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A Dreamless Carroll

von

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Suicidal Cruelty - Selbstmörderische Grausamkeite

Hi, das ist mein Beitrag zum SA-Wettbewerb. Und so ganz nebenbei habe ich mich in das Genre des Städte-Romans oder so hineingewagt und dabei auch noch auf das billigste Mittel zurückgegriffen. Und die drei Begriff wurden nur von mir, aber nicht von meinen Charas verwendet. Und at least mache ich grade noch Anti-Werbung.
 

Ihr könnt es aber trotzdem lesen, weil es einfach toll geworden ist!
 

Viel Spaß beim Lesen!
 

Ein Bilderrahmen. Ein leerer Bilderrahmen.
 

Hahaha! Hahahaha! Hahahahaha!!!, schrie er plötzlich. Er wusste nicht warum, aber er musste lachen. Die Stimmung dieser Nacht war zu schön. Der Himmel war dunkelbläulich, über ihm hatten sich weiße Wolken ausgebreitet, die im funkelnden Licht der Großstadt und der toten Dunkelheit der Nacht gräulich waberten. Es erinnerte ihn an die Kartoffelsuppe seiner Mutter. Aber die würde er nie wieder essen. Er hatte lange darüber nachgedacht, ob er das tun sollte, was er nun tun wollte und er hatte einen Entschluss gefasst. Umso mehr freute es ihn, dass ihm die Stadt so einen schönen Abschied bereitete.
 

Er ging Tiergartenstraße entlang, vorbei am Großen Garten, dem Zoo und dem denkmalgeschützen Relief an der ehemaligen Haltestelle Lennéplatz und musste erneut schmunzeln. Der Lennéplatz. Die große Kreuzung am Lennéplatz. Sie würde wohl immer ein Verkehrs-Knoten-Punkt bleiben, egal wie oft man sie umbaute. Sie hatten oft an dieser Kreuzung gestanden, auf der Lennéstraße, die über die Gellert- und Franklinstraße schließlich zur Uni führte. Meistens hatten sie gestritten. Eigentlich fast immer. Es ging um Kleinigkeiten wie eine verrutschte Fußmatte, einen zu heißen Kaffee, manchmal auch um eine verschwundene Hausarbeit, die er bei ihm vermutet hatte, die dann aber doch in seiner Tasche aufgetaucht war. Alltagsdinge eben. Alltag. Streitereien waren ihr Alltag. Sie konnten nicht ohne. Nur dann merkten sie, dass er lebte. Er spürte, dass er lebte und diese Gewissheit machte IHN glücklich. Nein, er hätte es nicht ohne seine genervte, fast kreischende Stimme ausgehalten, auch wenn sie ihm unheimlich auf den Keks ging. Sobald er auch nur für ein paar Minuten schwieg, schien alles Leben aus ihm gefallen und die Leere zwischen ihnen wurde unerträglich. Es war eine Farce gewesen. Alles. Aber es war auch irgendwie die schönste Zeit SEINES Lebens. Redete er sich ein.
 

er überquerte die Kreuzung und bog links ab in die Wiener Straße, die nicht nur zum gleichnamigen Platz mit dem berühmten Kugelhaus und der bekannten Prager Spitze führte, sondern auch zum Hauptbahnhof, dem Ort, wo alles begann. Damals. Das Teflondach war ihm als erstes aufgefallen, als er aus dem Zug gestiegen war. Es strahlte weiß, wie die Sonne und passte perfekt zum lebendigen Grau der Stahlträger. Als er dieses Dach gesehen hatte, wusste er, dass er richtig war. er kam aus Wilthen, einem kleinen Dorf in der Lausitz, das im Haltestellenverzeichnis der Bahn den Hinweis „Bedarfshalt“ trug. Es war ein Kaff, sagten manche, aber das stimmte nicht. Es war ruhig, es hatte ein schönes Schloss, war von grünen Hügeln umgeben und bot in jeder Hinsicht Schutz. Vor der bösen Welt, vor Kriminellen, vor der Flut nicht, aber vor neuen Einflüssen. So sehr er diese Idylle auch liebte, irgendwann wollte er raus. er wollte sich in die Großstadt stürzen, neue Leute kennenlernen, ein anderes Leben genießen, einfach weg. Und sein Studium der Ingieurwissenschaften an der Technischen Universität war genau die richtige Gelegenheit. Er stand auf dem Bahnsteig und konnte es nicht fassen. Endlich war er da. Er war am Ziel seiner Träume. Seine Gesichtszüge entglitten ihm und er schrie: „Juchu! Juchu!“, immer und immer wieder, seine Füße bewegten sich tänzelnd über den Bahnsteig, selbst sein Rollkoffer hinderte ihn nicht. Bis er irgendwann einen Widerstand unter seinem Koffer spürte und seine strenge Stimme hinter ihm schrie: „Kannst du nicht aufpassen?!!! Schlimm genug, dass du Idiot deine Indianertänze mitten auf dem Bahnsteig aufführen musst, jetzt ruinierst du mir auch noch meine Füße! Hast du sie noch alle?“ Er erschrak für einen Moment, wurde dann aber von seiner guten Laune und seiner ohnehin fröhlichen Persönlichkeit wieder zurück in die sonnentägliche Realität zurückgeholt und antwortete: „Sorry, tut mir leid, aber es ist doch nix schlimmes!“

„Nix Schlimmes? NIX SCHLIMMES? Mein Fuß tut weh, du hast Glück, wenn ich mir nichts gebrochen habe! Das kann doch nicht wahr sein!“, sein Fluchen war im ganzen Bahnhof zu hören, aber das störte ihn nicht. Es störte ihn nie, was andere Leute dachten. Er interessierte sich nicht dafür, selbst wenn es um Fachthemen ging. Es interessierte ihn auch nie, was er dachte. Aber das würde nicht wieder passieren.

„Jetzt bleib mal schön cremig, so schlimm isses doch echt nicht! Komm, wir gehen einen Kaffee trinken und die Welt ist wieder in Ordnung!“, versuchte er erneut den Aufgebrachten zu beruhigen.

„Wenn du dann die Klappe hälst!“, rief er immer noch wütend. Damals hatte er sich innerlich sehr über ihn geärgert, er konnte nicht verstehen, wieso er wegen so einem Missgeschick so wütend wurde. Später gewöhnte er sich daran. Es musste nicht einmal ein Missgeschick sein, irgendetwas, was nicht in Ordnung war, verursachte immer Zorn ihn ihm. Genauso wie er immer gute Laune hatte, lief er meckernd durch die Welt. So war es eben. Er hatte es auch nie fertig gebracht, einfach „Ja“ zu sagen oder einzugestehen, dass er NICHT Recht hatte. Er musste es immer umschreiben, immer auf den liebevollen Gegner einschlagen. Aber so war er eben.

Sie waren dann Kaffee trinken gegangen, bei McDonald’s, als es noch in einem kleinen Pavillon auf der Prager Straße untergebracht war, und dieser Moment blieb ihm für immer im Gedächtnis, so wie es mit allen ersten Begegnungen ist. Er hatte die ganze Zeit kein einziges Mal gelacht, egal was er gesagt hatte, er hatte nur mürrisch geguckt. Aber das hatte nicht an seinem Fuß gelegen, auch wenn er sich noch eine Weile darüber aufregte, eigentlich war nach der Entschuldigung alles in Ordnung gewesen. Doch der Tisch kippelte. Der Kaffee war zu heiß. Die Bedienung zu langsam. Ein Ketchupfleck auf dem Boden. All das regte ihn auf. Er fand es damals komisch, amüsant, es musste für die anderen Gäste ziemlich ungewöhnlich ausgesehen haben: einer, der nur meckert und ihm gegenüber ein anderer, der sich selbst mit viel Mühe nur selten das Lachen verkneifen konnte. Er war schon damals sehr von ihm fasziniert, von der Art, wie er die Dinge betrachtete, wie er bei seiner Suche nach dem Schlechten ins Detail ging. Und wie er trotz alledem nichts hatte, was man wirklich und aus tiefstem Herzen hassen konnte. Es war eine paradoxe Paarung, die sich da angebahnt hatte, und die dann sogar so lange gehalten hatte. Doch jetzt war sie vorbei. Irgendwie betrübte es ihn, dass es so eine Szene nie wieder geben würde, selbst wenn sie sich im mittlerweile wieder eingezogenen McDo zufällig begegneten. Er hatte nur noch diese Nacht Zeit und war ein Mensch, der auf seiner Nachtruhe beharrte. So war er nun mal.
 

Er bog in die Prager Straße ein und schlenderte über den Boulevard. Die Straße war groß und breit. Er hatte noch nie eine derartige Straße gesehen. Einerseits konnte man frei atmen, man konnte sich allein fühlen, andererseits aber auch sehr einsam, man musste aufpassen, dass man sich auf dieser großen Fläche nicht verlor. Er ging am Relief am Mercure-Hotel vorbei und betrachtete es. „Dresden grüßt seine Gäste“, hätte hier gestanden, hatte ihm ein alter Mann gesagt, dem er eines Tages zufällig begegnet war. Dresden grüßt die Toten, schoss es ihm durch den Kopf. Viel zu schön. Er kletterte über die Randsteine, die die Pusteblumen säumten und musste süffisant schmunzeln. Als sie einmal hier lang geschlendert waren, hatte es ihn erwischt: Obwohl er ein Semester über ihm war, und ein halbes Jahr länger in dieser Stadt lebte, hatte nicht daran gedacht, dass der Wind, wenn er günstig bließ, die Spritzer des Springbrunnens bis auf den Bürgersteig wehte. So kam es, dass just in dem Moment, in dem sie dran vorbeiliefen, eine Böe kam und ihn von oben bis unten nass spritzte. Während er wieder aufregte, was nun dem blöden Wind einfiele, hatte er andere Gedanken. Die Muskeln, die sich unter seinem klitschnassen T-Shirt abzeichneten, waren einfach zu verführerisch. Er hätte ihn gern ins Wasser geschmissen und ihn mit seinen Küssen zum Schweigen gebracht. Aber da wie jeden Nachmittag wieder kleine Kinder mit ihren Eltern eine Pause ausgerechnet an diesem Brunnen, einem Relikt vergangener Zeiten, machten und das nicht jugendfrei war, hatte er es gelassen. Ein Trost war immerhin, dass er, nur er allein die Exklusivrechte für diesen Körper hatte. Zumindest zu diesem Zeitpunkt. Ein Lächeln verstummte, seine Mundwinkel sanken langsam nach unten. Er hatte ihn. Bis er angefangen hatte, seinen tödlichen Selbstzerstörungsprozess zu beschleunigen.
 

Er schlenderte weiter, an den unzähligen Geschäften vorbei, die Treppen hinauf zum zweiten Teil der Prager Straße. Der warme Herbstwind wehte durch sein Haar und fast wäre er endlich in dieser bitter-süßen Melancholie gelandet, in die er schon den ganzen Abend kommen wollte, als er beim Genießen der Menschenleere zufällig durch ein Sichtfenster im Bauzaun der baldigen Centrum-Galerie sah. Neben allerhand Unrat, Stahlkabeln und abgesägten Baumästen lag dort auch ein Presslufthammer. Es erinnerte ihn an etwas: ein Schraubenzieher. Der Schraubenzieher. Er war die Lösung für alles. Hatte er einmal offenbart. Das war der einzige Moment, in dem er seine Gefühle zeigte, wenngleich indirekt. Es war nur eine Kleinigkeit gewesen: er wollte eine Schraube festziehen, schaffte es aber nicht, weil er doch nicht so viele Muskeln wie sein Freund hatte. Er hatte ihn um Hilfe gebeten, doch er lehnte energisch ab. Er zöge keine Schrauben fast, sagte er laut, er sei Student und kein Handwerker. Es wunderte ihn nicht, er meckerte bei allem, doch in diesem Moment ärgerte es ihn, er wusste auch nicht warum. „Es ist doch nur ein Schraubenzieher!“, hatte er gesagt, woraufhin er erwiderte, es sei nicht nur ein Schraubenzieher, es sei gefährlich, es sei bedrohlich. Und dann war es aus ihm herausgebrochen: Sein Vater hatte ihn misshandelt. Nicht physisch, sondern psychisch. Er hatte ihn fertiggemacht, ihm eingeredet, dass er nichts wert sei, alles an ihm schlecht sei, er hatte ihm jeden noch so kleinen Fehler, alles, was ihm nicht gefiel, vorgehalten. Und immer hatte er dabei den Schraubenzieher in der Hand. Der Schraubenzieher wurde für ihn zum Symbol, ein Niemand zu sein, ein Looser, ein Nichtskönner. Einer, der abhängig ist von anderen und sein Leben nicht selbst leben kann. Einer, der anstatt sich dem Jetzt hinzugeben, auf den Angriff des Gleich vorbereitet sein musste. Er wusste nie, wann es losging, wann es ihn wieder treffen würde. Der eine Tag war ruhig, der nächste die Hölle. So lebte er in ständiger Unruhe. Er hatte ihm für eine Weile helfen können, das Negative und die Selbstzweifel zu kompensieren, zu vergessen, zu bekämpfen, aber irgendwann war es ungenutzt verpufft. Er wusste nicht, was diese Veränderung in ihm ausgelöst hatte, es gehörte zu ihm, dass er nie über seine Gefühle sprach, nur Taten tat. Es gab selten Momente, in denen er ruhig war und in denen man sah, dass er ein einfacher Mensch mit Gefühlen, Wünschen, Träumen war.
 

Er überquerte die Waisenhausstraße und blickte auf die hell beleuchtete Haltestelle. Nur noch wenige Partygänger standen da, es war auch schon fast Mitternacht, um diese Zeit strömten die Leute in die Diskotheken hinein, wenn sie wieder herauskommen würden, wäre er schon längst weg, dachte er. Dann fiel ihm ein Pärchen auf: ein Mädchen hatte sich an ihren Freund gekuschelt und schien zu schlafen. Er streichelte ihr sanft über das Haar und lächelte.
 

Das war so ein Moment. Es war ein warmer Frühlingsmorgen. Der Sonnenaufgang schien durch das Fenster und färbte die weißen Wände seiner Wohnung rosa, die Vögel zwitscherten und neben ihm lag er, sein Geliebter. Er schlief tief und fest, als könne ihn nichts stören, was er wohl träumte? Etwas schlechtes, etwas schönes? Es musste etwas sehr angenehmes sein, hatte er bemerkt: er lag da, den Kopf in das Kissen gewuschelt, nicht fest, sondern leicht wie eine Feder, die Arme ausgebreitet, seine Gesichtszüge entspannt, die Haare in alle Richtungen gepresst. Und auf seinem Mund war sogar, er konnte es nicht fassen, ein Lächeln zu sehen! Ein kleines, fast unmerkliches LÄCHELN! Er schien wirklich glücklich zu sein. Er widerstand der Versuchung, ihm über das Haar zu streichen, ihm zu küssen, aufzuwecken. Er wollte ihn schlafen lassen, auch wenn er gern den Morgen mit ihm in dieser gelösten Stimmung verbracht hätte. Nur dieses eine Mal. Nur ein einziges Mal.
 

Er ging weiter geradeaus, bog an der nächsten Ecke rechts ab und sah sein Ziel: die Kreuzkirche. Es war ganz einfach: die Tür aufbrechen, die Treppen zum Turm hinauf gehen, die Höhenangst überwinden und in die Dunkelheit springen. Morgen früh würden sie dann seine Leiche finden. Er war alles im Kopf schon hundert Mal durchgegangen, es konnte nichts schief gehen. Während er sich an der Tür zu schaffen machte, tauchte alles noch einmal vor ihm auf. Wie er plötzlich immer später nach Hause kam, Spuren anderer Männer an sich trug und wie nie eine Miene verzog. Wie er immer schweigsamer wurde, sie kaum noch miteinander redeten, sie kommunizierten fast überhaupt nicht mehr, nur das Nötigste. Er hatte alles noch ertragen. Weil er alles ertrug. Weil er ihn liebte. Weil er Mitleid hatte und diesem armen Wesen ein Zuhause geben wollte. Aber vor allem, weil er so fasziniert von ihm war. Doch irgendwann war der Bogen überspannt: Er hatte eine Grippe, die sich zu einer Lungenentzündung entwickelt hatte, bekommen und musste ins Krankenhaus. Er besuchte ihn kein einziges Mal. Alle seine Kommilitönen, selbst seine eher zufälligen StudiVZ-Freunde hatten es geschafft. Er nicht. Er tat nichts. Als er wieder zu Hause war, war er weg. Seine Sachen waren verschwunden, nicht mal einen Zettel hatte er hinterlassen. Und selbst da war er nicht wütend auf ihn, er fühlte sich einfach nur leer. Die Einsamkeit bahnte sich ihren Weg. Er war ein pessimistischer Mensch gewesen, der die Welt hasste. Zumindest gab er es vor. Aber tief in seinem Inneren liebte er es. Er lebte die Welt, die er äußerlich so sehr verachtete, er nahm die kleinen Peinlichkeiten des Alltags sogar mit Humor. Doch das gab er nur zu, wenn er viel Alkohol getrunken hatte. Andere werden davon traurig oder müde, er aber begann alles zu lieben. Er freute sich, aber er konnte es nicht ertragen, so unmenschlich es ihm auch erschien. Wenn jemand genauso wurde wie er, konnte er damit nicht umgehen. Er brauchte einen Gegenpol, jemand, der alles schlecht sah. Genauso wie er, auch wenn er selbst der traurigste Mensch der Erde zu sein schien, jemanden, der fröhlich war, die Leichtigkeit in Person. Jetzt war er nicht mehr da. Wie oft hatte er sich selbst belächelt, hatte sich versucht klarzumachen, dass diese Beziehung gefährlich war, wie oft hatte er alle Zweifel mit dem Gefühl der Faszination, und auch der Heimat weggewischt? Er hatte viele Freunde um sich herum, sein Leben war ausgefüllt. Aber etwas fehlte. Er war allein. Ganz allein. Niemand war da. In der Einsamkeit frisst sich der Einsame selbst auf, in der Vielsamkeit fressen ihn die Vielen., hatte Nietzsche gesagt, Nun wähle. Auch wenn er wusste, dass diese Worte für jemand anderen bestimmt war, passten sie doch genau zu seiner Gefühlslage: In der Vielsamkeit fressen einen die vielen Gefühle, die nicht da sind, auf. Ja, letztendlich frisst sich der Einsame selbst auf. Und er hatte großen Hunger. Inzwischen war er oben angekommen. Er atmete noch ein paar mal die kühle Nachtluft ein und aus und kletterte dann über die Brüstung. Gleich würde es vorbei sein. Doch plötzlich fühlte er ein Augenpaar auf seinem Gesicht, irgendjemand beobachtete ihn. Er schaute sich um und entdeckte in der Dunkelheit jemanden. Er stand neben ihm, sagte nichts und beobachtete ihn nur. Seine Hand, mit der er gerade die Brüstung festhielt, fing an zu zittern. „Was machst du hier?“, fragte er, doch er erhielt keine Antwort. Er begann zu zweifeln. Wenn er sich umbringen wollte, war das seine Sache, aber er wollte niemanden mit rein ziehen, keiner hatte es verdient, einem Selbstmörder bei seiner Tat zuzusehen. Er grübelte lange und ging dann wortlos an dem Störenfried vorbei. Immer noch berauscht von der bevorstehenden Tat rannte er die Treppen hinunter und suchte nach einem neuen Ort. Der Rathausturm wäre passend, dachte er. Auch wenn er später nicht mehr wusste wie, war er auf den Turm geklettert, bis kurz unter das kupfer-grüne Dach. Erneut grübelte er. War es eine Besessenheit wirklich wert, dass man sich deswegen umbrachte? Doch das Gefühl war stärker als der Verstand und er ergriff die Brüstung. Doch wieder spürte einen Blick auf seinen Schultern. „Verfolgst du mich?“, fragte er den anderen, der wieder neben ihm stand, gereizt. Und wieder sagte er nichts. Für einen kurzen Moment war ihm alles egal. Er war selbst schuld, wenn er mitten in der Nacht auf dem Rathausturm stand und einen Selbstmörder beobachtete, es hatte ihn niemand eingeladen. Doch dann siegte sein Gefühl und ging wortlos hinunter. Das kann doch nicht sein!, fluchte er, Alles kann man in dieser Stadt – Feiern, Essen, Schlafen, ewig auf die Busse warten, nur Sterben nicht! Ziellos streifte er umher. Irgendwo musste doch ein Ort sein, der leicht zu erreichen war, und von dem aus man sich hinunterstürzen konnte. Er lief und lief und kam schließlich zur Brühlischen Terasse. Das war passend – das letzte, was man sah, war ein umgekehrter Canaletto-Blick. Und nachts waren auch keine Touristen da, also niemand, der ihn beobachten konnte. Bis auf einen. „Wie lange willst du mir eigentlich noch hinterherlaufen? Ich brauche kein Schoßhündchen, das auf mich aufpasst!“, rief er und kletterte trotzig über das Geländer.

„Das würde ich nicht machen, hier ist die Klanginstallation.“, sagte der andere tonlos.

„Das interessiert mich nicht! Ich will nur springen! Also dreh dich um und verschwinde!“

„Meinst du wirklich, dass du das tun solltest? Was ist mit deinem Optimismus, deiner Fröhlichkeit? Du warst mal so … du bist auf dem Bahnstieg herumgetanzt!“

„Woher weist du das?“, fragte er verwundert aber immer noch sehr sauer.

„Das ist unwichtig. Ist es das wert?“

„Natürlich ist es das! Ich wurde von meinem Freund verlassen! Weist du, wie erniedrigend es ist, zu sehen, wie sich der Mensch, den man liebt, verändert und man nichts tun kann? Er hat alles gehasst, den verschütteten Kaffee, die Welt, aber vor allem sich selbst! Er hat alles getan, damit ich mich von ihm trenne, weil er es nicht ertragen konnte, geliebt zu werden, wenn er sich selbst nicht mal liebte! Aber hat es nicht geschafft. Ich konnte mich nie von ihm lösen! Seit er weg ist, fühle ich mich einsam, ich fühle mich leer, ich fühle NICHTS, verstehst du? Nichts! Er ist weggegangen und hat einen Teil von mir mitgenommen!“

„Nein, du hast einen Teil von ihm in DIR aufgenommen. Du wolltest nie über ihn hinweg kommen, du hast dich selbst bemitleidet und alles Schlechte gesehen, genau wie er! Du hast in dir selbst immer nur das Pendant zu ihm gesehen, ohne zu merken, dass er schon längst einen Teil seiner Persönlichkeit in dir vergraben hatte, genauso wie du! Aber er ist jetzt seit über einem halben Jahr weg, es ist langsam Zeit aufzuwachen!“

„Was?“, fragte er und spürte plötzlich die Lippen des anderen. Sie waren heiß, erregt, aufgeregt – und sehr weich. Genauso wie der Rest seines Körpers, der sich langsam an ihn schmiegte. Es fühlte sich gut an, warm und weich. Wann hatte er das letzte Mal so gefühlt? Es musste lange her sein. Er erwiderte den Kuss und versank im Meer der Glückseligkeit.
 

Irgendwann löste sich der Unbekannte von ihm und sagte bestimmt:

„Nur noch ein Hinweis: Ich bin dein Retter, und nicht mehr.“

„Mehr will ich im Moment auch nicht.“, antwortete er.
 

Und so fiel das Streichholz in den leeren Bilderrahmen und entzündete das Petroleum, das zuvor jemand hineingegossen hatte. Die Nacht verschwand und aus dem Feuer entstand der morgendliche Sonneaufgang.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Varlet
2009-04-05T18:45:28+00:00 05.04.2009 20:45
Also ich find, die Geschichte ist gut geschrieben.

Ich finde, du hast die ganzen Geschehenisse sehr gut ausformuliert und ich selber hab zwioschenzeitlich leichte Gänsehaut bekommen, weil ich es spannend fand, wie es ausgeht. Zwar konnte ich doch schon an paar kleinen Stellen sagen, dass es mehr ins Happy End geht, aber das macht ja nichts. Eine geschichte muss für mich nicht immer überraschend sein, sie kann auch so gut ausformuliert werden.
Den Chara hast du gut dargestellt, ich konnte die Emotionen fühlen, es war, meiner Meinung nach, genügend Beschreibungen vorhanden und man konnte sich auch selber eindenken, wenn man das gelesen hat.

Wieder einmal finde ich es gut, wie du die ganzen Szenen beschreibst und den LEser in die Geschichte hinein ziehst, von der Rechtschreibung muss ich sagen, sind mir einige kleine Tippfehlerchen aufgefallen, die aber nicht gravierend sind und beim normalen Lesen (nicht so wie ich, dass ichs mir in nen Dok ziehe und neben dem Lesen kommentiere) nicht aufgefallen wäre.

Gut, ich muss auch sagen, da man schon selber ahnte, dass es gut ausgehen würde, war der Spannungsaufbau wirklich gering, aber das ist gar nicht schlimm, es ist immer noch eine interessante Geschichte und interessante Ausarbeitung.
Von:  littleblaze
2008-11-14T00:53:26+00:00 14.11.2008 01:53
Wettbewerb - Geschichten einer Nacht!

Danke erstmal, dass du an unserem Wettbewerb teilgenommen hast. Leider können wir dich nicht zu den Gewinner zählen, aber natürlich dennoch hier der versprochene Teilnehmer-Kommentar! In erster Linie wollen wir hier ganz kurz auf die Punkte eingehen, nach denen wir bewertet haben, damit du vielleicht ein bisschen nachvollziehen kannst, dass es so ausgegangen ist.

>Storyidee<
Es ist wohl ein persönliches Ding, dass wir es nicht mögen, Selbstmord-Stories zu lesen… aber auch ohne dass müssen wir sagen, dass wir die Idee nicht wirklich gelungen fanden. Jemand will sich umbringen, weil er von seinem Freund verlassen wurde, und tut es dann doch nicht… sorry, aber wirklich etwas Neues ist das nicht… und wirklich gut umgesetzt war es leider auch nicht… Trotz allen Erinnerungen spürt man die Verzweiflung des Erzählers nicht, man versteht auch nicht seine Anziehung zu dem Freund an sich… und vor allem nicht seinen Willen, sich umzubringen. Es ist, als habe er gerade beschlossen, einen Brief zur Post zu bringen, aber leider hat die Post zu und er muss zu einer anderen… genauso monoton kommt einem das Wechseln der Selbstmordstellen vor – was, davon mal abgesehen, eh etwas merkwürdig war. Er hätte auch auf dem Kirchturm schon mit seinem „Retter“ reden können, dann wäre es vielleicht noch etwas „glaubhafter“ gewesen.

>Schreibstil<
Du kannst an sich schön formulieren und hast einen großen Wortschatz… leider hat das alleine nicht gereicht, uns mitzureißen. Davon abgesehen, was das Stilmittel des durchgängigen „er“s extrem nervend und nicht wirklich schön zu lesen. Mehr dazu beim Lesefluss.

>Handlungsumsetzung<
Du hast den Satz auseinandergenommen, was eigentlich nicht wirklich das war, was wir wollten. Allerdings sehen wir mal darüber hinweg. Wenn man davon absieht, wirkt es etwas überraschend, dass der Erzähler plötzlich einsam sein soll, trotz vieler Freunde. Also man hatte zuvor nicht das Gefühl, dass er wirklich ein einsamer Mensch sei.
Die Metapher mit dem Bilderrahmen und dem Streichholz haben wir ehrlich gesagt nicht ganz begriffen. Unserer Meinung nach war das etwas zu abstrakt, vor allem, da er sich am Ende ja nicht umbringt, was aber einem brennenden Bilderrahmen widerspricht…
Das „Schlimmste“ war allerdings der Schraubenzieher. Wir fanden diese gesamte Erklärung mit der Misshandlung durch den Vater mehr als unpassend und übertrieben. Es passte irgendwie nicht zu dem „Misshandelten“, da wir uns jemanden, der von seinem Vater misshandelt wird, eher schüchtern und zurückgezogen vorstellen, und nicht wie jemanden, der mit seinem ständigen Gemecker die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zieht.

>Charakterentwicklung<
Die Charakterentwicklung war wohl, dass er sich am Ende doch nicht umbringt, was aber irgendwie ein wenig zu schnell kam, als dass es wirklich glaubhaft war – davon abgesehen, dass man ihm die ganze Selbstmordnummer eh nicht so wirklich abkaufen konnte. Davon abgesehen waren beide Charakter nicht wirklich liebenswert oder überhaupt lebendig. Die ganzen Vergangenheiten und Gegenwarten waren so durcheinander, dass man keinen Bezug zu den Figuren aufbauen konnte, zu keinem von ihnen. Zudem hat das durchgängige „er“ und „er“ es einem noch schwerer gemacht, den einzelnen Figuren ihre Eigenschaften zuzuordnen und sie dadurch nur immer weiter von dem Leser weggetrieben als sie ihm näherzubringen. Auch war, wie schon zuvor gesagt, der Erzähler in allen Handlungen und Gedanken nicht wirklich glaubhaft, was schon mit dem übertriebenen Tanzen anfing, über das ständige Wechseln des Selbstmordortes. Was seinen Freund anging, so fanden wir es ein wenig unglaubwürdig, dass er, wenn er wirklich so ein schrecklich welt-wütender Charakter sein sollte (der auch dazu noch misshandelt wurde!), einfach so mit dem Erzähler Kaffeetrinken gehen würde.

>Abwechslungsreichtum & Spannungsaufbau<
Zwar fragte man sich schon, ob er sich wohl umbringen würde (was wir wirklich gehofft haben!), aber wirklich spannend war dieser Gedanke nicht. Ansonsten hat sich die Geschichte sehr in die Länge gezogen, du hättest sie um einiges kürzer gestalten können, wenn du alles etwas geraffter erzählt hättest. Vielleicht wäre dann die nötige Spannung aufgekommen.

>Lesefluss<
Wie beim Schreibstil angedeutet, fanden wir das ganze „er“ nicht wirklich gelungen. Es hat es schwer gemacht, der Geschichte zu folgen, sie zu verstehen. Manchmal musste man die Sätze mehrmals lesen, um wirklich zu verstehen, welcher „er“ nun gemeint war. Aber so ging es nicht nur mit den „er“s, sondern auch mit den Zeitformen. Da du durchdurchgängig in der Vergangenheit geschrieben hast, war es schwer, geschichtliche Vergangenheit und Gegenwart voneinander zu trennen. Du hättest dich vielleicht besser dazu entschließen sollen, die Gegenwart auch tatsächlich im Presents zu schreiben und außerdem in der Ich-Form.

>Rechtschreibung & Grammatik<
Die Rechtschreibung und Grammatik sind in Ordnung. Hier und da ein Fehler, aber nur kleine, daher nichts Weltbewegendes.

Vielleicht hast du jetzt ein besseres Bild davon, weshalb wir dich leider nicht zu den Gewinnern zählen konnten. Natürlich haben wir diese Story nur für uns „bewertet“ und wir sind nun mal sehr kritisch und auf Kleinigkeiten fixiert – das geht vielen nicht so, viele werden diese Geschichte sehr gut finden – also lass dich bitte nicht runterziehen von dem Kommentar… das ist alles nur unsere persönliche Meinung! Vielen Dank noch mal, dass du bei dem Wettbewerb mitgemacht hast – wir hoffen, es hat dir ein wenig Spaß bereitet und auch, dass dieser Kommentar dir nicht den Mut nimmt, auch in Zukunft an Wettbewerben teilzunehmen.


liebe grüße
Stiffy und littleblaze


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