Kapitel 3.2.1 – Accidentally Unexpected
Kapitel 3.2.1 – Accidentally Unexpected
So, hier das nächste Kapitel-Trio! In diesem Kapitel geht es um Bakura und Kaiba - wen sonst - und ihre zweite Begegnung. Kaiba ist wieder in seinem Element ... Inspiriert ist das Kapitel von der OB-Wahl, die irgendwann stattfand. Im Gegensatz zu Baku war ich tatsächlich da, weil es zwar nicht so schön direkt ist wie eine Klassensprecherwahl, aber man zumindest etwas getan hat. Und es ist spannend zu sehen, ob der persönliche Favorit gewonnen hat (warum können wir unsere Politiker nicht auch a la DSDS über eine Mottoshow und das Telefonvoting wählen? Mottos: Rechnen, Reden, Krisenmeistern :-D). Der Titel ist wieder ein Wortspiel ...
Viel Spaß beim Lesen!!!
yu
„Also wenn du hier noch länger rumliegst, fressen dich sicherlich irgendwann die Wölfe!“, hörte ich eine Stimme. Ich öffnete langsam die Augen und erschrak. Wo bin ich, wie spät ist es, wer hat das gerade gesagt?, fragte ich mich verwirrt. Noch halb im Traum dachte ich nach und realisierte dann: Ich war im Garten, vor der Villa, in die Mokuba mich zum Erholen geschickt hatte; es musste kurz nach Sonnenuntergang sein, alles hatte einen dunklen Schleier. Und die Stimme konnte nur zu einer Person gehören …
„Was machst du denn hier, Bakura?“, fragte ich knurrend.
„Was denkst du denn – ich bin natürlich wegen deinem Handy hier. Oder dachtest du wirklich, du wirst mich so schnell los?“, sagtest du vergnügt. Das künstlich-selbstbewusste in deiner Stimme war verschwunden, du hattest keine Angst. Warum auch? Hier, in dieser Einöde, in den Fängen meiner dümmlichen Gedanken, war ich erbärmlich, niemand, den man fürchten konnte. Was ich dir natürlich nicht zeigte und trocken antwortete:
„Nein, natürlich nicht. Nervensägen wird man nicht so schnell los. Also: mein Handy liegt im Haus, nimm es dir und verschwinde endlich!“
„Würde ich ja gerne, aber ich kann nicht.“, antwortest du unbeeindruckt.
„Wieso kannst du nicht – siehst du hier irgendwo meterhohe Maschendrahtzäune oder bist du festgewachsen? NEIN!“
„Aber ich habe dir eine Frage gestellt und ich wollte eine Antwort haben.“
„DU UND DEINE DÄMLICHE FRAGE! Denkst du, ich habe nichts Besseres zu tun, als über die Frage von so einem Möchtegern-Dieb wie dir nachzudenken?“, schrie ich. Das wühlte auch dich ein kleinwenig auf.
„Kannst du mir mal erklären, warum du auf einmal so sauer bist? Gestern Nacht warst du so gefühlvoll, du hast dir Sorgen um mich gemacht.“, stelltest du fest.
„Jetzt fang nicht so an! Ich habe mir keine Sorgen gemacht …“
„… sondern dich nur gefragt, ob es mir gut geht …“
„Nein, nicht einmal das. Ich habe nur versucht, so unbeschadet aus der Sache herauszukommen wie möglich!“
„Ja, sicher! War ja klar, dass du alles leugnest!“
„Hast du zu viele Romantik-Komödien gesehen? Du tust geradeso, als ob wir etwas miteinander gehabt hätten, was wir nach meinem Kenntnisstand aber nicht hatten! Du sitzt doch sicher mit Gardner täglich vor dem Fernseher und siehst dir diese Filme an!“
„Thea guckt diesen Kram gerne – aber ohne mich. Ich kucke lieber Dokus. Außerdem: Was soll ich mit Thea vor einer Flimmerkiste? Sie ist ein Mädchen, wie es im Buche steht…!“
„Da hast du ausnahmsweise mal Recht …“
„Und außerdem schwärmt sie sowieso immer von Yami!“
„Du willst doch nicht behaupten dass …“
„Yes: Thea ist in Yami verschossen, welcher unglücklicherweise in Yugi verliebt ist, ihren besten Kumpel. Sie bewundert seine Männlichkeit …“
„Männlich? DER? Wenn ich mir eine Bluse und einen Rock anziehen würde, was ich nie tun würde, wäre ich auch weiblich!“
„Tja, wo die Liebe hinfällt…“
„Von mir aus kann sie hinfallen, wo sie will, das ist nicht mein Problem. Hauptsache, sie fällt nicht in meinen Schoß. Außerdem lenkst du schon wieder vom Thema ab.“, knurrte ich.
„Ist das schlimm? Du warst gerade so schön ruhig, man konnte sich gut mit dir unterhalten. Ich wette, dass das sonst selten vorkommt …“
„Dann studiere doch Psychologie – dann bist du ausgelastet und belästigst mich nicht.“
„Jetzt lenk DU nicht vom Thema ab. Warst du schon mal verliebt?“
„Nein.“, antwortete ich trocken, „Und selbst wenn würde ich es sicher nicht DIR erzählen!“
„Also warst du schon mal verknallt!“
„Findest du es nicht etwas dreist, jemanden wie mich, den Chef der größten Spielefirma Japans …“
„Was dir auch nicht weiterhilft …“
„Unterbrich mich nicht! Dann eben „jemanden“ – Findest du es nicht etwas dreist, JEMANDEN mit so einer Frage zu konfrontieren, ohne selbst etwas von sich Preis zu geben?“
„Wer war sie? Oder war es ein Er?“
„Ich habe gesagt, es geht dich nichts an!“, brüllte ich und überlegte, wie es jetzt weitergehen sollte. So schnell werde ich ihn wohl nicht wieder los, er macht, was er will und akzeptiert kein Nein, also was mache ich jetzt?, dachte ich. Viele Möglichkeiten habe ich nicht: eine Flucht? Niemals – erstens flüchte ich NIE und zweitens verlaufe ich mich in diesem Wald. Ihn schlagen? NEIN – ich begebe mich nicht noch einmal auf das Niveau von Wheeler herab und benutze Gewalt, wenn es nicht mehr weitergeht. Anschreien – funktioniert vielleicht bei Herrn Kunststoff, aber nicht bei diesem Ignoranten! Also … hilft nur noch eines: geschickte Ablenkung. Und so fragte ich mehr gelangweilt als ernst gemeint:
„Du hast gesagt, du siehst gerne Dokumentationen im Fernsehen. Welche?“
Du grinsest nur, als hättest du meinen Trick durchschaut, und sagtest dann:
„Geschichte, mit Schwerpunkt Ägypten. Ich finde es richtig faszinierend, wie man damals gelebt hat … Und du?“
„Ich habe keine Zeit zum Fernsehen.“, sagte ich trocken.
„Gar nichts? Aber du musst doch früher mal was gesehen haben, oder hat euch euer Vater nich Fernsehen lassen?“, fragtest du mehr interessiert als vorwurfsvoll, und fügtest dann hinzu: „Oh, sorry, war nicht so gemeint…“
„Ich nehme deine Entschuldigung an. Du bist zwar ein ziemlicher Anfänger, aber für meine Vergangenheit kannst du nichts. Und nein, ich kann mich nicht erinnern, jemals so etwas gesehen zu haben.“, antwortete ich ruhig.
„Schade. Du verpasst einiges. Die Menschen hatten damals noch gar nicht die Errungenschaften, die wir heute haben. Die ganze Technik und so. Und trotzdem haben sie tausende von Jahren regiert. Sie haben eine Gegend, die für viele lebensfeindlich scheint, die kilometerbreiten Wüsten, fruchtbar gemacht, indem sie Kanäle vom Nil zu ihren Siedlungen gruben. Damals gab’s noch keine Pizza, kein fließend Wasser, keine Klospülung, kein Glas, nichts. Und trotzdem. Aber das faszinierendste an Ägypten waren die Götter. Amon und Atum, Nut, Osiris und Isis und Horus und Thot. Es gab so viele, für jede Kleinigkeit, aber die Leute haben daran geglaubt. Es vermittelte den Menschen Sicherheit und den Glauben daran, dass sie etwas ändern konnten. Aus Sicht der heutigen Wissenschaft ist das natürlich totaler Blödsinn, aber was ist mit heute? Oft denke ich, dass ich sowieso nichts machen kann. Demnächst findet in Domino doch wieder die Bürgermeisterwahl statt. Ich werde nicht wählen gehen, was soll ich da? Es gibt noch tausende andere, und ich bin da nur ein kleines Licht. Nicht meine Stimme zählt, sondern die der anderen. Und selbst wenn ich wählte, wäre das auch egal, weil ich falsch gewählt hätte. Denn nach der Wahl werden Versprechen gebrochen und Fiktionen über den Haufen geworfen. Dann, wenn alles zu spät ist, gestehen die Politiker sich und den Bürgern ein, dass sie niemals all das umsetzen können, was sie wollen. Wenn demokratische Wahlen und autoritäres Denken aufeinanderprallen, dann knallt es. Da sind die Götter schon praktischer: man weis, wer wofür steht, und sie versprechen nichts. Man hofft nur. Und man kann seine Wünsche direkt an die richtige Stelle richten, man wird nicht von einer Person zur nächsten geschickt. Mein Vater musste seine Forschungsreisen immer von fünf Ämtern genehmigen lassen, er musste immer nachweisen, dass er die Gelder wirklich benötigte, dass die Reise wirklich von globaler Bedeutung sei, und das musste er immer wieder vortragen, jedes Mal.“, erzähltest du, und ich war froh, dass es mal nicht um mich ging. Außerdem klang das, was du erzähltest, nicht uninteressant und ich fragte:
„Was macht dein Vater?“
„Er war Archäologe. Er hat in ganz Ägypten rumgegraben und viele neue Erkenntnisse gesammelt.“, sagtest du kurz, aber voller Respekt.
„Wieso WAR?“, fragte ich verwundert.
„Er ist seit vielen Jahren verschollen. Das letzte Mal hat man ihn bei den Pyramiden von Giseh gesehen. Ich mache mir da keine Hoffnungen: wahrscheinlich ist er tot, entweder von Räubern ermordet oder von einer Schlange oder einem Skorpion gebissen.“, erklärtest du ruhig.
„Warum hast du nicht nach ihm gesucht?“, fragte ich.
„Denkst du, das habe ich nicht?“, riefest du, während dir eine Träne aus dem Auge lief, „Ich habe Wochen, monatelang gesucht, ich habe Ägypten mindestens dreimal durchreist und jedes Sandkorn umgegraben, aber er bleibt eben verschwunden!“
„Das tut mir leid.“, sagte ich mitfühlend und es tat mir wirklich leid. Denn da brach langsam etwas in mir auf.
„Ist schon ok,“, sagtest du und wischtest dir die Träne weg, „Das ist nun mal mein Schicksal. Außerdem habe ich dabei eine neue Gabe kennen gelernt, und damit kann ich zumindest anderen helfen ….“, du machtest eine Pause und atmetest tief durch. Im Halbdunkeln klang dein Atem irgendwie intensiv…, „Trotzdem bin ich manchmal sehr verzweifelt. Wenn du niemanden mehr hast und dir in schlechten Moment immer einreden musst, dass alles vorbestimmt ist und deine Verwandten von oben auf dich heruntergucken… Ist nicht so einfach. Und Einreden ist sowieso nicht meine Stärke …Tut mir leid, ich wollte dich mit meinen Gefühlen nicht belasten, du kannst das sowieso nicht verstehen. Ich meine, ich kann ja von jemandem wie dir kein Mitleid erwarten ….“
„Meine Eltern“, sagte ich plötzlich.
„Was?“
„Meine Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als ich vier oder fünf Jahre alt war.“, sagte ich.
„Das tut mir leid!“, sagtest du. Deine Worte kamen bei mir an, und sie klangen so rein, so wahr, dass ich mich gut fühlte, aber ich antwortete nicht, sondern erzählte weiter wie in Trance:
„Es war eine Nacht im April. Unsere Eltern sagten, sie müssten auf einen Ball gehen, den jährlichen Firmenball, und sie würden bald zurück sein. Meine Mutter sah sehr hübsch aus, sie trug ein hellblaues Abendkleid mit vielen Rüschen. Ihre blonden Haare waren hochgesteckt, eine Blume, vielleicht aus Strass, vielleicht auch aus Stoff, steckte in ihrem Haar. Als sie sich an diesem Abend von mir verabschiedete, sah sie aus wie eine Königin, sie strahlte. Auch mein Vater sah in seinem schwarzen Anzug mit Fliege sehr festlich aus, und auch er hatte eine kleine Blüte am Revers stecken. Meine Eltern haben immer eine große Zuneigung zueinander verspürt und ich habe sie nie streiten sehen. Wie auch immer, an diesem Abend gingen sie. Meine Mutter sagte noch zu mir: ‚Pass gut auf deinen Bruder auf, Seto und du Mokuba, pass gut auf Seto auf! Macht keinen Unsinn und tut immer, was Mari euch sagt.’ Dann gingen sie. Mokuba, ich und Mari, unsere Kinderfrau, spielten noch Memory, und wie immer habe ich gewonnen. Irgendwann brachte sie uns ins Bett. Doch wir konnten nicht schlafen. Also gingen wir ins Wohnzimmer und setzten uns unter die große Wanduhr. Zeit, hatten meine Eltern gesagt, weis alles. Und mit der Zeit würden sie wieder kommen, dachte ich. Doch das war ein Irrtum. Es war schon weit nach Mitternacht, Mokuba war auf meinem Schoß eingeschlafen, als plötzlich das Telefon klingelte. Mari ging durch das Wohnzimmer an uns vorbei, wohl, weil sie uns in unserem Zimmer vermutete, und nahm dem Hörer ab. Und dann hörte ich sie schluchzen. Sie fragte noch, was jetzt aus den Kindern würde, und legte auf. Ich sah, wie ihre Silhouette nach unten sank und sich an die Kommode lehnte, auf der unser Telefon stand. In diesem Moment wurde mir klar, dass etwas passiert war, auch wenn ich mir nicht eingestehen wollte, dass das Schlimmste, was passieren konnte, geschehen war. Ich wollte zu Mari laufen und sie fragen, was los war, aber ich wollte Mokuba nicht wecken. So saß ich die ganz Nacht da und versuchte mir einzureden, dass meine Eltern nur bei Freunden übernachtet hätten, dass die Straße, die zu unserem Anwesen führte, wegen eines Unfalls unpassierbar sei, dass alles in Ordnung wäre. Aber am nächsten Morgen erfuhren wir die traurige Gewissheit. Mari kam aufgelöst zu uns und sagte: ‚Seto, Mokuba, ihr müsst jetzt sehr stark sein. Mami und Papi’, sie brach erneut in Tränen aus, ‚sind tot. Sie sind letzte Nacht bei einem Autounfall gestorben!’ Für eine Sekunde waren wir beide wie gelähmt, doch dann realisierten wir die traurige Wahrheit. Mokuba und ich brachen in Tränen aus. Und damit endete der schönste Teil meines Lebens.“