I just cry in your arms today
Die Sonne war mittlerweile aufgegangen und Maike, die auf den Weg von Sinnoh nach Johto war, hatte sie dabei beobachtet, wie sie vom Meer her hinauf zum Himmel gewandert war. Sie hatte die ganze Nacht nicht schlafen können, also hatte sie sich schließlich entschlossen, einfach an Deck zu gehen, sich an die Reling zu lehnen und in den Himmel zu schauen.
Entgegen ihrer Erwartungen und Hoffnungen war sie dabei kein bisschen müde geworden. Sie war nur ins Grübeln gekommen. Sie hatte gegen Lucia verloren. Das war nicht so schlimm, immerhin war es nicht das erste Mal, dass Maike verloren hatte, denn sie hatte starke Gegner wie Drew, Solidad und Harley. Alle drei sehr gute Koordinatoren und hervorragende Showkämpfer. Aber sie alle waren auch schon um einiges erfahrener als Lucia. Sie war eine Anfängerin, sie hatte noch nie an einem großen Festival teilgenommen. Aber Maike, Drew und die anderen schon. Sie alle waren mehrmals unter die 16 besten gekommen, hatten es teilweise sogar bis ins Finale geschafft. Was hatte Lucia dagegen schon vorzuweisen außer einer erfolgreichen Mutter?
Nein, Maike war nicht sauer auf Lucia, schon gar nicht weil sie gewonnen hatte, sie gönnte ihr diesen Sieg, denn sie hatte ihn sich hart erkämpft. Aber Maike war sauer auf sich selbst. Sie hatte versagt. Sie hatte alles gegeben und trotzdem verloren. Verloren gegen eine Anfängerin. Was hatte sie falsch gemacht? War sie zu siegessicher gewesen? Hatte sie nicht genügend geübt? Hatte sie sich von der aufkeimenden Freundschaft zu Lucia irgendwie beeinflussen lassen?
Maike fühlte sich schlecht. Alle hatten sie angefeuert und auf ihren Sieg gehofft. Ihre Familie, die Zuhause in Blütenburg war und ihre Freunde und Rivalen, die irgendwo in Johto unterwegs waren. Voller Euphorie hatte sie vor ihnen von diesem Wettbewerb gesprochen. Sie hatte mit voller Selbstsicherheit gesagt, sie würde gewinnen. Wieso hatte sie das nur getan? Vermutlich, weil sie mal wieder etwas beweisen wollte, vor allem vor Drew.
Drew... Er hatte sie erst dazu gebracht an diesem Wettbewerb teil zu nehmen. Er hatte gesehen, wie Maike sich die Werbung für diesen Wettbewerb angesehen hatte und war schließlich zu ihr gekommen, um ihr zu sagen, dass sie an diesem Wettbewerb teilnehmen sollte. Immerhin hatte sie drei sehr starke Rivalen und konnte jedes Extraband gut gebrauchen. Außerdem war sich Drew sicher gewesen, dass das Ganze eine Erfahrung war, die Maike machen sollte, um ihr Selbstbewusstsein zu stärken, das nach dem letzten Wettbewerb, bei welchem sie gegen Harley verloren hatte, ziemlich angekratzt war.
Ja, ihm hatte sie etwas beweisen wollen. Vor allem ihm. Sie wollte merkwürdigerweise irgendwie, dass er stolz auf sie war. Doch nun würde er sicher über sie lachen oder ihr gar böse sein. Immerhin war sie bis ins Finale gekommen und hatte sich dann von einer Anfängerin wie Lucia schlagen lassen. Er würde ihr sicher wieder sagen, dass sie nicht ihr Bestes gegeben hatte, dass sie unkonzentriert und somit natürlich selber schuld an dieser erniedrigenden Niederlage war. Ihm wäre das natürlich nicht passiert.
Maike seufzte leise. Der Hafen von Oliviana City, wo sie von Bord gehen würde, war bereits zu sehen. Es würde nur noch wenige Minuten dauern und sie würde wieder auf dem festen Boden von Johto stehen. Zwei Bänder fehlten ihr noch. Es wäre nur noch eines gewesen, wenn sie diesen verdammten Wettbewerb in Sinnoh gewonnen hätte. Aber das war jetzt nicht mehr zu ändern, sie sollte sich lieber auf die kommenden Wettbewerbe konzentrieren und darauf, Drew wieder gegenüber zu treten.
Wenig später legte das Schiff im Hafen an und Maike ging schließlich von Bord. Sie gab ihr Bestes so auszusehen, als ob ihr die Niederlage nichts ausmachte. Aber es war einfach nicht so. Die Niederlage machte ihr etwas aus. Sie hatte gewinnen wollen und sie hätte gewinnen sollen, schon alleine um Harley und Drew etwas zu beweisen. Doch nun kehrte sie zurück wie ein Soldat, der von der Armee verwiesen wurde, weil er nicht geeignet war, in den Krieg zu ziehen.
Ohne weiter auf die Umgebung zu achten, ging Maike zielstrebig in Richtung Wald. Was genau sie dort wollte, wusste sie nicht. Ihn zu durchqueren war Unsinn, denn eigentlich müsste sie als nächstes nach Anemonia City. Aber dort würde sie dann auf mindestens einen ihrer Rivalen treffen und sie wusste nicht, ob sie das wollte.
„Du gehst in die falsche Richtung.“, verkündete eine kühle und doch unverkennbar vertraute Stimme.
Maike hob ihren Kopf um sich umzusehen. Es dauerte nicht lange, da entdeckte sie Drew, der an einem Baumstamm lehnte und sie mit seinem typischen arroganten Gesichtsausdruck ansah.
Drew stieß sich leicht vom Baum ab. „Wenn du nach Anemonia City willst, dann musst du da lang!“, verkündete er gelassen und deutete mit dem Zeigefinger zum Hafen, von dem Maike gerade gekommen war.
Sie wusste es nicht und sie würde es wohl nie erfahren, aber er war bereits in Anemonia City gewesen und war nur hier her zurück gekehrt, weil er geahnt hatte, dass Maike traurig war und etwas Aufmunterung a la Drew brauchte.
Maika blickte ihn nur traurig an. Sie war nicht fähig, etwas zu sagen oder zu tun. Das Einzige, was sie tat, war sich zu fragen, was Drew hier machte. Wenn man bedachte, wie lange sie weg war, dann müsste er doch schon lange in Anemonia City sein. Hatte er nicht sogar abreisen wollen, nachdem sie nach Sinnoh geschippert war? Warum war er dann hier? Wollte er sie auslachen?
Drew ließ seine Hände in den Hosentaschen verschwinden und blickte sie an. Einen Moment schien er fast etwas hilflos zu wirken, doch der Ausdruck verschwand schnell wieder und auf einmal lag ein ehrliches Lächeln auf seinen Lippen. „Ich wollte dir gratulieren.“, sagte er schließlich.
„Gratulieren?“, wunderte sich Maike.
Machte er sich jetzt über sie lustig? War es nicht schon schlimm genug, dass sie verloren hatte? Aber es war ja klar, dass Drew darauf rumtrampeln würde.
Doch Drew nickte. „Ja, immerhin sind die Koordinatorenwettbewerbe in Sinnoh ziemlich anspruchsvoll und es war dein erster Kampf dort, aber du bist trotzdem ins Finale gekommen und hast dich dort mehr als wacker geschlagen. Du kannst wirklich stolz auf dich sein.“, noch immer lächelte Drew.
Eigentlich hatte er sie ja etwas aufziehen wollen mit ihrer Niederlage, aber auf einmal hatte er nicht mehr das Bedürfnis danach. Er wollte sie einfach nur noch trösten und ihr deutlich machen, was für eine hervorragende Koordinatorin sie war.
Eine Weile stand Maike nur da und starrte ihn an. Plötzlich sammelten sich Tränen in ihren Augen und noch bevor Drew etwas sagen konnte, hatte sie auch schon ihre Arme um seinen Hals geworfen und ihr Gesicht weinend an seiner Schulter vergraben. „Ich hätte so gerne gewonnen.“, schluchzte sie zwischen einigen anderen, unverständlichen Sätzen.
„Ich weiß.“, sagte Drew, als er seine Überraschung überwunden hatte.
Mit einem sanften Lächeln umarmte er sie leicht und streichelte etwas über ihren Rücken.
„Aber es gibt absolut keinen Grund zu weinen. Immerhin bist du ins Finale gekommen und das, wo dort noch so viele andere erfahrenere Teilnehmer waren.“.
„Das ist es doch aber gerade.“, jammerte Maike und drückte ihr Gesicht noch immer fest an seine tröstende Schulter. „Ich habe gegen so viele Koordinatoren gekämpft und die meisten von ihnen waren sicher sehr erfahren, aber ich verliere ausgerechnet gegen eine Anfängerin.“.
Drew zuckte ganz leicht die Schulter, während er weiterhin seicht mit der Hand über ihren Rücken fuhr. „Aber sie war eine sehr gute Anfängerin, sonst hätte sie es ja wohl kaum bis ins Finale geschafft und eigentlich sollte dich das gar nicht verwundern, denn du warst ja genau so. Überleg dir mal, wie schnell du als Anfängerin deine 5 Bänder erlangt und wie weit du bei deinem ersten großen Festival bereits gekommen bist!“, erklärte er ruhig.
Er erinnerte sich noch gut daran, wie sie als Anfängerin war und was sie alles geschafft hatte in ihrem ersten Jahr als Koordinatorin und das, obwohl sie ihn als Gegner hatte. Im Grunde genommen, machte die Erfahrung auch nur einen sehr kleinen Teil der Fähigkeiten eines Koordinators aus, vor allem bei einem Showkampf hatten auch noch ganz viele andere und bedeutendere Faktoren Einfluss auf das Ergebnis und Maike hatte alle ihre Stärken ausgespielt, sie hatte ihr bestes gegeben und nur knapp verloren. Es gab eigentlich keinen Grund für sie, sich zu schämen oder traurig zu sein.
Maike nickte nur, als Zeichen, dass sie ihn gehört hatte. Sie weinte noch eine Weile in seinen Armen weiter und fühlte sich mit jeder Minute besser, in der er ihren Rücken streichelte. Vielleicht hatte er ja Recht. Es war doch egal, dass Lucia noch nicht lange im Geschäft war. Das einzig Bedeutende war, dass sie ebenso gut war und den Sieg verdient hatte. Maike sollte für diese Erfahrung dankbar sein und sie als Ansporn nehmen, noch mehr zu trainieren und besser zu werden.
Als die letzten Tränen verflossen waren, löste sich Maike von Drew und wischte sich mit dem Handrücken über die feuchten Augen. „Du hast Recht.“, sagte sie schließlich und erkämpfte sich ein Lächeln.
„Natürlich hab ich das.“, mit einem Schlag war Drews typisch arroganter Gesichtsausdruck zurück und er strich sich mit einer geübten Handbewegung durch seinen Pony. „Und jetzt solltest du endlich aufhören zu heulen und dich auf den Weg zum Hafen machen. Das nächste Schiff nach Anemonia City legt bald ab.“.
Sie nickte. Drew hatte Recht, sie sollte sich beeilen, nach Anemonia City zu kommen, damit sie mehr Zeit zum trainieren hatte. „Und was ist mir dir?“, wollte Maike schließlich wissen.
„Ich werde Morgen das nächste Schiff nehmen, ich hab hier noch etwas zu erledigen.“, antwortete Drew nur.
Er wollte es nicht sagen, aber er hielt es nicht für gut, wenn sie gemeinsam reisen würden. Daher würde er heute Nacht noch hier bleiben und Morgen früh das nächste Schiff nehmen. „Wir sehen uns dann beim Wettbewerb.“, damit machte er sich auf den Weg zum Pokemoncenter, zum Abschied hob er noch einmal kurz die Hand.
„Ja, bis dann.“, nickte Maike und blickte ihm nach. Sie fühlte sich irgendwie schon wieder viel besser. Merkwürdig, dass Drew diese beruhigende Wirkung auf sie hatte.
Drew war schon einige Schritte gegangen, als er plötzlich stehen blieb. „Ach so, Maike?“, er drehte sein Gesicht leicht zu ihr um und erhielt einen fragenden Blick von der Angesprochenen. „Das Kostüm solltest du ruhig öfter tragen. Es steht dir.“, er lächelte ihr noch einmal leicht zu und verschwand dann entgültig, während Maike darum bemüht war ein ‚Danke’ zu stottern, was er sicher nicht mehr gehört hatte.
Sie war etwas rot um die Nase. Ihm hatte ihr Kostüm gefallen? Es stand ihr? Das hätte sie nie für möglich gehalten. Sie hätte gewettet, dass Drew sich darüber lustig machen würde. Aber umso mehr freute sie sich jetzt natürlich. Außerdem fühlte sie sich jetzt wieder stark genug, am nächsten Wettbewerb teil zu nehmen und ihn zu schlagen. Irgendwie plötzlich unglaublich glücklich machte sich Maike wieder auf den Weg zurück zum Hafen. Sie merkte, dass die Leute sie anstarrten, aber sie starrten nicht, weil sie in Sinnoh verloren hatte, sondern weil sie so glücklich aussah. Glücklich, weil sie Drew immer an ihrer Seite wusste, wenn sie ihn brauchte, als Rivale und als Freund...
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Über Kommentare würde ich mich sehr freuen. ^^
