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Assoziatives Schreiben

von

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Satz 06: Große Stadt

Aber etwas anderes zog meine Aufmerksamkeit an, ein Geruch neben den schweren Düften des Weines und des schwelenden Holzes. Die tiefen, alternden Schwingungen von Rost stiegen mir durch die Nase ins Bewusstsein und, weil ich meine Augen nicht öffnen wollte, baute sich dahinter mein eigenes Bild des jetzigen Moments auf. Ich roch von Grünspan zerfressenes Eisen und Meersalz und Oxidation, die ich nur hier riechen konnte, wo ich mir jeden Geruch nur vorstellen musste.

Ich dachte an das eiserne Klettergerüst in meiner Heimat. Oben, weit im Norden am Meer, wo es kalt war und nicht wie hier in den Straßen der großen Stadt, in der es niemals wirklich kühl wurde. Die warme, verbrauchte Luft und der Dampf, die überall aus den Kanaldeckeln und Abzugsrohren stieg, ließ niemals auch nur einen Hauch von Frische in die Gassen. Ich konnte es riechen – selbst jetzt – wie es den Rotwein, das Verbrannte und den Rost überlagerte wie eine zweite Haut.

Ein Gefühl der Abgestandenheit beschlich mich langsam. Ich fühlte mich verbraucht und benutzbar, wie alles um mich herum, außer dem starken Aroma des Weines, das irgendwo aufstieg. Trotz geschlossener Augen drehte sich die Welt um mich und ich musste befürchten zuviel getrunken zu haben, denn mein Körpergefühl war eigenartig taub und schwer, aber hypersensitiv.

Ich hörte in einer unwirklichen Ferne eine fahrige Stimme: „Das Wichtigste dabei einen guten Wein nicht zu genießen ist“, ich erkannte amüsiert, dass es meine eigene Stimme war, „ihm kein angemessenes Gefäß zu bieten, welches es ihm ermöglicht seinen Geschmack zu entfalten. Die einzige Möglichkeit alle Säure- und Bitterstoffe zu erhalten ist“, mein Arm mit der Flasche in der Hand führte sie ganz allein an meinen Mund, „ihn ohne jede Hemmung und Niveau aus der Flasche zu trinken.“

Die lauwarme Flüssigkeit rann mir die Backe hinunter, während ich trank, und es fühlte sich an wie Säuretropfen, die sich durch mein Gesicht fraßen. Die Flasche war leer, ein guter Teil davon glitt gerade an meinen Geschmacksnerven entlang, ehe ich meinen Arm wieder dazu bringen konnte sie abzusetzen. Mit einem lauten Klirren setzte ich sie auf einer hölzern klingenden Oberfläche ab. Mein Fußboden, erinnerte ich mich, in meiner kleinen Wohnung in der großen Stadt.

Aus dem Nichts erfasste mich die Klarheit der Erkenntnis: Ich hätte niemals in die große Stadt gehen dürfen. Ich hätte nie meine Heimat hinter mir lassen sollen. Und das Meer. Und das Klettergerüst, das vermutlich mittlerweile verrostete, weil sich keiner mehr darum kümmerte. Denn alle Kinder hatten sicherlich ihr Glück in der großen Stadt gesucht und verloren.

„So wie ich“, kommentierte meine raue Stimme. Ich hustete. Es war heißer als sonst in meiner Wohnung. Irgendwie stickig. Ich bekam Lust aufzustehen, um die zu kleinen Fenster zu öffnen und mir etwas Kaltes zu trinken zu holen.

Der heiße Schmerz in der Bauchgegend riss mich wieder zu Boden und mir die Augen auf. Die Vorhänge und der Teppich hatten mittlerweile Feuer gefangen. Ich erinnerte mich die Kerze auf dem brennenden Tisch selbst in meine Manuskripte gestoßen zu haben. Die klaffende Wunde in meinem Bauch schmerzte nun, da ich sie sehen konnte, entsetzlich. Ein sauberer, tiefer Schnitt quer über den Bauch mit dem schärfsten und längsten Küchenmesser, das ich gefunden hatte. Sehr authentisch. Doch das Blut wirkte dunkler als ich erwartet hatte, was vermutlich an den Farbtönen lag, in die das Feuer den Raum tauchte.

Mich überkam zu meiner eigenen Überraschung wenig Panik in Anbetracht der Situation, obwohl ich mein Leben lang schreckhaft gewesen war. Ich legte den Kopf nur wieder zurück auf den Fußboden, schloss die Augen und konnte das Meer sehen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von:  Dels
2008-12-20T21:39:08+00:00 20.12.2008 22:39
Liebster shu.
Wieder mal muss ich diese Geschichte lesen, die ich schon vor ner halben Ewigkeit mal gelesen hatte. Hat mich sehr angedötscht damals, aber ich hab es verpennt (wohl im wahrsten Sinne und so), einen Kommentar dazu abzugeben. HOLE ICH HIERMIT NACH!!1111elftausendeinhundertelfkommaelfzig

Erstmal: Goil. Das war mein Lieblingsstück aus der (die damals noch garkeine Sammlung war, das war ja auch deine allererste Assi... Assoziation) Sammlung - obwohl es natürlich am Ende ziemlich depressiv wurde - aber das macht nichts, weil zuvor eine schöne Stimmung im Raum gehangen hat. Ist toll, weil das Menschlein, das da so betrunken am Boden liegt, hat nämlich SELBST Assoziationen!
Ich find das im Nachhinein so genial, weil ich jetzt den Zirkel selber kenne. Gut, Assoziationen, besser Erinnerungen - aber in gewisser Weise ist alles empirisch nachvollziehbar.
Das Menschlein, das sich selber zum Aus-der-Flasche-trinken animiert, finde ich herrlich. An der Stelle muss ich ganz breit grinsen - so kann nur ein haltlos Angesoffener argumentieren. Ich bin zwar kein Fan von Ich-Perspektive, aber hier macht mir das erstaunlich wenig aus. Seltsamerweise. Vielleicht liegt es daran, dass es so irre gut geschrieben ist zum Reinversetzen. Der Typ ist mir sehr sympathisch, das ist vielleicht ein Pluspunkt. Die Unterhaltung hatten wir auch schonmal xD
Jedenfalls finde ich sein ganzes Dasein sowie auch sein Abtreten äußerst geschickt dargestellt. Weil es irgendwie so.. distanziert, so unpersönlich wirkt. Als würde nicht er selber da verrecken, sondern jemand anderes (ist das das "Selbstmord" oder schon "Mord"?).
Lässt ihn auch relativ kalt. "Ah ja stimmt. Das hab ich ja gemacht vorhin." Vielleicht ist es auch jemand ganz anderes, den er da umgebracht hat. *Augenbrauenwackeln, jetzt kommt Tiefenpsychologisten-Tsche!* Ein Mensch, der er nicht sein will, vielleicht hat er sich in der Stadt so verändert, dass er sich in einem stillen Moment selbst nicht mehr erkannt hat. Vielleicht hat ihm das Angst gemacht. So wollte er nicht sein. Gut, die Frage stellt sich hier: Wieso ist er nicht einfach wieder aufs Land gezogen zu seiner Eisenstange (ich liebe das Wort Grünspan übrigens <333), statt sich gleich zu killen. Hmm.. vielleicht ging es nicht. Aus beruflichen Gründen oder so. Oder er war zu stolz.
Jedenfalls wirkt er im Augenblick des Todes ziemlich glücklich und wer weiß, was ihn dazu getrieben hat. Gibt wohl wirklich Menschen auf dieser Welt, denen damit echt geholfen ist.

Jedenfalls mein Fazit: Eine erschreckend bewegende Geschichte, die ganz ohne Kitsch, Klischee und sonstigen Erscheinungen auskommt. Relativ trocken und "nüchtern" erzählt, als wäre der Protagonist der Erzähler, nicht der Erlebende, das finde ich ziemlich reizvoll. Und anti-kitschig - macht nicht beklommen oder bedrückt, sondern eine Art.. erleichterte Traurigkeit. Kann's nicht beschreiben. Mal wieder. Aber schön. Sehr schön °^°
Von:  Black_Taipan
2008-09-20T21:33:48+00:00 20.09.2008 23:33
Hallo
Ich muss schon sagen - deine Geschichte gefällt mir. Wie du mit den Gerüchen und den Eindrücken der Grossstadt spielst und das mit Einzelheiten aus der Heimat des Protagonisten verbindest, finde ich sehr eindrücklich. Vor allem auch diese Einzelheiten - das Meer und das Klettergerüst. ^^ Mir gefiel auch, wie du mit dem Leser spielst.
Zuerst hatte ich den Eindruck, es wäre einfach eine einsame Person in der Stadt, die sich aufs Land zurücksehnt. Dann plötzlich die Sache mit dem Wein - ich dachte mir so: Ist er irgendwie Weinkenner und hält einen Vortrag? Und am Ende dann die Erkenntnis, dass er sich umbringt.
Hier gab es einige Unstimmigkeiten - er hätte den Rauch der Kerze sicher schon vorher riechen müssen. Klar, es heisst "schwelendes Holz" - es brennt also irgendwo. xD Allerdings scheint er sich danach so im WEin und den Erinnerungen zu versenken, dass das Feuer nicht mehr auffällt.
Wirklich, dein Beitrag gefällt mir sehr gut. Spielereien und Eindrücke und die Dramatik am Ende, obwohl es für den Leser eine Erlösung ist.
Gut gemacht.
Liebe Grüsse
taipan
Von: abgemeldet
2008-08-23T14:42:50+00:00 23.08.2008 16:42
Hallo,

hua, was ist denn das für eine Story? ^^° Das Ende hat mich etwas ... erschrocken. Grundsätzlich mag ich keine Enden, wo jemand am Ende Selbstmord begeht. Aber diese ist besse geschrieben als manche andere. Am Anfang weist nämlich imho überhaupt nichts darauf hin. Die Stadt ist schön beschrieben - obwohl ich zuerst dachte, er stünde in einer Gasse und der Übergang zur Wohnung (wenn es einer war) ziemlich unbemerkt vonstatten gegangen ist. Außerdem enthält dein Stil einige für meinen Geschmack komische und etwas unwirkliche Formulierungen. ZB der Wein, der an den Geschmacksnerven vorbeirinnt, der Satz am Anfang mit der Oxidation etc. Vielleicht liegt es auch nur daran, dass ich eher poetisch als realistisch schreibe ...
Aber trotz allem oder gerade dadurch schimmert das Feeling der Stadt deutlich durch, das gefällt mir. Richtig dreckig, hoffnungslos und abstoßend. Hm, als er schließlich seine Umgebung beschreibt (in der Wohnung) dachte ich eigentlich, er wird beschließen, in seine Heimat zurückzugehen, die Stadt irgendwie inter sich lassen. Aber dieses Ende finde ich nicht wirklich befriedigend, wie schon gesagt ...
Trotzdem ist die Story allgemein gut geschrieben, in einem (für mich?) etwas ungewöhnlichen Stil, der aber dazu passt. :)
Mfg
Von: abgemeldet
2008-08-23T14:23:35+00:00 23.08.2008 16:23
Hallo! ^^

Erstmal muss ich sagen, dass mir die Geschichte wirklich gut gefallen hat.
Auch wenn man bis kurz vor dem Schluss kaum Informationen hatte, gerade das regt ja zum Nachdenken an. ^^
Der Schluss passte meiner Meinung nicht 100%, ein paar Unstimmigkeiten gab es da denke ich schon (warum z.B. hat er nicht den Qualm und das Feuer gerochen? Irgendwie war ich die ganze Zeit der Meinung, er stehe irgendwo draußen in einer kleinen, schmutzigen Gasse, aber was solls xD), aber sein melanchonischer Tod hat mir dafür umso besser gefallen.
Passte irgendwie wirklich gut als Ende. ^^
Den Anfang fand ich auch ziemlich beeindruckend, wie du mit seinen Empfindungen und den Gerüchen gespielt hast (jetzt mit dem Schluss im Kopf passt es finde ich nicht mehr ganz so gut, trotzdem.)...
Du hast den Satz auch wirklich hervorragend weitergeführt!

Also insgesamt ein wirklich toller "Einstiegsbeitrag". ^^
Deine Geschichte hat mich schon in ihrer Art irgendwie... fasziniert.
Also, nur weiter so! Wenn deine nächste Geschichte (mit mehr Zeit) sogar noch besser wird, dann... weiß ich auch nicht. xD
Meinen Respekt hast du. ;)

Liebe Grüße
Aki-chan
Von:  Ito-chan
2008-08-19T23:41:15+00:00 20.08.2008 01:41
Hi ^^

Ich hatte versprochen ich lese es. Dass das dann um halb zwei in der Nacht passiert... keine Ahnung... aber ist eben so.
Es hat mir wirklich gut gefallen. Dramatik, Traurigkeit, Schmerz, Sehnsucht, Fernweh oder besser Heimweh kommen sehr gut zur Geltung.
Eine Mischung aus so vielen Gefühlen auf einmal in so einem kurzen Shot zu zeigen ist wirklich beeindruckend.
Das einzige was etwas verwirrend war, war die Sache, dass er die Kerze umgestoßen hat, aber es erst sehr viel später wieder wahrnimmt, trotz bewusster Erinnerung, vielleicht kommt das aber auch einfach nicht deutlich genug heraus.
Auch der Tod des Protagonistens ist einfach nur eine Mischung aus Drama und Erleichterung geworden, denn man hat das Gefühl, als erfülle sich sein Herzenswunsch mit diesem Schritt.
Wirklich sehr gut gemacht ^^

Alles Liebe
Ito
Von:  ShinichiKudo
2008-08-19T11:33:15+00:00 19.08.2008 13:33
Bist du der erste männliche Autor, der was hochgeladen hat? Überhaupt machen sich männliche Autoren hier etwas arg rar... Na ja.

Ich hatte etwas Mühe, den Text zu lesen, ein paar Satzzeichen mehr hätten nicht geschadet. Und sonst... gibts eigentlich gar nicht mehr viel zu sagen. An sich war die Story gut geschrieben, nur hat mir etwas das Warum gefehlt. Es wäre interessant gewesen zu erfahren, warum er Selbstmord begeht.
Trotzdem für ein "Erstlingswerk" nicht schlecht.

Shinichi


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