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Ebony & Ivory

von

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Lillien & englische Literatur

"Kaoru-chan~", drang es unverkennbar laut durch die Kopfhörer des Jungen, der stillschweigend die verschiedensten Optionen in seinem Kopf durchspulte, zwecks eines Problems, das ihn schon seit Tagen beschäftigte.

Er kam zu zwei moralisch halbwegs annehmbaren Ergebnissen: Entweder, er würde seinen Englischlehrer nach der letzten Stunde aufsuchen und ihm, unter Einsatz all seines schauspielerischen Könnens (und Augentropfen) mit all der Dramaturgie, die er aufbringen konnte (und das war durchaus mehr, als für den Durchschnittsmensch gesund war), gestehen, dass er über Nacht zum Analphabeten geworden war, von Schluchzern gebeutelt und dem gelegentlichen, melodiösen Schnäuzen in ein Taschentuch begleitet. Oder er würde das vermaledeite Buch in seinen Händen einfach zu seinem besten Freund mit nachhause schleppen und an der kleinen Feuerstelle in seinem Garten, die sie normalerweise zum Grillen benutzten, zu einem nach Druckertinte duftenden Lagerfeuer werden lassen.

Sie könnten es auch rauchen.

So oder so, am Ende würde es brennen.

Sein Gesicht verzerrte sich aufgrund eines recht ähnlichen Ereignisses, das noch nicht lange genug zurücklag.

Nein, rauchen war definitiv keine gute Idee. Morgens bekleidet aufzuwachen war ein Privileg, auf das er keinesfalls ein zweites Mal verzichten wollte. Obwohl der Schreck am Morgen es echt wert gewesen war, als die große Schwester seines Freundes sie beide splitterfasernackt, eingewickelt in eine mit diversen Brandlöchern versehene Tagesdecke, entdeckt hatte. Der Schrei, irgendwo zwischen Verzückung und Horror verlaufen, sorgte dafür, dass sie zum ersten Mal seit Anbeginn ihrer schulischen Laufbahn zu früh zur Schule erschienen, trotz der vielen Pausen, die sie einlegen mussten, damit sie nicht aufgrund des Luftmangels implodierten, der für gewöhnlich dann einsetzte, wenn man hysterisch kichernd mit 180 Sachen wegzurennen versuchte. Er für seinen Teil, fand das äußerst unmännlich, aber sein Begleiter hatte während des Frühstücks in Gegenwart seiner konfusen Schwester so verführerisch an der Spitze seines Croissants gesaugt, das er nicht anders konnte, als laut lachend aus dem kleinen Vorstadthäuschen zu poltern.

Besagter Freund stürmte gerade mit atemberaubender Geschwindigkeit auf ihn zu und rammte ihm sein gesamtes Gewicht in den Rücken, seine tägliche Begrüßung seit Jahren, extra für ihn ausgedacht.

"Kaoru-chan! Sag mal, ignorierst du mich absichtlich? Du weißt genau, das ich weiß, das du die Kopfhörer nur drin hast, damit du wenigstens morgens einen Vorwand hast, alles und jeden zu ignorieren.", tadelte der Junge auf seinem Rücken und lugte neugierig über seine Schulter.

"Höhere englische Literatur? Na das ist natürlich ein Grund.", grinste er süffisant und sprang wieder zurück auf den Gehsteig.

"Jetzt sei kein Arsch! Ich hab erst zehn Seiten und morgen ist der Abgabetermin für die Zusammenfassung!", gestand er verzweifelt und raufte sich die Haare.

"Ohne mich wärst du so aufgeschmissen, Alter.", grinste er noch eine Spur breiter und drückte ihm einen kleinen Stapel Blätter in die Hand.

"Das ist doch nicht-"

"Doch. Betrachte es als verspätetes Geburtstagsgeschenk, als ich es bevorzugt habe, mit Fieber im Bett zu liegen, statt mich mit dir und Kimiko durch sämtliche Bars von Tokio zu saufen."

Sprachlos blickte Kaoru zwischen seiner neu erworbenen Hausaufgabe und seinem besten Freund abwechselnd hin und her.

"Shin, du..."

"Ich weiß, dass ich toll bin.", klopfte er sich übertrieben stolz auf die Brust und brachte sie dazu, weiterzugehen.

"Darf ich dich heiraten wenn wir mit der Schule fertig sind?", fragte Kaoru schon fast hoffnungsvoll und erntete damit einen herzhaften Lacher und den dazugehörigen Klaps auf den Rücken.

"Alles klar, Kaoru-chan! Aber nur, wenn du kochst, das kann ich nämlich ums Verrecken nicht."

"Was anderes habe ich auch nicht von einem Kerl erwartet, der sich alle fünf Tage die Haare färbt.", schnaubte Kaoru verächtlich und wuschelte Shinji durch die azurblaue Haarpracht.

"Ich achte eben auf mein Styling.", meinte er leicht pikiert und lockerte sich die Krawatte aufgrund der warmen Maisonne ein wenig.

"Deine Naturhaarfarbe ist übrigens schwarz, Shin.", kam es hinter einer Wand aus blütenweißem Papier hervor.

"Das weiß ich!", schoss es ein bisschen zu schnell aus ihm hervor.

"Nichts für ungut, ich dachte, ich erinnere dich mal sicherheitshalber daran.", neckte er ihn und bekam sogleich einen zweiten Klaps, diesmal allerdings auf den Hinterkopf um einiges fester als beim ersten Mal, was dazu führte, dass ihm sämtliche Blätter vor Schreck aus den Händen fielen und sich quer über den Boden verteilten. Fluchend bückte sich der Brünette und klaubte mühsam jedes einzelne Blatt vom siedend heiß aufgewärmten Untergrund auf. Gerade war er beim letzten angelangt und wollte es aufheben, da kam ihm eine langfingrige Hand auch schon zuvor und hielt es ihm vor die Nase. Er brauchte gar nicht in das Gesicht der Person zu sehen, um zu wissen, wer es war. Ein Blick auf die in der Sonne glitzernden und klimpernden unzähligen Armreifen genügte schon.

"Kimiko-chama!", quietschte Shinji verzückt, hüpfte auf sie zu und gab ihr durch den blonden Schleier an Haaren hindurch einen Kuss auf die Wange, was sehr seltsam aussah, da er sich erst auf die Zehenspitzen stellen musste, um überhaupt auch nur in die Nähe ihres Gesichtes zu kommen.

"Willst du was von mir, Shin?", lachte sie und half Kaoru aufzustehen, der dank ihrer Hilfe jetzt alle Blätter zusammen hatte.

"Die Mathehausaufgaben, Liebste."

"Hatte der Anführer der Gartenzwerge wieder wichtigere Dinge zu tun, als seine Schularbeiten zu erledigen? Ts ts."

"Ach komm schon, Kimiko. Ich hab Kaorus Englischhausaufgabe fertig schreiben müssen, weil er zu blöd dazu ist, Romanji auseinander zu halten.", schmollte er und sah mit großen, blauen Augen zu ihr hoch.

"Das ist sehr nobel von dir, aber ich sage trotzdem nein.", kniff sie ihn in die Wange und lächelte unschuldig, Kaorus kleinen Wutausbruch der Bemerkung wegen, geflissentlich ignorierend.

"Bitte, Kimiko. Kriegst auch einen Lolly."

"Den in deiner Hose?", kommentierte sie trocken und hakte sich bei Kaoru ein.

"Bevorzugt."

Unbewusst musste der Dritte im Bunde lächeln. Auch wenn es so aussah, natürlich wollte Shinji nichts von Kimiko, sonst würde ihre Freundschaft nicht so funktionieren wie sie es nun einmal tat.

Es war nur eins ihrer zahllosen Spiele, die aus purer Langeweile entstanden waren und sich irgendwie zu ihrer liebsten Freizeitbeschäftigung entwickelt hatte.

"Dein Rock wird auch immer kürzer, Kimiko. Langsam hab ich das Gefühl, du willst mich.", hörte er den Blauhaarigen sich gerade beschweren und unterdrückte ein Lachen.

Er betrachtete das Mädchen von der Seite und musste feststellen, dass sich wieder dieses amüsierte Funkeln in ihre hellgrünen Augen geschlichen hatte, das nur Shinji zustande brachte. Zeit für eine passende Erwiderung blieb ihr keine, denn von weitem ließ das schrille Klingeln der Schulglocke sie alle drei auffahren wie verschreckte Hühner. Kaoru war schon ein Stück losgesprintet, um auch nur den leisesten Hauch einer Chance zu haben, früher als der Lehrer im Klassenzimmer zu sein.
 

Putzdienst. Mal wieder. Na klasse. So was konnte auch nur ihm passieren. Verwünschungen ausstoßend schnappte er sich den Schwamm und knallte ihn mit einer solchen Wucht gegen die Tafel, das es ihn, durch den Aufprall gefördert, wieder zurückschleuderte und durch eine Laune der Natur geradewegs wieder in das Gesicht des Jungen klatschte, mit all dem Kreidewasser, das sich angesammelt hatte. Natürlich. Sein Freund kam damit davon, an einer Privatschule mit gefärbten Haaren aufzukreuzen, während er nicht mal einen gewöhnlichen Schwamm werfen durfte. Noch dazu würde er sicher Ewigkeiten brauchen, um den Müll, den seine über alles geliebten Klassenkameraden innerhalb von acht Stunden angehäuft hatten, aufzuräumen. Dabei war heute Muttertag und er hatte seiner Mutter versprochen, früher zu kommen und für sie zu kochen, wenn sie nachhause kam. Und ein Geschenk musste er auch noch besorgen. Das Problem war bloß, das er vergessen hatte, sich in der Pause einpaar Yen von Kimiko zu schnorren und so würde das Geschenk aufgrund des Geldmangels wohl leider eher bescheiden ausfallen. Na ja, wenigstens für einen einfachen Blumenstrauß müsste es reichen, auch, wenn er ihr gerne eine größere Freude gemacht hätte. Seitdem sie sich von seinem Vater hatte scheiden lassen, sah er sie kaum noch lächeln, sie hatte stattdessen einen ermüdeten und verspannten Gesichtsausdruck angenommen. Das wollte er ihr wenigstens für diesen Tag ersparen.

"Ach was soll’s.", murmelte er zu sich selbst, ließ das Klassenzimmer unaufgeräumt wie es war und stahl sich so unauffällig wie möglich aus dem Schulgebäude.

Man musste eben Prioritäten im Leben setzen und das hier war eine davon, dachte er bei sich und strich sich eine Strähne aus der Stirn, während er durch die Straßen schlenderte und nach einem Blumenladen Ausschau hielt. Da, an der Ecke, man hätte ihn beinahe übersehen, so klein war er, stand einer. Er sah zwar nicht gerade wie ein Laden aus, in den man sich gerne reingewagt hätte, denn die Fassade war an vielen Stellen abgeblättert und das Schild über der Tür hing ein bisschen schief, aber an diesem Tag war Kaoru alles andere als wählerisch und so steuerte er direkt darauf zu.

Als er drin ankam vernahm er als Erstes das sanfte Klingeln einer Glocke und den angenehmen Geruch von Rosen und Lilien ganz anders als in den üblichen Blumenläden, in denen er bereits gewesen war.

Eigentlich war es hier drin auch gar nicht so übel, wenn er darüber nachdachte, zwar war alles voll gestopft mit Rosen und dem ganzen Zeug, das Mütter eben gern hatten, aber es hatte dennoch eine anheimelnde Atmosphäre, die der gestresste Brünette im Moment sehr begrüßte.

"Ein Last-Minute-Shopper?", begrüßte ihn die Verkäuferin hinter der Theke freundlich.

"Davon hatten wir heute ziemlich viele. Was darf´s denn sein, der Herr?"

"Ach ich weiß nicht. Wie viel bekommt ich für 1200 Yen?", fragte er leicht in Gedanken und blickte auf, um auf ein Paar Augen zu treffen, deren Farbe so verwirrend war, dass er sie nicht richtig beschreiben konnte. Irgendetwas zwischen Schwarz und Grau, soviel konnte er feststellen.

"Nicht genug für einen schönen Blumenstrauß."

Die anfängliche Zuversicht hatte sich in Ärgernis umgewandelt. Er hätte einfach nicht das Geld vergessen dürfen! Jetzt hatte er nicht einmal einen ordentlichen Strauß, mit dem er sich für das verspätete Essen entschuldigen konnte, denn seine Mutter war inzwischen bestimmt schon zuhause angekommen.

Er kaute an der Innenseite seiner Wange und überlegte fieberhaft. Selbst wenn er in ein anderes Geschäft ginge, würde das Geld nicht reichen und etwas Billigeres als Blumen war in dieser Stadt nur schwer zu finden. Überrascht weiteten sich seine eigenen goldbraunen Augen, als er plötzlich ein Paar Schuhe nicht unweit von seinen entdeckte. Als er aufblickte, wurde ihm der größte Strauß weißer Lilien vor die Nase gehalten, den er jemals gesehen hatte, von niemand anderem als der Verkäuferin, die, so merkte er jetzt, wo er sich ihr Gesicht genauer ansah nicht viel älter als er selbst sein konnte.

"Für mich?", hauchte er verwundert und deutete mit dem Finger auf sich selbst.

"Nun ja, nicht direkt. Er ist ursprünglich für Ihre Mutter gedacht, aber für den Zeitraum bis Sie sie zu Gesicht bekommen, gehört er wohl Ihnen."

"Aber das… das kann ich unmöglich alles bezahlen.", stotterte er und betrachtete Stirn runzelnd die vielen kleinen Münzen in seiner Hand und zählte sicherheitshalber noch mal nach.

"Kein Problem. Das geht aufs Haus.", lächelte die Frau freundlich und drückte ihm das ganz und gar weiße Arrangement aus Lilien auffordernd in die freie Hand.

"Wahnsinn. Ist das... ist das Ihr Ernst?"

"Natürlich. An so einem besonderen Tag sollte man nicht mit leeren Händen nachhause kommen, nicht wahr?"

Während sie sprach, neigte sie ihren Kopf leicht zur Seite, so dass ihr pechschwarzer Pferdeschwanz aberwitzig hin- und herwippte. Ihr Kunde indes kam gar nicht mehr aus dem Stottern raus, so überwältigt war er von dem mehr als großzügigen Geschenk. Als er fragte, wie er sich jemals erkenntlich zeigen konnte, winkte sie nur ab und meinte: "Sie könnten mir am Samstagnachmittag ein bisschen Gesellschaft leisten, um diese Zeit ist immer so wenig los und ich langweile mich fürchterlich."

Na wenn das mal nicht eindeutig war.

"Wird gemacht, schöne Frau, bis in einpaar Tagen, ich muss mich jetzt beeilen.", grinste er frech und schickte sich an zu gehen, doch eine kurze Bemerkung ließ ihn mitten im Schritt innehalten: "Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich mich so nicht raustrauen."

Er drehte sich um und skeptisch hob sich eine seiner Augenbrauen wie von selbst.

"Wieso? Sehe ich etwa nicht gut aus?"

"Ich würde sagen guter Durchschnitt. Aber eigentlich", sie tippte sich sachte an die gerötete Wange, "meinte ich etwas Anderes."

"Was soll das heißen guter... oh mein Gott habe ich etwa immer noch Kreide oben?!", kreischte er mit vor Entsetzen geweiteten Augen. Jetzt konnte die Verkäuferin auch schon nicht mehr an sich halten und ihr mühsam zurückgehaltenes Kichern, das er für ein freundliches Lächeln gehalten hatte, explodierte in einen Lachanfall erster Klasse. Nach einpaar Minuten, die dem schamesroten Oberschüler wie ganze Dekaden -in seinen Augen- hämischen Gelächters vorkamen, gewann sein Gegenüber endlich den ungleich schweren Kampf mit seiner Selbstbeherrschung und stützte sich japsend an ihren kräftigen Oberschenkeln ab.

"Ihr ganzes Gesicht ist voll davon.", prustete sie ungehalten.

"Soll ich Ihnen einen Lappen bringen?", schlug sie vor und wischte sich mit dem Handrücken die Lachtränen aus den Augenwinkeln. Peinlich berührt gab er ihr murmelnd seine Zustimmung und wagte dabei nicht, sie direkt anzusehen, während sie geschäftig hinter der Theke herumwuselte, bis sie gefunden hatte, was sie suchte. Einmal kurz hörte er das Rauschen von Wasser und das Trippeln von Absätzen, ehe sie weitersprach: "Es tut mir wirklich leid, das ich so unhöflich war, ich habe sie bestimmt in Verlegenheit gebracht, aber es kommt nun mal selten vor, das ich auf Kunden treffe, deren Gesicht so aussieht als hätten sie es mit Puderzucker bestreut."

Nachdem er penibel jeden noch so kleinen Hinweis auf Kreide, Puderzucker oder etwaigen Drogenkonsum beseitigt hatte, bedankte er sich noch einmal knapp, scharlachrot und höflich für das Geschenk und verließ Hals über Kopf das winzige Geschäft, wobei die Glocke an der Tür ein richtiges Konzert veranstaltete, so heftig schlug sie hin und her. An der Ampel, etliche Meter weiter, machte er noch einmal kopfschüttelnd auf dem Absatz kehrt und rannte zurück zum Blumenladen, wo die schwarzhaarige Frau schon in der Tür stand und geduldig auf ihn wartete. Nach Luft ringend krallte er sich am abgenutzten Türrahmen fest und grinste bis über beide Ohren.

"Der Name ist übrigens Manjyoume."



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Von:  CarpathianWolf
2008-06-08T10:56:06+00:00 08.06.2008 12:56
X3 Du weißt ja eigentlich schon was ich davon halte: *Fangirl modus und so* xD
Nei also ich mag deinen Schreibstil hier total gerne. Man merkt hier richtig toll deine Eloquenz!
und das find ich besonders toll *____*
Ansonsten find ich die Idee echt toll!
XD ich freu mich schon jedesmal voll drauf wieder das neueste kapitel beta zu lesen rhrhrhr


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