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Zerspringende Ketten

von

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Unerwartetes

Der spärlich beleuchtete fensterlose Gang endete mit einer breiten Holztür. Durch diese führte Shishido seine Gäste in einen großen hell erleuchteten Raum. In dessen Mitte stand eine einladend gedeckte Holztafel, die Arakawa bereits angekündigt hatte. Im Hintergrund befand sich ein Panoramafenster mit Blick auf das Meer, das sich über die komplette Längsseite des Raumes zog.

Gelassen trat der Gastgeber an den Esstisch und sah abwartend zur Tür, an der sich die kleine Gruppe um Kagetora versammelt hatte. Argwöhnisch inspizierten die Neulinge den Raum. Shishido konnte ihre Anspannung förmlich schmecken. Er hatte Mühe, seine Euphorie über das lang herbeigesehnte Treffen mit Kagetora zu beherrschen. Arrogant ließ er seinen Blick über die vier Männer schweifen, um am Ende auf dem Anführer zur Ruhe zu kommen, der ihn mit ebenbürtigem Interesse fixierte.

„Keine Falltüren. Kein verborgener Attentäter. Kein vergiftetes Essen. Wenn ihr also eure Plätze einnehmen wollt?“ Shishido setzte sich an die Mitte des Tisches. „Freie Auswahl, wie ihr seht.“ Lässig gestikulierte er über die verbleibenden Stühle und wartete darauf, dass sie seiner Einladung folgten. Arakawa, der als letztes den Raum betreten hatte, schloss die Tür hinter ihnen und schritt an die Seite seines Herrn. Kagetora folgte dem Beispiel, und steuerte den Platz direkt gegenüber ihrem Gastgeber an. Er wollte auf keinen Fall, dass Yuzuru oder Naoe hier sitzen mussten.

„Nette Aussicht.“ Mit belanglosem Nicken in Richtung des Fensters nahm Kagetora als erster der kleinen Gruppe am Tisch Platz. Zu seinem Erstaunen leistete ihm nicht Naoe Gesellschaft, sondern Kousaka, der seiner Irritation mit der bekannten Arroganz begegnete. Er ignorierte ihn und sah neugierig zu dem älteren Mann rüber, der am Kopfende gegenüber Yuzuru Platz genommen hatte. Naoes Körperspannung war nicht zu übersehen, aber er schien sich im Griff zu haben.

Letztlich spielte es für ihre Sicherheit keine Rolle, wo Naoe saß. Außer Kousaka war im Bunde mit Shishido, was jenen bei dieser Sitzordnung einen klaren Vorteil verschaffen würde. Kagetora erwiderte Naoes wissenden Blick, und schloss konzentriert die Augen. Die Stille des Raumes wurde für einen kurzen Augenblick durch eine leise Beschwörung unterbrochen, um dann durch die erstaunten Ausrufe einiger Anwesender völlig zu verschwinden. Das rötlich-goldene Licht der Gohou Douji drang unerwartet durch das große Fenster. Drei der zwölf Wächter hatten draußen Stellung bezogen.

Zufrieden über seine Arbeit und dem Wissen, in dieser Situation nun nicht mehr völlig im Nachteil zu sein, richtete Kagetora seine Aufmerksamkeit wieder auf Shishido. Dieser sah ihm tadelnd entgegen.

„Fühlst du dich jetzt besser?“

„Auf jeden Fall fühle ich mich jetzt nicht mehr völlig entblößt durch diese nahezu sterile Beleuchtung“, antwortete Kagetora, der sich entspannt zurücklehnte.

„Du hättest nur etwas sagen brauchen. Ich wäre deinem Wunsch nach Kuschelatmosphäre ohne weiteres nachgekommen.“ Belustigt sah Shishido zu Naoe rüber, der scheinbar ungerührt auf seinem Stuhl saß, und dem herausfordernden Blick keinerlei Beachtung schenkte. Lediglich die Blässe im Gesicht ließ darauf schließen, dass Shishidos Worte schmerzhafte Erinnerungen wachgerufen hatten.

„Wir könnten dieses Treffen auch in das Badehaus verlegen. Groß genug wäre es“, provozierte der Gastgeber weiter. Mehrere zogen scharf die Luft ein. Darunter auch Arakawa, der seinen Herrn entgeistert anstarrte. Kousakas wütender Blick wanderte beunruhigt zu Naoe, der nun sichtlich Schwierigkeiten hatte, die mühsam aufgesetzte Maske der Gleichgültigkeit aufrechtzuerhalten. Er konnte unverhohlenen Hass hervorblitzen sehen und war froh, dass dieser nicht gegen ihn gerichtet war. Und noch weitaus erleichterter war er, nicht in den Schuhen des Gastgebers zu stecken, denn Kagetora neben ihm pulsierte förmlich vor Wut. Seine anwachsende Aura der Macht prickelte unangenehm auf der Haut, und ließ ihn unbewusst wegrutschen.

Wenn die Situation jetzt aus dem Ruder laufen würde, schien es fast unvermeidlich, dass Shishido als Unterlegener hervorgehen würde. Aber Kousaka war nicht so naiv zu denken, dass das ohne Verluste auf ihrer Seite passieren würde. Denn ihr Gastgeben besaß Fähigkeiten, die ihren um nichts nachstanden, auch wenn er sich noch nicht persönlich davon hatte überzeugen können.

„Wenn du nicht möchtest, dass wir auf der Stelle gehen, solltest du deine Äußerungen sorgfältiger wählen.“ Kagetoras Drohung hallte von den Wänden wider und ließ alle zusammenzucken. „Wir sind nicht hier, um vergangene Ereignisse aufzuarbeiten, oder zu wiederholen“, fuhr der Anführer im eisigen Tonfall fort. „Ich will Antworten, aber auf andere Fragen.“

Shishido starrte zornig auf den jungen Mann, der eindeutig als Sieger aus diesem ersten kleinen Machtkampf hervorging. Vorerst. Innerlich mahnte er sich zu Geduld. Kagetora würde früher oder später die Beherrschung verlieren und unachtsam werden. Dem wollte er mit Hochgefühl entgegensehen.

„Es wäre in der Tat sehr schade, wenn ihr unverrichteter Dinge wieder gehen würdet.“ Besänftigt griff Shishido nach seinem Glas und ließ Arakawa mit einem Nicken wissen, dass er sich um ihre Getränke kümmern sollte. „Wo sind nur meine guten Manieren geblieben?“ Mit einem falschen Lächeln nahm er einen Schluck Wein. „Dann sollten wir wohl jetzt lieber eine der Situation angemessene Unterhaltung führen, um später unter vier Augen die Angelegenheit zu klären.“ Gelassen erwiderte Shishido die offen feindseligen Blicken.

„Nichts anderes hatte ich erwartet“, entgegnete Kagetora kalt, der Arakawa mit der Weinflasche weiterwinkte. Er machte es Naoe nach, der ebenfalls abgelehnt hatte. Kousaka jedoch erfreute sich an seinem Glas Wein. Er prüfte ihn wie ein echter Weinkenner und trank anerkennend einen Schluck, ungeachtet der Tatsache, dass das Essen durch ihren Gastgeber noch nicht offiziell eröffnet wurde. Ihm schien das egal zu sein. Kagetora kam nicht umhin, sich über dieses respektlose Verhalten zu freuen, da es ausnahmsweise mal nicht gegen ihn selbst gerichtet war.

„Dann lasst uns essen!“, rief Shishido der sein Weinglas in die Luft hielt. „Auf einen interessanten Abend!“ Verhaltene Zustimmung erfüllte den Raum.
 

„Wie fühlt es sich eigentlich an, Yuzuru, mit solch ehrwürdigen Seelen durch Japan zu reisen?“

Yuzuru sah erschrocken von seinem Teller auf. Er starrte zum Fragenden, der ihn geheimnisvoll anlächelte. Er hatte inständig gehofft, dass die Mahlzeit ohne auf ihn gerichtete Aufmerksamkeit vorbeigehen würde. Shishido machte ihn nervös, und er wollte auf keinen Fall eine Unterhaltung mit ihm führen. Hilfe suchend wanderten seine Augen von ihrem Gastgeber zu Naoe, der Shishido argwöhnisch musterte, rüber zu Kagetora, der seinen Blick zuversichtlich erwiderte.

„Ich verstehe nicht ganz?“, entgegnete Yuzuru unsicher.

„Hm… Ich habe die falsche Frage gestellt. Sie sollte eher lauten, wie es sich anfühlt nicht zu wissen, wer man ist?“

„Diese Frage ist-“ Kagetoras harsche Worte wurden von Yuzuru gestoppt.

„Schon okay, Takaya.“

„Takaya?“ Shishido sah belustigt zu Kagetora, der ihn warnend anfunkelte.

„Ich weiß zwar nicht, was Sie meinen, aber ich weiß wer ich bin. Und um auf Ihre erste Frage zurückzukommen, wenn Sie unser Leben nicht durcheinander gebracht hätten, würde ich nicht quer durch Japan reisen.“ Yuzuru sprach mit stärker werdendem Selbstvertrauen. „Außerdem denke ich, dass es keine Rolle spielt, ob Takaya 18 oder 400 Jahre alt.“ Lautes Lachen ließ Yuzurus Zuversicht wie ein Kartenhaus zusammenfallen.

„Wie schaffst du es nur, Kagetora, solch loyale Menschen um dich zu versammeln?“ Shishidos arroganter Tonfall ließ die Frage einer Beleidigung gleichen.

„Hey! Ich hoffe, du zählst mich nicht mit dazu?“, rief Kousaka empört dazwischen. „Ich bin nur wegen des hoffentlich spektakulären Showdowns zwischen euch beiden mitgekommen.“ Hungrig machte er sich über sein zweites Stück Fleisch her.

„Stimmt. Dich hätte ich beinah übersehen. In der Tat, du bist der einzige ohne Rückhalt hier.“ Shishido prostete Kousaka zu. „Ist das auf die Dauer nicht einsam?“

Erleichtert blickte Yuzuru zu Kousaka, weil dieser mit seinem Einwand die Aufmerksamkeit ihres Gastgebers auf sich gezogen hatte.

„Ach was! So gehen die Chancen wenigstens gegen Null, dass du von den eigenen Leuten betrogen wirst. Außerdem ist es schwierig, jemanden zu finden, der mir ebenbürtig ist“, offenbarte Kousaka fröhlich, der unbewusst für einen flüchtigen Moment zu Naoe sah. Dieser Blick war Shishido nicht entgangen, aber er behielt es sich vor darauf einzugehen.

„Menschen mit Macht sind in der Tat einsame Menschen.“ Shishido sah zu Kagetora. „Es sei den, sie treffen auf andere, die ein ähnliches Schicksal zu tragen haben.“ Unangenehme Stille folgte den Worten. Sein Blick wanderte zu Naoe.

„Ich bin dafür, dass wir uns die Sticheleien für später aufheben, und dafür jetzt das gute Essen genießen.“ Kousakas fröhlicher Vorschlag ließ alle aufatmen. „Und wenn ich noch hinzufügen darf, es soll schon etwas heißen, wenn ich das sage. Immerhin bin ich ein großer Fan von hitzigen Auseinandersetzungen!“, fuhr Kousaka fort, „Eure ist das Beste, was mir seit langer Zeit untergekommen ist, aber ich habe echt Hunger.“
 


 

Yuzuru stand am geöffneten Fenster und starrte ziellos in die Dunkelheit hinaus. Er schmeckte die salzige Seeluft und vernahm die aufgepeitschte Brandung, die ein Spiegelbild seiner inneren Aufruhr sein konnte. Zusammen mit Kousaka befand er sich in einem weitläufigen Raum, eine Etage höher und in entgegengesetzter Richtung zum Speisesaal, den sie vor mehr als einer halben Stunden verlassen hatten. Glücklich machte ihn dieser Umstand nicht, schließlich hatten sie vorgehabt, alle beieinander zu bleiben. Shishido hingegen hatte zum Ende des gemeinsamen Essens verlauten lassen, dass er allein mit Takaya sprechen wollte. Immerhin konnte sich Naoe aufdrängen, so dass sein bester Freund nicht allein war mit dem seltsamen Mann, dessen Arroganz und Überheblichkeit selbst hier im übertrieben luxuriös ausgestatteten Zimmer zu spüren war. Yuzuru konnte nur erahnen, wie alt, und dadurch wohl unbezahlbar, die diversen Vasen und Leinwandbilder im Raum waren.

Seine Gedanken kreisten zurück zu Takaya. Er wusste nicht, ob deren Gespräch im geräumten Esszimmer stattfinden würde, oder ob sie ebenfalls einen neuen Raum aufsuchen würden. Dieses Unwissen machte ihn nervös. Zum Speisesaal würde er zurückfinden, aber es wäre ohnehin sinnlos, wenn sich die drei Männer dort nicht mehr befanden.

Er wandte dem Fenster den Rücken zu und blickte rüber zu Kousaka, der mit geschlossenen Augen und scheinbar entspannt in einem der beiden großen, weißen Sessel in der Mitte des Raumes saß. Kousakas Anwesenheit schmälerte seine Beunruhigung nicht im geringsten, im Gegenteil. Die Gleichgültigkeit, die dieser gegenüber Takaya und Shishido immer wieder durchsickern ließ, und nicht nur während dem unerträglich langen Dinner, erschreckte Yuzuru. Es war nicht zu übersehen, dass Kousaka ihnen gegenüber keinerlei freundliche Gedanken hegte.

„Warum setzt du dich nicht einfach hin und entspannst?“ Kousakas Stimme hatte beinah einen meditativen Klang. „Wenn es dich beruhigt, ich kann dir versichern, dass es allen drei gut geht.“

Yuzuru spürte ein klein wenig Erleichterung in sich aufsteigen.

„Was?“ Seufzend setzte sich der der kaum ältere Mann auf. „Nein, ich kann nicht durch Wände sehen. Und ja, wenn die drei in ein tödliches Kräftemessen verwickelt wären, würde ich es spüren.“ Kousaka liebäugelte mit der Weinkaraffe, die vor ihm auf dem niedrigen Tisch stand. Ihm war Yuzurus entsetzter Laut nicht entgangen. „Möchtest du wissen, warum unser Gastgeber so schlecht auf die beiden zu sprechen ist? Aber vor allem, warum Kagetora seinen Zorn auf Shishido gerade so unter Kontrolle hat?“ Wissend erwiderte er Yuzurus neugierigen Blick. Dieser hatte sich endlich auf dem Zwillingssessel niedergelassen.

„Ich bin mir nicht sicher“, flüsterte Yuzuru.

„Du bist dir nicht sicher?“ Die Worte des jungen Mannes überraschten Kousaka. „Nicht sicher, ob du es hören möchtest? Oder nicht sicher, ob es überhaupt für deine Ohren bestimmt ist?“

„Etwas von beidem.“

Kousaka lachte und goss sich etwas Wein ein, ließ aber das Glas unberührt stehen. Er konnte Yuzurus Zerrissenheit deutlich sehen. „Hm, die Kurzversion geht folgendermaßen: Shishido war einst der Geliebte von Kagetoras Bruder. Der Bruder beschützte Kagetora mit seinem Leben. Shishido macht Kagetora für den Tod verantwortlich.“ Kousakas Gesichtsausdruck wurde ernst. „Und um Kagetora Aufmerksamkeit zu erhalten, entführte und folterte er Naoe.“ Er sah Yuzuru in die Augen. „Shishido ist ein grausamer Mensch. Vielleicht war er nicht immer so, wovon ich stark ausgehe, aber was zählt ist das Jetzt“, fuhr Kousaka ungewöhnlich zornig fort. „Und für das, was er Naoe angetan hat, verdient er den Tod.“ Stille.

„Den Tod?!“

„Na ja, wohl eher eine Seelenaustreibung“, antwortete Kousaka wieder gewohnt fröhlich und zwinkerte Yuzuru zu.

„Ich weiß nicht, ob es so gut ist, so leichtfertig über Mord zu sprechen.“ Bilder von einem lachenden und unbeschwerten besten Freund fluteten seinen Geist. Er hoffte inständig, dass Takaya nicht zum Mörder wurde – nicht unter diesen Umständen. „Aber ich muss gestehen, dass mir Shishido alles andere als sympathisch ist.“ Yuzurus Blick wurde ernst. „Wenn Shishido Naoe misshandelt hat, dann sollte es auch Naoe sein, der es klärt.“ Damit erntete er erneut Kousakas Lachen. Dieses Mal jedoch war keine Freude herauszuhören.

„Klären?“, Kousaka schüttelte ablehnend den Kopf. „Oh Yuzuru, da spricht die Unerfahrenheit und das behütete Leben aus dir heraus. So einfach ist das nicht.“ Kousakas anmaßende Worte hatten den zu erwartenden Effekt. Er sah Yuzurus Protest noch ehe dieser ihn in Worte fassen konnte.

„Du kennst mich doch überhaupt nicht. Wie kannst du-“

Kousaka schnitt Yuzuru mit einer Geste das Wort ab. „Oh, und ob ich kann. Ich studiere alle meine Kontrahenten“, Kousaka griff nach dem Weinglas, „und du bist nicht nur ein Teil aus Kagetoras Leben, sondern selbst ein Rätsel und voller Macht, die andere gierig werden lässt.“

Kousakas Worte ließen Yuzurus ungehalten aufspringen. Argwöhnisch betrachtete er den sitzenden Mann, der das Glas Wein zu Mund führte und lächelnd einen tiefen Schluck nahm.

„Kein Grund so aufgebracht zu reag-“ Kousaka brach abrupt ab und sah alarmiert zu Yuzuru. „Verdammt...“ Das Wort kaum hörbar und übertönt vom Zerschellen des Glases auf dem Marmorfußboden, sackte Kousaka leblos in den Sessel. Ungläubig starrte Yuzuru auf den zusammengesackten Mann. Hilfesuchend und unfähig die Situation zu begreifen, blickte er zur Tür in der Hoffnung, seine Freunde würden ihm zur Hilfe eilen. Und obwohl sich die Türe einen Moment später tatsächlich öffnete, waren es nicht Takaya und Naoe, sondern Arakawa, der mit einer auf ihn gerichteten Waffe das Zimmer betrat.
 


 

„Mir gefällt das überhaupt nicht.“ Naoe blickte misstrauisch auf die beiden Männer, die vor ihnen gingen. Sie sollten sie zu einem anderen Raum führen, der laut ihrem Gastgeben für ein privates Gespräch angemessener war als das Speisezimmer. Naoe musterte Takaya, der stumm neben ihm ging. Für ihn spielte es keine Rolle, wo Shishido sein undurchsichtiges Spiel fortführte, solange er in Takayas Nähe war. Und das war der erste Kampf, den er gewonnen hatte. Sehr zum Missfallen Shishidos, wollte dieser doch allein mit seinem Anführer sprechen. Dass Yuzuru nicht bei ihnen war, bereitete ihm dafür umso mehr Kopfzerbrechen. Und nicht nur ihm allein. Takaya hatte die getroffene und unabänderliche Entscheidung Shishidos nur mit großer Mühe akzeptiert und Kousaka ohne Worte wissen lassen, dass dieser in seiner Rolle als Beschützer bloß nicht versagen sollte.

Die Angespanntheit des Mannes neben ihm war nicht zu übersehen und Naoe konnte förmlich spüren, wie sie mit jedem Meter wuchs, den sie sich von ihren zwei Gefährten entfernten. Natürlich hatten sie solch ein Szenario durchgespielt und sich einen Plan zurecht gelegt. Aber die Ausführung war riskant, und Shishidos für sie nicht vollständig einzuschätzendes Machtpotential war ein großer Unsicherheitsfaktor darin.

„Auch wenn Kousaka die letzte Person ist, der ich mein Leben anvertrauen würde, glaube ich doch, dass Yuzuru bei ihm in guten Händen ist“, sprach Naoe leise. Er sah, wie sich Takayas Schultern etwas entspannten und wünschte, dass er es ihm gleichtun könnte. „Ich-“, Naoe stoppte und schluckte schwer. „Ich... Ich bin okay und habe mich im Griff, Kagetora. Du musst dir deswegen nicht auch noch Sorgen machen“, flüstere er kaum hörbar.

„Nichts anderes erwarte ich von dir.“ Trotz gebieterischen Tons, blieb Naoe der inzwischen vertraute Unterton nicht verborgen. Zuneigung zu zeigen, fiel Takaya nach wie vor schwer. Häufig tarnte sie sich in einem arroganten Verhalten, aber Naoe hatte gelernt. Er war nun in der Lage, die wechselhaften Stimmungen zu lesen, und nicht zuletzt hatte er gelernt, sie zu lieben.

Das Halten ihrer beiden Begleiter an ihrem Zielort riss Naoe aus den Gedanken. Takaya neben ihm beobachtete wachsam das Geschehen vor ihnen.

„Ich hoffe, unser Gastgeber lässt nicht lange auf sich warten.“ Während Takaya sprach, wurde die breite Tür vor ihnen geöffnet und die beiden Gäste folgten ihren Begleitern in den Raum.
 

Zu ihrer Überraschung war das Zimmer nicht verlassen. Shishido, der sich nach beenden der gemeinsamen Mahlzeit entschuldigt und angekündigt hatte, sie für das Gespräch in einem anderen Raum zu treffen, stand wartend am weitläufigen Panoramafenster. Takaya fiel auf, dass das Zimmer dem ersten glich. Es war zwar keine große Esstafel in der Mitte des Raumes zu finden, dafür stand ein schwerer Arbeitstisch aus Holz zu ihrer linken an der Wand, während vor ihnen eine elegante Sitzeinheit den Platz vor dem Fenster einnahm. Rechts von ihnen an der Wand befand sich eine zierliche Kommode, auf der drei goldfarbene Bilderrahmen standen. Takaya war zu weit entfernt, als dass er die Bilder hätte erkennen können. Aber nicht zu übersehen war die Tatsache, dass sich ihr Gastgeber allein in dem Arbeitszimmer aufhielt. Sein Vertrauter Arakawa war nirgends zu sehen. Das musste nichts bedeuten, aber führte dazu, dass sich Takayas Misstrauen erneut verstärkte.

Hinter ihnen verließen die vertrauten Begleiter ohne Worte den Raum und schlossen leise die Türe. Takaya hatte keinen Zweifel daran, dass sie draußen Stellung bezogen und auf alle Eventualitäten vorbereitet waren. Sein Blick wanderte zu Shishido, der sie mit einem eisigen Lächeln begrüßte.

„Darf ich fragen, ob ihr bisher zufrieden seid mit eurem Gastgeber?“ Shishidos pseudo-freundlichen Worten folgte Stille. „So schlimm?“ Mit gespielter Betroffenheit nahm er auf dem schwarzen Zweisitzer Platz und sah abwartend zu den beiden Männern rüber, die sich noch immer nicht gerührt hatten.

Naoe blickte fragend zu Takaya, der die Augen geschlossen hatte. Der konzentrierten Miene seines Geliebten folgte ein beleidigter Ausruf Shishidos. Dieser starrte zum Fenster, an dessen Außenseite ein Gohou Douji aufgetaucht war und den Raum in das bereits vertraute rötlich goldene Lichtspiel tauchte.

„Selbst hier? Komm schon, Kagetora. Du musst dich doch nicht über alle Maßen erschöpfen.“

Takaya ignorierte Shishido und wandte sich an Naoe. Während er sich unbewusst den Schweiz von der Stirn wischte, ließ er den älteren Mann wissen, dass dieser neben der Tür Stellung beziehen sollte. Er wollte auf keinen Fall, dass Naoe Thema dieser Unterhaltung werden würde. „Wie besprochen, kein Eingreifen ohne meine Zustimmung“, flüsterte Takaya und sah Naoe mahnend in die Augen. Der Angesprochene nickte kaum wahrnehmbar und entfernte sich. Takaya atmete einmal tief durch und wappnete sich mental für die schmerzliche Vergangenheit, nach der es Shishido verlangte.
 


 

Yuzuru starrte mit Horror auf die Waffe und blickte hilfesuchend zu Kousaka, der leblos im Sessel hing. „Ich...ich versteh nicht?!“, stammelte er und wich zwei Schritte zurück.

„Was gibt es da nicht zu verstehen?“ Arakawa betrat den Raum und schritt zu Kousaka, um ihn zu überprüfen. „Einer außer Gefecht gesetzt, sanft, wie du sehen kannst. Und die anderen werden von meinem Herrn in Schach gehalten, damit der Plan endlich in die Tat umgesetzt werden kann“, erklärte Arakawa ruhig, der zurück zur Tür ging. „Ich musste lange darauf warten“, fügte er kaum wahrnehmbar hinzu.

Yuzuru, zwischen Erleichterung über Kousakas Wohlbefinden und Entsetzen über die mögliche Gefangennahme seines beten Freundes hin- und hergerissen, sah irritiert zu Arakawa, der nun wieder an der Tür stand und einen kurzen Blick in den Flur warf.

„Wir zwei werden eine kleine Reise machen.“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, gestikulierte Arakawa ungehalten mit der Waffe in Yuzurus Richtung.

„Eine Reise?“ Wie durch die Pistole hypnotisiert, schritt Yuzuru langsam auf Arakawa zu. „Wir sind doch eben erst hier angekommen...“, entgegnete er unsicher.

„Du wirst das nötigste erfahren, sobald wir im Auto sitzen.“

Je näher Yuzuru Arakawa kam, desto offensichtlicher wurde, dass der engste Vertraute ihres Gastgebers extrem nervös war, beinah ängstlich. „Ich werde mich nicht vom Fleck bewegen, ehe ich nicht erfahre, ob es Takaya und Naoe gut geht.“ Mit diesen mutigen Worten trat Yuzuru zurück und beobachtete Arakawa dabei, wie dieser Farbe verlor und leise fluchte.

„Verdammt nochmal!“, entfuhr es Arakawa ungehalten. „Natürlich geht es ihnen gut. Sie sind zusammen mit meinem Herrn und handeln die nächsten Schritte aus. Ein inzwischen beschlossener ist, dass du mich begleiten sollst und Vertrauen in sie haben musst.“ Arakawa versuchte Zuversicht in die Worte zu packen, und untermauerte diese mit einem Lächeln. „Komm schon, je schneller wir unterwegs sind, umso früher kannst du deine Freunde wiedersehen.“

Arakawas Worte halfen nicht dabei, Yuzurus Widerwillen in Luft aufzulösen. Das Auftreten von Shishidos Vertrautem war geprägt von Widersprüchen. Wenn alles stimmte, was er sagte, warum war er dann so beunruhigt. Warum agierte er so, als ob er unter Zeitdruck stünde. Warum Kousaka außer Gefecht setzen, wenn doch alles im Einklang mit seinen Freunden geschieht, die dem bestimmt nicht zugestimmt hätten. Yuzuru war bewusst, dass sie hier nicht willkommen waren, und Shishido den Aussagen nach alles andere als ein unbeschriebenes Blatt war. Ein beklemmendes Gefühl beschlich ihn. Eine Antwort würde er jetzt nicht erhalten, das hatte Arakawa mehr als deutlich gemacht. Yuzuru ballte die Fäuste und traf eine Entscheidung, die längst für ihn getroffen worden war. Er warf einen letzten mitfühlenden Blick auf Kousaka, und trat mit dem Mut der Verzweiflung auf Arakawa zu.
 


 

Die Arme vor der Brust verschränkt, die Augen wachsam auf die beiden weiteren Männer im Raum gerichtet, gönnte sich Naoe ein klein wenig körperliche Erholung, indem er entspannt an der Wand neben der Tür lehnte. Er beobachtete Shishido dabei, wie dieser ungefragt drei Gläser Wein eingoss. Diese Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen seiner Mitmenschen war Naoe nur allzu vertraut. Hatte er doch selbst miterleben dürfen, welche Abgründe sich in dem Mann auftaten. Naoe sah Takayas Kopfschütteln, als ihm ihr Gastgeber ein Glas entgegenhielt.

„Wirklich?“, seufzte Shishido. „Bin ich der einzige, der dieses Zusammentreffen feiern will?“ Er warf einen fragenden Blick zu Naoe. Dieser ignorierte ihn. „Noch nicht einmal du? Wir hatten doch eine so befriedigende Zeit mit-“

„Genug.“ Takayas laute Stimme unterbrach Shishido. „Wir sollten dieses Spielchen beenden und uns den Dingen widmen, die zwangsläufig zu diesem Treffen geführt haben.“ Takaya starrte seinen Gastgeber eisig an. „Und damit meine ich nicht Naoe. Es wäre also hilfreich, wenn du so tun könntest, als hätten wir dieses Gespräch unter vier Augen.“ Takayas harter Ton verriet seine Ungeduld. Das Nichtwissen um Yuzurus Aufenthaltsort und die Sorge um Naoes Gemütszustand hinterließen einen fahlen Beigeschmack, obwohl das Essen trotz der Umstände außerordentlich schmackhaft gewesen war. Shishido wollte Antworten, sollte er sie also bekommen, aber mehr nicht. Takaya würde es nicht zulassen, dass dieser ihre kleine Gruppe auslöschte, oder das zerstörte, was gerade zwischen ihm und Naoe entstand.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  NaschKatzi
2016-11-15T20:04:59+00:00 15.11.2016 21:04
Hey^^
Ich finde deine Geschichte wirklich SUPER!
Ich liebe den Anime und habe mir immer eine Fortsetzung gewünscht :)
Dein Schreibstil ist sehr angenehm und toll zu lesen <3
Wie du die Charaktere beschreibst *schwärm*
Jedenfalls mag ich sie mega und freue mich auf das nächste Kapitel!!!!
Antwort von:  Benjy
16.11.2016 18:44
Hallo -Naschkatze-
Zwei Kommentare so kurz nacheinander. Böses Omen.
Nein, ich freue mich natürlich darüber. Baut auch keinen Druck auf...
Ich danke Dir natürlich auch für die Rückmeldung. Wie unten schon geschrieben, bin ich dran, aber mehr holprig als geradlinig. Ich gebe alles...


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