Eis
Eis
„Aus. Vorbei. Ich liebe dich nicht mehr!“
Sie starrte ihn vollkommen entsetzt und verwirrt an.
Unfähig etwas zu sagen, sah sie ihm in die Augen. Etwas Hartes lag in ihnen, etwas, das vorher nie darin gewesen war.
„Wa... Morion...“, sie schluckte.
Er drehte sich von ihr weg.
„Lass mich einfach in Ruhe, okay?!“
Seine Worte waren hart, genau wie der Klang seiner Stimme.
„Aber... warum? Warum so plötzlich? Warum so?“
Sie spürte, wie ihr Tränen aus den Augenwinkeln rollten und ihre Wangen benetzten.
„Halt die Klappe, ich hab gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen, Mailea!“
Er blickte sie nicht mehr an. Er ging einfach.
„Morion! Morion...“
Sie verstand es nicht. Was war denn plötzlich los? Warum war er so kalt, so hart zu ihr? Sie konnte sich nicht erinnern, ihm etwas Böses an den Kopf geworfen zu haben, oder etwas getan zu haben, was nicht in seinem Sinne war. Sie war doch so glücklich gewesen...
Und jetzt war alles kaputt.
Er liebte sie nicht mehr. Er war einfach ohne sie gegangen.
Und er hatte sie angeschrieen.
Sie fühlte sich plötzlich leer und verlassen.
Die Tränen liefen über ihr Gesicht und sie hörten nicht auf, zu fließen.
Sie ging in die Knie und starrte Morion hinterher. Er ging, ohne einmal zurückzublicken.
Sie fühlte die Leere über sich kommen. Und mit ihr kam die Kälte.
Sie stand auf und drehte sich um. Auch sie ging fort. Fort von diesem Ort der Trauer. Dem Ort der schlechten Erinnerung. Dem Ort der Trennung.
Weiter ging sie. Immer weiter.
Die Kälte nahm zu. Ihr Gesicht fühlte sie kaum noch.
Ihre Tränen liefen nicht mehr über ihre Wangen. Sie fasste mit tauben Fingern darüber. Sie waren gefroren.
Frozen Tears...
Wie in einem Traum betrachtete sie sich. Ihre Finger waren durchsichtig geworden, jede Bewegung schmerzte.
Sie blieb stehen.
Ihr Kleid flatterte nicht mehr um sie herum, es war erstarrt. Als sie nach unten blickte, sah sie, dass auch ihr restlicher Körper erstarrt und durchsichtig geworden war.
Nein, nicht erstarrt.
Erfroren.
Zu Eis geworden.
Die Kälte schmerzte nicht mehr, sie war zu einem Teil von ihr geworden. Sie kroch immer höher, hatte ihre Brust schon fast erreicht und begann langsam, von außen nach innen arbeitend, ihre Haare, dann ihr Gesicht und schließlich ihr Herz einzunehmen.
Sie lächelte. Ein trauriges Lächeln.
Ihr Herz hörte auf zu schlagen. Ihr Atem versiegte.
Am nächsten Morgen ging ein junger Mann durch den von Heckenrosen umrahmten Weg, der direkt zu dem See führte, in dem in der letzten Nacht ein Mädchen ertrunken war.
Er lief langsam. Sein schwarzer Mantel wehte um ihn und verlieh ihm ein außergewöhnliches Aussehen, das von seinen schwarzen Haaren und seinen dunklen Augen nur noch verstärkt wurde.
Vor einer Statue blieb er stehen. Sie war neu und sah auf eine seltsame Art und Weise echt aus. Sie hatte lange Haare und ein langes, bis zum Boden reichendes Kleid an. Ihre Hände hielten eine Rose, die eine ebenso milchig – durchsichtige Farbe hatte, wie die Statue selbst.
Er betrachtete sie lange. Dann strich er mit seiner linken Hand über die von Tränen überströmte Wange der Statue.
Er flüsterte ihren Namen. Seine Finger strichen über das trauriges Lächeln des Mädchens.
„Mailea...“