mit dem Gedanken sein Vorhaben zu unterbinden und wieder zu gehen. Es mochte kaltherzig wirken, jedoch hatte er sich aus gutem Grund auf einem Berg zurückgezogen und nun verfolgten ihn die Menschen – vor denen er geflohen war – sogar bis hierhin. Wie weit musste er noch wegrennen, bis er seine Ruhe hatte? Er hatte bereits versucht in den Tod zu fliehen, doch wie zum Spott hatte dieser ihn nie nehmen wollen. Jeden seiner Versuche hatte er überlebt.

Er war dabei sich umzudrehen, als er inne hielt. Notfalls würde er seine Kräuter auch am nächsten Morgen suchen können, doch leider war er auch ein sehr neugieriger Mensch und diese Neugierde war bereits geweckt worden. Er konnte nun nicht mehr einfach verschwinden, weshalb er sich wieder in Bewegung setzte und mit aller Kraft über einen großen Felsen kletterte, um den Platz von wo die Stimme kam zu erreichen.

Und tatsächlich, das Schluchzen und Wimmern wurde lauter, je näher er der großen Wiese kam.

Er seufzte schwer, ehe er endlich den ersten Schritt auf die Wiese setzte und sich den Lauten somit weiterhin näherte. Als er schließlich die gesamte grüne Landschaft überblicken konnte, sah er ein junges, blondes Mädchen auf einem Stein in der Mitte des Blumenmeeres sitzend. Sie hatte die Beine bis an die Brust angezogen und vergrub ihr Gesicht in ihren Beinen, welche sie mit den Armen zusätzlich umschlungen hatte. Es war ein Bild der Trauer und es hätte wohl keinen Menschen auf der Welt gegeben, der in diesem Moment das Mädchen seinem Schicksal überlassen hätte. Niemand konnte so kaltherzig sein, auch er nicht.

Scheinbar war er aber zu laut gewesen, denn plötzlich schreckte sie auf und blickte in seine Richtung.

„Wer sind Sie?“

„Das könnte ich dich auch fragen. Hier oben ist es nicht sicher für ein Mädchen von deinem Alter. Abgesehen von dem unwegsamen Gelände, hausen hier nämlich wilde und gefährliche Tiere. Der Berg ist also kein Spielplatz für kleine Mädchen wie dich.“

„Ich bin nicht klein,“ protestierte das Kind mit den sonnengelben – und genauso leuchtenden – Haaren und dem blütenweißen Kleidchen, ehe sie dann mit einer etwas klagenden Stimmlage meinte: „Außerdem kann es mir egal sein.“

Erneut war die Neugierde des alten Mannes geweckt. Er war zwar vor den Menschen geflohen und hatte sich absichtlich den Ruf eines griesgrämigen Mannes eingehandelt, um von ihnen auch in Ruhe gelassen zu werden, aber dennoch war er gutherzig und konnte sich nicht mehr von diesem wehleidigen Geschöpf abwenden. Offensichtlich hatte er sich nicht genügend angestrengt, was sein Bild bei den Inselbewohnern anging. Oder wusste das Mädchen gar nicht, dass er hier oben lebte? War sie vielleicht nur zufällig hier gewesen?

„Wie soll ich das verstehen?“

Während er auf eine Antwort wartete, beugte er sich zu einem Strauch violetter Blüten hinab und schnitt den Stängel knapp über dem Erdreich, mit Hilfe einer handlichen und rundlichen Kräutersichel, ab.

Doch während er seiner Arbeit nachging, wartete er vergeblich auf eine Antwort des Mädchens. Stattdessen beobachtete sie gespannt das Treiben des Mannes.

Nach einiger Zeit, in der der Fremde einen Strauch Pflanzen angesammelt hatte und in einen Korb legte, welchen er bei sich trug, meinte sie plötzlich: „Das sind alles Heilpflanzen. Sind Sie ein Heilkundiger?“

Skeptisch aber auch überrascht sah er zu dem Mädchen. Woher wusste sie was das für Pflanzen waren? Das hatte er von einem so jungen Kind nun wirklich nicht erwartet. „Wie hast du das erkannt?“

Das Mädchen streckte ihre Hand aus, wobei ihre Handfläche nach oben zeigte. So als wolle sie, dass er ihre Hand nehme. Für einen Moment schien sie zu warten und als er gerade seinen Arm hob, um ihre Hand zu ergreifen, sprach sie in einem anklagenden Tonfall: „Sie machen die schöne Wiese kaputt.“

„Ich…,“ begann er, doch brach er augenblicklich seinen Satz ab, als er sah, wie die Pflanzen die er abgeschnitten hatte, innerhalb von Sekunden nachwuchsen.

Doch nicht nur das. Es waren nun sogar mehr Blüten und Kräuter als zuvor. Wie war das möglich?

Erneut blickte er zu ihr und zum ersten Mal seit Beginn ihres zögerlichen Gespräches, lächelte sie. Es war nur ein leichtes Lächeln, welches auch nur für den Bruchteil einer Sekunde über ihr Gesicht huschte. Doch er bemerkte es.

„Warst du das?,“ fragte er verblüfft und gleichzeitig fasziniert.

„Ich weiß es einfach.“

„Wie bitte?“

„Die Antwort auf Ihre Frage. Ich weiß einfach, dass es Heilpflanzen sind. Ich kann Ihnen auch sagen, welche Pflanzen giftig sind.“

Der alte Mann war so verwirrt, dass er sich erst einmal entschied sich hinzusetzen und seine Gedanken zu ordnen. Das alles war zu viel auf einmal für ihn. Dennoch ließ er das Mädchen nicht aus den Augen. Ruhig lag sein Blick auf ihr und genauso ruhig war ihr Blick auf ihn gerichtet.

„Leben Sie auf dem Berg?,“ fragte das Mädchen unverhofft.

„Ja.“

„Ganz alleine?“

Diesmal nickte er nur leicht.

„Wieso?“

„Ich habe meine Gründe. Aber jetzt wüsste ich gerne, wie du das gemacht hast,“ dabei sah er zu den Blumen, die nachgewachsen waren und nun wieder die Wiese schmückten. Er sprach nicht gerne über seine Vergangenheit. Über das Leid, welches er verursacht hatte im falschen Glauben.

„Mein Vater ist ein Sammler. Er sammelt gerne ausgefallene Dinge. Eines Tages entschied er, dass er gerne eine Teufelsfrucht in seine Sammlung einfügen würde. Ich war klein und wusste nicht, was das für eine Frucht, in dem Paket meines Vaters, war und biss hinein.“

„Du hast also Teufelskräfte?“

Diesmal war es an ihr nur zu nicken.

„Was für eine Frucht war das nur? Ich kenne sehr viele von ihnen, aber keine mit einem solchen Effekt, wie die deine.“

„Sie kennen Teufelsfrüchte?“

Sein Blick senkte sich, ehe er ein leises „Ja“ verlauten ließ. Diesmal war das kleine Mädchen überrascht über die Reaktion ihres Gesprächspartners. Er wirkte mit einem Mal so niedergeschlagen. Hatte sie das verursacht? Allein durch die Erwähnung ihrer Kräfte? Oder lag es an der Erwähnung der Teufelsfrüchte im Allgemeinen? Sie war verwirrt, schließlich konnte sie nichts von der düsteren Vergangenheit ihres Gesprächspartners nichts wissen.

„Meine Kräfte kommen von der Humus Frucht.“

Der alte Mann sah wieder auf und begutachtete das Mädchen kurz, ehe er aufstand, mit seinem Korb zu ihr ging und sich neben ihr wieder ins Gras fallen ließ.

„Was bewirkt diese Humus Frucht?“ Er war froh über den Themawechsel und dem Mädchen sogar dankbar dafür.

Statt zu Antworten streckte sie erneut ihre Hand aus. Und plötzlich wuchsen wieder sämtliche Pflanzen auf der Wiese. Die Blüten wurden größer und die Stiele länger, als es eigentlich möglich war. Einige wenige erreichten sogar die Größe von mächtigen Bäumen.

Die Blüten wuchsen dabei meistens zu kopfgroßen Gebilden heran – zumindest die geschlossenen –, während die Stiele so lang wurden, wie das fremde Mädchen groß war. Die Blätter einiger Pflanzen hätten vermutlich als Regenschutz dienen können, dank ihres enormen Wachstums. Es war ein erstaunliches Spektakel.

„Du kannst das Pflanzenwachstum beeinflussen,“ mutmaßte der alte Mann. Das blonde Mädchen lächelte lediglich und nickte zum wiederholten Male mit dem Kopf.

„Pflanzen wachsen lassen. In verschiedenen Stadien festhalten. Aus totem organischem Material, wie Holzscheite, neue Pflanzen wachsen lassen. Oder sie einfach wieder...,“ sie zeigte auf die Riesenblumen vor sich, welche wieder zu ihrer ursprünglichen Größe zusammenschrumpften, „…verkleinern. Außerdem ist es so, als könnte ich sie verstehen. Als wären sie ein Teil von mir, weshalb ich beispielsweise ihre Eigenschaften kenne. Ich bin sozusagen mit ihnen verbunden.“

Erstaunen lag in dem Blick des alten Mannes. Sie hatte so was schon öfters gesehen.

Entweder bestaunte man sie, oder die Leute fürchteten sich vor ihren Kräften. Wenigstens in ihrem Heimatdorf hatte man sich inzwischen an ihre Kräfte gewöhnt. Die Bewohner wussten inzwischen alle davon und beneideten sie sogar hin und wieder dafür. Denn des Öfteren hatte das blonde Mädchen bereits die Stadt verschönert, indem sie die schönsten Blumen hatte wachsen lassen. Vor allem zur Zeit des Dorffestes war dies eine gern gesehene Gabe, beziehungsweise ein gern gesehener Umstand.

Und wo andere vielleicht einen ewigen Kampf mit dem Unkraut ausfochten, freute man sich in ihrem Dorf über die Blumenpracht. Ein weiterer Grund, warum die Familie Medicas von den Bewohnern der Stadt Kinatob bewundert und geliebt wurden.

Aber alles im Leben hatte seinen Preis. Der ihre war die Unfähigkeit zu Schwimmen.
 

* * * * *
 

Matsu und Shion Medica blickten besorgt drein. Keiner sah den Anderen an, dennoch wussten sie was der jeweils andere dachte, denn sie teilten im Moment ihre Gedanken. Ihre Sorgen um ihre ältere Tochter.

„Wir hätten nicht so hart mit ihr umspringen sollen,“ meinte Matsu und blickte aus dem Fenster.

Schon seit Stunden war ihr Sonnenschein bereits verschwunden und seitdem warteten und hofften sie, dass das Mädchen wieder zurückkehren würde.

„Sie braucht einfach Zeit sich zu beruhigen. Sie wird eine schwere Zeit haben. Ich meine…,“ Tränen sammelten sich in Shions Augen und ein leises Schluchzen entkam ihrer Kehle.

Ihr Ehemann trat zu ihr und legte seine Hände auf ihre Schultern. Sie wussten einfach nicht was sie tun sollten. Ihre Herzen waren schwer und voller Kummer. Waren sie vielleicht wirklich verflucht?

Womit hatten sie nur das alles verdient?
 

* * * * *
 

„Mit einer solchen Gabe, wärst du die geborene Ärztin, weißt du das meine Kleine?,“ fragte der alte Eremit und erhob sich im gleichen Atemzug.

Er hatte den Moment des Erstaunens überwunden und seine Neugierde gestillt.

Es war daher an der Zeit zu Gehen. Während er sich vorsichtig vom Boden erhob, sah er ein letztes Mal zu dem Mädchen, die ihn aus großen verwunderten Augen ansah.

„Also sind Sie doch ein Heilkundiger… Ich meine… Ein Arzt?“

„Würde ich sonst Heilpflanzen sammeln?,“ fragte er schelmisch und hob demonstrativ seinen Korb empor.

„Sie sind ein richtiger Arzt?“

Der Einsiedler nickte und wendete sich von dem Mädchen ab. Langsam setzte er einen Fuß vor den Anderen und ging zum Rand der Wiese. Von dort aus verabschiedete er sich schließlich: „Es war nett dich kennen gelernt zu haben. Ich hoffe du machst etwas aus deiner Gabe.“

Ohne eine Antwort des Mädchens abzuwarten, begann er über das felsige Erdreich zu klettern und sich in Richtung seiner Höhle zu begeben, wo er seit einigen Jahren bereits lebte und wohin er freiwillig geflohen war. Geflohen vor seiner Vergangenheit, doch vor der konnte man nicht fliehen. Manchmal kam ihm sein bisheriges Leben, wie ein Traum vor. Meistens wie ein Albtraum.

Nachdem er sein medizinisches Studium absolviert hatte, war er schnell zu einem berühmten Arzt aufgestiegen, da er angeblich Wunder bewirken könne und Krankheiten heilen vermochte, die für andere Ärzte als unheilbar galten. Unter seinen Kollegen, galt er als der Vegapunk der Medizin, denn er hatte sehr viele Krankheiten untersucht und erforscht. Er hatte weltbewegende Entdeckungen gemacht. Und eine seiner größten Entdeckungen war, die Auswirkung der Teufelsfrüchte auf den menschlichen Körper. Oder besser gesagt ihre Auswirkung auf das menschliche Erbgut – ebenfalls etwas was er entdeckt und bewiesen hatte in seiner Heimatstadt vor gut fünfunddreißig Jahren.

Man hatte ihn als Genie bezeichnet. Man hatte ihn als den größten lebenden Arzt bezeichnet. Man hatte ihm göttliche Gaben zugesprochen und Menschen aus aller Welt waren zu ihm gekommen. Doch nun war alles anders.

Nun lebte er hier, um Buße für die Taten, die er damals am Hofe von König Nimrod aus Dalhambra getan hatte, zu tun. Er war dumm gewesen. Dachte er tue es für das Volk und dessen Sicherheit. Doch dies war ein Fehler gewesen. Jetzt aber, nach seiner Begegnung mit dem kleinen Mädchen, keimte in ihm etwas Hoffnung auf. Vielleicht waren nicht alle Menschen schlecht. Womöglich gab es Hoffnung und diese lag in den Kindern. Kindern wie dieses Mädchen.

Er hatte beinahe sein kleines Heim erreicht, als er plötzlich stehen blieb und ohne sich umzudrehen mit lauter Stimme fragte: „Wie lange willst du mir noch Folgen?“

Er bekam keine Antwort und als er sich schließlich auch noch umdrehte, sah er Niemanden. Und dennoch wusste er, dass ihm das Mädchen von der Wiese bis hierhin gefolgt war. Sie versteckte sich lediglich und das ziemlich geschickt, wie er zugeben musste.

„Komm raus. Ich weiß, dass du da bist!“

Noch immer wagte sie sich nicht hervor und blieb lieber in ihrem Versteck. Seufzend beließ er es dabei und betrat schließlich seine Höhle.

Mürrisch, über die Sturheit dieses kleinen Mädchens, zerrieb er, mit einem Enthusiasmus welchen er schon verloren geglaubt hatte, die eingesammelten Kräuter und Pflanzen in einer Schale mit Hilfe eines Mörsers. Dabei sprach er lautstark – scheinbar – mit sich selbst, welches die nächsten Schritte waren und wozu diese Medizin dienlich war. Er wusste genau warum ihm das Mädchen gefolgt war.

Dieser kleine blonde Engel.

Auch ihr Interesse war geweckt worden. Ihre kindliche Neugierde. Doch obwohl sie auf der Wiese so offen gewesen war, zeigte sich jetzt ihre wahre Natur. Sie war ein schüchternes Ding. Vielleicht war sie ihm so offen gegenüber gewesen, weil er vertrauenswürdig gewirkt hatte. Aber das war im Moment nicht wichtig. Wichtig war nur ihre Neugierde zu stillen.

Als der Abend schließlich hereinbrach, braute sich der Einsiedler eine schmackhafte Suppe zusammen. Eigentlich hatte erwartet, der Hunger würde sie spätestens zu diesem Zeitpunkt doch noch in seine Höhle treiben, aber sie verharrte stur wie ein Esel davor und nahm die Kälte der Nacht und den Hunger in Kauf. Glaubte sie womöglich, dass er sie ablehnen würde?

Wieder etwas was er nicht wusste. Was er aber wusste, war dass dieses Kind ihm noch einiges an Kopfzerbrechen bereiten würde. Nicht nur weil sie sich störrisch zeigte und versteckte – und das obwohl ihr knurrender Magen sie längst verraten hatte –, sondern auch weil er nicht wusste ob er das überhaupt wollte. Gesellschaft.

Schließlich hatte er nun schon so lange alleine gelebt und sich von allen abgeschottet.

Letztendlich war er es, der sich geschlagen gab und eine Schale mit der Suppe zusammen mit einer Decke vor seine Höhle legte. Er war nun einmal kein Unmensch und wollte nicht für ihren Tod verantwortlich sein. Am darauf folgenden Morgen war die Decke verschwunden und die Schale fein säuberlich leer gegessen.
 

* * * * *
 

Seit nun bereits einer Woche folgte ihm das Mädchen auf Schritt und Tritt. Aber immer wenn er sich nach ihr umsah, versteckte sie sich. Versteckte sie sich vor ihm oder vielleicht vor etwas Anderem?

Er wusste es nicht. Er hasste es, wenn er Dinge nicht wusste. Dafür war er zu neugierig. Er wusste lediglich, dass sie stets da war und ihn beobachtete. Der beste Beweis dafür waren seine Besuche auf der Wiese. Immer wenn er alle Kräuter und Pflanzen beisammen hatte und sich umdrehte, waren die Lücken die er geschaffen hatte, mit frisch nachgewachsenen Blumen gefüllt.

Er seufzte und rief zum ersten Mal, seit sie ihm zu seiner Höhle gefolgt war, wieder laut nach ihr: „Wie lange willst du mir noch nachlaufen? Ich weiß, dass du da bist. Du isst abends meine Speisen und lässt die Blumen hier nachwachsen. Du verrätst dich selbst. Dein Verhalten ist kindisch, also zeig dich endlich!“

Eigentlich hatte er keine Reaktion von dem Mädchen erwartet, doch zu seiner Überraschung, trat sie tatsächlich zwischen zwei Büschen am Rande der grünen Wiesenlandschaft hervor. Ihre Haut war von Schmutz bedeckt und ihre Haare standen zottelig zu allen Seiten von ihrem kleinen Kopf ab.

Sie sah aus, wie die Stallburschen in seiner alten Heimat, wenn sie sich abends zum gemeinsamen Mahl versammelt hatten. Dreckig und dennoch… glücklich.

„Hohoho! Wie siehst du denn aus? Du solltest dich waschen,“ schimpfte er lachend, während sich das Mädchen selbst begutachtete und schließlich auch von einem Ohr zum Anderen zu Grinsen begann.

„Wieso leben Sie alleine hier oben?,“ fragte das Mädchen plötzlich.

Sie hatte ihn lange genug beobachtet, um sicher gehen zu können, dass er auch wirklich alleine in den Bergen lebte. Genauso wie er es ihr damals auf der Wiese gesagt hatte. Und es hatte sie von Anfang an verwirrt.

„Ich habe meine Gründe.“

„Das haben Sie damals auch gesagt.“

„Ja habe ich. Wie ist eigentlich dein Name, Kind?“

„Ich bin July Medica.“

„Etwa die Tochter von Matsu und Shion Medica?“

July nickte leicht. Der Eremit kannte die Familie Medica. Sie waren so etwas wie eine Adelsfamilie – auch wenn sie nicht adelig waren, sondern nur eine wohlhabende Handelsfamilie –, die über diese Insel schon seit Generationen herrschte und dank denen die Bürger ein gutes Leben führen konnten. Denn die Medicas betrieben reichlich Handel und brachten viel Geld auf die Insel.

Wohlstand und Segen, dafür stand dieser Name. Und deshalb liebten die Bürger die Familie Medica und waren jederzeit bereit für sie in den Tod zu gehen. Auch wenn die Familienmitglieder es niemals von den Bürgern Acidems verlangen würden.

„Und Ihr Name?“

„Ich bin Doktor… ich meine, ich war Doktor. Mein Name lautet Yukaku Mush.“

„Wieso sind Sie kein Doktor mehr?“

„Du bist ganz schön neugierig, weißt du das? Aber sag einmal… Als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, war es dir egal ob dich die Tiere auf dem Berg schnappen würden. Wieso?“

Diese Frage brannte ihm schon so lange auf den Lippen und endlich hatte er die Chance sie zu stellen. Wieso hatte er es nicht sofort damals getan? Vielleicht weil er Angst gehabt hatte, eine zu starke Bindung zu dem Mädchen aufzunehmen. Und nun war genau dies geschehen. Und das obwohl sie sich dauernd versteckt gehalten hatte.

„Weil ich bestimmt bin zu Sterben. Ich kann davor nicht fliehen.“

„So ein Unfug. Niemandes Schicksal ist es zu Sterben. Zwar ist der Tod die letzte Station unser aller Leben, aber dazwischen gibt es unzählige Haltestellen, die es zu passieren gilt!,“ schimpfte der alte Mann erneut auf sie.

„Aber… Wieso sind dann alle meine Geschwister Tod? Sagen Sie ihnen doch einmal, dass es nicht ihr Schicksal war.“

Verblüfft blickte er zu dem blonden Mädchen und sprach beinahe flüsternd: „Erzähl mir mehr von deinen Geschwistern und deinem… ‚Schicksal‘.“
 

* * * * *
 

Schweigend sah Yukaku zu July, welche in seinem Bett schlief. Zum ersten Mal hatte sie seine Höhle betreten. Sie hatte viel geweint, während sie ihm erzählt hatte, dass all ihre Geschwister kurz vor oder nach deren zwölften Geburtstag erkrankt und schließlich daran gestorben waren. Keiner der Ärzte im Dorf hatte gewusst, was mit ihnen geschehen war. Nur das sie es nicht zu heilen vermochten. Und auch fremde Ärzte hatten nichts für die Kinder tun können. Stümper, da war sich Yukaku sicher. Die würden noch hundert oder zweihundert Jahre brauchen, bis sie auf seinem Niveau Medizin praktizieren könnten. Sein wissen über Erbgut, welches er auf Dalhambra erworben und dem medizinischen Institut der Weltregierung vorgestellt hatte, wurde noch nicht anderen Ärzten zur Verfügung gestellt. Die Weltregierung war darauf bedacht keine falschen Informationen in der ganzen Welt zu verbreiten, weshalb sie nun bereits seit drei Jahrzehnten seine Theorien erforschte und überprüfte. Vergeudete Zeit, die sicherlich bereits tausenden das Leben gekostet haben könnte.

Aber vermutlich tat er ihnen allen Unrecht. Sie waren nur vorsichtig. In seiner Heimat hatte man ihn als medizinisches Genie angesehen. Er war der neue Dr. Hogback, ein legendärer Arzt der vielen Menschen geholfen hatte, gewesen. Für manche war er noch mehr. Er war für sie sogar der Dr. Vegapunk – ein genialer Wissenschaftler im Dienste der Weltregierung vor vielen Jahren – der Medizin. Ein Genie, dessen wissen einen Vorsprung von Jahrhunderten betrug. Ein Gott in einem weißen Kittel.

Doch dann war der König seines Heimatlandes an ihn herangetreten. Und damit hatte der Abstieg begonnen. Wie hatte er sich nur auf dessen Bitte einlassen können?

Sanft streichelte er über Julys Stirn und strich einige Haarsträhnen aus ihrem Gesicht, während er nachdachte. Er wollte nicht an die Vergangenheit denken.

Es war schon seltsam und irgendwie grausam vom Leben. Er, der kurz nach seiner Flucht aus Dalhambra versuchte hatte sich auf verschiedene Art und Weisen selbst das Leben zu nehmen, war noch immer am Leben und bereits ein alter Mann, während ein Mädchen, das sich nichts sehnlicher wünschte als alt zu werden, sterben musste. Wieso berührte ihn dieses Schicksal so sehr?

Hatte er angefangen July zu mögen? Hatte sie es geschafft seinen Panzer der Einsamkeit zu durchbrechen? Dabei kannten sie sich kaum und hatten kaum was miteinander gemacht. Und dennoch. Er wollte sie nicht verlieren.

July hatte ihm gesagt, ihr Schicksal sei es zu sterben, doch war er der Meinung, dass dies nicht stimmte.

Vielleicht war es sein Schicksal gewesen weiter zu Leben, um diesem Mädchen das Leben retten zu können. Damit sie ihr wahres Schicksal erst entdecken könne.

Energisch stand er auf, nahm seinen Mantel und machte sich auf den Weg. Zum ersten Mal seit Jahren stieg er von seinem Berg hinab und eilte zur Villa der Familie Medica.
 

* * * * *
 

„Habt ihr sie endlich gefunden?,“ fragte Matsu die Männer, die sich vor seinem Domizil versammelt hatten, doch diese blickten schweren Herzen zu Boden und schwiegen.

„Sie ist nun schon eine Woche verschwunden.“

„Wir haben keine Spur von ihr gefunden.“

Die Blicke der Sucher sprachen mehr als es tausend Worte vermocht hätten.

„Ich verstehe. Ich danke euch dennoch. Sucht bitte weiter. Ich will wissen was mit…“

„Herr Medica?,“ ertönte auf einmal eine Stimme und die Heerschar von Bürgern bildeten eine kleine Gasse vor der Tür, um dem Besitzer der Stimme den Weg frei zu machen.

Matsu erkannte sofort den Mann. Es handelte sich um den seltsamen Eremiten, über den allerhand Gerüchte in der Stadt verbreitet wurden. Er war vor langer Zeit auf ihre Insel gelangt und hatte sich die Erlaubnis geholt eine Höhle in den Bergen zu besetzen. Matsu Medica, hatte ihn zwar vor den Tieren warnen wollen, doch der Fremde hatte nichts darüber hören wollen und seit dem dort oben gelebt. Niemand wusste, was er dort machte. Und das hatte die Gerüchte nur weiter geschürt. Auch jetzt tuschelten die Männer hinter dem Rücken des Fremden, der langsam an das Oberhaupt der Familie Medica heran trat.

„Ja? Wie kann ich ihnen helfen?“

„Ich denke vielmehr, dass ich ihnen helfen kann. Ich glaube nämlich, dass ich in der Lage bin ihrer Tochter zu einem normalen Leben zu verhelfen.“

Die Worte erzeugten eine Woge des Schweigens, die sich über alle Anwesenden hinaus ausbreitete. Keiner wagte etwas zu sagen. Überraschung zeichnete die Bilder der Männer, die eben noch über den Eremiten getuschelt hatten. Schließlich war es der Hausherr selbst, der eben diese schwerwiegende Stille durchbrach, indem er zu weinen begann, auf die Knie sank und ein leises, beinahe erdrücktes „Danke“ von sich gab.
 

*Vor 7 Jahren*
 

„Happy Birthday, July,“ rief die gesamte Familie des lebhaften Mädchens, während ihre jüngere Schwester vorsichtig den Kuchen herein trug und ihn July überreichte. Diese bedankte sich sofort bei May, stellte das Kunstwerk aus Sahne und Zuckerguss auf den Tisch und umarmte ihre Schwester herzlich.

Nie hätten ihre Eltern das geglaubt. Vor einem Jahr noch mussten sie sich vor diesem Tag fürchten und nun feierten sie ihn. Den zwölften Geburtstag ihrer älteren Tochter. Erst später hatten sie von July erfahren, dass sie sich genau dies damals gewünscht hatte, als sie die Kerzen ihrer Torte ausgeblasen hatte. Ein einfacher Wunsch, geboren in einem kindlichen Herzen. Der Wunsch weiter zu leben.

„Blas die Kerzen aus und wünsch dir etwas,“ meinte Shion glücklich und wischte sich vorsichtig eine Freudentränen aus den Augen. Ihre Tochter setzte unterdessen den Vorschlag in die Tat um.

Sie nahm so kräftig sie konnte Luft und pustete anschließend alle zwölf Kerzen auf einen Streich aus.

„Das hast du gut gemacht. Damit wird dir wieder ein Wunsch gewährt. Ich hoffe du hast dir etwas ganz tolles gewünscht.“

July nickte kräftig und rief lachend: „Ich will eine ganz tolle Ärztin werden. Genauso wie Onkel Mush!“

In genau diesem Moment klopfte es an der Haustür, die sofort danach von Albert, dem neuen Butler der Familie, geöffnet wurde. Dieser führte den Gast ins Esszimmer, wo sich die Familie zum Feiern versammelt hatte, und trat anschließend einen Schritt zur Seite und machte somit seinem Begleiter den Weg frei. Es handelte sich um niemand geringeres als Julys Lebensretter. Den Mann, der ihre Krankheit samt Symptome erforscht hatte und dadurch einen Weg gefunden hatte, wie sie weiterleben konnte. Jedoch hatte er dadurch nicht nur ihr geholfen, sondern auch sich, denn so hatte er sich von seinen Schrecken der Vergangenheit lösen können.

Beim Anblick des alten Mannes, sprang das Mädchen sofort von ihrem Stuhl runter und rannte zu ihm. Dieser nahm lachend den kleinen Wirbelwind eines Mädchens in Empfang.

„Hohoho! Happy Birthday July. Ich hab hier etwas für dich.“

Fröhlich überreichte er dem Mädchen ein wunderschön eingepacktes Päckchen. Sein Geschenk für das blonde Kind, deren Augen wie kleine Sterne funkelten. Seine harte Schale hatte er schon lange abgelegt. Und somit begann nicht nur für July ein neues, schöneres Leben. Sondern auch für ihn.

Doktor Yukaku Mush, Hausarzt der Familie Medica.
 

*In der Gegenwart*
 

Argwöhnisch blickte der Dunkelhäutige zu July, die mit Hilfe eines Mörsers irgendwelche Zutaten und Kräuter zerrieb, sie anschließend in ein Reagenzglas mit einer klaren Flüssigkeit füllte und über einer kleinen Flamme erhitzte.

„Wie lange dauert das noch? Ich warne dich, versuch nicht mich reinzulegen! Sonst wird der Alte sterben müssen und das willst du doch nicht, oder?“

Das blonde Mädchen schien ihn nicht zu beachten. Starr ruhte ihr Blick auf dem Reagenzglas in ihrer Hand und als die Substanz darin zu blubbern begann, entfernte sie es für einen kurzen Moment von der Flamme, bis sich die Flüssigkeit wieder abgekühlt hatte. Danach hielt sie das Objekt erneut unter die orangerote Flamme.

„Die Zusammensetzung der Ingredienzien und die daraus resultierende Herstellung eines Medikaments brauchen etwas Zeit. Wenn du willst, dass dein Kapitän überlebt, dann solltest du sie in Ruhe arbeiten lassen,“ mischte sich der alte Eremit ein, der von einem Stuhl – in einer Ecke der Höhle – aus, zu seiner Assistentin und Schülerin blickte.

Sie machte sich besser, als er erwartet hatte. Eigentlich war July sehr schüchtern und in der Nähe von fremden Männern, igelte sie sich förmlich ein vor Angst, doch wenn sie erst einmal mit ihren Utensilien zu arbeiten begann, vergaß sie alles um sich herum. Dann war nur noch das Leben des Patienten wichtig und wie sie es retten konnte.

Er hatte ihr einmal gesagt, dass es egal war, wer ihr Patient war. Sie musste bei allen immer auf dieselbe Weise handeln. Vor einem Arzt waren alle Menschen gleich und nur das Überleben des Patienten war wichtig. Das machte einen guten Arzt… Nein, eine gute Ärztin aus.

Sie würde definitiv eine gute Ärztin werden. Schließlich war sie jetzt schon besser als er, zu seinen Zeiten.

Doch nun war nicht die Zeit für solche Überlegungen und Gedankengängen. Zuviel stand hier gerade auf dem Spiel.

„Wie sieht es aus, July?,“ fragte ihr Lehrmeister vorsichtig.

„Nach den Symptomen zu urteilen, muss er das Tallbaum-Fieber haben. Eine schleichende Krankheit, die erst auf sehr lange Zeit ihr Opfer tötet. Das ist gut.“

„Warum ist das gut?,“ schrie der erste Maat der Fingerhut-Piraten aufgebracht.

„Weil wir Ärzte dadurch eine längere Zeitspanne haben ihn zu heilen. Nur so konntet ihr es bis zu dieser Insel schaffen, ohne das er bereits verstorben ist. Oder denkt ihr, dass es normal ist, dass ihr zwei bis drei Wochen mit eurem todkranken Kapitän übers Meer segeln konntet? Wie konntet ihr nur so leichtsinnig sein und ohne Arzt auf die Grand Line reisen?,“ warf der Eremit dem ersten Maat vor, da er sofort bemerkt hatte, wie July wieder eingeschüchtert zusammen gezuckt war, aufgrund der harschen Worten des Piraten.

Er hatte sie aus ihren Gedanken geholt und nun war sie wieder anfällig für ihre schüchterne Art und für die Erkenntnis, dass sich in ihrer unmittelbaren Umgebung männliche Personen befanden.

„Kannst du ihn heilen?“

„Ich denke schon. Aber es ist nicht ungefährlich. Da er der Krankheit schon so lange ausgesetzt ist, muss ich ihm eine sehr hohe Dosis des Medikaments verabreichen. Aber bei einer so hohen Dosierung wirkt es normalerweise toxisch. Statt ihn zu heilen, könnte es seinem geschwächten Körper den Rest geben.“

„Was soll das heißen?,“ fragte der Pirat.

„Das das Medikament giftig wirkt,“ übersetzte der alte Mann für den Laien.

„Das ist kein Problem. Der Kapitän arbeitet selbst viel mit Giften. Er wird es überstehen. Verabreiche ihm endlich die Medizin. Ich will nicht mehr, dass er weiter leidet.“

„Und ihr werdet euch an euer Versprechen halten und sofort die Insel verlassen, wenn es eurem Kapitän besser geht?,“ fragte der Eremit erneut, während July eine Spritze vorbereitete.

„Ja.“

Nachdem er seine Antwort gegeben hatte, setzte die junge Ärztin in spe die Spritze an den Arm ihres Patienten an, stach zu und drückte die bläuliche Flüssigkeit direkt in die Vene des kranken Piratenkapitäns.
 

* * * * *
 

„Wer waren eigentlich diese Männer, die uns angegriffen haben?,“ fragte Aisuru als Themenwechsel.

„Piraten. So wie ihr.“

„Und was wollen sie?“

„Dasselbe wie ihr. Nun ja… nicht ganz dasselbe. Sie wollten ebenfalls zu Doktor Mush, so der Name des Eremiten. Ihr Kapitän ist schwer krank und sie erhofften sich Hilfe vom Doktor,“ erklärte der Hausherr seinen drei Gästen.

„Und warum bewachen seine Männer dann ihr Haus?,“ fragte Nina irritiert.

„Sie bewachen uns nicht. Sie halten uns gefangen. Mich, meine Frau und meine jüngere Tochter.“

„Und was ist mit ihrer älteren Tochter?,“ war wieder Aisuru mit Fragen dran.

„Wegen ihr werden wir gefangen gehalten. Meine Tochter wurde damals von Doktor Mush geheilt. Zwar nicht vollkommen, aber sie lebt. Daraufhin entschloss sie sich selbst Ärztin zu werden und ging bei ihrem Retter in eine Lehre. Da Doktor Mush nun nicht in der Lage war den Kapitän der Piraten zu heilen, er ist wie schon erwähnt sehr alt und hat daher Schwierigkeiten bei der Behandlung eines Patienten, entführten sie meine Tochter, um sie zu zwingen die Arbeit ihres Mentors zu übernehmen. Und wir sind das Druckmittel, damit sie ihnen hilft.“

Aisuru und Nina drehten sich zu Tyke um. Die Kombination Ärztin und Schülerin eines begabten Arztes, welchen Tyke für seine Bande wollte, konnte ja nur eines bei dem Rotschopf bewirken.

Und tatsächlich, seine Augen strahlten förmlich wie zwei gigantische Juwelen.

„Leute ich glaube wir haben unser neustes Mitglied!“

„War ja klar!,“ schrien die beiden anderen Piraten sofort.

Der Deal mit dem Teufel

*Einen Tag zuvor*
 

Der alte Eremit vernahm Schritte vor seiner Höhle. Es war ganz offensichtlich, dass sich jemand seinem ‚Heim’ näherte. Jedoch hatte er die Schritte erst bemerkt, als sie so gut wie vor seiner Höhle waren. Er musste sich wieder einmal zu tief in seine Arbeit geworfen haben, wenn er wieder einmal nichts von seiner Umwelt mitbekam. Dennoch, so früh hatte er July gar nicht zurück erwartet.

„Hohoho. Da bist du ja wie…,“ im selben Moment in dem er seine Worte sprach, drehte er sich zu dem Höhleneingang um und erblickte dort nicht wie erhofft seine Schülerin, sondern eine Gruppe von Fremden. Vier von ihnen trugen eine Trage, auf der eine stöhnende Gestalt gebettet war, während die fünfte stehende Person ihn aus finsteren Augen anfunkelte.

Die Gruppe sah alles andere als freundlich aus und der Eremit bezweifelte, dass sie etwas Gutes im Schilde führten. Ihre Blicke verrieten sie. Allen voran der Dunkelhäutige an der Spitze des Trupps.

„Wer seid er?,“ fragte der ehemalige Doktor daraufhin und suchte vergebens nach einem Gegenstand in seiner Nähe, welchen er als Waffe hätte gebrauchen können.

„Mein Name ist Joint und ich bin der erste Maat der Fingerhut-Piraten. Mein Kapitän ist schwer krank. Wir haben keinen Arzt, der ihn heilen könnte, deshalb sind wir hier. Bitte, Sie müssen ihm helfen. Er wird sonst sterben.“

Schweigend sah Mush kurz zu dem dunkelhäutigen Mann mit den schwarzen Haaren und den noch viel schwärzeren Augen. Der kranke Kapitän atmete sichtlich angestrengt. Selbst auf die Entfernung erkannte der ehemalige Arzt, dass die Haut des Kranken unheimlich blass war, ja beinahe wie bei einem Toten, und zusätzlich von Schweiß bedeckt war. Vorsichtig schritt er auf die Gruppe zu und als er sie erreicht hatte, beäugte er vorsichtig seinen womöglichen Patienten. Dessen Gesicht wirkte fahl und wären die zittrigen Lippen und das Heben und Senken des Brustkorbes nicht gewesen, hätte man ihn für Tod halten können. Vermutlich war er es auch mehr, als lebendig.

„Legt ihn auf mein Bett. Ich werde ihn mir gleich genauer ansehen,“ entschied der Einsiedler schließlich und die Piraten taten, wie ihnen geheißen.

Doch während sie den kranken Mann auf das Bett legten, erkannte der Doktor sofort seine eigene Lage und versuchte seine Chancen abzuschätzen. Er hatte bereits viele Jahre praktischer Erfahrung hinter sich und dabei schnell gelernte binnen eines Augenblickes lebenswichtige Entscheidungen treffen zu müssen, doch für diese Entscheidung hätte er dieses mit der Zeit erlangte Wissen nicht gebraucht. Seit geraumer Zeit spürte er die Wirkung seiner verlebten Jahre auf seinen Körper und der damit verbundene Prozess des Schwundes immer deutlicher. Sein Körper gehorchte ihm nicht mehr, so wie früher und auf diese Weise würde er dem Mann niemals helfen können.

„Ich kann eurem Kapitän nicht heilen. Ich bin schon sehr alt. Zu alt. Meine Hände zittern und ich leide selbst unter einer Krankheit. Dieser Mann braucht einen fähigeren Arzt als mich. In der Stadt lebt ein Mädchen namens July Medica. Sie ist die einzige Person auf der Insel, die ihm jetzt noch helfen kann,“ erklärte der Eremit mit sanfter Stimme, während er seine Hände wusch und einen Mundschutz sich anlegte. Joint hingegen begab sich kurz zu seinen Männern und erteilte ihnen verschiedene neue Befehle. Es dauerte nicht lange, da liefen sie bereits – so schnell sie konnten – zurück in die Stadt, um sie auszuführen.

„Sie werden das Mädchen hierher holen,“ erklärte er, was Doktor Mush bereits klar war.

„Ich werde alles vorbereiten, damit wir nicht noch mehr Zeit verlieren. Hilf mir dabei.“

Yukaku wusste nicht, dass Joint seinen Männern befohlen hatte, July mit allen Mitteln zur Höhle zu bringen, ihre Eltern gefangen zu halten und jeden zu töten, der auch nur nach July oder dem Eremiten suchen würde. Aber selbst wenn er es gewusst hätte, wäre er unfähig gewesen etwas zu machen. Schließlich ging er hier einen Deal mit dem Teufel ein, in der Hoffnung dass auch die andere Seite sich daran hielt.
 

*In der Gegenwart*
 

„I-Ihr wollt July als euer Crewmitglied?,“ fragte Matsu ungläubig und sah zwischen seinen drei Gästen hin und her. Ein wenig fühlte er sich auf den Arm genommen. Doch andererseits konnte er in die Augen des Kapitäns der kleinen Truppe sehen. Er sah das Feuer in ihnen Brennen.

„Klar. Warum nicht?,“ fragte Tyke.

„Matsu, mein Gemahl?,“ die Anwesenden blickten zu der Tür, wo eine wunderschöne Frau mit lockigen blonden Haaren stand, welche ihr bis zu den Schultern gingen und ihr jugendlich wirkendes Gesicht einrahmten. Das hellgrüne Kleid reichte bis zu dem Boden und sie zog sogar eine kleine Schärpe hinter sich her. Sie war eine makellose Schönheit.

Aufgrund ihrer Worte war es jedem klar, dass es sich eindeutig um die Frau Matsus handeln musste und damit um die Mutter ihres potentiellen neuen Mitgliedes. Sie nickte ihren Gästen kurz zu und wand sich anschließend an ihren Ehemann: „Ich denke es wäre eine gute Wahl. Ich glaube es wäre das Beste für July, wenn sie sich diesem jungen Mann anschließt.“

Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen, weshalb Matsu ihr seinerseits nun zunickte und dann zu Tyke sagte: „Rettet bitte meine Tochter. Sie ist in großer Gefahr, wenn sie Käpt’n Arsen wirklich heilen sollte. Sie befindet sich auf dem Berg am nördlichen Stadtrand. Er liegt im Zentrum der Insel und trennt die drei Städte voneinander. Außerdem ist er nicht sonderlich hoch, weshalb ihr sehr schnell die Spitze erreichen solltet. Dort befindet sich die Höhle von Doktor Mush.“

Im Laufschritt rannten sie gemeinsam los. Schließlich galt es July zu befreien.

„Vielen Dank, Herr Medica!,“ rief Aisuru zum Abschied, doch kaum hatte er seine Worte gesprochen und Tyke danach die Haustür aufgemacht, blickte dieser plötzlich einer Mistgabel entgegen.

„Woah! Vorsichtig, dass kann doch ins Auge gehen.“

„Da seid ihr ja, elendige Piraten! Wir lassen nicht zu, dass ihr die Medicas ausraubt!,“ rief der Mann, mit der Mistgabel in den Händen, entschlossen.

„Ihr missversteht da etwas,“ versuchte Nina die Sache zu klären und half ihrem Kapitän unterdessen wieder auf die Beine, da er vor Schreck beim Anblick der Waffe rücklings zu Boden gegangen war.

„Klappe. Wer glaubt schon euch Piraten?!,“ rief ein anderer Bürger wütend.

„Halt!,“ ertönte Matsus Stimme aus dem Inneren des Hauses. Gemeinsam mit seiner Frau trat er hinter den Piraten hervor: „Sie sagen die Wahrheit. Sie haben uns ihre Hilfe angeboten, unsere Tochter July zu retten. Sie sind nicht unsere Feinde, sondern unsere Freunde.“

Erstaunt blickten die Männer, die offensichtlich zur Rettung der Medicas herangeeilt waren, zu den Piraten und der Mann an vorderster Front, ließ sogar seine Mistgabel sinken.

„Echt? Ihr… Ihr wollt uns helfen?,“ fragte jemand aus der Gruppe ungläubig.

„Hahaha,“ begann Tyke zu lachen und klopfte sich seine Kleidung zu Recht, „Ich bin stolz auf euch.“

„Hö?“

„Wie bitte?“

„Was redet der Bursche da?“

Die Bewohner Acidems verstanden nicht, was der Fremdling meinte und blickten sich verwirrt an.

„Ihr mögt diese Familie sehr. Sie sind euch wichtig. Wichtig genug, dass ihr bereit seid euer Leben für sie aufzugeben. Das ist toll. Bewohner von Acidem, ich beauftrage euch mit einer wichtigen Aufgabe! Beschützt dieses Haus und ihre Bewohner, komme was wolle! Wir werden bald wieder zurück sein! Solange vertrauen wir euch die Familie an.“

Die letzten Worte hatte der junge Pirat geschrieen und genauso laut, schrieen und jubelten die Bürger ihrerseits nun. Der junge Rotschopf hatte sie binnen Sekunden für sich eingenommen.

Eigentlich waren sie hierher gekommen, weil sie sich entschieden hatten in den Kampf zu ziehen, für die wichtigste Familie ihrer Heimatinsel. Sie hatten den Entschluss gefasst ihre Heimat zu verteidigen. Und das würden sie auch tun. Bis zum letzten Mann. Auch wenn es nun anders gekommen war, als geplant, stand ihre Entscheidung weiterhin fest.

Laute Schreie und Pfiffe begleiteten Tyke und seine Freunde, während diese sich durch die Meute kämpften und anschließend in Richtung Norden rannten. Sie hatten nicht viel Zeit den Berg zu erklimmen. Wer wusste schon, was dort vor sich ging.
 

* * * * *
 

Niemand war zu sehen. Der Hafen lag wie ausgestorben da. Seltsam, sollten normalerweise nicht Hafenarbeiter hier sein? Schließlich war es noch hell und bevor die Sonne unterging würden noch einige Stunden vergehen. Verwirrt sah sich die braunhaarige Diebin um.

Doch schließlich entschied sie sich, dass es egal war. Sie war nur aus einem Grund auf dieser Insel.

Dank einem Informanten hatte sie erfahren, dass ein reicher Kaufmann namens Matsu Medica ein sehr wertvolles Objekt auf einer Auktion im North Blue ersteigert und heute bekommen habe. Nur deswegen war sie hier. Sicherlich würde ihr dieses Objekt sehr viel Geld auf dem Schwarzmarkt bringen. Außerdem würde das ihre diebischen Fähigkeiten verbessern. Und überhaupt: Von irgendwas musste ja auch sie leben. Auch eine Diebin bekam irgendwann Hunger und Durst.

Oder vielleicht, mit ein wenig Glück, würde sie ihn eintauschen können. Gegen den wichtigsten Gegenstand in ihrem Leben…
 

* * * * *
 

„Und du bist dir ganz sicher?,“ fragte Tyke.

„Langsam glaube ich, du machst das extra,“ behauptete Aisuru zornig.

Keuchend standen die Drei auf dem Berg. Matsus Aussage, der Berg sei nicht allzu hoch, war definitiv untertrieben. Die Klippen waren sehr steil und der Aufstieg war für jeden von ihnen ungewohnt anstrengend gewesen. Sie merkten dadurch aber auch, dass sie an sich selbst noch viel arbeiten mussten, wenn sie auf der Grand Line bestehen wollten.

„Ich will doch nur sicher gehen…,“ verteidigte sich der Käpt’n schnell.

„Ich bin dein Navigator, kapiert? Mein Orientierungssinn ist ausgezeichnet! Das ist definitiv der Berg und dies ist die richtige Höhle.“

Dabei zeigte der Blauhaarige in das Innere der Höhle, vor der sich die drei Piraten befanden.

„Und wieso bist du dir da so sicher? Vielleicht ist das die Höhle vom Nachbarn des Eremiten,“ wollte Tyke wissen, woraufhin Aisuru in die Höhle stürmte, sich ein Buch schnappte, welches in einem Regal stand, und es seinem Kapitän an den Kopf warf.

Zielsicher traf es den Rotschopf an der Stirn. Beinahe wäre er durch die Wucht des Aufpralls umgekippt, konnte sich dann aber fassen und auf den Beinen halten. Erst wollte er sich bei Aisuru beschweren, doch dann entschied er es dabei zu belassen und hob stattdessen, sich die Beule reibend, das Buch auf und las laut den Titel vor: „Grundkenntnisse der modernen Medizin… Das ist noch kein Beweis!“

„Stirb!,“ schrie Aisuru erbost über die beleidigte und trotzige Haltung Tykes, rannte auf seinen Kapitän zu und schlug mit seinen Fäusten auf diesen ein.

Doch der Rotschopf schaffte es immer wieder knapp vor den Angriffen seines ersten Crewmitglieds auszuweichen. Dabei wand er sich flehend an die ebenfalls rothaarige Köchin: „Hilf mir doch Nina.“

„Nein. Wir haben wichtigere Dinge zu erledigen. Außerdem mache ich bei eurem kindischen Verhalten nicht mit. Sie waren ganz offensichtlich hier, sind aber schon seit einiger Zeit wieder weg. Wir hätten vielleicht doch diesem Weg am Fuße des Berges folgen sollen, statt schnurstracks hoch zu klettern. Vielleicht wären wir ihnen dann begegnet oder der Aufstieg wäre wenigstens nicht so anstrengend gewesen. Zumindest wissen wir nun, dass July den Kapitän der anderen Piratenbande bereits geheilt haben muss.“

„Was denkst du, wo sie jetzt sind?,“ fragte Aisuru nachdenklich und lies wieder von seinem Opfer ab.

„Vermutlich zurück in die Stadt. Hat Matsu nicht erzählt, dass July gezwungen wurde den Kapitän der Piraten zu heilen? Ich bezweifle, dass der Kapitän selbst sie dazu zwingen konnte, oder gar einen Deal mit ihr abschließen vermochte.“

„Du denkst also, dass sie reingelegt wurde.“

Nina nickte und Tyke, der bei seinem Ausweichmanöver zum Schluss auf den Hintern gefallen war, richtete sich wieder auf. Sein Blick war eisern und ernst.

„Wir müssen zurück.“

„Wir können aber von hier aus nicht runterklettern. Es wäre zu gefährlich. Und wenn wir dem Weg folgen, verlieren wir massig Zeit, die wir nicht haben,“ entgegnete die Smutje nachdenklich.

„Wie gut, dass ihr einen Magier dabei habt.“

„Ex-Magier,“ kommentierte Nina Aisurus Einwand.

„Der nicht einmal richtig zaubern kann,“ warf auch Tyke ein.

„Klappe ihr Beiden. Helft mir lieber.“

Aisuru betrat die Höhle wieder und begann damit verschiedene Gegenstände daraus zusammen zu suchen. Er hatte sich gerade die Bettdecke geschnappt, als er die Blicke seiner Freunde sah.

„Was hast du vor?!,“ fragten Kapitän und Köchin skeptisch, woraufhin Aisuru nur geheimnisvoll antwortete: „Euch das Fliegen lehren!“
 

* * * * *
 

Grob stieß Arsen July und den gebrechlichen Doktor Mush vor sich her. So hatten sich die Beiden das nicht erhofft. Joint hatte dem Eremiten versprochen, dass sie die Insel verlassen würden, sobald Arsen geheilt sei. Doch kaum ging es dem Piraten besser, warf dieser das Versprechen über Bord. Und zu allem Überfluss sah er aus den Augenwinkeln, wie July sich in ihrer eigenen Schüchternheit verlor.

„Joint hat euch das Versprochen. Nicht ich. Und jetzt wo ich geheilt bin, gilt sein Wort nicht mehr, denn er ist mein Untergebener. Nicht ich der Seine,“ mit diesen Worte hatte er die Beiden abgespeist und sie von seinen Männern gefangen nehmen lassen.

Anschließend war er mit ihnen zu seinem Schiff gegangen, um den Rest seiner Crew zu holen. Diese hatten bereits besorgt auf ihren Kapitän gewartet und als er schließlich mit seinen Geiseln den Hafen erreichte, hatten sie zu jubeln begonnen. Endlich war ihr Käpt’n wieder gesund und das bedeutete, dass die Raubzüge wieder beginnen konnten.

„Der Käpt’n ist zurück,“ rief einer von ihnen, woraufhin eine erneute Welle von Jubelschreien losbrach.

„Poispoispois. Da habt ihr Recht, Männer! Euer geliebter Käpt’n ist zurück. Wir können also zurück auf die Grand Line!“

Plötzlich ebbte der Jubel ab und einige Mitglieder der Crew sahen sich skeptisch an.

„Wieder auf die Grand Line?“

„In dieses Höllenloch?“

„Poispoispois, keine Angst Männer. Jetzt wo wir eine Ärztin haben,“ er packte July und stieß sie so kräftig vor sich, dass sie schmerzhaft zu Boden stürzte und dort zusammengekauert liegen blieb, „Wird uns nichts und niemand mehr aufhalten können. Die einzige Quelle unserer Furcht, die Krankheiten der Grand Line, ist nun nichts mehr, was wir zu fürchten haben. Und jetzt Leute lasst uns diese Insel ausrauben. Schließlich soll hier doch eine reiche Familie leben! Nicht wahr? Reichtum in Massen.“

Ein lautes „Jaaaaaa!“ ertönte, während die stolzen Räuber der Meere ihre Schwerter demonstrativ in die Lüfte erhoben.

Die unzähligen grobschlächtigen Seebären kämpften sich danach vom Schiff herunter und sammelten sich vor ihrem Kapitän am Hafen. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zu ihren Opfern, wo ihr Plünderzug beginnen sollte. Alle die es wagen sollten sich ihnen in den Weg zu stellen, würden von ihnen getötet. Denn niemand stellte sich Kapitän Arsen in den Weg. Dem zukünftigen Piratenkönig, wenn es nach ihm ging.

Grölend und die Straßen in Mitleidenschaft ziehend, bahnte sich die Piratenmeute ihren Weg. Sie brauchten nicht lange um die zentral gelegene Villa der Familie Medica zu erreichen. Doch kaum sie den Ort ihres Interesses erreicht, blieben sie abrupt stehen und blickten verdutzt zu dem Berg von bewusstlosen Männern vor dem Eisenzaun. Waren das etwa ihre Kumpanen? Die Männer, die zu Arsens stolzen und gefürchteten Bande gehören sollten?

„Was ist hier passiert?!,“ schrie Arsen aufgebracht und packte sich einen seiner Männer, der ganz oben auflag.

Dieser kam langsam wieder zu sich und war im ersten Moment zu durcheinander, um die Lage – oder gar seine Situation – richtig einschätzen zu können.

„Was ist mit euch geschehen?“

„Da waren… diese zwei Typen… ziemlich jung,“ begann er schwerfällig zu erzählen, „Sagten sie seien Piraten. Die waren unglaublich stark. Wir hatten keine Chance.“

„Eine Heerschar von Männern und ihr könnt es nicht einmal mit zwei Lausebengel aufnehmen?! Bin ich von Idioten umgeben? Steht auf. Los!,“ schrie der Piratenkapitän seine Leute an.

Langsam aber sicher lichtete sich der Berg an Körpern wieder und die Piraten richteten sich noch leicht benommen auf. Als sie alle endlich wieder bei Sinnen waren und ihren Kapitän erkannten, begannen sie erst zu jubeln, verstummten dann aber wieder als sie Arsens zornigen Blick sahen. Dieser beruhigte sich dann aber wieder etwas und meinte seinerseits: „Es ist jetzt auch egal. Ich bin wieder gesund und nur das zählt. Und jetzt werden wir ein wenig Spaß haben.“

July und Yukaku, denen man die Hände auf den Rücken gebunden hatte, waren unfähig etwas zu tun und das allein schmerzte sie mehr als jegliche Art von Folter, der man sie hätte unterziehen können.

„Männer, wir fangen mit diesem Haus an,“ verkündete Arsen, doch dann wurde die Haustür der Villa aufgestoßen und ein Trupp spärlich bewaffneter Bürger stürmte aus dem Gebäude heraus. Zusätzlich kamen auch einige Männer um das Haus gelaufen, damit es nicht zuviel Zeit in Anspruch nehmen würde, wenn sie alle hinaus wollten. Das letzte Drittel erhob sich auf dem Dach, bewaffnet mit Gewehren, um ihren Freunden in diesem Kampf zur Hand zu gehen und Rückendeckung zu geben.

„Nicht so schnell,“ ertönte nun eine Stimme, die July und Yukaku bekannt war.

„Otou-san,“ rief July überglücklich, als auch Matsu aus dem Haus hinaus trat, bewaffnet mit einem Gewehr.

„Was denn? Ist das alles, was ihr uns entgegen setzen wollt?! Poispoispois. Das wird ja ein Spaziergang,“ spottete Arsen lautstark, ehe er sich dann an seinen ersten Maat richtete, „Du wirst meine Hilfe vermutlich nicht benötigen. Sehe ich das richtig?“

„Ja. Das wird ein Kinderspiel für mich.“

„Gut. Leute, haltet euch zurück und genießt die Show.“

„Jaaaaa!“

„Joint macht die fertig!“

„Die haben gegen ihn keine Chance!“

„Endlich sehen wir ihn mal wieder kämpfen!“

Die beiden Geiseln wussten zwar nicht, warum die Piratencrew von diesem einen Mann so begeistert war oder wie er es gegen eine solche Überzahl an Gegner aufnehmen wollte, doch ahnten beide, dass dies kein gutes Ende nehmen würde. Sie mussten sich aus der Gefangenschaft befreien, damit die Schützen auf dem Dach die gegnerische Linie aufspalten könne.

Kurzerhand wirbelte July um ihre eigene Achse herum und schlug mit ihrem Kopf auf den des Mannes, der das Seil in der Hand hielt welches an ihre und Doktor Mushs Fesseln befestigt war und sie somit im Griff hatte, ein.

„Jetzt!,“ schrie sie daraufhin und gemeinsam rannte sie mit dem alten Mann los, in Richtung Villa.

Zum Glück war das Tor offen gewesen – scheinbar hatte ihr Vater eine solche Situation befürchtet und es daher lieber offen gelassen. Joint wollte ihnen bereits hinterher eilen, um sie aufzuhalten, doch Arsen hielt ihn zurück.

„Gönne ihnen diesen kleinen Sieg. Dann ist die Niederlage nur umso bitterer. Poispoispois.“

Der Dunkelhäutige nickte kurz, was von einem leisen „Jawohl“ begleitet wurde und durchschritt dann ebenfalls das offene Tor, um auf das Villengrundstück zu gelangen. Der weiße Kies knirschte lautstark unter seinen Füßen, doch beachtete er dies nicht weiter. Schließlich versuchten sie keinen geheimen Überraschungsangriff auszuführen. So etwas hatten sie nie nötig gehabt.

„Waaaaaah! Vorsicht da unten!,“ ertönte plötzlich eine weibliche Stimme.

Im ersten Moment konnte Joint niemanden erkennen, dem sie gehören konnte, doch als er leicht nach oben blickte, sah er plötzlich wie drei Personen auf ihn zurasten. Mit einem schnellen Rückwärtssalto brachte er sich aus der Gefahrenzone heraus. Keine Sekunde zu spät.

An der Stelle, wo er zuvor gestanden hatte, krachten unterdessen die Fremden auf dem Kiesbett auf und wurden anschließend von einem großen Tuch bedeckt.

„Aisuru, du bist doch vollkommen verrückt! Nie wieder lass ich mich auf so etwas ein,“ kreischte die weibliche Stimme erneut und unter dem Tuch war ein lautes Klatschen zu hören.

„Klappe Mannsweib. Wir sind doch sicher angekommen, also was willst du von mir? Und wer gibt dir das Recht mich zu hauen?!,“ keifte die Person zurück, welche scheinbar mit dem Namen Aisuru gemeint war.

„Sicher? Das nennst du sicher, Blaubeere?! Wenn dir das noch nicht schmerzhaft genug war, dann kann ich dir ja noch welche zufügen!“

„Also ich fand das cool. Das hat echt Spaß gemacht. Kann ich später noch einmal mit diesem Fallschirm fliegen?“

„Klar, wenn er die Landung überstanden hat. Ich war mir erst nicht sicher, ob das Bettlaken uns alle halten würde, oder ob die Seile halten würden. Bei meinem Trick auf der Valdarim nämlich, als ich so etwas einmal ausprobiert habe, hatte ich besseres Material und flog alleine. Aber zum Glück hat es ja doch irgendwie gehalten.“

„Zum Glück? Irgendwie? Wenn ich dich in die Finger bekomme, bist du Tod!,“ kreischte die Frau erneut, während sie versuchte ihr Opfer unter dem großen Tuch zu fangen.

Gleichzeitig kämpfte sich der Erste von ihnen unter dem Tuch hervor. Es handelte sich um einen rothaarigen Jungen.

Er war es auch, der den Fallschirm schließlich zusammen raffte und somit die Sicht auf die anderen beiden Personen freigab. Es handelte sich dabei, um eine ebenfalls rothaarige Schönheit und einen blauhaarigen Jungen mit Mantel. Wobei Ersterer von Letzterer gerade gewürgt wurde und bereits blau anlief, beinahe so blau wie seine Haarfarbe. Nur bereits etwas dunkler.

Der Rotschopf dagegen blickte verwundert nach links und rechts. Auf der einen Seite die fremden Piraten, auf der Anderen Matsu und die Stadtbewohner. Und er mit seinen Freunden genau dazwischen. Im Grunde keine gute Lage.

„Ähm… Aisuru, Nina, könntet ihr bitte kurz einmal aufhören?,“ schlug er vor und tippte der einzigen Frau in dem Dreiergespann sanft auf die Schulter.

Diese hielt tatsächlich kurz inne und sah sich ebenfalls um, ehe sie Aisuru losließ und sich aufrichtete. Der Ärmste kippte unterdessen nach hinten und versuchte erst einmal wieder Luft und eine gesunde Farbe zu bekommen.

„Wer seid ihr?,“ fragte July, der inzwischen die Fesseln abgenommen worden waren. Genauso wie dem alten Eremiten, welcher sich jedoch erst einmal die schmerzenden Handgelenke rieb. Tyke jedoch blickte erst zu Matsu, von dem er ein kurzes Nicken bekam.

„Ich bin Raven D. Tyke, der nächste Piratenkönig, und du bist nicht zufällig July? Meine neue Ärztin!“

Die Blondine wollte gerade protestieren, als der Fremde sich auch schon zu den Piraten umdrehte, welche sich vor dem Eisentor der Villa versammelt hatten und nur noch auf das Zeichen zum Angriff warteten.

„Dann seid ihr wohl diese Piraten, die July entführt haben. Wir haben schon nach euch Knalltüten gesucht. Ihr macht es einem echt nicht leicht.“

Tyke schätzte grob die Lage ein. Es stand sie drei gegen eine Crew von gut hundert Männern.

Vielleicht hatten ihre Gegner ja sogar eine reelle Chance.
 

* * * * *
 

Gespannt sah die Diebin zu dem Geschehen vor der Villa. Kein Wunder, dass am Hafen niemand gewesen war. Das sie das Piratenschiff übersehen hatte, war ihr nun im Nachhinein auch etwas peinlich. Aber egal. Bisher hatte sie eh niemand bemerkt und das war auch gut so.

Nie hätte sie aber gedacht so früh wieder diesem Rotschopf zu begegnen. Na ja, auch wenn er nicht wusste, dass sie hier war. Aber das war vermutlich auch nicht sonderlich von Bedeutung.

Jedenfalls schien der Junge wahrlich interessant zu sein. Vorerst würde sie von ihrem Platz aus beobachten, wie es da unten weitergehen würde. Man sollte sich eben nicht einmischen, wenn zwei Piraten vorhatten sich gegenseitig eins auf die Nase zu geben. Vor allem wenn man selbst nicht unbedingt die stärkste Person war. Außerdem war es wesentlich leichter sie auszurauben, wenn sie sich gegenseitig geschwächt hatten. Aber sie musste auch sicher gehen noch bevor eine Seite verlor, nach der Teufelsfrucht zu suchen. Zum Glück waren alle hier draußen, damit würde es wohl ein Kinderspiel sein das Objekt ihrer Begierde zu stehlen.
 

* * * * *
 

July betrachtete den Fremden genauestens. Er trug ein schwarzes Hemd, auf dessen Vorderseite sie zuvor die rote Silhouette eines Raben gesehen hatte und auf dessen Rückseite in Gold das Schriftzeichen für ‚Rabe’ prangte. Offenbar war er ein Freund der Raben, wenn sie sowohl seinen Namen, als auch seinen Körper schmückten.

Seine roten Haare sahen aus der Ferne wie Feuer aus, welches auf seinem Kopf brannte, und sein Blick war schier unergründlich gewesen, als er sie angesehen hatte. Doch seine Mimik dagegen hatte Entschlossenheit und Wut gezeigt. Wieso setzte er sich für sie so sehr ein? Und was sollte das bedeuten, sie sei nun seine Ärztin? Wurde sie überhaupt noch gefragt, was sie dazu dachte?

Nachdem sie ihn genug betrachtet hatte, drehte er sich wie auf ein Stichwort hin um und schien nun seinerseits die junge Ärztin zu mustern.

Sie konnte förmlich spüren, wie seinen Blick an ihrem langen, braunen Rock hinauf glitt, bis zu ihrer beigen Strickbluse, unter der sie eine weitere hellblaue Seidenbluse verbarg, dort einen Moment hängen blieb und dann weiter zu ihrem Gesicht empor strich. Sie war sich nicht sicher, doch wieso sollte er sonst sie so lange, schweigend ansehen.

Sie spürte wie ihr die Scham ins Gesicht stieg und sie somit leicht errötete. Dies war ihr äußerst peinlich und unangenehm, woraufhin sie sich bemühte schnellstens auf den Boden zu blicken. Sie fühlte sich nie wohl in der unmittelbaren Nähe von Männern, aber dieser war anders. Irgendwie… Vertrauenswürdig. So ähnlich hatte es sich angefühlt, als sie Doktor Mush zum ersten Mal begegnet war.

„Haben wir dich also doch noch gefunden,“ durchbrach der blauhaarige Mann neben Tyke die Stille schließlich. Auch er schien kurz ihr Äußeres zu prüfen, ehe er mit einer Rose zwischen den Lippen auf sie zugesprungen kam, sich vor ihr hinkniete und mit honigsüßer Stimme sagte: „Ein Geschenk für eine Schönheit wie du es bist.“

„Hiaaah,“ kreischte July erschrocken und versteckte sich schnell hinter dem Rücken ihres Vaters.

Entsetzen breitete sich auf Aisurus Gesicht aus. Wie konnte das sein? Bereits die zweite Frau innerhalb kürzester Zeit, die seinen Annäherungsversuchen widerstand und ihm Parole bot. Ja, ihn sogar abwies. Geschockt öffnete er den Mund, woraufhin ihm die Rose zu Boden fiel.

Der Butler Alfred wollte gerade, dem jungen Navigator erklären, warum July so gehandelt hatte, doch kaum hatte er mit einem „Ju…“ begonnen, unterbrach der Blauhaarige den alten Mann mit einem gepeinigten Schrei. Den Kopf hängen lassend, tapste er schwerfällig zu seinen Freunden zurück, wo ihn bereits ein lachender Tyke erwartete.

„Aisuru, halt das nächste Mal die Klappe. Du bist ja schlimmer als eine Seuche. Auf die Weise bekommt sie noch Angst vor dir, wenn sie die nicht schon längst hat,“ meckerte Nina wutentbrannt.

„Wieso sollte sie vor mir Angst haben? Ich versteh nur nicht, wieso mein Charme bei ihr nicht wirkt. Im Gegensatz zu dir ist sie kein Mannsweib, sondern ein wahrer Engel.“

„Weil du nicht unbedingt wie die Ehrlichkeit in Person aussiehst. Außerdem bist du ein Schürzenjäger. Da muss man ja bei dir doch irgendeinen Gauner hinter der Fassade vermuten! Und was soll der Mist?! Ich bin kein Mannsweib, sondern eine Lady!“

„Wer’s glaubt…“

„Willst du mich auf den Arm nehmen?“

„Klappe, du blödes Mannsweib.“

„Suchst du Schläge, Blaubeere?“

„Wer seid ihr?,“ wollte July erneut wissen, diesmal jedoch nur an Tykes Gefährten gerichtet, und unterband damit das Gezanke der Beiden.

„Wir sind Piraten und dein Vater hat uns gebeten, dich zu ihm zu bringen,“ erklärte Tyke anstelle ihrer, auch wenn sie sich rein technisch gesehen ja wieder bei ihrem Vater befand.

„Ist jetzt wohl auch egal,“ meinte Nina, die sich eben dieser Sachlage bereits bewusst war.

„Wer seid ihr? Piraten? Sind das etwa die Kerle, die euch zusammengeschlagen haben,“ wollte Arsen seinerseits von seinen Männern wissen.

„Die beiden Kerle da, ja. Das Mädchen kam erst später hinzu,“ antwortete einer von ihnen. Es handelte sich um den kleinen Giftzwerg, der eines von Tykes ersten Opfern gewesen und auch am schwersten von allen verletzt war.

Arsen mochte es nicht, wenn sich Fremde in seine Angelegenheiten einmischten und dies war hier eindeutig geschehen. Tyke blickte nun wieder zu dem Piratenkapitän und der Meute von Seemännern – es handelten sich dabei fast ausschließlich um andere Männer als zuvor, denn diejenigen, welche Aisuru und er schon zuvor besiegt hatten, standen viel weiter hinten. Scheinbar wagten sie es erst gar nicht, sich den Beiden ein weiteres Mal in den Weg zu stellen –, die sich hinter eben diesem versammelt hatten und weiterhin auf die Erlaubnis warteten das Gelände der Villa zu stürmen.

Tyke sah sich auch seinen Gegner daher einmal komplett von oben bis unten an und begutachtete sein Äußeres genauestens. Vielleicht gab es ja wertvolle Hinweise auf ihn Preis. Oder Tyke würde zumindest dessen Stärke besser einschätzen können.

Arsen trug einen lilanen, kelchförmigen Hut, der nach oben hin leicht spitzförmig wurde. Er erinnerte Tyke ein wenig an eine Giftpflanze namens Fingerhut, die er einmal vor langer Zeit in einem Buch gesehen hatte, als er das Zimmer von Loris’ Schiffsarzt durchsucht hatte.

Hätte Tyke gewusste, dass Arsens Bande den Namen ‚Fingerhut-Piraten’ trug, hätte er vielleicht die seltsame Mütze mit dem Piratenbandennamen in Verbindung gebracht.

Der Hut verdeckte zudem ein wenig die seidenglatten schwarzen Haare des anderen Piratenkapitäns, die er sich selbst über die Schultern gelegt hatten, so dass sie einen Teil seiner Brust bedeckten. Sein grüner Pullover besaß ein Blättermuster und war ihm eigentlich viel zu groß, weshalb er sich die Ärmel hochgekrempelt hatte.

Der Pullover war zudem groß genug, um einen Teil der schwarz-grünen Stoffhose zu bedecken. Das war also der Piratenkäpt’n, der so viele Probleme verursachte. Theoretisch Tykes Gegner. Doch dieser hatte ganz andere Pläne.

„Wenn ihr Piraten seid, dann messt euch mit uns,“ forderte Arsen die Drei heraus.

Tykes Antwort aber überraschte alle Anwesenden, sogar seine Freunde: „Ich weigere mich mit dir zu kämpfen.“

Doppelkampf

„Ich weigere mich mit dir zu kämpfen,“ entschied Tyke und wandte sich dabei bewusst von Arsen ab.

Dessen Gesicht war von Wut und Zorn verzerrt und man hatte das Gefühl, dass er selber nicht mehr Herr seiner Gedanken und Emotionen war. Ganz offensichtlich war er es nicht gewohnt, dass man so mit ihm umsprang. Er war es wohl viel mehr gewohnt, dass sein Name die Leute in Angst und Schrecken versetzte und ihm selbst Respekt einbrachte.

„Wie kannst du es wagen? Weißt du nicht wer ich bin? Mit wem du es hier zu tun hast? Und du willst Piratenkönig werden? Wie kannst du dann vor einem Kampf wegrennen?“

„Du bist irgendein Schwächling, der es auf der Grand Line vermasselt hat. Oder anders ausgedrückt, niemand besonderes. Im Übrigen renne ich nicht davon,“ entgegnete der Rotschopf selbstbewusst, „Du hast nicht genug Schneid, als das es sich lohnt gegen dich zu kämpfen. Du bist ein Waschlappen und mit so einem lasse ich mich nicht auf einen Kampf ein. Ich suche starke Gegner.“

„Du solltest wohl besser Philosoph, statt Pirat, werden. Außerdem woher willst du wissen, wie stark ich bin, wenn du nicht meine Herausforderung annimmst?“

Tyke drehte seinen Kopf leicht zur Seite und blickte über seine Schulter zu dem anderen Piratenkapitän.

„Ich sehe es. Du hast nicht das Antlitz, welches ich suche. Wenn ich dich sehe, bekomme ich nicht das Gefühl einem starken Gegner gegenüber zu stehen. Bekomme ich nicht Lust mich mit dir messen zu wollen. Da ist nichts außer gähnender Langeweile. Aus diesem Grund interessierst du mich nicht. Ein Kampf mit dir reizt mich nicht. Um stark zu werden muss ich starke Gegner besiegen und nicht Personen, wo ich den Ausgang bereits kenne. Du kannst es ja nicht einmal mit meinen Gefährten aufnehmen.“

„Was für ein Gefühl? Was für einen Schwachsinn verbreitest du da? Es geht nicht darum einen starken Gegner zu besiegen, sondern seine Feinde zu vernichten, um so Gefürchtet zu werden! Und schick deine Crew nur voraus, wenn ich sie in Stücke reißen soll.“

„Hör mir mal zu, Gänseblümchen…,“ begann Tyke, woraufhin vor Entsetzen Arsens Crew die Gesichtszüge entgleisten. Nicht nur, dass dieser Bursche keinen Respekt ihrem Käpt’n gegenüber zeigte, er wagte es auch noch diesen zu beleidigen. Auch July, ihre Familie und die Stadtbewohner waren geschockt, von soviel Frechheit und auch Selbstbewusstsein.

„…Ich war bereits auf der Grand Line, kapiert? An der Seite von einem der aktuellen sieben Samurai der Weltmeere. Ich habe Dinge gesehen und erlebt, die du niemals verstehen wirst. Und ich habe Gegner gesehen, deren bloßer Anblick mich das Fürchten gelehrt haben. Piraten, die mit einer Hand ganze Städte zerstörten. Marineoffiziere, deren Namen bewirkten, dass ihre Feinde Reißaus nahmen. Piratenjäger, die Piraten mit Kopfgeldern in dreistelligen Millionenhöhen ausschalteten. Das sind Dinge, die du nie unbeschadet überstehen würdest. Ich war im Piratengrab und entschloss mich mit einer eigenen Crew dorthin zu segeln, um diese See zu erobern. Aber wenn du unbedingt kämpfen willst, bitte sehr. Verbrenn dir doch ruhig die Finger. Nina, du kennst deinen Gegner. Aisuru, dir überlasse ich seinen ersten Maat.“

Der Blauhaarige trat vor seinen Kapitän und zog dabei seinen Mantel aus. Da er ihn nicht einfach zu Boden fallen lassen wollte, sah er sich kurzerhand um, ehe er sich schließlich umdrehte und in Richtung Villa – und damit direkt auf July zu – ging. Diese versteckte sich noch immer hinter ihrem Vater, doch als Aisuru ihr seinen kostbaren Mantel entgegen streckte, nahm sie ihn zögerlich an und drückte ihn behutsam gegen ihre Brust, so als würde er ihr Schutz bieten können.

Während July somit den Mantel aufbewahrte, drehte sich Aisuru endgültig zu seinem Gegner um und meinte seelenruhig an Tyke gerichtet: „Schon so gut wie erledigt, Käpt’n.“

Nina aber war alles Andere, als mit der Entscheidung eben diesen Mannes einverstanden: „Wieso bekomme ich den langweiligeren Gegner? Kann ich nicht viel lieber Löckchen haben?“

Diese Aussage erzürnte Arsen jedoch nur noch mehr. Gleichzeitig hob ‚Löckchen’ eine Augenbraue an und betrachtete fragend seine schwarze Lockenpracht. Arsen vergrub sich dagegen weiterhin in seinen finsteren Gedanken. Wie konnte dieses Weibsbild es wagen ihn schwächer als seinen ersten Maat einzuschätzen? Er war schließlich der Anführer dieser Piratenbande.

„Ich der langweilige Gegner?! Na warte, für diese Bemerkung werde ich dich töten!“

„Versuch es doch, wenn du kannst.“

Arsen entschied sich dagegen seinem ersten Maat den Vortritt zu lassen, sondern attackierte einfach sowohl den blauhaarigen Ex-Magier, als auch die attraktive Köchin.

„Pestatem,“ mit diesem Angriff begann Arsen den Kampf, holte tief Luft und blies eine hellviolette Wolke Nina und Aisuru entgegen.

Diese sprangen sicherheitshalber zur Seite und entwichen so fürs Erste der Attacke. Doch als die Wolke den, mit Kies bedeckten, Boden traf, zeigte sich erst wie gefährlich sie war. Augenblicklich verfärbten sich die Kiessteine gelblich und zerbröselten kurz darauf zu feinstem Staub.

„Poispoispois. Damit habt ihr nicht gerechnet, nicht wahr?,“ schrie Arsen aufgebracht und stürmte auf Nina zu, die sich jedoch von ihrem Schock erholen konnte und sich voll und ganz auf den Kampf konzentrierte.

Unterdessen versuchte Aisuru seinen Gegner zu entdecken. Denn dank der Ablenkung durch seinen Kapitän, hatte der erste Maat der Fingerhut-Piraten nämlich die Gunst der Stunde nutzen können und war aus dem Blickfeld des Navigators verschwunden.

„Hier bin ich,“ ertönte mit einem Mal Joints Stimme hinter dem Blauhaarigen und plötzlich traf diesen die rechte Ferse seines Gegners in der Seite und schlug ihn auf diese Weise zu Boden.

Joint nutzte die Wucht seines Überraschungsangriffes, um sich direkt danach auf die Brust seines Gegners zusetzen. Dabei presste er mit seinem Knie den ehemaligen Magier zu Boden. Anschließend schlug er ihm mit der Faust ins Gesicht, setzte danach seine Hände links und rechts neben Aisurus Kopf auf und ging in den Handstand über, nur um anschließend beide Knie gegen die Brust des Blauhaarigen zu rammen. Zu letzt machte er einen Hechtsprung zur Seite und wartete von da aus, wie Aisuru als nächstes reagieren würde. Dieser keuchte schwer und versuchte erst einmal wieder Luft zu bekommen.

Eines wusste er nun schon einmal: Sein Gegner war verdammt schnell und geschickt.

Aber nicht nur das. So normal der äußerliche Eindruck vielleicht sein mochte, dieser Kerl war bärenstark. Aisuru musste ihn demnach im Auge behalten, um nicht erneut einem Überraschungsangriff zum Opfer zu fallen. Doch war dies leichter gesagt, als getan. Solange der Dunkelhäutige ihn im Griff und vor allem die Initiative hatte, würde er kaum eine Chance haben.

Als er versuchte sich wieder aufzurichten, griff er dabei möglichst unauffällig in seine Tasche und warf seinem Gegner zwei Rauchbomben vor die Füße.

Die Aktion verfehlte ihre Wirkung nicht. Als die Beiden Kugeln explodierten und ihren dicken, schwarzen und vor allem rauchigen Inhalt verströmten, war Joint gezwungen seinen Arm schützend vor den Mund zu halten – was aber nicht verhindern konnte, dass er dennoch husten musste – und versuchte dabei nicht noch mehr von dem Qualm einzuatmen. Dennoch hatte er nun seinen Gegner aus den Augen verloren, weshalb er mit höchster Konzentration darauf achtete, ob er angegriffen wurde. Das Blatt hatte sich augenscheinlich gedreht, doch war der Schwarzhaarige jederzeit bereit auf eine Attacke mit einem passenden Konter reagieren zu können.

„Power Hook Combo!,“ ertönte Aisurus Stimme aus dem Rauch heraus und kurz darauf schnellte Joint eine Faust entgegen.

„Ausweichmanöver – Der Fisch, der dem Kranich entflieht,“ war dessen Antwort darauf. Dabei beugte er sich nach hinten über und stoppte mit den Händen seinen Fall ab.

Mit viel Fantasie sah es dabei so aus, als würde sein Körper eine Rundbogenbrücke darstellen. Durch die schnelle Bewegung nach hinten, traf Aisurus Angriff lediglich die rauchige Luft über seinem gelenkigen Gegner und nicht diesen persönlich.

„Konterreaktion – Die Schlange, die den angreifenden Adler beißt,“ ertönte es diesmal vom Gegner des Ex-Magiers her, welcher daraufhin sich nach links drehte und dabei dem Blauhaarigen sowohl gegen die linke Seite, als auch gegen den Bauchbereich trat.

Mit einem lauten ächzen, stieß Aisuru die Luft aus seinen Lungen aus, taumelte zurück und musste auch schon den nächsten Angriff einstecken: „Aktion – Der Tiger, der mit seiner Pranke zuschlägt.“

Die Faust des Dunkelhäutigen traf den Brustkorb seines Widersachers, der daraufhin einen stechenden Schmerz verspürte, auf die Knie ging und vorn über fiel, sich jedoch in letzter Sekunde mit den Händen abfangen konnte..

„Oh nein!,“ schrie July entsetzt und gleichzeitig besorgt. Sofort wollte sie zu ihm eilen – auch wenn sie sich vorher vor ihm versteckt hatte –, um sich um seine Wunden kümmern zu können. Solche Treffer mussten eine verheerende Wirkung auf seinen Körper gehabt haben. Doch als sie an Tyke vorbei stürmte, packte dieser sie ruckartig am Unterarm und hinderte sie so daran zu ihm zu laufen. Ihr verzweifelter Blick traf sich mit seinen ernsten und beinahe schon eisigen Augen.

„Misch dich niemals in einen Kampf ein. Du verletzt sonst nur die Ehre des Kämpfenden. Vor allem wenn er bereit ist sein Leben für dich zu opfern. Und überhaupt… Haben eigentlich alle Frauen die dumme Angewohnheit sich in die Kämpfe von Anderen einmischen zu wollen?“

„Wie kannst du so etwas sagen? Siehst du denn nicht, in welcher Lage er sich befindet?“

„Doch tue ich. Aber ich vertraue auch meiner Crew.“

„Vertrauen hin oder her, die Beiden sind ihren Gegnern nicht gewachsen.“

„Nina schafft das schon.“

July, die versucht hatte sich zu befreien, gab mit einem Mal nach und blickte den Rotschopf fragend an: „Vertraust du etwa doch nicht Beiden, sondern nur Nina?“

Anstatt zu antworten, verfiel der Pirat in eisiges Schweigen und gerade als July erneut zu einer Frage ansetzen wollte, begann er mit betrübter Stimme zu sagen: „Ich habe Vertrauen in seine Stärke, aber… Ich kann ihm selbst nicht trauen… Noch nicht.“

Zwar öffnete July ihren Mund, um Tyke erneut etwas entgegnen zu können, doch als sie seinen Blick bemerkte, hinderte etwas tief in ihrem Innersten sie daran. Sie hatte sich geirrt. Tykes Augen waren weder ernst, noch eisig gewesen. Sie waren geprägt von Vertrauen. Vertrauen in seine Kameraden und seine Crewmitglieder. Gleichzeitig war doch noch mehr. Eine tief sitzende und schier endlose Trauer. Was hatte er damit gemeint, dass er dem Blauhaarigen noch nicht trauen könne? Man könnte diese Haltung vielleicht als abweisend oder gar hartherzig missverstehen, doch July erkannte dass da mehr war, als sie im Moment vermutlich verstand.

Zwar war July noch immer um den Frauenhelden besorgt, dennoch trat sie einen Schritt zurück, blieb neben Tyke stehen und betete, dass der Blauhaarige nicht zu viel einstecken müsse. Gleichzeitig spürte sie jedoch, wie das Vertrauen des rothaarigen Piraten in seinen Navigator, sich auch auf sie ausbreitete.

Erst jetzt fiel ihr auf, dass Tyke zudem ihr Vorhaben sich in den Kampf einmischen zu wollen, gerügt hatte, mit den Worten: „Haben eigentlich alle Frauen die dumme Angewohnheit sich in die Kämpfe von Anderen einmischen zu wollen?“

Noch mehr Details, die sie nicht verstand. Was wiederum daran lag, dass sie unwissend darüber was, dass auch Nina so reagiert hatte, als Aisuru für sie in einen Kampf gezogen war.

„War das schon alles?,“ fragte Joint spöttisch und leider musste Aisuru sich gestehen, dass sein Gegner das Recht hatte ihn zu verspotten. Momentan lieferte er eine miserable Vorstellung ab.

„Dovemanship!,“ rief dieser seinerseits, während er sich aufrichtete, wobei sein Hemd sich jedoch aufblähte, unverhofft platzte und damit drei oder vier weißen Tauben den Weg freimachte, welche ihrerseits wiederum Aisurus Gegner entgegen flogen.

Dieser hielt sich nicht erneut – wie von dem Blauhaarigen erhofft – die Hände schützend vors Gesicht, sondern rief lediglich „Ausweichmanöver – Die springende Heuschrecke im hohen Gras!“ und vollführte einen unglaublichen Rückwärtssalto, dank dem er gut ein bis zwei Meter hinter seiner ursprünglichen Position landete.

Auf diese Weise konnte er zusätzlich auch etwas mehr Distanz zwischen sich und Aisuru aufbauen. Damit hatte er völlig anders reagiert, als es geplant war, jedoch verschaffte der vergrößerte Abstand auch dem Navigator einen Moment der Ruhe, den er zum Nachdenken nutzte.

„Dieser Kerl scheint aus jeder Position heraus agieren zu können. So wie es aussieht gibt es dabei drei Schlüsselbegriffe. Entweder weicht er aus, oder er reagiert direkt auf eine Aktion von mir, oder er agiert selbstständig in Form von Attacken gegen mich gerichtet. Er muss ein unglaubliches Körpergefühl haben, wenn meine Vermutung stimmt, und er wirklich zu jedem Angriff von mir, einen Konter ansetzen kann,“ schoss es Aisuru durch den Kopf, während er sich erneut aufrichtete und sein Hemd zuknöpfte. Er lies sich dabei Zeit, um eben diese schinden zu können. Er brauchte einen Plan und zwar schnellstens.

Zumindest kam der ehemalige Magier zu dem Schluss, dass er mit seinen direkten Illusionen, die er oftmals als Ablenkung nutzte, bei diesem Gegner keine Chance hatte. Schon sein letzter Trick mit den Tauben, hatte nicht den gewünschten Effekt erzielt. Sein sonst so effektiver Kampfstil brachte ihm diesmal also keinen Vorteil. Ausgerechnet er, der seinen Gegnern immer vorwarf man könne ihn nicht mit reiner Kraft besiegen, musste auf diesem Wege versuchen zu handeln. Welch Ironie des Schicksals.

Von seinen Tricks, konnte er – wenn überhaupt – höchstens diejenigen nutzen, welche zum ausweichen oder abwehren von Angriffen gedacht waren. Im direkten Kampf wäre er vermutlich aufgrund des ausgefallenen Stils seines Kontrahenten im Nachteil und auf Entfernung hatte er so gut wie keinen Aktionsspielraum. Was sollte er also tun?

Inzwischen hatte er sein Hemd wieder verschlossen und während er es gerade noch zu Recht rückte, sprach Aisuru: „Ich versprach meinem Meister vor langer Zeit, nur zu kämpfen wenn entweder ich in großer Gefahr sei oder die Ehre einer Frau, die es zu schützen gilt. Ihr habt Julys Gutmütigkeit ausgenutzt und damit ihre Ehre beschmutzt. Im Namen meines Käpt’ns werde ich diese wiederherstellen. Sicherlich wird dies im ermessen meines Meisters sein.“

Nun konnte der Kampf im vollen Maße beginnen. Aber auch bei Nina lief es inzwischen nicht zu ihren Gunsten. Egal was sie tat, sie kam nicht an ihren Gegner heran, der scheinbar ein wandelndes Giftsortiment darstellte.

„Giftiges Bombardement,“ so schlimm die Spuckerei Arsens auch war, umso schlimmer war die Erkenntnis für Nina, dass ein Treffer nicht einfach nur ekelig wäre, sondern auch hochgradig giftig und vielleicht sogar tödlich. Somit blieb ihr nichts anderes übrig, als auf alle erdenklichen, und zumeist auch verzweifelten, Art und Weisen den Angriffen auszuweichen.

Jedoch konnte sie nicht durchgehend nur passiv bleiben. Wollte sie Arsen besiegen, musste sie an ihn heran kommen. Ihn treffen.

Da er bisher ausschließlich aus der Distanz heraus, sie angegriffen hatte – und damit klar war, dass er mit unfairen Mitteln zu kämpfen schien –, bezweifelte sie, dass er allzu viele Treffer würde einstecken können. Dies war sein Schwachpunkt und den musste sie ausnutzen. Aber dafür musste sie erst einmal nah genug an ihn herankommen oder ihn zu sich locken.

„Bleib doch einmal stehen, du Miststück,“ knurrte Arsen.

Wie auf ein verstecktes Kommando hin, richteten sich die sichtbaren Haare – diejenige die nicht unter dem absurden Hut des Piraten versteckt waren –, wie die Nadeln eines Stachelschweins, auf. Eine weitere kuriose und maßlos nutzlose Aktion ihres Gegners, so schien es zumindest. Doch leider verbarg sich auch darin die Vorbereitung eines erneuten Angriffes.

Arsen zupfte sich selbst einige Haare aus, brach diese in mehrere gleich große Stücke auseinander und begann Nina mit diesen kaum sichtbaren Geschossen zu bewerfen. Offensichtlich reichte es ihm nicht mehr aus, sie nur zu vergiften. Stattdessen wollte er sie mit diesen banalen Ersatznadeln abstechen.

Nina sah jedoch in diesem Waffenwechsel ihre Chance zu einem Angriff gekommen und noch bevor er gänzlich seine Vorbereitungen abgeschlossen hatte, eilte sie schnellstens auf ihren Gegner zu.

„Zehntausend Stechapfelstiche.“

Kurz bevor Nina bei ihm gewesen war, begann ihr Gegner sie mit seinen Haarstücken zu bewerfen. Nur dank ihrer guten Reflexe, und einer perfekten Flugrolle nach links, hatte sie es geschafft im letzten Moment dem Angriff auszuweichen. Nachdem sie gesehen hatte, was sein giftiger Atem anzurichten vermochte, wollte sie nicht unbedingt von diesen Nadeln getroffen werden. Vor allem nicht, solange sie sich nicht im Klaren darüber war, welche Wirkung diese haben würden.

Als sie auf dem Boden landete und sich dabei mit der Schulter abrollte, richtete sie sich schnell wieder auf. Sie konnte es sich nicht leisten ungeschützt zu bleiben. Dennoch trieb sie ihre Neugierde dazu kurz einen Blick über die Schulter, zu der Stelle wo die Haarnadeln den Kiesweg – anstatt ihrer – getroffen hatten, zu werfen. Zu ihrem erneuten entsetzen, waren diese zu einer schwarzen Masse geschmolzen und man konnte weißliche Rauchschwaden von ihnen emporsteigen sehen. Nina wollte sich gar nicht erst ausmalen, was das auf ihrer Haut bewirken würde.

„Das Gift in meinen Haaren, ist derartig hoch konzentriert, dass es sogar ätzend wirkt. Dadurch verbrennt es nicht nur deine Kleidung, wenn es dich trifft. Nein, sogar deine Haut. Poispoispois.“

„Grrrr, stell dich mir, wie ein richtiger Mann!“

„Jeder kämpft auf seine Art,“ konterte der Schwarzhaarige und warf erneut einige Haarnadeln in ihre Richtung. Zum wiederholten Male schaffte sie es nur um Haaresbreite dem Angriff auszuweichen.

„Wie kommt es, dass dein gesamter Körper eine gigantische Giftkloake ist?,“ fragte die Rothaarige ihren Gegner, um auf diese Weise auch ein wenig Zeit herausschlagen zu können.

„Meine Eltern – zwei gefährliche Auftragskiller – haben mich von Kindheit an mit Giften verschiedenster Art gefüttert und groß gezogen, damit ich immun gegen sie sein würde. Doch mein Körper hat die seltene Begabung entwickelt, die verspeisten Gifte selbst herzustellen und sogar gänzlich neue herzustellen. Damit bin ich ein Meister mit den Giften. Poispoispois.“

„Aber krank kannst du dennoch noch werden.“

„Krankheiten wirken auch anders als Gifte. Vor Krankheiten kann man niemals gänzlich immun sein, da sich die Erreger immer verändern und anpassen. Ein Gift dagegen bleibt immer gleich, es sei denn es wird künstlich verändert, so wie mein Körper es vermag! Poispoispois.“

„Kapitän, sie plappern schon wieder zu viel aus,“ rief einer von Arsens Männern, woraufhin dieser kurz entsetzt zu seiner Crew blickte, dann wieder zu Nina und geschockt feststellte: „Stimmt.“

Perplex aufgrund der Reaktion kippten einige der Zuschauer des Kampfes um. Als sie sich wieder aufrichteten, schrieen sie wütend: „Was für eine lahme Reaktion?!“

„Zehntausend Stechapfelstiche.“

Zum wiederholten Male versuchte er mit den Gift-Säure-Haarnadeln seine rothaarige Gegenspielerin außer Gefecht zu setzen, doch der gelang es immer wieder mit Hilfe von Hechtsprüngen, Radschlägen und anderen grandiosen, artistischen Einlagen den Angriffen auszuweichen. Dabei bemerkte sie aber sehr schnell, dass das Problem weniger das Ausweichen an sich, als vielmehr ihre eigene Kondition war. Ihre Lunge brannte und der Schweiß perlte bereits literweise über ihre erhitzte Haut. Normalerweise war sie es gewohnt ihren Gegnern im direkten Kampf zu begegnen und nicht soviel herum hampeln zu müssen. Und normalerweise dauerten ihre Kämpfe nicht allzu lang. Sollte sie dies heil überstehen, so nahm sie sich vor ihre Kondition zu verbessern.

„Ich muss wohl zu anderen Mitteln greifen,“ meckerte Arsen, da er am Ende des Kampfes nicht kahl dastehen wollte, und zog sich seinen Pullover aus, wodurch sein schlaksiger, nackter Oberkörper zum Vorschein kam, welcher von Dutzenden Narben gezeichnet war. Es war ein grauenhaftes Bild.

Achtlos warf Arsen das Kleidungsstück bei Seite und erhob demonstrativ seinen Arm. Ehe Nina fragen konnte, was das ganze werden sollte, warf einer der Fingerhut-Piraten einen Dolch zu seinem Käpt’n, welchen dieser geschickt auffing. Anschließend drückte er die Spitze der Klinge an seine linke Brust und zog sich selbst eine tiefe Schnittwunde quer über die Brust zu. Keiner der Stadtbewohner wollte glauben, was er da sah und auch July war derartig entsetzt, dass sie ihre Hände sicht vors Gesicht schlug, um diese Aktion nicht mit ansehen zu müssen.

„W-Was wird d-das?!,“ stammelte Nina verwirrt. Von Minute zu Minute nahm dieser erste Kampf als Pirat seltsamere Züge an.

„Mein Blut…,“ begann Arsen und schleuderte die blutverschmierte Klinge vor seine Füße, wo sie sich gut vier bis fünf Zentimeter ins Erdreich bohrte. Doch ehe er seinen Satz weiterführen konnte, begann etwas schier Unglaubliches zu geschehen. Von allen Giftdemonstrationen, die Arsen bisher geliefert hatte, war dies der giftige Höhepunkt.

Binnen Sekunden breitete sich kreisförmig vom Dolch aus eine Welle des Todes. Das Gras verfärbte sich gelb, verdorrte und zerfiel zu Staub. Der Kies platzte auf und wurde schwarz wie Schlacke. Die Bäume und Sträucher die von dieser unterirdischen Seuche ergriffen wurden, verloren all ihre Blätter und gingen ohne Vorwarnung in Flammen auf. Was war dies für einen Gift, welches durch seine Adern und Venen floss? Wie konnte es solch einen Effekt haben? War dies vielleicht kein Blut – die Substanz die Leben ermöglichte und ohne die Leben nicht existieren könnte –, sondern die reinste Form oder gar die Quelle des Todes?

„… ist die zweitgiftigste Substanz meines Körpers. Mein Blut ist pures Gift. Ein Drink gemixt aus gut drei bis vier Dutzend anderen toxischen Mitteln. Deshalb trage ich innerhalb meiner Crew den zweiten – inoffiziellen – Spitznamen: ‚Shinigami’. Poispoispois!“

„Langsam reicht es aber,“ schnaufte Nina erschöpft, versuchte aber gleichzeitig ihre aufkeimende Angst zu verbergen „Du bist nicht weiter, als ein blöder Feigling und ein Großmaul. Statt fair zu kämpfen, versteckst du dich hinter all möglichen tödlichen Wirkstoffen. Wie schaffst du es bei dem ganzen Zeug dich nicht selbst zu töten?! Gegen so viele Gifte kann man doch gar nicht immun sein!“

„Es hat ja auch Jahre gebraucht, bis ich diesen Zustand erreicht habe. Wie bereit erwähnt, schon meine Eltern haben darauf hingearbeitet.“

„Käpt’n!,“ erinnerten seine Männer ihn, woraufhin der Schwarzhaarige mit seiner Hand das Rinnsaal an Blut, welches von der Wund hinunter träufelte, auffing und sich darauf vorbereitete mit seinem eigenen Blut Nina zu bespritzen.

Die Bewohner von Acidem dagegen waren über das Kampfspektakel mehr als erstaunt. Noch nie hatten sie gehört, dass jemand so lange gegen Käpt’n Arsen bestanden hätte. Und nun sahen sie es selbst. Mit eigenen Augen. Hätte man ihnen davon berichtet, hätten sie es vermutlich nicht geglaubt.

„Blut des Shinigami – Tollkirschessenz,“ verkündete ihr Gegner mit dem seltsamen Hut und schleuderte mit aller Kraft das in seiner Handfläche angesammelte Blut gegen Nina. Diese sprang mit aller Kraft nach oben, bemerkte danach jedoch etwas Schreckliches. Hinter ihr hatten einige Stadtbewohner gestanden, die sich nicht vor dem Angriff schützen konnten.

„Stirbt, poispoispois!“

„Magnetisierung – Wall of Iron.“

Plötzlich bildete sich ein dicker Schutzwall vor den entsetzten Stadtbewohnern, die vor Schreck sich geduckt hatten, auch wenn sie das nicht vor dem Angriff bewahrt hätte. Doch der Schutzwall hatte das Blut gestoppt, welches jedoch nun die Eisenwand zerfraß. Glücklich blickte Nina zu Tyke.

„Pass besser auf. Nicht nur, dass ich nun wieder neue Eisenspäne brauch, ich kann die Leute auch nicht vor einem weiteren Angriff dieser Art schützen.“

„So war das ja auch nicht geplant gewesen,“ stellte sie missmutig fest und fügte schnell hinzu, „Ich versuche ja schon so gut es geht den Kampf endlich zu beenden.“

Während sie ihre Worte sprach und wieder sicher auf dem Boden landete, ignorierte sie ihren Kontrahenten, dem dies jedoch ganz und gar nicht gefiel: „Wie kannst du es wagen mich zu ignorieren?! Weißt du nicht mit wem du es zu tun hast?! Hast du deine Lektion noch immer nicht gelernt?!“

„Dann sag es nicht nur, sondern mach es auch,“ meinte Tyke allmählich gelangweilt.

„Wargh! Der auch noch? Ich sagte ihr sollt mich beachten. Na warte, du Miststück. Mein Blut war nur mein zweitstärkstes Gift, zur Strafe für deine Frechheiten, werde ich dich nun mit meinem stärksten Gift, welches mein Körper bereitstellen kann, bekämpfen. Dabei handelt es sich um nichts weiteres, als meine Haut. Oder besser gesagt die Sekrete, die meine Schweißdrüsen absondern. Diese sind dreimal so stark, wie mein Blut. Würde mich ein Seekönig verspeisen wollen, würde er innerhalb von drei Minuten sterben und sein Körper sich auflösen. Würde ich meine Hände in einem See inmitten einer Insel waschen, würde diese binnen eines Tages eine leblose Wüste sein. Dir werde ich noch das fürchten lehren. Poispoispois.“

Das Lachen Arsens wurde immer lauter und schriller. Offenkundig machte es den Eindruck, als wäre er im Begriff seinen Verstand zu verlieren. Ob dies an seinem zu häufigen Giftkonsum oder an dem Medikament zu seiner Heilung lag, vermochten weder July, noch Yukaku sagen. Vielleicht war keines von Beidem dafür verantwortlich. Eines war jedoch klar: Arsen meinte es ernst mit seiner Drohung.

„Poispoispois. Bisher habe ich noch nie diesen Angriff benutzen müssen. Fühl dich also geehrt, mein erstes Opfer zu sein! Empfängnis von Tod und Schmerz – Toxische Umarmung!“

Verrückt lachend und mit ausgestreckten Armen, stürmte er auf die junge Smutje zu, welche jedoch zur Überraschung aller ihre Augen schloss und versuchte sich zu konzentrieren, um ihr den Todesstoß zu verpassen – auf die mit Abstand absurdeste Art und Weise, die sich die Anwesenden nur vorstellen konnten… durch eine Umarmung.

Arsen war ihr bereits bedrohlich Nahe gekommen, doch nicht Nahe genug für Nina. Sie spannte ihre Wadenmuskulatur an und bereitete sich somit auf einen gigantischen Sprung vor. Sie musste sehr viel Kraft hinein stecken und hoffte, dass es danach noch für ihren alles entscheidenden Angriff reichen würde. Sie war sich sicher, ein Treffer wäre mehr als ausreichend.

Als ihr Feind schließlich nur noch wenige Schritte von ihr entfernt war, sprang sie mit einem gewaltigen Satz in die Höhe, wodurch sie dem Angriff des Piratenkapitäns mit spielerischer Leichtigkeit ausweichen vermochte.

Mit der Sicherheit, die der einer Katze gleich kam, landete sie wieder auf ihren Beinen, drehte sich schnell um und sprang mit erneut ab. Dabei entwickelte sie eine Kraft, die sie sich selbst nicht in diesem Moment zugetraut hatte. Ihr Ziel war klar: Arsen.

Dieser hatte inzwischen bemerkt, dass er sein Opfer verfehlt hatte, weshalb er sich ebenfalls umdrehte. Seine Augen weiteten sich und sein Mund war weit aufgerissen. Er war zu langsam gewesen und hatte dadurch zu spät gemerkt, dass er es diesmal war, der einen schwerwiegenden Fehler begannen hatte. Er hatte seine Gegnerin unterschätzt.

„Côtelette!,“ ertönte Ninas Stimme.

Auf den ersten Blick sah es so aus, als würde Nina an ihrem Opfer vorbei springen, doch plötzlich rammte sie ihre linke Hand in den Boden und brachte ihren Flug damit abrupt zum Stehen. Und dennoch schaffte sie es dabei die Wucht ihres Sprunges mit in den Angriff zu nehmen. Geschickt drehte sie sich um ihre eigene Achse und trat mit aller Kraft und dem linken Bein gegen Arsens Oberkörper.

Leider vergaß sie dabei das viele Blut von ihm, welches seinen ganzen Oberkörper bedeckte…
 

* * * * *
 

Während sich alle auf Nina und ihren Kampf konzentriert hatten, waren Aisuru und sein Gegner Joint vom Ort des Geschehens geflohen. Oder besser gesagt: Aisuru war geflohen in der Hoffnung ein weiteres Gelände zu finden, wo er bessere Kampfmöglichkeiten hätte, und sein Widersacher war ihm daraufhin einfach nur gefolgt.

Sie lieferten sich dabei eine Verfolgungsjagd quer durch die Stadt, an deren Ende sie doch wieder auf dem Villengelände gelandet waren. Jedoch auf der Hinterseite, wo ein gigantischer Blumengarten das Gebiert für sich beanspruchte. Der ehemalige Magier entschied sich dafür, dass er auf die Schnelle keine bessere Umgebung würde finden können und so blieb er ruckartig stehen, drehte sich zur selben Zeit aber um und legte dafür die Wucht seiner Drehung in seinen Schlag. Vielleicht würde er mit dieser überraschenden Aktion endlich einen Treffer landen können. Abermals wirkte es aber so, als wäre sein Gegner auch darauf längst vorbereitet gewesen.

„Ausweichmanöver – Der Frosch, der über die Seerose springt.“

Anstatt abzubremsen und vielleicht trotzdem noch von dem Angriff getroffen zu werden, rannte Joint einfach weiter, sprang aber kurz vor seinem Gegner ab und vollführte einen gewaltigen Salto über Aisuru hinweg. Dieser blickte überrascht nach oben und wusste, dass dieser Aktion ein Gegenangriff folgen musste. Leider wusste er nicht welcher Art und daher war es ihm auch nicht möglich, sich darauf irgendwie vorzubereiten. Die Chancen standen damit merklich schlecht, dass er es schaffen würde rechtzeitig auszuweichen. „Konterreaktion – Das Pferd, das nach hinten austritt.“

Nachdem Joint über Aisuru gesprungen war und hinter diesem wieder hinunter kam, trat er – als er sich auf Höhe von Aisurus Rückens befand – nach hinten aus und versuchte den damit ungeschützten Bereich seines Gegners zu treffen. Diesmal aber konnte auch Aisuru mit seinem guten Reaktionsvermögen punkten und flappte sich einfach auf den Boden, um somit dem Tritt zu entweichen. Anschließend rollte er sich schnell auf den Rücken und vollführte eine Rolle rückwärts, wodurch er in die Hocke gelangte.

„Wildman.“

Aisuru schoss aus seiner Position heraus nach oben und versuchte dem Dunkelhäutigen so einen Aufwärtshacken gegen das Kinn zu verpassen, da sich dieser gerade erst wieder zu seinem Gegner umwandte. Joint aber wich zum zweiten Mal mit seinem „Ausweichmanöver – Der Fisch, der dem Kranich entflieht“ aus und bildete so, mit seinem Körper, wieder eine Art Brücke. Doch der Blauhaarige wollte sich nicht erneut auf diese Weise reinlegen lassen. Er hatte bereits geahnt, was nun kommen könnte und hatte sich einen Plan für diesen Fall zu Recht gelegt.

„Konterreaktion – Die Schlange, die den angreifenden Adler beißt.“

Noch bevor Joints Bein den Blauhaarigen treffen konnte, wehrte dieser den Angriff mit dem unteren Part seines linken Armes ab. Er hielt ihn dabei angewinkelt, und wie ein Schild, schützend vor seinen Körper. Damit hatte der Dunkelhäutige nicht gerechnet. Noch nie hatte sich einer seiner Gegner so schnell auf ihn einstellen können. Beinahe machte ihm der Kampf sogar Spaß.

„So nicht, mein Lieber. Fist of Fury!,“ mit Schwung holte Tykes Navigator aus, schlug von oben auf den Bauch seines Gegners ein und traf zu seiner eigenen Überraschung sogar. Die Arme seines Feindes knickten unter der immensen Wucht ein und so krachte er hart auf dem Boden auf. Man konnte ihm das Erstaunen eindeutig ansehen, welches auch Aisuru zuvor schon empfunden hatte. Aber auch den Schmerz, welcher der Treffer mit sich gebracht hatte.

Es war mehr als Offensichtlich, dass Joint seit bereits sehr langer Zeit keinen Schläge mehr hatte einstecken müssen. Kein Wunder bei seinem schnellem Reaktionsvermögen, der erstaunlichen Körperbeherrschung und den akrobatischen Manövern. Noch aber gab es für Aisuru keinen Grund zu feiern. Ein einzelner Treffer reichte mit Sicherheit nicht aus, diesen starken Gegner zu bezwingen. Aus diesem Grund wollte er zu einem weiteren Angriff ansetzen, doch als er gerade einmal seinen Arm erhob, hatte sich Joint bereits zur Seite abgerollt und vollführte einen Kip up – bei dieser Technik setzte man die Hände neben dem Kopf auf den Boden auf, zog die Beine an und sprang mit einem kräftigen Ruck nach vorne, direkt in die Hocke.

„Aktion – Der Drache, der mit seinem Schwanz zuschlägt.“ Joint stand erst gar nicht auf, sondern streckte sein Bein aus und drehte sich um die eigene Achse. Dabei traf sein Fuß die Fersen seines Widersachers, wodurch dieser auf den Rücken fiel. „Aktion – Der stampfende Stier.“

Der Dunkelhäutige nutzte sofort die Drehung seines ersten Angriffes, indem er sich ebenfalls rücklings fallen ließ, und Aisuru dabei seinen Ellbogen gegen die Brust rammte. Dieser schrie vor Schmerz auf und musste dabei sogar ein wenig Blut spucken. Eigentlich hatte der erste Maat der Fingerhut-Piraten nicht mit einer solchen Reaktion gerechnet, doch wusste er auch nicht, dass sein Gegner bereits angeschlagen in den Kampf gegangen war.

Aisuru dagegen war sich sofort der Tatsache bewusst, dass aus einem der vielen Treffer, die Kapitän Nelson auf Ironbase ihm zugefügt hatte, sich zu einer schwerwiegenden Verletzung entwickelt haben musste. Immerhin hatten Nelsons Schläge das Gewebe an seiner Brust und vermutlich auch die Rippen schwer geschädigt. Da der ehemalige Magier seitdem jedoch keine richtige Versorgung durch einen Arzt erfahren hatte, hatte sich sein Zustand verschlechtert. Die Schläge, welche Joint ihm beibrachte, taten ihr übriges. Aisuru schätzte, dass mindestens zwei Rippen angeknackst – wenn nicht sogar gebrochen – waren und er glaubte sogar, dass Muskelriss entstanden war. Anders waren die höllischen Schmerzen nicht zu erklären. Doch war momentan nicht der richtige Zeitpunkt fürs Jammern und Klagen gewesen, denn zuerst musste er seinen Gegenspieler ausschalten. July würde ihn anschließend schon wieder zusammenflicken können. Irgendwie.

„Du warst ein beachtlicher Gegner.“

„Danke, es freut mich, wenn ich Kopfzerbrechen bescheren konnte,“ neckte Aisuru und versuchte sich langsam aufzurichten.

„Wir sollten dem Ganzen langsam ein Ende bereiten. Käpt’n Arsen wartet sicher bereits auf mich.“

„Ganz meiner Meinung. Release One – Speed…“

Aisuru schloss die Augen und wollte gerade einige Bewegungen mit den Armen, Händen und Fingern ausführen, doch kaum hatte er seinen rechten Arm angehoben, zuckte er leicht zusammen und riss die Augen wieder auf. Ein stechender Schmerz, hatte ihn an seinem Vorhaben gehindert. Es war ihm nicht einwandfrei möglich den Arm zu bewegen und damit würde er seinen Trumpf nicht ausspielen können. Seine Situation wurde damit nicht unbedingt besser.

„Aktion – Die Welten vernichtende Gottheit!,“ sprach Joint unterdessen, holte mit dem Arm aus und sammelte seine Kraft, für einen alles beendenden Schlag.

Als er sein Vorbereitung abgeschlossen hatte, ließ er seine Faust auf den Blauhaarigen zuschnellen. Dieser aber musste sich etwas einfallen lassen, wie er seinen Gegner ohne seine Hände besiegen könnte und so kam er zu dem genialen Entschluss ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen.

„Cobra Loop!,“ genau wie schon Joint zuvor, ließ auch Aisuru sich nun nach hinten fallen, jedoch zeichnete sich in ihren Techniken ein entscheidender Unterschied ab. Aisuru setzte nur seine gesunde Hand auf den Boden auf und zog seine Beine hinterher, so als wollte er in einen Handstand übergehen. Dabei stoppten seine Beine den Fall seines Gegners – dessen Treffer ins Nicht ihn wegen der immensen Schlagwucht aus dem Gleichgewicht gebracht hatten – und streiften mit den Fußrücken über seine Brust entlang, bis sie auf keinen Widerstand mehr durch den Oberkörper trafen. Da wusste der Blauhaarige, dass sich seine Beine in etwa auf Kopfhöhe befinden mussten. Aufgrund dessen nahm er seinen Widersacher mit seinen Füßen in eine Art Schwitzkasten.

„Was…?,“ rief Joint entsetzt und versuchte sich schnellstens wieder zu befreien, leider ließ Aisuru ihm nicht die nötige Zeit dafür. Plötzlich bemerkte Joint nämlich, wie er den Boden unter den Füßen verlor.

Aisuru hatte es unter Aufbringen seiner letzten Kraftreserven geschafft, den Dunkelhäutigen in die Luft zu stemmen und schnürte ihm dabei auch noch die Luft ab. Er konnte jedoch diese Position nicht lange halten und wusste, dass er nur eine Chance hatte. Sicherlich würde er Ärger mit July – in dem Fall, dass sie sich überhaupt in seine Nähe wagte – bekommen, wenn sie erfuhr was er sich selbst hier antat, aber das nahm er in kauf. Es galt schließlich ihre Ehre wieder herzustellen und so rief er schließlich: „Hommage an die Smutje!“

Trotz des immensen Schmerzes, setzte der Blauhaarige auch die andere Hand auf dem Boden auf und begann sich um seine eigene Achse zu drehen. Auch wenn er nicht seine eigene Stärke nutzen konnte, um Joint zu besiegen, konnte er sich die Gesetze der Natur zu Nutze machen und ihre eigenen Kräfte, wie etwa die Zentripetalkraft. Durch die schnelle Rotation um seine eigene Achse, drückte die Fliehkraft derartig stark auf Joint, dass dieser irgendwann nicht einmal mehr in der Lage war einen Befreiungsversuch zu starten. Als der ehemalige Magier dann merkte, wie ihm selbst schwindelig wurde, stoppte er abrupt und beugte seinen Körper nach vorne, während er gleichzeitig seine Umklammerung wieder löste. Auf diese Weise wurde die gesamte Drehenergie genutzt und Joint krachte mit einer Wucht auf den Boden, die dem drei- bis vierfachen seines eigenen Körpergewichts entsprechen musste.

Diesem Angriff war nicht einmal er gewachsen. Joint war weder in der Lage gewesen diesen immensen Angriff abzuschwächen, noch seinen Aufprall abzuwehren und so blieb er schließlich mit geöffnetem Mund und verdrehten Augen auf dem lehmigen Erdreich liegen, welches sogar eingedrückt war und eine Art kleinen Krater bildete.

Doch auch Aisuru lag mit schmerzverzerrtem Gesicht, und mit der gesunden Hand den verletzten Arm stützend, auf dem Rasen und wartete bis man ihn entdeckte.

„Ich sollte wirklich mehr trainieren,“ ächzte er erschöpft, als plötzlich eine Gestalt von oben auf ihn hinabstürzte.

Geblendet durch die Sonne erkannte er zwar nicht um wenn es sich handelte, doch merkte er dass die Person auf ihm landen würde, wenn er nicht schleunigst etwas dagegen unternahm. Noch ein letztes Mal riss er sich zusammen und rollte sich zur Seite. Keine Sekunde zu spät, denn schon landete der Fremde auf dem einst so gepflegten Rasen und drückte an der Stelle, an der sich noch vor kurzem Aisurus Kopf befunden hatte, das Erdreich ein.

„Verdammt… Wo sind diese Kräuter?!“

„Tyke?“

Der Rotschopf blickte zu seinem Navigator und meinte überrascht: „Ach hier bist du also!“

Als er dann noch den bewusstlosen Joint erblickte, fügte er grinsend hinzu: „Und fertig bist du auch schon.“

„Du Trottel hättest mir beinahe den Kopf zermatscht!“

„Argh, tut mir echt Leid. Aber ich bin ein wenig in Eile. July wollte dass ich irgendwelche Kräuter hier in ihrem Garten suchen solle. Nina wurde nämlich vergiftet, so eine Art Todescocktail, und das Grünzeug soll ihr helfen. Ah, da ist es ja!“

Erfreut rannte der junge Piratenkapitän zu einem gigantischen Blumenbeet, welches keine zwei Meter vor ihm lag und geschmückt war mit einer kleinen Armee von wunderschönen Pflanzen, und riss eine Blüte nach der Anderen heraus. Es war zwar nicht die pflanzenfreundlichste Methode, aber die Schnellste. Und außerdem war der Garten eh schon halb zerstört, dank Aisurus letzten Angriffes.

Nachdem Tyke alle Blüten zusammen hatte, und nun mit einem gigantischen Blumenstrauß bewaffnet war, drehte er sich um, streckte seine Hand aus und wartete dass seine restlichen Eisenspäne, in Form einer Art Wolke, zu ihm gelangten. Danach formte er aus ihnen zwei runde, kleine Scheiben, welche er aufeinander legte. Zum Schluss sprang er auf die obere Scheibe und rief: „Magnetisierung – Polarisize!“

Plötzlich stießen sich die Scheiben voneinander ab, so als wären sie gegensätzlich polarisiert und schleuderten den Rotschopf damit weit über das Haus hinaus hinweg.

„Deshalb ist er eben also vom Himmel hinab gestürzt,“ sprach Aisuru mehr zu sich selbst, da ja sonst niemand mehr da war, und erinnerte sich dann aber an seinen Zorn und schrie Tyke hinterher: „Wieso lässt du Blödmann mich hier verletzt zurück?! Komm wieder her!“

Ein neuer Freund

*Am nächsten Tag*
 

„Hier bist du also,“ meinte July und sah zu Tyke, der auf dem Dach eines Hafengebäudes saß und von dort aus auf das weite und schier grenzenlose Meer blickte. Selbst auf die Entfernung konnte sie seinen verträumten Blick erkennen, der von einer Vorfreude ergriffen war, die nur erahnen ließ wie sehr Tyke weiterreisen wollte. Wieder hinaus aufs Meer. In Richtung nächstes Abenteuer.

Es war nun bereits ein Tag her, seit seine beiden Freunde den Kapitän und den ersten Maat der Fingerhut-Piraten besiegt und damit sowohl den Bewohnern Acidems, als auch July geholfen hatten. Zum Dank hatte das blonde Mädchen sich um eben diese beiden Helden gekümmert, während die Stadtbewohner ihnen zu Ehren eine große Party vorbereiteten.

Nina erholte sich sehr gut von ihrer Vergiftung und schwebte schon seit geraumer Zeit nicht mehr in Lebensgefahr und auch Aisuru hatte sich – nach mehreren Anläufen und Versuchen – von ihr ans Bett fesseln lassen. Schließlich musste er seinem Körper die Chance geben sich regenerieren zu können. Doch hatte das seine Zeit gebraucht, denn der Sturkopf sprach dauernd etwas von seinem Training und das konnte July als Ärztin nicht akzeptieren, geschweige denn zulassen. Sie hoffte – vor allem für den Navigator Aisuru –, dass er sich ihrer Anordnung nicht widersetzt hatte, während sie sich auf die Suche nach Tyke gemacht hatte.

„Du hast mich gesucht?,“ fragte der Rotschopf vom Dach aus zurück und blickte zu July hinab, „Wie geht es Nina und Aisuru?“

„Nina erfreut sich schon wieder bester Gesundheit. Sie muss sich nur noch ein wenig von den Strapazen erholen und Aisuru solltest du für längere Zeit in keinen Kampf mehr schicken. Am Besten bindest du ihn während eurer Reise ans Bett, damit er sich selbst etwas Ruhe gönnt. Die inneren Verletzungen, die er hat, sind enorm. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Gut, ich hatte auch noch nicht all zu viele Patienten wie euch. Was hat er eigentlich angestellt? Musste er für dich gegen einen Riesen antreten?“

„Nein. Aber danke für die Info. Nur wie soll er im gefesselten Zustand uns navigieren? Und wie sieht es mit Training für ihn aus?“

„Training? Wenn er seinen Arm jemals wieder richtig bewegen will, sollte er gefälligst nicht einmal dran denken! Ich habe ihm striktes Trainingsverbot verordnet,“ meinte July angesäuert und verschwieg lieber, dass sie diese Entscheidung lediglich auf einem Zettel notiert hatte und in einem kurzen, durch Mut beflügelten, Moment ihm an den Kopf gepappt hatte. Schnell merkte sie aber, wie ihre ärztliche Leidenschaft mit ihr durchging, weshalb sie beschämt zu Boden sah, um Tykes Blick nicht begegnen zu müssen.

„Das wird ihm nicht gefallen. Ich bezweifle auch, dass er sich daran halten wird. Selbst wenn ich es ihm befehle.“

July seufzte schwer. „Ich bezweifle es auch.“

„Wie hast du es überhaupt geschafft Nina zu kurieren? Dieses Blut-Gift-Gemisch sah eigentlich echt schlimm aus…“

„Es gibt kein Gift auf der Welt, welches ein guter Arzt nicht durch die Heilkräfte der Natur zu kurieren weiß. Ich musste nur herausfinden, wie es wirkte und welche diversen anderen Gifte darin enthalten waren. Der Rest war ein Kinderspiel.“

Tykes Blick richtete sich wieder aufs Meer hinaus und obwohl er sich in luftigen Höhen befand, konnte July dennoch wieder diesen unsäglich glücklichen Ausdruck auf seinem Gesicht erblicken. Es war der Ausdruck vollkommener Glückseeligkeit. Er sehnte sich nicht einfach nach dem Meer. Es steckte wohl mehr dahinter. Vielleicht war Tyke nur geboren worden, um die See befahren zu dürfen. Vielleicht war die See einfach nur seine natürliche Umgebung.

„Du liebst das Meer, nicht wahr?“

Er nickte und meinte: „So wie du deine Blumen liebst. Und deinen Beruf als Ärztin. Apropos, hast du dich entschieden?“

„Meinst du ob ich mit dir kommen will?“

Sie erinnerte sich daran, wie er sie mit der Frage den ganzen vorherigen Abend genervt hatte, während sie gleichzeitig – wie bereits erwähnt – versucht hatte den Blauhaarigen zu bändigen. Wie hielt Nina es bei diesen Querulanten nur aus?

Wieder nickte er, doch diesmal schwieg der Rotschopf anschließend, um ihre Antwort abzuwarten.

„Noch nicht. Versteh mich nicht falsch. Ich möchte auch gerne die Welt sehen und das Meer befahren, aber meine Schwester… Du weißt schon, die Krankheit. Du bist nämlich nicht der Erste, der mich gefragt hat…“

„Schon in Ordnung. Niemand zwingt oder hetzt dich zu einer Entscheidung.“

„Otou-san wollte übrigens, dass ich dich aufsuche. Er möchte dich sehen, um sich bei dir bedanken zu können.“

„Das ist ja sehr lieb, aber ich mag eigentlich…“

„Er möchte sich nicht einfach nur mit Worten bedanken. Er will dir etwas schenken, von dem er glaubt, dass du es sehr gut gebrauchen könntest.“

Verwundert hob sich eine von Tykes Augenbrauen. Nun hatte ihn doch die Neugierde gepackt und so machte er sich schnell auf, von dem Dach des Gebäudes zu gelangen. Natürlich hätte er einfach hinunter springen können, doch die Nutzung der Treppe sah er als eine Form des Trainings an.

Es dauerte keine zwei Minuten, bis er keuchend und japsend neben der jungen Ärztin stand, die über das alberne Verhalten des Piraten lachen musste. Wäre das Problem mit ihrer Schwester nicht, hätte sie sich schon längst für das Leben als Pirat entschieden, doch leider Gottes waren die Dinge oftmals nicht so einfach, wie man es sich vielleicht wünschte.

Gemeinsam machten sie sich schließlich auf den Weg zurück zur Villa. So dachte Tyke zumindest. Relativ früh, fiel ihm aber bereits auf, dass der Weg, dem sie folgten, nicht ins Stadtzentrum und damit zu Julys Heim führte.

„Wo gehen wir hin?“

„Du hast es bemerkt?“

„Ja. Ich habe nicht den besten Orientierungssinn, aber es reicht aus, dass ich mich nicht auf gerader Strecke verirre.“

„Auf gerader Strecke…?“

„Weißt du… Es gibt negative Eigenschaften, die offensichtlich vererbt werden. Und Geschichten, die man in bestimmten Kreisen zu hören bekommt. Man mag es vielleicht nicht glauben, aber scheinbar sind nicht alle Menschen auf der Welt mit einem guten Orientierungssinn gesegnet. Oder überhaupt mit einem…“

Tyke war drauf und dran, wieder in Erinnerungen an sein Leben auf Loris’ Schiff zu schwelgen, was July auch bemerkte. Ohne weiter nachzufragen, setzte die junge Ärztin an einem anderen Punkt ihres Gespräches wieder an: „Ich dachte, wenn ich nicht direkt den Hafen entlang ginge, würde es dir nicht auffallen. Ich habe dich unterschätzt… mal wieder. Tut mir Leid.“

Tyke winkte ab und meinte stattdessen: „Also, was will mir dein Vater geben?“

„Sie selbst,“ July blieb stehen und wies ihn mit einer Geste an, der schmalen Gasse, in der sie sich befanden, bis zum Ende zu folgen.

Sie sah die Skepsis in Tykes Blick, doch entschied dieser sich schweigend ihrer Aufforderung folge zu leisten. Als er schließlich das Ende der Straße erreicht hatte, empfing ihn ein überglücklicher Matsu Medica. „Tyke, danke das du gekommen bist.“

„Keine Ursache. Aber was wollen sie mir denn nun geben?“

Man merkte ihm die Ungeduld überdeutlich an. Verständlich, wenn man ihn doch derartig auf die Folter spannte und nicht den kleinsten Hinweis gab.

„Die Hafenarbeiter haben mir berichtet, dass du und deine Freunde lediglich mit einem kleinen Boot die Insel erreicht habt. Daher dachte ich mir, dass dir dieses Geschenk gefallen würde,“ der Bärtige deutete dabei mit seinem erhobene Daumen hinter sich.

Erst jetzt bemerkte Tyke, dass sie sich auf dem Gelände einer Rederei zu befinden schienen. Genau genommen direkt an einem Trockendock. Und so ahnte der Rothaarige bereits, worauf das Spielchen hinaus lief. Doch konnte er es nicht direkt glauben.

„Meine Frau, meine Töchter und ich haben heute Morgen darüber gesprochen und uns dafür entschieden es dir zu überlassen. Ich weiß, es ist nicht genug für das, was du für uns getan hast. Aber vielleicht ist es ein Anfang.“

Auch als Tyke das große Gebilde, verdeckt unter einer weißen Plane, sah, traute er sich nicht es als Tatsache zu akzeptieren. Vielleicht träumte er ja. Gebannt blickte er auf das Objekt vor sich und beachtete Matsus Worte kaum noch. Jedenfalls nicht bis dieser einen entscheidenden Satz sprach.

„Darf ich dir vorstellen: Dein eigenes Schiff,“ rief Matsu nämlich lautstark und sofort wurde die Plane von einigen Hafenarbeitern weggezogen.

Zum Vorschein kam eine prächtige, überwiegend hellbraune Karavelle. Das schönste Schiff, das Tyke je in seinem Leben gesehen hatte. Das schönste Schiff, weil es ihm gehörte. Sein Piratenschiff.

„Wuuuuhuu! Das ist ja unglaublich!,“ rief der Rotschopf begeistert und rannte zu dem edlen Kahn.

Mit einem gewaltigen Satz sprang er vom Rand des Trockendocks hinüber zum Schiffsdeck, wo er sicher auf seinen zwei Beinen landete und augenblicklich damit begann sein neues Eigentum zu begutachten. Keine Sekunde ungenutzt und kein Fleckchen des Decks unerforscht.

Zuerst lief er nach links, eine kleine Treppe hinauf. Doch als er die letzte Stufe erklomm und vom Bug aus aufs Meer blicken wollte, fiel ihm etwas auf, was seine Stimmung wiederum ein wenig dämpfte.

„Hier fehlt aber noch etwas.“

„Ja, die Galionsfigur.“

„Wieso hat unser neues Schiff keine Galionsfigur?!“

Plötzlich stieg eine weitere Person die Treppen empor. Es handelte sich um einen Berg von einem Mann, mit breiten, sonnengegerbten Schultern, einem von Schmutz übersätem, weißem Muskelshirt und kräftigen Armen, die wie geschaffen schienen für schwere Arbeiten.

Während er die Treppe erklomm, zog er sein Shirt aus, wodurch Tyke den, in glänzendem Schweiß getränkten, Oberkörper des Fremden sehen konnte. Aber auch sein Gesicht war von der Sonne gezeichnet.

Zudem zog sich eine schlecht verheilte Narbe über seine linke Gesichtshälfte und auch über sein Auge, welches daher von einer Augenklappe verdeckt war. Die kurz geschorenen Haare, wirkten wie ausgeblichen, so hell waren sie. Die Haarfarbe ließ sich nur mit „irgendwo zwischen blond und weiß“ definieren.

Tyke fiel auch die einst sicherlich schneeweiße Hose auf, die jedoch inzwischen vollkommen verdreckt und mit Öl beschmiert war, ähnlich wie das Shirt zuvor. Außerdem ragten sowohl links und rechts mehrere Tücher aus der verschmutzten Hose heraus. Irgendwie war alles an dieser Gestalt einst weiß gewesen.

Im ersten Moment wollte Tyke wissen, wer der Fremde war, doch als er dann den Werkzeuggürtel, der zu einem Großteil von den vielen Tüchern verdeckt war, bemerkte, konnte er sich denken um wen es sich handeln musste.

„Tach auch. Ich bin Woody, Chef der Acidem Schiffsbauer. Schön den Retter von July und unserer kleinen, aber feinen, Stadt kennen zu lernen,“ der Hüne warf sich sein Shirt über die linke Schulter, wischte sich seine Hände notdürftig an einem seiner Tücher ab und streckte seine kraftvolle Pranke dem so genannten ‚Retter’ entgegen.

Grinsend erwiderte Tyke den Gruß und drückte kräftig zu, um sich und seinem Gesprächspartner zu beweisen, dass er kein Schwächling war. Dennoch knackten seine Finger lautstark unter dem Druck des Schiffsbauers.

„’Nen kräft’gen Händedruck haste ja schon mal. Gefällt mir. Herr Medica hat dieses Schiff eigentlich als kleineren Zusatz für seine Handelsgeschäfte bauen lassen. Aber als er hörte, dass du kein Schiff hättest, entschied er sich dazu es dir zu schenken. Is ’n wirklich gutes Schiff. Wir haben lange dran gearbeitet.“

Tyke erkannte dies auch so, ohne das Woody es hätte extra erwähnen müssen, und sah kurz über die Rehling hinweg, zu dem besagten Mann, der glücklich darüber zu sein schien, dass sein Geschenk auch bei dem Piraten ankam.

„Er verlangte auch, dass wir die Galionsfigur wieder abmachen.“

„Und warum?“

„Damit du uns sagst, was für eine du haben willst.“

„Was?! Ich darf meine eigene Galionsfigur bestimmen?“

„Japp. So is es. Meine Jungs warten schon begierig drauf los legen zu dürfen. Die haben ’nen extra schönen Holzklotz rausgesucht, aus dem sie dir eine schnitzen wollen. Und einen Namen musste dir auch noch für das Schiff überlegen. Schließlich is doch ein Piratenschiff ohne Namen nichts wert, hab ich nich Recht?“

„Hehe, also eine Idee für eine Galionsfigur hab ich schon. Aber über den Namen muss ich noch nachdenken,“ meinte der Rotschopf und rieb sich mit dem Zeigefinger unter der Nase entlang, „Soll ja ein Guter werden, der dem nächsten Piratenkönig alle Ehre wird!“
 

* * * * *
 

„Oh man… Mir tut jeder einzelner Knochen im Leib weh. Sogar die, von denen ich nichts wusste,“ ächzte Aisuru schwerfällig und richtete sich vorsichtig auf – zumindest so gut es unter all den Bandagen möglich war. Er hatte schon genug Schmerzen, da brauchte er nicht noch zusätzlich welche.

Der Butler der Medicas mit dem Namen Alfred, der zufällig in das Zimmer kam um nach dem Rechten zu sehen, eilte zu dem ehemaligen Magier und wollte ihn bereits wieder ins Bett drücken.

„Leg…“

„Alfred, richtig? Vielen Dank, aber ich habe genug geschlafen und rum gelegen. Ich hätte mich nicht von July dazu zwingen lassen. Ich merke schon wieder, wie meine Muskeln versteifen. Wenn das so weiter geht nützt mir alles Training der Welt nichts. Daher möchte ich gerne nur ein bisschen leichtes Aufbautraining absolvieren.“

„Ab…“

„Nichts aber,“ unterbrach Aisuru ihn erneut, „Ich liege nicht gerne faul auf der Haut herum. Und July gegenüber werde ich Ihre Bemühungen erwähnen und die volle Verantwortung für mein Verhalten übernehmen.“

Nun betrat auch Nina das Zimmer, nachdem sie an die bereits offen stehende Tür geklopft hatte, und spottete leicht beim Anblick des halb mumifizierten – oder zumindest genauso mit weißen Bandagen eingewickelt – Navigators: „Na? Auch schon aufgewacht, Dornröschen?“

„Ach sei doch still, blödes Mannsweib. Sag mir mal lieber, wo eigentlich unser Kapitän ist?“

Nina zuckte nur unwissend mit den Schultern und meinte seufzend: „Keine Ahnung. Rennt wohl irgendwo in der Stadt herum. July und ihr Vater sind auch abwesend. Vielleicht sind sie zu dritt irgendwohin gegangen.“

„Na hoffentlich baut er dabei keinen Mist. Ich kenne ihn zwar noch nicht so gut und gerade einmal einen Tag länger als du, aber dennoch habe ich das Gefühl dass er ein lebender Magnet ist, wenn es um Schwierigkeiten geht.“

„Anziehend in vielerlei Hinsicht, hm? Ich denke aber, dass er im Moment wenig anstellen kann.“

„Hoffen wir es mal lieber. Ach ja, wie geht es dir eigentlich?“

„Besser. Dank Julys Behandlung. Das Gift ist neutralisiert und nach ihrer Diagnose zu Folge, brauch ich mir nicht mehr darum Gedanken zu machen.“

„Denkst du sie kommt mit uns mit?“

„Denkst du Tyke lässt ihr eine Wahl?“

Da der Butler merkte, dass man ihn nicht mehr sonderlich beachtete, schlich er sich – mit hängendem Kopf – aus dem Zimmer hinaus. Nur wenige Augenblicke später jedoch, sah sich Nina fragend nach ihm um und meinte überrascht: „Wo ist denn nun der Butler hin? Ich wollte ihn doch bitten für unseren Käpt’n einen Sack Eisenspäne aufzutreiben…“
 

* * * * *
 

„Geht klar. Das is ’ne Leichtigkeit für meine Jungs,“ meinte Woody und legte seinen schweren Arm, um Tykes Schultern, nur um ihn anschließend kräftig an sich zu drücken, so wie ein stolzer Vater seinen Sohn an sich drückte. Man hätte das Szenario wohl auch am Besten mit den Worten ‚Komm an meine Brust’ kommentieren können, wenn man es gewollt hätte.

„Und, wie gefällt es dir?,“ vernahmen die beiden Männer Julys Stimme. Sofort riss sich Tyke von Woody los und rannte an die Rehling.

July war ihm inzwischen gefolgt und stand nun neben ihrem Vater. Auf ihrem Gesicht war ebenfalls ein erleichtertes und glückliches Lächeln auszumachen.

„Super! Das Schiff ist eine Wucht. Ich freue mich schon damit lossegeln zu können.“

„Das Wichtigste fehlt aber noch,“ meinte July neckend.

„Ich weiß. Aber Woody meinte, seine Leute bräuchten schlappe zwei Tage für die Galionsfigur.“

„Das meinte ich nicht.“

„Sondern?“

Statt zu antworten, wies die Blondine nur mit dem Finger nach oben und Tykes Blick folgte ihrem Hinweis. Dabei erklommen seine Augen den Mast bis zur Spitze und da verstand er worauf sie hinaus wollte.

„Du hast keinen Jolly Roger. Das Markenzeichen eines jeden Piraten.“

„Hmmm, stimmt. Aber ich kann nicht gut zeichnen und bei Nina und Aisuru bin ich mir auch nicht sicher.“

„Ich kenne aber einen tollen Zeichner. Er ist Kartograph für Otou-san und stellt für ihn oftmals Karten her oder für mich schöne Gemälde. Er ist wirklich sehr begabt.“

„Echt? Dann lass uns mal zu ihm gehen. Vielleicht kann er mir ja einen Jolly Roger zeichnen,“ meinte Tyke, nahm Anlauf und sprang wieder auf den Rand des Trockendocks.

Jedoch sprang er diesmal zu kurz, landete lediglich an der Kante und fuchtelte wie wild mit dem Armen um sich, bei dem Versuch nicht rücklings in das Dock zu stürzen. Reflexartig ergriff jedoch July seine Hand und half ihm so das Gleichgewicht zu halten.

„Danke,“ meinte er nur verlegen, während Matsu versucht sein hart gegen die Brust klopfendes Herz zu beruhigen und July nur mit dem Kopf schütteln konnte.

„Pass besser auf dich auf. So brichst du dir das Genick, noch bevor du die Chance hast ein berühmter Pirat zu werden.“

„Ich versuche mich zu bessern,“ meinte er lachend und folgte ihr, als diese sich aufmachte um ihn zu besagtem Maler zu geleiten.
 

* * * * *
 

„Wieso muss ich dir jetzt eigentlich helfen?“

„Weil du nett bist und ich dich darum gebeten habe,“ erklärte Aisuru.

„Ich muss eigentlich selber trainieren.“

„Wozu denn?“

„Hey! Ich habe gemerkt, dass meine Ausdauer auch nicht die Beste ist! Wenn ich daran nichts ändere, werde ich vielleicht meinen nächsten Kampf verlieren.“

„Ach ja?,“ fragte der Blauhaarige überrascht, fügte dann aber noch hinzu: „Hast du Alfred noch gefunden?“

„Ja. Er versprach sich darum zu kümmern.“

„Sehr gut. July hat also Teufelskräfte,“ erinnerte sich Aisuru an die Erzählung von Herrn Medica und lenkte so das Gespräch wieder auf das Thema July und ihrem womöglichen Beitritt.

Irgendwie schien er fasziniert von ihr zu sein. Aber vermutlich war dies kein Wunder, nachdem sie ihn mit Hilfe von armdicken Ranken ans Bett gefesselt hatte, um ihn behandeln zu können. Immer wieder hatte der ehemalige Magier nämlich versucht zu fliehen. Schon die leichteste Berührung hatte ausgereicht, dass er wie ein kleines Mädchen zu schreien begann und so war der Ärztin nichts weiteres übrig geblieben, als zu drastischen Maßnahmen zu greifen. Nina musste Grinsend bei dem Gedanken daran. Aisuru als Memme? Aber auch das war verständlich, bei solch immensen Verletzungen. July hatte geschätzt, dass es gut drei Monate zum Verheilen bedürfe, wenn er sich schone. Wie lange würde es wohl nun brauchen, wo er seinen Körper schon wieder zu belasten begann?

Nina war auch aufgefallen, dass es beinahe wirkte als habe July eine gespaltene Persönlichkeit. Einmal war sie das schüchterne Mädchen, das beim Anblick eines Mannes reiß aus nahm. Und dann war sie wiederum die Ärztin, der das Wohl der Patienten wichtig war und die eine Behandlung notfalls auch mit Gewalt durchzog.

„Was ist los, Blaubeere? Bist du neidisch?“

„Als ob. Ich kann auch ohne Teufelskräfte stark sein.“

„Hey! Willst du damit sagen, ich sei nicht stark?“

Aisuru glaubte so etwas wie Selbstzweifel in der Stimme der schönen Smutje zu hören, weshalb er kurz inne hielt bei seinen Handstandbeugen und Nina bat von seinen Füßen abzusteigen, wo sie bis eben gesessen hatte. Als Beide schließlich auf dem lehmigen Boden des Gartens saßen – welchen er demoliert hatte –, wo sie ihrem Crewmitglied bei seinem Training geholfen hatte – wenn man es so nennen durfte –, und von Alfred eine kühle Limonade gebracht bekamen und den versprochenen Sack mit Eisenspänen, begann Aisuru schließlich mit ernsterer Miene zu sprechen.

„Das habe ich niemals behauptet. Ich weiß, dass du stark bist und ich weiß das, wenn du es nicht wärst, nicht Mitglied dieser Bande sein könntest. Tyke hat uns Beide kämpfen lassen, um zu sehen wie wir abschneiden und wo unsere Stärken sind. Er will wissen, ob wir uns auf der Grand Line verteidigen können, oder auf Hilfe und Schutz angewiesen sind. Anders könnte ich es mir nicht erklären. Ich denke, du hast ihm bewiesen, dass mit dir nicht gut Kirschen essen ist. Nutz deine Erkenntnis bezüglich deiner Schwächen und trainiere sie, damit sie zu deinen Stärken werden.“

Ein Lächeln huschte über das Gesicht der Rothaarigen, deren Laune sich ganz offensichtlich wieder gehoben hatte. Obwohl sie sich erst seit kurzem kannten, war sie froh Aisuru als Freund zu haben. Es war seltsam wie schnell man eine Freundschaft aufbauen konnte, wenn man nur wirklich wollte.

„Dir scheint er aber nicht soviel Vertrauen entgegen zu bringen.“

Nina bemerkte den verwunderten Blick Aisurus und winkte schnell ab: „Dann habe ich mich wohl getäuscht.“

In Wahrheit wusste sie, dass es nicht so war. Doch dass Aisuru dies nicht bemerkt haben solle, verwunderte sie. Schließlich wurde er bisher von Tyke immer sehr abweisend behandelt. Was war da vorgefallen? Wie hatten sie sich kennen gelernt? Lag darin die Begründung von Tykes Verhalten versteckt?

„Wie wäre es mit einem Wettstreit,“ versuchte sie dieses Mal das Thema zu wechseln und die Laune zu heben, „Wer von uns zuerst eintausend Liegestütze schafft. Der Verlierer muss dann die Einkäufe für unser Boot bezahlen. Einverstanden?“

„Das ist Unfair! Ich habe schon hart trainiert und außerdem hätte ich nicht einmal Geld zum einkaufen,“ doch anstatt auf seine Beschwerde zu achten, begann Nina mit den Liegestützen.

„Hey!“
 

* * * * *
 

„Hier wohnt der Kerl?,“ fragte Tyke verwundert und blickte zu der schäbigen Holzhütte vor sich.

Er fragte sich, wie diese es bisher geschafft hatte stehen zu bleiben und nicht in sich einzustürzen. Das Holz war morsch. Löcher so groß, dass man seinen Kopf hindurch stecken konnte, zierten die Wände. Und hier sollte ein Künstler leben? Genies waren wohl wirklich immer Exzentriker. Oder einfach nur tierisch faul und unordentlich…

„Er mag keine großen, protzigen Hütten. Deshalb lebt er hier,“ erklärte July, so als wäre sie Tyke eine Erklärung schuldig gewesen. Oder vielleicht schämte sie sich auch einfach nur für diesen Künstler?

„Mag ja sein, aber diese Hütte ist doch höchst Einsturzgefährdet oder nicht?!“

„So würde ich es nicht ausdrücken. Sie ist… rustikal.“

„Rustikal…? Wie man’s nimmt. Ach ja, wie ist der Name dieses talentierte Künstlers eigentlich?“

„Van Goth.“

„Van Goth?“

„Ja. Vinc van Goth.“

Tykes Blick sprach mehr als es tausend Worte getan hätten, woraufhin July nicht anders konnte, als sich verlegen an der Nase zu kratzen. Sie wollte der unangenehmen Situation entfliehen, indem sie schnell an die Tür klopfte. Als sie diese jedoch zuerst genauer betrachtete, schrie sie entsetzt auf. Holzwürmer. Unzählige Holzwürmer. Machten die kleinen Biester gerade Picknick auf der Tür? Vermutlich, schließlich war es ein relativ angenehmer Tag.

„Es ist bizarr, dass gerade du dich vor Holzwürmern ekelst,“ sprach eine monotone Stimme, die sofort in Tyke den Wunsch erweckte sich am nächsten Baum aufzuhängen.

War der Klang dieser Stimme etwa die Essenz der Depression in ihrer reinsten Form? Lauter Essenzen in letzter Zeit. Und das auf einer solchen Insel.

Der Rotschopf, dessen Blick bisher auf July geruht hatte, drehte sich zur Tür um und stieß nun ebenfalls einen gellenden Schrei aus, während er rücklings zu Boden stürzte.

„Der Tod höchst persönlich! Arsens großer Bruder!“

„Rede keinen Unsinn. So gut sehe leider nicht aus und außerdem habe ich keine Brüder.“

„Was zum…“

„Tyke, darf ich dir vorstellen? Vinc van Goth, persönlicher Kartograph meines Vaters und der größte Künstler des gesamten West Blues,“ meinte July, die sich inzwischen wieder etwas beruhigt hatte, „Und Vinc. Das ist Raven D. Tyke, Retter unserer Insel.“

Der Maler war ganz offensichtlich aufgrund von Julys Schrei aus seiner Behausung hinaus getreten und sein Anblick hatte dann schließlich ihren Begleiter erschreckt. Was jedoch wenig überrasche, wenn man aussah wie eine schwarze Moorleiche. Das nachtschwarze Hemd passte sich der ausgefransten schwarzen Stoffhose und den schwarzen Schuhen perfekt an, die jedoch nicht von den schwarzen glatten Haaren und der ganzen schwarzen – zirka zehn Kilo schweren – Schminke im Gesicht ablenken konnten. Einen bunten Paradiesvogel konnte man van Goth definitiv nicht nennen.

„Ich finde es immer wieder erstaunlich, meine liebe July, dass du als Naturmädchen mit Seelenverwandtschaft zur Pflanzenwelt und tierischen Liebe allen Lebewesen gegenüber – sogar den ekeligsten Würmern gegenüber – dich ausgerechnet vor Holzwürmern, Blattläusen, Heuschrecken und allen sonstigen Pflanzen fressenden Insekten fürchtest. Aber verzeiht meine ungehobelte Art. Tretet hinein in mein bescheidenes Domizil.“

„Ähm, lieber nicht,“ meinte July mit einem nervösen Blick auf die Holzwürmer – die sich auch auf der Innenseite der Tür tummelten. Wer wusste schon, wie es im Inneren aussah.

„Nun gut. Was kann ich dann für euch tun?“

„Die Freude am Leben neu entdecken?,“ schlug Tyke vor, während er ebenfalls sich von seinem persönlichen Schock erholte und sich aufrichtete.

„Was Tyke damit meint ist, dass du ihm bitte einen Jolly Roger zeichnest. Otou-san hat ihm ein Schiff geschenkt und er brauch nun für das Segel und die Flagge am Krähennest einen Totenkopf.“

„Eine meiner leichtesten Übungen,“ meinte die düstere Gestalt, entsprungen den traurigsten Ecken der Hölle, während er einen Zeichenblock holte und sich dann vor seine Tür auf den Boden setzte. „Also, was darf es sein?“

Das dritte Mitglied: Dr. Medica

*2 Tage später auf der Marineinsel Ironbase*
 

„Sir! Gerade hat ein Marineschiff des Hauptquartiers am Hafen angelegt,“ berichtete der Soldat seinem Vorgesetzten Ne Lasag, der kurz von seinem Schreibtisch aufsah – wo sich mehrere Stapel Papiere und Dokumente türmten, die alle durchgesehen werden wollten – und sprach: „Vielen Dank für die Information Leutnant. Sicherlich kommen sie, um den Gefangenen Nelson abzutransportieren. Lassen sie ihn aus seiner Arrestzelle holen und geleiten sie unseren Besuch in den Empfangsraum. Ich folge gleich.“

„Jawohl, Sir!,“ antwortete der Mann und verschloss leise die Tür hinter sich.

In Gedanken versunken fragte er sich, wo Nina wohl in diesem Moment war. Sie war seine einstige Schülerin und daher machte er sich große Sorgen um sie. Auch wenn er wusste, dass diese unnötig waren. Sie war in guter Gesellschaft.

Nach etlichen Minuten raffte er sich endlich auf und verließ sein Zimmer. Er hatte sich genug Zeit gelassen und inzwischen müssten die Abgesandten des Hauptquartiers die hiesige Basis erreicht haben.

Und tatsächlich. Als er den Empfangsraum betrat, warteten dort bereits drei Männer auf ihn. Bei Zweien handelt es sich lediglich um einfache Soldaten, die vermutlich helfen sollten Nelson abzuführen. Aber Ne Lasag erkannte auch den dritten Mann im Bunde.

„Guten Tag, Vizeadmiral Ne Lasag,“ sprach der Blondschopf mit der Hahnenkammfrisur.

„Ich hätte nicht erwartet, dass man dich hierher schicken würde. Vizeadmiral Strike. Allein wegen Nelson haben sie dich sicherlich nicht hierher geschickt. Das wäre zu viel des Guten. Will man mich also einem Disziplinarverfahren unterziehen, weil ich den Knaben hab laufen lassen?“

„Ja und nein. Ja, ich bin auch wegen dir hier. Und nein, du wirst keinem Disziplinarverfahren unterzogen. Sondern kurzerhand degradiert. Hauptsächlich aus diesem Grund wurde ich geschickt. Vizeadmiral Ne Lasag, Sie werden mit sofortiger Wirkung zum Konteradmiral degradiert. Sie bleiben weiterhin auf der Marineinsel Ironbase, da das Hauptquartier einsieht, dass sie hier am Besten aufgehoben sind und es keinen besseren Mann zur Führung dieser Basis gibt.“

Ne Lasag nickte. Er hatte gewusst, dass die Flucht von Tyke für ihn Konsequenzen würde haben. Eine Degradierung war hierbei für ihn die bestmögliche Ausgangssituation gewesen. Er hatte mit Schlimmeren gerechnet.

„Es tut mir Leid.“

„Sir, Sie haben keinen Grund sich zu entschuldigen,“ meinte Ne Lasag, während er zum Salut die Hand an die Stirn hielt und steif, wie ein Brett, vor seinem jetzigen Vorgesetzten stand.

„Wo ist der Gefangene?“

Kaum hatte Strike seine Worte ausgesprochen, wurde besagter in den Raum gebracht. Ganze fünf Soldaten mussten dabei den randalierenden Ex-Kapitän im Zaun halten.

„Wie könnt ihr es wagen? Wisst ihr denn nicht, wer ich bin? Ich bin das Gesetz der Marine!“

„Wir wissen sehr wohl, wer Sie sind, Herr Nelson.“

„Für dich Grünschnabel immer noch Kapitän Nelson! Wuaaargh!“

Plötzlich spannten sich die Muskeln des ehemaligen Kapitäns an und es bildete sich eine Kraft, denen die Ketten nicht gewachsen waren. Mit einem lauten Knall sprengte der Kraftprotz seine Fesseln, woraufhin die Soldaten, welche ihn her geschliffen hatten, zu Boden fielen.

„Wer sich mir in den Weg stellt, wird von mir vernichtet!“

Sofort stürmte Nelson los, in Richtung Haupttür des Raumes, welche direkt mit der Empfangshalle verbunden war. Ne Lasag erkannt sofort, dass der Ex-Kapitän fliehen wollte und machte sich bereit ihn aufzuhalten. Doch plötzlich hielt Strike seinen Arm vor den Konteradmiral und gab ihm zu verstehen, dass er das übernehmen wolle.

Nelson sah nur noch aus dem Augenwinkel heraus einen kleinen Lichtblitz. Erschrocken kniff er für den Bruchteil einer Sekunde die Augen zusammen und als er sie wieder öffnete, stand der blonde Fremdling direkt wo ihm. Wie hatte er sich so schnell bewegen können?

Ruckartig wirbelte er nach links herum, doch auch hier versperrte der Fremde ihm bereit den Weg. Wie war das möglich? Diesmal drehte er sich in die genau entgegen gesetzte Richtung um, doch zum dritten Mal stand der Blonde dort und lächelte ihm spöttisch entgegen. Nelson hatte keine Zeit mehr zu reagieren, als sich bereits die Faust des Fremden gegen seinen Brustkorb presste und ihm sämtliche Luft aus den Lungenflügeln trieb. Den Mund zu einem stummen Schrei geöffnet, sank er bewusstlos zu Boden und bekam nur noch mit, wie erneut ein kurzer Lichtblitz aufblitzte.

„Man nennt mich nicht ungestraft einen Grünschnabel. Männer, legt ihn wieder in Ketten und bringt ihn dann zum Schiff.“

„Jawohl, Sir!,“ riefen die überraschten Soldaten der Marinebasis und beeilten sich den Befehl des Vizeadmirals in die Tat umzusetzen, während dieser schweigend mit seinen beiden Soldaten den Raum verließ.
 

*Gleichzeitig auf Acidem in Aisurus Zimmer*
 

„Nein!,“ meinte July und ließ die grünen Efeuranken sich fester um Aisurus Körper legen.

„Ich will doch nur aufstehen!“

„Du bleibst im Bett!“

„Ich habe doch aber schon trainiert…“

Wie ein Schlag, traf die Erkenntnis dass diese Aussage ein Fehler gewesen war, den Blauhaarigen. Er biss sich schnell auf die Lippe, doch es war fiel zu spät gewesen. Flammen umhüllten die junge Ärztin, während sie mit rot glühenden Augen auf ihren Patient hinab blickte und mit dämonischer Stimmlage fragte: „Wie war das?!“
 

*In Ninas Zimmer*
 

Schreie hallten die Gänge des Hauses entlang, woraufhin Tyke und Nina zusammenzuckten.

„Unglaublich, dass eine solch gute Seele und ein derartig schüchternes Mädchen, zu einem Teufel in einem weißen Kittel werden kann,“ behauptete Tyke, als ihm ein Schauer den Rücken entlang glitt.

Seit nun zwei Tagen saßen sie auf der Insel fest, wobei Aisuru und Nina lediglich dachten es läge daran, dass ihnen ein Schiff zur weiterfahrt fehlen würde. Ihr Kapitän wunderte sich sogar, dass sie gar nicht nach ihrer Nussschale fragten, mit der sie zur Insel gekommen waren.

Doch war dies auch egal, denn er war schon damit beschäftigt ihnen das Wissen von dem Geschenk vor zu enthalten. Schließlich wartete er nur darauf, dass seine Galionsfigur und der Jolly Roger endlich fertig waren, damit er seine Freunde überraschen können würde. Wie auch er zuvor schon überrascht worden war.

Zudem bestand noch das Problem mit Aisuru, denn im Gegensatz zu Nina, die bereits wieder genesen war, bedurfte es bei ihm längerer Zeit. Aus diesem Grund saßen Tyke und Nina erneut in dem Zimmer, welches der Smutje bereitgestellt worden war, und unterhielten sich miteinander.

„Jeder Mensch hat scheinbar eine dunkle Seite.“

„Aber so dunkel?“

„Tja… Wünsch dir mal lieber, dass ich nicht der dunklen Seite der Macht beitrete.“

Tyke sah Nina für einen Augenblick an – offensichtlich stellte er sich das Ergebnis im Geiste vor. Plötzlich zuckte er zusammen, fiel von dem Hocker auf dem er gesessen hatte und verkroch sich ganz schnell in einer Ecke ihres Zimmers, indem sie die letzten beiden Tage verbracht hatte.

„Nicht gut,“ war das Einzige was er dabei hervorbrachte.

„So schlimm?,“ fragte Nina nur überrascht.

„Was ist wie schlimm?,“ meldete sich nun July von der Tür aus und blickte skeptisch zu Tyke.

„Nichts,“ winkte Nina schnell ab und fragte, um schnell das Thema zu wechseln, wie es Aisuru ging.

„Er hätte auf mich hören sollen. Sein Training hat seine Genesung stark zurück geworfen. Mindestens noch einen Monat mehr an Bettruhe, muss ich nun von ihm verlangen.“

Während July sprach betrat sie das Zimmer und setzte sich zu Nina auf die Bettkante.

Daraufhin meldete sich Tyke zu Wort, der sich über die peinliche Szene – in der er von July erwischt worden war – schämte: „Solange können wir nicht warten.“

„Tut mir Leid. Schneller geht es nicht. Ich kann nicht zaubern.“

„Aisuru leider auch nicht, dennoch brauch ich ihn.“
 

*In Aisurus Zimmer*
 

„Schnauze, du Flammenschädel! Wie doof kann man denn nur sein?! Es gibt nun einmal keine richtige Magie!“

Zwar versuchte der ehemalige Magier sich zur selben Zeit zu befreien, doch hielten ihn ein gutes Dutzend armdicker Ranken davon ab, sich von dem Bett zu erheben und Jagd auf seinen Kapitän machen zu können.
 

*In Ninas Zimmer*
 

„Was ist wenn du einfach mitkommst? Dann kannst du ihn doch unterwegs weiter verpflegen!“

„Ich sagte dir doch bereits, dass ich nicht mitkomme.“

„Och bitte!“

„Nein!“

„Bedränge sie doch nicht so!,“ meckerte Nina und konnte nur mit dem Kopf schütteln.

„Mich hatte bereits ein Reisender, der hier vorbei kam, gefragt ob ich mit ihm wolle. Auch ihm musste ich verneinen.“

Überrascht sahen Nina und Tyke July an, deren Gesicht plötzlich einen traurigen Ausdruck annahm.

„Sein Name war Raibaru und er meinte, dass er auf der Suche nach einem Piraten sei. Er habe Gerüchte gehört und wollte sich über deren Wahrheitsgehalt informieren.“

„Welchen Piraten suchte er denn und welche Gerüchte hatte er gehört?“

„Einen gewissen Sedah, weil behauptet würde dass dieser Mann die Toten zu neuem Leben erwecken könne.“

„Die Toten erwecken?,“ wiederholten der Pirat und seine Köchin gleichzeitig.

„Meinst du so wie, Zombies?,“ fragte Tyke danach hinzufügend.

„Ich weiß es nicht. Mehr hatte er mir nicht gesagt, außer dass es sich nicht um dieselbe Kraft wie zu Morias Zeiten handle. Ich habe ihm aber gesagt, dass dies unmöglich sei. Er wollte es aber versuchen. Er meinte er wolle, wenn das Gerücht stimme, jemanden für ihn sehr wichtiges wiedererwecken lassen.“

„Ich bezweifle, dass dies möglich sein soll.“

„Ich auch,“ pflichtete July Nina bei, fügte dann aber hinzu: „Es wäre aber schön. Ich könnte dann meine verstorbenen Geschwister wieder erwecken.“

„Willst du das wirklich? Der Tod gehört zum Leben dazu. Er ist nicht schön, aber er beeinflusst uns und ohne ihn, wären wir nicht die, die wir sind. Stell dir vor, deine Geschwister wären nie gestorben. Dann wärst du damals nicht von zu Hause weggerannt, hättest Doktor Mush nie angetroffen und wärst selber auch nie eine Ärztin geworden.“

Tykes ernste Worte überraschten die Mädchen, doch mussten sie eingestehen, dass er Recht hatte.

„Man muss von Dingen loslassen können, um neue Wege zu beschreiten. Denkst du deine Schwester will mit dem Wissen leben, dass sie dich an der Verwirklichung deiner Wünsche gehindert hat?,“ ertönte diesmal Doktor Mushs Stimme von der Tür her.

Der alte Mann knüpfte damit an Tykes Einleitung an. Es war eindeutig, dass er July in ihren Wünschen bestärken wollte, damit sie sich dem Rotschopf anschloss.

„Aber wer soll sie heilen?“

„Deine Schwester ist genauso begabt wie du es bist und ebenfalls medizinisch interessiert. Ich werde ihr alles beibringen, so wie ich es bei dir tat. Sie wird sich selber heilen können.“

„Aber…“

„Nichts aber. Denk dir nicht immer neue Ausflüchte aus, sondern trau dich endlich einen neuen Schritt zu wagen!,“ fuhr Yukaku ihr ins Wort und sah sie strafend an.

Diesmal schämte sich July für ihr Verhalten. Sie wusste, dass alle es nur gut mit ihr meinten. Doch sie machten sich immer so viele Sorgen, vor allem um ihre Schwester. Würde sie wirklich ohne sie auskommen?

Wie aufs Stichwort, kam auf einmal May herangestürmt und sprang dem alten Arzt von hinten auf den Rücken. Dieser schrie erschrocken, packte das kleine Mädchen dann aber schnell, bevor sie ihm vom Rücken fiel. May dagegen interessierte das alles nicht. Während sie sich an Doktor Mushs Hals klammerte, legte sie ihren Kopf auf seine Schulter ab und rief den Personen im Zimmer entgegen: „Kommt schnell mit. Das müsst ihr euch ansehen! Es ist unglaublich!“

Sofort sprang sie wieder von dem Rücken des alten Mannes herunter und stürmte den Flur entlang in Richtung Treppe, um vom ersten Stock – in welchem sie sich befanden – ins Erdgeschoss zu gelangen. Die Anderen folgten ihr so schnell es möglich war. Allen voran die blonde Ärztin.

Keiner wusste was los war, umso erstaunter waren sie, als sie Julys kleiner Schwester aus dem Haus folgten und an der Tür stehen blieben. Vor ihnen standen vermutlich sämtliche Bürger der Hafenstadt Kinatob. Und alle waren sie wegen nur einer einzigen Person gekommen.

„Doc July Medica, viel Glück auf deiner Reise!,“ rief die Meute in einem lautstarken Chor, woraufhin der blonden Ärztin die Tränen in die Augen schossen.

Während sie sich nicht hatte entscheiden können, waren andere für sie da gewesen um sie zu ermutigen. Hatten für sie die Entscheidung abgenommen, damit sie endlich dem Weg folgten konnte, der für sie bestimmt war. Ja, die Bewohner der Insel würden alles für ein Mitglied der Medicas machen. Auch ihr Leben lassen. Oder ihnen eine Entscheidung abnehmen…

„July, als wir uns kennen lernten…,“ begann Doktor Mush und gesellte sich zu den anderen Bürgern, „…meintest du dein Schicksal sei es zu sterben. Doch dem war nicht so. Dein Schicksal steht hinter dir.“

Sie drehte sich um und sah in die lächelnden Gesichter von Tyke, Nina und… Aisuru?

„Deine blöden Ranken hätten mir beinahe den Auftritt verdorben! Wehe du bindest mich mit denen noch einmal an ein Bett!,“ beschwerte der Blauhaarige sich kurz, der unter den größten körperlichen Anstrengungen sich von seinen Fesseln befreit hatte und damit seine Genesung sicherlich um weitere zwei Monate verlangsamt hatte. Danach lächelte aber auch er sie aufmunternd an.

„Dein Schicksal ist es mit ihnen zu segeln. Werde ein Pirat. Wir haben nichts dagegen. Jeder hat sein Schicksal. Wir kommen schon irgendwie zu Recht. Was sagst du dazu?“

Das Mädchen drehte sich zu ihrem Mentor um, zu dem sich inzwischen auch ihre Eltern gesellt hatten, und meinte mit Tränen der Freude in den Augen: „Danke.“

Zu mehr war sie auch nicht in der Lage. Ihre Stimme versagte ihr den Dienst und eine Welle der Gefühle brach über sie herein. Freude, Trennungsschmerz, Hoffnung und Abenteuerlust.

Schließlich drehte sie sich wieder zu Tyke um und meinte mit fester Stimme: „Ich nehme dein Angebot an. Du hast nun eine Ärztin an Bord.“

„Schön wäre es,“ meinte Nina leicht niedergeschlagen, „Wir haben ja kein ordentliches Schiff. Laut Tyke ist unser Boot abgesoffen.“

Plötzlich hustete Tyke auffällig. Jetzt fiel ihm wieder ein, warum die Beiden nicht nach dem Boot gefragt hatten. Schnell meinte er daher, leicht verlegen: „Ganz so stimmt das nicht…“

„Da seit ihr ja. Hab’ euch schon überall gesucht,“ ertönte die bekannte Stimme Woodys, „Es is soweit. Meine Leute sind fertig.“

„Wer sind sie?,“ wollten Nina und Aisuru gemeinsam wissen, doch Tyke entgegnete an Stelle des Schiffbauers: „Das, meine Freunde, ist unser Retter in der Not. Kommt mit, nun werdet ihr das größte Geschenk aller Zeiten sehen!“

Die „Dragonfly“

Gemeinsam verließ die kleine Gruppe das Haus der Medicas und machte sich auf den Weg. Während Tyke und der Fremde die Führung übernommen hatten, liefen Nina und Aisuru jeweils links und rechts neben ihrer Ärztin. Die Drei bildeten damit so etwas wie das Schlusslicht.

Kaum näherten sie sich dem Hafen, erblickten die beiden Uneingeweihten bereits das gigantische Gebilde, welches sich dadurch auszeichnete, dass es unter einer monströsen weißen Plane versteckt gehalten wurde.

Eine seltsame Vorahnung stellte sich bei dem Navigator und der Smutje ein, wodurch sich ein Lächeln auf ihren Lippen stahl. Und dennoch wollten sie es noch nicht so richtig glauben. Schließlich war es selbst für eine wohlhabenden Familie kein Klacks einfach so etwas zu verschenken wie ein…

Im Grunde reagierten sie nicht viel anders als Tyke. Ungläubig, verwirrt und trotzdem glücklich, denn hier lösten sich gerade Probleme praktisch in Luft auf. Ihr Kapitän rannte seinerseits zu dem Trupp von kräftigen Männern, welche sich vor dem Gebilde aufgebaut hatten und aufgrund der Werkzeuge in ihren Händen wie eine Kolone von Schiffsbauern aussahen – was sie höchst wahrscheinlich auch waren.

Zusammen mit dem Fremden, der sie abgeholt hatte, baute er sich beinahe schon in einstudierter Pose auf und verkündete glücklich: „Darf ich euch vorstellen? Das ist Woody und sein Schiffsbauertrupp. Sie bauen für die Familie Medica Schiffe. Doch diesmal, haben sie eines für uns gebaut. Unser erstes eigenes Schiff!“

Mit einem kräftigen Ruck zog der Kapitän der Bande die Plane weg und offenbarte damit allen das neue Schiff ihrer Piratenbande. Und es war wahrlich ein Prachtstück. Ein Juwel der Seefahrt, welches sie zu neuen Abenteuern geleiten würde.

Während die Inselbewohner lautstark zu jubeln begannen – wann hatten die sich bitte schön herangeschlichen?! –, bekamen Navigator und Smutje vor Staunen ihre Münder nicht mehr zu. Ihre Kinnladen reichten beinahe bis zum Boden und mindestens so groß wie ihre Gesichtsentgleisung, musste auch ihre Freude sein.

Ihre Blicke sogen jedes auch nur so kleine Detail des Schiffes in sich auf.

Der Bauch der Karavelle, war aus edlem, stabilem Holz gefertigt worden. Dieses Material alleine musste ein kleines Vermögen wert sein und nun war es Bestandteil ihres Schiffes. Der Mast schien direkt aus einem einzigen Mammutbaum-Baumstamm gefertigt worden zu sein, so hoch wie er sich gen Himmel streckte, bis er schließlich weit oben über ihren Köpfen sein Ende in einem stolzen Krähennest fand. Und auch dort wehte bereits eine schwarze Flagge mit dem zukünftigen Jolly Roger ihrer Bande. Was Nina und Aisuru nicht sehen konnten, aber Tyke bei von Goth in Auftrag gegeben hatte, war die Tatsache dass auch das Segel von einem gigantischen Jolly Roger geschmückt wurde. Etwas was er von seinem Vorbild übernommen hatte. Aber auch Loris hatte es von Jemand anderem übernommen, soviel hatte er seinem Schützling einst in einem ihrer unzähligen Unterhaltungen verraten.

Doch der wahre Blickfang war etwas Anderes. Etwas, was Woody sicherlich als seinen ganzen Stolz – und den seiner Truppe – bezeichnet hätte, wer er zu Wort gekommen wäre: die Galionsfigur.

Es war keine einfache Figur die lediglich vorne am Bug des Schiffes befestigt worden war und dort thronte, um praktisch in Richtung Zukunft der Bande zu blicken. Nein. Die Galionsfigur an Tykes eigenem Schiff war etwas ganz Besonderes. Das Woody sie so schnell hatte fertig stellen können, war beachtlich. Und dann auch noch ohne Skizzen, lediglich mit einer mündlichen Erklärung bewaffnet.

Bei dem Meisterstück, handelte es sich um einen Drachen, der sich um das Schiff schlängelte, ungefähr in Höhe des Decks und damit in gewisser Weise die Rehling bildete. Nur wenn man auf dem Deck stand, sah man die wahre Rehling hinter dem Drachen, welche dieser geschickt kaschierte. Seinen Anfang nahm das mystische Wesen am Bug, denn dort zeigte sein Schwanz in Richtung Meer, während sein Leib sich empor klomm und die linke Seite – links solange man direkt frontal auf das Schiff blickte – entlang schlängelte, bis der schlanke, geschuppte Leib das Heck erreichte und sich darum wand. Man konnte sogar zwei kleine, doch kräftige Hinterläufe erkennen, die sich dort abstützten und damit den restlichen Drachenkörper stützten. Interessant, dass die Hinterläufe so spät angesetzt worden waren. Anschließend schlängelte der Drache sich an der rechten Seite weiter, bis er wieder den Bug erreicht hatte, wo sich die Vorderläufe auf einem künstlichen Felsen klammerten und den letzten Teil des Körpers stützten. Der letzte Teil des Drachenkörpers stemmte sich empor und blickte bedrohlich, gleichzeitig aber auch gebieterisch, auf die zukünftigen Gegner der Bande hinab.

Die Schuppen des Fabelwesens, die seinen gesamten Leib bedeckten, waren in filigraner Feinarbeit geschnitzt worden und mit einer bestimmten Farbe bestrichen, welche augenscheinlich – je nach Lichteinfall – in allen Farben des Regenbogens leuchteten.

Woody und seine Mannen waren wahrhaftige Meister, dass sie eine derartige Glanzleistung in solch kurzer Zeit vollbracht hatten. Vermutlich konnte man dies nicht oft genug erwähnen, den Worte konnten diese Schönheit nicht einmal im Ansatz erfassen.

Aber der bereits erwähnte Jolly Roger stand der einzigartigen Galionsfigur in nichts nach, denn auch bei ihm war eindeutig ein Meister am Werk gewesen. Kein Wunder, war der Künstler doch gleichzeitig auch der persönliche Kartograph der Familie Medica.

Aisuru konnte einen rötlichen, frontal präsentierten Rabenkopf ausmachen, welcher ihn scheinbar mit seinen weißen Augen zu beobachten schien, hinter dem sich zwei Kompassnadeln kreuzten. Letztere sollten wohl auf abstrakte Weise ein Symbol für Tykes Teufelskraft sein. Und auch wenn Aisuru nicht unbedingt Freund solch abstrakter ‚Kunst‘ war, musste er sich eingestehen, dass der Jolly Roger auf seltsame Weise perfekt für Tyke und die noch kleine Mannschaft war.

„Hast du dir das ausgedacht?,“ fragte der Blauhaarige und wies beiläufig auf den Jolly Roger.

„Japp. Genauso wie die Galionsfigur.“

„Und? Wie soll deine Bande nun eigentlich heißen? Ich meine, langsam wird es doch Zeit, dass wir uns einen Namen machen, oder nicht?,“ fragte Nina begeistert.

„Hmmm… eigentlich habe ich weder für das Schiff, noch für unsere Bande einen Namen,“ gestand der Kapitän, woraufhin alle Anwesenden schockiert umkippten. Dieses Geständnis hatte gesessen.

„Also, wer will was Vorschlagen?,“ fragte Matsu plötzlich.

„Wir wäre es mit ‚Sailing Beauty‘?,“ versuchte es Aisuru als Erster.

„Ähm… ‚Dragon‘ oder ‚Bona Dea‘ oder ‚Waterloo‘ oder ‚Rising Chameleon‘,“ schlug diesmal Tyke vor, woraufhin Nina konterte: „Könnte man sich überlegen… Da ist ein Drache, keine Blumengöttin… Das macht überhaupt keinen Sinn… Das sogar noch weniger! Das ist ein Drache, keine Echse. Auch wenn das praktisch dasselbe ist.“

Erneut wollte es Aisuru wissen und warf „Wie wäre es mit ‚The Wonderful Girl‘,“ ein, doch wieder wurde er ignoriert, stattdessen meldete sich der Kapitän wieder zu Wort: „Dann ‚Deathknight‘… ‚Flora Springs‘… ‚Gorch Fock‘… ‚Dreaming Dragon‘.“

„Ich wiederhole mich ungerne, aber: Drache!... Und auch hier wiederhole ich mich, aber da ist kein Weib an unser Schiff genagelt, sondern ein Drache!... Wie kommst du auf diesen Namen?!... Hmmm, damit kommen wir der Sache näher.“

Aller guten Dinge war drei und so sprach der Navigator: „Beauty of Beauties!“

„Jetzt reicht’s… Merkst du nicht, dass wir alles nehmen würden, bloß nicht deine Vorschläge?!,“ mit diesen Worten verpasste die Smutje ihm einen saftigen Tritt und klatschte den Blauhaarigen damit gegen das Schiff.

„Pass doch auf!“

„Stimmt, July, das arme Schiff soll ja nicht schon jetzt eine Delle bekommen. Beim nächsten Mal kick ich ihn gegen ein Haus.“

„Ähm… ich meinte damit, dass du wegen Aisuru aufpassen sollst, er ist doch noch schwer verletzt. Ach ja, wie wäre es mit ‚Arche Tyke‘ als Schiffsnamen?“

Alle sahen die Ärztin an, wodurch diese Rot anlief und schnell hinzufügte: „Dann nicht…“

„Hey, Leute. Ich hab’s. Ich hab einen Schiffsnamen,“ ertönte auf einmal die Stimme des Rotschopf, der mit verschränkten Armen dastand und anschließend, und beinahe ehrfürchtig, meinte: „Die Dragonfly!“

„Das ist gut.“

„Das gefällt mir auch.“

Die beiden Frauen nickten zustimmend, während Aisuru nun sein Glück beim Namen der Bande versuchte: „Die Magierpiraten!“

„Du bist ein Ex-Magier, der nicht zaubern kann und außerdem ist es meine Bande, nicht deine.“

Ehe der Blauhaarige es erneut versuchen konnte, hob die Smutje drohend ihren Fuß und ließ ihn damit verstummen. Noch einmal wollte er keine nähere Kuschelstunde mit ihrem ersten Schiff betreiben.

Mit einem Male sprudelte es aus July heraus: „Die Gänseblümchenpiraten.“

Erneut hefteten sich alle Blicke auf sie, so dass sie beschämt einräumte: „Ist mir nur so rausgerutscht.“

„Wir sind ab sofort: Die Rabenpiratenbande.“

Diesmal hefteten sich die Blicke an den Kapitän. Nun hatte er scheinbar doch beide Entscheidungen alleine getroffen, doch das war auch eigentlich sein Job, schließlich ging es hier um seine Bande, wie er selbst bereits erwähnt hatte.

„Man kann vieles über dich sagen, aber nicht dass du verrückt nach Raben seiest,“ spottete Aisuru lachend und auch der Rest der vierköpfigen Bande fiel mit ein, „bei Gelegenheit musst du mir erzählen, wieso du so verrückt nach diesen Viechern bist.“

Ab hier sollte ihre Reise erst richtig beginnen. Eine lange Reise, gespickt mit Dutzenden von Abenteuern, denn dies war erst der Anfang einer neuen Legende.
 

*Währenddessen im Marine Hauptquartier auf der Grand Line*
 

„Sir?,“ der Matrose salutierte, wie es sich gehörte und wartete eine Reaktion ab.

„Ja?,“ kam sie nach einem kurzen Moment der Stille.

„Wir haben eine Nachricht aus dem West Blue erhalten.“

„Ach ja?“

„Kapitän Arsen wurde besiegt. Eine Marineeinheit in der näheren Inselumgebung wurde vom Oberhaupt der Familie Medica höchstpersönlich angefunkt. Sie sind auf dem Weg ihn abzuholen und damit gefangen zu nehmen.“

„Und warum erzählen Sie mir das, Soldat?,“ fragte die schlanke Gestalt, den noch jungen Marinesoldaten.

„Äh… H-Herr M-Medica berichtete – auf die Frage hin wer das zu verantworten habe –, dass ihn ein anderer Pirat bezwungen habe. Ein gewisser Raven D. Tyke. S-Sie wollten doch, dass ich Ihnen…“

„Tyke sagen sie, Soldat?,“ fragte sein Vorgesetzter ihn unterbrechend, dessen Interesse an der Information für ihn, nun doch noch geweckt zu sein schien und so drehte er sich langsam zu dem anwesenden Matrosen um.

Dabei stellte er seine Ellbogen auf seinem Schreibtisch ab und stützte seinen Kopf auf seine beiden, wie zum Gebet gefalteten, Hände ab. Sein durchdringender Blick ruhte auf dem noch jungen Burschen vor ihm, der leicht eingeschüchtert wirkte. Nervös trat er immer wieder von einem Fuß auf den Anderen.

„Wie lange soll seine Niederlage her sein und wo geschah sie?“

„Etwa zwei Tage, Sir. Es geschah auf Acidem, einer Insel im West Blue.“

„Das haben sie gut gemacht, Matrose. Sie dürfen wegtreten.“

Mehr sagte er nicht, als er sich wieder von dem rangniederen Marinemitglied abwandte und aus seinem mannshohen Fenster hinaus blickte. Seine Gedanken waren bereits woanders.

„Ähm… Sir… Da gibt es noch etwas…“

„Was denn noch?“

Nun war deutlich zu hören, dass sein Vorgesetzter genervt zu sein schien.

„Kapitän Nelson, welcher auf der Marineinsel Ironbase stationiert war, wurde ebenfalls von diesem Piraten bezwungen. Dies wurde von Konteradmiral Ne Lasag gemeldet und davor besiegte er Käpt’n Tich. Dies wurde wiederum von Leutnant Loser gemeldet und von Kapitän James Hallowell bestätigt, Sir.“

„Verstehe. Man hat Ne Lasag degradiert?“

„J-Ja, Sir. Woher wissen sie das?“

„Nicht wichtig. Wie lautet die Begründung?“

„Er hat einen Piraten entkommen lassen, der ein ‚ranghohes‘ Mitglied der Marine attackiert und besiegt hat. Aufgrund seines eigenen Ranges haben die Marineoberhäupter entschieden, dass er seine Aufgaben vernachlässigt habe und dies die angemessene Strafe dafür sei nach den neuen Bestimmungen. Sie wissen ja, Sir, die neue Weltregierung handhabt solche Regelverstöße weitaus strenger als…“

„Matrose, was denken sie, wen sie vor sich haben? Mir ist bewusst, wie derartige Regelverstöße gehandhabt werden!“

„Verzeihung, Sir.“

„Es tut mir dennoch Leid für ihn. Ein Mann, der in diesen schweren Zeiten, derartig viele Heldentaten geleistet hat, sollte nicht für eine derartige Lappalie mit einer Degradierung bestraft werden. Manchmal übertreiben diese Männer in Mary Joa und unsere Vorgesetzten auf Terra Sancta es. Sie sitzen dort in ihren jeweiligen Festungen praktisch in absoluter Sicherheit und wissen nicht, wie es ist als wahrer Mann der Marine über die Meere zu segeln. Vor allem dann auch noch dieses heuchlerische Getue. Sich von jemandem abkapseln verstehe ich anders. Aber für wen rege ich mich auf? Danke für die Auskunft, Matrose. Wegtreten!“

Der Jungspund schien erleichtert, als er kurz salutierte und daraufhin hastig wieder das Zimmer seines Vorgesetzten verließ.

„Es hat also begonnen, nicht wahr Tyke? Zehn Jahre ist es her, dass wir uns zuletzt sahen. Du warst noch ein kleiner Steppke und nun dies. Ein Pirat. Hast sogar schon deine ersten Opfer gefunden. Bis zum Eingang der Grand Line hast du aber noch einen langen Weg. Willst dir wohl Zeit lassen, nicht wahr? Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“

Ein süffisantes Lächeln erschien auf den Lippen des Mannes und verlieh seinem Gesicht einen verschlagenen Eindruck. Ein plötzlicher Gedanke blitzte hinter seiner hohen Stirn auf und manifestierte sich in einer Idee, die ihm vielleicht einige Freude bereiten können würde. Doch müsse er dafür erst einen alten Freund aufsuchen, bevor er…

Laut denkend, hörte man ihn zu sich selbst sprechen: „Vielleicht sollte ich mich mal wieder mit dir treffen… Raven D. Tyke. Der alten Zeiten willen.“
 

*2 Tage zuvor in der Nähe von Acidem*
 

Yumi blickte zurück zu der Insel, von der sie erst vor wenigen Minuten herunter gekommen war. Alle ihre Bemühungen um an eine Teufelsfrucht zu gelangen – die sie anschließend hätte teuer auf dem Schwarzmarkt verkaufen können – waren damit umsonst gewesen.

Seufzend sprach sie zu sich selbst: „Dabei muss ich doch meine Fertigkeiten als Diebin verbessern.“

Sie stahl nicht aus Spaß, nicht einmal um sich durchs Leben schlagen zu können. Schließlich hätte sie einfach auf irgendeiner kleinen schönen Insel mit freundlichen Bewohnern ein neues Leben anfangen können. Sie stahl um die beste Diebin der Welt zu werden.

Denn nur so konnte sie sich ihren wertvollsten Schatz wieder aneignen, den man ihr vor vielen, vielen Jahren weggenommen hatte. Manchmal kam ihr das alles wie ein Traum vor. Vielleicht würde sie eines Tages erwachen und es würde sich herausstellen, dass sie wirklich nur geträumt hatte. Dann würde sie ihr Ziel, welches sie einst als Kind besessen hatte, vielleicht endlich in Angriff nehmen können und somit zu ihrer wahren, neuen Realität machen können.

Es war wohl Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet sie die Fähigkeit hatte, anderen falsche Realitäten und Illusionen vorzugaukeln…

„Keine Sorge Jeanne. Ich werde mir dein Amulett zurückholen.“
 

*Wieder in der Gegenwart auf Acidem*
 

„Noch mehr Rum!,“ verlangten Aisuru und Nina gleichzeitig, während sie mit einem ordentlichen Knall ihre Holzkrüge auf den Tisch donnerten.

„Unglaublich! Die Beiden haben gemeinsam schon das fünfte Fass geleert,“ rief einer der vielen Männer, die sich um die beiden Rabenpiraten versammelt hatten, entsetzt.

„Die trinken ja, als hätten sie anstatt Mägen Löcher ohne Böden,“ behauptete ein Anderer.

„Wenn das so weitergeht haben wir bald keinen Rum mehr,“ befürchtete ein Dritter, als er das nächste Fass öffnete und der Rothaarigen, sowie ihrem blauhaarigen Kameraden jeweils einen neuen Krug voll reichte.

„Ihr werdet doch wohl noch einige Fässer auf Lager haben, oder etwa nicht?!,“ fragte Aisuru verwundert, doch ehe ihm jemand antworten konnte, ertönte vom Lagerfeuer her, welches inmitten des Marktplatzes loderte, die Stimme ihres Kapitäns: „Hohoho, das Piratenleben macht mich froh!“

„Tyke, sei vorsichtig, sonst fällst du herunter.“

„Keine Sorge, July. Ich habe einen guten Gleichgewichtssinn, so schnell fall ich nicht,“ behauptete ihr Kapitän, der auf der hölzernen Eingangsüberdachung eines anliegenden Hauses tanzte.

„Und jetzt alle,“ forderte er schließlich auf, während er breitbeinig am Rand der Überdachung stand, eine Hand in die Hüfte stemmte und die Andere – in der auch er einen Krug voll Rum hielt – nach vorne streckte: „Hohohoho!“

„Das Piratenleben macht mich froh!,“ entgegnete ihm eine Meute voll grölender und alkoholisierter Inselbewohner fröhlich.

„Ihr seit ein tolles Publikum!“

„Und du ein toller Käpt’n!“

„Wollt ihr meiner Mannschaft beitreten?!“

„Klar doch!“

„Schnauze, das kommt nicht in die Tüte,“ entschieden der Navigator mitsamt der Smutje und schmissen gleichzeitig mit ihren Krügen auf ihren Kapitän.

Zielsicher wie zwei Schützen, trafen die Holzgebilde den Hinterkopf des Rabenpiratenanführers, der daraufhin mit den Armen wie wild zu rudern begann und versuchte nicht herunter zu fallen. Leider hatte er kein Glück und mit einem lauten Knall, fiel er vornüber zu Boden.

„Ah, Tyke! Geht es dir gut?!“

„Es… geht schon…“

„Hahaha, die Bande ist toll!,“ rief ein kräftig gebauter Mann und erhob seinen Krug, woraufhin auch andere Inselbewohner die Geste nachmachten, zum vermutlich 163-Male.

Lautstark gab der Kraftprotz, den Aisuru und Tyke bei ihrer Ankunft bereits getroffen hatten, den Tost vor: „Auf unsere Retter!“

„Auf unsere Retter!“

Die Party war im vollen Gange. Das Lachen der anwesenden Menschen erfüllte die schwüle Luft und war auf der ganzen Insel zu vernehmen. Die Rabenbande wurde gefeiert und das im höchsten Maße. Es war ein Fest, welches noch in vielen Jahren als das Größte, das auf der Insel je gefeiert wurde, bekannt bleiben sollte. Doch leider fand es ein zu frühes Ende.

„Oh nein, oh nein!“

„Otou-san?,“ fragte July, die gerade Tyke nach seinem ungewollten Fall verarzte, als sie die Stimme ihres Vaters vernahm und tatsächlich kam kurz darauf das Oberhaupt der Familie Medica heran geeilt. Mit vor Schreck geweiteten Augen blickte er in die Runde, woraufhin er wiederum lediglich fragende Blicke erntete. Betretendes Schweigen setzte ein, da man eigentlich auf die Antwort des Medica Familienoberhauptes wartete.

„Herr Medica, was ist los?,“ fragte Aisuru schließlich und verlangte gleichzeitig durch das ausstrecken seines Armes nach einem neuen Krug.

„Ich habe euch ganz vergessen zu sagen, dass ihr schnell fliehen müsst,“ keuchte dieser erschöpft.

Nina sah den Bärtigen verwundert an, ehe sie wissen wollte: „Was? Wieso sollen wir fliehen?“

„Weil die Marine auf dem Weg hierher ist. Sie wollen den gefangenen Käpt’n Arsen abführen. Wenn ihr hier bleibt, schnappen sie euch noch!“

„Das klingt nicht gut,“ gestand Tyke und ließ sich einen Kopfverband anlegen, ehe er sich an selbigem kratzte.

„Dann müssen wir wohl weg. Und dabei haben wir nicht einmal neuen Proviant. Ich habe das ganz vergessen, bei dem ganzen Trubel,“ gestand Nina beschämt und fasste sich an die Stirn.

„Keine Sorge, dafür haben wir bereits gesorgt,“ meldete sich Matsus Frau zu Wort, die – gemeinsam mit ein paar kräftig aussehenden Damen – aus Richtung des Hafens kam und nun vor der kleinen Piratenbande stehen blieb.

„Okaa-san?“

„Dein Vater ist manchmal etwas vergesslich. Ich habe dafür gesorgt, dass man euch Proviant für etwa zwei Wochen aufs Schiff bringt. Das müsste bis zur nächsten Insel reichen.“

„Vielen Dank, Frau Medica.“

„Ja, vielen Dank.“

„O-Okaa-san.“

Tyke richtete sich auf, kratzte sich diesmal kurz an der Nase und meinte dann: „Tja. Ich glaube wir sollten dann langsam los. Wir würden ja gerne weiter feiern, aber ich denke wir müssen das ein anderes Mal nachholen. Also feiert für uns mit, bis wir uns wiedersehen.“

July stürzte sich in die Arme ihrer Eltern. Sie wollte sie eigentlich nicht zurücklassen, doch ihr Wunsch das Meer zu befahren, war zu groß und wuchs mit jedem Tag. Tränen rannen ihr Gesicht hinab, während sie sich verabschiedete.

„Okaa-san. Otou-san. Ich vermisse euch jetzt schon.“

„Wir wissen das, Liebling. Wir werden alle Informationen verfolgen, die wir über dich bekommen können. Mach uns stolz,“ meinte Shion.

Am Liebsten hätte sie ihre Tochter niemals losgelassen, doch kam immer der Zeitpunkt, an dem Eltern einsehen mussten, dass sie den Weg für ihre Kinder und deren Träume frei machen müssen. Das blonde Mädchen löste sich aus der Umklammerung ihrer Eltern und ging zu ihren Freunden. Gemeinsam wollten sie sich auf den Weg zum Hafen machen, um endlich ihre Flucht antreten zu können.

„Schwester! Schwester!,“ ertönte jedoch Mays Stimme.

Die Piraten hielten für einen aller letzten Moment inne, so dass July sich noch einmal umdrehen konnte, um sich auch von ihrer jüngeren Schwester verabschieden zu können. Diese stand vor ihren Eltern, gemeinsam mit dem Mann der July alles beigebracht hatte.

„Schwester, ich werde eine genauso gute Ärztin wie du. Und dann folge ich dir. Begleite dich auf deinen Reisen!“

„Ich erwarte dich, May.“
 

*Auf der Marineinsel Ironbase*
 

„Sperrt Nelson in die Gefängniszelle unseres Schiffes, Matrosen. Danach werden wir Kurs in Richtung Marinehauptquartier nehmen,“ befahl Strike seinen Männern lautstark und in gebieterischer Pose.

Plötzlich eilte einer der selbigen heran, salutierte vor dem Vizeadmiral und berichtete: „Sir, wir haben Besuch erhalten.“

„Besuch?“

„Ja, Sir. Kapitän…“

„Ich kann mich selbst vorstellen,“ ertönte eine Stimme über den Beiden.

Strike, der diese Stimme kannte, sah empor und erblickte dort auf dem Querbalken des Mastes eine Person in einer weißen Kutte.

„Rennst du noch immer in deinem Kostüm umher? James.“

„Hallo, Strike.“

„Vizeadmiral für dich.“

„Ach komm schon. Hab dich nicht so,“ meinte James und zog die Kapuze seiner Kutte zurück, wodurch sich sein Gesicht offenbarte.

„Ich dachte du befändest dich auf Los Birt.“

„Leutnant Loser ist seinem Name treu geblieben, scheint so etwas wie eine Familientradition bei denen zu sein, aber er schafft es auch ohne mich Käpt’n Tich bis zur Basis der 55. Marineeinheit zu transportieren.“

„Und was willst du dann hier?“

„Ich bekam einen Anruf auf meiner Teleschnecke. Man hat mich zum Hauptquartier beordert.“

„Ich frage dich erneut: Was willst du auf meinem Schiff?“

„Ja, ja, ich weiß. Ich könnte mit meiner Teufelskraft auch so dahin gelangen, aber so ist es angenehmer für mich und nicht so anstrengend.“

„Ich bin zwar nicht erfreut, aber mir soll es egal sein.“

„Was hast du eigentlich hier gemacht?“

„Ne Lasag seine Degradierung überbracht.“

„Hmm… wirklich nur das? Oder hast du dir erhofft, Raven D. Tyke hier anzutreffen?“

Ein diabolisches Grinsen zeichnete sich auf dem kantigen Gesicht Strikes ab. James hatte definitiv einen Nerv getroffen.

„Was sollte ich von einem Anfänger, wie ihm wollen?“

„Anfänger? Er hat bereits zwei Kapitäne und ein Mitglied der Marine bezwungen.“

„Zwei Kapitäne?“

„Hast du es noch nicht erfahren? Käpt’n ‚Giftpilz’ Arsen wurde auf Acidem bezwungen.“

„Das ist eine Tagesreise von hier entfernt.“

„Er wurde aber bereits vor zwei Tagen bezwungen.“

„Dann ist dein alter Bekannter vermutlich sowieso bereits über alle Berge.“

James zuckte mit den Schultern und meinte beiläufig: „Mag sein.“

„Wieso hast du ihn überhaupt entkommen lassen?“

„Wieso wolltest du ihm hier begegnen?“

„Von jemandem, der mehrere Jahre auf dem Schiff eines Samurais verbracht haben soll, hatte ich einiges erwartet. Ich hatte mir einen starken Gegner erhofft.“

„Tja. Da hast du meine Antwort. Die Grand Line ist nicht mehr das was sie war. Jetzt wo die fünf Weisen nicht mehr sind. Unter Führung der neuen Weltregierung existieren nur noch drei Arten von Piraten. Die Samurai, deren Rang wir zwar nicht mehr akzeptieren, gleichzeitig jedoch kein Leid zufügen dürfen. Die Kaiser, die sich irgendwo in der neuen Welt verstecken. Und die Schwächlinge, die sich Piraten schimpfen und diesen ehrenvollen Stand verunglimpfen. Vielleicht wird er ja zum Sinnbild einer neuen Art von Pirat. Denkst du nicht auch?“

Grinsend blickte James auf seinen Kollegen hinab, der wiederum einen ernsten Gesichtsausdruck angenommen hatte und schweigend nach oben sah.

„Ist es nicht das, wofür die Marine existiert? Die Eliminierung der Piraten?“

„Und dafür gehst du wohl einen Pakt mit dem Teufel ein.“

„Hast du nicht auch einen Pakt geschlossen?“

„Ich rede nicht von deiner oder meiner Teufelskraft,“ James richtete sich auf und sprang anschließend von dem Mast herunter, wie einst auf dem Schiff von Tich.

Und wie schon damals kam ein starker Wind auf, der seinen Fall bremste. Kaum berührten seine Füße das Deck des Schiffes, änderte die Sturmböe ihre Richtung und blies Vizeadmiral Strike ins Gesicht. Die Marinesoldaten, die hinter ihrem Vorgesetzten gestanden und das Spektakel mit angesehen hatten, wurden von dem Wind ergriffen und stürzten zu Boden. Strike aber verschränkte lediglich die Arme und bewegte sich nicht den kleinsten Millimeter. Wie ein standhafter Fels in stürmischer See.

„Du weißt wovon ich Rede. Da wünsch ich mir doch beinahe einen Piraten wie Tyke. Der die Welt aufmischt und mir meine Langeweile vertreibt! Und Dämonen wie du es bist, dass fürchten lehrt.“

Der Wind wurde noch einmal stärker und erreichte bereits die Kraft eines kleinen Orkans, doch Strike reagierte nicht. Es war, als weiche der Wind seinem kräftigen Körper aus. Als habe selbst die Natur soviel Respekt vor ihm, dass sie sich nicht mit ihm anlegen wollte.

„Ein Dämon wie ich es bin? Eine gute Wortwahl. Doch fürchte ich weder Tod noch Teufel. Im Übrigen, solltest du doch wissen, dass du mir nicht gewachsen bist.“

„Logia-Kräfte sind die Stärksten von allen!“

„Hat uns nicht der Piratenkönig Ruffy höchst persönlich bewiesen, dass jede Teufelskraft nur so stark wie ihr Nutzer ist?“

Plötzlich wurde James von einem hellen Lichtblitz geblendet und kurz darauf spürte er den Arm Strikes, der sich wie ein Schraubstock um seinen Hals legte und ihm die Luft abschnürte. Flüsternd sprach der Vizeadmiral ihm ins Ohr: „Wenn du Karriere in der Marine machen willst, musst du verdammt viel Dreck fressen, Kleiner. Ich sollte dich für diesen Angriff vors Marinegericht zerren. Hast du ein Glück, dass ich dich so verdammt gut leiden kann.“

Der von James erzeugte Wind flaute ab und im gleichen Maße ließ Strike von seinem Gegner ab.

„Sag mir…,“ keuchte James, der noch immer den immensen Druck auf seine Kehle zu spüren glaubte, „…wieso interessiert sich die Marine so sehr für Tyke?“

„Tut sie nicht,“ begann Strike zu antworten, als ein erneuter Lichtblitz aufzuckte und der blonde Mann vor der Schiffstür, die ins Innere des Schiffes führte, stand: „Sie interessieren sich lediglich für Monkey D. Loris.“

Nachdem der Vizeadmiral im hölzernen Leib des Schiffes verschwunden war, blickte James nachdenklich in den sich verdunkelnden Himmel.

„Es zieht Regen auf… Wenn meine Vermutung stimmt, wird die Marine bald einen schweren Verlust erleiden müssen…,“ anschließend blickte er zu der Tür, durch die Strike verschwunden war, „Für die Karriere Dreck fressen, hm? Dafür mag ich den Geschmack zu wenig…“
 

*Auf Acidem*
 

„Okay! Setzt die Segel. Lichtet den Anker. Volle Fahrt voraus,“ befahl Aisuru energisch und sofort ging die kleine Mannschaft, um den rothaarigen Piraten Tyke, den Befehlen nach. Schließlich galt es nicht nur vor der Marine zu fliehen, sondern auch in Richtung ihres nächsten Abenteuers zu segeln.

Doch diesmal in ihrem eigenen Schiff.

Acidem war ein wahrer Glücksgriff für den Rotschopf gewesen, der für seine Bande gleich zwei neue Freunde hatte ergattern können und während die Bewohner der Insel die Truppe verabschiedeten, überlegte Tyke bereits, welche Position sie als nächstes belegen sollten, bevor sie in Richtung Grand Line segelten.

Ein ganz normaler Tag

*Vor 9 Jahren irgendwo auf dem West Blue*
 

„Schlaf nicht ein,“ meckerte Nemo auf seinen Sohn, der an seinem Platz in Reich der Träume entflohen war und nun ruckartig aufschreckte.

„Wuah! Was soll das denn? Ich bin müde.“

„Du kannst später schlafen.“

„Du lässt mich seit drei Tagen nicht schlafen,“ konterte der kleine Rotschopf beleidigt.

„Ja, weil du dir noch immer nicht die grundlegendsten Dinge merken kannst.“

„Wozu soll ich wissen, wer in der Marine an der Macht ist? Bis ich zur Marine komme hat sich das doch eh wieder geändert.“

„Egal, du musst es wissen, weil ich es will. Wenn man der Marine dient, muss man auch wissen, wie sie aufgebaut ist. Also?“

Seufzend begann Tyke zum mindestens hundertsten Mal seinen Text aufzusagen, wie ein Mantra welches ihn vor Unheil zu schützen habe. Vielleicht stimmte das sogar, denn es würde ihm beim richtigen Aufsagen zumindest vor der Wut seines Vaters schützen: „Zehn Jahre nach dem ‚Niedergang’ der alten Ordnung der Weltregierung, versammelten sich die 180 Länder, welche unter ihr einst versammelt waren, und schlossen ein neues Bündnis. Sie ernannten zwölf Abgeordneten und gründeten die ‚neue Weltregierung’. Ein Abgeordneter für jeweils einen der Blues, vier für die erste Hälfte der Grand Line und vier für die Neue Welt. Die Marine hat sich inzwischen von der ‚neuen Weltregierung’ losgelöst. Zwar ernennt die ‚neue Weltregierung’ die Gesetze und die Marine passt auf, dass sie umgesetzt werden, doch nimmt die Marine keine direkten Befehle mehr von der ‚neuen Weltregierung’ oder den Weltaristrokraten an. Aus diesem Grund erschuf die ‚neue Weltregierung’ zum Schutze Mary Joas eine Sondereinheit mit dem Namen: ‚Herkules-Wächter’. Die Marine erhöhte unterdessen auch die Anzahl an Admirälen auf vier und vor zwei Monaten schlug ein junger Seekadett ein System vor, um die schnelle Wahl eines neuen Admirals zu ermöglichen. Seit dem bestimmt jeder Admiral einen persönlichen Assistenten, der beim Tod des Admirals oder bei seinem Austritt aus der Marine, seinen Platz einnimmt. Der Seekadett mit dem Namen Lester Stacks wurde dafür auch befördert. Für die Weltaristrokraten bedeutet dieses neue System, den schlimmsten Statusverlust, da sie nun nicht mehr berechtigt sind einen Admiral aus persönlichem Wunsch heraus direkt zu sich zu beordern. Auch die Dienste der ‚Herkules-Wächter’ werden ihnen verwehrt. Angeblich seien sie nun dabei ihre eigene Privatarmee zum Schutz aufzubauen.“

„Endlich hast du es begriffen,“ meinte sein Vater und für einen kurzen Moment, glaubte Tyke Stolz in der Stimme seines Vaters zu hören, „Und wie heißen die momentanen Admiräle?“

„Ähm… Admiral ‚schwarze Schildkröte’, Admiral ‚weißer Tiger’, Admiral ‚blauer Drache’ und Admiral ‚roter Vogel’.“

„Haha! Ich wusste doch, dass es nicht so schwer sein könne, sich diese einfachen Fakten zu merken! Also weiter im Text. Kommen wir zur neuen Aufteilung der einstigen Drei-Macht auf den Meeren…“
 

*Drei Tage nach der Abfahrt aus Acidem – Gegenwart*
 

Lautes Scheppern riss Tyke aus seinem Traum und verschlafen meinte er zu sich selbst noch: „Tja Paps… ‚Blauer Drache’ ist nicht mehr… An seine Stelle trat nun ‚purpurne Spinne’.“

Er hatte die Worte schon ausgesprochen, bevor er überhaupt realisierte, dass er nicht vor seinem Vater saß und, wie so oft in seiner Kindheit, über die Struktur der Welt ausgefragt wurde, sondern an Deck seines eigenen Schiffes lag und das Geschepper – welches ihn geweckt hatte – aus der Kombüse zu kommen schien.

„Mach dich vom Acker, Blaubeere,“ schrie Nina wütend und beförderte den Navigator eigenhändig aus ihrem privaten kleinen Reich hinaus aufs Deck.

Es gab einen lauten Knall, als der ehemalige Magier auf das Schiffsdeck krachte und dort kurz benommen liegen blieb. Zum Glück war das Holz nicht ganz so hart, denn als July den Schrei der Smutje gehört hatte, hatte sie eine dichte Schicht Moos auf dem Deck wachsen lassen, um den Fall Aisurus abzufedern. Eigentlich sollte bereits eine dünne Schicht Rasen auf dem Deck wachsen – Tyke war begeistert gewesen, wie ihr neustes Mitglied July die Stadt mit ihren Blumen verschönert hatte, weshalb er sie gebeten hatte auch das Schiff ein wenig ‚gemütlicher’ zu gestalten – jedoch hatte July noch nicht die Zeit dazu gefunden sich darum zu kümmern.

„Danke,“ stöhnte Aisuru leise, als er sie erblickte, wie sie aus ihrem kleinen Behandlungszimmer blickte, um sich zu vergewissern, dass ihm nichts schlimmes passiert war. Doch war sie direkt verschwunden, als sie seinen Dank hörte. Sie brauchte noch ein wenig Zeit um sich an ihn zu gewöhnen – hoffte er.

„Und? Hast du etwas abstauben können?,“ fragte Tyke verschlafen, jedoch bereits wieder lachend. Manchmal fragte Aisuru ob Tyke überhaupt wusste, was es bedeutete ‚schlecht gelaunt’ zu sein. Während der Rotschopf beinahe von einem Ohr zum Anderen grinste, stand er auf, streckte sich genüsslich und ging anschließend zu seinem ersten Crewmitglied hinüber, welcher noch immer alle Viere von sich streckend auf dem Deck lag.

„Sehe ich so aus? Wieso versuchst du nicht selbst etwas aus der Kombüse zu stibitzen?“

„Du schaffst das schon irgendwann. Am Anfang hat mich Kouji auch immer geschnappt.“

„Kouji?,“ wiederholte Aisuru den Namen verwirrt.

„Der Smutje auf Loris’ Schiff.“

„Trauerst du der Zeit auf seinem Schiff hinterher?“

„Nicht unbedingt. Klar hatte ich eine tolle Zeit auf seinem Schiff, mit ihm und seiner Bande, aber ich wollte schon immer meine eigenen Abenteuer erleben. Dennoch konnte ich an Loris Seite Erfahrungen sammeln. Ich weiß also schon einiges über die Grand Line, während die meisten anderen Piraten unwissend dorthin segeln und innerhalb kürzester ausgelöscht werden. Wir haben also einen gewissen Vorteil.“

„Da bin ich doch froh auf deinem Schiff gelandet zu sein,“ meinte Aisuru nun auch grinsend und sich aufsetzend, „Sag einmal. Du wolltest damals ja nicht noch ein bisschen was über dich erzählen, aber eines wüsste ich dann doch gerne. Wieso bist du so vernarrt in Raben?“

Erst weiteten sich Tykes Augen vor Überraschung ein wenig, ehe er lachen musste und antwortete: „Weil ich einen Raben hatte, als ich bei Loris war. Der war verdammt schlau und hat den Rest der Bande echt genervt. Loris meinte immer, dass wir Brüder sein könnten. Er hat mich schon vor dem Erscheinen des Rabens immer mit diesen Tieren verglichen.“

Aisuru spürte, dass Tyke nicht die ganze Geschichte erzählen wollte und beließ es daher erst einmal dabei. Vielleicht würde sein Kapitän zu einem späteren Zeitpunkt von sich aus, mehr über diesen Raben erzählen, der ihn scheinbar so stark beeinflusste.

„Als ich die Bande schließlich verließ, gab mir Loris den Namen Raven D. Tyke. Meinen neuen Namen. Eigentlich müsste mir die Geschichte peinlich sein, aber na ja, so bin ich einfach damals gewesen.“

„Und wie kamst du an deine Teufelskraft?“

„Auf einem seiner Beutezüge…,“ als Tyke Aisurus verwunderten Blick sah, fügte er schnell hinzu, „Loris hat immer nur andere Piraten ausgeraubt. Das ist mitunter einer der Gründe, warum man an ihn mit dem Vorschlag ein Samurai zu werden herantrat. Jedenfalls auf einem der Beutezüge hatte Kóbushi – wiederum einer von Loris’ Leuten – eine kleine Schatzkiste gefunden. Wir nahmen sie mit und als wir sie öffneten, fanden wir eine seltsame Frucht darin. Loris erkannte sie sofort als Teufelsfrucht. Da er bereits Teufelskräfte besaß, erlaubte er jedem in seiner Bande die Frucht zu essen, wenn er oder sie solche Kräfte wollten. Doch bis auf mich hatte schon jeder eine Kraft mit der er sich einen Namen gemacht hatte. Sei es nun rein körperlicher oder bereits teuflischer Natur. An dem Tag sah ich meine Zeit gekommen, mich selbstständig zu machen als Piratenkapitän.“

„Also hast du die Frucht gegessen?“

„Ja.“

„Du hast aber nicht sofort die Bande danach verlassen.“

„Nein, weil wir zu der Zeit auf der Grand Line waren. Loris fragte mich auf welchem Blue ich meine Reise beginnen wolle und dorthin segelten wir anschließend. Ich wollte nämlich in meiner Heimat, dem West Blue, beginnen. Wie ist es eigentlich mit dir? Über dich weiß ich eigentlich auch nicht allzu viel.“

„Hmm… Ursprünglich komme ich aus dem South Blue. Ich verlor in jungen Jahren meine Familie und schlug mich danach irgendwie durch. Bis ich meinen Meister traf.“

„Powell Sullivan,“ meinte Tyke, denn der Blauhaarige hatte diesen Namen bereits einmal erwähnt.

„Genau. Er war ein toller Mann. Dank ihm hat sich mein Leben zum Besseren verändert.“

„Hey, Leute. Schaut mal her,“ ertönte die Stimme von Nina, die aus der Kombüse trat, mit einer seltsamen Frucht in der Hand.

„Was ist das?,“ wollte Airusu wissen.

„Keine Ahnung, es lag bei dem ganzen Proviant. Diese Frucht sah ich schon im Arbeitszimmer von Julys Vater.“

„Ach, von der ich dir abgeraten hatte, sie zu essen?“

„Ja,“ antwortete Nina genervt und blickte anschließend zu July, welche vorsichtig aus ihrem Zimmer trat.

Die Erwähnung ihres Vaters in Zusammenhang mit einer Frucht musste sie herausgelockt haben.

„Otou-san muss sich erneut eine gekauft haben.“

„Was gekauft?,“ fragten Aisuru und Nina gleichzeitig, doch anstatt der blonden Ärztin antwortete Tyke mit ernstem Blick: „Eine Teufelsfrucht. Man erkennt sie mitunter an den seltsamen Muster auf der Schale.“

„Hö?,“ kam es von dem Blauhaarigen, gleichzeitig ergriff Nina die Frucht lieber mit beiden Händen und war froh, damals nicht von ihr gekostet zu haben.

„Ob deine Eltern sie uns als Geschenk hinterlassen haben?,“ mutmaßte Nina nachdenklich.

„Ich denke nicht. Otou-san wollte unbedingt eine in seinen Besitz bringen. Er ist ein Sammler und eine Teufelsfrucht sollte das Prunkstück seiner wild zusammen gewürfelten Sammlung exotischer Objekte werden. Freiwillig hätte er sie uns sicher nicht überlassen.“

„Ich bringe die mal lieber in Sicherheit.“

Gerade als Nina wieder in die Schiffskombüse eintreten wollte, meinte Tyke: „Aisuru, Nina. Diese Frucht ist mehrere Millionen Berry wert,…“

Erneut sprachen die Gesichter der beiden Angesprochenen Bände. Ihnen war bewusst, dass eine solche Frucht wertvoll war, aber derartig wertvoll?

„… doch auf einem Piratenschiff gilt ein besonderes Gesetz: Wer möchte, darf eine erbeutete Teufelsfrucht jederzeit essen.“

„Nein danke, ich habe nicht umsonst zwei gesunde Beine.“

Mit diesen Worten betrat die Rothaarige endgültig die Kombüse und auch Aisuru lehnte dankend ab: „Mein Meister würde es mir nie verzeihen, wenn ich anstatt meines Körpers mit übermenschlichen Kräften kämpfe. Er predigte immer ein Mann habe mit seinen eigenen zwei Fäusten zu kämpfen.“

Entspannt flappte sich der Blauhaarige daraufhin auf dem Schiffdeck hin und ließ die Sonne auf seinen Pelz brennen. Tyke tat es ihm gleich, weshalb July sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen konnte. Da ihr jedoch langweilig war, entschied sie sich zu Nina zu gehen.
 

*Währenddessen auf Acidem*
 

„Waaaaas?!,“ schrie Matsu aufgebracht und blickte zu seiner geliebten Gattin, welche ihm seine eigene kleine Hiobsbotschaft übermittelt hatte.

„Ich habe sie ihnen geschenkt. Ich will nicht, dass May auch versehentlich von ihr kostet. Julys Kräfte waren gut, aber wer weiß, was diese neue Frucht bewirkt.“

„Aber ich habe soviel Geld für sie bezahlt.“

„Dann hör endlich mit dieser Besessenheit auf. Mir kommt keine Teufelsfrucht mehr ins Haus und da ich mir gedacht habe, dass Julys Freunde sie besser nutzen können, habe ich sie mit dem Proviant in ihre Kombüse bringen lassen.“

„Welch grausame Welt…“
 

*Inzwischen in der Kombüse der Dragonfly*
 

„Oh, July,“ meinte Nina überrascht, als sie sah, dass die blonde Ärztin die Küche betreten hatte.

Schnell versteckte sie den Kochlöffel hinter ihrem Rücken, mit dem sie bereits hatte werfen wollen, in der Annahme, dass erneut Aisuru oder vielleicht sogar Tyke versuchten sich in die Kombüse zu schleichen, um etwas Essbares zu stehlen. Dabei waren sie nicht einmal sonderlich verfressen. Ihrer Ansicht nach, wollten die Beiden sie nur ärgern. Oder vielleicht auch einfach nur testen? Sollte sie das als Training verstehen?

„Was machst du denn hier?“

„Na ja, ich habe die Heilkräuter in meinem kleinen Versorgungszimmer fertig gegossen und bereits alles eingerichtet. Da dachte ich mir – bevor ich mit der Schiffsgestaltung beginne –, dass ich vielleicht schauen sollte was ihr so macht. Und da Aisuru und Tyke nur faul auf dem Deck herum liegen, hatte ich gehofft dass es bei dir spannender sei.“

„Was? Die liegen einfach nur auf dem Deck herum? Ich bin gleich wieder bei dir.“

Schnellen Schrittes rannte sie zur Kombüsentür, riss diese auf und warf den beiden Jungs der vierköpfigen Piratenbande lautstark an den Kopf: „Ihr faulen Säcke! Wenn ihr nichts zu tun habt, dann versucht euer Glück beim Angeln. Damit könnten wir unsere Vorräte etwas aufsparen. Also hoch die Ärsche!“

„Ja, Ma’am,“ kam prompt die Antwort von draußen, woraufhin sich die Rothaarige wieder in ihr kleines Reich zurück zog.

„Tut mir Leid,“ entschuldigte sich Nina kurz bei ihrem neusten Mitglied und entschied, dass sie eine Tasse Kaffee bräuchte. „Möchtest du auch etwas?“

„Nein, danke.“

Schnell verstaute Nina die Teufelsfrucht im Vorratsraum des kleinen Schiffes und machte sich anschließend daran sich eine starke Tasse Kaffee zu brühen.

„Sag mal… Ich wollte dich das schon auf deiner Heimatinsel fragen, kam aber irgendwie nicht dazu. Deine Krankheit ist nicht vollkommen kuriert, oder?“

„Nein. Ich nehme Medikamente, damit sie unterdrückt wird.“

„Und was passiert, wenn du einmal vergisst sie zu nehmen oder nicht in der Lage dazu bist?“

„Dann bricht meine Krankheit wieder aus. Leider dann in einem viel schnelleren Tempo, als es eigentlich üblich wäre. Es würde dann in drei Stufen verlaufen, wobei das nur theoretische Annahmen sind. Doktor Mush und ich konnten es ja schließlich nicht ausprobieren und wollten es auch nicht.“

„Verständlich.“

„Nach etwa einer Stunde treten die ersten Symptome auf. Dabei handelt es sich um eine schlechtere Wahrnehmung durch meine Sinne. Mein Blick würde unscharf werden, mein Gehört würde mir falsche Informationen liefern. Solche Kleinigkeiten eben. Nach zwei bis drei Stunden würde es sich dann verschlimmern. Ich würde zunehmend Probleme haben meinen Körper zu kontrollieren. Mich richtig bewegen können. Und nach schätzungsweise fünf Stunden…,“ sie sprach den Satz zwar nicht zu ende, doch Nina verstand was gemeint war, „Nach Ausbruch der ersten Symptome habe ich ca. drei Stunden, um mein Medikament wieder einzunehmen. Also ungefähr bis zum Erscheinen des zweiten Symptoms. Danach ist die Wirkung des Medikamentes nicht mehr ausreichend, um meine Krankheit wieder einzudämmen.“

„Und wie oft musst du deine Medikamente einnehmen.“

„Zweimal am Tag reicht vollkommen aus.“

„Das geht ja noch,“ stellte Nina fest und goss sich den heißen Kaffee aus der Kanne in eine weiße Tasse ein. Genüsslich roch sie an dem dunklen Getränk und seufzte bei dem köstlichen und starken Duft des Kaffees.

„Gibt es ein Grund, warum du Köchin wurdest?“

„Der Mann, der mich vor dem Tod bewahrte, war ebenfalls ein Koch. Ich wollte so werden wie er. Eine Köchin der Marine und gleichzeitig ein wichtiges Mitglied derselbigen. Doch als Tyke auftauchte, erkannte ich wo meine Wurzeln waren und wohin ich wirklich gehörte.“

„Ist dein Lehrmeister nicht sauer deshalb geworden?“

„Nein, er freute sich für mich. Ich denke er hatte das gewollt.“

„Hat er dir auch das Kämpfen beigebracht?“

„Ja. Er sagte ich solle den Kampfstil meines Vaters lernen und brachte mir diesen bei.“

„War dein Vater Pirat?“

Wieder bejahte Nina die Aussage. Nachdem sie einen kräftigen Schluck ihres Getränkes genommen hatte, setzte sie sich zu July an den Tisch.

„Mein Vater war auch Koch. Obwohl er das lieber verheimlichte. Er hatte es von seinem Vater gelernt, genauso wie das Kämpfen. Mein Großvater habe ihm gegenüber immer gepredigt, dass für einen Koch nichts Wichtigeres als die Hände gebe. Sie in einem Kampf zu verletzen war für meinen Großvater ein Ding der Unmöglichkeit. Daher brachte er meinem Vater den Kampf mit den Füßen bei. Doch dann gab es wegen der Kochkunst zwischen ihnen Streit und… Nun ja, danach wollte mein Vater kein Koch mehr sein, sondern nur noch Pirat. Irgendwie hat mich das Kochen, die See und das Kämpfen mein Leben lang begleitet.“

„Du scheinst dich noch sehr gut an deinen Vater erinnern zu können.“

„Ja, er war ein Mann, den man nicht allzu schnell vergaß. Er hat mir vieles erzählt. Vor allem über meinen Großvater. Nur waren die Beiden zu stur sich auszusöhnen.“

„Haben dein Vater und dein Lehrmeister beide von deinem Großvater ihre Fähigkeiten erworben? Ich meine, wenn beide Köche waren und denselben Kampfstil besaßen.“

„Soweit ich weiß nicht. Mein Vater hat, wie bereits erwähnt, alles was er wusste von meinem Großvater gelernt. Vizeadmiral Ne Lasag, mein Lehrmeister, dagegen soll sein Wissen von einem Meisterkoch aus dem East Blue, wenn ich mich nicht irre, haben. Aber dennoch habe ich manchmal das Gefühl, dass es zwischen ihnen allen eine Verbindung gab, die ich bloß nicht kenne…“

„Ein Meisterkoch aus dem East Blue? Mir fallen da nur die Köche des Baratie ein.“

„Das Baratie?“

„Ja. Meine Eltern, meine Schwester und ich waren dort etwa vor vier oder fünf Jahren einmal gewesen und haben dort gegessen. Es ist ein Schiffsrestaurant. Das Einzige auf der ganzen Welt. Der Besitzer soll ein ehemaliger Pirat und schon uralt sein. Seine Köche und auch die Kellner haben darüber Späße gemacht. Ich habe die Witzeleien eher zufällig aufgeschnappt, aber irgendwie nie vergessen können. Vielleicht weil ich den Besitzer, sollten die Witze über ihn auch nur halbwegs stimmen, für seine Einstellung bewundere. Sie meinten nämlich er weigere sich zu sterben, weil es nur einen Mann gebe, dem er sein Restaurant vermachen wolle, doch wüsste er nicht wo sich dieser befände. Ich glaube der Name des Besitzers war Geff oder Jeff, irgendwas in diese Richtung.“

„Hmm… Der Name kommt mir sogar irgendwie bekannt vor. Ich habe ihn schon einmal gehört… Aber ich weiß nicht, ob Ne Lasag von ihm gesprochen hat.“

Plötzlich wechselte July das Thema: „Was denkst du wohin wir als nächstes kommen werden?“

„Im Moment lassen wir uns ja nur treiben. Von daher heißt es wohl abwarten und Kaffee trinken.“

Demonstrativ erhob sie ihre Tasse mit dem schwarzen Inhalt und schüttete sich den Rest der Brühe in den Hals, als lautstark Tykes Stimme ertönte: „Ich hab was! Ich hab was!“
 

*Währenddessen im Marine Hauptquartier auf der Grand Line*
 

„Ich freue mich, dass du Zeit für mich gefunden hast.“

Der großgewachsene Mann mit weißem Rauschebart, welcher es sich auf dem Sessel im Büro gemütlich gemacht hatte, drehte sich leicht zur Seite und konnte sich ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen. Er hielt offenbar etwas in der Hand.

„Wie könnte ich nicht kommen, wenn du mich rufst? Schließlich ist das ein seltenes Vergnügen.“

„Haha, verzeih mir, aber leider bin ich zu einem Bürohengst ‚befördert’ worden. Die Zeiten wo wir es uns auf dem Meer vergnügt haben, sind für mich leider beendet. Was hast du da?“

Der Mann erhob seine Hand, in welcher er eine Zeitung hielt, während sich sein Gesprächspartner auf seinen Sessel gemütlich machte.

„Du bist also über Tyke informiert?“

„Seit Vizeadmiral Nemo offiziell als ‚Vermisst’ gilt, habe ich jeden Tag auf die Rückkehr seines Sohnes gewartet.“

„Du kannst dir dann vermutlich denken, warum ich dich sehen wollte.“

„Du willst Tyke sehen.“

„Ja, leider ist es schwer ihn ausfindig zu machen. Uns beiden ist aber klar, dass er eine bestimmte Insel definitiv besuchen wird.“

„Und dort willst du ihn erwarten?“

„Ja.“

„Also soll ich dich dorthin bringen?“

„Ganz genau.“
 

*Gleichzeitig an Deck der Dragonfly*
 

Gelangweilt blickten Tyke und Aisuru aufs Meer hinaus. Die Angelruten ruhten in ihren Händen, doch die Fische weigerten sich vehement auch nur daran zu knabbern. Aus diesem Grund und vielleicht auch weil sie von der Langeweile dazu getrieben worden waren, hatten sie die Chance genutzt ein wenig zu trainieren. Während Aisuru mit der linken Hand einen Handstand auf der Rehling vollführte – die Angel in der anderen, noch verletzten Hand haltend – und dabei vorsichtig Handstandbeugen vollführte, hatte Tyke den Inhalt seines Beutels ausgeschüttet und aus den Eisenspänen Hände geschaffen, die statt seiner die Angel hielten. Beiden sah man die Anstrengung deutlich an. Bei dem Einen war es die körperliche und beim Anderen die geistige.

„Sag mal, woher kommen immer wieder diese Tauben, die du aus deinem Hemd platzen lässt?“

„Kannst du ein Geheimnis für dich bewahren?“

„Klar.“

„Meine Brust ist ein Portal zur Welt der Tauben und immer wenn ich sie brauche, eilen sie mir zur Hilfe. Dieses Portal bekam ich durch einen Pakt mit einem dämonischen Gott, welcher in der neuen Welt über das Meer regiert.“

„Echt jetzt?“

„Bist du wirklich so ein blöder, naiver Hohlschädel?!,“ schrie Aisuru wütend.

Lachend antwortete Tyke: „Nö, aber es klang trotzdem cool“

„Manchmal weiß ich echt nicht, was ich von dir denken soll.“

Das Thema wechselnd, meinte der Rotschopf mit einem Male: „Vielleicht benutzen wir den falschen Köder.“

„Wir haben überhaupt gar keinen Köder,“ erinnerte Aisuru seinen Käpt’n.

„Das mein ich damit. Kein Köder, ist total der falsche Köder. Wir bräuchten schmackhafte Würmer, fette Maden oder irgendetwas dergleichen.“

„Schmackhaft? Hast du die schon gekostet oder woher willst du das wissen?“

Ehe Tyke zu einer Antwort ansetzen konnte, warf Aisuru schnell ein: „Schweig lieber. Das ist eine Information, die ich im Grunde gar nicht haben will.“

Beleidigt blickte Tyke wieder auf die Angelschnur, als diese ohne Vorwarnung zu zucken begann. Schnell ließ er die Eisenhände zu sich fliegen und nahm die Angel lieber selbst in die Hand. Wenn er etwas fing, wollte er es mit seinen eigenen Händen schaffen und nicht mit denen die er, dank seiner Teufelskraft, geschaffen hatte. Kurz darauf spürte er, wie etwas kräftig an dem Haken zog. Aufgeregt rief er: „Ich hab was! Ich hab was!“

„Lass den jetzt nicht entkommen. So wie der zieht, ist das ein Riesen Brocken!“

Auch Nina und July stürmten – durch Tykes Rufe aufgeschreckt – aus der Kombüse hinaus und eilten zu ihren beiden Freunden herbei. Schon von weitem sah die Smutje dabei, wie Tyke mit seinem Fang zu kämpfen hatte und zwei fliegende Fäuste aus Eisen ihren Kapitän bei seinem Fischkampf anfeuerten. Wer’s nötig hat…

„Tyke, wehe der entkommt dir!“

„Nichts da,“ meinte dieser, stemmte sich mit den Füßen gegen die Rehling und zog so kräftig er konnte.

Mit einem Mal löst sich der Zug am anderen Ende und der Rotschopf knallte rücklings auf das Deck, während sein Fang im hohen Bogen auf ihn zuflog.

Es war… eine Flasche?!

Der Schatz auf Varekai

Noch rechtzeitig schaffte Tyke es sich zur Seite zu rollen, als die Glasflasche auch schon auf den Holzplanken aufprallte und in tausend Stücke zersprang. Zum Glück wurde keiner der Vieren von den umher fliegenden Glasscherben getroffen oder gar schwer verletzt.

„Einen tollen Fang hast du da gemacht. Was ist bitte schön so schwer daran eine Flasche aus dem Meer zu ziehen?,“ motzte Nina aufgebracht.

„Vielleicht hing sie irgendwo fest?,“ mutmaßte Aisuru dagegen.

Tyke aber, der sich inzwischen aufgerichtet hatte, entdeckte inmitten der Scherben ein vergilbtes Blatt Papier. Als er es ergriff, bemerkten auch die Anderen den Fund und versammelten sich gespannt hinter ihrem Kapitän, der das zusammengerollte Pergament auseinander wickelte.

„Eine Schatzkarte!,“ kam es freudig von allen Seiten.

Tyke dagegen meinte nur höhnisch an seine Smutje gewandt: „Japp, ich habe einen Spitzenfang gemacht…“

„Ist ja gut.“

„… Mit dem Schatz brauchen wir nun auch nicht mehr Aisuru an die Marine zu versetzen.“

„Klappe oder du landest gleich im Meer!,“ schrie der Blauhaarige, der jedoch seinen Kapitän nicht ergreifen vermochte, da July in weiser Voraussicht aus dem Deck zwei Äste wachsen gelassen hatte, die den Navigator nun davon abhielten auf Tyke loszugehen.

„Sag mal,“ meinte dieser jedoch an seinen Navigator gewandt, „Kenn du eine Insel namens Varekai?“

„Öhm, ja. Die ist hier ganz in der Nähe. Ich würde sagen vielleicht zwei oder drei Stunden entfernt, wenn der Wind günstig steht. Wieso?“

Anstatt zu antworten reichte der Rotschopf dem Blauhaarigen die Schatzkarte und als Letzterer sie sich genauer ansah, bemerkte er dass neben der Zeichnung einer Insel in malerischen Buchstaben das Wort ‚Varekai‘ zu lesen war.

„Hmm, die Insel ist relativ klein, weshalb niemand dort lebt. Ein guter Platz also, um einen Schatz zu verstecken,“ erklärte Aiuru und machte sich auf, mit der Karte in der Hand, den neuen Kurs zu berechnen.
 

*Inzwischen auf einer Insel ganz in der Nähe*
 

„Seid ihr euch ganz sicher?,“ fragte die düstere Gestalt, die beiden Matrosen.

„Ja, wenn wir es dir doch sagen. Die Legende vom großen Varekai-Schatz existiert schon seit Jahren bei uns, doch noch Niemand hat die ominöse Schatzkartenflaschenpost bisher gefunden. Manche sagen die Flasche sei längst untergegangen. Wieder andere sind der Meinung, dass die Flasche vielleicht an einen Strand gespült wurde und dort unter dem Sand nun verborgen läge. Nur die Wenigsten glauben, dass sie seit nun gut dreißig Jahren auf dem Meer treiben soll,“ sprach der dickere der beiden Matrosen.

„Wieso interessiert du dich eigentlich so sehr für die Legende?“

„Ich bin ein Schatzsucher. Mich interessieren alle Legenden von Schätzen,“ sprach der Angesprochene und strich über seinen Drei-Tage-Bart.

„Willst du etwa ganz Varekai nach dem Schatz absuchen?“

„Wieso nicht, wenn es ihn geben soll?“

„Na weil das schon einer versucht hat,“ meldete sich wieder der Dickere zu Wort.

Überrascht blickte der Fremde ihn an und fragte: „Ach ja? Wirklich? Und wer soll das gewesen sein?“

„Der alte Migon. Es heißt er habe die ganze Insel nach dem Schatz umgegraben und ihn nie gefunden. Er soll noch immer auf Varekai leben und inzwischen verrückt geworden sein. Manche sagen sogar, dass wenn man bei Nacht zu nah an der Insel vorbei fährt, man seine klagenden Laute hören könne. Kaum einer traut sich daher noch auf die Insel,“ erklärte der hagere, längliche Matrose und trank einen kräftigen Schluck Grog.

„Dann will ich doch einmal diesen Migon besuchen,“ meinte der Schatzsucher mit einem breiten Grinsen und warf den beiden Matrosen einen kleinen Beutel auf den Tisch. „Danke für die Informationen.“

Gierig schnappte sich der Dicke den Beutel und griff nach dem Geld im Inneren. Freudig zog er ein Bündel Scheine heraus, doch als er sie durchzählte, verzog sich sein Gesicht zu einer wutverzerrten Fratze.

„Hey, willst du uns etwa verarschen?! Das ist ja nicht einmal die Hälfte der vereinbarten Summe!“

Die beiden Matrosen standen auf und zogen ihre Schwerter, doch ehe sie auf den Fremden losgehen konnten, traf sie etwas Hartes und schleuderte sie direkt durch die Wand aus dem Gebäude hinaus. Dort blieben die Beiden schwer verletzt liegen, während der Schatzsucher nur spöttisch meinte: „Seit mit dem zufrieden, was ihr kriegt.“
 

* * * * *
 

„Land in Sicht,“ rief Tyke aufgebracht, als er am Horizont eine kleine Insel ausmachen konnte.

Nina trat aus der Kombüse heraus, während auch July ihr Behandlungszimmer verließ. Unterdessen kletterte Tyke so schnell es ihm möglich war aus dem Krähennest, um sich zu seinen Freunden gesellen zu können.

„Ist das Varekai?,“ fragte July.

„Vermutlich,“ mutmaßte dagegen Nina und brachte das Handtuch, mit dem sie ihre Hände abgetrocknet hatte, schnell wieder in die Kombüse.

Inzwischen gesellte sich auch Aisuru zu seinen Freunden und blickte durch ein Fernrohr zur Insel hinüber.

„Woher hast du das denn?!,“ fragte Tyke neugierig.

„Ein Geschenk von Julys Vater, da ich ja euer Navigator bin. Okay, das ist Varekai, wir haben unser Ziel erreicht. Und nun?“

Alle Blicke ruhten auf Tyke, welcher die Hand ausstreckte und darauf wartete, dass Aisuru ihm die Schatzkarte zurückgab. „Und nun werden wir die Insel erkunden.“

„Muss nicht jemand auf dem Schiff zurück bleiben und drauf aufpassen?,“ fragte Nina skeptisch.

„Auf der Insel lebt niemand,“ meinte Aisuru, „Weshalb dies wohl nicht nötig sein wird. Außerdem macht so eine Schatzsuche doch nur in der Gruppe Spaß, nicht wahr Käpt’n?“

„Ganz genau!“

Nachdem das Schiff eine seichte Stelle kurz vor dem Inselstrand erreicht hatte, ließ Aisuru den schweren Anker hinab, damit ihr kostbares Schiff nicht von den Wellen ergriffen und dadurch hinaus aufs Meer getrieben würde. Anschließend streute July einige Samen ins Meer, schloss kurz ihre Augen und streckte ihre Hand aus. Plötzlich durchstießen vier gigantische Seerosenblätter das Meerwasser und wuchsen bis zur Rehling empor. Mit spielerischer Leichtigkeit erklomm die Blonde eines der Blätter und lächelte von dort aus ihre Freunde an.

„Ich werde nicht so gerne nass.“

„Wow, das ist ja echt mal cool,“ meinte Tyke mit strahlenden Augen und sprang lachend auf eines der übrigen Blätter und hopste darauf herum, da er merkte, dass sie leicht federten.

„Okay, ich wusste von deinen Kräften, aber das… Wieso werden die Seerosen so riesig? Und wie können sie im Meer wachsen?,“ fragte Aisuru und Nina, die ebenfalls schon ein Seerosenblatt bestiegen hatte, meinte neckisch: „Was ist los? Zu feige?!“

„Klappe, du blödes Mannsweib!“

„Komm nur her, Blaubeere, wenn du Schläge suchst.“

„Ähm… erstens waren das Riesenseerosensamen, die kommen aus der Grand Line und können überall und unter den schwierigsten Bedingungen existieren, und zweitens sagt der Name ja bereits, dass sie größer als normale Seerosen werden. Zwar kann ich auch Pflanzen extrem vergrößern, aber alles hat seine Grenzen.“

Von der Antwort überzeugt, sprang Aisuru als Schlusslicht auf das letzte Seerosenblatt und plötzlich setzten sich diese in Bewegung. Oder besser gesagt, ihre Stiele wuchsen erneut. Dabei nahmen die Blätter Kurs auf den Strand und die drei Piraten um July erkannten sofort, dass auch dies von ihr verursacht wurde.

„Das ist cool! Huuui, hehe. Ich find diese Riesenblätter einfach nur genial,“ schrie Tyke lachend und July freute sich über die Begeisterung, die ihr Kapitän an den Tag legte, auch wenn es offensichtlich relativ einfach war ihn für etwas zu begeistern.
 

* * * * *
 

„Fremde sind auf meine Insel gekommen.“

„Du sie vertreiben musst, großer Migon.“

„Ich weiß, ich weiß. Sie wollen mir den Schatz wegnehmen.“

„Nur wir ihn dürfen haben.“

„Genau. Aber es ist schwer ihn zu finden, also müssen wir alle Anderen von der Insel jagen.“

„Du sie töten wirst?“

„Nein! Du weißt dass ich kein Mörder bin.“

„Dann du sie erschrecken musst. Du sie verjagen musst.“

„Das habe ich auch vor. Komm und hilf mir, Nigmo.“

„Du befehlen, ich befolgen.“
 

* * * * *
 

„Menno, müssen wir echt schon runter? Können wir mit ihnen nicht die Insel erkunden?“

Trotzig und mit verschränkten Armen, hockte Tyke auf seinem Seerosenblatt.

„Tut mir Leid. Ich kann sie nur bedingt größer werden. Auch die Riesenseerosen haben eine Wachstumsgrenze, selbst wenn ich diese ein wenig überschreiten kann,“ erklärte July entschuldigend.

Seufzend gab der Rotschopf damit nach, sprang auf den Strand und kramte die Karte heraus.

„Hier ist nur ein rotes Kreuz markiert. Öhm… wo sind wir gerade?“

„Gib mir lieber die Karte. Du scheinst mit so einem Ding genauso viel anfangen zu können, wie mit meinen Zaubertricks.“

„Hey, kann ich was dafür, dass du nicht richtig zaubern kannst?“

„Schnauze jetzt! Also, das Kreuz befindet sich ungefähr auf der anderen Seite der Insel. Wenn wir immer dem Strand entlang gehen, sollten wir…“

„Ab durch den Dschungel,“ meinte Tyke und ging voraus.

„Der Kerl will immer den kürzesten und vermutlich auch gefährlichsten Weg nehmen, oder?“

„Japp,“ kam es von den beiden weiblichen Crewmitgliedern und so folgten sie zu dritt ihrem Kapitän.

Dieser hatte aus seinen Eisenspänen bereits wieder sein Schwert geformt und schlug sich damit einen Weg durch das dichte Pflanzengestrüpp.

„Tyke, hör sofort auf damit!,“ schrie July weinerlich und sofort verpasste Aisuru ihm eine Links-Rechts-Kombination, die ihn KO zu Boden gehen ließ.

„Ich habe ihn für dich gestoppt, meine Teuerste,“ versuchte Aisuru hoffnungsvoll seinen Charme spielen zu lassen.

„Waaah!,“ entkam es jedoch July, woraufhin diesmal Nina zur Stelle war und ihrerseits den Navigator mit einem kräftigen Tritt auf den Kopf ins Reich der Träume beförderte.

„Danke.“

„Das tu ich jederzeit, und mit Freude, wieder.“

Nachdem Tyke und Aisuru sich wieder aufgerichtet hatten, schloss July erneut die Augen und legte ihre Handflächen aufeinander. Anschließend, und während sie die Augen langsam öffnete, zog sie diese wieder voneinander auseinander und im gleichen Rhythmus schoben sich die Dschungelpflanzen vor ihnen auseinander und gaben ihnen den Weg frei.

„July, die das grüne Meer teilt. Man, ich habe eine tolle Wahl mit dir getroffen. Und tut mir Leid, dass ich die Pflanzen zerhackt habe,“ entschuldigte sich Tyke reumütig, doch July macht eine wegwerfende Bewegung und meinte mit erhobene Handfläche: „Schon gut.“

Mit einem Mal wuchsen die von Tyke zerschlagenen Pflanzen nach. Erleichtert konnten sie schließlich ihren Weg fortsetzen. Während sich vor ihnen die Pflanzen teilten, schlossen sie sich hinter ihnen wieder zu einer gefährlichen und undurchdringlichen grünen Wand.

Unverhofft blieb die blonde Ärztin plötzlich stehen, woraufhin Tyke in das dichte Gestrüpp vor sich rannte und sich dort prompt verhedderte. Während Aisuru ihm heraus half, blickten alle fragend zu July.

„Was ist los?,“ fragte Nina.

„Wir werden beobachtet.“

Sofort spannten sich die Muskeln von Tyke, Aisuru und Ninas Körpern an. Sie waren augenblicklich in alarmbereitschaft und zudem auch kampfbereit. Doch ließen sie sich dies nicht anmerken.

Tyke fragend mit auf July ruhendem Blick: „Woher weißt du das?“

„Die Dschungelpflanzen sagen mir dies.“

„Die Dschungelpflanzen sprechen mit dir?“

„Sozusagen. Es ist ein einzelner Mann. Zirka fünf Meter links von uns.“

„Ich übernehme das,“ meinte Tyke und schüttete erneut seine Eisenspäne aus.

Der kleine Haufen setzte sich daraufhin in Bewegung, so als ob er von einer unsichtbaren Quelle immer wieder ein Stück angezogen würde. Doch war diese Bewegung weitaus geschmeidiger und fließender.

„Was hast du vor?,“ fragte gerade July, als aus einiger Entfernung bereits eine Stimme aufschrie: „Was zum…! Hilfe?! Was ist das? Waaah!“

Erneut schob July mit ihrer Kraft die Pflanzen zur Seite und eine abgemagerte, in Lumpen gekleidete Gestalt schwebte auf sie zu. Tyke hatte scheinbar hinter dem Beobachtenden seine Eisenhand erschaffen und sich damit den Fremden gepackt. Gar nicht mal so dumm, wie Aisuru und Nina im Geiste zugeben mussten.

„Wer sind sie?,“ fragte Tyke und begutachtete die Gestalt, welche ihn nur grimmig ansah.

Der Mann war gut einen Kopf kleiner, als er selbst und hatte verdreckte und verzottelte schwarze Haare, welche zu einem Zopf gebunden waren. Sein braunes, schmutziges Shirt reichte nur noch bis knapp über seinen Bauchnabel und war es nicht einmal mehr Wert als ein Fetzen Stoff bezeichnet zu werden. Genauso sah es mit der Hose aus, deren verschlissenen Enden gerade einmal bis zu den Knien reichten und die von einer grünen Liane als Gürtelersatz gehalten wurde. Der buschige, dichte Bart hätte sicherlich als Vogelnest durchgehen können.

„Sind sie hier gestrandet?,“ fragte Nina, da das Aussehen des Mannes diesen Schluss nahe legte.

„Nein, ich lebe freiwillig hier,“ begann der Mann zu erzählen und Tyke setzte ihn vorsichtig wieder ab.

„Mein Name ist Raven D. Tyke und das ist meine Crew.“

„Aisuru Casanova.“

„Nina,“ meinte die Smutje und schob das zweite Mädchen der Bande hinter ihrem Rücken hervor, damit auch sie sich vernünftig vorstellen könne.

„J-J-July Me-Me-Medica,“ kaum hatte sie ihren Namen ausgesprochen, verkroch sie sich auch schon wieder hinter Nina, die nur schwer seufzen konnte.

„Deine Crew? Ihr seht mir nicht wie Marinesoldaten aus. Seid ihr Piraten?“

„Der ist ja richtig gesprächig geworden,“ stellte Aisuru überrascht fest, woraufhin der komische Kauz sich zu ihm drehte und energisch meinte: „Verdammt, ihr habt mich reingelegt! Ab jetzt sage ich kein Wort mehr!“

Tyke dagegen beantwortete etwas verspätet die Frage: „Ganz genau. Wir vier sind Piraten. Und wer sind sie?“

„Das werde ich euch ganz sicher nicht sagen. Übrigens, mein Name ist Migon.“

„Sehr erfreut, Migon.“

„Woher weißt du meinen Namen?!,“ stieß dieser entsetzt hervor, „Mist… Ist mir das schon wieder passiert…?“

„Wieso leben Sie hier so alleine, Herr Migon?“

„Nur Migon, bitte. Ich bin gerade einmal dreiundzwanzig.“

Die Rabenpiratenbande sah sich das Gesicht Migons genauer an und meinten dann im Chor: „Das ist gelogen.“

„Verdammt… Sie haben es herausgefunden…Ihr seid ziemlich gut.“

Doch Nina hielt entgegen: „Und du ein ziemlich schlechter Lügner.“

„Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet,“ schaltete sich Tyke wieder ins Gespräch ein.

„Werde ich auch nicht, das ist ein Geheimnis. Übrigens, sucht ihr genau wie ich den Schatz auf dieser Insel?“

„Japp, wir haben sogar eine Schatzkarte,“ meinte Tyke grinsend.

„Verflucht… Ist mir das das schon wieder…,“ plötzlich fiel ihm Kinnlade bis zum Erdboden herunter und seine Augen quollen regelrecht aus den Höhlen heraus, womit er ein ziemlich groteskes Bild ergab: „Sagtest du eben, ihr habt die Schatzkarte?!“

„Japp, sagte ich,“ demonstrativ hob Tyke das vergilbte Stück Pergament empor und zeigte es Migon.

„Ich… Ich hätte nie gedacht… Dass es sie wirklich gibt…“

Als der seltsame Kauz die fragenden Blicke der Piraten bemerkte, erklärte er schnell: „Auf der Insel Fantas, eine Insel ganz in der Nähe, entstand vor vielen Jahren die Legende vom Varekai-Schatz. Keiner weiß wie er aussieht, es heißt aber dass er einer der größten Schätze unserer Welt neben dem One Piece sein soll. Dort jedoch glauben viele, dass die Legende ein Mythos oder eine Fantasiegeschichte ist. Denn der einzige mögliche Beweis, wurde nie wirklich gefunden. Es heißt nämlich auch, dass der Pirat, der den Schatz versteckte, eine Schatzkarte in eine Flasche gesteckt und sie anschließend ins Meer geworfen haben soll. Diesen Beweis haltet ihr gerade in den Händen. Die Schatzkartenflaschenpost habt ihr entdeckt. Viele dachten sie sei verloren gegangen, im Meer untergegangen oder jemand habe bereits den Schatz gefunden. Aber dies scheint alles nicht wahr zu sein. Nun weiß ich endlich, dass ich nicht umsonst die vielen Jahre auf der Insel nach dem Schatz gesucht habe. Er existiert wirklich. Es heißt im Übrigen auch, dass die Flaschenpost vor dreißig Jahren ins Meer geworfen worden sei. Und seit bereits zehn langen Jahren suche ich nun schon hier, nach diesem Schatz. Endlich hat sich die Mühe bezahlt gemacht.“

Tyke wurde hellhörig. Zwar bestand eigentlich kein Zusammenhang, doch vor über dreißig Jahren fand auch der Impel Down Vorfall statt, von dem ihm sein Vater – als der Rotschopf noch ein Kind gewesen war – berichtet hatte. Der Ort an dem der berühmte Strohhutschütze Lysop sein Leben verlor und an dem der weltbeste Schwertkämpfer endgültig besiegt worden war. Wieso wurde er gerade jetzt daran erinnert?

„Wir werden dir helfen,“ entschied Tyke auf einmal und reichte Migon die Schatzkarte.

Dieser sah aus großen Augen zu dem Piraten: „Du… Du schenkst… Mir einfach so die Karte?!“

„Klar. Du hast zehn lange Jahre deines Lebens hier verbracht. Wir haben demnach kein Recht dir den Schatz wegzunehmen. Du warst schließlich lange vor uns hier und hast ihn gesucht. Aber wir können dir immerhin helfen ihn zu finden.“

Tränen schossen in Migons Augen und schluchzend meinte dieser: „Ich danke euch… Ich danke euch aus vollem Herzen.“

Grinsend klopfte Aisuru ihm auf die Schulter und meinte zu July: „Machst du uns bitte den Weg frei? Wir müssen doch auf die andere Seite der Insel.“
 

* * * * *
 

„Ich bin also nicht der Einzige auf der Insel?,“ stellte der Schatzsucher erstaunt fest und blickte vom Strand aus zu der großen Karavelle an deren Seite vier gigantische Seerosenblätter aus dem Meer wuchsen und bis zum sandigen Grund der Inselküste reichten.

Gelassen griff er in einen Beutel an seinem Gürtel und holte einen Keks heraus, den er dem Vogel auf seiner Schulter reichte, mit den Worten: „Los, Poly, such die Fremden, die mir meinen Schatz stehlen wollen.“
 

* * * * *
 

Endlich hatte die Rabenbande, vor allem dank Julys Fähigkeiten, das andere Ende der Insel erreicht und so fanden sie sich an einer felsigen Steinküste wieder, an der sich die rauschenden Wellen des Meeres brachen. Vor ihnen, an der Spitze der Felsformation, befand sich ein seltsames Gebilde. Es schien sich um einen Grabstein zu handeln, denn um auf natürliche Weise entstanden zu sein, war das Objekt zu quadratisch. Vorsichtig näherten sie sich dem Gebilde.

„W-Wieso… Das kann doch nicht sein. Diesen Grabstein habe ich schon hundert Mal untersucht. Wieso führt uns die Karte hierher?!,“ fragte Migon niedergeschlagen.

Er befürchtete bereits, dass die Schatzkarte eine Fälschung, gezeichnet von irgendwelchen Lausbuben, sein könnte, doch Tyke wollte scheinbar nicht so schnell aufgeben. Er trat einen Schritt näher an das Gebilde heran und untersuchte es akribisch.

Auf dem Grabstein vor ihm war jedoch scheinbar nur ein Jolly Roger eingemeißelt, welcher einen Totenkopf mit einer Krone und zwei sich kreuzenden Zeptern zeigte, mitsamt einer schwer leserlichen – da ein Teil des Grabsteines bereits von Moos bewuchert war – Inschrift:

„H..r ru.t Ka..t.n T..asu.e Chi.d“

„Treasure Chid, scheint der Name zu lauten,“ meinte July nach einiger Zeit.

„Den Namen kenn ich. Angeblich handelte es sich dabei um einen berühmten Piraten zu Monkey D. Ruffys Zeiten. Er soll Schätze im Wert von mehreren Millionen Berry angehäuft haben, doch Gerüchten zufolge, hat er sich einen riesigen Spaß daraus gemacht mehrere Schatzkisten, voll mit Beute aus seinen Beutezügen, versteckt zu haben. Bis heute gilt mehr als die Hälfte seiner gesamten Beute als verschollen,“ meinte Nina die von ihrem Mentor etwas über diesen Piraten erfahren hatte.

Inzwischen hatte July das Moos dazu befehligt den Grabstein zu räumen, so dass nun die gesamte Schrift zu lesen war:
 

“Hier ruht Kapitän Treasure Child,

der größte Spaßvogel unter den Piraten.

Seine Crew hat ihn geliebt,

seine Feinde ihn gehasst.

Hier liegt er begraben, auf der Insel,

wo er seinen ersten Schatz versteckt haben soll.

~ ~ ~ ~ ~

Ihr wollt meine Schätze?

Dann sucht sie doch.

Fangt mit diesem an, er wird euch zu den Anderen führen.“
 

Die Blicke aller Anwesenden trafen sich. Viel Neues hatten sie nicht erfahren. Und dennoch. Die Karte hatte sie hierher geführt, also musste es etwas zu finden geben.

„So ein Witzbold. Er hat einfach die legendären Worte des ersten Piratenkönigs zitiert,“ kopfschüttelnd sah Aisuru in die Runde und damit in einige fragende Gesichter.

„Hmm… sagtest du nicht eben, dass der Typ ‚Treasure Chid’ hieß?,“ fragte Tyke seine Köchin.

„Ja, wieso?“

„Weil hier ‚Treasure Child’ steht.“

„Das war auch sein wahrer Name.“

„Hö?“

„Er hieß ‚Treasure Child’, wollte aber immer ‚Treasure Chid’ genannt werden. Er soll es sogar begründet haben, indem er sagte…,“ plötzlich weiteten sich Ninas Augen und sie ging hastig vor dem Grabstein auf die Knie.

Vorsichtig, so als könne er unter ihrer Berührung zerspringen, tastete sie die Oberfläche des Steingebildes ab. Sacht glitten ihre Finger über die Inschrift und auf einmal huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.

„Er soll gesagt haben: Wer den Grund meines Namens nicht versteht, wird meine Schätze nicht finden können,“ mit diesen Worten drückte die rothaarige Smutje gegen den Buchstaben ‚L’ im Wort ‚Child’.

Und tatsächlich gab dieser ein Stück nach und ein Klacken war zu vernehmen. Plötzlich rutschte die Textpassage unter dem Jolly Roger weg und es entstand eine quadratische Öffnung, in welcher sich eine neue Schriftrolle befand. Mit zittrigen Händen griff sie danach, in der Hoffnung das Papier würde nicht zu Staub zerfallen. Doch glücklicherweise blieb sie ganz, so dass sie das Stück Papier vorsichtig öffnen konnte.

„Also ehrlich gesagt ist dies mit Abstand die stupideste Art und Weise einen Schatz zu verstecken,“ beschwerte sich der Blauhaarige, doch July warf ein: „Und dennoch hat es bis heute Bestand gehabt.“

Inzwischen versammelt sich alle hinter Nina und blickten ihr über die Schulter, während sie die Worte vorlas, welche auf dem Pergament standen:

„Gratulation, mein Lieber. Sie haben das Geheimnis um meinen Namen entschlüsselt. Ich wünschte, ich wüsste wer sie sind. Vielleicht ein Schatzsucher? Ein Pirat? Oder ein Hund der Marine? Ich werde es leider nie erfahren, denn ich liege im Sterben. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden diese Nachricht zu hinterlassen. Wer sie findet, hat die Möglichkeit alle meine Schätze, die ich hinterließ zu finden. Ich hoffe sie werden etwas Gutes damit anstellen. Vielleicht einem Dorf, welches dringend Geld benötigt etwas abgeben. Es ist ihnen überlassen. Mein erster Schatz ist auf der Insel meiner Kindheit, Varekai, versteckt. Tief im Inneren der Insel. Der Eingang ist nur vom Zentrum aus zu erreichen. Suchen sie nach dem Schlüssel im rechten Auge des Totenkopfes. Viel Vergnügen, bei der Suche. Ihr ihnen ergebener Kapitän ‚Treasure Child’.“

Eisen vs. Eisen

„Na also, dass nenne ich doch einmal einen Hinweis,“ meinte Tyke und streckte sich genüsslich.

„Das ist doch kein Hinweis. Das sind verwirrende Worte eines Sterbenden. Wer weiß ob er noch klar im Kopf war, als er das geschrieben hat,“ meckerte Aisuru.

„Zweifel niemals an den Worten eines Piraten, nicht wahr Tyke?“

„Genau,“ meinte dieser und Arm in Arm begannen er und Migon ein kleines Tänzchen.

„Ich glaube, dann müssen wir wohl wieder in den Dschungel,“ sprach July und so dauerte es nicht lange, bis sich vor ihnen wieder ein Weg mitten durch die grüne Hölle auftat.

Während sie Einer nach dem Anderen in den Dschungel traten, ertönte ein lauter Vogelschrei und verwundert blickte Aisuru in den Himmel. Seit sie auf der Insel gewesen waren, hatten sie nicht einen Laut gehört. Kein einziges Tier. Diese Insel wollte kein Leben beherbergen, außer dem von Migon. Und dennoch flog nun über ihnen in kreisenden Bahnen ein gigantischer Vogel. Seine Flügel mussten eine Spannweite von gut zwanzig Metern haben. Ein monströses Untier. Doch flog er sehr weit oben und da die Sonne den Blauhaarigen blendete, konnte er nicht erkennen, was für ein Vogel es war.

„Aisuru wo bleibst du denn?“

„Komme schon. Keine Hektik, Tyke.“

„Wir wollen endlich den Schatz finden!“
 

* * * * *
 

„Scheinbar haben sie etwas entdeckt,“ sprach der Schatzsucher zu sich selbst.

„Arrr, Poly will ’nen Keks.“

„Ja gleich. Folg ihnen zuerst, danach bekommst du deinen Keks.“

Nachdem er seinem Vogel das Versprechen gegeben hatte, begann er darüber zu grübeln, was diese Gruppe von Kindern gefunden haben könnte. Welchen Hinweis, den er übersehen hatte.
 

* * * * *
 

„Großer Migon, du sie doch vernichten wolltest.“

„Schweig… Sie wollen uns helfen. Ich brauche sie nicht zu töten. Sie sind Freunde.“

„Großer Migon, sie dich nur benutzen und belügen tun. Sie dir stehlen den Schatz wollen. Du nicht ihnen vertrauen darfst.“

„Sag nicht solche dummen Sachen! Wieso sollten sie so etwas machen?“

„Sie Piraten seien. Piraten immer belügen und betrügen tun.“

„Wieso haben sie mir dann die Karte gegeben und mir ihre Hilfe angeboten?“

„Sie dich in Sicherheit wiegen wollen. Dich benutzen, falls du Hinweise für die Suche hast. Danach sie dich sicher töten werden wollen. Wenn du ihnen im Weg dann seien wirst. Sie den Schatz doch nur für sich alleine wollen.“

„Du hast Recht, Nigmo. Danke. Ich wäre ihnen beinahe auf den Leim gegangen.“

„Großer Meister das sicher selbst auch ohne Nigmo bemerkt hätte.“

„Stell dein Licht nicht unter den Scheffel, mein Lieber.“

„Großer Meister zu gütig seien.“
 

* * * * *
 

„Migon?,“ rief Tyke zum wiederholten Male den Namen ihres neuen Freundes, dieser schreckte kurz auf und sah sich verwirrt nach dem Rotschopf um. „Wie? Ja, was ist?“

„Was war mit dir los? Ich habe dich mehrfach gerufen.“

„Ach, verzeih. Ich habe nur über das Rätsel nachgedacht.“

„Und?“

„Ich verstehe es nicht. Einmal spricht er vom tief Inneren der Insel und dann vom Zentrum. Meint er damit nicht beide Male dasselbe?“

„Keine Ahnung.“

„Und was ist mit dem Schlüssel im rechten Auge des Totenkopfes gemeint?“

„Keine Ahnung,“ wiederholte Tyke und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf.

„Du hast nie von irgendwas Ahnung,“ meckerte Aisuru.

„Stimmt auch wieder,“ behauptete Tyke mit spielerischer Leichtigkeit, auch wenn das so nicht ganz stimmte. Doch brachte dies ihm einen Lacher ein und so entspannte sich die Gruppe wieder. Der Druck den Schatz finden zu wollen, hatte schwer auf ihnen gelastet.

„Hier müsste es sein,“ meinte July unverhofft und blieb stehen.

Schweigend sah sich die Gruppe um. Irgendwas müsste die Form eines Totenkopfes haben, in dessen rechtem Auge scheinbar eine Vorrichtung eingebaut sein müsste, so ähnlich wie beim Grabstein. Während Aisuru, Nina, Tyke und Migon alles absuchten, streckte July ihre Arme in die Höhe und erzeugte durch ihre Teufelsfrucht eine Lichtung um sich und ihre Freunde. Schleichend zogen sich die Wurzeln und Ranken zurück und kurz darauf konnten die Fünf bereits wieder den Himmel sehen, der zuvor von dichten Baumkronen verdeckt worden waren.

„Hier, kommt mal her,“ rief plötzlich Aisuru aufgebracht. Die Anderen eilten schnellen Schrittes zu ihm.

Er befand sich am Rand der künstlichen Lichtung und blickte auf einen Haufen Geröll vor sich.

„Was soll das? Das ist doch nur…,“ begann Nina, sah jedoch dann weswegen er sie gerufen hatte, „Die sehen ja wie ein Unter- und Oberkiefer samt Zähnen aus.“

„Genau. Der Fels musste einmal, wie ein Totenkopf ausgesehen haben.“

Besorgt fragte July: „Aber nun ist er zerbrochen. Wie sollen wir nun den Schalter betätigen?“

Plötzlich schlug Tyke mit seiner geballten Faust in die offene Hand und rief aufgeregt: „Ich weiß es nun!“

„Was weißt du?,“ fragte Migon erstaunt.

„Die Antwort des Rätsels. Aber dafür brauch ich den Sack mit meinen Eisenspänen. July, mach mir bitte den Weg frei, ich bin gleich wieder da.“

„Ist gut,“ sofort erzeugte sie einen Weg durch den Dschungel, welcher direkt zum Schiff führte.

„Wozu brauch er Eisenspäne?“

„Er hat Teufelskräfte,“ erklärte Aisuru.

„Heilige Scheiße… Er hat Teufelskräfte? Moment mal… Ach du… Dann hast du auch Teufelskräfte?,“ fragte der Inselbewohner mit entsetztem Blick zu July.

„Das fällt dir erst jetzt auf?!,“ meinte Nina überrascht, doch gleichzeitig auch keifend.

July dagegen hatte sich so über den Ausbruch ihres neusten Freundes erschrocken, dass sie sich schnell hinter ihrer ‚Onee-san’ in Sicherheit brachte. In kurzen Sätzen erklärte der Blauhaarige unterdessen, was es mit den Teufelskräften ihres Kapitäns und ihrer Ärztin auf sich hatte.

Um die Zeit des Wartens zu überbrücken und gleichzeitig als Dank für alles, erzählte der zerzauste Einsiedler der kleinen Piratenbande, wie er schon als Kind von dem Schatz gehört hatte. Sein Vater hatte ihm die Legende als ‚Gute Nacht’-Geschichte erzählt. Später habe er den West Blue bereist, um Informationen über die Herkunft des Schatzes und die Legende darum zu sammeln. Irgendwann aber entschloss er sich dazu – auch ohne jemals in den Besitz der Schatzkartenflaschenpost gekommen zu sein – den Schatz vor Ort zu suchen. Bbis zum heutigen Tage hatte er aber nichts finden können. Vor allem da die Suche im Dschungel praktisch ein Ding der Unmöglichkeit war.

„Tyke brauch ganz schon lange,“ bemerkte Aisuru, nachdem Migon mit seinem Bericht fertig war.

„Wer weiß, was er schon wieder anstellt,“ meine Nina nüchtern.

„Leute, da bin ich wieder.“

Aisuru, Nina und Migon sahen sich kurz an, ehe sie im Chor behaupteten: „Wenn man vom Teufel spricht.“

Dieser preschte seinerseits den für ihn geschaffenen Weg entlang und blieb, als er endlich die Lichtung erreichte, abrupt stehen. Den Sack voller Eisenspäne stellte er kurz bei Seite und eilte dann zu seinen Freunden, die er mit sanfter Gewalt zur Seite schob.

„Geht lieber zur Seite, dass kann jetzt ganz schön gefährlich werden.“

„Was hast du vor?,“ wollte Migon wissen.

„Lasst euch überraschen.“

Was der Rothaarige verheimlichte, war dass er hoffte, dass diese Aktion nicht daneben ging. Schließlich hatte er bisher noch nie etwas Derartiges versucht. Eigentlich hatte er dies erst versuchen wollen, wenn er seine Fähigkeit ein wenig mehr hatte trainieren können. Doch in Notzeiten frisst der Teufel bekanntlich Fliegen.

Zuerst nahm er eine Hand voll von den Eisenspänen aus dem Sack heraus, schüttete diesen Haufen auf dem Boden aus und verkündete: „Magnetisierung – Polarisize!“

Aisuru erkannte den Namen dieser Aktion sofort. Wie schon damals im Garten der Medicas, erzeugte sein Käpt’n wieder zwei kleine metallische Platten, die aufeinander lagen und als er sich auf sie drauf stellte, sich voneinander abstießen und Tyke in luftige Höhen beförderten. Während seines rasanten Fluges, rief der Rotschopf erneut etwas, doch diesmal war es für seine Crew kaum hörbar: „Magnetfeld – Collection.“

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, leerte sich der Sack mit einem Schlag und eine gewaltige, schwarze Wolke aus Eisenspänen umhüllte den Kapitän der Rabenpiratenbande. Kurz darauf formte sich aus der formlosen Wolke, eine mächtige Eisenkugel um Tykes rechten ausgestreckten Arm. Es war ein unglaubliches Bild was sich ihnen da bot.

Als er schließlich den höchsten Punkt seines Fluges erreicht hatte, zog ihn das Gewicht der mächtigen Eisenkugel nach unten. Genau wie von ihm geplant.

„Magnetisierung – Giant Iron Punch!“

Plötzlich formte sich aus der gewaltigen Kugel ein genauso gewaltiger Arm – komplett aus Eisen.

Der metallische Arm hatte zu allem Überfluss auch noch die Größenverhältnisse eines Riesen und damit holte Tyke zu einem alles zerschmetternden Schlag aus. Erst jetzt erkannte die Gruppe, was ihr Kapitän vorhatte und das sein grober Warnhinweis – doch bitte an den Rand der Lichtung zu gehen – viel zu knapp bemessen war. Schreiend versuchten sich Aisuru, Nina und Migon durch den Dschungel in Sicherheit zu kämpfen, während July sich mit Hilfe einer dicken Liane in Sicherheit bringen – oder anders ausgedrückt weit über die Dschungel Kronen erheben – ließ.

Es gab einen ohrenbetäubenden Knall, als die Riesenfaust auf den erdigen Boden traf und dieser mit einem Mal unter der Wucht des Angriffes zusammenbrach. Tyke selbst war so überrascht, dass er vor Schreck seinen Riesenarm auflöste – wodurch die schweren Eisenspäne zu Boden rieselten – und schreiend in die Tiefe stürzte. Aber auch der Navigator, die Smutje und der Inselbewohner stürzten hinab, da sie nicht rechtzeitig hatten fliehen können.

„Uncaria Tomentosa.“

Plötzlich schossen mehrere grüne Lianen, genauso eine wie July zur Flucht genutzt hatte, hervor und umschlungen die vier Fallenden. Mit einem kräftigen Ruck kamen sie zum Stehen und schwenkten sanft gut fünf Meter über dem wahren Erdboden.

„Mensch… wie ich July liebe…,“ meinte Nina mit zittriger Stimme.

„Na Aisuru, willst du immer noch andere Frauen in unserer Bande?,“ fragte Tyke grinsend und begann fröhlich zu schaukeln.

„N-N-N-N-Nein… a-a-a-a-aber mit dir w-w-w-w-werd ich wohl noch ein H-H-H-H-Hühnchen rupfen müssen.“

Inzwischen gesellte sich auch July mit ihrer Liane hinzu und langsam glitten sie zu fünft Richtung Boden.

„Das war also mit ‚tief in der Insel’ gemeint. Das war wörtlich zu nehmen. Wir sind sicher ganz nah dran,“ schrie Migon freudig und begann mit Tyke Arm in Arm zu tanzen.

Aisuru konnte darüber nur mit dem Kopf schütteln, während Nina sich bei July erkundigte, ob alles mit ihr in Ordnung sei.

„Danke für die Hilfe. Ab jetzt übernehme ich,“ ertönte plötzlich eine Stimme über ihnen.

Als die Gruppe empor blickte, sahen sie einen gigantischen Vogel über der Öffnung fliegen. Der blauhaarige Navigator erkannte sofort das Federvieh und konnte nun auch endlich erkennen, was für ein Vogel es war.

„Der Vogel spricht!,“ schrie Tyke jubelnd.

„Das ist auch ein Papagei, natürlich sprechen die,“ konterte Aisuru prompt.

„Das hat aber eben nicht mein Vogel gesprochen,“ ertönte die Stimme erneut und auf einmal sprang etwas, oder jemand, von dem weißen Untier herunter und landete geschickt auf dem Boden. Während er sich aufrichtete, schrumpfte der gigantische Vogel überraschenderweise, bis er die große eines normalen Papageis hatte. Diese setzte sich dann auf den Kopf des Unbekannten, der sofort meckerte: „Poly, du sollst dich doch nicht auf meinen Kopf setzen!“

„Arrr, Poly will ’nen Keks.“

„Grrr… Ist ja gut,“ behauptete der seltsame Kerl, zog aus einem Beutel an seinem Gürtel einen Keks hervor und reichte ihn seinem Papagei, der sich daraufhin brav auf seine Schulter setzte.

„Wer sind sie?!,“ fragte Aisuru und zog skeptisch eine Augenbraue empor.

Mehr beiläufig stellten sich Nina, Aisuru und Tyke vor July und Migon, um diese im Notfall besser schützen zu können, wobei der Kapitän alleine die forderste Frontlinie bildete.

„Mein Name ist Columbiana Downs, meines Zeichens Schatzsucher. Und das ist mein Papagei Poly,“ erklärte der Mann mit dem Cowboyhut auf dem Kopf und dem strahlend weißen Lächeln.

„Wooooow, was für einen coolen Papagei du hast! Wie konnte der so groß werden?!“

„Nun ja, auf einer meiner Erkundungen fand ich eine Teufelsfrucht. Leider hatte Poly sie mit einem Keks verwechselt…“

„Wie ist das bitte schön möglich?!,“ wollten Nina und Aisuru giftend wissen.

„… Doch hatte ich Glück im Unglück, es handelte sich um die Mega-Mega Frucht. Dank ihr kann man bis auf die Größe eines Riesen heranwachsen. Nun ja, da Poly jedoch kleiner ist als ein Mensch, wächst er eben nur zu einem Riesenvogel heran.“

„Arrr, Poly will ’nen Keks.“

„Du verfressenes Federvieh hattest doch bereits einen Keks!,“ meinte Downs aufgebracht und blickte entsetzt zu seinem Papagei.

Tykes Freunde und Migon nutzten die Zeit, um sich den seltsamen Schatzsucher einmal genauer anzusehen. Er trug außer dem zerfledderten Cowboyhut auch noch eine bräunliche Wildlederjacke. Seine blaue Hose wurde von einem schwarzen Gürtel gehalten, welcher als Schnalle einen Bullenkopf besaß. Zum Abschluss seines merkwürdigen Outfits trug er auch noch Wildlederstiefel, ebenfalls braun.

Was jedoch wirklich allen Sorgen machte, war die dicke Eisenkette, welche um seinen Körper geschlungen war, so wie die ebenfalls dicke Eisenkugel, die einen Durchmesser von gut siebzig oder achtzig Zentimeter haben musste.

„Willst du mir etwa meinen Schatz stehlen?!,“ rief Migon erbost.

„Dein Schatz? Der Schatz gehört dem, der ihn zuerst findet.“

Sofort bemerkte July, dass die anfängliche Begeisterung für den Fremden aus Tykes Gesicht verschwunden war. Dieser Satz schien einen Schalter in ihm umgelegt zu haben, der sein komplettes Verhalten veränderte. Verständlich, hatte er doch Migon versprochen, dass er den Schatz bekommen würde und der Rotschopf ihm auch dabei helfen würde.

„Leute, nehmt Migon und sucht den Schatz.“

„Und was ist mit dir?,“ fragte Nina.

„Ich kümmere mich um den Lederfetischisten hier…“

„Du Greenhorn willst dich mit mir anlegen?“

„Lass mich das machen, Tyke. Ich mach ihn schon fertig,“ versuchte Nina es erneut.

„Ich sagte, dass er mein Gegner ist, also geht endlich.“

„Tyke will persönlich mit ihm kämpfen?,“ wunderte sich Aisuru in Gedanken, „Das kann nur bedeuten, dass dieser Typ anders ist als unsere bisherigen Gegner.“

„Lasst uns gehen,“ sprach der Blauhaarige danach laut und zog Nina hinter sich her, während die Gruppe die eingestürzte Höhle durch einen Gang in der Nähe verließen.

„Nie hätte ich gedacht, einen solch starken Gegner auf dem West Blue anzutreffen. Bisher war ich nur enttäuscht gewesen. Aber du bist stark. Ich habe von dir gehört. Der Schatzsucher mit der Eisenkette und Eisenkugel. Jemand der sich auf jenen Gewässern einen Namen macht, mit dem Gerüchte verbunden werden, wird mich sicherlich nicht enttäuschen können, oder?“

„Ich stammte auch von der Grand Line. Da ist es fast schon selbstverständlich stark zu sein. Ansonsten geht man unter. Nur die Besten überleben dort und ich bin einer der Besten.“

„Ich weiß, ich war schon dort. Die Grand Line hat sich verändert. Sie hat sogar diejenigen mit teuflischen Kräften vertrieben.“

„Wohl war. Nun denn. Wollen wir…?“

Downs zog sich die Kette über den Kopf, schnappte sich das kugellose Ende und begann die gut zwei Meter lange Kette über seinen Kopf herum zu wirbeln. Sein Papagei Poly, der inzwischen bereits von der Schulter seines Herrchens weggeflogen war, beobachtete das Spektakel aus einiger Entfernung. Jedoch nicht sicherer…

„Chain Bomb,“ mit enormer Wucht flog die schwere Kugel auf Tyke zu, dieser streckte jedoch nur eine Hand aus und verkündete: „Magnetisierung – Wall of Iron.“

Die schwere Kugel donnerte gegen die schwarze Eisenwand, die scheinbar aus dem Nichts entstanden war, und fiel anschließend zu Boden. Mit einem kräftigen Ruck zog Downs sie wieder zu sich und meinte anerkennend: „Das könnte sogar richtig spaßig werden. Wir haben hier wohl einen Kampf Eisen gegen Eisen.“
 

* * * * *
 

„Wir können Tyke doch nicht zurück lassen,“ meinte July protestierend.

„Wir müssen. Was meinst du warum er uns weggeschickt hat? Der Typ ist eine ganze Ecke härter, als unsere bisherigen Feinde. Er scheint der Ansicht zu sein, dass nur er ihn besiegen kann.“

„Jetzt ist es wichtiger, dass wir Migon helfen den Schatz zu finden. Wie dieser Papageifutzi schon sagte: Der Schatz gehört dem, der ihn zuerst findet,“ unterstützte Nina die Meinung des Blauhaarigen, obwohl es auch ihr gegen den Strich ging ihren Kapitän einfach so im Stich zu lassen, und folgte dem zerlumpten Mann für den sie all das in Kauf nahmen und der ihre Truppe anführte.

Dieser schwieg jedoch eisern, denn erneut plagte ihn sein Gewissen im Kampf mit seinem anderen Selbst: Nigmo…
 

* * * * *
 

„Chain Whip.“

Downs schleuderte die Kugel, wie eine leichte Lederpeitsche und ließ sie von oben auf Tyke herabsausen, dieser sprang zur Seite, erzeugte aber sicherheitshalber auch noch seine Eisenwand, um den Angriff seines Gegners zur Seite abzufälschen. Während seines Hechtsprunges, konterte er gleichzeitig seinerseits: „Magnetisierung – Flying Spears!“

Aus den Eisenspänen, die den gesamten Boden bedeckten, bildeten sich mehrere kleine Spieße, die auf seinen Widersacher zu schossen. Dieser aber ließ sich nicht so leicht überrumpeln. Schnell wirbelte er wieder mit seiner Eisenkugelkette um sich herum und schlug so die Speere weg. Anschließend folgte ein Lautes: „Chain Tornado Cannon.“

Mit einem Male schoss die Kugel aus dem Wirbel heraus und zielte genau auf Tykes Kopf. Beinahe zu spät reagierte dieser: „Magnetisierung – Iron Pillar.“

Es bestand höchstens noch ein handbreiter Zwischenraum, zwischen ihm und der Kugel, bevor diese in wahrlich letzter Sekunde von einer kleinen Säule getroffen wurde, welche vor ihm entstand und die Kugel von Unten her erwischte, so dass sie hoch in die Luft geschleudert wurde.

Das alles geschah binnen weniger Sekunden und dennoch hatte der vielleicht eine Minute andauernde Kampf bereits schwer an ihnen gezerrt. Die schnell aufeinander folgenden Aktionen hatten Tribut an den Konditionen beider Kontrahenten gezollt und so standen sie sich nun schwer atmend gegenüber und starrten einander an. Versuchten Schwächen beim jeweils Anderen ausfindig zu machen.

Sie hatten zwar mit einem schnellen Schlagwechsel begonnen, jedoch war dieser nun viel mehr zu einem Abtasten der gegnerischen Fähigkeiten geworden.

„Mist, es ist noch viel zu anstrengend mit so vielen Eisenspänen umzugehen und zu agieren… zwar wird es leichter, dadurch dass ich immer nur einen Teil benutze und das schnell nacheinander, aber so werde ich nicht gewinnen können,“ schoss es Tyke durch den Kopf, keine Sekunde seinen Gegner aus den Augen lassend.

Er war eindeutig in der schlechteren Position und zu allem Überfluss schien sein Widersacher dies ebenfalls bemerkt zu haben. Und dabei hatten sie ihren Kampf gerade erst begonnen. Oftmals entschieden eben die ersten Augenblicke den Ausgang einer Schlacht. Zumindest hatte Loris dies oftmals behauptet. Sollte er Recht behalten, würde dieser Kampf nicht zu Tykes Gunsten enden…

Downs packte die Kette an der Stelle, wo sie mit der Kugel befestigt war, und stürmte auf Tyke zu.

„Chain Hammer!“

Als er diesen erreicht hatte, holte er mit Schwung aus und versuchte die schwere Eisenkugel auf den Rotschopf niedersausen zu lassen.

„Magnetisierung – Stinging Irons.“

Plötzlich schossen links und rechts an Tyke zwei Eisenspieße hervor.

Sein Gegenspieler schaffte es zwar soweit auszuweichen, dass nur seine linke Schulter von dem Angriff betroffen war, dennoch ging der Spieß glatt durch das dicke und feste Muskelgewebe hindurch. Downs konnte den Schmerzensschrei nicht unterdrücken. Sofort sprang er schnell zurück, damit der Spieß wieder aus seiner Schulter glitt – auch wenn dies mit weiteren Schmerzen verbunden sein musste.

Doch nicht einmal das konnte den Schatzsucher richtig stoppen. Obwohl es zwei verschiedene Aktionen waren, glich es einer einzigen flüssigen Bewegung, als er nach der Flucht zurück, augenblicklich in die Höhe sprang. Und das mit einer derartigen Kraft, in solch luftige Sphären, dass Tyke einen Funken Respekt aufzublitzen fühlte. Nie hätte er seinem Gegner so etwas zugetraut.

Trotz der Verletzung, holte Downs am Zenit seines Sprunges erneut mit der Kugel aus und beendete diesmal seinen Angriff: „Chain Long Hammer!“

Die schwere Eisenkugel flog auf den Kapitän der Rabenpiratenbande zu, doch der schmiss sich zur Seite und rollte sich weg, weshalb der Angriff daneben ging und nur auf den Boden einschlug, wo sie immerhin ein deutliches Loch zurück ließ. Schnell zog der Fremde mit dem Cowboyhut die Kugel wieder zu sich. Seltsam, wieso fiel er nicht? Hatte er sich durch die Wucht seines Angriffes irgendwie in der Luft halten können?

Plötzlich wiederholte Downs den vorherigen Angriff, jedoch legte er dabei etwas mehr Tempo an den Tag und wiederholte ihn unzählige Male auch noch.

„Chain Hammerfall!“

Eigentlich unterschied sich die Attacke von der Vorherigen in keinster Weise, außer dass die wiederkehrenden Angriffe in einem höllischen Tempo kamen. Verzweifelte rannte Tyke zwischen den Angriffen umher und versuchte ihnen allen auszuweichen, doch schnell erkannte er dabei, dass er nicht allen ausweichen können würde. Sie kamen sogar so schnell, dass es beinahe wie mehrere Ketten wirkten, die auf den Boden einschlugen.

„Magnetisierung – Iron Shields,“ rief Tyke aus und plötzlich formten sich in Bruchteilen einer Sekunde über Tyke kleine Eisenschilde, die beim ersten Aufprall der Kugel in kleine Eisenwolken zerplatzten.

Tyke rannte dabei weiter – auf Downs machte es den Eindruck, als suche er etwas –, während seine immer wieder entstehenden Schilde ihn vor den Angriffen seines Gegners schützten.

Für Downs war es seltsam Tyke zu zusehen, wie dieser lauter Wolken aus Eisen in der Höhle verbreitete und sich dabei vor seinen Angriffen schützte.

Als Tyke beinahe eine Runde an der Felswand entlang vollendet hatte, blieb er unverhofft stehen, streckte den Arm aus und verkündete lautstark: „Magnetisierung – Iron Bumerang!“

Downs erkannte die Bedeutung des Angriffes, stoppte seinen Eigenen und drehte sich ruckartig in der Luft herum, wobei er die Kette mitriss und so seine Eisenkeule in einem weiten Bogen um sich schleuderte. Diese traf dabei den gigantischen, mannsgroßen Bumerang der von hinten auf den Schatzsucher zugeflogen kam und brachte diesen so aus seiner Flugbahn, doch schien dies genau die Reaktion gewesen zu sein, die Tyke erwartet hatte.

„Magnetisierung – Split!“

Plötzlich splitterte der Riesenbumerang in unzählige kleine auf, die ihr Ziel wieder in Angriff nahmen. Sich im freien Fall befindet, schaffte Downs es nicht genug Schwung aufzubringen, um auch diese Attacke rechtzeitig abzuwehren und so trafen ihn mehrere Bumerang, wobei einige – die ihn mit einem ihrer Enden erwischten – sich sogar in sein Fleisch bohrten.

Mit einem lauten Schmerzensschrei fiel der Cowboyhutträger zu Boden und als er sich auf Höhe der Eisenwolken befand, setzte Tyke noch eins drauf: „Magnetfeld – Iron Clouds und Magnetisierung – Iron Spring Spears!“

Ohne Vorwarnung schossen mehrere kleine Eisengeschosse aus den Wolken heraus und streiften in ihrem Flug den fallenden Schatzsucher. Einige trafen sogar perfekt genug, um sich ebenfalls in dessen Leib zu bohren, während die Anderen eine solche Flugbahn aufwiesen, dass sie in anderen Eisenwolken wieder verschwanden. Und kaum waren sie verschwunden, schoss auch schon die nächste Salve heraus und flog auf Downs zu. Dessen Fall wurde durch das Bombardement kurz aufgehalten, doch irgendwann verfehlte auch diese Attacke ihr Ziel, da der Schatzsucher endgültig auf dem Boden aufgeschlagen war.

Mit einer einzigen Handbewegung löste Tyke sämtliche Eisenformen auf, so dass der Boden, wie auch Downs, von einer dünnen Schicht Eisenspänen bedeckt wurde.

Der Rotschopf zog tief die Luft ein, damit sich seine Lungen wieder mit Frischluft versorgt wurden und bemerkte dann, dass sein Gegner nicht eine Sekunde lang die Kette mit der Eisenkugel losgelassen hatte. Erstaunlich. Anschließend meinte er jedoch an sich selbst gewandt: „Darf ich zitieren? Das wurde sogar richtig spaßig.“

Mit einem Male riss Downs seine Augen auf und Tyke wurde schlagartig klar, dass er einen riesigen Fehler begannen hatte. Er hatte vergessen, dass er noch einen Gegner hatte. So schnell er konnte, drehte sich der Piratenkapitän herum, doch war es bereits zu spät.

Polly, zu stattlicher Größe eines Flugsauriers herangewachsen, prallte auf Tyke und riss ihn mit sich. Dieser spürte die spitze Schnabelspitze sich in seinen Bauch bohrend, doch zum Glück nicht so stark, dass eine blutige Wunde entstand. Dafür hatte der Vogel aber etwas anderes mit seinem Opfer vor.

Noch einmal schlug er kräftig mit seinen Flügeln um an Geschwindigkeit zu zulegen und anschließend Tyke gegen die Decke der Höhle zu rammen. Ein deutliches Knacken war zu vernehmen. Die eine oder andere Rippe hatte das nicht überstanden.

Sofort wand sich der Papagei von seinem Opfer ab, flog im Sturzflug zu Downs, bremste jedoch kurz vor dem Boden ab und flog ganz knapp über seinem Besitzer hinweg. Dieser streckte nur den linken Arm aus, um sich an Pollys Flügel festzukrallen und so mitgerissen zu werden.

Tyke dagegen war inzwischen, wie Downs wenige Augenblicke zuvor, auf dem harten und steinigen Erdreich aufgeschlagen und versuchte sich benommen aufzurichten. Er vernahm den bekannten und metallischen Geschmack von Blut in seinem Mund und spuckte dieses hustend aus. Er hatte seine Deckung vernachlässigt und wie zuvor, kurz vor dem Angriff des Vogels, resignierte Tyke erneut das er drauf und dran war wieder denselben Fehler zu begehen.

Mit zittriger Stimme rief er daher: „Magnetisierung – Ultimate Defense!“

Keine Sekunde zu spät. Aus seinen Eisenspänen wuchs eine eiserne Kuppel über ihm heran und kaum hatte sie ihre feste Form angenommen, knallte bereits der erste Angriff auf sie und erzeugte ein Geräusch, welches an einen Glockenschlag erinnerte. Unter seiner, ihn vor Schaden bewahrenden, Hülle, vernahm Tyke schließlich das ständige Donnergrollen, wenn die Kugel erneut auf das Eisen prallte. Es war ein höllischer Lärm, doch war dies momentan unwichtig. Er war dem Angriff vorerst entkommen und hatte sich Zeit verschafft, um sich selbst zu sammeln. Er musste es nur noch durchstehen. Zu einem Konter war er noch nicht fähig, denn er merkte zu allem Übel auch noch, wie seine allmählich Konzentration wich. Er war es eben nicht gewohnt so viele Eisenspäne auf einmal anzuwenden und das auch noch über einen längeren Zeitraum hinweg.

Auf einmal aber – vermutlich gerade noch rechtzeitig – bemerkte er die unzähligen Dellen in seiner Kuppel. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Schaffte Downs es womöglich…

Noch nie hatte jemand seine Kuppel durchdringen können. Es war der ultimative Verteidigungswall. Nein.

Ultimativ war nichts in dieser Welt und würde es auch nicht auf der Grand Line sein. Er musste sich etwas einfallen lassen. Schnellstens.

„Ich reiß deine Kuppel auseinander und anschließend dich!,“ schrie Columbiana Downs von oben herab.

Irrte Tyke sich oder ergriff der Eifer das Herz dieses Mannes? Kämpfte er mit voller Leidenschaft? Mit dem Stolz eines Löwen und der Unerbittlichkeit eines wahren Kriegers?

Die Schläge der Eisenkugeln erfolgten in einem nochmals schnelleren Rhythmus. Der Takt, denn die Aufpralle vorgaben, glich einem rasanten Tanz. Der Tanz von Gewalt. Von Stärke und Macht. Von Kraft, während man seine Grenze erreichte und darüber hinausging.

Es war schier unglaublich. Das war also die Kraft eines Mannes aus der Grand Line?

„Zeig dich endlich und versteck dich nicht unter dieser lachhaften Kuppel. Eben warst du doch noch nicht so feige!“

Tyke versuchte sich zu konzentrieren. Er musste die Ruhe bewahren. Wie konnte er die Situation zu seinen Gunsten wenden? Er musste erneut versuchen sämtliche Eisenspäne zu mobilisieren, egal wie viel Kraft ihn das auch Kosten möge. Doch würde er danach kaum noch fähig sein sich irgendwie zu wehren. Sollte er das Wagnis eingehen? Was wenn es misslinge? Doch was blieb ihm andere übrig?

„Magnetfeld – Collection und Magnetisierung – Getting Strong!“

Sämtliche Eisenspäne um der Kuppel herum, wurden angezogen und legten sich über diese. Es entstanden immer neue und dichtere Schichten über die bereits existierende Eisenkuppel. Das System war mit den Rinden eines Baumes vergleichbar, die in ihrer Gesamtheit einen kräftigen, allem trotzenden Stamm bildeten.

Dadurch wurde die Kuppel nun verstärkt und so würde sie wesentlich länger den gegnerischen Luftangriffen – wenn man es denn so nennen mochte – standhalten. Der Nachteil war aber, dass er die Kuppel auch zusätzlich abstützen musste, weshalb sie ihn wie eine Halbkugel einhüllte und damit auch noch hermetisch abgeriegelt war. Nichts drang hindurch und nichts konnte hinaus.

Was bedeutete, dass auch keine Luftzirkulation mehr stattfand und die Luft im Inneren höchstens für zehn weitere Minuten ausreichen würde.

Es war also ein gewagtes und alles entscheidendes Unterfangen. Ein Risiko welches er einging. Es war vielleicht seine einzige Chance.

„Denkst du, dass wird dir helfen?!,“ ertönte die dumpfe Stimme Downs über ihm.

Tyke hatte mitbekommen, wie dieser sich von seinem Papagei hatte retten lassen und vermutete, dass der Schatzsucher nun auf dem Federvieh wie auf einem Pferd ritt und ihn aus luftigen Höhen heraus stetig attackierte.

„Mist, wie komme ich am Besten aus meiner Lage wieder heraus? Der Typ knallt mir seine Kugel um dir Ohren und ich habe mich selbst eingesperrt. Tolle Ausgangssituation.“

Es schien aussichtslos und vermutlich war es das auch, doch Tyke war niemand der aufgab. Das hatte er von Loris gelernt, als er einmal miterleben musste, wie dieser beinahe besiegt worden wäre, doch sich geweigert hatte aufzugeben. Er hatte anschließend zwar nicht gewonnen, aber auch nicht verloren.

Der Kampf zwischen ihm und die Person – die der Rotschopf nur den „Pfeifer“ nannte – war unentschieden ausgegangen. Tyke aber wollte gewinnen. Und würde es auch, komme was wolle.

„Magnetfeld – Iron Hell!“

Trotz Tykes Angriffsankündigung geschah nichts. Es herrschte Stille und verwirrt hielt Downs kurz inne.

Der Pirat musste Downs reinlegen und ihn dazu bringen seinen Angriff zu stoppen – was schon einmal vollbrach war –, nur so würde er einen Konter durchführen können.

Downs dagegen wusste nun nicht mehr was zu tun war und Tyke hoffte nur, dass sein Plan aufging, ehe ihm in seiner Verteidigungsanlage die Luft ausging.

Unterdessen fragte sein Gegner sich, was das sollte? Wieso geschah nichts? Plante sein Gegenspieler etwas? Wenn ja, warum setzte er es nicht in die Tat um. Oder konnte er es gar nicht, weil Downs mit seinen Angriffen aufgehört hatte? Bedurfte die Aktion seines Feindes eines Angriffes von ihm selbst?

Der Schatzsucher wusste, dass es sich um eine Falle handelte, doch welcher Art?

Schnappte die Falle zu, wenn er angriff oder wenn er gerade nicht angriff?

Schweiß trat aus seinen Poren. Er musste sich entscheiden. Und da bemerkte er es auf einmal. Seine Kugel, die eigentlich gerade nach unten baumeln sollte, wurde von irgendetwas leicht angezogen, so dass sie eben nicht gerade nach unten sondern leicht nach vorne hing. Wurde sie von der Kuppel angezogen? Bisher dachte Downs nur, dass sein Gegner die Eisenspäne kontrollieren würde, dass er sie magnetisieren konnte hatte er nicht geahnt, auch wenn sein Gegner seine Attacken in diese Richtung benannte. Downs hatte das die ganze Zeit für eine Finte gehalten…

Allmählich glaubte er Tykes Kräfte zu verstehen und vermutete daher auch zu wissen, was dieser als Nächstes vorhabe. Doch just in diesem einen Moment war er ratlos.

Irgendwas musste er jedoch tun. Eine Entscheidung fällen. Eine Entscheidung die vielleicht den Ausgang des Kampfes verändern konnte. Und schließlich traf er seine Entscheidung und hoffte, dass es die Richtige war: „Chain Long Hammer!“

Die Eisenkugel krachte auf die Eisenkuppel und da geschah es.

„Endlich,“ blitzte es in Tykes Kopf auf. Beinahe wäre er ohnmächtig geworden. Doch nun war sein Gegner in die Falle getappt.

In dem Moment als die Kugel aufgeprallt war, hatten sich unzählige Eisenspäne gelöst und sich stattdessen auf der Kugel verteilt und als Downs diese zu sich zurückzog begann für ihn die eiserne Hölle.

Denn mit einem Male löste sich die Kuppel, um Tyke herum, auf und sämtliche Eisenspäne folgten der Kugel. Downs hatte keine Zeit zu reagieren, als die metallische Wolke ihn einhüllte und immer wieder sich Eisenspäne daraus lösten und ihn wie kleine Geschosse bombardierten. Den Ersten konnte er mit Müh und Not noch ausweichen, doch wurden es immer mehr und sie wurden auch noch immer schneller. Manche folgten ihm sogar, als er auswich. Doch wie war das möglich?

Tyke dagegen lag halbbewusstlos am Boden. Halluzinierte er bereits? Sein Blick war verschwommen, wurde immer wieder schwarz. Aber auch seine anderen Sinne wollten nicht richtig funktionieren. Kein Wunder, war er doch kaum noch bei Kräften.

Außerdem war es ihm nicht möglich so viele Eisenspäne zielgenau zu kontrollieren. Das war einfach unmöglich. Alles was er nur noch versuchte war möglichst lange bei Sinnen zu bleiben und möglichst viel Schaden an seinem Widersacher zu verursachen.

„Es ist so, als würden sie von mir angezogen,“ dachte Downs unterdessen wütend, während die unzähligen kleinen Wunden – von den fliegenden Eisenspänen verursacht – brannten wie Feuer, und da wurde ihm der Trick klar. Die Falle war der Angriff gewesen, denn so hatte Tyke Eisenspäne an seine Kugel heften können und denen, und nicht ihm, folgten nun alle Anderen…

Eine Truhe voller Erinnerungen

Es war wie in einem Abenteuerroman. Da standen sie zu viert und blickten auf die Kiste vor sich.

Ein einzelner, doch in der Dunkelheit regelrecht leuchtender, Lichtstrahl, der durch ein kleines Loch in der Decke fiel, traf auf die Truhe aus braunem, gebeiztem Holz. Der Schatz.

Der erste Schatz den der legendäre Pirat Treasure Chid, oder besser gesagt Treasure Child, je versteckt hatte. Sein Vermächtnis. Der Erste von Unzähligen.

„Los, Migon. Das ist dein Schatz,“ meinte Nina grinsend und lächelte den Mann an, der verwirrt in die Gesichter der Rabenpiraten blickte. Alle blickten ihm fröhlich entgegen und warteten, dass er sich nahm, was ihm ihrer Meinung nach zustand.

„Sie dich sicher nur als Kanonenfutter missbrauchen wollen. Vielleicht die Truhe mit einer Falle versehen ist und du da hinein rennen sollst,“ ertönte auf einmal Nigmos Stimme und hallte durch Migons Schädel. Immer lauter werdend. Immer durchdringender. Wie ein stechender Schmerz, der sich tief in seine Gedanken fraß und dort alles zu verseuchen drohte.

Doch Migon kniff die Augen, so fest er konnte, zusammen. Versuchte diese Gestalt, die da zu ihm sprach, aus seinem Kopf zu verbannen. Das Wesen, welches er selber geschaffen hatte, musste er auch vernichten können. Schließlich wollte er, dass Nigmo verstummte. Strafte seine Worte daher Lügen.

Denn sie stimmten nicht. Sie durften nicht stimmen!

Diese jungen Piraten hatten bereits soviel für ihn getan und taten sogar noch viel mehr. Hatten auf ihr Recht auf den Schatz verzichtet in der Überzeugung, dass er der einzig rechtmäßige Besitzer desselbigen sei. Und das sollten sie nur im eigenen Interesse getan haben? Niemals!

„Migon? Was ist los?,“ fragte July besorgt.

Der einsame Inselbewohner aber schlug die Hände über dem Kopf zusammen und stieß einen gellenden Schrei aus. Ein Schrei puren Schmerzes.
 

* * * * *
 

Nachdem Downs seine Kugel losgelassen hatte und sie zu Boden gefallen war, hatten sich sämtliche Eisenspäne an sie dran gehaftet und schienen nun förmlich mit ihr verwachsen.

Stille trat ein und sowohl Tyke als auch Downs versuchten wieder Kraft zu schöpfen. Doch dem Rothaarigen fiel dies offensichtlich wesentlich schwieriger. Er kämpfte sogar damit überhaupt bei Bewusstsein zu bleiben.

Bei seinem Versuch die Eisenspäne zu kontrollieren hatte er sich eindeutig übernommen und musste dafür nun büßen. Der Schatzsucher dagegen sprang von seinem Vogel herunter, welcher sich unterdessen wieder verkleinerte und sich anschließend erneut in Sicherheit brachte. Downs seinerseits ging auf Tyke zu und betrachtete den am Boden Liegenden kurz. War es ein Blick der Verachtung oder des Respekts?

Der Piratenkapitän konnte es nicht sagen. Er schaffte es nicht einmal mehr seinen Kopf zu heben.

„Scheinbar hast du dich selbst besiegt. Schade, es hat mit dir richtig Spaß gemacht,“ gerade als er sich von seinem Widersacher abwand, ergriff dieser seinen Knöchel und hielt ihn auf diese Weise auf.

„Noch… Noch bin ich nicht besiegt.“

„Ach nein?“

Skeptisch hob der Schatzsucher seine linke Augenbraue an und blickte für einen kurzen Moment schweigsam auf Tyke herab. Mit einem kräftigen Ruck riss er sich schließlich los, rannte schnurstracks zu seiner Kugel und schnappte sich die Kette. Innerhalb von Sekunden schwirrte das mehrere Kilo schwere Eisengebilde erneut über seinem Kopf. Gleichzeitig aber lösten sich die Eisenspäne. Ein klares Zeichen dafür, dass sie nicht mehr unter Tykes Kontrolle standen. Dieser war schlicht und einfach jenseits seiner geistigen Kräfte und ohne ein gewisses Maß an Konzentration, würde er die Späne nicht mehr beherrschen können.

„Mal schauen, wie lange du das noch sagen kannst. Chain Bomb!“
 

* * * * *
 

„Migon, was ist los?,“ fragte nun auch Aisuru die zusammen gekauerte und jämmerlich wimmernde Gestalt vor sich. Es war deutlich zu sehen, dass etwas nicht stimmte, doch konnte kein Mitglied der Rabenpiratenbande sagen, was los war.

„Lass mich in Ruhe,“ wimmerte der Inseleinsiedler unverhofft und schlug den Ex-Magier weg, welcher sich vorsichtig dem Einsiedler genähert hatte. Verwechselte er ihn mit Jemandem? Oder versuchte er ihn vor sich fern zu halten, um ihn zu schützen?

Migon hatte Nigmo im Geiste erschaffen, um nicht vor Einsamkeit verrückt zu werden. Viele Jahre hatte er auf dieser Insel verbrachten und die Meisten davon abgeschottet von jeglichem Anzeichen von Zivilisation. Ja, hatte er doch sogar Reisende und andere Schatzsucher stets vertrieben aus Angst, man könne ihm seinen wertvollen Schatz stehlen.

Letztendlich hatte er so viele Jahre alleine auf dieser gottverlassenen Insel verbracht und verbringen müssen, dass es eines Schutzes bedurfte. Welch Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet jener Schutz im Geiste ihn nun doch noch verrückt gemacht zu haben schien.

„Ich zu dir gehöre. Ich Teil von dir sein. Ich dich schon so lange geschützt habe und nun du mich verjagen willst? Lächerlich! Du mich wirst nicht verjagen können und wenn du nicht brav sein, ich werde Kontrolle übernehmen. Wir zwei Seiten einer Münze sind. Du mich nicht geschaffen hast. Ich immer vorhanden war. Nur nie herausgekommen. Bis du mich hast gebraucht! Du gut, ich böse. Und ich stärker sein! Ich dich vor den Anderen geschützt habe, damit du konntest den Schatz suchen. So du mir das alles danken tust?“

„Du hast mich nicht beschützt! Ganz im Gegenteil! Doch erst jetzt erkenne ich, dass du mich hast vereinsamen lassen. Du bist daran schuld. Nur warum? Warum hast du mir das alles angetan?“

Aisuru, Nina und July verstanden nicht, was Migon da sprach oder mit wem.

Es machte den Anschein, als verteidige der Einsiedler sich verbal gegen jemanden Anderen, doch war niemand außer ihnen anwesend.

Am liebsten hätten sie ihm geholfen, bei seinem Kampf mit seinem nicht ersichtlichen Feind, doch war ihnen dies nicht vergönnt. Diesen Zwist musste er alleine ausstehen.

Oder gab es doch eine Möglichkeit, wie sie ihm helfen würden können?

Einen Weg, den sie bloß nicht erkannten?
 

* * * * *
 

„Sag mal, Loris, wieso hast du denn nicht aufgegeben? Er war dir doch haushoch überlegen! Er hätte dich töten können, dieser Pfeifer,“ fragte Tyke erstickt. Die Tränen rannen wie zwei Sturzbäche seine Wangen hinab und bildeten einen kleinen See der Trauer zu seinen Füßen.

Der Angesprochene fasste sich vorsichtig an die Stirn und als er seine Hand wieder zurückzog, klebte an ihr sein dunkelrotes, zähflüssiges Blut. Sein Körper fühlte sich taub an und somit musste er wenigstens die Schmerzen nicht erdulden. Vorerst nicht. Vermutlich würden sie kommen, sobald er sich ein wenig erholt und Jillian ihn einigermaßen zusammengeflickt haben würde.

„Wenn man aufgibt verliert man zwangsläufig. Und ich bin niemand der gerne verliert. Ich bin praktisch ein schlechter Verlierer. Haha, argh. Ich sollte nicht Lachen, das tut weh… Auf jeden Fall, liegt das Problem mit dem Verlieren wohl in der Familie…“

„Wieso gibst du nicht endlich auf?,“ riss Downs Stimme Tyke aus seinen Gedanken.

Blutüberströmt lag dieser zwischen einigen Felsen. Sein Blick war getrübt. Es war als lege sich ein milchiger Schleier über sie. Das rechte Auge war zudem angeschwollen. Die Rippen schmerzten und seine linke Hand wollte ihm nicht mehr gehorchen. Seine Beine waren taub. Er war in der schlimmsten Situation seines Lebens und dennoch… er konnte nicht aufhören zu lächeln.

„Weil ich… ein verdammt… schlechter… Verlierer bin.“

Der Rotschopf mobilisierte seine letzten Kräfte und kämpfte sich zwischen dem Schutt hervor. Wankend richtete er sich auf und fixierte seinen Gegner. Dieser schwang erneut die Eisenkugel über seinem Kopf und schüttelte bedauernd mit dem Kopf: „Was für ein sturer Bock du doch bist. Es ist eine Schande ein solches Potential töten zu müssen. Hör doch endlich auf. Du fügst dir mit dieser Sturheit quasi selbst irreparable Schäden zu.“

„Was will ich… mit einem… gesunden Körper… wenn ich dafür… meine Freunde… im Stich gelassen habe?,“ presste Tyke hervor und erhob seine Hände.

Kurz darauf hüllten ihn sämtliche Eisenspäne ein. Er spürte bereits, dass es Zeit war seinen finalen Angriff einzuleiten, doch vorher…
 

* * * * *
 

„Verschwinde Nigmo…“

„Wer ist Nigmo?,“ wollte July wissen, doch der Einsiedler hörte sie nicht mehr.

Er befand sich in einem Kampf mit seinem anderen Selbst. Es konnte nur einer von ihnen übrig bleiben.

„Du mich brauchen tust.“

„Ich sagte du sollst verschwinden!“

„Ich nicht gehen werden. Ohne mich du ein Nichts bist! Die Wahrheit du erkenne.“

„VERSCHWINDE!,“ der laute Schrei zerriss erneut die wiedergekehrte Stille und keuchend blickte der erschöpft dreinblickende Einsiedler zu seinen neu gewonnen Piratenfreunden.

Ihre erschrockenen und fragenden Blicke hafteten an ihm. Schnell setzt er ein gezwungenes Lächeln auf und begann zu erklären, was so eben geschehen war. Die drei Piraten hörten ihm gespannt zu und als er mit seiner Ausführung geendet hatte, waren sie äußerst überrascht, wie der eigene Verstand sich gegen einen selbst richten konnte.

Letztendlich fragte Migon beinahe erlösend, geschwächt und dennoch froh darüber sich endlich von dieser Last befreit haben zu können nur noch kleinlaut: „Wollen wir endlich den Schatz öffnen?“
 

* * * * *
 

Trotz der Verletzungen, eilte Tyke auf seinen Gegner zu. Er verdrängte den Schmerz und das Wissen, dass jeder Schritt – jede Bewegung sogar – ihm zusätzlichen Schaden zufügte. Dieser war überrascht wie flink sich der Pirat trotz der unzähligen Verletzungen noch bewegen konnte.

Wie war das überhaupt möglich?

Selbst er als Kind der gefährlichsten See, hatte so etwas bisher noch nicht erlebt.

„Gyaaaah,“ ertönte mit einem Male ein Schrei aus Tykes Kehle.

Binnen eines Augenblicks, in dem Downs unachtsam gewesen war, hatte der Rotschopf den Schatzsucher erreicht. Noch immer hüllten die Eisenspäne seinen verletzten Körper ein und so traf eine mit Eisen ummantelte Faust das Gesicht des Grand Liners.

Dieser hörte noch die Finger seines Gegners unter der glänzenden Schicht knacken, als er auch schon in die Felswand des höhlenartigen Raumes krachte. Staub wirbelte auf. Dahinter verschwand sein Gegner. Ruckartig hatte sich Downs wieder aufgerichtet, doch konnte er Tyke nicht ausmachen, bis plötzlich eine Hand aus Eisen aus dem aufgewirbelten Staub herausgeschossen kam, ihn am Kragen ergriff und mit sich riss.

Tyke hatte aus den Spänen einen verlängerten Arm geschaffen und zog seinen Gegner nun zu sich. Kaum hatte der Schatzsucher den Piraten erreicht, traf erneut die Eisenfaust auf sein Gesicht auf. Doch diesmal trieb sie ihn in Richtung Boden.

Die Wucht des Aufpralles reicht aus den Boden sogar aufzusprengen und leicht absacken zu lassen.

Woher nahm Tyke plötzlich all diese Kraft? Eben hatte er sich noch am Rande der Niederlage und an der Schwelle zur Bewusstlosigkeit befunden und nun hatte er das Blatt gewendet und schlug unaufhörlich auf den Cowboyhutträger ein.

Doch nun, wo er seinen Gegner am Boden hatte, setzte Tyke zu seinem letzten Angriff an, solange seine aufgeputschte Kraft noch ausreichte. Doch irgendwie war das alles sehr seltsam. Irrte er sich, oder verhielten sich seine Eisenspäne seltsam? Sonst musste er immer hochkonzentriert kämpfen, um sich vorzustellen wo und wie sie sich zu einem Gebilde formen sollten. Doch momentan machte es eher den Eindruck, dass seine Späne von sich aus wussten, wie sie sich verhalten sollten. Aufgrund dessen fiel ihm die Kontrolle selbst einer solch großen Menge viel leichter als zuvor.

Waren seine Versuche mit Gewalt mehr Eisen kontrollieren zu können vielleicht der falsche Weg gewesen und nun sah er, wie es besser funktionieren könne? Kopfschüttelnd mahnte er sich selbst erst einmal auf den Kampf zu achten und später über seinen Stil nachzudenken.

Leider kam seine eigene Mahnung zu spät und Downs konnte mit den Worten „Punching Chain“ einen Konter landen, bei dem die Kugel mitten in Tykes Gesicht traf, ruckartig von Downs zurückgezogen wurde, nur damit er mit der Faust diese schlagen konnte, so dass sie wieder auf Tyke zuflog. Der Pirat musste mehrere Treffer einstecken, wobei diese ein wenig gedämpft wurden, durch das Eisen das seinen Körper einhüllte und ihn so ein wenig zumindest schützte.

Nach einem besonders schweren Treffer taumelte Tyke ein Stück nach hinten, bis er die Felswand plötzlich hinter sich spürte. Downs hatte ihn bereits soweit wieder zurück drängeln können?

„Punching Chain!“

Downs, der im fünfundvierzig Grad Winkel zu Tyke stand, schleuderte seine Kugel mit aller Kraft zur Seite, riss sie dann aber mit aller Kraft wieder zu sich und ließ sie an sich vorbei auf Tyke zufliegen. Es gab ein gewaltiges Klong-Geräusch, als das Eisen der Kugel auf jenes am Leib des Rotschopfs traf. Der Schatzsucher fackelte nicht lange und wiederholte den Vorgang erneut. Zwei oder drei Mal schlug die Kugel ein.

Der Magen des Piratenkapitäns verkrampfte sich bereits und er schmeckte den bitter-säuerlichen Geschmack von Erbrochenem, welches sich einen Weg nach oben seine Speiseröhre entlang suchte. Mit aller Willenskraft drückte er die abscheuliche Substanz wieder in seinen Magen zurück und stieß sich gleichzeitig von der Wand ab, um zur Seite auszuweichen.

Diesmal stieß die Kugel nicht auf einen menschlichen Widerstand, sondern auf massiven Fels, welcher jedoch ebenfalls nicht dem Angriff gewachsen war und tiefe Risse vorwies.

„Magnetfeld – Iron Porcupine!,“ nutzte Tyke den winzigen Moment, der sich ihm da bot.

Die Eisenspäne zogen sich binnen eines Wimpernschlages zu einer einzigen Maße auf seinem Rücken zusammen, nur um anschließend die Form von unzähligen nadelspitzen Stacheln anzunehmen, welche nun seinen gesamten hinteren Körperbereich bedeckten.

Wie ein Tier begab er sich flink auf alle Viere und reckte sein Hinterteil nach oben. Denn als er den Namen seines Angriffes ausgesprochen hatte, schien es als würden die Stacheln von seinem Körper abgestoßen werden. Sie fielen nun wie ein tödlicher Regenschauer auf Downs hinab, der nach seinem missglückten Angriff versucht hatte wieder Abstand zwischen sich und seinem Gegenspieler zu bringen.

Er war zudem, so machte es zumindest den Eindruck, von dem Angriff nicht sonderlich beeindruckt und begann mit aller Kraft seine Kugel wieder kreiseln zu lassen. So schnell, dass sie augenscheinlich eine Art Schild bilden sollte, welches ihn schützen könne.

„Chairoplane!“

Eine Flut aus Klirren und Klacken entstand, als die Eisenstacheln auf das Eisen der schwingenden Kette trafen und für einen Moment sah es wahrhaftig so aus, als könne Downs den Angriff von Tyke abwehren. Wie gesagt: Für einen Moment…

Denn plötzlich änderte sich das verhalten der Stacheln schlagartig und sie blieben einfach in der Luft hängen. Downs jedoch fiel nicht auf den Trick herein und schwang seine Kette mit all seiner Kraft weiter. Wie schon zuvor, bemerkte er viel zu spät die eigentliche Falle hinter der Fassade.

In ganz kleinen, kaum merklichen Bewegungen hatten sich die restlichen Stacheln so aufgeteilt – jedenfalls solange unbemerkt bis die Lücken zwischen ihnen mehr als deutlich waren –, dass sie schließlich nicht mehr nur von Oben auf den Schatzsucher niederprasseln würden, sondern von von allen Seiten her.

Links, rechts, oben, hinten, vorne.

Der Mann mit der Eisenkette erkannte endlich seinen schwerwiegenden Fehler und damit seine Niederlage. Diesen Angriff würde er nicht abwehren können, jedenfalls nicht vollkommen.

Jedoch würde er auch nicht einfach aufgeben. Denn wenn er schon die Erkenntnis erlangen musste, vor einer Niederlage zu stehen, wollte er wenigstens versuchen seinen Gegner mit hinein zu reißen. Und so hörte er auf die Kette im Kreis zu schwingen und schleuderte sie stattdessen, aus dem Schwung heraus, auf seinen Widersacher zu. Mit aller Kraft schrie er dabei: „Chain Tornado Cannon.“

Kaum hatte er die Kette losgelassen, schnellten die Stacheln auf ihn zu und spießten ihn zu Dutzenden auf. Doch auch Tyke, der zu schwach war um noch auszuweichen oder sein Schild zu formen, wurde von der letzten Attacke seines Gegners getroffen und in die Felswand hinter sich gerammt.
 

* * * * *
 

Ungläubig blickte Migon in die Truhe. Das war der erste Schatz einer Legende?

Hinter ihm beugten sich die drei Rabenpiraten über seine Schulter und blickten in das Innere der Schatzkiste, welche gefüllt war mit… allerlei Krimskrams.

„D-Das ist der Schatz?,“ fragte Migon und seine Augen verrieten sein Entsetzen.

Aisuru griff an ihm vorbei in die Kiste und zog ein Stofftier hervor. July dagegen zog einen mit Juwelen besetzen Dolch heraus.

„Was sind das für Gegenstände?,“ fragte sie erstaunt und bemerkte dann den Zettel, der an die Innenseite des Truhendeckels geklebt worden war.

„Schaut euch das an,“ meinte sie rasch und begann vorzulesen: „Sehr geehrter Herr Pirat, herzlichen Glückwunsch. Sie haben meinen Schatz gefunden. Dies ist mein erster Schatz auf meinem Weg zu einem großen und reichen Piraten. Ich werde noch viele Schätze anhäufen und sie dann verstecken. Vielleicht begegnen wir uns eines Tages auf dem Meer, das Schatzkind ‚Treasure Child‘.“

„Das… Das sind die Worte eines Kindes,“ bemerkte Nina und meinte dann verwirrt: „Diesen Schatz soll ein Kind versteck haben? Das heißt Migon suchte solange nach einer Truhe versteckt von einem kleinen Jungen?!“

„Nicht ganz,“ meldete sich mit einem Male Aisuru zu Wort und präsentierte den Teddy in seiner Hand. In dessen Halsband steckte ein weiterer Zettel, denn July vorsichtig hervor zog und ebenfalls anschließend vorlas:

„Ihr habt entdeckt was ich als Kind zurück ließ, als ich noch erfüllt von meinen Träumen und Visionen war. Mein erster und wahrlich größter Schatz. Meinen Freund aus meiner Kindheit. Meinen Teddybären. Erstaunlich wie man im Angesicht des Todes an seine Kindheit zurück denkt und über sich selbst schmunzeln kann.

Entgegen allen materiellen Denkens bedeutete ein Schatz für mich nicht immer Juwelen oder Gold. Ein Schatz ist woran das eigene Herz und die eigenen Hoffnungen hängen. Diese Erkenntnis vertrat ich während meiner Kindheit, doch vergaß ich sie als ich älter wurde. Erst als ich den legendären Monkey D. Ruffy – in einem kleinen Gefängnis auf der Grand Line, wo wir uns eine Zelle teilten, ehe man ihn verlegte – traf, sah ich meinen Fehler ein und nahm wieder das Denken eines Kindes an. Ich freue mich einen solchen stolzen und unglaublichen Mann getroffen zu haben, auch wenn die Umstände weniger erfreulich waren. Ich erinnerte mich sogar wieder daran, warum ich mir als Kind einst meinen heutigen Piratennamen ausgesucht hatte. Und warum ich als Kind diese Truhe versteckt hatte. Dieser Schatz der Träumer, soll für alle da sein, die mit anderen Piraten ihre Träume teilen wollen, indem sie lediglich das Wertvollste, was sie besitzen in der Truhe zurück lassen. Ich hoffe, dass die Truhe sich auch nach meinem Ableben noch füllen wird. Im Übrigen, wer meine materiellen Schätze, wie Gold, Silber und Juwelen haben will, darf sie behalten, sollte er sie finden können. Ich werde sie nach dem Tode vermutlich nicht gebrauchen können, daher sucht dort wo Sonne und Mond sich küssen und der Schnee mit den Kirschblüten tanzt. Treasure Child.“

Kaum hatte die Ärztin die letzten Worte vorgelesen, griff Aisuru in die Kiste und zog einige Gegenstände heraus, die ihm ins Auge gestochen waren und nun alle überraschten.

Drei goldene Ohrringe, eine Schleuder, ein Buch…

„Das… glaube ich jetzt nicht. Das sind Dinge, die der Strohhutbande gehört haben müssen. Aber schrieb er nicht, es solle der wertvollste Besitz zurückgelassen werden?“

Der Ex-Magier meinte an die Smutje gewandt: „Ich denke die Strohhüter, welche hier etwas zurück gelassen haben, taten es nach der Erfüllung ihrer Träume. Sie waren damit keine Träumer mehr, wollten sich aber denen, welche ihre Träume noch vor sich hatten, solidarisch zeigen und hinterließen etwas, was für sie als Besitzer stand.“

Plötzlich machte July wieder auf sich aufmerksam: „Hier sind noch mehr Sachen von berühmten Piraten. Schaut, da ist eine rote Nase und ein Fuchs Jolly Roger. Der Zeichner war nicht sonderlich begabt. Und da sind noch rote Kopfhörer, eine Eisenkette mit aus Porzellan gefertigten Symbolen, ein grün und gelb gestreiftes Kopftuch. Hier sind Reliquien von einigen der legendärsten Piraten, die je gelebt und die Weltmeere unsicher gemacht haben.“

Nina blickte in die Runde, als Aisuru plötzlich seine Hand ausstreckte, allen die leere Handfläche zeigte, dann schnell in die Luft griff und überraschenderweise seinen Zauberstab in der Hand hielt.

„Sollten wir uns dann nicht in ihre Reihe eingliedern?“
 

* * * * *
 

Tykes sämtliche Muskeln schmerzten. Sogar seine Lungen schienen zu pochen und jeder Atemzug fühlte sich unbehaglich an. Wie tausend kleine Messerstiche, die ihn foltern und quälen wollten.

Er konnte sich zudem keinen Millimeter mehr bewegen und so war er gezwungen zu dem gigantischen Loch in der Decke, von ihm selbst geschaffen und genau über ihm liegend, zu blicken. Er wusste nicht wie lange er bewusstlos gewesen war, doch konnte es nicht sehr lange gewesen sein, da sowohl noch die Sonne schien und als auch seine Freunde noch nicht zurückgekehrt waren.

Nachdem er aufgewacht war, hatte er versucht sich in Richtung seines Gegners zu kämpfen, doch auf halben Weg war er wieder zusammen gebrochen und seitdem lag er nun hier. Dennoch wertete er diesen Kampf als Sieg für sich. Schließlich war Downs – im Gegensatz zu Tyke – noch immer bewusstlos.

Nun ja, wenigstens bekam er somit nicht das nervige Gejammer und Gekrächzte seines eigenen Papageis mit, der unbedingt einen Keks wollte.

„Ich habe es wirklich geschafft,“ stieß der Rotschopf hervor und schaffte es sogar zu lächeln, was er aber schnellstens wieder bereute. Selbst seine Gesichtsmuskeln schmerzten.

„Oh mein Gott, Tyke. Was ist hier geschehen?,“ erschallte plötzlich eine weibliche Stimme, die der Kapitän sofort erkannte.

Leider konnte er sich nicht zu seiner Ärztin drehen, doch das brauchte er eigentlich auch gar nicht. So schnell sie konnte, war sie zu ihm gerannt und hatte binnen kürzester Zeit ihn auf alle Verletzungen hin untersucht, die er nur haben könnte. Und ihrem Gesichtsausdruck nach, den er jetzt endlich sehen konnte, hatte er sich verdammt viel getan. Aber eigentlich wusste er dass bereits. Genug Schmerzen hatte er ja.

„Kümmere dich erst um ihn,“ japste Tyke geschafft.

Irritiert sah July zwischen ihrem Kapitän und ihren Freunden hin und her und als Nina kurz nickte, machte sich July auf, den Schatzsucher ebenfalls zu untersuchen und zu behandeln. Dieser musste es mindestens so schlimm, wenn nicht sogar schlimmer, als Tyke selbst erwischt haben. Wurde er doch auch noch beinahe wie ein Spanferkel aufgespießt.

„Wieso helft ihr ihm? Er hat uns doch angegriffen,“ fragte Migon überrascht, woraufhin Tyke lediglich entgegnete: „Er ist ein Schatzsucher. Das Geschäft ist hart und er hat nur gehandelt, wie er es für richtig hielt. Eigentlich ist er kein schlechter Mensch. Da bin ich mir sicher.“
 

*Am nächsten Tag*
 

Es war keine vierundzwanzig Stunden her, da stand Tyke bereits wieder am Strand auf den Beinen und vollführte Liegestütze. Er war des vielen Schlafens überdrüssig geworden und suchte wieder eine Tätigkeit, weshalb er unweigerlich zum trainieren gekommen war.

Nachdem seine Freunde ihn und Downs gestern aufs Schiff gebracht hatten, hatte er stolze zwanzig Stunden durchgeschlafen, doch dann sofort sich aufgerichtet, sich heimlich aus seinem Bett geschlichen und gehofft, dass July ihn nicht bemerken würde. Andernfalls hätte sie sicher Seesteinfesseln allein für ihn besorgt, damit er gefälligst liegen bleibe. Außerdem wäre es schade, wenn er sein Training unterbrechen müsste, um vor der jungen Ärztin zu fliehen. Vor allem wohin? In den Dschungel konnte er nicht, da hätte sie Heimvorteil mit den ganzen Pflanzen und immer nur den Strand entlang, da würde er ihrem Sichtfeld niemals entkommen können. Am Besten war sie fände ihn erst gar nicht.

„Du bist bereits wieder am trainieren?,“ ertönte Aisurus Stimme von der Rehling herüber.

Der Rotschopf hielt kurz inne und setzte sich anschließend im Schneidersitz auf den Sand.

„Ja, im Bett war es mir zu langweilig.“

„Haha, ja das kenn ich nur zu gut. Downs ist aufgewacht.“

„Wie geht es ihm?“

„Ganz gut. Migon hat ihm sofort die Wahrheit über den Schatz erzählt. Außerdem konnte er sich bereits wieder über seinen nervigen Papageien aufregen. Er hat sich übrigens für gestern entschuldigt, aber auch erklärt, dass das zum Job als Schatzsucher gehört. Die Regel ist ‚Wer den Schatz zuerst findet, darf ihn behalten‘ und unter den Aspekt sei das Leben eines Schatzsuchers sehr hart. Im Grunde hat er also nur das aufgeführt, was du, als wir dich und ihn fanden, bereits angesprochen hattest.“

„Ja. Die Rivalitäten sind sehr groß und nur die Besten, wie auch die Stärksten, bleiben lange genug im Geschäft um etwas davon zu haben.“

„Er hat ein wenig über seinen Beruf erzählt und wie wichtig es ist, sich bei Informanten oder anderen Schatzsuchern zu behaupten. Aber bei dir hat er seinen Meister gefunden. Und wie gesagt, bis auf seinen Stolz ist er nicht weiter verletzt.“

„Dann ist ja gut. Ich kann noch immer nicht glauben, dass es sich lediglich um eine Kiste voll mit Erinnerungsstücken handelte. Es macht aber auch Sinn. Schließlich waren die Gegenstände die größten Schätze für einige wahrlich große Piraten.“

„Hast du auch schon etwas reingelegt? Ich meine, schließlich haben Nina, July, Migon und ich auch etwas in der Schatztruhe zurück gelassen und da wäre es nur logisch, wenn du dich uns anschließen würdest, oder etwa nicht?!“

Tyke nickte, doch ehe Aisuru fragen konnte, um was es sich handeln könnte, war Julys Stimme lautstark zu hören: „Bleib gefälligst liegen, du Esel!“

„Nein, ich bin ein knallharter Schatzsucher. Ich kann es mir nicht leisten ein Nickerchen zu machen.“

„Liegen geblieben sagte ich! Ich bin hier die Ärztin, also hast du gefälligst auf mich zu hören!“

„Gyaaaaaaaah!“

Die Tür zum Krankenzimmer öffnete sich und Nina trat heraus. Migon folgt der roten Schönheit und schien erschrocken – wenn nicht sogar entsetzt und erschüttert – über Julys Verhalten zu sein. Zumindest ließ sein Gesicht Rückschlüsse darauf ziehen.

„Bist du sicher, dass du auf sein Angebot eingehen willst?,“ wand sich Nina als Themawechsel an den Einsiedler.

„Tyke hatte Recht. Er ist kein schlechter Mensch und ich bin mir sicher, dass ich mit ihm Childs versteckte Schätze finden kann. Außerdem kann ich es alleine nicht schaffen, denn ich war noch nie gut darin Rätsel zu lösen und wenn ich, was mit hundertprozentiger Sicherheit geschieht, auf andere Schatzsucher treffe, würden die mich, genauso wie Downs gestern, als Feind ansehen und angreifen. Ich bin im Gegensatz zu euch kein allzu großer Kämpfer. Da kann ich eine starke Hand gebrauchen. Oh Tyke, du bist auch schon wach?“

„Psssst, sei bloß nicht so laut. Wenn July mich erwischt, ergeht es mir genauso wie Downs,“ flehte der Kapitän erschrocken und achtete gespannt, ob sich etwas im Krankenzimmer tat, doch scheinbar hatte ihre Ärztin sein Fehlen noch nicht bemerkt. Ein Glück, dass es im Krankenzimmer nur ein Bett gab und er somit eigentlich im Zimmer der Jungen liegen sollte, wo July ihn aber nicht überwachen konnte.

„Hast du die Flasche vorbereitet?,“ fragte er plötzlich Migon, welcher grinsend das besagte Glasobjekt hochhielt, in die ein zusammengerolltes Blatt Papier reingelegt worden war. Die Schatzkarte zur Kiste der Erinnerungen oder besser gesagt: Zum Schatz der Träumer.

Anschließend wand sich der Einsiedler dem Meer zu und warf mit aller Kraft die Flasche hinein. „Auf das andere Piraten ebenfalls den Schatz finden, nicht wahr?“

Kaum hatte er die Worte gesprochen, knallte ihm plötzlich von oben herab etwas auf den Kopf. Sich die Beule reibend blickte er zu Boden und hob von dort ein dickes Bündel auf.

„Oh, die Zeitung. Dann muss das eben die Zeitungsmöwe gewesen sein, die hab ich ganz vergessen. Das mir das Mistviech die Zeitung auch immer an den Kopf schmeißen muss. Ich muss ihr ausrichten, dass sie ab sofort nicht mehr hierher zu kommen brauch, am Besten mit einer Ladung Blei,“ lachend schlug er die Zeitung auf und erstarrte augenblicklich.

Das Lachen blieb ihm in Form eines heißeren Krächzens im Halse stecken und stammelnd blickte er auf die Titelseite. Mit seinem seltsamen Verhalten erregte er wiederum die Aufmerksamkeit der Piraten um ihn herum.

„Was ist los?,“ wollte Aisuru wissen und als Migon nicht reagierte blickte Nina genervt über dessen Schulter, um nachzusehen, was den Einsiedler so erschrocken und damit zum Schweigen gebracht hatte.

Auch ihr war plötzlich das pure Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Schnell riss sie ihrem neuen Freund die Zeitung aus der Hand, rannte zur Rehling und hielt sie so, dass Tyke – Aisuru dagegen musste sich nach vorne über eben diese lehnen, da Nina an ihn scheinbar keinen Gedanken verschwendete – die Titelseite sehen und die dickgedruckte Überschrift deutlich lesen konnten:

ADMIRAL ROTER VOGEL TOT AUFGEFUNDEN!

Die schusseligste Archäologin der Welt

„Gestern wurde Admiral Jason ‚Roter Vogel‘ Tori tot im Hauptquartier der Marine entdeckt. Die genaueren Umstände seines Todes sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht geklärt. Fest steht nur, dass sein persönlicher Assistent – nach der neuen Marineregelung – nun die Nachfolge antritt und in einer Woche offiziell zum Admiral befördert werden soll. Demnach würde in Zukunft der Name Adam ‚Grüne Schlange‘ Hebi in der Liste der Admiräle vertreten sein. Laut einigen Gerüchten soll er bereits seinen eigenen Assistenten bestimmt haben. Doch ob Vizeadmiral Strike tatsächlich diese Ehre zu teil kommen wird kann erst in einer Woche geklärt werden, wenn der Name seines Assistenten offiziell von ihm, während seines Amtsantritts, verkündet wird.“

Anschließend blickte Nina, als sie fertig gelesen hatte, schweigend in eine genauso schweigende Runde.

Nachdem die Crew den Anker gelichtet und sich ein wenig von der Insel Varekai entfernt hatte, ohne einen genauen Kurs einzuschlagen, waren alle im Krankenzimmer zusammen gekommen, damit auch July und Columbiana Downs die schreckliche Nachricht erfahren würden.

„Wer soll in der Lage sein einen Admiral auf Marineboden zu töten? Diese Person muss beängstigend stark gewesen sein…,“ fragte Aisuru nachdenklich und gleichzeitig deutlich besorgt.

„Könnte das nicht sogar das Mächtegleichgewicht ins Schwanken bringen? Ich meine da die Marine doch damit in gewisser Weise geschwächt ist,“ fragte Migon kleinlaut.

„Dafür gibt es die neue Regelung. Damit der Posten eines Admirals schneller mit einem Ersatz aufgefüllt werden kann und die augenscheinliche Schwäche damit eiligst aus der Welt geschaffen wäre,“ erklärte Downs von seinem Bett aus.

July schlug dagegen vor: „Vielleicht war es ein natürlicher Tod?“

„Unwahrscheinlich. Jason war gerade einmal fünfunddreißig Jahre alt. Es ist nicht unmöglich, doch habe ich nie etwas davon gehört, dass er krank gewesen sein soll.“

Als Tyke die fragenden Blicke seiner Freunde bemerkte, erklärte er verlegen: „Ich bin der Sohn eines verstorbenen Vizeadmirals, doch war mein Vater nicht das einzige Mitglied meiner Familie, welches der Marine angehörte. Praktisch meine ganze Familie väterlicher Seits bekleidet diverse Marineposten. Von Soldaten bis hin zu Vizeadmiralen ist fast alles vertreten. Für viele bin ich ein Verräter geworden, praktisch das schwarze Schaf unserer Familie, doch zu einer Hand voll Verwandter halte ich noch guten Kontakt. Von ihnen erfahre ich meistens was in der Marine passiert. Und sie hätten mir das gesagt, wenn es Hinweise auf eine Krankheit gäbe.“

„Sag mal,“ begann Nina argwöhnisch, „hast du noch immer Kontakt zu ihnen?“

„Japp. Ich besitze eine besondere Babyteleschnecke, mit der ich ausschließlich diese Hand voll anrufe.“

Kreischend ging Nina auf ihren Kapitän los: „Du Trottel bist nun ein Pirat! Mit der Marine ein Pläuschchen halten ist absolut verboten. Willst du, dass sie uns erwischen?!“

Mit einem kräftigen Tritt und einem lauten Knall beförderte sie ihn an die nächste Wand. Überraschenderweise kam gerade Aisuru – leider ein wenig zu spät – seinem Kapitän zur Hilfe: „Kontakte zur Marine sind nicht schlecht. Dadurch erfahren wir einige wichtigen Informationen oder auch strukturelle Änderungen viel früher als die meisten anderen Piraten. Somit können wir uns auch besser auf solche Sachen vorbereiten. Außerdem wird Tyke sich hüten denen unsere Position zu verraten, so dass sie uns jagen könnten. Nicht wahr?“

Schweigend, nachdem er sich fix wieder aufgerichtet und seine Beule gerieben hatte, blickte der Kapitän seinen Navigator an. Dieser wartete auf eine Antwort und als Tyke schließlich sich auf die Unterlippe biss, war die Sache klar.

„Du Volltrottel hast ihnen wirklich verraten, wo wir uns befinden?!“

Erneut machte Tyke Bekanntschaft mit dem stabilen Schiffsholz, weshalb July ihn doch lieber auf neue schwerwiegende Verletzungen hin untersuchte. Und tatsächlich konnte sie eine zusätzliche leichte Gehirnerschütterung feststellen, doch war dies bei solch einer Behandlung nicht sonderlich verwunderlich.

„Nur einer einzigen Person. Einer alten Bekannten aus Kindertagen…,“ wehrte sich der Rotschopf nachträglich, doch schwieg sofort wieder als er die diabolischen Blicke seiner beiden Freunde sah. Noch einmal wollte er nicht gegen die Wand geklatscht werden, auch wenn bekanntlich aller guten Dinge Drei waren.

„Adam Hebi ist nun also Admiral. Er gilt in der Marine als umstrittener Kandidat für diesen Posten. Angeblich soll sogar der Großadmiral sein Bedenken ausgesprochen haben und dabei ist dieser ein fauler Hund, der so gut wie nie im Hauptquartier oder der Zentrale Terra Sancta anzutreffen sei,“ lenkte Downs das Gespräch wieder in geregelte Bahnen, „Ihr werdet es nicht leicht haben, solltet ihr ihm begegnen. Er soll gnadenlos sein. Er vertritt das Prinzip der absoluten Gerechtigkeit. Das Schlimmste aber ist, dass er einer der wenigen Ranghohen ist, der noch wie ein normaler Kapitän auf den Meeren Piraten jagt. Angeblich sucht er sich die aus, welche das größte Potential aufweisen. Solltet ihr euch also einen Namen auf der Grand Line machen können, könnte es passieren, dass er auf euch aufmerksam wird.“

„Bis wir die Grand Line erreichen, haben wir noch ganz andere Sorgen,“ meinte Nina dagegen betrübt, „Unsere beiden stärksten Mitglieder haben sehr schwere Verletzungen erlitten, die erst ausheilen müssen. Und wenn wir bereits jetzt schon, solche Treffer einstecken mussten, können wir dann auf dem Piratengrab wirklich bestehen?“

Aisuru hielt dagegen: „Nina, stell dein Licht nicht unter den Scheffel. Du bist praktisch genauso stark wie ich. Außerdem zeigt uns das nur, dass wir intensiver trainieren müssen.“

„Davon kann ich euch wohl nicht abhalten, oder?,“ fragte July hoffnungsvoll, doch das Grinsen ihrer Freunde war Antwort genug.

„Es wird Zeit für uns.“

Migon stand auf und blickte seinen neuen Gefährten an. Es war selbst für die drei Piraten erstaunlich wie schnell diese Querköpfe sich hatten einigen können. Gemeinsam begaben sie sich an Deck, wo Downs einen Keks hervor kramte und ihn seinem Papagei reichte. Dieser schnappte sich gierig das Leckerli und wuchs anschließend zu seiner gigantischen Form heran. Dabei verschlang er den inzwischen viel zu kleinen Leckerbissen schleunigst und krächzte zufrieden.

„Danke noch einmal für alles,“ meinte Migon und umarmte ein letztes Male alle, auch wenn Aisuru das eher unangenehm war. Downs beließ es bei einem Kopfnicken – wofür der Navigator sehr dankbar war – und meinte abschließend: „Wenn wir Childs Schatz gefunden haben, lassen wir euch einen Teil zukommen. Das ist das Mindeste.“

„Mir wäre lieber, wenn ich auch mal auf dem Vogel fliegen dürfte. Ist sicher eine praktische Art zu Reisen,“ stellte Tyke dagegen lachend fest, bevor der Vogel mit seinen beiden Passagieren auf dem Rücken sich in luftige Höhen begab und anschließend Richtung Norden davon flog.

„Und was machen wir nun?,“ wollte Aisuru wissen, doch da drückte Nina ihm bereits eine Angelrute in die Hand und meinte eiskalt: „Doofe Frage. Beendet was ihr angefangen habt. Ich wollte Proviant sparen und nun habe ich schon mehr benutzen müssen, als ich vorgehabt hatte. Es wird noch etwas dauern bis wir die nächste größere Insel erreichen, vor allem ohne direkten Kurs und das obwohl unser Ziel die Grand Line sein sollte, und ich will die Zeit zum trainieren nutzen. Auch ich muss stärker werden für unsere zukünftigen Abenteuer.“

Gemeinsam mit der Ärztin verschwand sie in der Kombüse und ließ die beiden Jungs mit ihrem Schicksal alleine. Schulterzuckend begaben sie sich wieder in dieselben Positionen, in denen sie schon vor einiger Zeit geangelt hatten, ehe Tyke die Flaschenpost an Deck gezogen hatte.

„Aber versuch diesmal einen Fisch zu fangen.“

„Ich kann doch nicht bestimmen, was ich fange,“ verteidigte sich der Angesprochene und versuchte zusätzlich zu den Eisenhände, welche die Angelrute hielten, weitere Gebilde zu erzeugen. Ihm war klar geworden, dass er sich mehr anstrengen musste, um seine Kräfte zu verbessern. Und das er scheinbar mit dem Eisen in Einklang kommen musste und es nicht wie ein Befehlshaber zur Kontrolle zwingen sollte. Er musste lernen, was er scheinbar im Kampf mit dem Schatzsucher instinktiv angewandt hatte.

„Du kannst aufhören Schwachsinn zu…“

„Ich hab was,“ unterbrach der Rotschopf den Navigator aufgeregt.

Ninas Stimme ertönte hinter den Beiden: „So schnell?!“

„Fragt die Richtige!,“ konterte der Blauhaarige in Bezug auf Ninas Erscheinungstempo und mit wutverzerrter Fratze.

„Schrei nicht so rum.“

„Könnt ihr bitte aufhören zu streiten? Das ist diesmal ein ganz großer Brocken. Bestimmt ein Seekönig.“

„Das wäre unser Ende.“

„Mal den Teufel nicht an die Wand, Blaubeere.“

„Fängst du schon wieder damit an?!“

„Ich sagte doch eben Klappe! Helft mir lieber!“

Schleunigst ergriffen der Ex-Magier und die Köchin Tykes Taille – da er erneut seine eigenen Hände benutzen wollte, um seinen Fang einzuholen – und halfen ihm den Fang an Deck zu ziehen. Auch July war inzwischen bei ihren Freunden erschienen und erwartete besorgt den Fang ihres Kapitäns.

Wie schon damals bei der Flaschenpost ließ der Zug mit einem Male nach und das Objekt am anderen Ende der Rute wurde mit enormer Wucht nach oben geschleudert. Die drei Piraten dagegen wurden zu Boden geworfen und blickten über sich. Diesmal flog keine Flaschenpost auf sie zu, sondern… eine Frau?!

Hastig rollten sie sich zur Seite, so dass die junge Frau mit dem Gesicht voran auf das Deck prallte und dort bewusstlos liegen blieb.

„Tyke, du angelst doch wirklich die dümmsten Sachen an Bord!“

Ihr Kapitän dagegen blickte neben sich, wo die arme Frau auf den Planken lag. Anschließend sah er zu July, die sofort nickte und sich um die verletzte Person kümmerte. Erst dann verteidigte sich der Rotschopf – wieder einmal: „Kann ich was dafür, wenn die sich an meiner Angel verheddert? Was hat sie überhaupt mitten auf dem Meer gemacht?“

„Schieb die Schuld nicht auf Andere,“ keifte Nina wütend und versuchte Tyke einen Tritt zu verpassen, doch dieser wich geschickt aus und stattdessen traf die Smutje die Fremde, welche sich unter Julys Hilfe vorsichtig aufgerichtet hatte.

„Kyaaaah!“

„Ups…“

„Aber auf mich meckern!“

Während Nina und Tyke sich stritten, sprang Aisuru ins Meer, um die erneut bewusstlose Fremde zu retten. Als diese letztendlich sich wieder auf dem Schiffsdeck befand und von der blonden Ärztin vor dem Rest ihrer Bande in Sicherheit gebracht worden war, schien sie allmählich wieder zu Bewusstsein zu kommen.

„Wo… Wo bin ich?“

„Ähm… auf unserem Schiff.“

„Was für ein Schiff.“

„Unser Piratenschiff.“

Plötzlich riss die Schwarzhaarige ihre Augen auf, sprang auf die Beine und versuchte Rückwärts rennend zwischen sich und July Distanz aufzubauen. „Vorsicht, da ist…“

„Kyaaaah!“

„… die Rehling. Aisuru!“
 

* * * * *
 

„Noch einmal spring ich ihr nicht hinterher,“ meckerte der ehemalige Magier, während er sein Hemd auswrang und sich die nassen Haare aus dem Gesicht strich.

„Ich habe ihr etwas zur Beruhigung gegeben. Kannst du sie bitte in mein Behandlungszimmer tragen?“

„Natürlich, für eine Schönheit tu ich doch alles.“

„Waaah!“

„Sie meinte nicht dich, du blöde Blaubeere,“ war Nina zur Stelle und kickte den Blauhaarigen gegen den Mast, ehe sie die Fremde hochhob und wie gewünscht in Julys Zimmer trug.

„Danke, Onee-san,“ meinte diese und folgte ihr eilig.

„Hö? Wieso nennst du Nina Onee-san, wenn du doch älter bist?!,“ fragte Tyke verwirrt, dem bereits auf Varekai aufgefallen war, dass July die Smutje so genannt hatte.

„Na ja, sie beschützt mich wie eine große Schwester…“

„Ja, vor der blauen Knalltüte dahinten.“

„Tyke… Ich fordere Ersatz… Mir wird das langsam zu viel,“ jammerte Aisuru unterdessen beinahe schon verzweifelt.
 

* * * * *
 

Es war gut zwei Stunden her, seit die kleine Piratenbande um den Rotschopf Tyke die schwarzhaarige Frau aus dem Meer – im wahrsten Sinne des Wortes – gefischt hatten. Inzwischen war sie wieder zu sich gekommen und hatte sich auch ein wenig beruhigt, so dass man sich einigermaßen normal mit ihr zu unterhalten vermochte. Gemeinsam mit ihr saß die Piratenbande im Behandlungszimmer der Ärztin, um ein wenig mehr über ihren Gast in Erfahrung zu bringen.

„Mein Name ist Kiki und ich bin Archäologin.“

„Und wie kommt es dann, dass du im Meer herumtreibst? Normalerweise solltest du doch in Ruinen oder so herumkriechen, oder nicht?,“ wollte Tyke wissen.

„Ich muss hineingefallen sein. Ich bin leider Gottes ein wenig… schusselig. Ich wollte mir die Hände waschen am Strand der Insel, wo mein Forschungsteam und ich unser Lager aufgeschlagen hatten. Danach kann ich mich nur noch daran erinnern, wie ich auf eurem Schiff aufgewacht bin,“ erklärte diese in knappen Sätzen und leicht verlegen. Aber vor allem deutlich verwirrt.

Nina fragte kurzerhand: „Du gehörst zu einem Forschungsteam?“

„Ja. Es wurden auf einer kleinen Insel in diesen Gewässern Ruinen einer altertümlichen, ja schon antiken Zivilisation entdeckt. Das man uns die Chance gab diese zu untersuchen war ein großer Erfolg. Seit dem Niedergang Oharas hat es ganze fünfundsechzig Jahre gedauert, bis wieder ein offizielles archäologisches Forschungszentrum gebildet werden durfte. Das haben wir den Bemühungen Nico Robins zu verdanken, obwohl die Weltregierung – sowohl die Alte, wie auch die Neue – immer ihr Bestreben angezweifelt hatte und ihr vorwarf nach Informationen über die Antiken Waffen zu suchen. In Gedenken an das damalige Zentrum und damit ihre einstige Heimat entschied sich unsere archäologische Leitung das Zentrum der Archäologie wieder hier im West Blue zu errichten. Und glücklicherweise konnten wir auch hier diesen erstaunlichen Fund machen. Ich war so glücklich als ich mich dem Team anschließen durfte und dann noch unter Führung meines Mentors. Und nun passiert mir so ein Unglück und das auch noch nach meinem Streit mit dem Professor. Das Schicksal scheint mich zu hassen.“

„Auf welcher Insel befindet sich denn euer Forschungsteam?“

„Tyke, willst du sie etwa nach Hause bringen?“

„Warum nicht? Vielleicht befindet sich ihre Insel auf unserem Weg.“

„Ich dachte du hättest es so eilig zur Grand Line zu kommen.“

„Ja schon, aber trotzdem… Außerdem dachte ich, dass du hier der Kavalier seist und nun setzt du dich nicht für diese Frau in Nöten ein?“

„Ich will nur sichergehen, dass du keinen Mist baust. Außerdem sag du mir nicht, wie sich ein Gentleman zu benehmen hat. Aber von mir aus. Also welche Insel ist es?“

„Lemuria.“

Aisuru schien kurz nachzudenken und meinte anschließend: „Zumindest ist es nicht auf der anderen Seite des West Blues. Du kannst jedenfalls nicht sehr Lange im Wasser getrieben sein. Von mir aus können wir einen Abstecher dahin machen. Wenn niemand von euch etwas dagegen hat.“

„Ich habe nichts dagegen,“ meinte July kleinlaut und auch Nina gab ihr Einverständnis.

Glücklich meinte der Rotschopf abschließend: „Damit ist es dann wohl entschieden. Wir fahren nun nach Lemuria!“
 

* * * * *
 

Schon zum dritten Male innerhalb kürzester Zeit saßen Tyke und Aisuru in ihren Trainingsstellungen auf der Rehling und angelten nach Fischen, während das Schiff seinem neuen Kurs Richtung Lemuria folgte. July befand sich diesmal dagegen auf dem Deck und zerrieb mit Hilfe ihres Mörsers einige Blüten.

Kurz vor der Abreise von Varekai hatte sie ein Paar interessante Pflanzen in der Nähe des Schiffes entdeckt und deren Samen eingesteckt. Inzwischen blühten diese in einem kleinen Topf in ihrem Krankenzimmer.

Doch leider hatte sie einige Blütenblätter abpflücken müssen, da sie mehrere Versuche mit ihnen vorhatte. Für sie als eine Art Pflanzengöttin mit grünem Daumen war dies mit Sicherheit schmerzhafter, als für das zarte Pflänzchen selber. Zum Glück half Kiki, aus Dank für die Mitnahme, ihr ein wenig dabei. Nur Nina hatte sich wieder in ihrer Kombüse verkrochen.

„Du hast gesagt ihr untersucht Ruinen,“ versuchte die Ärztin ein Gespräch anzufangen.

„Genau. Es handeln sich um Ruinen einer längst vergangenen Zivilisation.“

„Wisst ihr denn schon etwas über diese Zivilisation?“

„Längst vergangene Zivilisation?,“ warf Aisuru kurz dazwischen, „Erinnert mich irgendwie an die ganze Geschichte um das vergessene Königreich. Lass mich raten, die Weltregierung kehrt wieder irgendwelche Sachen unter den Teppich.“

„Die Bauten haben Ähnlichkeiten mit Ruinen, die ich schon einmal im East Blue und auf einer Insel am Anfang der Grand Line gesehen habe. Die ersten Ruinen dieser Art entdeckten wir jedoch auf einer anderen Insel hier im West Blue, sehr nahe am Calm Belt. Der Name dieser Insel lautet Mu. Aus diesem Grund nennen wir alle diese Ruinen lediglich: ‚Ruinen von Mu‘. Leider wissen wir noch sehr wenig über das Volk, welches diese Ruinen hinterließ. Doch jede Stelle, welche Reliquien dieser Era verbergen, geben uns neue Aufschlüsse über sie. So konnten wir zum Beispiel nachweisen, dass sie bereits die Grand Line besegelt haben müssen. Vielleicht waren sie sogar das erste Volk, welches versucht hat diese gefährlichen Gewässer systematisch zu erkunden.“

„Wie alt sind diese Ruinen denn?“

„Momentan können wir nur sagen, dass sie zu den Ältesten gehören, die wir jemals entdeckt haben. Sie stammen scheinbar aus einer Zeit vor unserer eigenen Zeitrechnung. Das konnten wir dank einer gefundenen Steintafel ausmachen. Dort ist die Rede von der Bitein-Dynastie. Doch anstatt unserer Zeitangabe von 260 Anno Maris, fällt dieses Ereignis auf ihr Jahr 833. Damit haben sie fast 600 Jahre vor uns mit der Datierung historischer Ereignisse begonnen. Seltsam finden wir nur, dass wir in den Geschichtsbüchern nichts von ihnen finden konnten, obwohl sie scheinbar noch existierten, als wir mit der Zeitrechnung begannen. Meine Kollegen und ich vermuten sowieso, dass sehr viel Wissen aus der damaligen Zeit verloren gegangen ist. Und damit meinen wir nicht nur die ehemals wahre Geschichte. Es scheinen noch mehr Lücken in der Geschichte zu geben. Auf jeden Fall verschwand das Volk von Mu vor rund 1200 Jahren einfach von der Bildfläche,“ ihre letzten Sätze waren an den Ex-Magier gerichtet, um scheinbar beiläufig seinen Einwand mit zu beantworten.

„Tatsächlich ist es so, dass Geschichte sich immer wiederholt und es sowieso erstaunlich ist, dass in der fast 1600jährigen bisher datierten Geschichte unserer Welt nur so wenige Völker wirklich vollkommen aus der Historie verschwanden. Dabei wandeln sich Denkweisen, Handlungsweisen und auch Verhaltensweisen über Jahrhunderte hinweg sehr stark. Aus einst friedlichen Völkern, werden barbarische Stämme. Aus hoch entwickelten Zivilisationen, zurückgebliebene Menschenanhäufungen. Darum versucht die neue archäologische Vereinigung vor allem sich mit verlorenen Völkern und Kulturen auseinander zu setzen. Wir wollen mehr über diejenigen in Erfahrung bringen, die schon längst nicht mehr sind.“

Aisuru bemerkte Tykes Schweigen und vor allem sein nachdenkliches Gesicht. Es war mehr als offensichtlich, dass er Kikis Ausführungen deutlich zuhörte und scheinbar diese Informationen in einen anderen Zusammenhang zu bringen versuchte. Wieso wurde der Navigator nur das Gefühl nicht los, dass der Tyke den er bisher hatte kennen lernen dürfen, eine Maske des echten Raven D. Tyke war?
 

* * * * *
 

„Professor, Professor!“

Die Stimme des jungen Archäologen hallte durch die gesamten Ruinen bis zu dem alten Kauz, der auf Knien herumrutschte und Steintafeln mit alten Inschriften studierte. Genervt blickte eben dieser auf.

„Was ist?“

„Ein Schiff nähert sich der Insel.“

„Ein Schiff? Bist du sicher, dass es nicht nur vorbei fährt?“

„Nein, es nähert sich eindeutig der Insel. Und das ist nicht einmal das Schlimmste.“

„Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen. Was ist denn noch?!“

„Das Schiff hat eine Piratenflagge gehisst.“

„Wie bitte?!“

Hastig stand der alte Mann auf, klopfte sich fix den gröbsten Dreck von seiner ausgewaschenen Hose und folgte dem Jungspund hinaus an die frische Luft. Die Lungen des alten Professors hatten sich so sehr an die stickige Luft der Ruinen gewöhnt, dass er schwer husten musste, als die klare Luft das alte Organ durchflutete. Erst fünf Minuten später – fünf Minuten qualvollen Hustens – konnte er endlich das Fernglas in die Hand nehmen und hindurch blicken.

„Die sind noch so weit entfernt. Ich kann gar nichts von ihrer Flagge erkennen.“

„Professor, Sie halten das Fernglas auch falsch herum.“

„Ach verdammt, sag das doch früher,“ fluchte der alte Mann und drehte es schnell um.

Jetzt konnte auch er den Jolly Roger am Mast des Schiffes erkennen.

„Diese Flagge ist mir völlig unbekannt. Mit denen werden wir schon irgendwie fertig,“ während er sprach schwenkte er kurz seinen Blick über das Schiff hinweg und dabei stach ihm eine der Personen, welche vorne am Bug standen, ins Auge: „D-D-Das kann doch gar nicht sein…“

„Was ist los, Professor?“

Schweigend blieb der Blick des Mannes an der Frau heften, ehe er schließlich antwortete.

„Hol schnell die Anderen. Sie sollen sich sofort hier versammeln. Kiki… Kiki befindet sich an Bord des Schiffes.“

„Was? Kiki?! Gott sei Dank, dann geht es ihr gut?“

„Scheinbar ist sie keine Gefangene der Piraten, daher denke ich auch dass es ihr gut geht.“
 

* * * * *
 

Fröhlich lehnte sich die Schwarzhaarige über die Rehling und winkte mit ihren Armen so stark sie nur konnte. Sie war überglücklich wieder bei ihren Freunden zu sein und so bedankte sie sich alle zwei Minuten bei Tyke und dessen Bande. Dieser musste jedes Mal versichern, dass sie der Bande keine zusätzliche Mühe bereitet habe und das, das doch jeder an seiner Stelle gemacht hätte.

Solange jedenfalls, bis Kiki plötzlich mit einem Bein wegrutschte, sich ihr Körpergewicht nach vorne verlagerte und sie mit einem kleinem Bogen über das stützende Geländer fiel. Sich mehrfach überschlagend stürzte sie auf das Meer zu, bis sie mit einem schrillen Schrei schließlich aufs Wasser aufklatschte und damit endlich wieder Ruhe in die hübsche Inselidylle einkehrte. Aisuru, in seiner Funktion als Rettungsschwimmer, musste ihr hinterher springen, weshalb er auch mürrisches grummeln von sich gab.

Langsam wurde der Bande klar, wie sie ins Meer gefallen war und was sie mit ‚ein wenig schusselig‘ in Wirklichkeit gemeint haben musste.

Die Tempelruinen von Mu

Nachdem sich July vergewissert hatte, dass der Anker das Schiff an Ort und Stelle hielt, verließ sie – wie ihre Freunde zuvor – mit Hilfe einer ihrer Riesenseerosen den Kahn und gesellte sich zu den anderen Crewmitgliedern und der Meute von Archäologen, die sich um Kiki gescharrt hatten und immer wieder nach ihrem Zustand fragten.

„Geht es dir gut?“

„Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht!“

„Was ist mit dir passiert?“

„Jetzt lasst sie doch erst einmal in Ruhe, ihr Nichtsnutze!,“ musste schließlich der Älteste von ihnen dazwischen gehen.

Tyke fand die seltsame Frisur des Archäologen amüsant. Scheinbar hatte er seine langen weißen Haare zu kleinen Zöpfen gebunden, diese hatte er wiederum zu Größeren gebunden und diese anschließend zu einem absolut Dicken nochmals zusammen gebunden. Das Gebilde, was dabei entstanden war, erinnerte ihn an den Haarturm zu Babel.

„Professor Veryold, ich bin so froh wieder hier zu sein.“

„Ach Kiki, meine Schülerin. Wir haben uns solche Sorgen gemacht,“ sprach der Archäologe mit Tränen in den Augenwinkeln, erstickter und beinahe schon wohlwollend, großväterlicher Stimme.

Doch sein Forscherteam hielt dagegen: „Sie haben nicht einmal gewusst, dass Kiki weg war und stattdessen weiter gegraben!“

„Klappe sagte ich, ihr Taugenichtse! Dafür wird die Nacht durch gebuddelt!“

„Bei der Dunkelheit nach Artefakten suchen?! Damit machen wir uns die Augen kaputt!“

„In der blöden Ruine ist es sowieso Dunkel, ihr Holzköpfe.“

Mit grimmiger Miene schleuderte der Professor seine Sandalen in Richtung seines Forschungsteams, welches sofort in alle Richtungen auseinander rannte, um ja den gefürchteten Verfolgungssandalen zu entkommen. Doch schien der alte Professor eine so perfekte Wurftechnik zu besitzen, dass einer von ihnen immer getroffen wurde. Kiki konnte nicht anders als laut loszulachen und nach kurzer Zeit stimmten auch die Anderen mit ein.

„Ihr habt Kiki also zu uns zurück gebracht? Dafür bin ich euch sehr dankbar,“ meinte Veryold schließlich an Tyke gewandt und begrüßte die Piratenbande damit nachträglich.

„Schon in Ordnung. Wir haben sie zufällig entdeckt und da wir sowieso hier vorbei mussten, war es eigentlich kein großer Umweg für uns.“

„Ihr seid sicherlich auf dem Weg zur Grand Line, oder? Ich habe diesen Jolly Roger noch niemals gesehen und dabei bin ich über sämtliche Piraten des West Blues informiert. Das ist wichtig, wenn man ein Forschungsteam leitet. Wir müssen immer auf einen Piratenangriff vorbereitet sein.“

„Sie haben Recht. Den Jolly Roger haben wir gerade einmal ein paar Tage lang. Wir sind noch nicht allzu lange unterwegs,“ bestätigte der Kapitän die Ausführung seines Gegenübers, sah diesen einen Moment kurz an und fragte dann spontan: „Dient ihr Haarturm als Vogelnest?“

Es herrschte einen kurzen Moment Stille, ehe die Archäologen in schallendes Gelächter ausbrachen und riefen: „Wir sagten Ihnen doch, Professor, dass diese Frisur seltsam aussieht.“

„Seid jetzt still, ihr Faulpelze! Und nein, es ist kein Vogelnest.“

„Bienenstock?“

„Auch nicht.“

„Ameisenberg?“

„Wieder nein,“ bevor Tyke erneut etwas vorschlagen konnte, schnappte der alte Mann sich Tykes Lippen und quetschte diese zusammen, ehe er ungerührt sprach: „Auf jeden Fall scheint ihr keine bösen Menschen zu sein. Nur frech. Pig, zeig unseren Gästen doch bitte ein wenig die Insel und die Ruinen. Ich möchte kurz mit Kiki alleine reden.“

Während sich aus der Gruppe der Archäologen ein dicklicher Kerl löste und sich vor der Truppe aufbaute, entließ Veryold Tyke aus der Mundumklammerung. Augenblicklich verkroch sich July hinter der einzigen anderen Frau in der Truppe und auch diese starrte fassungslos auf den vermeintlichen Archäologen vor sich. Pig war zwar ein Gigant von einem Menschen, an die zweimeterzwanzig groß, doch dasselbe Maß galt praktisch für seine Körperfülle. Dazu kam die kleine Schweinsnase, welche es sich genau inmitten seines Gesichtes gemütlich machte und somit seinen Namen mehr als passend machte. Das längsgestreifte Hemd war in eine viel zu enge Hose geschoben, deren Gürtel scheinbar einen epischen Kampf mit Pigs Leibesfülle ausfocht. Lediglich der lange Mantel versucht wenigstens ansatzweise diese voluminöse Gestalt zu kaschieren.

„Grun, hallo. Ich bin Pig, meines Zeichens Archäologe und zweiter Stellvertreter von Professor Veryold, nach Kiki. Folgt mir bitte, ich führe euch direkt einmal in die Ruinen. Normalerweise zeigen wir keinen Fremden die Ruinen, doch ihr habt Kiki gerettet und da kann man sicherlich ein Auge zu drücken. Grun, wie heißt ihr eigentlich?“

„July Medica.“

„Nina.“

„Aisuru Casanova.“

„Raven D. Tyke.“

Plötzlich blieb Pig, dessen Gang an das Watscheln einer Ente erinnerte, stehen und drehte sich überrascht um.

„Grun, ein Name den es nicht zu unterschätzen gilt. Es ist mir eine Ehre einen von euch treffen zu dürfen. Hätte niemals gedacht, dass mir das einmal passiert, grun.“

Der rundliche Riese führte die Truppe zu einer Höhle nicht unweit des Strandes entfernt. Vom ersten Eindruck her, schien die Insel lediglich aus einem zentralgelegenen Berg und dem umlaufenden Strand zu bestehen. Zwar erkämpfte sich ein wenig Vegetation ihren rechtmäßigen Platz auf dem Eiland, dennoch blieb der Eindruck einer kargen Landschaft.

Am Eingang der Höhle entnahm Pig eine Fackel ihrer Halterung und zündete sie nach einigen ungeschickten Versuchen mit zwei Feuersteinen an. Anschließend führte er die Gruppe einen Gang entlang, in welchen der Koloss gerade einmal so hinein zu passen schien.

„Grun, wir wissen nicht warum, doch scheint es, dass die einstigen Bewohner der Insel ihre gesamte Zivilisation unterirdisch aufgebaut haben. Unter diesem Berg gibt es ein ganzes Labyrinth von Wegen und Tunneln. Manche führen sogar mehrere hundert Meter ins Meer hinaus. Die damaligen Architekten haben sozusagen das Meer untergraben, grun.“

„Wow,“ schrie Tyke begeistert, auch wenn sie bisher nur karge Tunnel gesehen hatten. Und selbst von diesen hatten sie nicht viel, da Pigs massiger Leib verhinderte, dass auch nur ein Lichtschimmer der Fackel bis zur Gruppe hinter ihm durchdrang.

Während sie dem Weg folgten und Pigs Erklärungen über die Entdeckung des Tunnelnetzwerkes und ihre bisherige Erforschung lauschten, verlor die kleine Gruppe jegliches Gefühl für Orientierung und Zeit. Pig manövrierte sie jedoch zielsicher durch das unterirdische Gewölbe, welches sich scheinbar wie eine Schlange durch das tiefliegende Erdreich gewühlt hatte. Immer wenn sie an eine Kreuzung ankamen, folgte der Fleischberg zielsicher einem Weg und stoppte dabei zu keiner Zeit, sowohl seinen Redefluss, noch seine Erzählung. Doch dann aber, mit einem Male, schien es so, als durchstieße er eine Wand und helles Licht fand sich einen Weg an Pig vorbei in das Tunnelgewölbe hinein. Die schmale Öffnung verbreiterte sich schlagartig und die kleine Gruppe betrat eine gigantische Höhle, welche mit Sicherheit mehrere Kilometer unter der Insel, welche die Archäologen regelrecht beschlagnahmt hatten, liegen musste. Es war ein monomentaler Anblick. Ehrfurchtgebietend und gleichzeitig einmalig schön.

Eine ganze Stadt in felsigen Granit und festes Erdreich geschlagen. Ein Ort der vor hunderten von Jahren von pulsierendem Leben erfüllt gewesen sein musste und nun stiller Zeuge der Macht der Zeit war.

Die Natur hatte inzwischen zurück erobert, was einst ihr gehört hatte und Unmengen Grün bedeckten die sonst so tristen braun und grauen Gebäude.

„Es ist fast perfekt erhalten. Einige Tunnel sind eingestürzt, doch das Zentrum hier ist in bestem Zustand. Wir glauben übrigens, dass es Tunnel zu einigen Inseln in der Nähe geben muss, grun. Es wäre unvorstellbar, dass eine solch grandiose Zivilisation nur einen Zugang zu ihrem Reich gelegt haben soll. Leider haben wir noch nicht alle Wege erforschen können. Es ist oftmals zu gefährlich durch das Labyrinth hier herum zu irren. Ohne jemanden, der die wichtigsten Wege auswendig kennt, findet man hier den sicheren Tod, grun.“

„D-Die Pflanzen hier kenne ich ja gar nicht,“ jauchzte die Ärztin glücklich und stürzte auf eine Kletterpflanze zu, die sich an einem hausartigen Gebilde empor kämpfte und bereits zwei drittel der Strecke hinter sich hatte. Ihre fächerförmigen Blätter bedeckten dabei den überraschend kräftigen Stamm.

Aisuru und Nina dagegen wandelten andächtig durch die Höhle und versuchten sich jedes noch so kleine Detail zu merken. Es war einfach erstaunlich, zu welchen Glanzleistungen alte Völkern einst im Stande waren und wie viel von diesem überragenden Wissen leider Gottes im Laufe der Zeit verloren gegangen war, nur um irgendwann neu entdeckt werden zu können.

Tyke dagegen ging zielstrebig auf den Kern der Höhle zu und damit auf die Stufenpyramide die sich bis zur Decke streckte und gut die Hälfte des Hohlraumes allein für sich beanspruchte.

„Grun. Der Tempel. Von alle Mu Ruinen, die bisher entdeckt wurden, ist dies die Einzige mit einem solchen Tempel. Wir nennen sie daher die Tempelruinen von Mu. Wir haben leider noch keinen Eingang in das Innere der Pyramide finden können, doch wird es sicherlich nur eine Frage der Zeit sein, bis wir auch diese werden erforschen können.“

„Zeit…,“ wiederholte Tyke flüsternd, so dass es niemand anderes mit bekam, ehe er laut sprach: „Wir sollten zurück gehen. Danke, dass du uns hierher geführt hast. Es war ein berauschender Anblick, den wir mit Sicherheit nicht so schnell vergessen werden können.“
 

* * * * *
 

Als die Gruppe wieder aus dem Eingang heraustrat, durch welchen sie schon vorher in das Innere des Tunnelsystem gegangen waren, mussten sie erkennen, dass es bereits Abend wurde und die Sonne bereits ihr feuriges Licht kurz vorm Untergang verbreitete und damit das Meer blutrot färbte.

„Wir waren scheinbar ziemlich lange weg,“ stellte Nina überrascht fest.

„In den Tunneln verliert man schnell sein Zeitgefühl, grun. Ich werde den Professor nun aufsuchen. Ihr könnt euch, wenn ihr wollt, ein wenig im Lager umschauen.“

Mit diesen Worten ließ der Koloss die Rabenpiraten zurück und machte sich auf den Weg. Die Piraten sahen sich kurz an und entschlossen sich Pigs Rat anzunehmen. Während sie zwischen den provisorischen Zelten des Archäologenlagers umher streiften, stach ihnen schnell eine Rauchsäule ins Auge, welche aus dem Zentrum empor stieg. Das Schlimmste befürchtend eilten sie in die Richtung, woher der dicke Qualm kam und fanden zu ihrer Überraschung tanzende und feiernde Archäologen vor.

„Was ist denn hier los?!,“ fragte Aisuru verwirrt, während ihn eine dickliche Archäologin am Arm packte, ihn in die Mitte, wo ein gigantischer Holzturm lichterlog brannte, zog und anfing mit ihm zu tanzen, wobei sie den armen Piraten so kräftig an ihre Brust drückte, dass ihm Mund und Nase verschlossen wurde und er verzweifelt versuchte keinen qualvollen Erstickungstod zu erleiden.

„Wir feiern die Rückkehr von Kiki,“ meinte ein anderer, angetrunkener Archäologe lallend und reichte Tyke, Nina und July Krüge randvoll mit feinstem und hochprozentigstem Alkohol.

Plötzlich begannen die Augen des rothaarigen Kapitäns zu funkeln und seine Crewmitglieder ahnten Schlimmes, doch ehe die Smutje und der Navigator hatten eingreifen können, hatte sich Tyke bereits sein Hemd vom Leib gerissen, es sich um die Stirn gewickelt, zwei Holzzweige zwischen Nasenlöcher und Mundwinkel gesteckt und begann vor dem Lagerfeuer einen seltsamen Tanz zu tanzen. Dabei reckte er seine Arme gen Himmel, knickte aber die Hände so ab, dass die Handflächen nach unten zu ihm zeigten. Dazu machte er ein ganz ernstes Gesicht und begann rhythmisch die Hüfte nach links und rechts zu schwenken. Zu guter Letzt stampfte er auf der Stelle und vollführte hin und wieder einen Sprung bei dem er die Hacken aneinander schlug. Auf Ninas entsetzte Frage, was dies solle, erklärte Tyke nur seelenruhig, dass er gerade den auf der Grand Line angesagtesten, coolsten und hippsten Tanz vorführe.

Während July sich köstlich über das Benehmen ihres Kapitäns amüsieren und aus voller Kehle über ihn lachen konnte, sahen die anderen Beiden mit einem eindeutigen Blick, welcher eine Mischung aus Fremdschämen und dem Wunsch auf einer kleinen einsamen Insel irgendwo in einem der anderen Blues sich zu befinden darstellte, in Richtung Lagerfeuer.

„Nun ja… ich denke mal. Wenn man nicht gegen ihn ankommt…“

„…Muss man mit ihm mitmachen,“ vollendete die wilde Rothaarige den Satz ihres Gefährten seufzend und kippte sich den Alkohol in den Rachen.

Synchron schüttelten sie mit ihren Köpfen und blickten ein letztes Mal verzweifelt zu der Knalltüte, die ihre Bande an- und in Richtung Grand Line führen sollte. Das würde ihr sicherer Untergang werden. Doch zuerst mussten sie mit Entsetzen feststellen, dass Professor Veryold und Kiki sich Tykes seltsamen Tanz angeschlossen hatten. Wobei der alte Professor dafür ausgebuht wurde, da sein leichenblasser, alter ausgedorrte Leib alles andere als einen schönen Anblick bescherte. Kiki dagegen, die nur im Bikinioberteil – es war bei ihrer Tollpatschigkeit verständlich, dass sie anstatt normaler Unterwäsche lieber direkt einen Bikini drunter trug, wer wusste schon wie oft sie am Tag ins Meer plumpste – vor Allen tanzte, wurde bejubelt und mit Rosen und Geschenken männlicher Verehrer übersehen. Auch Aisuru fand endlich Spaß daran und streckte der Archäologin den erhobenen Daumen entgegen.

„Gut gemacht Tyke,“ waren seine Worte, bevor Nina ihm einen Tritt von der Seite – punkt genau gegen den Kehlkopf – verpasste und anschließend ihren Krug dem Professor an den Kopf warf, der blutend zu Boden ging und augenblicklich von July umsorgt wurde.

Leider konnte die scheinbar einzig Vernünftige in dieser chaotischen Bande nichts dem Siegesmarsch von Tyke’s Zappeltanz entgegen setzen, so dass sich immer mehr Archäologen um das Feuer versammelten, zu tanzen und einige wenige sogar mit bleierner Zunge zu singen begannen. Erneut seufzte sie schwer, ehe auch sie endlich aufgab und sich den Tanzenden anschloss, jedoch behielt sie dabei ihr Oberteil an. Zum Leidwesen aller Männer…
 

* * * * *
 

„Grrr, wie konnte das nur passieren?!,“ fragte die finstere Gestalt sich selbst und blickte auf die Truhen in dem kleinen, seichte im Wellengang wiegenden Boot

Sein Plan war so grandios gewesen und nun war alles durcheinander gekommen. Erst schien es, als habe er Kiki erfolgreich beseitigen können, doch nun war sie zurück und zu allem Überfluss war sie mit Piraten im Schlepptau zurück gekehrt.

Hätte sie es ihm nicht einfach machen und einfach ertrinken können?!

Wie viel Ärger sie ihm damit erspart hätte. Doch nun musste er improvisieren. Vielleicht war die Ankunft der Piraten ja auch ein Segen für ihn. Auf die Weise würde er die unglaublichen Schätze der Ruinen stehlen und jemand anderes zum Sündenbock erklären können.

Ja, genau, so war es. So würde sich das Blatt erneut wenden und er am Ende als Sieger aus der Geschichte hervor gehen. Vorsichtig und behutsam strich er über eine der drei Truhen. Die Ruinenschätze waren mit Sicherheit dreiundvierzig Millionen Berry Wert. Wenn nicht sogar noch mehr. Eine solche Summe durfte er sich auf keinen Fall entgegen lassen. Und sollte es doch noch hart auf hart kommen, würde er eben den Professor als Geisel nehmen, um endlich von dieser staubigen und langweiligen Insel entkommen zu können.

Auf einmal vernahm er Stimmen. Laute Gesänge. Kam das etwa vom Lager?!
 

* * * * *
 

Müde und erschöpft saßen die vier Rabenpiraten mitsamt Kiki und dem Professor vor dem riesigen Lagerfeuer auf dem Boden. Sie waren allesamt vom Tanzen erschöpft und gönnten sich daher eine kleine Pause. Aisuru und Nina begossen dies mit hochprozentigem, während sich July mit einem einfachen Saft begnügte. Tyke war der Einzige, der von Nina eine kleine Nachspeise gefordert hatte und am Ende sich mit einem Glas Milch zufrieden geben musste. Die Smutje hatte keine Lust gehabt in ihrem angetrunkenen Zustand für ihn einen Pudding zu zubereiten.

Kiki und ihr Mentor dagegen verzichteten auf etwas zu trinken und aßen stattdessen ein wenig Gegrilltes, welches über dem Feuer gebraten worden war.

„Haaaaah, heiß,“ jauchzte der alte Mann und machte einen mehr als zufriedenen Eindruck, obwohl er sich so eben die Zunge gründlich verbrannt hatte.

„Sagt mal, wieso seid ihr eigentlich Archäologen geworden?!,“ fragte July, der diese Frage wie das beinahe glühende Fleisch in Veryolds Mund auf der Zunge brannte.

„Weil mich die Geschichte interessiert. Das was einst war. Entscheidungen aus der Vergangenheit und deren Einfluss bis in die Gegenwart,“ meinte Veryold wie aus der Pistole geschossen.

Kiki dachte einen Moment länger darüber nach, ehe sie schließlich anfing: „Ich habe schon früh erkannt, dass Geschichte sich wiederholt. Das fand ich seltsam, da uns allen ja das Wissen über vergangene Ereignisse zur Verfügung stehen. Jedoch wirklich erstaunlich war dabei für mich die Tatsache, dass wir oft nichts aus dem Vergangenen lernen. Eine Weltregierung fiel, nur damit aus ihren Überresten wie der legendäre Phoenix eine Neue entstehen konnte. Genauso schlimm, wenn nicht sogar schlimmer. Um nur ein aktuelles Beispiel zu nennen.“

„Aber haben sie nicht euch erlaubt wieder die Archäologie aufzunehmen?“

„Durch ein großes Opfer Nico Robins, ja. Auch die Marine, die Piraten und alle Anderen lernen nichts aus den Fehlern der Historie. So wie auch ich, nichts aus meinen Schusseligkeiten, die mir bisher geschahen, lerne. Scheinbar liegt es in der Natur des Menschen immer und immer wieder dieselben Fehler zu machen, um die selbigen Konsequenzen und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Irgendwie ironisch, nicht wahr? Aber auch gute Dinge wiederholen sich immer wieder einmal. Schließlich hatte das Schicksal nicht nur einen Piratenkönig geplant und wie auch Roger, hatte Ruffy vieles bewegt. Und ich bin mir sicher, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis jemand auch Ruffy’s Erbe antreten wird… Wusstet ihr im Übrigen, dass sich Ruffy und Roger in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich gewesen sein sollen? Tyke, wie sieht es mit dir aus? Bist du Ruffy ähnlich oder willst du gar nicht wie er Piratenkönig werden?!.“

„Mein Vater…,“ begann der Pirat auf ungewöhnliche Weise, vor allem aber ungewohnt ernst. Dabei blickte er starr in das knisternde Lagerfeuer, welches mitsamt dem haarfarblich angepassten Mann, als einziges die Stille zu durchbrechen wagte: „… hat mir viele Male Geschichten über die Strohhutpiraten erzählt. Er sprach von ihnen, als sei er selbst ein Mitglied der Bande gewesen. Er war praktisch ein Fan dieser Bande. Er redete mit brennender Leidenschaft und ergriffenem Herzen von ihren Abenteuern. War bestens über sie informiert. Am Liebsten wäre er vermutlich einer von ihnen gewesen. Als Jungspund, hatte er nur wegen ihnen Pirat werden wollen. Deshalb wurde er von allen in den Reihen der Marine gehasst. Er war genauso wie ich ein schwarzes Schaf in den Reihen unserer Familie, doch im Gegensatz zu mir hat er sich ihrem Willen gebeugt, um über sie keine Schande zu bringen. Dafür wurde er zum Außenseiter. Deshalb und weil er als Einer von Wenigen immer für wahre Gerechtigkeit stand. Für das wofür auch die Strohhüter noch heute stehen. Welch Ironie, dass man ausgerechnet ihn offiziell zum Mörder Lysops und Bezwinger Zorros titulierte. Und welcher Hohn gleich dazu.“

Während seine Lippen die Worte geformt und ihnen damit in gewisser Weise Leben eingehaucht hatten, waren immer mehr Archäologen, die bis dahin noch lautstark feierten, tanzten und jubelten, verstummt, um stattdessen der Erzählung des Piraten zu lauschen. Schweigend und aufmerksam hörten sie ihm zu, allen voran Kiki und ihr Mentor Professor Veryold. Aber auch die Gefährten des Rotschopfes bekamen eine ganz neue Seite ihres Kapitäns zu sehen und fragten sich, warum er dies ihnen erzählte.

„Er erzählte mir so oft von ihren Abenteuern, dass ich sie nachsprechen konnte, wenn er sie mir als Gute-Nacht-Geschichten abends erzählte. Du hast Recht Kiki, Geschichte wiederholt sich. Wenn ich daran denke, was seit meinem Abschied von Loris geschah, bis zum jetzigen Zeitpunkt, erkenne ich Gemeinsamkeiten zwischen Ruffys und meinem Leben. Aber vielleicht sehe ich auch nur was ich sehen will. Nur die Zeit kann beweisen, ob ich das Recht habe wie Ruffy meine Träume zu erreichen, oder ob ich im staubigen Dreck der Niederlage enden werde. Mein Ziel bleibt bis dahin aber bestehen: Ich will der nächste König der Piraten werden!“
 

* * * * *
 

Herzhaft gähnend wachte Aisuru aus seinem tiefen Schlaf auf. Träge richtete er sich auf, streckte sich als habe er mindestens hundert Jahre schlafend verbracht und kratzte sich müde am Hinterkopf. Dabei schmatzte er leicht, um den abscheulichen Geschmack auf seiner Zunge loszubekommen. Wie viel Alkohol hatte er getrunken? Einen Kater hatte er zwar nicht – ein Glück! –, doch konnte er sich nicht einmal daran erinnern, wann er das letzte Mal nach einem Saufgelage einen solchen ekelerregenden Geschmack auf der Zunge geschmeckt hatte. Genervt schob er – mehr beiläufig, als wirklich bewusst – das Gewehr, welches ihm praktisch schon ins Auge stach, zur Seite, damit er das hässliche Gebilde nicht ständig im Gesichtsfeld hatte.

Immer noch müde richtete er sich vorsichtig auf und kratzt sich erneut. Doch diesmal an der Brust. Beinahe wäre er wieder hingefallen, hätte er nicht noch rechtzeitig einen der Archäologen um sich herum zu fassen bekommen, um sich an diesem abzustützen. Was war nur los? Warum war er nur so schlapp. Plötzlich bohrte sich eine einfache Erkenntnis, wie ein glühender Eisenstab tief in sein Gehirn. Er musste auf einem spitzen Stein geschlafen haben, so dass sein gesunder Schönheitsschlaf gestört worden war und er sich im Endeffekt nicht richtig hatte erholen können. Na toll, damit war der Tag praktisch gelaufen.

Torkelnd wollte er zum Strand gehen, um sich dort das Gesicht zu waschen, als sich erneut der Lauf eines Gewehres ihm in den Weg schob, doch diesmal drückte es gegen seine Brust.

„Habe ich das Ding nicht eben schon beiseite gerückt? Das nervt ganz schön, wenn ihr mit einem Gewehr…“

Schlagartig wurde der Navigator wach und blickte in die wütenden Gesichter gut eines Dutzend Archäologen. Er wusste nicht warum, aber scheinbar waren sie ziemlich verärgert. Hatte er am Vorabend im Suff irgendwas verbrochen, wovon er nun keine Ahnung mehr hatte?

Schnell ging er die Optionen durch:

In das Zelt des Professors erbrochen? – Dafür würden sie nicht mit Gewehren auf ihn Zielen.

Eine Archäologin sexuell belästigt? – Unwahrscheinlich dafür war er zu charmant.

Eine Archäologin einfach nur belästigt? – Die meisten Archäologinnen sahen hier eher wie Gewichtheberinnen von Polones aus und waren daher nicht sein Typ oder sie waren im schlimmsten Fall nicht einmal dem weiblichen Geschlecht angehörig…

Ninas Shirt hochgezogen? – Dann würde er nun in keine Gewehrläufe blicken, sondern auf Radieschen…

„Egal was ich gemacht habe,“ begann der Ex-Magier schließlich, da er sich auf das Verhalten der Männer keinen Reim machen konnte, „es tut mir schrecklich Leid und wird nicht wieder vorkommen. Versprochen!“

„So einfach kommst du uns nicht davon,“ meinte einer der Männer wütend.

Inzwischen wurden auch die anderen Mitglieder der Bande herbei geführt und zusammen sahen sie sich einer Überzahl von Archäologen entgegen gestellt, die sie als Freunde ansahen und daher eigentlich nicht bekämpfen wollten.

„Wie konntet ihr uns das nur antun, grun?,“ meldete sich eine bekannte Stimme zu Wort und zwischen den Männern des Forschungsteams erschien Pig. „Wir haben euch bei uns aufgenommen, uns für Kikis Rettung gedankt und sogar mit euch gefeiert. Und wie dankt ihr uns das? Indem ihr uns bestielt!“

„Gestohlen?! Wir haben nichts gestohlen! Aisuru, hast du etwas von denen verschwinden lassen?,“ der strenge Blick des rothaarigen Kapitäns ruhte auf seinem Navigator, der nur zurückgab: „Ich kann nichts verschwinden lassen. Wie oft denn noch? Das sind lediglich Taschenspielertricks und kleinere Illusionen. Keine richtige Magie.“

„Ruhe jetzt, grun. Sagt uns sofort wo die Schätze sind.“

„Schätze? Welche Schätze,“ versuchte Nina es beschwichtigend, um auch auf diese Weise ein wenig den Hintergrund des Problems zu erkennen.

„Na die Goldschätze aus den Tempelruinen von Mu! Die wertvollen Artefakte, die wir bei unseren Grabungen und der Erforschung des Tempels im Zentrum entdeckt haben! Ihr wisst genau, wovon ich spreche, grun.“

„Was geht hier vor?,“ war schließlich die Stimme Veryolds zu hören, der aus einem Zelt in der Nähe trat und sich müde über die Augen strich. Man sah ihm den Schlafmangel deutlich an.

„Diese Piraten haben unsere Gastfreundschaft ausgenutzt und die Tempelschätze gestohlen,“ erklärte einer der Archäologen knapp.

„Wer sagt das?“

„Ähm… nun ja… die Schätze sind nicht mehr da, also muss sie jemand gestohlen haben…,“ warf ein Anderer ein.

Ein dritter fügte schnell hinzu: „Von uns war es sicherlich keiner. Wir hätten doch keinen Grund dazu gehabt.“

„Denkt ihr wirklich, dass Tyke und seine Freunde uns bestohlen haben könnten? Denkt ihr wirklich so, nachdem wir gestern so ausgiebig mit ihnen gefeiert haben?“

Beschämt blickten einige der Anwesenden zu Boden und der Eine oder Andere senkte sogar vorsichtig den Lauf seiner Waffe.

„Grun, aber Professor, wer soll es sonst gewesen sein?“

„Tyke und die Anderen sind gute Menschen. Ich weiß nicht wer es war, aber nicht sie.“

„Professor, das sind doch Piraten! Verbrecher! Grun. Sicherlich haben sie das von langer Hand geplant. Sie wollten nur an den Schatz aus den Ruinen heran und haben daher nur die freundlichen Piraten gespielt.“

Der Angesprochene schien kurz nachzudenken, als suche er nach einer Lücke in dieser Schlussfolgerung. Oder hatte sie ihn bereits überzeugt? Es dauerte eine Weile, ehe er letztendlich sprach: „Wie hätten sie etwas von dem Schatz wissen sollen?“

„Jemand muss es ihnen gesagt haben. Vielleicht sogar Kiki. Sie muss ihre Komplizin sein, grun! Das erklärt auch ihr plötzliches Verschwinden vorgestern.“

Kiki, die inzwischen auch von den Geschehnissen heran gelockt worden war, wehrte sich augenblicklich gegen die Anschuldigungen: „Ich bin lediglich ins Meer gefallen, mehr nicht! Das war meine eigene Tollpatschigkeit und kein Komplott.“

„Beweise, grun!“

„Es reicht,“ ging Veryold dazwischen und strafte Beide eines harschen Blickes, „Ich glaube Tyke und seinen Freunden. Ich weiß aus eigener Hand, dass nicht alle Piraten schlechte Menschen sind. Es gilt also den wahren Verbrecher zu finden und dies muss jemand aus unseren eigenen Reihen sein. Pig… ich weiß, dies ist für dich ein unvorstellbarer Gedanke, aber dennoch musst du es in Betracht ziehen. Warum also versucht du nur so vehement die Schuld bei unseren neuen Freunden zu suchen?!“

Das Kommende geschah so schnell, dass keiner darauf vorbereitet war und somit niemand hatte rechtzeitig reagieren können. Blitzschnell zog der Koloss eine Pistole hervor, packte Veryold und richtete die Waffe an seinen Schädel.

„Warum müssen Sie auch einem Haufen Gesindel wie diesen Piraten mehr glauben als einem Kollegen wie mir? Es hätte alles so einfach sein können, grun…“

Dante, der Kensei

Professor Veryold sah ungläubig zu seinem Assistenten, so gut es von seiner Position aus ging, der noch immer mit der Pistole auf ihn zielte.

„W-Was soll das Pig?“

„Grun. Denken Sie etwa, dass man als Archäologe gut leben kann? Ich habe das alles nur durchgemacht, um die erstbeste Chance zu nutzen, die sich mir bot. Die Schätze aus der Tempelruine sind Millionen Berry wert und würden mir damit ein einfaches Leben verschaffen. Damit wäre ich mit einem Schlag reich und das ohne große Anstrengung! Alles wofür ich bisher gelebt habe, würde sich endlich bezahlt machen und ich würde nur bekommen, was mir auch zustände.“

„Also hast du die Artefakte entwendet und nicht Tyke oder Kiki?,“ fragte der Professor und Tyke sah, wie er mit aller Kraft die Zähne zusammen biss. Auch wenn er es nicht ausgesprochen hatte, schien sich tatsächlich ein Funken des Zweifels bei der vorherigen Diskussion nach einem Schuldigen in sein Herz eingeschlichen zu haben und dieser Moment der Schwäche tat ihm nun Leid und nagte zudem an ihm.

„Grun, ganz genau. Und beinahe hätte ich die Schuld auf diese Piraten schieben können. Das war ein narrensicherer Plan, doch sie mussten ja diesem rotköpfigen Vogelnest glauben, grun.“

„Dann hast du Kiki auch ins Meer geschubst, nicht wahr?,“ kam es plötzlich von Aisuru.

Einen Moment lang sah der Riese in die Richtung des Navigators, ehe er dann leicht nickte.

„Ja. Sie hatte mich erwischt. Da musste ich sie loswerden. Sie schlich durch die Tunnel und erwischte mich dabei, wie ich einige der Schätze aus der Kammer holte. Ich konnte nicht zulassen, dass sie mich beim Professor verpfiff.“

Alle blickten zu Kiki, die jedoch angestrengt nachzudenken schien und anschließend meinte: „Da muss ich schlafgewandelt sein… Ich erinnere mich wage an etwas derartiges, doch hielt ich es lediglich für einen abstrakten Traum.“

Die Worte der Schwarzhaarigen trafen alle Anwesenden wie ein Keulenschlag und warfen sie praktisch zu Boden. Mit dieser Antwort hatte nun wahrlich niemand gerechnet.

Tyke nutzte die Chance, die sich in diesem Moment bot, und ließ rasch seine Kräfte wirken. Mit einem Mal umschlangen seine Eisenspäne die Pistole Pigs, welcher zu spät bemerkte was geschah und erst danach abdrückte. Da aber versperrten Tykes metallische Späne bereits den Lauf und so explodierte die Pistole in der Hand von Pig.

Sofort war der Piratenkapitän zur Stelle, um mit seinem Überraschungsangriff weiter zu machen.

„Die Archäologen versuchen sich wieder einen guten Ruf aufzubauen und du hast nichts Besseres vor, als deinen eigenen Vorteil herausschlagen zu wollen.

„Magnetisierung – Big Hammer!“

Aus Tykes Beutel stiegen die Eisenspäne auf und hüllten die Faust ein, welche zum Schlag ausgeholt war. Als sich eine Kugel in Größe eines menschlichen Kopfes um die Rechte des Piraten gebildet hatte, schlug er endgültig zu und traf zielsicher die Magengrube des Hünen. Dieser ging mit einem Bein in die Knie, ächzte vor Schmerzen auf, blieb jedoch stehen. Erstaunt sah der Kapitän den fleischigen Koloss vor sich an. Scheinbar hatte ein Schlag nicht gereicht, um dieses Monstrum eines Mannes nieder zu strecken. Er wollte seine Faust zurück ziehen, damit er ein weiteres Mal zuschlagen könne, doch so kräftig er auch zog, schaffte er es nicht seine Hand mit der Eisenkugel aus den Fleischmaßen seines Widersachers heraus zu ziehen.

Verunsichert entfuhr es ihm: „Was?!“

„Mein massiver Körper schützt mich vor jeglichem Stoßangriff. Deine Schläge verpuffen an mir. Es hat keinerlei Wirkung auf mich, grun.“

„Das wollen wir doch einmal sehen: Magnetfeld – Vortex!“

Pig spürte plötzlich wie zwischen seinen Fettmaßen eine Veränderung... nein, vielmehr eine Bewegung stattfand. Irgendwas geschah da, auf das er keinen Einfluss hatte.

Die Eisenspäne, welche bis eben noch Tykes Faust umschlossen hatten in Form einer perfekten Kugel, lösten sich langsam von dieser. Nach kurzer Zeit konnte der Rotschopf bereits seine Hand wieder aus der Fettschicht seines gigantischen Gegners herausziehen. Sofort tauchten die bereits gelösten Eisenspäne auf und begannen in runden Kreisbahnen um die noch übrigen Eisenkugel zu fliegen. Während des gesamten Vorgangs lösten sich immer mehr Eisenspäne und schlossen sich den bereits umher fliegenden an. Das ganze fand seinen Gipfel in einem kleinen wirbelsturmartigen Strudel, der eine kleine Spitze formte, wie ein auf Pig gerichteter Tornado. Je länger der Strudel bestand umso schneller flogen die Partikel darin und bewegten sich dabei in Richtung des spitzen Wirbelendes. Als sie dieses erreichten, wurden sie mit enormer Wucht daraus herausgeschleudert und flogen wie kleine metallische Geschosse auf Pig zu. Dieser schrie schmerzverzerrt auf, während Blut aus unzähligen Wunden an seinem Bauch spritzte. Es waren minimale einschussähnliche Verletzungen, die sich jedoch mehrten und teilweise durch zusätzliche Wunden sich vergrößerten. Röchelnd und Blut spuckend fiel der Archäologe um und blieb schließlich bewusstlos liegen.

„Welch eine Tragödie. Dabei hatte ich soviel von ihm gehalten,“ meinte Veryold betrübt und ließ seinen einstigen zweiten Assistenten von den anderen Archäologen festbinden, „wir werden uns um ihn kümmern und den Fall dem archäologischen Ausschuss vorlegen.“

„Ich habe viel ausgehalten, doch langsam seid ihr mir wirklich zu laut,“ machte eine mürrische Stimme auf sich aufmerksam und sofort blickten alle Personen in Richtung dieser.

„Wer sind Sie?,“ fragte Aisuru augenblicklich verblüfft, als er den weißhaarigen Mann mit dem roten Mantel erblickte, der auf einem der Felsen thronte. Das steinige Gebilde schmückte den Strand in einigen Metern Entfernung und war von Ranken überwuchert. Ob er wohl ebenfalls zu den Ruinen gehörte oder nur eine natürliche Zierde war, vermochte der Blauhaarige nicht zu sagen, doch galt seine Sorge mehr dem Fremden, als dem Stein.

„Man nennt mich Dante,“ stellte der Fremde sich vor, stieß sich mit einem kräftigen Sprung von dem Gesteinsbrocken ab, schlug einen gestreckten Salto und landete schließlich einige Meter von der kleinen Gruppe entfernt, auf dem sandigen Erdreich des Nordstrandes wo auch das Lager der Archäologen aufgeschlagen worden war.

„Dante?,“ fragte Tyke interessiert. „Etwa Dante, der Kensei?“

Ein süffisantes Lächeln huschte über das Gesicht des Unbekannten, ehe er antwortete: „Genau der.“

„Dante, der Kensei?,“ wiederholten die restlichen Anwesenden irritiert.

„Sagt bloß, ihr kennt die Kensei nicht,“ warf Tyke seinen Freunden vor und drehte sich gleichzeitig zu ihnen um. Sein vorwurfsvoller Blick sprach Bände, doch die Mitglieder der Rabenbande konnten nur verneinend mit dem Kopf schütteln.

„Nachdem Lorenor Zorro inoffiziell zum besten Schwertkämpfer der Welt wurde, weil er den Samurai

Mihawk ‚Falkenauge’ Dulacre besiegte, dann aber von der Marine gefangen genommen worden war, entstand eine Lücke. Denn Falkenauge war nach seiner Niederlage verschwunden und konnte somit nicht wieder den Titel als weltbester Schwertkämpfer annehmen. Man munkelt, er habe sich irgendwo auf der Grand Line niedergelassen und später eine Familie gegründet. Jedenfalls blieb viele Jahre lang diese Lücke bestehen, denn es gab Niemanden, der den Titel verdient hätte. Doch vor etwa acht Jahren änderte sich dies schlagartig, als ein scheinbar unbedeutender Schwertkämpfer sich der Marine anschloss. Leider habe ich seinen Namen vergessen. Ich weiß nur, dass er innerhalb eines Jahres zum Konteradmiral aufstieg und den Titel als weltbester Schwertkämpfer verliehen bekam. Doch eineinhalb Jahre nach seinem Beitritt bei der Marine bekämpfte er auf der Grand Line einen Piratenkapitän, der ebenfalls Schwertkämpfer war und ihm Parole bieten konnte. Sie waren in etwa gleichstark. Aus diesem Grund verlor der Konteradmiral den Titel des weltbesten Schwertkämpfers wieder. Schließlich gab es ja Jemanden, der mit ihm auf ein und dieselbe Stufe zu setzen war. Soweit ich weiß, ist dieser Pirat inzwischen zu einem der Piratenkaiser geworden. Und vor etwa drei Jahren gab es dann eine weitere Sensation. Ein Piratenjäger zog aus, um eben diesen Kaiser zu besiegen. Zur selben Zeit traf aber auch der Konteradmiral in der neuen Welt den Kaiser wieder. Das folgende Ereignis basiert nur auf Gerüchten, gilt jedoch bereits jetzt als Legende. Angeblich sei der Piratenjäger auch noch zu ihnen gestoßen, wodurch sich alle Drei schließlich auf einer relativ unbedeutenden Insel der neuen Welt versammelt hatten und gegeneinander kämpften. Keiner konnte einen der Anderen besiegen, doch wurde infolge ihres Kampfes die gesamte Insel verwüstet und zerstört. Sie waren sich alle ebenwürdig. Keiner konnte einen der Anderen bezwingen und so trennten sie sich in einem Unentschieden. Daraufhin gab die Weltregierung schließlich bekannt, dass diese drei Männer als die drei stärksten Schwertkämpfer der Welt gehandelt werden sollten und jeder von ihnen damit den Titel ‚Kensei’ bekäme.“

„Wow… Mich überrascht, dass ich davon nichts mitbekommen habe,“ gestand Aisuru beschämt.

Tyke dagegen drehte sich wieder zu dem Fremdling um und fragte vorsichtig: „Du bist der Piratenjäger unter den Kensei, richtig?“

Dante nickte lediglich erneut und fügte Tykes Ausführung hinzu: „Wir konnten einander nicht besiegen, weil jeder von uns in einer der drei Säulen der Schwertkunst ein Meister war. Daher bezeichnen wir uns lieber als Schwertmeister und nicht als Kensei. Hmmm… Drei Jahre ist unser letzter Kampf her. Vielleicht sollte ich die anderen Beiden mal wieder herausfordern, Haha! Eigentlich habe ich einen Eid abgelegt, niemals mit einer Menschenseele über diese Dinge zu reden, aber ich denke nicht, dass du mich bei der Marine verpetzen wirst, nicht wahr?“

„Könnte ich, wäre aber uninteressant und ohne Sinn. Außerdem würde ein weiteres Treffen von euch Dreien nur erneut eine Insel in Schutt und Asche legen, weshalb ich davon abraten würde. Der Kensei der Marine wurde doch, soweit ich es damals mitbekam, sogar zur Strafe aufgrund eures Kampfes auf den Stand eines Flottillenadmirals degradiert. Oder irre ich mich da?“

„Darf ich fragen, was das für drei Säulen der Schwertkunst sind?“

Dante sah ausgiebig die Rothaarige der kleinen Piratenbande an. Scheinbar musterte er jeden von ihnen. Versuchte er ihre Stärken und Kampftechniken abzuschätzen? Von einem Mann der dafür bekannt war der Beste mit der Waffe zu sein, war so etwas zu erwarten. Das würde bedeuten, dass er der Bande vielleicht den gar ausmachen wollen würde.

„Stärke, Geschwindigkeit und Geschicklichkeit. Wobei manche lieber Technik, anstatt Geschicklichkeit sagen. Im Grunde kommt es aber auf dasselbe hinaus. Wer nicht stark genug ist, sein Schwert richtig zu ergreifen, wird beim ersten gegnerischen Schlag es verlieren. Wer nicht schnell genug ist den Angriffen seines Widersachers auszuweichen, wird von der Klinge dessen praktisch in Fetzen gerissen. Und wer nicht das nötige Geschick mit seiner Waffe beweist, wird niemals die nötigen Fertigkeiten erlangen es mit den großen Haien aufnehmen zu können. Drei einfache Säulen, die keiner von uns allesamt perfekt beherrscht.“

„Bist du hier, um uns gefangen zu nehmen und der Marine zu übergeben?,“ fragte July schüchtern, während sie hinter Nina in Deckung ging.

„Nein. Ihr seid namenlose Piraten. Viel zu kleine Fische für meinen Geschmack. Das wäre die Mühe nicht wert. Ihr habt doch nicht einmal ein Kopfgeld das ich anschließend einstreichen könnte, pah!“

„Viel zu kleine Fische? Du stehst hier vor dem zukünftigen König der Piraten!“

„Dem zukünftigen König der Piraten? Weißt du wie viele schon das zu mir sagten, ehe sie sich im Gefängnis der Marine wieder fanden?“

„Na und? Ich bin anders, als alle Anderen! Ich halte mein Wort.“

„Werde erst einmal ein richtiger Pirat mit einem bedeutenden Namen, Grünschnabel.“

„Ich bin bereits ein Pirat.“

„Du willst ein Pirat sein? Du bist lediglich eine Witzfigur. Ein Clown, mehr nicht! Ich bin nun seit gut drei Tagen auf dieser Insel, in der Hoffnung ein wenig Ruhe zu finden und entspannen zu können. Mich störten die Archäologen nicht, da diese nur ihre Arbeit in den Ruinen machten und ich davon nichts mitbekam. Doch dann seid ihr aufgetaucht und habt einen riesigen Radau veranstaltet. Ich muss sagen ihr ward in der Zeit verdammt laut. Was meinst du, warum ich mich bisher versteckt gehalten hatte. Ich dachte ihr haut wieder ab und ich kann wieder meine Ruhe genießen. Aber Pustekuchen! Auf diese Weise habe ich auch dein albernes und affiges Verhalten mitbekommen, Grünschnabel. Denkst du mit dieser lächerlichen Art und Weise, bringst du es weit auf der Grand Line? Deine Crew sollte sich auf dich verlassen können und sich nicht ständig Sorgen um dich machen müssen! Das geht nur, wenn du ernst bleibst und dich auf das wesentliche konzentrierst,“ sprach der Weißhaarige genervt, über die selbstbewusste Aussage seines Gegenübers.

Und es war eindeutig zu erkennen, dass seine Worte Tyke im Innersten trafen. Sich wie Speerspitzen in seinen Leib bohrten und dort das pochende Gift seiner Worte verbreiteten. Vermutlich war dies für den Kapitän der noch jungen Bande schlimmer als jeder Schlag den er hätte abbekommen können. Worte waren mächtiger, als das Schwert. Und diese Wahrheit bekam der Rotschopf in vollen Ausmaß zu spüren, denn vor seiner Crew und dem Archäologenteam wurde nicht nur er als Person niedergemacht, sondern auch sein Urteilsvermögen, sein Handeln, ja sein gesamter Charakter wurde angegriffen. Wurden die keine Ärztin zu behandeln oder gar heilen vermochte. Egal wie gut sie sein würde…

July bemerkte unterdessen, das Zittern seiner Hände. Gerade als sie fragen wollte, ob mit ihm alles in Ordnung sei, legte Aisuru seine Hand auf ihre Schulter. Erschrocken zuckte sie zusammen und zog reflexartig ihren Kopf schützend zwischen ihren Schultern ein. Verwundert merkte sie, dass Nina diesmal nicht einschritt, sondern den ehemaligen Magier gewähren ließ. Die junge Ärztin verstand nicht warum. Sie ahnte nicht, dass Nina der Grund Aisurus Handeln bewusst war. Das sie verstand, dass dies gemacht werden musste. Das der Blauhaarige mit Julys Reaktion gerechnet hatte und sie auf diese Weise – die eindeutig die Effektivste für sein Vorhaben gewesen war – daran hatte hindern wollen, etwas zu sagen.

Denn im Gegensatz zu der eingeschüchterten Blondine, hatte er das Zittern, welches den Körper seines Kapitäns ergriffen hatte, richtig gedeutet. Es war kein Symptom einer Krankheit oder derartigem. Nein.

Aisuru erinnerte sich noch genau an Tykes Worte gerichtet an Arsen, welchen sie vor einiger Zeit bezwungen hatte, als er die Heimat der Ärztin bedroht hatte:

„Wenn ich dich sehe, bekomme ich nicht das Gefühl einem starken Gegner gegenüber zu stehen. Bekomme ich nicht Lust mich mit dir messen zu wollen. Da ist nichts außer gähnender Langeweile. Aus diesem Grund interessierst du mich nicht. Ein Kampf mit dir reizt mich nicht.“

Ein Gegner, dessen bloßer Anblick in einem den Wunsch erweckte kämpfen zu wollen. Er spürte es ebenfalls, dieses Verlangen. Und Nina tat es sicherlich auch. July verstand es nicht, weil sie keine Kämpferin war. Ihr Bestreben war es Menschen zu heilen und ihnen zu helfen, nicht der Grund für ihren Schmerz zu sein.

Aisuru konnte mit bloßem Auge erkennen, welche Kraft Dante verströmte. Es war wie eine eisige Wolke, die ihn Umgab. Keine Emotion, ausschließlich Kalkulation der Umstände. Es war weniger eine Aura, als vielmehr die pure Macht und Stärke manifestiert ihn einer illusionären Form.

„Ich möchte gegen dich kämpfen,“ platzte es aus dem Rotschopf heraus.

„Spinnst du?,“ warf Nina ein. Aisuru verstand ihren Protest. Vermutlich war sich auch Tyke dessen bewusst. Er war kein Gegner für diesen Mann. Aber Aisuru wusste auch, dass Tyke keinen Millimeter weichen würde, bis er nicht seine Chance gehabt hätte.

„Du bist kein Schwertkämpfer,“ stellte Dante lediglich fest.

Ohne zu zögern ergriff Tyke seinen Beutel, schüttete den restlichen Inhalt auf den Boden aus, zog zusätzlich die restlichen, verstreuten Späne heran und erschuf letztendlich sein eisernes Schwert, welches sich um seine rechte Hand und auch teilweise um seinen Arm legte: „Ich habe aber ein Schwert!“

Einen Wimpernschlag. Mehr hatte es nicht gebraucht, da war Dante bereits verschwunden und stattdessen presste sich der Klingenrücken seines Langschwertes an Tykes Kehle. Mit eisiger Stimme sprach er: „Sagte ich nicht, dass du kein Schwertkämpfer bist?“

Erstaunt blickten die Mitglieder der Rabenbande und die Archäologen, welche möglichst viel Abstand zu dem Kensei angenommen hatten, Dante an, der hinter dem Rotschopf stand und über dessen Schulter hinweg seine Waffe gegen den Hals von Tyke hielt. Er hatte mit Absicht die stumpfe Rückseite zu dem Piraten gewandt, denn dies sollte nur eine Demonstration seiner Macht sein.

Es war unglaublich, wie schnell der Kerl war. So etwas hatte noch keiner der Anwesenden jemals erlebt. Keiner bis auf Tyke. Er hatte damit gerechnet. Und zwar, weil er noch schnellere Männer gesehen hatte. Beispielsweise den Pfeifer.

„Leider habe ich aber keinen Schwertkämpfer, der für mich einspringen könnte,“ stellte Tyke geschlagen fest. Noch immer zitterten seine Hände. Stärker als zuvor. Angst.

Umso überraschender waren Dantes Worte, als er sich nach einer Minute des Schweigens an seinen besiegten Gegner wandte: „Ich wüsste da Jemanden.“

Der Weißhaarige zog sein Schwert zurück und schob es in dessen Scheide. Zur gleichen Zeit drehte sich Tyke, skeptisch dreinblickend, um. „Was soll das heißen? Und warum willst du mir überhaupt helfen?“

„Sieh es als Gefälligkeit an. Die Grand Line ist langweiliger geworden. Das sehe nicht nur ich so. Gefährlicher für Anfänger, aber langweiliger für die Stärksten darauf. Vielleicht kannst du ihr neues Leben und neuen Pfiff einhauchen. Der Name des Mannes ist übrigens: Tsukahara. Ich traf ihn auf einer Insel nicht weit entfernt von dieser hier. Er forderte mich ebenfalls heraus und verlor. Doch muss ich gestehen, dass er Talent hatte. Der Kampf mit ihm dauerte zumindest länger, als dieser hier.“

Ein Grinsen zeichnete sich auf Tykes Gesicht ab, als er meinte: „Den will ich! Wo finde ich ihn?“

Aisuru zuckte mit den Schultern und meinte zu Nina: „Scheinbar steht unser nächstes Ziel fest. Wieder einmal. Hören wir ab jetzt nur noch auf Empfehlungen?“

„Scheinbar. Aber diesmal schickt man uns wenigstens nicht zu einem alten Mann, der jeden Moment auf der Reise krank zusammenbrechen könnte.“

„Ähm… Onee-san, ich bin auch theoretisch gesehen noch krank,“ warf July ein, woraufhin Nina antwortete: „Schon, aber bei dir wissen wir, um was es sich handelt und wie wir dir helfen können.“

„Besagten Schwertkämpfer traf ich auf der Insel Ophir,“ nahm Dante wieder das eigentliche Thema auf.

„Die kenn ich,“ verkündete Aisuru prompt, „ Aber wer sagt uns, dass er dort noch anzutreffen ist? Ich meine, Sie waren doch vor mehreren Tagen dort. Ist es nicht wahrscheinlicher, dass er ebenfalls weiter gezogen ist?“

„Das bezweifle ich stark,“ behauptete Dante mit einem mehrdeutigen Lächeln.

„Und wieso bezweifeln Sie das?“

„Sucht ihn und findet es selber heraus. Ich bin müde und will mich endlich ausruhen. Übrigens die Schätze nach denen ihr sucht, befinden sich auf einem Boot an der Südseite der Insel. Der Fettsack wollte damit abhauen und wegen ihm musste ich mein eigenes Boot versenken. Ich wollte ja nicht, dass jemand etwas von meiner Anwesenheit erfährt, was jetzt eh egal ist. Ich nehme mir daher nun sein Boot als Entschädigung. Die Schätze lasse ich euch zurück. Mich interessiert nur Bares.“

Mit diesen Worten drehte sich der Kensei um und ging an Tyke vorbei, welcher ihm noch einen Moment nachsah und dann zurief: „Eine Frage habe ich noch.“

Dante blieb kurz stehen, um die Frage des Rotschopfs sich anzuhören.

„Ist das Gerücht wahr, dass du im Besitz von Lorenor Zorros legendärem Schwert dem ‚Wado-Ichi-Monji’ bist?“

„Ja, das ist wahr. Es ist Symbol meiner Stärke und gehört zu einem Pakt mit der Marine. Der, der alle drei Schwerter Zorros in seinen Besitz bringen kann, soll dessen offizieller Nachfolger werden und den Titel des weltbesten Schwertkämpfer tragen.“

Tyke, der sichtlich mit der Antwort zufrieden war, meinte zu seinen Freunden: „Ihr habt es gehört. Wir reisen nach Ophir, um unseren Schwertkämpfer zu holen!“

Goldgräberstadt Hangtown

Hangtown ist alles andere als eine schöne Stadt. Eigentlich war es noch nie eine Stadt, in der man freiwillige leben wollen würde und dennoch leben dort momentan noch mehr Menschen darin, als es Leichen auf dem Friedhof gibt. Jedoch übersteigt die erste Zahl die Letztere kaum noch.

Würde man die Stadt von oben betrachten, würde sie auf die meisten Menschen ziemlich unscheinbar wirken. Die einzigen beiden besonderen Aspekte der Stadt war zum einen ihre absolut perfekt runde Form und zum anderen der Friedhof der bereits als fünfter Stadtteil angesehen werden konnte, aufgrund seiner immensen Größe. Der Aufbau Hangtowns ist sehr simpel gestaltet, wie es jedoch dazu kam, ist nicht mehr bekannt. Im Zentrum der Stadt befindet sich der berühmte Galgen, welcher das erste Gebilde war, das im großen Goldrausch gebaut wurde. Und das bevor auch nur ein Gedanke an ein Haus verschwendet wurde.

Vom Galgen aus sind vier Wege zu finden. Die Nordstraße, welche inzwischen zur Rombardivilla führt. Die Oststraße, die einen zum einzigen städtischen Gotteshaus bringt. Die Weststraße, die die Stadt mit dem Hafen verbindet. Hier befinden sich die meistens Läden und Gasthäuser, da es die beste Lage für eben diese ist. Die Weststraße, auch ‚Road to Hell‘ genannt, weißt einen den Weg zum Friedhof, auf dem kaum ein Grabstein einen Namen trägt, da die meisten Toten namenlose Reisende sind, die den Fehler begingen sich mit den Rombardis oder einem Piraten angelegt zu haben.
 

Estevanico, Seefahrer und Entdecker

Autor des Buches: Reiseführer durch den wirren Westen
 

* * * * *
 

Die Rabenpiraten blickten schweigend zu ihrem Kapitän, der einsam auf der Rehling saß und eine der Angeln in den Händen hielt. Es war erschreckend wie schlagartig er sich verändert hatte, seit sie die letzte Insel vor etwa fünf Tagen verlassen hatten. Während des feuchtfröhlichen Abschieds der Bande seitens der Archäologen, hatte er sich noch normal benommen. Ein wenig verrückt, ein wenig witzig, doch immer er selbst. Und nun bot sich ihnen dieses Trauerspiel an. Keiner von ihnen wusste, was in dem Kopf des stillen Rotschopfs vor sich ging. Genauso still spalteten sich die drei auf. Nina begab sich in ihre Kombüse, um das Mittagessen vorzubereiten. July verschwand in ihrer Kammer um die ihr gänzlich unbekannte Kletterpflanze, welche sie aus der Ruine mitgenommen hatte, zu untersuchen. Nur Aisuru blieb zurück, blickte in den Himmel und schritt letztendlich langsam auf den Schiffsbug zu.

Du willst ein Pirat sein? Du bist lediglich eine Witzfigur. Ein Clown, mehr nicht!

Tykes Fäuste schlossen sich fester um die Angel, deren Holz unter der Last seines eisernen Griffes zu knacken begann. Salzige Tropfen fielen an der Reling vorbei und verschwanden im Wellengang des Meeres.

Doch dann seid ihr aufgetaucht und habt einen riesigen Radau veranstaltet. Ich muss sagen ihr ward in der Zeit verdammt laut.

Über sich selbst überrascht faste er sich an die Wangen. Fuhr sie entlang zu den Augen. Spürte die kleinen feuchten Perlen, die sich ihren Weg sein Gesicht hinab suchten. Wieso? Die Worte Dantes konnten ihm doch egal sein.

Ich dachte ihr haut wieder ab und ich kann wieder meine Ruhe genießen. Aber Pustekuchen! Auf diese Weise habe ich auch dein albernes und affiges Verhalten mitbekommen, Grünschnabel.

Schließlich wusste er selbst wie er wirklich war. Was sein Verhalten in Wahrheit bedeutet. Dante konnte es nicht beurteilen. Konnte es nicht verstehen. Es war schließlich ein großspuriger Piratenjäger.

Denkst du mit dieser lächerlichen Art und Weise, bringst du es weit auf der Grand Line?

Was machte er sich selbst vor? Dante wusste wovon er sprach und dennoch. Er wusste nichts über Tyke und warum dieser war, wie er war.

Deine Crew sollte sich auf dich verlassen können und sich nicht ständig Sorgen um dich machen müssen! Das geht nur, wenn du ernst bleibst und dich auf das wesentliche konzentrierst.

Und das er nicht war, wie er sich gab. Dennoch hallten seine Worte andauernd in seinem Kopf wieder. Ließen ihn nicht los und peinigten seine Seele. Wie tiefe Stiche an seinem Ego diese einfachen Worte hinterlassen hatten. Er merkte nicht wie der blauhaarige Navigator an ihn herantrat.

„Tyke?“

Etwas zögerlich drehte sich der Rotschopf um und lachte seinen Freund an: „Ja?“

„Ich habe eine Insel am Horizont erblicken können. Es müsste sich dabei um Ophir handeln. Wir sind auch bald da.“

„Sehr gut. Dann müssen wir ja nur noch diesen Tsukahara finden.“
 

* * * * *
 

Besorgt blätterte Nina die Seiten der Möwenpost durch. Sie blickte zwar darauf, aber ihr Geist erfasste den Inhalt kaum. Was war nur mit Tyke auf einmal los? Vielleicht würde sie sich wenigstens ein wenig ablenken können, weshalb sie sich dazu entschloss endlich die Zeitung durchzulesen, anstatt nur durchzublicken. Dabei stach ihr ein Artikel besonders ins Auge, der eine Marinebasis auf der Grand Line zeigte, in deren Außenwand ein gigantisches Loch gerissen worden war. Der Überschrift des Artikels lautete lediglich: „Flucht eines gefährlichen Wissenschaftlers bestätigt.“

Neugierig geworden, begann die Smutje den Artikel zu lesen: „Gestern Abend bestätigte die Marine, dass ein gefährlicher Wissenschaftler aus der Haft der Marine entkommen sei. Er sollte heute mit einem Marinesonderkommando nach Terra Sankta überführt werden, um dort von der Marineleitung befragt zu werden. Scheinbar gelang es aber einigen vermummten Personen ihn am frühen Morgen aus der Marinebasis G11 zu befreien. Die Marine hat bisher nur wenige Informationen über die Angreifer preisgegeben. So soll es sich jedoch bei ihnen um Teufelskraftnutzer handeln, da sie, Augenzeugenberichten zufolge, sich in tierische Wesen verwandelt haben sollen. Einer dem Angreifer soll im Kampf mit dem Kapitän der Marinebasis seine Maskierung verloren haben. Dank eines anonymen Hinweises, können wir ihnen berichten, dass der demaskierte Angreifer der Terrorist Trust gewesen sein soll.“

Einige Zeit betrachtete sie schweigend den Artikel und sprach dann zu sich selbst: „Und da soll dieser Schwertfuchtler sagen, dass die Grand Line langweilig sei.“

Plötzlich vernahm sie jedoch Aisurus Ruf, der lautstark bis zu ihr in die Kombüse drang.

„Land in Sicht!“
 

* * * * *
 

July und Nina betraten das Deck und begaben sich zu ihren beiden Gefährten, die am Bug des Schiffes standen. Am Horizont konnte man bereits eine größere Insel ausmachen, der sie sich rasch näherten.

July wand sich fragend an Nina: „Ist das Ophir?“

„Scheint so. Es sei denn Blaubeere hat sich verfahren.“

„Ich habe mich nicht verfahren. Das ist Ophir die Goldgräberinsel. Es heißt, dass vor etwa fünfundvierzig Jahren hier eine gigantische Goldader gefunden wurde. Hunderte von Menschen reisten aus dem ganzen West Blue herbei, um ihr Glück zu versuchen in der Hoffnung Reichtum und Macht hier zu finden. Die meisten fanden jedoch in dem trockenen, ausgedörrten Land nur den Tod. Nur wenige fanden Gold und noch wenigere von ihnen konnten davon Leben. Doch einer schaffte den ganz großen Clou, wurde sehr reicht und… unterwarf die Insel. Rasputin Rombardi war sein Name. Inzwischen ist er glaube ich so etwas wie der Herrscher dieser kahlen Insel. Die meisten der damaligen Glücksritter sind bereits wieder verschwunden. Nur wenige Goldgräber leben noch dort. Jedoch ist Ophir ein beliebter Ort für Piraten, die gerne anreisen, aus Spaß ein wenig Gold suchen oder sich einfach nur dort vor der Marine verstecken. Denn Ophir ist eine der Inseln, die von Piraten gerne ‚Schwarzland’ bezeichnet werden.“

Erneut erstaunte Aisuru alle mit seinem großen Wissensschatz über den West Blue, seine Inseln, aber vor allem seine Geschichte. Nur Nina fügte dem ganzen noch etwas hinzu: „Von den ‚Schwarzländern’ habe ich was gehört. Ich glaube der Chefkoch meiner alten Heimat hat mir was davon erzählt. Sind ‚Schwarzländer’ nicht gesetzlose Inseln? Also Inseln an denen kein Marineschiff anlegt, da sie von Piraten oder mächtigen Männern bevölkert werden, die sich sozusagen die Freiheit für die Insel erkaufen?“

„Das stimmt. Die Herrscher der ‚Schwarzländer’ bestechen die anliegenden Marinebasen, um das Recht zu erhalten dort zu machen was sie wollen. Meistens sind es dann Piratenverstecke oder dergleichen.“

Den Rest der Fahrt schwieg die Gruppe, allen voran Tyke, der nur starr in Richtung des Festlandes blickte. Kaum hatten sie den Hafen erreicht und ein Tau zu einem der Hafenarbeiter hinab gelassen, damit er ihr Schiff sicherte, stieg der Rotschopf bereits auf ihre Galionsfigur empor und verkündete: „Also los Leute. Es gilt ein neues Mitglied hier zu finden!“

Mit diesen Worten sprang er schließlich in Richtung Hafen und stürmte ins Herz der Stadt. Keiner der Rabenpiraten hatte rechtzeitig reagieren können und so stöhnten sie schwerfällig, da sie nun neben dem ihnen unbekannten Schwertkämpfer Tsukahara auch noch ihren idiotischen Kapitän suchen durften…
 

* * * * *
 

„Ich schwöre euch, wenn ich ihn in die Finger bekomme, dreh ich ihm den Hals um!“

„Immer mit der Ruhe, Nina. Soweit kann Tyke nicht gekommen sein,“ versuchte Aisuru seine Gefährtin zu beruhigen.

„Und ich dachte das Tyke von Dantes Worten betroffen sei und daher so still war. Aber scheinbar ist das nicht der Fall. Er macht uns noch genauso viele Schwierigkeiten wie sonst auch, mit dieser unbeschwerten Art. Wie sollen wir ihn da als Kapitän ernst nehmen?“

„Zweifelst du an ihm, Onee-san?“

Seufzend schüttelte die Smutje mit dem Kopf und meinte wesentlich ruhiger: „Eigentlich nicht. Aber es ist schwer unter seiner Flagge zu segeln. Ich meine wir können doch nicht immer für ihn die Kindermädchen spielen.“

„Tyke weiß sich selbst zu helfen,“ warf Aisuru ein, klang aber von seinen eigenen Worten wenig überzeugt.

Plötzlich vernahm die Gruppe eine lautstarke Stimme, die scheinbar die halbe Stadt einzuschreien schien: „Verschwindet, habe ich gesagt! Und wagt es nicht noch einmal euch in meinem Gasthaus zu blicken zu lassen! Habt ihr Kröten kapiert?!“

Überrascht blickten die Rabenpiraten zu einem Gasthaus nur wenige Meter vor ihnen, dessen Fenster zerbarsten, als gut ein Dutzend Personen durch eben diese geworfen wurden und auf der vertrockneten Straße landeten. Ächzend versuchten sie sich aufzurichten, doch scheinbar hatte ihnen jemand so schwer mitgespielt, dass ihnen selbst dazu noch die Kraft fehlte. Ein Großteil der Passanten blieb stehen, um das Schauspiel zu betrachten. Scheinbar war es in dieser Stadt immer ein tolles Ereignis, wenn sich jemand prügelte.

„Na warte, das wirst du mir büßen! Weißt du nicht wer ich bin? Ich bin…“

„Ein Gast der nicht zahlen will. Das reicht mir schon!“

Kaum waren die Worte zu Ende gesprochen, flog noch eine letzte Person – diesmal jedoch durch die Tür, die dadurch aus den Angeln gerissen wurde – aus dem Gebäude heraus. Eindeutig ein Pirat, der seine eigene Stärke überschätzt hatte. Diesmal folgte, jedoch gehend, ein dicker Hüne von einem Menschen. Beinahe glaubten die drei erneut Pig gegenüber zu stehen. Doch war diese Person mit Sicherheit zwei weitere Köpfe größer als Pig, weshalb sie sich bücken musste, als sie das Gasthaus verließ, und auch nicht ganz so kugelrund. Es handelte sich scheinbar um den Besitzer des Gasthauses, dessen fleischige Maße sich größtenteils im vorderen Körperbereich angesammelt hatte. In der rechten Hand hielt der Hausbesitzer lediglich eine zerbeulte Bratpfanne. Offensichtlich die Waffe mit denen die Piraten bereits Bekanntschaft gemacht hatten.

Mit verschränkten Armen stand die hünenhafte Gestalt vor den Piraten und blickte diese finster zu ihnen hinab. Doch die wollten sich nicht geschlagen geben und vor allem nicht so behandeln lassen: „Los Leute, zerlegen wir dieses stinkende Gasthaus.“

Ehe auch nur einer von ihnen hatte einen Schritt machen können, explodierte plötzlich etwas vor ihren Füßen und eine blaue Qualmwolke breitete sich aus. Aus dieser schoss mit einem Male eine Faust hervor, die dem Kapitän einen derartigen Kinnhaken verpasste, dass er gegen zwei seiner Crewmitglieder geschleudert wurde und diese zu Boden riss.

Gleichzeitig tauchte inmitten einer Gruppe von fünf weiteren Piraten eine rothaarige Schönheit auf, die sich jedoch auf die Hände stellte, die Beine wie beim Spagat spreizte und anschließend sich mit einem lauten „Party Table!“ um die eigene Achse drehte. Ihre Füße trafen zielsicher die Gesichter ihrer Gegner, welche anschließend bewusstlos zu Boden sackten. Um die restlichen Piraten kümmerte sich July. Schnell griff sie in ihre Hosentasche und zog mit einer Präzision, die vermutlich sie alleine an den Tag legen konnte, einige Samen hervor, die sie mit viel Schwung in das Geschehen hineinwarf. Anschließend rief sie aus: „Hedera Helix!“

Sofort wuchsen aus den Samen kräftige Efeuranken, welche sich blitzschnell um die Piraten schlängelten und sich dann festzogen, so dass die überraschten Männer zu keiner Tat mehr fähig waren. Aisuru musste sich beim Anblick der Piraten schütteln, hatte er doch selbst schon Erfahrungen mit den Efeuranken July’s gemacht.

Nachdem die Piraten nun geschlagen waren, versammelten sich die Mitglieder der Rabenpiratenbande beim Besitzer des Gasthauses. Dieser blickte sie verdutzt an, meinte dann aber schließlich: „Huui, ihr seid mir ja welche. Ich wäre mit diesen Schwächlingen zwar alleine zu Recht gekommen, aber vielen Dank für eure Hilfe. Wisst ihr was? Zum Dank dürft ihr bei mir kostenlos essen, na wie klingt das? Immer rein in Trudys gute Stube.“

Aisurus Kinnlade brach regelrecht aus seinem Gesicht heraus, als er den Namen hörte. Entsetzt fragte er: „Sie sind eine Frau?!“

„Natürlich bin ich eine Frau, was dachtest du denn?“

Nun blickten auch Nina und July entsetzt zu Trudy, wogegen Aisuru nur schrie: „Oh mein Gott, sie sind die männlichste Frau, die ich je gesehen habe!“

Tatsächlich mussten auch die beiden weiblichen Crewmitglieder sich eingestehen, dass Aisuru Recht hatte. Trudy sah mehr wie ein Mann, als wie eine Frau aus und daher hatten sie ebenfalls angenommen, dass es sich bei ihr um einen ihn handeln müsse. Wobei July sich schon gewundert hatte, warum sie keine Angst vor dem Koloss verspürt hatte.

„Nina, dein zukünftiges Ich ist erschienen um dich zu warnen, nicht mehr so ein Mannsweib zu sehen! Da siehst du das Ergebnis!,“ feixte Aisuru und wies dabei auf Trudy und schaffte es nur haarscharf dem mächtigen Tritt der Smutje zu entgehen, der ihn sicherlich in seinem Erholungsprozess mehrere Wochen zurückgeworfen hätte, wäre es ein Treffer gewesen.

„Hahaha, ihr seid mir welche. Erinnert mich ein bisschen an meinen Rausschmeißer. Ein wenig verrückt und seltsam, aber ansonsten ganz nett, denke ich.“

„Du hast einen Rausschmeißer? Warum hat er sich dann nicht um die Piraten gekümmert?“

„Hm? Oh, er ist gerade unterwegs. Ich glaube er müsste bald… Oh, da kommt er ja auch schon.“
 

* * * * *
 

„Oh man, eigentlich bin ich nicht so ein Fresssack,“ stöhnte Tyke erschöpft und rieb sich seinen vom vielen Essen ganz aufgeblähten Bauch, der bereits die Gürtelschnalle des Piraten in die Knie gezwungen hatte, „aber dieses scharfe Chili mit Bohnen und dieser Chilipudding waren einfach zu köstlich. Ich sollte Nina mal sagen, dass sie so etwas öfter machen sollte, denn scheinbar habe ich meine Freunde an scharfen Speisen entdeckt.“

Grinsend meinte der Mann hinter dem Tresen – sich zusätzlich bereits die Hände reibend: „Ich hoffe sie können die dreißig Portionen Chili und fünfzehn Portionen Nachspeise auch bezahlen, mein Herr.“

Plötzlich weiteten sich Tykes Augen für einen Moment vor Schreck, ehe er in einem möglichst unschuldigen Tonfall säuselte: „Selbstverständlich.“

Schweigend blickte der Wirt den Piraten an. Sein Grinsen erstarb und wich einem düsteren Gesichtsausdruck, während sein Gast wiederum pfeifend zur Decke hinauf sah. Es dauerte zwei bis drei Minuten, ehe der Glatzkopf auf Tykes Lüge hin reagierte. Seine Augen blitzten wütend auf und seine Hände verkrampften sich, ehe er sie zu fest geschlossenen Fäusten formte. Ruhig, obwohl er innerlich vor einer Explosion stand, sprach er: „Umea, Ren, ich denke ihr habt Kundschaft.“

Unverzüglich spürte der Rotschopf zwei Hände, die sich wie Schraubstöcke um seine Schultern schlossen…
 

* * * * *
 

„Oh, da kommt er ja auch schon,“ meinte Trudy mit einem Male, die Straße hinaufblickend und fügte schnell hinzu: „Wenn man vom Teufel spricht, nicht wahr?“

Aisuru, Nina und July folgten dem Blick der Hünin und erblickten eine seltsame Gestalt am Horizont. Trotz der brütenden Hitze, trug der Fremdling eine Art Mönchsgewand aus braunem, dickem Stoff, welcher seine gesamte Silhouette verschwimmen ließ. Ob das an dem seichten wehen des Gewands oder am Flimmern der Luft aufgrund der Hitze lag, vermochte keiner der drei Piraten zu sagen.

Langsamen Schrittes folgte Trudys Rausschmeißer dem staubigen Wüstenweg. Mit einem Male wirkte die Straße verlassen und leblos. Es hatte nur wenige Augenblicke gedauert, bis die Bewohner der Stadt den Weg geräumt hatten. Versteckten sie sich etwa vor ihm?

„Ihr müsst wissen, er sucht Jemanden und kam auf seiner Reise dabei in unserer Stadt vorbei. Halb verhungert und verdurstet lag er eines Tages vor meinem Lokal. Ihr habe ihn gesund gepflegt und als dank bewahrt er meinen Laden vor größerem Schaden. Außerdem sucht er einen Weg von hier wegzukommen, um seine Suche fortzusetzen. Jedenfalls ist er verdammt stark. Sogar die beiden Rausschmeißer aus Joe’s Taverne hatten keine Chance gegen ihn. Sie wollten von mir Schutzgeld erpressen – im Auftrag der Familie Rombardi, denen Joe’s Taverne und fast alle anderen Läden der Stadt gehören –, als er sich ihnen in den Weg stellte und meinte, dass ich keinen Berry mehr zahlen würde. Nach dem Kampf meinte er zu mir, dass sie ihn gemeinsam beinahe besiegt hätten. Nur sein Racheschwur hätte ihn vor einer Niederlage bewahrt. Ich muss schon zugeben, er ist ein seltsamer Vogel, aber ich bin froh, dass er mir hilft und nicht mein Gegner ist.“

„Warum rennt er in diesem Aufzug umher? Mir wird schon beim zusehen ganz schwindelig,“ meinte Nina verzweifelt und fächerte sich ein wenig kühle Luft zu.

„Er meint, dies sei ein gutes Training.“

Diesmal war es July, die sich mit einer Frage an die kräftige Trudy wandte: „Du sagtest er sucht einen Weg von der Insel. Warum fährt er nicht mit einem Schiff mit, welches hier am Hafen vor Anker liegt?“

„Nun ja, es gibt da ein kleines Problem…“

Doch ehe sie auf dieses hätte weiter eingehen können, bemerkte Aisuru wie ein dicklicher Mann mit einer lodernden Zigarre im Mund die Taverne weiter oben die Straße entlang betreten wollte, doch plötzlich das Geräusch von berstendem Holz zu hören war und kurz darauf ein Bündel – welches im entferntesten Sinne an ein oder mehrere menschliche Wesen erinnerte – Etwas durch die Flügeltür krachte. Dieses Etwas traf den dicken Mann, welcher daraufhin mitgerissen wurde, und mit Karacho flogen diese menschlichen Geschosse gegen Trudy’s Rausschmeißer. Auch dieser wurde mitgerissen, da er auf so etwas nicht vorbereitet gewesen war und somit keine Chance hatte sich zur Wehr zu setzen. Die ganze Kombination flog letztendlich kaum gebremst in das Gebäude auf der anderen Straßenseite.

Einer Kette von unglücklichen Ereignissen – der Laden wo sie einkrachten war ein Waffenladen, die brennende Zigarette traf ein Pulver- oder Dynamitfass und keiner von ihnen schaffte es rechtzeitig diesem Umstand zu entfliehen – war es zu verdanken, dass das Gebäude mit einer ohrenbetäubenden Explosion in tausend Stücke riss und sämtliche Menschen darin, den Besitzer dazu gezählt, in hohem Bogen nach oben flogen, nur um anschließend, rußbedeckt und rauchend, sowie schmerzhaft auf dem Boden aufzuschlagen. Den drei Rabenpiraten hatte es im Angesicht der Situation, und der Wahrscheinlichkeit mit der das überhaupt hätte passieren können, die Sprache verschlagen.

Plötzlich sprangen zwei der fünf Personen, welche auf der Straße lagen, auf und rannten wieder in Richtung der Taverne. Augenblicklich sprang auch der kuttentragende Rausschmeißer von Trudy’s Gasthaus auf und eilte den anderen Beiden hinterher, da er sie für den Angriff auf ihn zu Rechenschaft ziehen wollte. Kurz bevor er sie und sie wiederum die Taverne erreicht hatten, sprang die insgesamt fünfte Person mitten hinein in das ganze Geschehen. Dies geschah mit einem lauten „Hyaaaaaah!“ und gleichzeitig ausgestrecktem rechten Bein, während er das Andere angewinkelt am Körper hielt, und ebenfalls ausgestreckten Armen. Sein Sprungtritt traf zielsicher die Brust des Schwarzhaarigen, der als Erster die zweiflügelige Tavernentür erreicht hatte. Die Wucht des Tritts reichte aus ihn gegen das einzige Mädchen der Truppe prallen zu lassen, die ihrerseits gegen den Mann in der Kutte flog. Alle drei landeten sie wieder auf dem staubigen Straßenboden, während der rothaarige Karatejunge geschickt auf den Beinen aufkam, den Kopf hin und her warf und demonstrativ schrie: „Yooooooaaha! Man. Das wollte ich schon immer einmal machen.“

„Tyke?!,“ entkam es der Piratenbande, als sie erkannten um wen es sich bei dem Karatespringer handelte.

„Oh! Hallo Leute, da seid ihr ja. Habe euch schon gesucht. Also… ähm… hatte ich vor zumindest vor, nachdem ich hier fertig gegessen hätte.“

„Fresssack,“ bafften Aisuru und Nina, wobei sich der Rotschopf sofort verteidigte: „Hey, stimmt nicht! Ich habe doch kaum etwas gegessen!“

Trudy bemerkte in diesem Moment, wie das Mädchen aufsprang und mit ihrer Hand ausholte. Dabei wurde ein Seil aus ihrem Ärmel geschleudert, welches sie mit einer geschickten Handbewegung versteifen lies. Trudy wollte gleichzeitig Tyke warnen, doch kam sie gerade einmal bis „Vor…“ als die Blauhaarige bereits angriff. Doch der Pirat hatte seinerseits eine Bewegung registriert und ruckartig umgedreht, jedoch erkannt dass es für ein Ausweichmanöver nicht mehr reichte und daher nur noch schützend die Hände empor gerissen. Plötzlich vernahm er einen dumpfen Laut und anschließende Stille. Vorsichtig öffnete der Rotschopf wieder die Augen, welche er reflexartig geschlossen hatte, und senkte auch seine Arme wieder. Vor sich erblickte er den Kuttenträger, der mit einem dünnen Eisenstab die Attacke abgewehrt hatte. Scheinbar war sie Teil der Trümmer, die durch die Explosion im Waffenladen auf der ganzen Straße verteilt lagen. Unterdessen versuchte der Rotschopf zu erkennen, womit das Mädchen ihn zu attackieren versucht hatte, denn im Gegensatz zu Trudy und seinen Freunden, war ihm dies noch nicht bewusst..

„Ist das ein Seil?,“ fragte er verblüfft.

„Sei vorsichtig. Das Seil ist gefährlich,“ ertönte die rauchige Stimme des Mannes vor ihm, während er mit aller Kraft sich gegen das Eisen in seiner Hand stemmte und somit auch gegen das kerzengerade Seil, welches sich wiederum gegen ihn drückte und ihn in die Knie zu zwingen versuchte.

„Danke. Aber hierfür möchte ich mich im voraus entschuldigen…,“ ohne Vorwarnung duckte Tyke sich, streckte ein Bein aus, drehte sich um seine eigene Achse und zog damit dem Mann vor sich die Beine weg. Verblüfft fiel dieser dadurch nach hinten. Keine Sekunde zu spät.

Ein großer dunkelbrauner Stiefel, welcher ihrem anderem Gegner gehörte, zischte nur wenige Sekunden und ziemlich knapp über dem Kopf des Mannes in der Kutte hinweg und traf daher glücklicherweise nichts als die Luft darüber. Noch immer sein Bein ausgestreckt haltend, blickte der rechts von ihnen stehende Ren wütend auf Tyke hinab und bemerkte nicht wie dieser blitzschnell einen Konter vorbereitete. Denn der Rotschopf vollendete die Drehung – wobei er sich ein stück weiter als nur einmal um die eigene Achse drehte –, stemmte anschließend die Hände gegen den Boden, winkelte sie an bis sein Gesicht beinahe den sandigen Boden berührte und stieß sich anschließend mit aller Kraft ab. Dabei trafen die Sohlen seiner Schuhe punktgenau die Bauchpartie seines anvisierten Feindes. Wie schon zuvor wurde der Schwarzhaarige gegen die blauhaarige Umea geworfen – wobei diesmal nur sein ausgestrecktes Bein sie ein wenig seitlich erwischte und seine Partnerin daher mehr zum Taumeln brachte, als sie wirklich mit sich zu reißen –, wodurch sich der Mann in der Kutte vorerst in Sicherheit befand und gleichzeitig ihre Gegner aus dem Weg geschaffen worden waren.

„Damit wären wir Quitt.“

„Aber der Kampf ist noch nicht vorbei. Ich denke mal, die beiden sind noch verdammt wütend, dass ich sie jetzt schon zum dritten Male hab fliegen lassen.“

Wie zur Bestätigung seiner Worte standen Ren und Umea auf und funkelten ihre beiden Gegner zornig an. Während Ren seinen Kopf leicht nach links und dann nach rechts neigte, wobei jedes Mal ein lautes Knacken zu hören war und ein paar Schritte näher an die Blauhaarige heran ging, umschloss Umea ihr Seil mit aller Kraft und hob es wie ein Schwert vor sich, bereit zum erneuten Angriff.

Das Mädchen war es schließlich, die den Kampf wieder aufnahm, indem sie nach vorne schoss und, begleitet von den Worten „Marlschlag!“, mit ihrem Schwertseil zuschlug. Der Kuttenträger wehrte den Schlag mit spielender Leichtigkeit ab, in dem er seinen Eisenstab aus der horizontalen Lage heraus nach linksoben riss und dem Angriff somit die Wucht nahm. Gleichzeitig schoss Tyke unter dem Arm seines Kampfpartners hervor und landete einen perfekten Aufwärtshaken gegen seine Widersacherin, die in hohem Bogen weggeschleudert wurde. Doch auch die gegnerische Seite bewies, wie gut sie aufeinander abgestimmt waren.

Denn während Umea einen kreisrunden Bogen flog, aufgrund des eingesteckten Treffers – geschickt wie eine Katze wusste sie dabei die mit dem Schlag verbundene Wucht zu nutzen, um einen Rückwärtssalto auszuführen, den sie für eine sichere Landung auf den Beinen anwand –, tauchte Ren schlagartig unter ihr auf. Wie ein Speer flog er mit den Füßen voran auf seine Gegner zu und traf dabei den Vorderen von Beiden, welcher sich aufgrund seines vorherigen Angriffes noch in der Luft befand. Dies war der rothaarige Tyke, der durch den Tritt gegen seinen Partner prallte, dadurch relativ sicher auf den Beinen landete ohne zu stürzen, nur um mit dem Mann in der Kutte gemeinsam zurück zu torkeln.

Beide versuchten sich dabei wieder zu fangen, um nicht doch noch hinzufallen und damit einem weiteren Angriff schutzlos ausgeliefert zu sein. Umea aber setzte da bereits nach.

Mit einem kräftigen Sprung hechtete sie auf ihre Gegner zu, ließ ihren Arm nach vorne schnellen, wodurch noch mehr vom Seil aus ihrem Ärmel heraus geschleudert wurde. Wie ein Speer schoss das steife Seil auf Tyke zu und drohte diesen zu durchbohren. Der Kuttenträger hinter ihm reagierte jedoch geistesgegenwärtig, umschloss mit seinem linken Arm, in dessen Hand er auch das Eisenrohr hielt, Tykes Hüfte von hinten, stemmte seine Füße fest auf dem Boden und ließ sich gleichzeitig nach hinten fallen. Eine körperliche Brücke schlagend stand er da, mit dem verdutzten Piratenkapitän im Arm, der sich ganz ruhig verhielt, damit die Konstellation – welche sie bildeten – nicht ins Wanken geriet. Und obwohl das Seil sie verfehlte und über sie hinweg zischte, schlug der Untere von ihnen es mit seiner Eisenstange zu Seite weg. Er vermutete offensichtlich einen weiteren Angriff. Tyke versuchte derweil auf dem Körper des Anderen zu balancieren. Aus seiner Position heraus konnte er Ren erkennen, der von der Seite herangestürmt kam, einen Salto sprang und mit dem ausgestreckten Bein ihm in den Magen zu treffen versuchte.

„Magnetisierung – Ultimate Shield,“ ertönte Tykes Stimme und sofort schossen seine Eisenspäne aus dem Beutel an seinem Gürtel hervor und bildeten ein kreisrundes Gebilde, welches die immense Trittkraft ihres Gegners abfing, doch zu dessen Überraschung eine gigantische, ihn knapp berührende, Delle aufwies. Doch anstatt seine Gedanken daran zu verschwenden, versuchte er schnell lieber aus dieser ungünstigen Lage heraus zu kommen. „Und weiter geht’s: Magnetisierung – Iron Shieldpunch!“

Aus dem Eisen des Schildes heraus bildete sich ein Arm, der wiederum eine Faust formte und damit Ren einen metallischen Haken verpasste. Anschließend trennten sich der Rotschopf und sein Kampfpartner wieder und postierten sich Rücken an Rücken auf. Jeder von ihnen hatte somit einen Gegner im Blickfeld. Bevor jedoch einer der vier Kampfwütigen hatte einen weiteren Angriff starten können, meldete sich eine gebieterische Stimme zu Wort: „Es reicht!“

Alle blickten die Straße entlang. In ungefähr fünf Metern Entfernung standen ein goldblonder Junge gemeinsam mit einem maskierten Mann und blickten zu den Vieren hinüber.

„Einer der Rombardis,“ stellte Trudy entsetzt fest, das Schlimmste befürchtend, und blickte zu dem Jungen. Dieser aber wand sich an Umea und Ren und meinte nun wesentlich ruhiger: „Wir bezahle euch nicht, dass ihr euch in unserer Stadt mit irgendwelchem Gesindel prügelt, sondern dass ihr unsere Taverne von Ungeziefer freihaltet. Macht euren Job.“

Die beiden Angesprochenen sahen ihre Feinde ein letztes Mal an und begaben sich anschließend wieder in Richtung der Taverne. Trudy flüsterte unterdessen zu ihren Piratenfreunden zu: „Das sind die Rausschmeißer der Rombardis, die mich auch erpressten. Das Mädchen heißt Konbriof Umea, der Junge Sima Ren. Die beiden sind äußerst gefährlich. Umea kämpft mit Seilen die auf eine bestimmte Weise hergestellt wurden. Durch diese besondere Technik können sich die einzelnen Seilelemente miteinander verhaken und dadurch so steif und unnachgiebig wie gegossener Stahl werden. Ren besitzt dagegen einzigartige Stiefel. Sie können scheinbar Energie oder etwas derartiges Speichern und in Form von Schockwellen diese Energie wieder freisetzen. Ich bin äußerst überrascht, dass das Schild eures Freundes der Schockwelle standhalten konnte, doch wenn Ren eine stärkere genutzt hätte, wäre es sicherlich nicht so glimpflich ausgegangen. Er hat sicherlich nicht mit einer solchen Abwehr gerechnet.“

Die Rabenpiraten dagegen blickten schweigend zu Tyke und Trudys Rausschmeißer, welche ihrerseits wiederum zu dem Rombardimitglied und seinem Bodyguard blickten. Während Ninas und Julys Blick Besorgnis wieder spiegelten, zeigte der von Aisuru Verwunderung und Skepsis. Seit Dante Tyke verbal angegriffen hatte, hatte dieser nicht eine Sekunde mehr trainiert und dennoch hatte er hier ein Kampfgeschick bewiesen, wie Aisuru es bei ihm zuvor nicht erlebt hatte. Im Gegensatz zu den beiden Damen der Bande hatte er den Rotschopf damals auf der Valdarim kämpfen gesehen und hatte gedacht, dass Tykes Stil einfach nur die Nutzung reiner, brutaler Gewalt sei, was bei der Kontrolle von Eisen immer noch sehr verheerend sein konnte. Hatte er sich geirrt? Hatte Tyke einen anderen Stil? Oder hatten Dantes Worte eine solche Wirkung auf ihn? Konnten Worte ein Herz so bewegen, dass es lernte anders zu kämpfen als zuvor?

„Und euch beiden…,“ diesmal richteten sich die Worte des Rombardimitgliedes an die anderen beiden Kämpfer: „…möchte ich den Rat geben, nicht zuviel Aufmerksamkeit auf euch zu ziehen. Mein Vater mag es nicht, wenn Leute in seiner Stadt sind, die er nicht einschätzen kann. Und ihr beide fallt definitiv in diese Gattung. Lass uns gehen, Alex.“

Mit diesen Worten drehten sich die Beiden um und verließen die Stadt wieder in Richtung Norden und damit in Richtung der Rombardivilla. Mit weichen Knien sackte Trudy zusammen und stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. Nina bemerkte wie ihre Hände zitterten. Wie gefährlich musste diese Mafiafamilie sein, wenn selbst Trudy beim Anblick eines Kindes in schlimmste Angstzustände verfiel?

„Vielen Dank für deine Hilfe,“ meinte Tyke dagegen und streckte dem Kuttenträger die Hand entgegen. Dieser ließ jedoch lediglich das Eisenrohr fallen und meinte mit seiner rauchigen Stimme, ehe er sich in Trudys Gasthaus begab: „Ich hab dir nicht geholfen. Ich wollte mich bloß dafür rächen, dass sie mich mitgerissen haben.“

„Einen seltsamen Rausschmeißer hast du da, Trudy,“ bemerkte July eingeschüchtert.

„Ja. Vielleicht. Aber er ist stark und eigentlich ein guter Mensch. Wollen wir vielleicht reingehen. Ich glaube wir sollten jetzt lieber nicht hier draußen stehen bleiben.“

Wütend mahnte die Smutje unterdessen ihren Kapitän: „Tyke, renn das nächste Mal, wenn wir eine Insel betreten, nicht wieder weg! Verstanden?“

Dieser schaffte es erst gar nicht zu antworten, da packte die Rothaarige ihn bereits am Ohr und zog kräftig daran, während sie den Anderen in das Gasthaus folgte.

Rachefeldzug

„Sir?,“ sprach der dürre Butler ruhig, blickte geduldig zum Hausherren – welcher vor ihm an einem dicken Eichenholztisch saß – und wartete bis sein ‚Master’ reagierte.

Dieser zog erst noch einige Male kräftig an seiner dicken Zigarre, ehe er, mit dem Rücken zu seinem Butler gewandt, fragte: „Was ist denn?“

„Am Hafen wurden Piraten gesichtet. Ersten Berichten von unseren privaten Söldnern nach, handle es sich um die Memory-Piratenbande. Es scheint, dass sie die Hafenarbeiter attackiert hätten und selbst unsere Söldner ihre Schwierigkeiten mit ihnen hätten.“

„Grrr… Immer wieder muss es solche Tölpel geben, die trotz des Schutzes, den sie hier genießen, Randale machen müssen. Ruft Umea und Ren, sie sollen die Villa bewachen kommen, solange ich mich persönlich um die Piraten am Hafen kümmere. Und ruf bitte meine Tochter zu mir. Ich möchte dass sie mich zum Hafen begleitet.“

„Sehr wohl, Sir.“
 

* * * * *
 

„Ich möchte mich erst einmal richtig vorstellen. Mein Name ist Trudy,“ begrüßte die mächtige Wirtin ihre Gäste und schenkte jedem von ihnen ein großes Glas ein. July und Tyke hatten sich für ein einfaches Wasser entschieden, während Aisuru einen Apfelsaft und Nina einen Orangensaft verlangten.

Ersterer sprach schließlich, an die Frau hinter der gasthauseigenen Kneipentheke gewand: „Mein Name ist Aisuru Casanova, Navigator der Rabenpiratenbande.“

„Ich bin Nina und Smutje auf dem Schiff,“ meinte die Rothaarige zu seiner Rechten.

Leise kam es von der blonden Ärztin, die sich noch ein wenig vor Trudy fürchtete: „July Medica, die Ärztin.“

„Raven D. Tyke, der Kapitän dieser stolzen Piratenbande,“ war der Rotschopf zuletzt dran, welcher als einziger nicht an der Theke saß, sondern an einem runden Tisch dahinter.

Aisuru glaubte währenddessen aus den Augenwinkeln heraus gesehen zu haben, wie der Kuttenträger – am, der Tür zugewandten, Thekenende sitzend und dort eine Portion Spaghetti essend –, bei Tykes Vorstellung kurz inne hielt. Blickte er nicht sogar überrascht auf?

„Da hast du ja schon einige der wichtigsten Posten zusammen, nicht wahr? Was führt euch hierher?“

„Wir suchen Jemanden,“ meinte Nina und trank einen kräftigen Schluck ihres Saftes.

„Wir erhielten eine Empfehlung, dass wir hier einen starken Verbündeten finden würden,“ erklärte July zusätzlich und kleinlaut.

„Verstehe. Dann wünsche ich euch viel Glück bei eurer Suche. Wenn ihr wollt könnt ihr bei mir solange kostenfrei übernachten. So nette Piraten wie euch trifft man auf dieser von Gott verlassenen und sich selbst überlassenen Insel kaum noch.“

„Sag mal, Trudy, wer war dieser Junge eben? Und warum haben die Rausschmeißer aus der Taverne auf ihn gehört? Ich meine, er war doch noch ein Kind.“

Trudy blickte Aisuru kurz an und schien mit ihrer Antwort zu hadern, ehe sie vorsichtig zu erzählen begann: „Das war Nikolai Rombardi, jüngster Sohn der Rombardi Mafiafamilie. Seiner Familie gehört die Taverne schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite und damit arbeiten Ren und Umea für ihn. Viele der Läden hier in Hangtown gehören seiner Familie. Uns sie nutzen ihre Macht und ihr von Angst gezeichnetes Ansehen schamlos aus. Wisst ihr, damals als ich mit den ersten Glücksrittern auf diese Insel kam…“

„Wie alt bist du eigentlich?!,“ prustete Aisuru dazwischen und versprühte dabei den gesamten Apfelsaft, den er just in dem Moment im Mund gehabt hatte, über den Tresen hinweg gegen den mächtigen, klaren Spiegel dahinter.

„Ich? Ich bin sechzig. Meine Eltern zog es ursprünglich hierher. Ich war damals noch ein kleines Kind gewesen und hatte daher kein Mitspracherecht bei ihrer Entscheidung.“

„Du hast dich verdammt gut gehalten,“ keuchte der Ex-Magier mit einem entsetzten und dazu auch noch mehr als skeptischen Blick auf die Hünin gerichtet.

„Vielen Dank, du Charmeur. Du weißt, wie man mit Frauen reden muss.“

„Das war nicht als Annäherungsversuch gedacht gewesen,“ kreischte er schnell, um dass Missverständnis wieder aufzuklären.

„Jedenfalls, damals war Rasputin Rombardi, Oberhaupt der Rombardifamilie, der Erste gewesen der auf eine Goldader stieß. Sofort hatte er das Gold genutzt, um das Land, auf dem Hangtown gerade erst gebaut wurde, und alles drum herum, aufzukaufen. Meine Eltern hatten ihr Gasthaus fast fertig gestellt, da begann er von ihnen Miete zu verlangen, da sie sich auf seinem Grund und Boden befänden. Wer nach Gold graben wollte, musste Land pachten. Und so mehrte und mehrte sich sein Reichtum, denn alle hatten noch die Hoffnung Gold zu finden und keiner bedachte, dass er dabei war sich selbst in den Ruin zu treiben. Irgendwann reichten ihm seine Einnahmen nicht mehr. Er verlangte mehr. Viel mehr! So begann er damit Schutzgeld zu erpressen. Anfangs wollte niemand bezahlen. Bis… Bis er zur Schau stellte, wie ernst es ihm mit der Erpressung war. Seine Anhänger fingen an die ersten Zahlungsunwilligen zu verprügeln und so manch einer verschwand einfach über Nacht. Dabei bräuchte er die Söldner eigentlich gar nicht, denn Rasputin Rombardi ist ein verdammt starker Mann. Eine Eigenschaft, welche die gesamte Rombardi Familie zu besitzen scheint. Lasst euch im Übrigen nicht von seinem Aussehen täuschen. Niemand würde nämlich bei seinem Anblick erwarten, dass er der stärkste Mann der Insel ist, da er eigentlich immer sehr kränklich und schwächlich aussieht, beziehungsweise wirkt. Zur selben Zeit als er mit den Schutzgeldeinnahmen begann, bestach er die umliegenden Marinebasen, um Ophir zu einem ‚Schwarzland’ zu machen. Kurz darauf bezeichnete er seine eigene Familie, als Mafiafamilie. Einige Jahre ging das so weiter, bis sich die ersten ‚Glücksritter’ dazu entschlossen die Insel wieder zu verlassen. Kaum einer fand mehr Gold und noch weniger hatten noch die Hoffnung durch dieses edle Metall reich zu werden. Viele glaubten sogar, dass Rasputin bereits alles Gold heimlich abgebaut habe und nur ab und an einen Fund nachstellte, um das Interesse am Leben zu halten. Mein Gasthaus ist eines der wenigen Gebäude, welches noch nicht an ihn verkauft wurde. Die Meisten haben verkauft, um somit den Schutzgelderpressungen zu entgehen, andere weil sie dazu ‚überredet’ wurden. Aus diesem Grund verlangen seine Schläger von mir Monat für Monat mehr Geld. Nun ja, bis mir ein Schutzengel gesandt wurde, nicht wahr?“ Trudy blickte zu ihrem Rausschmeißer, der noch immer seine Kutte trug und inzwischen auch sein Mahl aufgegessen hatte. Er reagierte nicht, bis auf ein kaum hörbares, leises grummeln, welches lediglich zeigte dass er überhaupt noch am Leben war.

„Ich helfe dir nur, weil ich hier nicht weg komme,“ sprach er schließlich doch noch.

„Ich weiß, ich weiß.“

„Diese Rombardis scheinen ganz schön miese Leute zu sein,“ sprach Tyke seine Gedanken laut aus, ehe er sein Glas auf den Tisch knallte und meinte: „OK, Leute. Ich habe mich entschieden. Wir machen diese Rombardis platt. Das haben die doch schon längst verdient!“

Sofort versuchte die Hünin ihren Gast wieder zu besänftigen: „Warte, bitte, du darfst dich nicht mit ihnen anlegen, sie sind ungeheuerlich stark!“

Doch dieser ignorierte sie gekonnte und fügte hinzu: „Und danach suchen wir diesen Tsukahara.“

Grinsend meinten Aisuru und Nina im Duett „Geht klar“, während July nur nickte und ihren Freunden, die bereits voraus gestürmt waren, nach draußen folgte. Keiner von ihnen bekam mit, wie der Kuttenträger überrascht den Kopf hob und Trudy ihnen verwirrt nachrief: „Aber Tsukahara sitzt doch… hier.“

Seufzend blickte sie zu ihm, so wie er zu ihr sah. Mit der linken Hand sich an die Kapuze greifend und diese zurückschiebend, fragte er mit seiner tiefen Stimme in den Raum hinein: „Die wollten zu mir? Aber wieso?“

Plötzlich stürzte einer der Hafenarbeiter in das Gasthaus herein und rief den Beiden einzigen Personen darin zu: „Keiner darf seine Häuser verlassen! Am Hafen gibt es einen Kampf. Piraten sind aufgetaucht und Rasputin höchst persönlich will sich um diese kümmern, bevor sie die Stadt angreifen können.“

„Der kann mir gestohlen bleiben,“ schnaufte Trudy verächtlich, wogegen Tsukahara lediglich fragte: „Was für Piraten?“

„Soweit ich es gehört habe, soll es sich um die Memory-Piraten handeln.“

Wie von der Tarantel gestochen richtete sich der Schwertkämpfer auf und stieß dabei seinen Stuhl um.

„Bist du dir ganz sicher?“

„J-Ja. Wieso?“

„Endlich kann ich Rache nehmen,“ mit diesen Worten und einem diabolischen Grinsen stürmte er aus dem Gasthaus hinaus und ließ eine verdutzt dreinblickende Hünin und einen verwirrten Hafenarbeiter zurück.
 

* * * * *
 

„Hatte ich dir nicht den Rat gegeben, keine Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen?,“ fragte Nikolai die Ankömmlinge, als er die Villa seiner Familie verließ und seinen Blick über die Piraten schweifen ließ. Seine Augen spiegelten dabei nichts außer Verachtung wieder, als er einen nach dem Anderen schließlich begutachtete und sein Blick letztendlich an Tyke heften blieb. „Ihr habt Glück, dass mein Vater bereits zum Hafen gegangen ist, das Chaos und die Kämpfe dort zu unterbinden.“

Die Rabenpiraten hatten es leicht gehabt den Weg zur Villa zu finden, da von Hangtown aus nur ein Weg dorthin führte. Das Gebäude war zudem schon von weitem ersichtlich gewesen, denn es glich weniger einer Villa, als vielmehr einer schönen, weißen Festung. Türme so groß wie Riesen erhoben sich gen Himmel und bohrten ihre Spitzen in die Wolken hinein, während sie wie vier Wächter das Hauptgebäude schützend einrahmten. Dieses war aus schweren Kalksteinen gebaut worden, in deren Mitte eine mächtige dunkle Holztür eingelassen war, durch die selbst ein Halbriese noch hätte durchschreiten können. Und obwohl die gesamte Fassade weiß im Schein der Sonne schimmerte, verursacht das Gebäude einen beklemmenden, beinahe einschüchternden, Eindruck auf die Betrachter. Denn wirkte es doch wie ein Raubtier auf der Lauer, welches nur den geeigneten Moment zum Angriff abwartete.

„Wir wollen, dass ihr die Bürger in Hangtown und auch die anderen Inselbewohner in Frieden lasst. Wer gibt euch das Recht sie zu erpressen?“

„Wir geben uns das Recht selber,“ erklärte Nikolai kopfschüttelnd, als habe Tyke soeben nach dem Grund warum die Sonne scheine gefragt.

Gemeinsam mit seinem Bodyguard Alex und den bereits bekannten Rausschmeißern Umea und Ren, hatte er sich vor der ‚Pforte’ des mächtigen Steinbautes postiert. Es war offensichtlich das er beabsichtigte ihnen den Einlass zu verwehren und sie mit Gewalt aufzuhalten, sollten sie versuchen die Familienvilla zu stürmen.

„Dann werde ich euch das Recht wohl entziehen müssen,“ meinte Tyke grinsend und ließ demonstrativ die Finger seiner geballten rechten Faust knacken.

Für Ren und Umea war es ein erstaunliches Bild. Seit sie auf Ophir waren, hatte es noch niemand gewagt den Rombardis ihre ‚Rechte’ streitig machen zu wollen. Selbst Trudys Aufpasser Tsukahara, hatte sich nur mit ihnen beiden angelegt, nie aber mit einem Mitglied der Familie. Diese hatten es einfach hingenommen und sich wegen einem Nichtzahler keine weiteren Gedanken gemacht. Die restlichen Inselbewohner hatten nämlich nicht ihre Furcht vor den Rombardis verloren und mussten somit Trudys Anteil übernehmen, was ihrem Ansehen einen tiefen Stich versetzt und ihr persönlich mehr geschadet hatte, als jede Schutzgelderpressung es gekonnt hätte.

Dieser Bursche war jedoch deutlich anders. Er war ein Kämpfer und Rebell. Vielleicht war er aber auch einfach nur verrückt. Er selbst war scheinbar tatsächlich davon überzeugt stark genug zu sein, die Macht der Familie zu brechen. Eine Zuversicht die lediglich seine Bande mit ihm teilte.

Plötzlich öffnete sich die Pforte der Villa und eine hübsche Frau trat heraus. Ihr langes, schwarzes lockiges Haar, schlang sich elegant um ihren schlanken, aufreizenden Körper, der lediglich von einem seidenen Hauch von Nichts bedeckt wurde. Schweigend betrachtete sie einen Moment lang die Piraten, ehe sie sich an den jüngsten Familienspross wand: „Nikolai, mein Liebling, spielst du mit deinen Freunden hier?“

„Sozusagen, Mutter. Verzeiht, wenn ich damit eure Mittagsruhe gestört habe.“

„Keine Sorge, das warst nicht du, der mich störte. Dein Vater hat sich über seine Teleschnecke gemeldet. Er möchte, dass du und Alex zum Hafen kommt. Dieser Schwertkämpfer aus der Stadt, Tsukahara war mein ich sein Name, ist dort nun ebenfalls aufgetaucht und scheint sich mit den Piraten anlegen zu wollen.“

„Sehr wohl, Mutter. Ich mache mich auf den Weg sobald ich diese Störenfriede entfernt habe.“

„Sagten Sie Tsukahara?,“ fragte Aisuru überrascht die Herrin des Hauses ohne sich diesmal von ihrer Schönheit ablenken oder gar seinen Charme spielen zu lassen.

Diese blickte ihn einen Moment verachtend an. Anscheinend war sie der Meinung, dass es unhöflich von ihm sei, sie so einfach anzusprechend und fast erwartete Aisuru keine Antwort mehr, als sie schließlich doch noch ein knappes „Ja, sagte ich“ von sich gab.

„Schade, ich hätte euch gerne eins auf den Deckel gegeben,“ meinte Tyke sichtlich geknickt, „doch Tsukahara geht vor. Und wenn er am Hafen ist, muss ich mich wohl verabschieden. Aber denkt nicht, dass ihr mir entkommt. “

Wütend über den nicht zu Stande gekommenen Kampf, doch glücklich über das Wissen von Tsukaharas Aufenthalt, stürmte das Piratenkapitän mit seinen Leuten davon. Nikolai und Alex folgten ihnen in wesentlich ruhigerem Gang, während Umea und Ren zurückblieben. Erneut sahen sie sich schweigend an. Sie hatten mit dem Rotschopf gekämpft und konnten seine Stärke daher abschätzen. In ihren Augen war er kein Gegner für Rasputin. Und doch… irgendwas in seinem Blick hatte sie für einen winzigen Moment an ihn Glauben lassen.

Da war dieses alles versengende Feuer…
 

*Einige Minuten vorher am Hafen von Hangtown*
 

„Du bist also dieser Rasputin Rombardi, von dem hier alle sprechen?,“ fragte der Kapitän der Memory-Piraten und blickte zu dem stolzen Mann vor sich, der in Begleitung einer jungen Frau erschienen war.

War das alles, was man ihm, dem famosen Animo entgegen setzte? Welch ein Frevel. Er würde diesem Mafiaversager schon zeigen, warum man ihn den ‚Memorizer’ nannte.

„Mein Kapitän, lasst mir bitte den Vortritt,“ sprach eine Stimme hinter Animo. Es handelte sich um seinen ersten Maat Omoide. Ein Kampferprobter Bursche, der sein Können schon in unzähligen Schlachten unter Beweis gestellt hatte. Seit Animo ihn als Kind in seine Bande aufgenommen hatte gehörte dieser Junge nun schon zu ihnen und genoss damit das vollste Vertrauen des Kapitäns, denn der Junge tat alles für seinen Kapitän, was in Anbetracht der Umstände kein Wunder war.

„Wie du wünscht, Omoide. Mach mich stolz.“

„Anastasia, Ladys first,“ bot Rasputin seiner Tochter an, die ihrem Vater zunickte und einen Schritt auf ihren Gegner zu ging. Dieser zog unterdessen sein Florett und ging seinerseits ebenfalls einen Schritt auf das Mädchen zu.

Stille trat ein, als die Piraten der Memory-Piratenbande und die Hafenarbeiter Hangtowns zu den beiden Kontrahenten blickten und warteten, dass eine Schlacht zwischen ihnen entbrannte. Irgendwo oben am Himmel war einzig und allein der Ruf einer einsamen Möwe zu vernehmen, die nach ihren Kameraden suchte.

Als sei dies das geheime, erwartete Zeichen gewesen, wetzten die Beiden aufeinander zu. Ihre Kampfschreie erfüllten die Luft und ließen sie förmlich erzittern. Kurz bevor sie einander jedoch erreichten, bemerkten beide eine flinke Bewegung am Rande des Geschehens. Abrupt blieben die Kontrahenten stehen und sprangen in entgegen gesetzte Richtungen zu Seite. Nur einen Moment später bohrte sich die Klinge eines edlen Katanas in den steinigen Boden des Hafens. Es handelte sich punktgenau um die Position wo Omoide und Anastasia aufeinander geprallt wären, hätte man sie nicht unterbrochen.

Dem Schwert folgte kurz darauf ein Mann, der einfach so – mit wehender Kutte – vom Himmel zu fallen schien und elegant auf dem nach oben gestreckten Schwertgriff landete, wie eine Katze zielsicher von einem Dach auf einen dicken Ast zu springen vermochte.

Die Wucht seines Aufpralles ließ den Steinboden des Hafens knirschen und eine leichte Erschütterung breitete sich von der Stelle aus, was sich jedoch als verspätete Reaktion des Schwertstreichs herausstellte, denn von diesem breiteten sich plötzlich tiefe Risse aus, die gut vier bis fünf Meter lang sein mussten.

Der Schwertkämpfer der sich eingemischt hatte, ergriff mit seiner linken Hand den Griff des Katanas, sprang von diesem herunter, zog im Sprung noch die edle Waffe aus dem Steinboden und richtete die Klinge schließlich auf die einzige Tochter der Rombardifamilie. Das ganze geschah in nur einer flüssigen Bewegung, was ein Raunen in den Reihen der Piraten und Hafenarbeitern auslöste.

„Was soll das Tsukahara?,“ fragte Rasputin wütend.

„Diese Bande gehört mir. Ich habe eine alte Rechnung mit ihnen offen.“

„Eine alte Rechnung?,“ fragten Animo und Rasputin gleichzeitig.

„Seit Jahren suche ich dieses Piratenpack,“ begann der Schwertkämpfer mit der rauchigen Stimme zu sprechen, während er sein Schwert in die waagrechtsitzende Schwertscheide an seinem Gürtel unterhalb der Kutte schob und anschließend sich dieser auch entledigte.

„Ich kann mich nicht daran erinnern, dich jemals gesehen zu haben,“ meinte Animo grimmig.

„Damals war ich auch ein Kind. Verständlich, dass du dich nicht erinnerst und doch ironisch angesichts deiner Kräfte.“

„Du weißt von meinen Kräften?“

„Ich sagte doch, ich kenne und suche dich und deine Piraten.“

Anastasia wollte bereits auf Tsukahara losgehen, um ihr Kampfrecht einzufordern, als Rasputin mit gebieterischer Stimme donnerte: „Anastasia! Lass gut sein. Tsukahara, du sollst deine Chance bekommen. Doch solltest du versagen und dennoch überleben, gehört mein Leben dir. Und glaube mir, du wirst dir dann noch wünschen, im Kampf gefallen zu sein.“

„Ich werde nicht fallen, ehe mein Rachefeldzug nicht beendet ist.“

„Mir scheint du hast einen neuen Gegner. Ein Schwertkämpfer steht dir außerdem besser, als ein junges Mädchen, was lieber kochen und stricken anstatt kämpfen sollte. Findest du nicht auch?“

Während Tsukahara sein Schwert erneut zog und sich auf den Kampf mit dem Fechter bereit machte, zog Rasputin eine Baby-Teleschnecke aus seiner Tasche hervor, wählte eine Nummer und sprach – als sich die Stimme seiner Gattin am anderen Ende der Leitung meldete: „Schick augenblicklich Nikolai und Alex zu mir. Dieser Narr Tsukahara mischt sich hier ein und ich kann nun nicht mehr genau sagen, wie das hier enden wird. Es ist also besser, wenn wir vorsichtshalber mit den Stärksten, die wir haben auffahren.“
 

*Hafen von Hangtown – Gegenwart*
 

Blutüberströmt blickte Tsukahara zu dem Florett, dessen Spitze auf seine Kehle gerichtet war. Sein Atem ging schwer und stoßweise. Er bekam kaum noch Luft, rang um jeden Atemzug.

Sein Arm, mit dem Schwert in der Hand, hing schlaff herunter. Der Schmerz pochte stechend darin und raubte ihm beinahe die Sinne. Fraß sich bis zu seinem Hirn vor, um sich dort weiter auszubreiten.

Gleichzeitig schabte die Spitze seines Katanas seicht über den Stein des Hafenbodens. Er war nicht einmal mehr in der Lage, es vernünftig anzuheben.

War dies sein Ende? So nah am Ziel und doch so weit davon entfernt?

Welch Ironie des Schicksals so zu enden.

„Stich endlich zu, wenn du ein Mann von Ehre bist, Omoide.“

„Es war mir eine Ehre gegen dich gekämpft zu haben,“ sprach der Junge mit der grünen Mähne, holte zum tödlichen Stich aus und lies seine Hand nach vorne schnellen.

Im Angesicht des Todes, wagte Tsukahara nicht einmal mehr die Augen offen zu halten.

Zum ersten Mal seit seiner Kindheit verspürte er wieder so etwas, wie wahre Furcht innerhalb eines Kampfes und dessen Ausgangs. Alles überdeckende Furcht, wie ein Schleier, der ihm die Sicht auf die Wahrheit zu rauben wagte.

Wobei dieser Kampf beendet und entschieden war, bevor er im Grund begonnen hatte. Eine Erkenntnis, die er zu spät erlangt hatte und die ihn nun das Leben kosten würde.

Noch immer wartete er. Der erlösende Schmerz blieb aus. Überrascht öffnete er die Augen und sah Jemanden vor sich stehen. Es war niemand geringeres als der Rotschopf, mit dem er bereits gemeinsam gekämpft und der nach ihm gesucht hatte. Er hatte den Angriff mit seinem eigenen Körper abgewehrt. Tsukahara konnte sehen, wie sich das Florett durch seine linke Schulter bohrte und dennoch schien ihm dies in diesem Moment egal zu sein, denn als er genug Kraft hatte um zu sprechen, richteten sich seine Worte an den Schwertkämpfer hinter ihm: „Wieso kämpfst du nicht?“

Phantomschmerz

„Was soll das? Wieso lässt du mich nicht sterben?“

„Ich habe zuerst gefragt. Warum kämpfst du nicht?“

Tränen schossen in das Gesicht des lilahaarigen Schwertkämpfers, der beschämt das Gesicht abwandte und dabei die anderen Mitglieder der Piratenbande in Nähe der Rombardis erblickte. Schweigend betrachtete Rasputin das Spektakel, während Anastasia skeptisch die Neuankömmlinge beäugte. Einer von ihnen schien ihr den Hof machen zu wollen, während das rothaarige Mädchen ihn dafür anschrie, so dass es zu einem Kampf zwischen ihnen kam, denn das zweite Mädchen der Piratenbande zu schlichten versuchte, jedoch mit lediglich mäßigem Erfolg.

„Wie könnte ich?“

„Was meinst du?,“ gnädiger Weise zog Omoide seinen Florett aus Tykes Leib heraus, so dass dieser sich leicht zu seinem Gesprächspartner drehen konnte, ohne den Grünhaarigen aus den Augen zu lassen.

„Das wird hier eine richtige Party wie mir scheint. Omoide kümmere dich nicht um diesen Rotschopf. Töte endlich den Schwertkämpfer.“

Doch Omoide reagierte nicht, was ihm einen verwunderten Blick seines Kapitäns einbrachte, sondern beäugte interessiert das Geschehen. Irgendwas zerrte in seinem Innersten ihn zu diesem Handeln.

„Wie könnte ich gegen meinen eigenen Bruder kämpfen?,“ platzte es aus Tsukahara heraus, der auf die Knie sank. Scheppernd fiel ihm sein Katana aus der Hand. Seine Sonnenbrille mit den kreisrunden Gläsern verdeckten seine Augen, während die Tränen sich ihren Weg bahnten. Die Worte des Schwertkämpfers hatten eine beachtliche Wirkung. Selbst Aisuru und Nina stoppten ihren Kampf und blickten verwundert zu dem gebrochenen Krieger.

„Dein Bruder?,“ wiederholte Tyke und blickte zu dem Piraten vor sich, dessen Hemd zerfetzt an seinem schweißnassen Leib klebte und den Blick auf eine hässliche Narbe frei gab.

„Ich habe keinen Bruder,“ sprach Omoide kühl, „ich bin ein Waisenkind. Animo hat mich damals zu sich genommen.“

„Das ist nicht wahr! Er hat dich entführt! Ich dachte all die Jahre lang du seist tot. Und nun das. Omoide, wir sind Brüder!“
 

*Vor 8 Jahren – Irgendwo im North Blue*
 

„Tsukahara, nimm deinen Bruder und flieh.“

„Aber Mutter…“

Die Worte des Kindes gingen beinahe unter dem tosenden Lärm unter, der draußen in der Stadt herrschte. Angsterfüllte Schreie vermischten sich mit den erregten Rufen wilder Piraten.

„Kein aber! Flieht, schnell. Euer Vater und ich, werden sie ablenken, damit ihr wegrennen könnt.“

Weinend versuchte der Junge seinen zwei Jahre jüngeren Bruder zu nehmen und wegzurennen, doch dieser stemmte sich gegen seinen älteren Bruder und rief: „Mama, bitte kommt mit.“

„Ich kann nicht, mein Liebling. Folg deinem Bruder, er wird dich beschützen.“

„Ich will aber nicht ohne dich gehen, Mama!“

„Guuuargh,“ vernahmen sie plötzlich eine männliche Stimme und kurz darauf einen dumpfen Aufprall, so als sei ein schwerer Gegenstand zu Boden gegangen. Oder ein schwerer Körper. Die Mutter der beiden Jungen wusste genau was geschehen war. Ihr Mann, der sich im Hauptraum ihres kleinen Heimes den Feinden in den Weg gestellt hatte, war gefallen.

„Bitte Omoide. Wenn du mich wirklich lieb hast, folgst du jetzt deinem Bruder.“

Weinend und widerstrebend nickte der Junge mit den grünen Haaren und ließ sich von seinem Bruder hinfort ziehen. Er hatte aufgehört sich zu wehren und folgte nun der einzigen Person, die ihm noch geblieben war, durch eine Geheimtür in einen unterirdischen Tunnel. Über ihnen verschloss ihre Mutter gerade die Luke, als sie noch das gedämpfte Geräusch von berstendem Holz hören konnten.

„Ich sagte doch, hier ist noch wer. Haha!“

„Lasst mich los!“

„Komm her Süße und zeig uns mal, was du hast,“ gackerte eine weitere Stimme und lachte höhnisch.

„Gyaaaaah!“

Sich auf die Lippen beißend, um nicht lauthals los zu weinen, folgten die Kinder schnellstens dem erdigen Tunnel, der gerade einmal soviel Platz bot, dass ein erwachsener Mensch auf allen Vieren hindurch zu robben vermochte. Die beiden Burschen wussten, dass der Geheimgang zu einem Wald in der Nähe ihres Dorfes führte, von wo aus sie weiter in Richtung Norden würden rennen müssen. Dort in den tiefen des Waldes hatten die Dorfbewohner ein verstecktes Lager für genau solche Fälle eingerichtet. Für Unwissende war es schwer zu finden und da bereits die Dunkelheit dabei war hereinzubrechen, hatten sie gute Chance ungesehen zum Versteck zu gelangen.

Schluchzend und schniefend kämpften sie sich immer weiter voran. Der Geruch der modrigen Erde erreichte sie nicht mehr. Hatten sich ihre Nasen doch durch das viele Weinen praktisch jeglichem Geruch, den ihre Umgebung erzeugen konnte, verschlossen. Doch dies war weniger der Grund. Nichts drang mehr zu ihnen durch. Weder Geräusche, Gerüche, noch sonstige Sinneseindrücke. Sie waren mit sich selbst zu beschäftigt. In Selbstmitleid und Heulkrämpfen versinkend. Hatten alles verloren, was sie besessen hatten. Hatten ihre Eltern verloren. Hatten ihr Glück verloren. Nur noch einander waren sie geblieben. Zwei Kinder in einer grausamen Welt. Welch grausame Welt, wenn sie ein solches Schicksal zuließ.

Plötzlich spürte Tsukahara etwas Hartes vor sich in dem finsteren Tunnel. Es fühlte sich an wie ein kalter, lebloser Stein. Sie hatten das Ende des Ganges erreicht. Vorsichtig legte er seine Fingerkuppen darauf und drückte vorsichtig, gleichzeitig aber mit aller Kraft die er noch aufbringen konnte. Ächzend gab der Stein nach und fiel nach vorne. Schummriges Licht der untergehenden Sonne flutete den Geheimgang, während sie ihn endgültig verließen. Weit entfernt, zwischen den mächtigen Baumstämmen, konnten sie ihre Heimat brennen sehen. Das wütende Feuer versengte alles, was sich ihm in den Weg zu stellen wagte. Ernährte sich von harter Arbeit und vergangenen Erinnerungen, nur um letztendlich nichts als verkohlte Asche und zum Tode verurteiltes Land zurück zu lassen. Das Leben sein Feind, das Vergehen sein Freund. Es würde sehr lange dauern, ehe das Land sich würde erholen können, doch noch viel länger brauchte es, ehe die Menschen – die diese Nacht überleben würden – das Geschehene verstehen und verarbeiten könnten. Tsukahara schüttelte energisch mit dem Kopf um die trüben Gedanken zu verscheuchen. Er durfte nicht weiter darüber nachdenken. Sie mussten weiter. Zum versteckten Lager. Dort würden sie sicher sein. Dort würden sie diesen Alptraum überstehen können.

Kraftlos und müde stampften sie zwischen den Baumstämmen hindurch. Kämpften sich über armdicke Wurzeln und unter umgestürzte Stämme hindurch.

„Bruder, denkst du Mama und Papa werden es schaffen?,“ fragte Omoide überraschend.

Tsukahara wusste genauso wie sein grünhaarige Bruder, dass sie längst tot waren, doch keiner von ihnen wollte sich dieser Wahrheit stellen und so antwortete er nach kurzem Zögern: „Natürlich. Von einfachen Piraten werden sie sich doch nicht umbringen lassen. Und nun komm. Wir sind bald da.“

Den Rest des Weges setzten sie schweigend fort, um Kraft zu sparen. Der Angriff der Piraten war wie eine stürmische Flut über das kleine Schifferdorf hereingebrochen und hatte genauso viel Verwüstung hinterlassen. Allen voran ihr Kapitän, von dem man sagte er sei ein besonders brutaler Mensch, dem es eine Freude sei bei einem Angriff einige der Bewohner als Geiseln zu verschleppen, um sie zu foltern.

Was hatten sie nur verbrochen, um ein solch grausames Schicksal verdient zu haben? Diese Frage drängte sich ihnen immer wieder auf und ließ sich nicht aus ihren Köpfen und Gedanken verbannen.

„Bruder, schau,“ meldete sich Omoide plötzlich zu Wort, woraufhin Tsukahara den Kopf leicht anhob und in die Richtung blickte, in welche sein Bruder wies.

Seine Augen weiteten sich und Tränen der Freude übermannten ihn, eilig wischte er sie sich weg. Inmitten der Finsternis des Waldes, deren Baumkronen auch das letzte Licht des inzwischen aufgegangenen Mondes verschluckten, konnten sie den rotgelben Schein eines Feuers ausmachen. Es musste sich um ein Lagerfeuer im Versteck handeln. Da waren sich die beiden Kinder sicher, woraufhin sie eilig darauf zustürmten. Endlich würden sie den verdienten Frieden finden. Vergessen war alle Müdigkeit, aller Schmerz, alles Leid, alle Pein, alle Qualen. Bereits jetzt kam es ihnen wie ein Alptraum vor, den sie vor Jahren geträumt hatten und der nur noch als finsterer Schatten in ihren Erinnerungen weiterlebte. Doch jeder Alptraum kehrt einmal wieder…

Und der ihre schneller als befürchtet.

Rufe… Schreie… Metall das auf Metall trifft… die typischen Geräusche des Kampfes, denen sie zu entfliehen versucht hatten. Nein, das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Wie hätten die Piraten den Weg ins Versteck finden sollen?

Als die Brüder endlich den Rand der Lichtung erreichten, mussten sie erkennen, dass ihre schlimmsten Vorstellungen Wahrheit geworden waren. Auch das versteckte Lager brannte lichterloh und inmitten der einfachen Zelte kämpften einige der letzten Überlebende mit den Piraten und versuchten somit den Schwächeren eine Chance zur Flucht zu bieten. Zur Flucht ins Nichts. Nun stand es fest, niemand sollte diese Nacht überleben.

Tränen schossen in Omoides Gesicht. Tsukahara versuchte die seinen zu unterdrücken. Alles war umsonst. Die Flucht. Die Erschöpfung. Der verbissene nächste Schritt, obwohl die Beine nicht weiter wollten. Die nächste mühevolle Bewegung obwohl der eigene Leib sich zu weigern versuchte, aufgrund des Schmerzes in jeder Muskelfaser. Aber vor allem das Opfer ihrer Eltern.

Alles umsonst…

„Hey, ihr da!“

Erschrocken drehte Tsukahara seinen Kopf zur Seite und erblickte einen der Piraten. Man hatte sie entdeckt.

„Schnell, Omoide,“ schrie der Ältere von Beiden, ergriff eilig Omoides Arm und riss seinen jüngeren Bruder mit sich.

Sie durften nicht aufgeben. Das hätten ihre Eltern nicht gewollt.

„Kommt mit, da versuchen ein paar Kinder abzuhauen,“ vernahmen sie die Rufe hinter sich und anschließend die Schritte ihrer Verfolger.

Obwohl ihre Füße schmerzten und ihre Lungen brannten, wagten sie es nicht stehen zu bleiben. Nicht einmal einen Blick zurück zu werfen. Sie würden in dem Dickicht des Waldes sicherlich ihre Verfolger abschütteln können. Wenn sie nur lang genug rannten.

Wie grausam konnte das Schicksal nur sein, dass es zwei unschuldige Kinder so übel zuspielte und ihnen immer wieder die Hoffnung nahm, kaum das sie Neue fanden. So wie in dem Moment, als sich der Wald plötzlich lichtete und die Brüder sich an der Nordostklippe wieder fanden. In letzter Sekunde schafften sie es zu stoppen, um nicht durch die Wucht ihrer eigenen Schritte über den abrupten Rand der Insel zu stolpern und in die Tiefen des Meeres zu stürzen.

„Haben wir euch,“ lachte einer der Piraten und kam auf die Kinder zu. Trotz all der Hoffnungslosigkeit und des Schmerzes, wollte Tsukahara nicht aufgeben. Auf ihrem Weg zum Versteck hatte er einen Ast als Gehstock aufgehoben und nun würde dieser Ast ihm vielleicht wieder neue Hoffnung schenken können. Er uns sein Bruder hatten oft mit ihrem Vater sich im Kampf mit dem Schwert geübt. Seine Fähigkeiten würden ausreichen, um mit diesen einfachen Piraten fertig zu werden.

„Was geht hier vor sich?,“ ertönte eine Stimme mit einem Male hinter dem hinteren Piraten.

„Kapitän. Wir sind zwei Kindern gefolgt, die abhauen wollten.“

Die Männer machten ihrem Kapitän den Weg frei, so dass die beiden Kinder den Grund ihres Leides erblicken konnten. Piratenkapitän Animo.

Ein Kurzschluss in Tsukaharas Kopf. Oder ein Moment der Schwäche.

Er wusste es nicht mehr, was damals geschah, nur noch wie er plötzlich auf den Feind vor sich zustürmte. Er würde ihm notfalls den Schädel mit dem Stock einschlagen. Und wenn es das letzte war… PENG.

Ein Schuss?

Woher kam der Knall.

Ein stechender Schmerz in Tsukaharas rechter Schulter.

Hielt er den Ast noch, oder hatte er ihn fallen gelassen? Wieso spürte er den Ast nicht mehr?

Schockiert torkelte er einige Schritte zurück. Nein. Es waren mehr als nur einige Schritte.

Plötzlich bemerkte er seinen Bruder neben sich. War er soweit zurück gegangen oder war sein Bruder zu ihm gekommen?

Tsukahara spürte wie der Boden unter seinen Füßen verschwand und er in die Tiefe stürzte. Wieso hörte er nichts? Er konnte seinen Bruder am Rande der Klippe erkennen. Er beugte sich drüber hinweg. Streckte ihm den Arm entgegen. Schrie etwas.

Stille. Grauenhafte Stille.

Eine Hand die sich um den Kopf seines Bruders schloss und ihn nach hinten zog.

Omoide war verschwunden. Dieses Monster hatte sich seinen Bruder geschnappt.

Ein lauter Knall brachte ihn wieder die Welt der Laute zurück, doch war er in das Meer eingetaucht, welches seine eigene Form grausiger Stille besaß. Wasser strömte in seine Lungen. Er bekam keine Luft mehr. Doch fehlte ihm die Kraft gegen das stetige Sinken anzukämpfen.

War dies sein Schicksal, eingefordert von der See? Geholt von Davy Jones…
 

*Eine unbestimmte Zeit später irgendwo auf derselben Insel*
 

Langsam kam der Junge mit den violetten Haaren wieder zu sich. Er lebte noch? Ein Wunder.

Es musste sich um ein Wunder handeln. Er hörte jemanden neben sich. Hatten die Piraten ihn gefunden und wieder eingefangen? War er gerettet worden, nur um anschließend noch weiter leiden zu müssen?

Er war zu schwach, um den Kopf zu heben und zu sehen, wer da war. Doch war dies nicht nötig. Der Unbekannte trat heran.

Den hellen Schein der Sonne im Rücken. Geblendet konnte Tsukahara nur die Silhouette der Person erkennen. Keine Details waren zu erkennen. Nicht einmal als der Fremdling sich bückte und nach Tsukaharas rechtem Arm griff und diesen anhob. Ein unfassbar stechender Schmerz breitete sich von seiner Schulter aus und durchströmte seinen gesamten Leib. Ein unbeschreiblicher Schrei voller Pein durchschnitt die stille Idylle der Insel, welche sich nach dem Gefecht auf ihr zu erholen versuchte. Verbrannte Asche bedeckte ihren Boden und inmitten dieses Sinnbilds von Leid und Chaos sollte sich ein weiteres Opfer einfinden.

Sämtliche Müdigkeit wurde aus dem Kopf des Jungen geschwemmt, durch eine Flut neuer Schmerzen.

Und da sah er es auf einmal. Das Aufblitzen einer Klinge. Ein kräftiger Hieb. Ein neuer, noch durchdringender Schmerz. Blut. Überall Blut. Und dazwischen dieser unsägliche Schmerz.

Ein letzter Schrei des Jungen, ehe ihn erlösende Finsternis umgab: „Gib mir meinen rechten Arm zurück!“
 

*Gegenwart*
 

Keiner wagte etwas zu sagen, während Tsukahara sein Schwert in dessen Scheide steckte und anschließend mit der linken Hand seine rechte Schulter berührte, wo eigentlich sein Arm hätte sitzen sollen, doch nichts weiter als eine bekleidete Schulter war.

„Seit jenem Tag jage ich. Ich jage diesen Piraten hier hinterher. Ich dachte sie hätten meinen Bruder Omoide getötet. Nie hätte ich erwartet, dass sie ihn bei sich aufgenommen haben könnten. Ich war all die Jahre lang Jäger, Rächer und Richter. Habe unzählige Piraten auf dem Gewissen. Doch da ich nur Verbrecher bisher ihrem Schöpfer vorgeführt habe, hat die Marine keine Anstalten gemacht meinem Treiben ein Ende zu setzen. War es doch in ihrem ermessen,“ sprach Tsukahara mit kraftloser Stimme.

Seit seiner Kindheit hatte er nicht mehr soviel gesprochen wie jetzt in diesem einen Moment.

„Steh auf.“

Die eisigen Worte Tykes trafen den Schwertkämpfer unerwartet hart, weshalb er aufblickte und zu dem Rotschopf empor blickte. Doch aufgrund der Sonne im Rücken, war lediglich die Silhouette des Rotschopfs für ihn erkennbar. Auf einmal fühlte er sich in der Zeit zurückversetzt. Erwartete beinahe wie damals das emporgehobene Schwert zu erblicken und den Verlust seines Armes erneut zu erleben.

Die Kugel hatte damals seinen jungen, dürren Arm in Fetzen gerissen. Die Amputation seines Armes war notwendig gewesen um sein Leben zu retten, da sich das abgestorbene Gewebe hätte entzünden können. Doch trotz des Wissens hatte er nie gänzlich den Verlust seines Schwertarmes überwinden können.

„Steh auf,“ verlangte Tyke erneut. Kraftvoller.

Beinahe wie in Zeitlupe erhob sich der Krieger mit dem zotteligen Haarschopf. Kaum stand er, traf ihn die eisenharte Faust Tykes, obwohl er seine Kräfte noch gar nicht genutzt hatte, und riss ihn wieder zu Boden. Niemand sagte was. Niemand wagte dazwischen zu gehen.

„Rette ihn,“ die Worte waren so leise gesprochen worden, dass selbst Tsukahara sie kaum verstand. Doch als er sich langsam wieder aufrichtete, wiederholte Tyke sie. Laut und deutlich für alle Anwesenden: „Rette ihn gefälligst. Er ist dein Bruder! Willst du ihn ein weiteres Mal verlieren? Und du…“

Er drehte sich schwungvoll zu Omoide um, welcher ihn aus kalten, schier leblosen, Augen entgegen blickte. „Warum kämpfst du gegen deinen eigenen Bruder?“

„Ich sagte doch bereits, dass ich eine Waise bin und niemanden mehr habe. Animo hat mich aufgenommen, als ich mit meinem Leben bereits abgeschlossen hatte und mir somit einen Sinn zu Leben gegeben.“

Plötzlich ging ein Ruck durch den bezwungen geglaubten Schwertkämpfer. Mit aller Kraft stemmte er sich empor, riss sein Katana aus dessen Scheide und zielte damit – am Haupt des Rotschopfs vorbei, der von der Geste scheinbar völlig unbeeindruckt war – auf den Fechter.

„Warum hast du mich gesucht?“

„Dante, der Kensei, hatte dich mir empfohlen, als Mitglied für meine Piratenbande.“

„Dante höchst persönlich? Welch eine Ehre… sag, kannst du Animo bezwingen?“

Ein Lächeln huschte über Tykes Gesicht und von einem wütenden zischen begleitet sprach der Kapitän grimmig: „Ja.“

„Du willst mich und ich will seine Niederlage. Ich bin ein Mann von Ehre und ein Ronin. Ein herrenloser Schwertkämpfer der erhabenen Klasse der Samurai. Ich biete dir mein Leben, meine Treue und mein Schwert an. Im Gegenzug verlange ich Animos Kopf auf diesen dreckigen Boden gepresst. Haben wir einen Handel?“

„Was ist mit deinem Bruder?“

„Wir haben oftmals als Kinder gekämpft. Diesmal werde ich mich nicht zurückhalten, dann wird er sich auch an mich erinnern und an unsere Kindheit. Niemand kann das Band zweier Brüder auseinander reißen. Teufelskräfte hin oder her.“

„Uaaaaaaaaarrrh! Dann haben wir einen Deal!,“ kreischte Tyke mit aller Kraft, die seine Stimmbänder herzugeben vermochten und im selbigen Moment platzte zur Überraschung aller der kleine Lederbeutel an Tykes Gürtel auf und die darin enthaltenen Eisenspäne flogen in einem mächtigen Wirbel um ihren Meister herum.

Sie wurden so schnell, dass eine Art Windhose entstand, die ihn und seinen neugewonnen Schwertkämpfer einhüllte, so wie seine roten Haare im Wind wie die Blätter eines Baumes flattern ließ.

Der Wirbel wurde immer schneller und schneller, wuchs mit jeder Sekunde die verstrich an und gewann an Kraft. Der Sand und Schmutz vom Boden wurde in die Luft gesogen und so in die Augen aller Anwesenden gestreut, die damit nicht gerechnet hatten. Schützend hob Animo die Arme vors Gesicht, woraufhin Tyke seine Zeit gekommen sah. Wie eine Kanonenkugel schoss er aus dem Wirbel hervor und rannte mit irrwitzigem Tempo auf den gegnerischen Piraten zu. Seine Eisenspäne folgten ihm, wie ein Schwarm Bienen ihrer Königin folgte. Ohne Vorwarnung tauchte der Rotschopf vor seinem Gegner auf und rief aus: „Magnetisierung – Iron Orochi!“

Sofort umschlossen die Eisenspäne seine Taille, bildeten dabei einen eisernen Gürtel, aus dem acht Schlangen entstanden deren Köpfe kurz ihren Gegner anzischten und anschließend zu Eisenkugeln wurden die gemeinsam mit Tykes beiden normalen Hände auf Animo einschlugen. Dieser war nicht auf den Angriff vorbereitet gewesen und musste die unzähligen, in die Dutzende gehenden, Treffer einstecken, ehe Tyke das alles mit einem kräftigen rechten Haken beendete, der Animo mehrere Meter nach hinten schleuderte, mitten durch die kräftige Wand seines eigenen, prachtvollen Schiffes. Dort blieb er reglos liegen, während Tyke darauf wartete, dass er sich wieder aufrichtete. Er wusste, dass es noch nicht beendet war. Unterdessen bereiteten sich Tsukahara und Omoide auf eine zweite Runde vor.

Diesmal würde es einen eindeutigen Sieger geben müssen.

Familienbande

Inzwischen waren auch Nikolai und sein Bodyguard Alex am Ort des Geschehens eingetroffen und betrachteten gespannt den Kampf der beiden Brüder, so wie den Kampf, welcher sich zwischen dem großmäuligen Rotschopf und Piratenkapitän Animo entwickelte, wobei Letzterer noch immer keine Anstalten machte aus den Trümmern, in denen er lag, zu steigen. Aus diesem Grund geriet auch der Kampf der Schwertkämpfer in den Vordergrund der Aufmerksamkeit aller.

Die Piraten der Memory-Piratenbande, sowie die Hafenarbeiter nahmen dabei einen respektvollen Abstand von den Kontrahenten ein, bildeten jedoch unbewusst einen großen Kreis um sämtliche stärkeren Gestalten, die sich am Hafen Hangtowns eingefunden hatten.

Der Einarmige riss unterdessen sein Schwert empor, so dass es kurz im Licht der Sonne aufblitzte, während er verkündete: „Hammerschlag!“

Der Name betitelte nicht einfach nur den Angriff, sondern beschrieb ihn zudem äußerst passend, denn genau wie ein Hammer sauste die Klinge hinab, während ihr Besitzer einen Satz nach vorne machte, und drohte seinem Widersacher den Schädel zu spalten, sollte er nicht ausweichen oder einen Konter starten. Doch eben dies geschah in jenem Moment, als der Fechter lediglich sein Florett mit der nadelspitzen Klinge empor riss, begleitet von einem leisen „Bienenstich!“

Zielsicher wie ein Meisterschütze, traf die punktkleine Florettspitze die Schwertklinge und fälschte sie derartig präzise ab, dass der Schwertstreich Tsukaharas an Omoide vorbei ging und stattdessen den steinigen Boden des Hafens durchstieß.

„Du bist besser geworden. Hast du heimlich trainiert?“

„Du bist besser geworden. Hast du heimlich trainiert?“

Verwirrt riss der Fechter die Augen auf, als die Worte seines Feindes in seinem Kopf wiederhallten. Wie war das möglich?

Während der erste Satz deutlich zu verstehen war, schien die Wiederholung direkt in seinem Gehirn zu entstehen. Einem Flüstern gleichkommend. Leise wie eine Katze, die sich in Richtung ihrer Beute heranpirschte. Vorsichtig wie ein Vogel, den man in seinen Händen hielt und nicht zu fest anfassen wagte, aus Furcht ihn zu verletzen.

Immer wieder wenn er versuchte die wiederkehrenden Worte in Form seiner eigenen Gedanken zu ergreifen, entglitt sie ihm, als seien sie ein glatter Aal in den reißenden Fluten eines mächtigen Flusses, den zu Fangen mit bloßen Händen unmöglich zu sein schien.

Was war nur mit ihm los? Er durfte sich nicht ablenken lassen. Doch Tsukahara war die kurz aufblitzende Verwirrung in den Augen des Fechters aufgefallen.

„Du musst immer auf deinen Gegner achten, Omoide.“

„Du musst immer auf deinen Gegner achten, Omoide.“

Erneut dieser Wiederhall. Das war nicht möglich? Es musste sich um einen Trick handeln. Eine Täuschung. Waren das vielleicht sogar Kräfte einer Teufelsfrucht oder besaß sein Gegner eine andere, ebenso mächtige Gabe, die ihm dies zu tun gestattete? Ein kurzer, aufblitzender Schmerz machte sich in der Schläfe des Grünhaarigen bemerkbar, verflog jedoch als er sich wieder gefasst hatte.

Beinahe zu spät reagierte er auf den gleichzeitig auftretenden gegnerischen Angriff und schaffte es nur dank seiner katzenhaften Reflexe, dem kräftigen Vorstoß Tsukaharas auszuweichen. Sofort fragte er: „Wie machst du das?“

„Ich mache nichts. Ich kämpfe nur mit dir.“

„Diese Worte in meinem Kopf. Wie erzeugst du sie?“

„Das bist du selbst. Oder besser gesagt deine Erinnerungen.“

„Welche Erinnerungen, wenn ich dich nicht kenne?“

„Deine wahren Erinnerungen,“ mit diesen Worten drehte der Einarmige sich um seine eigene Achse und nutzte die dadurch entstehende Fliehkraft aus, um seinen eigenen Schwertstreich zu verstärken. Omoide gelang es jedoch mit der dünnen Florettklinge, die wesentlich dickere Katanaklinge abzuwehren und sich sogar ihr entgegen zu stemmen.

Währenddessen regte sich endlich die Gestalt in den Trümmern des mächtigen, ehrfurchtgebietenden Dreimasters, welcher als Schiff der Memory-Piraten diente. Stöhnend und ächzend erhob Animo sich und blickte zu Tyke, der noch immer in unveränderter Pose dastand und zu seinem Gegner blickte. Ihn genau inspizierte. Die hellblaue Hose hatte Risse vom Aufprall davongetragen, doch ansonsten nicht viel von ihrem eleganten Erscheinungsbild verloren, was hauptsächlich an dem edlen, samtenen Stoff lag. Das weiße Hemd, unter der olivgrünen Weste, dagegen hatte wesentlich schlimmere Schäden davongetragen. Die Ärmel, die sonst die kräftigen Arme bedeckt hatten, hingen in Fetzen hinunter. Nur die besagte Weste und die schwarzen Schuhe schienen den Aufprall absolut unbeschadet überstanden zu haben. Zumindest waren keine größeren oder kleineren Schäden an ihnen auszumachen.

„Ist dir bewusst, dass dies mein Lieblingshemd war?“

„Schick mir die Rechnung.“

Ein Lächeln legte sich auf die vollen Lippen und um schmiegten damit die untere Gesichtshälfte Animos. Je länger er es jedoch aufsetzte, umso mehr verzerrte es sich zu einer abstoßenden Fratze. „Schlagfertig, schlagfertig. Wollen wir warten, bis die Beiden fertig sind, oder wollen wir gleich zur Sache kommen?“

„Mir egal. Ich bin immer bereit.“ Zur Bestätigung seiner Worte schob Tyke sein rechtes Bein ein Stück nach vorne, brachte seinen Körper in eine seitliche Position und hob kampfbereit seine Arme. Gleichzeitig begannen wieder die Späne in einem langsam Wirbel um ihn herum zu fliegen, als wollten sie demonstrieren, dass auch sie bereit waren sich jederzeit einem Kräftemessen mit Animo zu stellen.

„Teufelskräfte. Gott, inzwischen wimmelt es auf den Blues ja nur noch von unser gleichen.“

Entweder schenkte der Rotschopf den Worten des Glatzkopfes keinerlei Beachtung oder er ließ sich keine Reaktion anmerken. „Gib mir noch ein oder zwei Minuten. Es ist gerade so spannend.“

Mit einer kaum merklichen Geste machte der Kapitän der Memory-Piraten verständlich, dass er den Kampf der Schwertkämpfer meinte und, angetrieben von seiner Neugierde, wand auch Tyke sich schließlich den Beiden zu, jedoch nicht ohne seinen Gegner stets aus den Augenwinkeln heraus zu beobachten. Der Rotschopf wollte keinem Überraschungsangriff zum Opfer fallen.

Die Piraten und Hafenarbeiter, die inzwischen den größtmöglichen Abstand zu den ganzen Gestalten – sei es die Rombardi Familienangehörige, die Crewmitglieder des Rotschopfes oder die vier kampfeslustige Piraten – gefunden hatten, blickten gebannt zwischen Tyke und Animo hin und her. Es war mehr als nur ein verbales Sprücheklopfen, was sie da veranstalteten. Es war bereits der Beginn ihres Kampfes, doch in Form eines sprachlichen Abtastens.

„Machtschlag.“

Mit aller Kraft riss der Schwertkämpfer sein Schwert von unten nach oben, wobei eine Art Luftschnitt entstand, der auf den Grünhaarigen zuschoss. Dieser aber wusste sich zu wehren. Ruckartig hielt er das Florett vor sich und wedelte in gewisser Weise schnell damit nach links und rechts, doch nur Tsukahara erkannte die wahre Größe des dadurch entstehenden Manövers.

„Schmetterlingsschlag.“

Als die Florettspitze auf den Luftschnitt traf, zerschnitt sie diesen förmlich, so dass nur noch ein kleiner Luftwirbel entstand und die Wucht des Angriffes sich somit auflöste, ohne eine gefährliche Wirkung auf Omoide zu haben. Dieser holte unterdessen zum Gegenschlag aus, wobei er mehrere Male schnell hintereinander mit der Spitze seiner Waffe voran stach. Seine Bewegung immer schneller ausführend erschuf er auf diese Weise Trugbilder seiner Waffe, so dass die wahre Klinge nicht mehr heraus zu erkennen war. Zumindest schien es für einen Laien so.

In Wahrheit aber schnellte Omoides Florett derartig rapide vor und zurück, dass jede sichtbare Klinge, tatsächlich für einen reell ausgeführten Angriff stand. Tsukahara fiel auf den Trick jedoch nicht herein und schaffte es unter Darbietung all seines Geschicks ein jeden Angriff abzuwehren.

Bei jedem aufeinanderprallen der Klingen sprühten Funken und das Geräusch aufeinander prasselnden Stahls, welches aufgrund des Tempos einem leichten Regenschauer glich, schwängerte die Luft.

Die drei Rabenpiraten abseits des Kampffeldes betrachteten dabei fasziniert die ausgezeichneten Fähigkeiten des Einarmigen, der dank der großen Bewegungsfreiheit seines speziell angefertigten Kimonos, aus jeder Lage heraus die Angriffe zu parieren können schien. Die leichten Holzgetas fanden trotz ihrer Schlichtheit immer einen festen Griff auf dem Steinuntergrund. Es war erstaunlich mit welcher Eleganz die beiden kämpften. Irrten sich die drei Piraten oder glich der Kampf inzwischen eher einem Tanz, als wirklich einem Kräftemessen zweier ausgezeichneter Kämpfer, dessen Ende für einen von ihnen tödlich enden könnte?

Die perfekten Voraussetzungen für einen Kampf, doch im Endeffekt entschied nur, wer die bessere Technik aufwies und darin schien Omoide Tsukahara überlegen zu sein und dennoch…

„Trotz allem lernst du es nicht, deine Technik weiter zu entwickeln.“

„Trotz allem lernst du es nicht, deine Technik weiter zu entwickeln.“

Wütend funkelten Omoides Augen, als die Worte immer wieder in seinem Kopf aufblitzten. Lauter und leiser werdend, doch niemals ganz verstummend. Ihn quälend und folternd. Plötzlich, ganz leise wie die sanfte Brise des Windes an einem lauen Sommerabend, erschien ein Bild vor seinem geistigen Auge. Ein Bild, welches er zu kennen glaubte, doch sich nicht ganz sicher sein konnte.

Omoide als Kind. An eine Wand gedrängt. Vor ihm ein Junge, nicht viel älter als er selbst, mit zotteligen violetten Haaren, die feucht in seinem Gesicht klebten. Zwei Jahre älter… höchstens. Die Spitze eines Shinai war auf die Kehle des jungen Omoide gerichtet. Keuchend und pfeifend ging sein Atem. Er hatte keine Kraft zum Kämpfen mehr. „Du bist stärker als ich, Omoide, doch du verlierst immer und immer wieder aus ein und demselben Grund. Denn trotz allem lernst du es nicht, deine Technik weiter zu entwickeln.“

„Das… Das ist nicht wahr. Ich kenn dich nicht. Ich bin ein Einzelkind. Du… Du manipulierst mich.“

Verwirrung machte sich in dem Grünhaarigen breit. Zur selben Zeit legt sich jedoch ein roter Schleier über seine Gedanken und verdrängt sämtliche Logik aus seinem Verstand. Zurück blieb blinde Wut und verwirrter Zorn. Und genauso blind stach er daraufhin zu. Tsukahara war zu überrascht um rechtzeitig zu reagieren, so dass die Klinge sich tief in seine armlose Schulter bohrte. Überrascht von dem Treffer weiteten sich seine Augen. Doch konnte er sich schnell wieder fassen.

Aisuru bemerkte wie July den Blick eilig abwand, während Nina nur scharf die Luft einzog. Sie fieberten mit dem Schwertkämpfer mit. Sein Leid hatte sie ergriffen. Seine Vergangenheit war zu ihrer geworden, denn sie waren in Gedanken bei ihm und litten dadurch mit ihm.

Die Rombardis dagegen blickten gleichgültig zu den Kontrahenten. Für sie war nur relevant, wer gewann, denn dadurch bestimmte sich, ob auch sie noch würden kämpfen müssen.

„Siehst du, Rotschopf? Deine Worte waren vergebens. Der Schwertfuchtler, den du so tapfer beschützt hast, hat nicht den Hauch einer Chance gegen meinen Mann.“

Animo lachte heiser auf, um seine bitteren Worte zu unterstreichen, doch Tyke entgegnete eiskalt: „Dieser Schwertkämpfer wurde mir von Dante, dem Kensei, höchstpersönlich empfohlen. Auf seinem Weg zum weltbesten Schwertkämpfer, würde er niemals verlieren. Und genau deshalb gehört er in die Bande des nächsten Piratenkönigs. So wie Lorenor Zorro in Ruffys Mannschaft gehörte.“

„Du willst Piratenkönig werden? Du bist lediglich ein Träumer!“

„Na und? Das war Ruffy zu seiner Zeit auch! Und genau deswegen hat er sein Ziel erreicht,“ die letzten Worte hatte der Pirat geschrien. Derartig laut, das selbst die Schwertkämpfer kurz inne hielten und zu ihm hinüber sahen.

Seine Worte endeten jedoch nicht an der Grenze des Hafens, sondern erlangten scheinbar Flügel, denn sie ließen sich vom Wind über die gesamte Insel tragen und erreichten jeden ihrer Bewohner. Alle blickten sie in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Jeder hielt inne und lauschte ihnen. Und sie alle spürten die Kraft in diesen wenigen Worten. Die unumstößliche Macht die sie inne hatten.

Omoide erzitterte auf einmal. Ein Schauer breitete sich in seinem Leib aus und mit dem Schauer, erschien ein weiteres Bild vor ihm. Eine weitere nicht existente Erinnerung.

Erneut sah er sich selbst und den anderen Junge. Beide waren sie verdreckt. Getrockneter Schlamm haftete an ihren Kleidungen und bröckelte stellenweise sogar herunter. Im Schneidersitz saßen sie da und erholten sich ein wenig. Sie hatten den ganzen Vormittag über miteinander gekämpft. Diesmal hatte keiner von Beiden gesiegt. Plötzlich trat jemand heran. Ein großgewachsener Mann mit einem breiten Lächeln und ebenso breiten, kräftigen Schultern blickte zu ihnen hinab. Seine strähnigen dunkelvioletten Haare umrandeten sein schmales Gesicht, das trotz seines fortgeschrittenen Alters nichts von seiner Schönheit verloren hatte.

„Vater,“ riefen sie gemeinsam.

„Habt ihr wieder gekämpft?“

„Ja, Vater.“

„Ich kann bereits jetzt erkennen, dass aus euch eines Tages begabte Schwertkämpfer werden,“ sprach er lachend und ging in die Hocke, um auf einer Ebene mit seinen Söhnen sprechen zu können. Sein langes Schwert klapperte an seinem Gürtel, doch störte es ihn nicht. Sein Schwert gehörte zu ihm, wie ein Arm oder ein Bein. Nie würde er es wagen, es abzulegen.

„Vater?,“ meldete sich der Ältere der beiden Kinder zu Wort und blickte ungewohnt ernst.

„Ja, mein Sohn?“

„Denkst du wirklich… dass wir große Schwertkämpfer werden?“

„Natürlich.“

„Groß genug, um Lorenor Zorro zu besiegen?“

Das Gesicht des Mannes spiegelte seine Überraschung wieder, welche sich jedoch nur kurz hielt und dann einem erneuten, aufrichtigen Lächeln wich. Mit einer berauschenden Wärme in der Stimme antwortete er: „Selbstverständlich, mein Sohn. Du kannst alles erreichen, solange du an deinen Träumen festhältst. Das gleiche gilt für dich, Omoide.“

Gütig, wie es nur ein Vater konnte, legte er seine kräftige Hand sanft auf das Haupt seines Sohnes.

„Ich… Ich bin… bin ein Waisenkind. Mein Kapitän, hat mich einsam und verlassen in einem Waisenhaus im North Blue gefunden. Ich habe keinen Bruder. An meine Eltern kann ich mich nicht mehr erinnern. Das ist die einzige Wahrheit. Du manipulierst mich. Manipulierst meine Gedanken. Meine Erinnerungen.“

„Du weißt, dass ich dazu nicht fähig bin. Aber du weißt, wer dies kann,“ antwortete Tsukahara ruhig, trotz der Klinge in seinem Leib und den damit verbundenen Schmerzen.

Die zuvor nur so vor Selbstbewusstsein strotzende Stimme Omoides, ähnelte nun eher der Stimme eines Greises, der sich an sein Leben kaum noch erinnern vermag und dessen Vergangenheit verborgen hinter einem Mantel des Vergessens zu liegen scheint. Verborgen und versteckt für seine altersschwachen Augen. Oder verborgen gehalten.

„Du beginnst dich an die Wahrheit zu erinnern,“ fügte der Einarmige schließlich hinzu.

Mit einem Mal spürte Omoide einen stechenden Schmerz hinter seiner Stirn, begleitet von einem unangenehmen Pochen. Immer mehr Bilder entstanden in seinem Kopf und setzten sich da fest. Die Hände an seine Schläfen pressend, ging der Fechter auf die Knie und ließ seine Waffe dabei zu Boden fallen. Ein schmerzverzerrter Schrei entrann seiner Kehle. Er spürte wie etwas seine Wangen hinab floss. Tränen? Vorsichtig, und mit zittriger Hand, berührte er die Substanz auf seiner Haut. Als er die Finger anschließend vor seine Augen führte, sah er das Blut an ihnen kleben. Er blutete aus den Augen?

„Du dummer Junge, musstest dich in meine Angelegenheiten einmischen. Er hätte sich nie mehr daran erinnert, wer er gewesen wäre. Und du hättest längst tot sein können, aber nein. Dieser Rabenschädel hier musste sich ja einmischen,“ knurrte plötzlich die vertraute Stimme Animos neben Tyke, der entsetzt seinen Kopf zu ihm wand und sich fragte wie der Piratenkapitän so überraschend neben ihm hatte auftauchen können.

Doch war es bereits zu spät. Die gewaltige Pranke des Memory-Piraten schloss sich um Tykes Kopf und drückte kräftig zu. Doch der Rabenpirat gab keinen Laut von sich, sondern blickte mit überraschend ausdruckslosen Augen starr nach vorne. Es dauerte nur wenige Sekunden, ehe ein blenden weißes Licht Tykes Geist umfing und ihn wie eine Flut mit sich riss. Eine Flut, von der keiner der Umstehenden etwas mitbekam.
 

* * * * *
 

Keiner wusste wie lange es dauerte, ehe Animo seinen Gegner los ließ und dieser einige Schritte rückwärts taumelte, ehe er stehen blieb und vor sich hin zu träumen schien. Mit einem diabolischen Grinsen wandte sich der Westenträger ab und ging auf Tsukahara zu, der vermutlich als Einziger wusste was geschehen war. Es war leider zu spät für den Rotschopf, doch wollte er ihn rächen.

Er hatte sein Versprechen nicht halten können. Scheinbar gab es Niemanden, der dieses Biest aufhalten konnte, welches sich ihm nun näherte und ihn offensichtlich als nächstes Opfer auserkoren hatte.

Unterdessen geschah etwas, was die Mitglieder der Rabenpiraten zu tiefst entsetzte. Schweigend drehte Tyke sich nämlich zu seinen Freunden um und fragte dann leise: „Wer seid ihr? Kenne ich euch?“

Eine schwere Entscheidung

„Und wer bin ich eigentlich?,“ fragend blickte Tyke an sich herab und blickte auf seine eigenen Hände. Anschließend auf das viele Eisen, welches ringförmig um ihn herum lag. Vorsichtig tastete er seine Gedanken ab. Doch lagen sie weiß, wie ein leeres Blatt vor ihm. Ohne Erinnerungen, ohne Aufzeichnungen seines Lebens. Wer er war. Wieso er hier war. Verwirrung machte sich in ihm breit und das Gefühl, etwas sehr wertvolles verloren zu haben.

Schweigend streifte er mit den Augen über den Hafen. Die Blicke unzähliger Menschen lagen auf ihm. Die Einen wirkten aufgrund ihrer Kleidung wie Seemänner, die Anderen wie Hafenarbeiter. Und er war Mittelpunkt ihres Interesses. In welch seltsamer Szenerie befand er sich denn nur hier? Er versuchte erneut beinahe verzweifelt eine Erinnerung in seinem scheinbar leeren Kopf zu finden, die dies alles zu erklären vermochte, doch fand er weiterhin nichts außer eine gähnend leeren Landschaft der Einsamkeit, deren Zentrum er selbst bildete. Einsam und verlassen. Zurückgelassen ohne jegliche Erinnerung.

Ein ganzes Leben einfach so ausgelöscht.
 

* * * * *
 

„Was ist mit ihm geschehen?,“ wollte Aisuru erschrocken wissen, während July zu ihrem Kapitän stürmte und begann ihn zu untersuchen, während dieser sie ansah, als habe er sie noch nie in seinem Leben gesehen. Diese gefühllosen Augen, taten ihr beinahe schon in der Brust weh, während sie sie vorsichtig besah.

„Das was ihr gesehen habt, war die Macht der Gedanken Frucht. Derjenige, der ihre Kraft besitzt, ist in der Lage die Erinnerungen eines Menschen zu verändern oder zu manipulieren. Er kann sogar die Persönlichkeit einer Person nach belieben ändern, denn die Erinnerungen eines Menschen machen seinen Charakter aus. Falsche neue Erinnerungen können daher…,“ plötzlich stockte Omoide in seinem Redeschwall und sah zu Tsukahara, ehe er zu seinem Kapitän sah.

„Falsche Erinnerungen. Kapitän, habt ihr etwa meine Erinnerungen manipuliert?“

Animo blickte schweigend zu Omoide, ehe er schwer seufzte und meinte: „Keine Sorge, ich werde dich, wenn alles bereinigt ist, wieder von diesen schlechten Gedanken und all diesen dunklen Zweifeln befreien, damit du wieder der sein kannst, der du sein solltest. Ein mächtiger Krieger, an der Seite eines mächtigen Piratenkapitäns.“

„Du hast ihn vergessen lassen, wer ich bin,“ zischte Tsukahara und hielt sein Schwert wieder vor sich.

„Natürlich habe ich das. Nur so konnte er zu dem werden, was er sein musste. Ich habe sein Potential erkannt und seine Gedanken und Erinnerungen dementsprechend angepasst, so dass er dieses optimal ausnutzen konnte. Ist es nicht erstaunlich wie einige wenige Veränderungen und das ausradieren unwichtiger Wesen aus der eigenen Geschichte, einen soviel stärker machen können? Wie Omoide sagte, sind wir ein Produkt unserer Erinnerungen und Erfahrungen. Ändern wir einen Faktor, kann ein ganz neuer Mensch entstehen. Das heißt, dass meine Gabe nicht einfach nur eine Teufelskraft ist, sie ist eine göttliche Gabe. Ich kann neue Menschen, aus verdorbenen Alten machen. Ich kann eine perfekte Armee erschaffen. Ich kann das Beste aus einem Jeden holen, durch einfache Änderungen an seiner Geschichte. Ich kann aus einem Feind einen Freund machen oder ihn einfach den Grund des Kampfes vergessen lassen. Ich bestimme, was Wahrheit und was Lüge ist. Ich bestimme die Realität! Ich kann, wenn ich möchte die Freunde dieses rothaarigen Narrens gegeneinander antreten lassen. Und ihn habe ich alles vergessen lassen, was er jemals wusste. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes ein ‚unbeschriebenes Blatt’. Wunderbar, nicht wahr?“

Nina sah zu Tyke und July umfasste sein Gesicht, drehte es zu ihr und fragte ihn weinerlich: „Sag mir wer ich bin. Bitte Tyke, sag mir dass du dich an mich erinnerst.“

„Ist dies mein Name…? Tyke?“

Tränen schossen in die Augen der Ärztin, als sie weinend ihr Gesicht in seine Brust vergrub und ihre Finger sich zu Fäusten ballten, die beinahe automatisch gegen seine Brust schlugen. Er wankte nicht einmal, als ihre zierlichen Hände seinen Oberleib und ab und an auch seine Schultern trafen.

Schläge die er praktisch nicht spürte… bis einer seine Verletzung traf.
 

* * * * *
 

Keine Erinnerung. Weder an sich, noch an einen der anderen Personen, die hier am Hafen standen. Nichts war da in seinem Kopf. Nicht einmal bei der Nennung seines Namens – Tyke – regte sich etwas. Alles blieb still und verlassen. Kein Gefühl. Kein Wiedererkennen. Lediglich dieses kalte, herzlose Weiß, das seine gesamte Gedankenwelt in eine karge leblose Wüste verwandelte. Doch da. Was war das? Ein stechender Schmerz irgendwo in seinem Leib.

Und mit einem Mal brauste der Schmerz, wie eine Welle durch seinen Körper. Breitete sich unaufhaltsam aus. Erreichte seinen Kopf. Seine Gedanken. Die Fluten des Schmerzes prasselten gegen die weiße Wand des Vergessens. Versuchte sie einzureißen. Immer wieder krachten ihre Wogen auf sie ein. Risse. Tatsächlich bildeten sich Risse. Ein Rinnsal presste sich durch eben diese. Ein Rinnsal bestehend aus Bildern und Emotionen.

Erinnerungen. Gedanken. Wissen. Namen. Gefühle.

Die Wand des Vergessens brach mit einem lauten Knall ein und wurde von dem Schmerz davon getragen. An ihre Stellen trat eine Persönlichkeit.

Seine Persönlichkeit.

Raven D. Tyke.
 

* * * * *
 

„Jetzt bist du dran, Schwertkämpfer,“ sprach Animo zornig, nachdem er sich gegen den eigenen Wunsch gestellt hatte den Blauhaarigen gegen seine rothaarige Gefährtin aufzuhetzen – dies würde er später zur Unterhaltung nachholen –, und streckte seinen Arm in dessen Richtung aus. Er wollte dem Mann mit den violetten Haaren das antun, was der Rotschopf bereits erlitten hatte. Doch da meldete sich eine Stimme hinter ihm zu Wort und hinderte ihn damit an seiner Tat: „Er ist nicht dein Gegner, sondern ich bin es. Schon vergessen?“

Langsam, so als sei er in einer Welt aus Honig gefangenen, die all seine Bewegungen erschwerte, drehte er sich um und seine Augen trafen auf den wütenden Blick Tykes. Die Eisenspäne flogen bereits wieder um ihn herum in der Luft. Ihr Flug erschuf ein Surren, dass dem von tausender Bienen gleich kam und äußerst aggressiv klang – sollte fliegendes Eisen überhaupt emotional klingen können.

Die Ärztin war unterdessen einige Schritte zur Seite getreten, um ihrem Kapitän nicht im Weg zu stehen, und lächelte glücklich. Froh darüber Tyke wieder zu haben.

„Wie kann das sein? Das ist doch nicht möglich,“ keuchte der Kapitän der Memory-Piraten überrascht.

Animo eilte auf Tyke zu und schaffte es sich unter der Eisenfaust, die sich aus den Spänen bildete, hinweg zu ducken und seinen Gegner zu fassen zu bekommen. Erneut baute er die Wand des Vergessens in seinem Kopf aus, doch noch einmal fiel sein Gegner nicht darauf herein. Schnell fasste er sich selbst an seine Schulter und bohrte mit aller Macht seinen Daumen in die blutende Stichwunde, die Omoide ihm zugefügt hatte. Der Schmerz ebnete sich wieder ein Weg in seinen Kopf und stieß Animo förmlich daraus hinaus.

„Der Schmerz?,“ keuchte er überrascht, „Aber das ist nicht möglich. Noch nie hatte sich jemand meinen Kräften widersetzen können oder meiner ‚Forgotten Realms’ zu entkommen!“

„Doch ist es,“ meldete sich July lächelnd zu Wort. Tränen traten ihre Augen. Freudentränen voller Erleichterung. „Deine Kraft ist einfach zu durchschauen. Sie erlaubt dir die Synapsen im menschlichen Gehirn zu beeinflussen. Du blockierst sie oder verbindest sie neu miteinander und generierst auf diese Weise falsche Erinnerungen oder kappst bereits vorhandene. Jedoch, wenn diese Änderungen noch sehr frisch sind, sind sie auch sehr instabil. Eine Reizüberschwemmung, wie etwa ein starker Schmerz, kappt sie und stellt den ursprünglichen Zustand wieder her. Die Erinnerungen kehren zurück. Bei Omoide funktioniert ein tiefer Schmerz jedoch nicht. Die Veränderungen in seinen Erinnerungen hatten sich bereits verfestigt. Doch mir scheint, dass sie selbst nach so vielen Jahren nicht im Ansatz soviel Festigkeit aufweisen, wie die wahren Erinnerungen seiner Kindheit.“

Entsetzen, Unverständnis, Überraschung und Wut. Diese Gefühle zeichneten sich tief in das Gesicht Animos, der kurzerhand den Klettverschluss seiner Weste aufriss hinein griff und…
 

* * * * *
 

Schwer getroffen von der Erkenntnis durch seinen Kapitän manipuliert worden zu sein, stammelte der Grünhaarige kaum hörbar: „Ich habe einen Bruder? Ich bin… kein Einzelkind. Ich hatte eine Familie. Einen Vater. Eine Mutter. Ich war nie einsam, nie verloren und verlassen. Ich hatte eine glückliche Kindheit.“

Tränen der Erleichterung begannen zu fließen. Ein Lächeln, das erste welches die Crew der Fata Morgana – Animos stolzes Schiff – jemals auf seinem Gesicht zu sehen bekamen, seit sie ihn damals entführt hatten. Glücklich und befreit von der Last seiner scheinbar unbekannten Vergangenheit, blickte er zu Tsukahara empor.

„Bruder…,“ flüsternd überkamen die Worte seine Lippen und dennoch waren sie laut genug gewesen, dass der Schwertkämpfer sie hatte hören können. „Du erinnerst dich. Du erinnerst dich an mich.“

Der Fechter nickte und hauchte ein kurzes: „Ja.“

Mit aller Kraft stemmte sich der Einarmige gegen die Flut an Gefühlen an, welche sich wie bei einem Vulkanausbruch in seinem Innersten anstauten und immer mehr sich an dich Freiheit drängten. Er weigerte sich trotz aller Freude zu weinen. Er war ein Schwertkämpfer. Ein Mann. Seine Meisterin hatte ihn gelehrt, dass ein Samurai seine Gefühle für sich behielt und doch, war dies nicht vielleicht eine duldbare Ausnahme? Nein, ihm stand es nicht zu, zu weinen. Dennoch konnte und wollte er nichts gegen das Freudenlächeln, welches sein Gesicht in Beschlag nahm, unternehmen. Dafür reichte seine Willenskraft nicht aus. Sein Schwert in den Boden rammend, reichte er seinem Bruder die linke Hand, um ihm auf zu helfen. Dieser nahm die Geste an und stand langsam auf. Seine Arme ausstreckend, wollte er seinen Bruder in diese schließen, als… PENG.

Finster wie ein Dämon, der in Tsukaharas Kopf und Gedanken gehaust hatte, um den rechten Moment abzuwarten, drängelte sich die düstere Erinnerung an seine Kindheit ihm auf. Die Erinnerung an den Schmerz, als die Kugel seinen Arm getroffen hatte. Doch diesmal galt der Schuss nicht ihm. Zu spät erkannte er es.

Einen, zwei Schritte schaffte Omoide auf ihn zu zukommen, ehe er auf die Knie sank. Das Blut spritzte aus seinem linken Arm und bedeckte den grau-weißen Boden. Entsetzt keuchte er auf. Unfähig etwas zu sagen oder zu tun. Der Schock hatte sich tief in sein Hirn gefressen und hinderte es Befehle an seinen Leib zu übermitteln. Als der Grünhaarige zu Boden gegangen war, hatte sich für Tsukahara der Blick auf Animo eröffnet, der mit einer Pistole – aus deren Lauf noch der seichte Qualm des verbrannten Schießpulvers drang – in seine Richtung zielte. Grausam lag das Lächeln auf seinen Lippen, ehe er die Pistole sinken ließ, nur um nach kurzem Überlegen sie erneut zu erheben und damit auf den Schwertkämpfer zu zielen. Dumpf drangen die Worte zu ihm durch, welche daraufhin ertönten: „Du Schwein! Was soll der Scheiß?! Das wirst du mit deinem Blut bezahlen! Magnetfeld – Iron Storm!“

Plötzlich breiteten sich Tykes Späne aus zu einem mächtigen Strudel, der nicht mehr nur ihn, sondern auch seinen Gegner einhüllte und damit verhindern sollte, dass dieser einen Fluchtversuch starten würde. Erneut ertönte ein Schuss, doch schaffte die Kugel es gerade einmal bis zu dem sich schnell drehenden Wirbel zu gelangen, wo sie augenblicklich von den anderen Spänen in Fetzen gerissen wurde und somit zu einem Teil des Strudels wurde.

Unterdessen eilten die Rabenpiraten augenblicklich zu den beiden Brüdern heran. Während Aisuru sofort sein Hemd, das er im Lauf ausgezogen hatte, auf die blutende Wunde presste, überprüfte July hastig den Zustand des Fechters.

„Er befindet sich in einer Art Schockstarre. Ich brauche Medikamente, sofort. Aisuru, hol mir schnell meinen Koffer aus meinem Krankenzimmer auf unserem Schiff. Onee-san, du presst weiterhin das Hemd auf die Schusswunde. Ich muss gleich, sobald Aisuru zurück ist, einen kurzen Blick auf sie werfen. Erst dann kann ich sagen, wie schlimm es um ihn wirklich steht.“

Erneut wirkte die Blondine wie ausgewechselt, doch scheinbar half ihr gerade das perfekt mit der Situation umgehen zu können und die richtigen Entscheidungen zu fällen. Nina und Aisuru stellten sie daher keinesfalls in Frage, sondern setzten jeden ihrer Befehle sofort in die Tat um. Tsukahara dagegen blickte mit Entsetzen und Besorgnis auf seinen Bruder herab und stieß mit krächzender Stimme hervor: „Ich konnte ihn nicht beschützen.“

„Du konntest nicht ahnen, dass so etwas geschehen würde,“ meinte Nina und drückte mit aller Kraft auf das Hemd, welches bereits völlig blutdurchtränkt war.

„Bitte, er muss es schaffen.“

„Dann lass mich meinen Job machen und steh nicht im Weg rum,“ baffte July mit erhobenem Finger. Doch kurz darauf sprach sie wesentlich freundlicher: „Mir ist und wird niemand wegsterben. Dafür ist ein Arzt da. Das Leben seiner Patienten geht über alles und der Tod fürchtet sich sogar vor den Besten von uns!“

„Bist du eine der Besten?“

„Ich bin die Allerbeste!“

Schnaufend kehrte der Aisuru bereits wieder zurück. Er war zwar noch einige Meter entfernt, doch überkam ihm eine Idee und so begann er seinen Arm, in dem er den Koffer hielt, wild im Kreis zu drehen und anschließend wie eine Bowlingkugel zur Ärztin der Rabenpiratenbande zu schleudern. Er bewies dabei ein unglaubliches Geschick und ein gutes Augenmaß, da die Arzttasche zwar nicht punkgenau bei July ankam, jedoch eine Armeslänge hinter ihr zum Stehen kam, so dass sie sich diese schnell schnappen konnte. Blitzschnell öffnete sie ihren Koffer, zog eine Ampulle und eine Spritze daraus heraus und als sie Tsukaharas fragenden Blick bemerkte, meinte sie kurz und knapp: „Ein starkes Schmerzmittel. Es wird die weitere Behandlung erleichtern. Ach und noch etwas. Könnten die Herren sich bitte um diese idiotischen Piraten kümmern, die uns zu attackieren wagen?“

Der Schwertkämpfer, so wie der Navigator – der die kleine Gruppe inzwischen erreicht hatte – blickten überrascht auf und bemerkten, dass ihre Ärztin Recht hatte. Sie waren derartig von der Szene ergriffen gewesen, dass ihnen, im Gegensatz zu July, nicht aufgefallen war, wie Animos Crew sie eingekesselt hatte und die vier noch kampffähigen Personen überwältigen wollten. Die Hafenarbeiter dagegen, die der Rabenbande zur Hilfe hatten eilen wollen, waren von den Rombardis aufgehalten worden. Sie wollten nicht, dass einer ihrer kostbaren Männer verletzt würde.

Doch war dies nur im Interesse von dem Blauhaarigen und seinem schwertschwingenden Kampfpartner. So mussten sie nicht auf Zivilisten acht geben.

„Ihr wagt es tatsächlich uns attackieren zu wollen? Grrr… unser Kapitän hat den Euren leider für sich beansprucht, also müsst ihr als Ersatz dienen, damit wir unseren Zorn auslassen können,“ meinte Aisuru grimmig und ließ demonstrativ seine Fingerknöchel knacken. Tsukahara begnügte sich damit, sein Schwert aus dem Boden zu ziehen und anschließend zu schultern.

„Schnapp dir so viele du kannst. Ich nehme keine Rücksicht auf dich und lasse dir erst Recht keine von Ihnen zum Spielen übrig,“ knurrte Aisuru, ehe er langsamen Schrittes auf die Piraten losging.

„Ditto,“ kam es von der anderen Seite, als Tsukahara sich in entgegen gesetzter Richtung aufmachte den Ring an Feinden zu sprängen.

Wie auf ein geheimes Kommando hin, stürmten ihre Gegner los und versuchten die beiden Großmäuler endgültig zu erlegen. Diese verkündeten jedoch nur lautstark:

„Dovemanship!“

„Rundumangriff!“

Täuschten die Piraten sich, oder leuchteten die Augen der beiden Kämpfer auf, wie die Augen zweier Dämonen die zu einem einseitigen Schlachtfest aufbrachen?
 

* * * * *
 

„Du Schwein.“

Langsam drehte sich Animo zu dem Rotschopf um und sprach eisig: „Er hat versagt und das ist seine Strafe. Er wird nun sterben, dank dir. So eine Schande. Wenn du nicht gewesen wärst, wäre die Welt noch in Ordnung.“

„Ich stopf dir dein Schandmaul und wenn du dabei drauf gehst, mir egal. Ich werde dich bluten lassen, für all das Leid, welches Tsukahara wegen dir durchleiden musste. Wegen dem Schmerz. Und weil du ihm seinen Bruder nahmst und diesen auch noch gegen ihn in den Kampf geschickt hast. Ich werde Tsukaharas Rache für ihn ausführen. Das schwöre ich, bei dieser Wunde,“ mit diesen Worten legte er seine flache Hand auf die Stelle, wo Omoides Florett, seinen Leib durchbohrt hatte.

„Du willst im Namen dieses törichten Mannes kämpfen, der lieber sein Leben aufgab, als seinen Bruder zu bekämpfen, um nicht sterben zu müssen? Im Namen eines Mannes, dessen Leben ihm bereits egal war?! Dann musst du ein noch größerer Tor sein, als er. Und so einer will Piratenkönig werden. Du überlebst doch nicht einmal die erste Insel auf der Grand Line.“

„Das wollen wir doch einmal sehen…“
 

* * * * *
 

„Tsukahara,“ hallten Julys Worte über den Hafen, woraufhin der Schwertkämpfer den Piraten vor sich wegtrat und sich fragend zur Ärztin umwand.

„Was?!“

„Komm schnell her.“

Ihre Stimme lies ihn zusammen zucken. Irgendwas stimmte ganz und gar nicht, woraufhin er seine Gegner stehen ließ und sofort zu der blonden Ärztin eilen wollte. Er beachtete nicht einmal mehr den Piraten hinter sich, der gerade mit seinem Säbel zustechen wollte.

„Bas Côtes,“ ertönte es auf einmal hinter ihm. Als der Schwertkämpfer kurz über seine Schulter sah, erblickte er Nina, die dem Störenfried einen kräftigen Tritt gegen seine Brustpartie verpasste und ihn damit sogar gut zwei Meter nach hinten wegschleuderte. Als sie merkte, dass er stehen geblieben war, schimpfte sie erbost: „Ich kümmere mich schon um die, jetzt geh endlich zu July. Dein Bruder ist wichtiger!“

Ihr kurz zunickend, machte er sich wieder auf den Weg und erreichte bereits nach kurzer Zeit July und seinen verletzten Bruder, der scheinbar wieder zu sich gekommen war, da er zu lächeln versuchte als er Tsukahara erblickte.

„Hallo Bruder. Tut mir Leid, ich habe Mist gebaut. Ich glaube das war’s mit mir.“

„Hör auf, Omoide. Spar dir lieber deine Kraft.“

„Er übertreibt ein wenig. Natürlich ist die Wunde schwer, aber er wird es überstehen, solange…“

Fragend sah der Mann mit den violetten Haaren zu der Ärztin, diese sah kurz weg und meinte dann leise: „Diese Kugeln sind keine normalen Kugeln. Sie haben scheinbar so etwas wie ‚Flügel‘, so dass sie im Flug anfangen um ihre eigene Achse zu rotieren. Dadurch erzeugen sie einen seltsamen Strudel um sich selbst, der die Effektivität der Kugeln steigert. Sie bohren sich ins Fleisch und zerfetzen dabei auch noch das ganze Gewebe um sich herum, während sie die betroffene Zone durchstoßen. Im Fall von Omoides Arm sind wichtige Arterien durchtrennt…“ sie wollte nicht erneut das Wort ‚zerfetzt‘ verwenden, da sie sah wie betroffen Tsukahara auf die Nachricht reagierte, „…worden. Wir können sein Leben nur auf eine Weise retten. Wir müssen seinen Arm amputieren.“

„Omoide…“

„Er ist nicht in der Lage die Entscheidung zu fällen. Du musst es für ihn übernehmen.“

„Was passiert danach?“

„Wir müssen die Schnittstelle ausbrennen, damit die Blutung dann gestoppt wird und das Gewebe an der Stelle sich nicht infizieren kann. Seine Überlebenschancen würden dadurch rapide steigen.“

„Ich weiß, wie es ist einen Arm zu verlieren,“ nuschelte Tsukahara, ehe er die entscheidenden Worte sprach: „Verzeih mir Bruder.“

Entschlossen erhob er sein Katana und ließ die Klinge ohne zu zögern nieder sausen.

Im Kopf meines Feindes

Animo riss seine Pistole empor und feuerte zwei weitere Schüsse ab. Sein Gegner jedoch rührte sich nicht, als es zweimal kurz hintereinander ohrenbetäubend laut knallte. Doch brauchte er dies auch nicht. Aus dem Strudel heraus, der sie umgab, formten sich nämlich kurz darauf zwei mächtige Arme mit ebenfalls kräftigen Händen, die die Kugeln praktisch in der Luft abfingen, zermalmten und die Reste dem Wirbel einverleibten.

„Interessante Fähigkeit.“

Tyke schwieg und seine Augen funkelten vor wildem Zorn.

„Schweigen wir um die Wette, oder kämpfen wir?“

Was Animo nicht bemerkte – erst als er bereits zum ersten Mal getroffen wurde – war die schwere Eisenkugel, die hinter seinem Rücken entstanden war und anschließend auf ihn zuschoss. Die Wucht des Aufpralles ließ ihn ein wenig nach vorne taumeln, so dass er in Reichweite Tykes gelangte, der seinerseits zu einem harten Schlag ausholte und dem feindlichen Piratenkapitän einen rechten Haken verpasste. Dieser stolperte Augenblicklich wieder ein paar Schritte zurück, was ihn wieder in die Schussbahn der Eisenkugel brachte. Diesmal aber gesellte sich eine Zweite dazu und so prallten beide gemeinsam auf. Eine gegen sein Rückgrat, eine auf seinem Brustkorb.

Jaulend sank der Westenträger hinab, so dass eines seiner Knie den Boden berührte, während er sich zusätzlich mit einer Faust abstützte. Keuchend rieb sich Animo mit der anderen Hand den schmerzenden Oberkörper und blickte mit einem Auge – das Andere hatte er zugekniffen da der Schmerz einfach zu überwältigend war – zu seinem Gegner. Anschließend betrachtete er die beiden Eisenkugeln, die vor ihm in der Luft schwebten. Bereit zu einem weiteren Doppelschlag.

„Wie schaffst du es, dich auf soviele Punkte gleichzeitig zu konzentrieren? Das muss doch eine ungeheure Kraft kosten,“ keuchte er angestrengt und versuchte fieberhaft sich gleichzeitig seinen nächsten Schachzug zu überlegen.

„Nein,“ kaum hatte Tyke die Worte ausgesprochen, schoss der Westenträger erneut in seine Richtung, doch diesmal gezielt auf die schwebenden Kugeln. Überrascht und verwirrt reagierte der Rotschopf diesmal zu spät. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sein Gegner seine Kugeln attackieren würde, da dies doch eigentlich eine sinnlose Tat war. Schließlich konnte Tyke immer wieder neue erschaffen.

Die Patronen, samt der seltsamen Mechanik, rissen unterdessen die Eisenkugeln auseinander, nachdem sie in sie eingedrungen waren. Die zerfetzten Splitter wurden erneut und unverzüglich vom Wirbel angezogen und somit in diesen eingegliedert. Im selben Moment sprang Animo einen Satz nach vorne, direkt auf seinen Gegner zu. Mit aller Kraft rammte er dem Rotschopf seinen eigenen Körper entgegen. Zu Beginn lies Tyke sich überrumpeln und taumelte wie gewünscht ein ganzes Stück nach hinten, bevor er sich zusammenreißen konnte und sich zu wehren begann. Doch Animo schob ihn einfach weiter, in der Hoffnung seinen Gegner in seinen eigenen Strudel zu drücken und somit diesen wenigstens ein wenig zu schädigen. Dieser aber rammte seinerseits seine Beine gegen den Boden, als er bemerkte dass ein einfach entgegenstemmen nicht ausreichte. Durch den kräftigen Tritt hatte sein Fuß ein Stück des Bodens aufgebrochen und fand somit einen deutlich besseren Halt, um sich damit effektiver dem wilden Stier von Kontrahenten entgegen zu stemmen, während er zur selben Zeit und konsequent wiederholend seine linke Faust gegen die Seite seines Widersachers prallen ließ.

Irrte Animo sich, oder viel es ihm tatsächlich immer schwieriger den Rotschopf weiter zu schieben? Ging dessen spontaner und beinahe verzweifelter Plan auf?

Kurz entschlossen warf er seinen eigenen Versuch über Bord und seinen Gegner gleichzeitig in die Luft. Der Strudel war zu Tykes Glück nach oben hin offen, was aber nicht bedeutete, dass er keine Verletzungen von diesem Angriff davon trug. Ungebremst schlug er auf den harten Hafenboden auf und blieb dort mit schmerzendem Rücken für den Bruchteil einer Sekunde liegen.

Mit beinahe letzter Kraft stieß er sich dann jedoch selbst zur Seite weg. Nur einen Wimpernschlag später schlug Animos Faust an der Stelle auf, wo zuvor noch der Schädel des Rothaarigen geruht hatte. Dieser sah noch aus den Augenwinkeln heraus, wie sich feine Risse auf dem Stein abzeichneten, ehe er mit einer Rolle rückwärts in die Hocke gelangte und aus der Position heraus mit einem kräftigen Sprung nach oben dem nächsten Angriff ausweichen konnte. Denn Animo hatte versucht mit einem Drehkick, ebenfalls in gehockter Lage, seinen Gegenspieler erneut zu Fall zu bringen.

Tyke der sich noch dank seines Sprunges in der Luft befand, setzte zum Konter an und ließ seine Füße nach vorne schnellen, welche anschließend auf Animos Gesicht auftrafen. Beide landeten auf dem Rücken und hielten sich schmerzverzerrt bestimmte Punkte ihres Leibes. Pochend machten sich ihre unterschiedlichen Verletzungen bemerkbar und beinahe schien es, als schwoll der Schmerz an, nur um mehr Beachtung zu erhalten.

Beinahe gleichzeitig standen die Piratenkapitäne wieder auf und blickten einander finster an.

„Du kannst also noch mehr, als mit Gedanken zu spielen und um dich zu ballern,“ höhnte Tyke grimmig.

„Viel mehr, Kleiner. Im Gegensatz zu dir bin ich nämlich schon seit Jahren Pirat und habe die verrücktesten Dinge erlebt! Du hast doch keine Ahnung von der Welt da draußen!“

Kaum hatte das letzte Wort seinen Mund verlassen, zog der glatzköpfige Pirat erneut eine Pistole hervor und schoss sein gesamtes Magazin leer. Sieben tödliche Geschosse sausten auf den Rotschopf zu, der lautstark verkündete: „Magnetisierung – Ultimate Shield!“

Aus dem Wirbel lösten sich einige Späne, um binnen eines Lidschlages ein kreisrundes Schild vor dem Rotschopf zu formen. Ein Verteidigungswall, der Tyke bereits unzählige Male geholfen hatte, doch wie er mit Entsetztem feststellen musste, nicht dieses Mal.

Denn als die Kugeln auf das Schild trafen, machte sich erneut die Auswirkung des besonderen Mechanismus bemerkbar und wie ein warmes Messer durch Butter, glitten die Kugeln durch das Eisenschild.

Tykes letzte Chance war eine bemerkenswerte artistische Einlage.

Er ließ seinen Oberkörper nach hinten fallen und fing den Fall dabei nur mit seinem rechten Arm ab. Anschließend riss er seinen Unterkörper hinterher und drehte sich dabei um 360°. Zu guter Letzt setzte er auch seine andere Hand auf dem Boden ab, was erneut einen Schmerzensstich durch seinen Leib jagte, und setzte seine Beine wieder ab. Auf diese Weise hatte er nicht nur den Kugeln ausweichen können, sondern befand sich auch erneut in seiner Ausgangsposition. Während des gesamten Manövers hatte er sein Schild wieder verschwinden lassen, um Animo im Blick behalten zu können, doch sein Gegner war aus seinem Sichtbereich verschwunden. Überrascht blickte Tyke um sich, konnte den Kapitän der Memory-Piraten jedoch nirgends bemerken.

„Wie erstaunlich. Nie sieht jemand nach oben,“ ertönte eine Stimme und als dem Rotschopf die Tragweite dieser Worte klar wurde, riss er seinen Kopf empor. Leider war es bereits zu spät. Sein Gegner stürzte auf ihn herab und rammte dabei seinen Ellbogen knapp unter die Stelle an seinem Hals, da wo die beiden Schlüsselbeinknochen aufeinander trafen. Die Wucht des Angriffes reichte aus um den Rabenpiraten zu Boden zu reißen, wo er einen Moment zusammengesackt und verzweifelt nach Luft japsend liegen blieb. Doch ließ der Westenträger ihm nicht viel Zeit dazu, sondern trat immer wieder mit dem Fuß, von oben herab, auf ihn ein.

„Magnetisierung – Iron Spear.“

Plötzlich sammelte sich etwas von Tykes Eisen um seinen Leib herum und als Animo gerade zu einem neuen Tritt ausholte, schossen die Späne in die Luft, wo sie ein spießartiges Gebilde formten, und sich durch dessen Fuß bohrten. Einen lauten Schmerzensschrei ausstoßend, umschlossen die kräftigen Pranken des Westenträgers den Spieß und brachen ihn mühelos knapp über der Austrittsstelle ab. Mit zusammengebissenen Zähnen zog dieser anschließend seinen Fuß von dem Spießrest und kippte danach einfach um.

Erneut stieß er markerschütternde Schreie aus, war jedoch geistesgegenwärtig genug, um sich nicht an den verletzten Fuß zu fassen, da jegliche Berührung den Schmerz nur verstärkt hätte.

Zähflüssiges Blut floss wie ein Sturzbach aus der kleinen kreisrunden Wunde. Die Blutung war sehr stark und Animo war sich sicher, dass sie nicht so schnell versiegen würde. Er hoffte nur, dass keine wichtigen Blutgefäße verletzt waren, das wäre das schlimmstmögliche Szenario. Irgendwie musste er die Blutung stillen.

Und ganz nebenbei wurde der weiße Hafenboden in tiefstem Rot getränkt.
 

* * * * *
 

„Zur Seite,“ brüllte Aisuru den Einarmigen an und schubste Tsukahara weg. Anschließend holte er zwei kleine Kapseln aus irgendeinem versteckten Täschchen an der Innenseite seines Hemdes. Noch bevor der Schwertkämpfer fragen konnte, was dies solle, knackte der Navigator der Rabenpiraten die gelbliche Kapsel in seiner rechten Hand und ließ den zähflüssigen Inhalt auf den blutenden Stummel, die Reste Omoides verletzten Armes, tropfen. Anschließend wiederholte er das Ganze mit der roten Kugel in der anderen Hand. Als jedoch die zweite Substanz auf die Erste traf, erstand eine Art Flamme, die blendend weiß aufloderte und dem Fechter einen weiteren Schmerzensschrei entlockte.

Als Tsukahara wieder richtig sehen konnte – er hatte sich zu spät abgewandt und war so für einen kleinen Augenblick vom Licht der Reaktion geblendet worden – bemerkte er, dass die Substanzen sich wieder abgekühlt und das Fleisch des Armstummels verbrannt hatten, so dass sich die Wunde schloss und Omoide auf diese Weise nicht mehr Gefahr lief, zu verbluten.

„Ich kümmere mich wieder um diese Piraten,“ keuchte der Blauhaarige zur blonden Ärztin gewandt und stürmte anschließend auf einen Piraten hinter ihr zu, der versucht hatte in dem ganzen Tumult July zu attackieren. Dabei schlug er erst mit der einen Faust in das Gesicht seines Widersachers, nur um kurz darauf mit der Anderen nachzulegen, so dass es erneut zu der Feuerreaktion kam, jedoch in wesentlich schwächeren Variante als zuvor, so dass der Pirat nur leichtere Verbrennungen im Gesicht in Kauf nehmen musste, dafür jedoch auch furchtbare Schmerzen. Leider galt dies auch für Aisuru, was er jedoch wesentlich besser wegsteckte.

„Was?!,“ stammelte der Einarmige nur und von seiner zuvor tiefen, rauen Stimme, war nur noch ein armseliges Krächzen der Verwunderung zurück geblieben.

„Eine chemische Reaktion. Ich denke Aisuru benutzt sie eigentlich in anderer Form als Blendgranate oder als Ablenkungsmittel. Die Flamme, welche beim Mischen der beiden Flüssigkeiten für einen kurzen Moment entsteht, ist nämlich gut und gern dreihundert Grad heiß, wenn nicht sogar heißer. Es muss grauenhaft gewesen sein, dies ertragen zu müssen, aber Omoide hat es geschafft. Jedenfalls hat es gereicht um das Fleisch deines Bruders zu versengen. Das hat für uns zwei positive Auswirkungen. Erstens schließt es die Wunde, zweitens tötet es für den Moment Krankheitserreger ab und vernichtet verunreinigtes Fleisch, welches sich hätte entzünden können. Das heißt aber nicht, dass er sicher ist. Es kann immer noch zu einer Infektion kommen. Ich werde daher nun einen Verband anlegen, um dies wenigstens fürs Erste zu verhindern und die Wunde steril zu halten,“ kaum war die Blondine mit ihrer Erklärung fertig, zog sie aus ihrem Koffer eine schneeweiße Stoffrolle, eine Ampulle mit einer klaren Flüssigkeit und einen Wattebausch hervor. Zuerst tropfte sie etwas von der Flüssigkeit auf den Wattebausch, drückte diesen dann gegen die Wunde und begann abschließend mit dem Verband die Wunde zu umwickeln.

Just in dem Moment, wo sie mit der notdürftigen Behandlung fertig war, kehrten Aisuru und Nina zurück. Ihre Haut glänzte verschwitzt und sie meinten beide lächelnd und synchron: „Alle Piraten beseitigt.“

Doch leider wurde das kurzweilige Glück wieder getrübt, als Rasputins Stimme ertönte: „Du gehörst nun mir, Schwertkämpfer.“

Alle bis auf July, wandten sich zu dem ungewählten Inselherrscher um, der ein schmieriges Grinsen an den Tag legte. „Ich habe nicht verloren.“

„Hätte der Rotschopf sich nicht eingemischt, wärst du nicht mehr am Leben. Das zählt für mich als Niederlage. Und ich sagte ja, solltest du verlieren und überleben, würde ich dir lehren, was die Hölle auf Erden ist.“

„Ich habe nochmal gekämpft und gesiegt.“

„Das ist ohne Bedeutung,“ entschied das Oberhaupt der Rombardis und machte einige Schritte auf die Gruppe zu, als sich jedoch Aisuru und Nina prompt zwischen ihn und sein vermeintliches Opfer schoben. Entschlossen blickten sie dem stolzen, doch kränklich wirkenden, Mann entgegen und begaben sich wieder in Kampfpositionen, da sie scheinbar mit einem weiteren Kampf rechneten.

„Er gehört nun unserer Band an. Du Schleimbeutel bekommst ihn also nur über unsere Leichen,“ behauptete Nina entschieden und blickte ein wenig besorgt zu Rombardis Gehilfen in Form zweier Familienmitglieder und einem Leibwächter. Sollte es zum Kampf kommen, waren sie in der strategischen Unterzahl und hinzu kam, dass sie nichts über deren Kampfstil und auch Kampfkraft wussten.

„Große Worte für ein solches Weibsbild, wie dir.“

„Haben Sie nicht gehört, was die Dame sagte? Sie bekommen unseren werten Freund nur, wenn Sie vorher an uns vorbei kommen!,“ wiederholte der Blauhaarige entschlossen die Aussage seiner Gefährtin und sein Blick traf sich mit dem Rasputins.

Welch kalte, mörderische Augen dieser doch hatte. Wie sie sich in seinen Geist fraßen und dort beinahe Schmerzen verursachten. Für einen kurzen Moment wirkte es, als würde Rasputin ihrer Forderung folge leisten und sie angreifen, doch dann wand er sich ab und sprach mit eisiger Grabesstimme: „Ich habe keine Lust mich heute mit euch abzumühen. Ihr habt mir jegliche Kampfeshandlung abgenommen und das führe ich euch zu Gute. Verschwindet von hier binnen zehn Tagen, sonst wird man eure Leichen auf dem Friedhof der Namenlosen vergraben müssen!“
 

* * * * *
 

Trotz der schlimmen Wunde, schaffte der Kapitän der Memory-Piratenbande es sich wieder aufzurichten. Jedoch war es offensichtlich, dass er nicht auf seinen verletzten Fuß würde auftreten können. Aus diesem Grund versuchte er diesen Umstand zu umgehen, indem er immer nur die Hacke kurz absetzte und ansonsten auf lediglich einem Bein sein Körpergewicht abstützte.

„Urgh, du machst es einem nicht einfach. Ich gebe zu, dass du Potential hast, willst du dich nicht lieber mir anschließen?“

„Ich bin Kapitän einer eigenen Bande. Außerdem… warum sollte ich mich jemanden anschließen, der es mit mir nicht aufnehmen kann?“

Tyke, der Animos Verletzung genutzt hatte um ein wenig Ruhe zu finden und durch schnaufen zu können, richtete sich vorsichtig auf. Irgendwas stimmte mit seinem Körper nicht. Er reagierte irgendwie langsamer. Zähflüssiger. So als stecke er in einem Glas voll mit Honig fest und hätte nicht die Kraft sich daraus zu befreien. Ein neuer Effekt von Animos Kräften? Eher unwahrscheinlich. Animo manipulierte Erinnerungen und Gedanken, nicht aber die Sinneswahrnehmung. Der Rotschopf hatte nämlich bereits eine Person getroffen, die dieser Kraft mächtig war und da es keine Teufelskraft zwei Mal gab, war es unmöglich, dass Animo seinen Zustand zu verantworten hatte.

„Ich es nicht mit dir aufnehmen können? Noch immer wagst du es dich über mich lustig zu machen?“

„Soweit ich es sehe, bist du in der schlechteren Verfassung.“

„Das heißt noch gar nichts! Selbst auf einem Bein, bin ich dir überlegen!,“ schreiend stieß er sich mit seinem gesunden Bein ab und flog genau auf Tyke zu, gleichzeitig holte er zum Schlag aus.

Als er seinen Widersacher erreicht hatte, ließ er seine Faust auf diesen zu schnellen. Doch der sprang in die Luft und trat dabei mit seinem Fuß in einer horizontalen Bewegung nach Animo. Jedoch traf er nur dessen Faust und konnte so zumindest den Angriff abwehren.

„Lachhaft, wie schlecht du zielen kannst!“

„Meinst du wirklich?,“ konterte der Rotschopf und offenbarte damit seine wahren Absichten.

Denn aufgrund der Wucht seines eigenen Tritts, drehte er sich um seine eigene Achse, bis er auch mit dem linken Fuß in Reichweite Animos gelangte. Seine Hacke traf dabei punktgenau auf den Nacken des Westenträgers auf, der inzwischen ein Stück weiter nach vorne geflogen war.

Mit immenser Wucht prallte sein Kopf auf dem harten Stein auf. Diese brachen regelrecht auf, als zum Einen der menschliche Kopf auf sie aufschlug und zum Anderen die damit verbundene Kraft. Animo verlor dabei gut zwei oder drei Zähne und seine Augen waren leicht verdreht, als er zum Liegen kam. Tyke dagegen schaffte es sich rechtzeitig mit den Händen abzufangen und schnell den nachgezogenen Fuß auf dem Boden aufzusetzen, um nicht ebenfalls zu Boden zu fallen.

Erneut spürte er die ungewohnte Steifigkeit seiner Gliedmaße. Irgendwas stimmte da nicht.

Eilig begab er sich wieder in Position. Keine Sekunde zu spät. Der für ohnmächtig geglaubte Animo sprang von einem lautstarken Schrei des Zornes begleitet auf, reckte die Armee in die Höhe und – als er den Fehler beging mit beiden Beinen aufzusetzen – fügte seinem Schauspiel einen weiteren grauenhaften Schrei hinzu. Blind vor Wut schlug er um sich und hopste dabei in Richtung des Rothaarigen. Dieser kämpfte mit seinem Körper, um den Angriffen rechtzeitig ausweichen zu können.

Seine Beine wogen beinahe Tonnen, während er sie Schritt für Schritt zurück setzte. Seine Hüfte fühlte sich an wie erkaltendes Eisen, welches sich nicht mehr in Form bringen lassen wollte. Fast hatte er den Eindruck, dass sich seine Muskeln versteiften und verhärteten. Beinahe so als verholze er bei lebendigem Leibe Stück für Stück.

Und da geschah es. In einem kurzen Moment der Unachtsamkeit, war sein Feind an ihn heran gekommen und landete einen harten Treffer in Tykes Magengrube, woraufhin dieser sich leicht vorüber beugte. Augenblicklich folgte ein Aufwärtshaken, der den Rabenpiraten kerzengerade in die Luft beförderte, nur um von einem abschließenden linken Haken – erneut in die Magengegend treffend – zu Boden gerammt zu werden. Doch lange blieb er nicht liegen, da sein Gegner ihn am Kragen packte und aufrichtete. Was dann folgte überraschte Tyke im ersten Moment.

Voller Wut umschlossen nämlich die kräftigen Pranken Animos den Kopf des Rothaarigen, während sein Haupt gleichzeitig auf den Kapitän der Rabenpiraten zu sauste. Dieser schloss reflexartig die Augen, woraufhin er spürte wie sich die Daumen seines Widersachers auf seine Augen drückten. Zwar versuchte er noch die Hände seines Kontrahenten von sich loszureißen, doch diese packten wie Schraubstöcke zu und ließen sich nicht den kleinsten Millimeter bewegen.

Kurz darauf spürte er einen schweren Schlag gegen seine Stirn und einen sich damit ausbreitenden stechenden Schmerz, gefolgt von bodenloser Finsternis, die ihn leise aber unaufhörlich umfing.



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Von:  FreakyFrosch1000
2009-07-19T21:53:13+00:00 19.07.2009 23:53
Klasse kapitel^^
Der Kampf ist echt geil geschrieben!!
Hoffentlich schafft es Tyke aus dieser Sitution raus den Kampf zu gewinnen!

Lg fReakyFrosch♥
Von:  fahnm
2009-05-30T01:33:27+00:00 30.05.2009 03:33
Oh jeh ich hoffe Tyke schafft es von dem Kerl los zu kommen.
Freue mich schon auf das nächste kapi.

mfg
fahnm
Von:  Kyuuo
2009-05-29T14:28:21+00:00 29.05.2009 16:28
tolles kapi
der kampf is echt super
und wie sich die beiden für ihr neues mitglied einsetzen find ich auch gut
was passiert mit tyke
freu mich aufs nächste
lg kyuuo
Von:  fahnm
2009-05-16T01:19:43+00:00 16.05.2009 03:19
Das ist hart für Tsukahara.
Ich hoffe das es wieder wird.
Ich bin mal gespannt wie es weiter gehen wird.
Freue mich schon auf das nächste kapi.

mfg
fahnm
Von:  Kyuuo
2009-05-15T20:40:54+00:00 15.05.2009 22:40
tolles kapi
ich bin froh dass tyke wieder er selber is
und auch dass omoide seine erinnerungen endlich ganz wieder hat
das war aber hinterhältig vom kapitän und ich bin froh dass er überlebt
und ich denke dass der schwertkämpfer gut in die crew passt
schließlich versteht er sich beim kampf gut mit dem navigator^^
freu mich aufs nächste
lg kyuuo
Von:  Relaxer
2009-05-02T17:17:32+00:00 02.05.2009 19:17
moin,
fand das kapitel voll geil. besonders gut hat mir der kampf zwichen den brüdern gefallen. hoffe doch das tyke seine erinnerung irgendwie wiederbekommt. hoffe es geht bald wieder weiter.

grüße
Relaxer
Von:  Kyuuo
2009-05-02T13:08:06+00:00 02.05.2009 15:08
tolles kapi
schön dass er sich erinnert
aber was wird tyke machen
hoffe er findet seine erinnerungen auch wieder
freu mich aufs nächste
lg kyuuo
Von:  fahnm
2009-05-02T02:21:00+00:00 02.05.2009 04:21
Er hat Tyke die Erinerungen genommen?
fiese Technik. Ich hoffe das er sie bald wieder bekommt.
Freue mich schon auf das nächste kapi.

mfg
fahnm
Von:  Yu-
2009-05-01T21:40:06+00:00 01.05.2009 23:40
>„Ist dir bewusst, dass dies mein Lieblingshemd war?“
>„Schick mir die Rechnung.“

xD zu genial

das ende ist sehr heftig, schreib schnellstens weiter.
Von:  Relaxer
2009-04-23T11:20:12+00:00 23.04.2009 13:20
moin,
deine ff ist echt toll.
bin gespant wie es weiter gehen wird.

grüße
Relaxer


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