Broken Drum
Er hatte es nicht geplant und doch ist wieder später geworden. Genau genommen war es schon lange dunkel.
Es war doch jedes Mal dasselbe: er fuhr nachmittags hin, schwor sich, nicht lange zu bleiben und kam letzten Endes doch erst mitten in der Nacht nach Hause. Und dieses Mal sogar in Begleitung – in reizender Begleitung, um genau zu sein.
Für die nächste Zeit würde sie bei ihm wohnen, das hatte er ihr versprochen. Er konnte ihr noch nie etwas abschlagen und als sie ihn mit großen Hundeaugen und riesigem Schmollmund darum gebeten hatte, für eine oder zwei Wochen bei ihm zu bleiben, wurde er schneller weich, als Butter in der Sonne. Die umstehenden Leute hatten nur gelacht und gemeint, er solle sich mehr in Selbstbeherrschung üben. Er würde es versuchen, hatte er daraufhin gesagt, während sie ihm um den Hals gefallen war und ihn stürmisch umarmte. Da war an Selbstbeherrschung natürlich nicht mehr zu denken.
Wer könnte das auch? Jeder war ihr verfallen – egal, ob männlich oder weiblich – und man las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Und doch war sie nicht eingebildet. Das schätzte er so an ihr. Aber das lag auch an ihrer Erziehung; an der Umgebung, in der sie aufwuchs.
Sie waren sich sehr ähnlich, das hatte er gleich gemerkt, als sie sich vor etwa fünf Jahren kennen lernten. Sie beide waren eigentlich sehr ruhig, aber wenn man sie zu sehr reizte, dann machten sie einen Aufstand, bei dem einen Hören und Sehen verging. Doch trotz ihrer ruhigen Art konnten sie Reden ohne Luft zu holen.
Auch jetzt taten sie es. Sie waren gerade auf dem Weg zu ihm, hatten noch etwa fünfzehn Minuten Fahrt vor sich. Immer wieder durch ihre Lacher unterbrechend, erklangen im Auto die neuesten Geschichten, die sie sich nicht schon bei ihrem Treffen vor wenigen Stunden erzählt hatten. Im Moment war sie diejenige, die von den neuesten Geschehnissen mit ihren Freunden berichtete. Er hörte ihr aufmerksam zu, gab hin und wieder ein „Aha.“ von sich und gab ihr Recht, wenn sie nach seiner Meinung fragte – alles mit einem Lächeln im Gesicht.
„Weißt du was?“, unterbrach sie ihren Redeschwall und sah ihn an.
„Was denn?“ Er blickte kurz zur Seite auf den Beifahrersitz, den sie heute ausnahmsweise in Beschlag nahm. Sie schien kurz zu überlegen, wie sie sich am besten ausdrücken sollte, dann sah sie ihn wieder an.
„Ich hab dich lieb.“, meinte sie breit lächelnd. Er sah sie erst überrascht an, dann lächelte auch er.
„Ich hab dich auch lieb, mein Engelchen.“ Dann sah er wieder geradeaus auf die Straße und konzentrierte sich auf die Fahrt. Ihr glückliches Lächeln auf seine Worte konnte er zwar nicht sehen, aber er wusste dennoch, dass es da war. Auch konnte er spüren, wie sie ihn ansah, immer noch mit diesem Lächeln im Gesicht. Doch plötzlich verschwand ihr Lächeln und sie riss erschrocken die Augen auf.
„Pass auf!“, rief sie in einem leichten Anflug von Panik.
In diesem Augenblick fuhren sie geradewegs über eine scheinbar leere Kreuzung. Doch sie hatte das Auto gesehen, dass sich ihnen mit rasender Geschwindigkeit von der Fahrerseite aus näherte. Er schaute erst verwundert zu ihr, da er nicht ganz verstand, was sie nun genau von ihm wollte. Doch dann bemerkte er das Licht der Scheinwerfer des stetig herannahenden Autos. Blitzschnell drehte er sich um und wollte noch ausweichen, aber er hatte keine Chance.
Das Letzte, was er noch sah, war das blendende Licht der Scheinwerfer.
Das Letzte, was er hörte, war ein heller Schrei von der Beifahrerseite aus kommend.
Daraufhin ertönte ein lautes Krachen und dann wurde alles still und tauchte in Dunkelheit ein.
Für eine lange Zeit...