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A Dreamless Carroll

von

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Mein lieber Geliebter

Autobiografisch angehaucht, bis auf die Sache mit dem Kuss ist aber alles fiktional - bin inzwischen besser geworden :-D - Aber ich denke, wir alle haben das schomal erlebt... Viel Spaß beim Lesen!
 

Mein lieber Geliebter,
 

ich hätte dir diesen Brief gern in Vivaldi geschrieben, weil du Vivaldi so magst, genauso wie ich. Aber das Programm kann nur Verdana, daher werden diese Zeilen vielleicht etwas trockener klingen als wenn sie aus meinem Munde kommen würden. Aber was sie sagen, wird ehrlicher und wahrhafter klingen als all das, was ich zuvor jemals zu dir gesagt habe.
 

Ich schreibe dir diese Zeilen, weil mich die Sehnsucht zerfrisst. Und ich dich bitte, endlich aufzuhören. Am Anfang, Geliebter, ist sie wie ein Haufen Steine auf meinen Kopf gefallen. Der Aufprall war so dumpf, dass ich ihn zuerst gar nicht wahrgenommen habe. Aber dann, nach ein paar Sekunden, kam der Schmerz; ein Vibrieren, das durch den ganzen Körper zieht, angefangen am Kopf, über die Hände, die zittern, bis zu den Beinen, die nachgeben wollen und das nur wegen dem weiblichen Schwerpunkt nicht tun. Die Sehnsucht nach dir durchfuhr meinen ganzen Körper. Ich dachte, irgendwann würde sie in der Erde verschwinden, in den Tiefen des Teppichs und nach diesem einen Moment wäre nichts mehr da, keine Gedanke, keine Worte, kein Hinweis, dass sie dagewesen war. Aber die Sehnsucht ist gemein, genauso wie du, der ja dafür verantwortlich ist – vielleicht aber auch nicht, es gibt ja nicht nur einen, wegen dem man sich sehnt, sondern es muss ja erstmal jemand sehnen – was bedeutet, du könntest machen, was du willst, ob ich mich nach dir sehnte, hinge allein von mir ab, du könntest mich sogar verachten , aber weiter jetzt! – die Sehnsucht ist gemein, sie ist durch irgendeine Körperöffnung, vermutlich ist sie auf einen Atem gekrabbelt, in mich hineingefahren und über die Blutbahn bis in mein Herz geschwommen. Und da sitzt sie jetzt auf ihrem Thron und regiert alles – meine Gedanken, meinen Körper, meinen Geist. Sie bringt mich dazu, urplötzlich zu verharren und an dich zu denken. Sie bringt mich dazu, inmitten eines Gespräches zu weinen, weil sie den Gesprächsfaden mit dir abgeglichen hat, sie ist durch meine Augen und Ohren, selbst durch meinen Tastsinn ständig auf der Suche nach dir – und meistens findet sie dich. Nicht, weil du so banal, so normal bist, sondern weil ich dich kenne. Ich kenne dich besser als jeden Menschen, den ich zuvor gekannt habe. Ich kenne jede deiner Gesten, jeden deiner Blicke, deine Gerüche, das Gefühl jeder Stelle deines Körpers, ich kenne deine Art zu sprechen, ich könnte ein Wörterbuch darüber schreiben, welche Worte du verwendest, und ich kenne auch viele deiner Gedanken. Und jeden Tag werden es mehr.
 

Jeden Tag, an dem du mir eine E-Mail schreibst. Jeden Tag teilst du mir neue Gedanken mit, jeden Tag versuchst du mir mit den gleichen trockenen Buchstaben etwas zu sagen, das nach so viel mehr verlangt. Es verlangt nach Schreien, es verlangt nach Bewegung, es verlangt nach einem Lächeln. Und das kann ich dir nicht geben. Einerseits, weil du mein Lächeln nicht über eine E-Mail sehen kannst. Und andererseits, weil ich nach jedem Lächeln sofort weinen möchte, schlimmer noch, ich möchte schreien. Ich möchte schreien und auf dem Boden trampeln, ich will gegen die Wand klopfen, ich möchte Dinge kaputt machen, irgendetwas, das den Schmerz erträglicher macht. Denn ich kann nicht bei dir sein. Ich weiß nicht, was schrecklicher ist – dass du so weit weg bist oder dass du überhaupt weg bist. Früher, Geliebter, als du noch nicht fort warst, bin ich zu dir gekommen. Du hast mir vielleicht nicht zugehört, weil du selbst damit beschäftigt warst, dich von diesem Schock zu erholen. Aber du warst da. Und was hätten deine Worte auch genützt? Sie hätten ohnehin das gesagt, was sie immer sagten, dass wir in Kontakt bleiben würde und dass es schlimm sein würde, aber es könnte ja nur ein halbes Jahr sein – auch wenn ich weiß, dass es fünf sein werden – du möchtest deinen Traum leben und ich bin so froh, dass du ihn endlich gefunden hast – und im Grunde sollte es mir egal sein. Denn ich wusste es. Von Anfang an.
 

Es ist doch komisch, wie alles vor ein paar Monaten angefangen hat, oder Mein Lieber? Wir haben uns über das Internet kennengelernt, wie das heutzutage ist, man wohnt nichtmal einen Kilometer auseinander, aber man hat sich nie gesehen, jedenfalls mochte ich dich am Anfang nicht wirklich. Ich fand dich interessant, aber ich hätte nie gedacht, dass es soweit kommen würde, wie es gekommen ist. Aber wie du weißt, bin ich sehr altmodisch, ich mag E-Mails nicht, und deswegen wollte ich dich treffen. Und da hast du mir erzählt, dass du bald fortgingst. Und dann ist alles einfach passiert. Wie im Schnelldurchlauf, geradezu überschlagend, verlief alles. Du bist durch alle Tore, die ich aufgebaut hatte, einfach durchgerannt, ohne, dass es mich störte. Du hast mir freiwillig soviel von dir gegeben , dass ich erst lernen musste es anzunehmen. Aber ich habe auch gemerkt, dass DU etwas annimmst, wenn ich es dir gebe. Weißt du, Geliebter, manchmal fühle ich mich schuldig, weil ich soviel von dir nehme, ohne dir scheinbar etwas zurück zu geben. Doch dann sehe ich dein Lächeln vor mir und ich begreife, dass wir das, was wir haben, manchmal nicht sichtbar ist. Die Datenautobahn zwischen uns ist unsichtbar, verschlüsselt mit einem Code, den nichtmal wir selber kennen. Und selbst wenn wir uns übereinander aufregen, wissen wir doch genau das aneinander zu schätzen.
 

Wie dem auch sei, ich wusste, dass unsere Zeit begrenzt war, mit der Kälte und Klarheit, die mir innewohnt, hatte ich schon das ‚Fin‘ in meinen Gedanken, als wir uns am Bahnhof verabschiedeten. Weißt du, Geliebter, ich wollte dich ein Kästchen sperren, zuschließen und den Schlüssel wegwerfen. Und die ersten Tage ging es, ich war sehr froh, dich los zu sein, ich war deiner Stimme überdrüssig geworden, deine Worte schienen mir paradox und selbst deine Nähe wurde mir zuviel. Aber jetzt ist diese Kiste wieder aufgetaucht. Mit all den Erinnerungen an dich. Unser erstes Treffen – und das zweite – bei dem wir uns verpassten, unseren ersten Kuss, nachdem du mich eine schlechte Küsserin nanntest, unser zweiter Kuss, mit dem alles besser wurde, den Blick deiner Augen, wenn du erzählst, deine Lippen, die du beim Lächeln über die Zähne ziehst, dein One-Pack, den du verachtest während ich ihn vergöttere, deine Abneigung gegen die spanische Sprache und die Vorliebe für improvisiertes Essen. Weißt du, mein kleiner Geliebter, ich habe versucht, sie wegzusperren. Ich habe sie in eine Kiste gepackt, und noch eine, und noch eine. Ich habe sie tarnfarben angemalt und in die hinterste Ecke meiner Gedanken gepackt, ich habe sogar versucht mir einzureden, dass es sie niemals gab. Aber dann treffen mich meine Worte und es tut wieder weh. Es sollte nicht wehtun, du bist mir genauso fern wie jeder andere Mensch, sage ich mir. Aber du bist da. Du bist genauso wie Pi und E und die Gravitationskonstante nicht erklärbar, aber da. Natürlich.
 

Und ich weiß, dass du immer du bleiben wirst, mit deinen Charaktereigenschaften, wie ein altes Auto, das man einfach neu anstreicht. Und ich weiß auch, dass ich dir unrecht tue, wenn ich dir wünsche, dass alles schief geht und du bald zurück zu mir kommst. Aber, Geliebter, in diesen Tagen, in denen ich mir bewusst war, dass ich dich vermisse, habe ich schon daran gedacht, aufzugeben. Ich würde mir wieder einreden, dass ich ohne dich leben könnte, ich würde mich von dir lossagen und mir jemand anderen suchen, jemand, der hier ist, der genauso ist wie du nur eben nicht weit weg. Aber dann schreit plötzlich etwas in mir. Es übertönt meinen Verstand und alles andere. Es schreit ‚Nein!‘, es schreit, dass ich nicht aufgeben soll. Und gleich danach schaltet sich mein Verstand ein, der sagt, dass ich es überstehen werde, die ersten Tag kalter Entzug seien schlimm, aber bald sei ich geheilt, bald würde ich dich wie ein trockener Alkoholiker nur noch aus der Ferne betrachten. Ich würde dich als Teil des Lebens akzeptieren, nur nicht als meinen. Nur zu nah solltest du mir nicht kommen, sonst würde ich wieder rückfällig werden. Aber ich will süchtig bleiben. Ich will dich nie vergessen, niemals, Geliebter, nichtmal für eine Sekunde meines Lebens. Du sollst immer bei mir sein, als Freund, Geliebter, Schutzengel, schlechtes Gewissen, als alles.
 

Aber ich weiß, dass du das nicht möchtest, du willst nicht, dass ich mich für dich aufgebe. Dass ich die drei Krümel ödes Leben behalte. Und du hast recht, ich sollte es behalten – aber du hast es aufgepimpt, und jetzt bist du weg. Es scheint, als hättest du all die neuen Teile mitgenommen, auch wenn ich weiß, dass das nicht stimmt. Du hast Veränderungen am Motor vorgenommen, die ich als Laie gar nicht erkennen kann. Und selbst wenn der Lack verblasst, der Spoiler abfällt und das Profil der Reifen weniger wird, so wird das Auto meines Lebens weiterfahren, mit dir in seinem Herzen.
 

Doch solange du da bist, möchte ich, dass du mit mir fährst. Durch ganz Europa, und Afrika, und Asien, und Amerika, sogar bis in die Arktis. Ich möchte mit dir über verschneite Berge fahren, durch trockene Wüsten und feuchte Urwälder. Ich möchte mit dir über Basare wandeln und mich in der Einöde verlieren. Ich möchte keine Sekunde ohne dich sein. Und ich bin bereit dafür zu kämpfen. Egal wo du bist, ich werde zu dir kommen. Egal, ob du stumm oder taub oder blind bist, ich werde einen Weg finden mich dir mitzuteilen. Ich werde bei dir sein, Geliebter.
 

Ich werde bei dir sein.
 

Deshalb bitte ich dich weiterzumachen. Sei weiter da für mich. Schreib mir weiter jeden Tag eine E-Mail, oder einen Brief. Denn deine Worte nähren nicht meine Sehnsucht, sondern meine Seele. Auch wenn sie mich treffen, sie treffen sie mich nicht wirklich, sondern sie heilen mich. Sie heilen mich von dem Gefühl ohne dich zu sein.
 

Mein lieber Geliebter! Ich hätte dir diese Zeilen gerne in Vivaldi geschrieben, weil du Vivaldi liebst genauso wie ich dich liebe. Aber leider kann das Programm nur Verdana. Doch das kann meiner Liebe zu dir nicht im Geringsten schaden.
 

Ich liebe dich.
 

Deine kleine Geliebte.



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