Zum Inhalt der Seite

Méfiance

Challenge bei den Crazy FF Autoren
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Misstrauen

Méfiance

(Misstrauen)
 

Weihnachten. Ein Fest der Liebe. Ein Fest der Freude und Ausgelassenheit. Ein Fest für die Familie.

Von wegen!

Ein Fest des Horrors. Ein Fest der Angst, des Hasses und der Zweifel. Ja, das trifft es schon eher! Denn genauso ist die Stimmung jetzt. Dunkel und voller Misstrauen. Misstrauen gegenüber den eigenen Familienmitgliedern.

Denn einer von uns ist ein Mörder.
 

Wie alle ungewöhnlichen Ereignisse nahm auch dieses seinen Lauf an einem völlig gewöhnlichen Tag. Soweit man den 24. Dezember überhaupt gewöhnlich nennen konnte – Weihnachten feiert man schließlich nur einmal im Jahr. Für gewöhnlich.

Der Morgen des 24. begann für mich mit dem schlimmsten Horror den es überhaupt gibt (wie ich zu dem Zeitpunkt noch dachte): Ich wurde um halb sechs Uhr frühs aus den Federn geschmissen. Nach einem hastig hinuntergeschlungenem Frühstück mit meinen beiden Brüdern, meiner Halbschwester und meinen Eltern gab es dann eine vierstündige Autofahrt in das hinterwäldlerische Kaff Cloppenburg. Kein Witz! Das gibt's wirklich.

Warum ausgerechnet dahin? Nun, da wohnt mein allseits geliebter Onkel Nathanael, den wir alle nur Onkel Nemo nennen. Der hatte da nämlich eine riesige Villa und zu meinem allergrößten Unglück war er diesmal dran, die Weihnachtsgesellschaft bei sich aufzunehmen. Was im Klartext hieß, dass die ganze Verwandtschaft die vier Stunden oder mehr zu Onkel Nemo fuhr.

Dass dies ein äußerst ungemütliches Weihnachten werden würde, war also schon von vornherein klar. Da half es auch nicht besonders, wenn meine Schwester Kathrina, auch nur Kate genannt, die Gelegenheit nutzte, um ein paar Freunde (die sie nebenbei bemerkt noch nie zuvor gesehen hat) aus dem Internet-Chat dort zu treffen, weil die bemitleidenswerten Typen auch in der Nähe vor sich hin gammeln müssen, um mit ihnen zusammen eine nekromantische Sitzung um Mitternacht abzuhalten.

Die Autofahrt selbst gestaltete sich in sofern als Albtraum, das meine beiden tierverrückten Zwillingsbrüder Kai und Raphael den Hund - der die Größe eines kleinen Kalbes hatte – ihre beiden Aras und das Terrarium mit den Feuersalamandern in den Kofferraum gequetscht hatten, weil sich angeblich – ich betone das 'angeblich' – niemand während unserer mehrtägigen Abwesenheit um sie kümmern wollte.

Als wir unter lautem Gebell und Gekrächtze endlich in Cloppenburg ankamen, atmete ich erstmals wieder auf. Bis zum Mittag würde erstmal Ruhe herrschen, meine Tante mit ihren beiden Töchtern würde erst zum Abendbrot kommen – dann gäbe es wieder Krach, denn meine Cousinen waren 8 und 10 Jahre alt. Zum Glück musste Tante Christine ihren Ehemann zuhause lassen, der war nämlich Feuerwehrmann und auch an den Festtagen dieses Jahr zur Nachtschicht verdonnert worden.

Nach einer herzlichen Begrüßung seitens meines Onkels, einem großen, kräftigen Mann mit feuerrotem Haar, und einigen spitzen Bemerkungen zu den vielen Tieren und deren Unterbringung, saßen wir dann alle im Speisezimmer und Onkel Nemo machte erst einmal Kaffee. Anwesend waren außer ihm und uns noch meine Großeltern mütterlicherseits, Oma Agathe und Opa Thomas, meine Oma Luise väterlicherseits – der dazugehörige Großvater war leider schon verstorben – sowie mein dritter Onkel Patrick, der Mann der Tochter der Eltern meiner Tante Christine, die die Schwester meiner Mutter war – naja, jedenfalls war er angeheiratet.

Nach dem Festmahl von einem Mittagessen kam der Teil, vor dem es mich jedes Mal am meisten grauste – die Kirche. Ich weiß nicht mehr wie es dazu gekommen ist, aber aus irgendeinem Grund bin ich die Einzige von meinen Geschwistern, die da noch hin muss. Kai und Raphael, meine zwei Jahre jüngeren Brüder, hatten deutlich gemacht, dass das Sprachtraining ihrer Papagein täglich um die selbe Uhrzeit abzuhalten enorm wichtig war, weil sie ja an einem Wettbewerb mit den Viechern teilnehmen wollten. Kate hatte noch nie einen Schritt in eine Kirche gesetzt und da es Satan war den sie anbetete, würde sich das selbst über ihre Leiche nicht ändern. Dummerweise war sie schon 19 und meine Eltern konnten sie nicht zwingen. Mit mir und meinen zarten 16 Jahren aber, konnte man das ja machen! Der antreibende Faktor waren zudem noch meine Großeltern Agathe und Thomas, die regelmäßig in die Kirche gingen. Meine Eltern taten sich das aus Höflichkeit auch an und da ich – wie sie immer wieder sagten – ihr Lieblingsenkelkind war, musste ich halt auch mit. Oma Luise saß leider seit einem Jahr im Rollstuhl und konnte den Weg nicht mehr auf sich nehmen, zu erschöpft noch von der Anreise, Onkel Nemo und Onkel Patrick blieben da um sich um sie zu kümmern und auf meine Tante zu warten, sodass ich also allein mit meinen Eltern und Großeltern in die Kirche musste.

Ging es noch schlimmer?

Ja! Ich wusste es nur da noch nicht...
 

Um 15 Uhr waren wir dann dem Gotteshaus endlich entflohen und zurück in Onkel Nemos Villa. Kaum hatten wir die Tür aufgeschlossen, kam uns auch schon ein gewaltiger Lärm entgegen.

„Herr im Himmel, was ist denn hier los!?“ rief mein Vater aus, als von oben ein Stuhl die Treppe hinunter geworfen wurde.

„WIE KONNTEST DU ES WAGEN!?“ schrie eine Stimme irgendwo im oberen Stockwerk, die ich schnell als die von Kai identifiziert hatte. Oder auch die von Raphael.

„Herr Gott, halt doch endlich dein Maul, du Zwerg!“ antwortete eine zweite Person, der Stimme nach musste es Onkel Patrick sein.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zu einem der Gästezimmer links von uns. Oma Luise kam in ihrem Rollstuhl herausgerollt. Ihre eingefallenen Wangen und die vielen Falten gaben den kleinen, blauen Augen unter dem kurzen, weißen Haarschopf einen traurigen Ausdruck. Die Ärmste hatte vor einem Jahr einen Unfall gehabt und konnte seitdem ihre Beine kaum noch bewegen.

„Kinder, was ist denn passiert? Wer schreit denn da?“ fragte sie mit zittriger Stimme.

„Keine Sorge Luise, es ist nichts...“ beruhigte meine Mutter sie sofort. Sie hatte die selben braunen Augen wie ich und auch wenn ihre Haare blond und etwas heller als meine waren, sahen wir uns sehr ähnlich.

Aus dem Raum rechts neben uns drang plötzlich ein Fluch an unser Ohr.

„Antonia, geh doch bitte mal zu Onkel Nemo in die Küche, ich glaube er braucht Hilfe beim Dessert.“ sagte daraufhin mein Opa. Ich hasste es, wenn man mich genau dann wegschickte wenn es etwas zu sehen gab, aber naja, die alten Leute eben. Denen muss man manchmal ihren Willen lassen. Was da los war würde ich ohnehin rauskriegen.

Missmutig riss ich die Tür zur Küche auf. Dahinter fand ich einen von oben bis unten mit Sahne bespritzten Nemo.

„Was ist denn mit dir passiert?“ fragte ich.

„Diese Zwillinge... das die auch immer so einen Lärm machen müssten! Eben ist irgendwas runtergefallen und mir ist die Sahne umgefallen... Hilfst du mir mal eben?“ erwiderte er und ich ging zur Spüle um den Lappen zu holen. Der ganze Boden war von der weißen Flüssigkeit übergossen worden.

„Weißt du was da oben los ist?“ fragte ich schließlich, als laute Stimmen von der Eingangshalle her durch die Tür drangen.

„Patrick hat aus Versehen das Terrarium der Zwillinge umgeworfen. Naja, es stand auf dem Fensterbrett im ersten Stock...“ war die Antwort.

„Lass mich raten: Timon und Pumba sind jetzt Matsch.“ meinte ich. Timon und Pumba waren die beiden Feuersalamander, die das Terrarium meiner Brüder bewohnt hatten.

„Genau. Und darüber regen sich die beiden natürlich tierisch auf, sie glauben Patrick hätte es mit Absicht getan. Die drei streiten sich schon seit einer halben Stunde.“ Nemo öffnete den Kühlschrank. „Das war's dann mit dem Dessert, ich hab keine Sahne mehr... Gibt’s halt nur Plätzchen.“

„Warum sollte Onkel Patrick das Terrarium mit Absicht hinunterwerfen?“ Ich runzelte meine Stirn, da konnte ich kein Motiv erkennen.

„Du weißt doch wie er ist. Er neigt zu grundlosen Gemeinheiten.“

Das war in der Tat wahr. Niemand hier sah Onkel Patrick wirklich als Familienmitglied an, seit seine Frau, meine Tante, gestorben war. Dennoch lud er sich regelmäßig selbst bei uns ein, um uns allen auf die Nerven zu gehen.

„Was macht eigentlich Kate?“ wollte ich wissen.

„Keine Ahnung. Vielleicht bereitete sie ihre satanistische Sitzung vor und sucht ein geeignetes Opfer.“ meinte Nemo glucksend. Mir jedoch lief ein Schauer über den Rücken. Ich verstand absolut nicht was meine Schwester daran fand, jede vierte Nacht auf einem Friedhof zu verbringen und dem Teufel Opfer dar zu bringen. Und die wurden auch immer größer. Letztens gab es einen hässlichen Krach im Haus, weil Kai entdeckt hatte, dass Kate unseren Hund steinigen wollte. Hallelujah.
 

Gegen fünf kam dann endlich Tante Christine mit ihren beiden Töchtern. Marie und Emilia, acht und zehn Jahre alt, waren die wohl lautesten Gören auf der Welt, aber irgendwie auch ganz niedlich. Wir begrüßten sie alle herzlich (bis auf meine Halbschwester, die schien dieses Wort aus ihrem Wortschatz gestrichen zu haben) und erzählten uns den neusten Tratsch, die Zwillingsbrüder saßen abseits der anderen und tuschelten miteinander. Ich verdächtigte sie einen Racheplan gegen Patrick zu schmieden, sagte aber nichts. Ich selbst konnte ihn ja auch nicht besonders gut leiden.

Oma Agatha und Opa Thomas machten später noch einen Spaziergang mit meiner Mutter und meinen Cousinen, während Onkel Nemo und mein Vater heimlich die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum verteilten. Obwohl das Fest an sich stinklangweilig war und ich lieber zu Hause meine Detektivbücher gelesen hätte, stieg in mir eine gewisse Vorfreude auf. Sobald Marie und Emilia zurück waren, würden sie eine Bescherung verlangen. Ich wusste zwar von fast allen meinen Geschenken schon was drin war, aber ich wollte natürlich wissen wie die anderen reagierten, wenn sie auspackten was ich für sie besorgt hatte.

Um 19 Uhr war es dann endlich so weit. Ich hatte meine Geschenke schon meinem Vater gegeben, damit er sie unter den Weihnachtsbaum legte. In meinem Zimmer oben hatte ich mich noch rasch umgezogen und stand gerade vor dem Spiegel, als von unten ein lauter Schrei ertönte.

Zunächst dachte ich, da hätte schon jemand mit der Beschwerung begonnen und die Geschenke seien so super, bis eine Reihe lauter Stimmen und weiterer Schreie an mein Ohr drangen. Entsetzensschreie.

Nun wurde ich doch neugierig und verließ mein Gästezimmer. Im Gang traf ich Kate.

„Hey, weißt du was da los ist?“ fragte ich sie.

„Nein, kein Schimmer. Lass uns einfach mal nachsehen.“ erwiderte sie.

Zusammen gingen wir nach unten. In diesem Augenblick kam meine Mutter mit kreidebleichem Gesicht aus dem Wohnzimmer gestürzt.

„Kinder, geht bitte zurück auf eure Zimmer, sofort!“ befahl sie uns mit zittriger Stimme.

„Wieso, was ist denn los, Mama?“ wollte ich wissen.

„Nichts, nichts, alles in Ordnung, bitte geht hoch, schnell...“ Doch die Worte kamen zu hastig aus ihrem Mund als das ich ihr hätte Glauben schenken können und so schob ich meine Mutter kurzerhand beiseite und betrat das Wohnzimmer.

Was ich sah, ließ meinen Atem stocken. Da, inmitten der Weihnachtsgeschenke unter dem Tannenbaum, lag Onkel Patrick. Die Augen waren weit aufgerissen, ein überraschter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Ein Messer steckte in seiner Brust.

Im Wohnzimmer standen Onkel Nemo und mein Vater, beiden stand der Schreck deutlich ins Gesicht geschrieben. In einer Ecke kauerten die Zwillinge und aus dem Nebenzimmer hörte man leises Weinen.

„Was... Was ist passiert?“ fragte ich, als ich meine Sprache zurückgewonnen hatte.

„Antonia, bitte geh auf dein Zimmer... Kai, Raphael, ihr auch.“ sagte mein Vater und trat zu meinen Brüdern.

„Was. Ist. Hier. Passiert?“ fragte ich noch einmal langsam und deutlich, jedes Wort betonend.

„Wir kamen rein und... Patrick lag da so! Er... Er atmet nicht mehr...“ antwortete Nemo, „Er ist tot.“
 

Das war's. Mehr gibt’s nicht zu erzählen. Tolles Weihnachten, nicht wahr?

Nach der Entdeckung haben wir uns alle in der Küche versammelt, weil keiner einfach so in sein Zimmer verschwinden wollte.

Onkel Patrick war ermordet worden. Die große Frage war jetzt: Von wem? Und warum? Okay, er hatte definitiv mehr Feinde als Freunde, das wissen alle. Somit ist das „von wem“ das weitaus größere Problem. Ich für meinen Teil habe da keine Ahnung. Allzu viel weiß keiner von uns über sein Privatleben und was er tat, seit meine Tante gestorben ist. Ich persönlich, die ich ja schon von hunderten von Kriminalfällen gelesen habe, stelle mir eine ganz andere Frage: Ist der Mörder noch hier?

Keiner spricht es aus, aber es ist klar das niemand hier den anderen verdächtigt. Somit muss es jemand von außen gewesen sein. Wer aber soll das sein? Nemos Villa liegt wirklich ganz am Rand von Cloppenburg, ein kleines Waldstück trennt es von der Stadt. Wer käme schon hier her? Die Tür war unbeschädigt, wer ohne Schlüssel käme herein? Meine Großeltern, meine Mutter und meine Cousinen sind ja eben erst von ihrem Spaziergang zurückgekommen. Es hatte geschneit, sagten sie. Nirgendwo Fußspuren zu sehen.

„Was sollen wir denn jetzt nur machen?“ fragt meine Tante und spielt nervös mit ihrem Ring.

„Ich habe die Polizei bereits verständigt, aber die brauchen mindesten zwei Stunden, weil das Revier am anderen Ende der Stadt liegt und heute Weihnachten ist. Außerdem soll heute Abend noch ein Schneesturm kommen, es könnte eine Weile dauern.“ erwidert Nemo möglichst gefasst.

„Das ist doch verrückt!“ ruft mein Vater aus und springt auf, „Wer tut sowas!?“

„Einer von uns.“ flüstere ich ganz leise.

Sofort richten sich alle Blicke auf mich.

„Was?!“ kreischt Marie außer sich und Tränen schießen in ihre Augen.

„Antonia, sag so etwas nicht!“ fährt mich meine Mutter an.

„Aber wenn es doch wahr ist! Ihr habt keine Fußspuren vor dem Haus gesehen, oder etwa doch?! Direkt um das Haus herum ist eine leere Fläche ohne Bäume, es hätte welche geben müssen, wäre jemand von außen eingedrungen! Patrick muss gestorben sein nachdem Papa und Nemo die Geschenke hingelegt haben und bevor ihr vom Spaziergang zurückgekehrt seid. Also ungefähr zwischen 18 und 19 Uhr.“ erkläre ich ruhig. Mir geht der Tod meine Onkels nicht besonders nahe, ich habe ihn kaum gekannt und um ganz ehrlich zu sein – fast schäme ich mich ein wenig dafür – finde ich das alle eher aufregend.

„Wie kannst du es wagen jemanden von uns zu verdächtigen!?“ empört sich Kate.

„Nein, sie hat Recht. Jemand von uns ist der Mörder.“ unterbricht sie Opa Thomas und ich sehe ihn verwundert an. „Du hast das sehr gut geschlussfolgert, Respekt. Ich traue eine solche Tat zwar niemanden aus dieser Familie zu, aber es gibt keine andere Möglichkeit.“

„Wir... Wir sollten vielleicht ein paar Sachen klären, bevor die Polizei kommt...“ schlägt Tante Christine vor.

„Du meinst, auf eigene Faust ermitteln?“ fragt Oma Luise.

„Ja, genau. Ich denke, wir sollten jemanden bestimmen, der die anderen befragt.“

Bei ihren Worten muss ich lächeln, Tante Christine liest genauso gerne Krimis wie ich.

„Na schön. Auf diese Weise verrät sich der Täter vielleicht selbst. Aber wen nehmen wir?“ fragt mein Vater kritisch, offenbar noch nicht ganz angetan von der Idee.

„Erstmal Freiwillige. Wer will?“ will Nemo diplomatisch wissen.

Meine Tante, meine Eltern, Nemo selbst, Emilia, die Zwillingsbrüder, Kate und ich selbst melden uns.

„Nein, Emilia, du machst das ganz bestimmt nicht.“ protestiert meine Tante sofort.

„Du willst es ja nur selber machen!“ nörgelt die Kleine.

„Ich finde, wir sollten Lose ziehen. Was meint ihr?“ sagt Oma Agatha und erntet zustimmendes Gemurmel. Gesagt getan, Zettel und Stift wird herbei geholt und man schreibt Lose. Mir kommt die ganze Sache schon etwas suspekt vor, unser Onkel ist gerade gestorben und wir ziehen Lose. Aber ich weiß, wenn wir nur untätig herumsitzen und auf die Polizei warten, werden wir noch alle verrückt.

Die Schnipsel werden gemischt und Marie darf ziehen.

„Also, egal wer dran ist, wir beantworten ehrlich alle Fragen ohne sauer zu sein, in Ordnung?“ vergewissert sich Nemo. Wieder einstimmiges Nicken.

Marie streckt ihre Hand aus und ich halte den Atem an.

„Na? Was steht drauf?“ fragt Kate ungeduldig.

Marie legt den Kopf schief. Es dauert eine Weile bis mir einfällt, dass sie noch nicht so gut lesen kann.

„Zeig mal.“ fordert mein Vater und nimmt den Zettel. Er verzieht das Gesicht und gibt ihn mir.

Und tatsächlich, da steht mein Name!

„Okay, bis die Polizei eintrifft, machen wir alle was Antonia sagt.“ beschließt Thomas.

Kate murrt ein leises: „Wetten sie ist es selbst gewesen...“

Ich übergehe ihre Bemerkung.

„Gut, also wir sollten zunächst einmal jetzt nirgendwo mehr allein hingehen, bis die Polizei kommt.“ schlage ich vor, möglichst neutral bleibend.

„Ich werde mir die Leiche jetzt noch einmal ansehen. Alle außer Tante Christine bleiben hier.“ Ich wende mich an die Genannte, „Du bezeugst, daSs ich nichts verändere.“ Sie nickt.

„Wieso darf Tante Christine mit?“ fragt Kate beleidigt.

„Weil sie, Mama, Emilia, Marie und unsere Großeltern die Einzigen sind, die ein Alibi haben!“

„Warum arbeitet dann nicht Mutter mit Christine zusammen?“ setzt sie noch einen drauf und langsam werde ich wütend.

„Jetzt ist es aber gut!“ geht Nemo dazwischen.

Marie fängt an zu weinen. Ich komme mir vor wie in einem schlechten Kinofilm.

„Komm Antonia, bringen wir es hinter uns.“ flüstert Christine und steht auf. Ich nicke nur und folge ihr.

Im Wohnzimmer angekommen schließe ich die Tür hinter mir und lehne mich mit dem Rücken dagegen.

„Mach dir nichts draus.“ versucht mich meine Tante aufzumuntern, „Wir sind alle ziemlich fertig mit den Nerven.“ Ich nicke nur und versuche mich abzulenken, indem ich mich im Zimmer umsehe.

Da liegt Onkel Patrick, noch immer unter dem Weihnachtsbaum. Niemand scheint ihn bewegt zu haben. Langsam gehe ich zu ihm hin, meine Kehle ist ganz trocken.

„Er liegt da, als wäre er gefallen... Jemand muss vor ihm gestanden, von der Höhe her meinetwegen auch gesessen und mit ihm geredet haben. Dieser Jemand hat ihn dann mit dem Messer getötet.“ flüstere ich. Christine nickt, wahrscheinlich ist sie zu dem selben Schluss gekommen.

„Dem Ausdruck auf seinem Gesicht nach zu urteilen, hat er seinen Mörder wohl gekannt.“ meint sie.

„Was wiederum meinen Verdacht bestärkt, dass es einer aus unserer Familie ist.“ setze ich den Gedankengang fort. „Meinst du, die Sache war geplant?“

„Ich weiß es nicht. Aber wenn ja, sind auf dem Messer bestimmt keine Fingerabdrücke.“ erwidert meine Tante.

„Hm... Ich weiß wie man das rauskriegt, aber wir sollten die Tatwaffe nicht anfassen, bevor die Polizei kommt.“ Sie stimmt mir abermals nickend zu.

„In Ordnung, dann sollten wir vielleicht die Gästezimmer durchsuchen und gucken, wer alles Handschuhe da hat. Es sieht hier zwar nicht so aus als wäre besonders viel Blut gespritzt, aber vielleicht finden wir trotzdem Spuren.“ Wieder ernte ich Zustimmung. Man sieht der Schwester meiner Mutter deutlich an, dass es ihr nicht gefällt die Zimmer der eigenen Familie nach Spuren zu durchsuchen, die auf einen Mord hindeuteten.

„Tante Christine?“ frage ich leise. Sie zuckt zusammen und sieht mich an. „Wir wollen nicht nachweisen, dass einer von uns der Mörder ist. Das weißt du doch, oder? Wir wollen beweisen, dass es NICHT so ist. Auch wenn es keine Fußspuren draußen gibt, sind da bestimmt eine Menge Tricks die man anwenden kann, um doch rein zu kommen.“

„Aber... Warum hast du dann vorhin behauptet, der Mörder müsse unter uns sein?“ will sie wissen.

„Wenn er es doch ist, kann ich so den Druck verstärken und er verrät sich vielleicht von selbst. Natürlich werden jetzt alle Nerven angespannt sein, weil jeder unter Verdacht steht. Das ist kein schönes Gefühl, das weiß ich. Kann mich selbst ja auch nicht ausschließen.“ Traurig denke ich an meine Halbschwester.

Meine Tante seufzt leise und gemeinsam gehen wir in die Küche zurück.

Eine halbe Stunde später waren alle Zimmer durchsucht, einmal von meiner Mutter und meiner Tante und einmal von Agatha und Thomas, da sie die einzigen Erwachsenen waren die ein Alibi hatten und Patrick so mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit nicht umgebracht hatten.

Derweil saß ich mit den Anderen zusammen und befragte sie, wo sie zur Tatzeit gewesen waren. Kai und Raphael hatten angeblich oben mit ihren Aras 'trainiert'. Ich denke jedoch, dass beide für den jeweils anderen lügen würden, selbst in so einer Situation.

Onkel Nemo hatte sich, nachdem er mit meinem Vater die Geschenke unter den nun entweihten Weihnachtsbaum gelegt hatte, eine Stunde hingelegt um zu schlafen.

Oma Luise war in ihrem Zimmer gewesen und hatte ein Buch gelesen.

Mein Vater hatte in der zweiten Etage Fernsehen geguckt und Kate hatte an ihrem Computer gesessen um mit ihren Freunden zu chatten.

Ich selbst hatte in ein paar Mangas von 'Detektiv Conan' geschmökert und mich dann für den Abend fertig gemacht. Also hat keiner von denen, die dageblieben waren, ein wasserdichtes Alibi.

In diesem Moment öffnet sich die Tür und meine Mutter und ihre Schwester treten mit ihren Eltern ein. Ein kurzes Gespräch ergibt, dass nur bei Onkel Nemo keine Handschuhe gefunden wurden, doch das beweist schließlich noch gar nichts. Spuren gab es keine.
 

Im Moment ist wohl niemand auf die Gesellschaft der anderen erpicht und die Familie hat sich im Haus verteilt – wenn auch immer in Zweiergrüppchen.

Ich sitze mit meiner Mutter, die Ablenkung hinter den Seiten eines Buches sucht, in Nemos Arbeitszimmer im ersten Stock und überlege fieberhaft, wer von uns denn ein Mörder sein könnte.

Mein Vater? Er hatte nie groß etwas mit Onkel Patrick zu tun, aber gemocht hatte er ihn auch nicht.

Onkel Nemo? Ich erinnere mich, dass er dagegen war Patrick einzuladen, weil er ein Spielverderber war. Aber Mord?

Die Zwillinge hatte sich kurz vor dessen Tod mit ihm gestritten, natürlich machte sie das verdächtig. Sie hängen sehr an ihren Tieren, aber würden sie den Tod zweier Salamander mit einem Menschenleben rächen? Nein, das kann ich nicht glauben.

Nun, wer wäre da noch? Oma Luise? Nein, die sitzt im Rollstuhl! Gut, um jemanden direkt von seinem Sitz aus ein Messer in den Leib zu stoßen, braucht es wohl nicht besonders viel Kraft. Aber meine Großmutter hatte wirklich keinen Grund, den Mann ihrer verstorbenen Tochter zu töten.

Dann wäre da noch Kate. Meine Halbschwester scheint die ganze Familie anzukotzen und selbst Onkel Patricks Tod nervt sie wohl einfach nur. Sie hat das Opfer genauso wenig gemocht wie alle anderen, aber ansonsten bestand zwischen den beiden keinerlei Verbindung... Aber verdammt, wer könnte es denn dann sein!?

Plötzlich fliegt die Tür zum Arbeitszimmer auf und meine Mutter und ich sehen erschrocken hoch. Es ist mein Vater und er keucht schwer.

„Papa, was ist denn los?“ fragte ich überrumpelt.

„Patrick... Patrick... ist fort!“ bringt er schwer atmend hervor.

„Was!?“ ruft meine Mutter aus und ich springe auf. „Die Leiche ist weg!?“

Auf der Stelle mache ich mich auf den Weg nach unten. Entlang des Ganges werden die Türen aufgerissen. Jeder will wissen was passiert ist, doch das kümmert mich nicht.

Wer sollte die Leiche fortschaffen wollen? Der Mörder, um Spuren zu beseitigen?

„Onkel Nemo!“ rufe ich, Benannter steht gerade neben mir. „Sag allen sie sollen sich im Wohnzimmer versammeln, sofort!“
 

Fünf Minuten später laufe ich wie ein Tiger im Käfig im Wohnzimmer hin und her. Meine Familie hat sich darin verteilt, leises Schluchzen ist zu hören.

„Das hätte ich niemals gedacht...“ bringt Oma Agathe schließlich heraus. „Dass Kate...“

„Es war nicht Kate!“ fahre ich dazwischen, „Ganz bestimmt nicht!“

„Aber Antonia, sie ist die Einzige die nicht hier ist! Die Zwillinge haben das Haus bereits abgesucht, dass sie und Patrick zeitgleich verschwunden sind, kann kein Zufall sein!“ meint Tante Christine.

Ich schüttle abermals den Kopf. „Ich kann nicht glauben, dass meine Schwester Onkel Patrick umgebracht haben soll... Sicher hat das einen anderen Grund.“

Kai zuckt die Schultern. „Selbst wenn es so wäre-“

Doch ein schrilles Klingeln unterbricht ihn und wir fahren alle erschrocken zusammen.

„Was war das?“ fragt Oma Luise.

„Das... Das war die Türklingel...“ antwortet Onkel Nemo.

„Vielleicht ist das Kate! Sie war bestimmt nur kurz draußen um frische Luft zu schnappen!“ meint Marie mit kindlicher Freude, doch wir alle wissen, wie unwahrscheinlich das ist. Wenn es wirklich Kate ist, hat sie einiges zu erklären.

Langsam stehe ich auf und gehe durch den Flur, meine Eltern folgen mir. In der Eingangshalle bleibe ich kurz stehen. Die Tür nach draußen ist im oberen Teil milchig verglast und man kann nur den Schatten der Person sehen, die da im Schneetreiben steht. Es ist nicht Kate, soviel steht fest, die ist viel kleiner.

Mein Vater tritt vor, als die Klingel erneut ertönt. Vorsichtig drückt er die Klinke runter und öffnet die Tür einen winzigen Spalt um hindurch zu schielen, bevor er sie mit einem erleichterten Seufzer ganz aufzieht.

„Endlich!“ ruft er aus, „Wir warten schon seit Stunden!“

Auch ich muss vor Erleichterung laut aufseufzen, als ich den Mann in der Uniform sehe.

„Guten Abend. Ich bin Kommissar Leitenberg. Sie haben angerufen?“ fragt der Uniformierte. Im Hintergrund sehe ich einige Streifenwagen und mehrere andere Polizisten, mindestens drei Autos stehen da.

„Ja, richtig, hier ist jemand ermordet worden. Kommen sie doch erstmal rein...“ bittet mein Vater und mit einem Wink ruft der Angesprochene noch zwei weitere seiner Männer an seine Seite. Ich mustere den Kommissar leicht kritisch. Er ist groß, sehr groß sogar, und kräftig gebaut. So ein typischer Schrank-Mann. Seine Hände sehen rau aus, sein Haar hat eine kräftige, braune Farbe und seine Linke ruht am Halfter seiner Pistole.

Gemeinsam mit meinen Eltern und der Polizei gehen wir ins Wohnzimmer zurück.

„Marie, Emilia, jetzt wird alles gut, die Polizei ist endlich da...“ flüstert Tante Christine ihren beiden Töchtern zu, als sie uns sieht. Auch den Anderen scheint ein Stein vom Herzen zu fallen.

„Also gut, wo ist denn die Leiche?“ fragt der Kommissar und ich muss kurz schlucken.

„Sie ist nicht da... Wir haben es erst vor knapp zehn Minuten entdeckt. Onkel Patrick lag da unter dem Weihnachtsbaum.“ erzähle ich und deute mit dem Finger an die Stelle, wo man tatsächlich noch einige Blutspuren erkennen kann. „Aber jetzt ist er weg. Genau wie meine Halbschwester...“ füge ich leise hinzu.

„Ihre Halbschwester? Wie viele Personen sind denn noch verschwunden?“ fragt Leitenberg fast ein wenig spottend und erntet dafür wütende Blicke. Einer seiner Kollegen jedoch hat einen kleinen Schreibblock und einen Kuli gezückt und schreibt mit.

„Alle aus der Familie sind hier versammelt, nur Kate fehlt.“ sagt Nemo.

„Na schön... Wann wurde die Leiche denn entdeckt?“

„Das war so gegen sieben... Ich, Thomas, Agathe, Christine und ihre Töchter, wir haben gerade einen Waldspaziergang gemacht.“ erwidert meine Mutter und deutet dabei auf die genannten Personen. „Als wir zurückkamen sollte die Bescherung sein, aber als wir das Wohnzimmer betraten... lag er da...“

„Wo befanden sich die Anderen zu diesem Zeitpunkt?“ will der Polizist wissen und Nemo sagt ihm das und auch, dass wir Patrick zwar alle nicht sonderlich gemocht hatten und nicht wirklich zur Familie zählten, jedoch niemand seiner Meinung nach ein Mordmotiv hatte.

„Also gut, ich würde die hier Anwesenden gern noch einmal einzeln befragen, aber zunächst sollten wir die Leiche suchen. Und vor allem auch diese Kate.“ Es war offensichtlich das er sie verdächtigte und das machte mich wütend.
 

Als ich mit den Anderen nach draußen ging, waren dort bereits einige Männer mit der Spurensuche beschäftigt.

„Habt ihr etwas gefunden?“ fragte Leitenberg einen seiner Kollegen.

„Wie man's nimmt. Hier scheint tatsächlich jemand lang gegangen zu sein, hat aber die Spuren mit einem Tannenzweig verwischt. Da es noch immer schneit, werden die Fußabdrücke bald nicht mehr zu sehen sein, da die tiefen Eindrücke wieder zugeschüttet wurden.“ kommt die Antwort. „Aber das ist nicht weiter wild, wir haben ja einen Spürhund dabei. Der schafft das schon.“

„Also gut.“ Der Kommissar wendet sich wieder uns zu. „Möchte einer von euch mitkommen?“

Wir beraten uns kurz, Meine Eltern wollten unter keinen Umständen, dass die Zwillinge mitgingen und Christine wollte mit ihren Töchtern auch zuhause bleiben. Nemo, mein Vater, ich selbst, meine Mutter, meine Großeltern und Oma Luise wollten mitkommen. Schließlich blieben aber Oma Agathe und Opa Thomas doch da um auf die Zwillingsbrüder aufzupassen, da Oma Luise sich trotz des Rollstuhls nicht erweichen ließ dazubleiben.

„Die Spuren führen doch über den Waldweg, nicht wahr? Da komme ich auch noch langgerollt.“ hatte sie gesagt.
 

Eine Viertel Stunde später können wir in der sonst stockfinsteren Nacht einige, kleine Lichter erkennen. Die Spur war nach einiger Zeit vom Weg in den Wald abgewichen, sodass das Vorankommen immer schwerer gewesen war, doch keiner von uns wollte jetzt wieder zurück. Man weist uns an, an Ort und Stelle zu bleiben. Ein Polizist und der Spürhund bleiben bei uns, während die anderen Männer die Waldlichtung, auf der offenbar irgendetwas los ist, umstellen.

Wir warten angespannt, es wagt kaum einer zu atmen. Dann hören wir laute Stimmen, das leise Geräusch vieler, noch entfernter Füße und schließlich einen alles durchdringenden Schuss.

Meine Mutter gibt einen erschrockenen Laut von sich. Die Hand meines Vaters, die bis eben noch ruhig auf meiner Schulter gelegen hat, krallt sich nun fast schmerzhaft daran fest.

„Keine Sorge“, flüstere ich leise und versuche dabei das Zittern aus meiner Stimme zu verbannen, „war bestimmt nur ein Warnschuss.“

Da fängt das Funkgerät des Polizisten der bei uns geblieben ist an zu knacken und er hält es an sein Ohr.

„... Alles klar.“ sagt er, nachdem er einen Moment einer verzerrten Stimme gelauscht hat.

„Es ist alles unter Kontrolle, niemand ist verletzt worden.“ sagt er dann an uns gewandt, „Wir können jetzt hingehen.“

Auf die Frage was denn nun los ist, antwortet er nicht.

Wir folgen ihm, allesamt mit unheilschwangeren Vorahnungen. Der Schnee knirscht leise unter unseren Füßen.

Dann lichten sich die Bäume und das erste was ich sehe ist eine große, vom Schnee befreite Fläche. Doch nicht überall wurde das Weiß entfernt, lange, helle Linien ziehen sich über die Lichtung und bilden einen großen Kreis mit einem fünfzackigen Stern darin. In den Schneelinen waren Dutzende von Teelichtern aufgestellt und in dem Fünfeck in der Mitte liegt Onkel Patrick.

Es sieht unvorstellbar gruselig aus, wie dieses Muster in der Finsternis leuchtet und dann die Leiche in der Mitte... Jetzt weiß ich, was Kate damit zu tun hat.

Am anderen Ende der Lichtung sind einige Polizisten damit beschäftigt, einer Gruppe von schwarzgekleideten Jugendlichen Handschellen anzulegen.

„Kate!“ ruft mein Vater und eilt hinüber, „Was hat das hier zu bedeuten?“

Doch sie sieht ihn nur an und antwortet nicht.

„Das wüssten wir allerdings auch gerne.“ fügt der Polizist der mit uns kam hinzu, während nun auch wir hinüber kommen.

„Sieht so aus, als wollten diese Jugendlichen hier eine Art Totenritual durchführen.“ antwortet Kommissar Leitenberg und rümpft die Nase. „Und waren dafür sogar zu einem Mord bereit...“

„Das ist nicht wahr!“ ruft Kate dazwischen, „Ich hab ihn nicht umgebracht!“

„Außerdem war es eine nekromantissche Seance, eine Huldigung Lucifers und kein Totenritual!“ sagt einer der fremden Jungen. Ich vermutet, dsas es welche von denen waren mit denen Kate ständig chattete.

„Solange ihr eure Unschuld nicht beweisen könnt, werden wir euch unter Arrest stellen. Kathrin hat ein Motiv und kein Alibi, dass sie so kaltblütig war ihren verstorbenen Onkel für diesen kindischen Unsinn zu gebrauchen wird selbst dann ein Nachspiel haben, wenn sie es nicht war.“ meint Leitenberg.

„Sie können uns überhaupt nichts anhaben, sie haben nämlich ebenfalls keine Beweise!“ ruft ein besonders finsterer Kerl, der bestimmt schon über 20 ist, „Der Fürst der Finsternis wird unser Opfer zu schätzen wissen und uns in seine Reihen aufnehmen!“

„AVE SATAN!“ rufen sie alle im Chor und ich kann nicht anders, als sie alle Wahnsinnigen zu erklären.

„Ich glaube nicht, dass diese Maßnahmen nötig sind.“ geht Oma Luise auf einmal dazwischen und rollt zu dem Kommissar hinüber. „Diese Kinder sind keine Mörder.“

„Verehrteste, es tut mir sehr Leid, aber das können sie nicht wissen.“ erwidert Leitenberg abweisend. „Wir glauben oft unsere Angehörigen zu kennen, und dann-“

Doch Oma Luise schüttelt energisch den Kopf. „Kate war es nicht, das weiß ich. Zweifellos war es eine Dummheit ohnegleichen, Patrick aus dem Haus zu schaffen, aber sie hat ihn nicht getötet.“

Ihre Worte rufen so etwas wie Mitleid in mir hervor. Natürlich glaube ich auch nicht, dass meine Halbschwester es gewesen ist, aber es gehört schon Mut dazu, diesem bulligen Kerl das so überzeugt ins Gesicht zu sagen. Doch er wird ihr nicht glauben.

„Luise, komm, das wird sich alles klären...“ will mein Vater sie beruhigen, doch sie schüttelt den Kopf.

„Wir werden das jetzt klären. Jetzt und hier. Ich weiß, dass Kate Patrick nicht getötet hat, weil ich den wahren Mörder kenne.“

Nun hat sie die ungeteilte Aufmerksamkeit aller, auch ich starre sie überrascht an.

„Luise, was sagst du da? Wenn du es weißt, warum hast du es uns dann nicht früher gesagt?“ fragt meine Mutter.

„Ich hielt es für keine gute Idee. Weihnachten war ohnehin verdorben, es wäre euch schwerer gefallen mit dem Mörder unter einem Dach zu bleiben bis die Polizei kommt, wenn ihr seine Identität kennen würdet.“ erklärt sie leise und hebt müde ihren Kopf um den Kommissar direkt anzusehen. „Ich war es.“

Wir starren sie alle nur kurz an und auf einmal ist mir nach lachen zumute. Ich fühle mich elend, so schlecht wie noch nie und ich will alles bestreiten, will meine Gefühle, die ich schon viel zu lange unterdrückt habe, herauslassen. Ich tue es nicht.

„Luise, du musst das nicht sagen, nur damit Kate-“ will mein Vater sagen, doch sie unterbricht ihn:

„Nein, ich war es wirklich. Kurz nachdem ihr die Geschenke postiert habt, habe ich Patrick ins Wohnzimmer bestellt, kurz mit ihm geredet, dann ein Messer gezogen und ihn niedergestochen. Es war ganz einfach... Er beugte sich gerade zu mir herunter um mir etwas zu sagen, da stach ich zu und stieß ihn von mir, damit sein Blut nicht meine Kleidung beschmutzte...“ Sie senkt den Kopf, doch in ihrer Stimme liegt nicht das kleinste bisschen Reue und auch mir fällt es leichter zu glauben, dass sie das alles nur sagt um Kate rauszuhauen.

„Er taumelte zurück, seine Augen weiteten sich... und dann fiel er um. Einfach so.“ fährt meine Oma fort und ihre Hände zittern plötzlich. „Ich verließ das Zimmer und wusch mir die Hände... Nur knapp zehn Minuten später wurde er entdeckt.“

Kurz herrscht Stille, dann lächelt Kommissar Leitenberg gezwungen und sagt: „Ich muss gestehen, dass ich ihnen nicht so ganz folgen kann! Bitte erklären sie sich!“

Was Luise sagt, klingt so absurd. Warum erzählt sie so einen Schwachsinn?!

„Oma, das... Das glaube ich nicht! Warum hättest du das tun sollen!?“ frage ich und sehe die alte Frau im Rollstuhl schockiert an.

„Ich... Ich habe es für meine kleine Fatima getan...“ bringt sie mühsam hervor und schluchzt. Fatima war Luises Tochter, Papas Schwester und damit meine zweite Tante.

„Aber Fatima ist... Sie ist tot...!“ flüstert Kate, die man inzwischen losgelassen hat.

„Sie war so glücklich mit Patrick verheiratet, doch er... Er hat sich nie um sie geschert! Hat sie immer vernachlässigt, obwohl sie ihn geliebt hat! Ich habe nie geglaubt, dass ihr Tod ein Unfall war.“ Luises Stimme hat jetzt etwas Bitteres und ihre Hände umklammern fest die Armlehnen ihres Rollstuhls.

Offiziell war Fatima bei einem Zugunglück gestorben. Das Auto hatte auf den Schienen geparkt, Patrick war in einem Kiosk gewesen um etwas zu kaufen – und dann war ein Zug gekommen. Natürlich hat sich Onkel Patrick danach schreckliche Vorwürfe gemacht, aber wie kommt Oma Luise darauf, dass es Absicht gewesen wäre?

„Aber Luise, Fatimas Tod war ein Unfall, Patrick trug keine Schuld daran!“ sagt nun auch Nemo.

„Ich habe lange für meine Kinder gespart und Fatima hat sehr viel von dem Geld das ich ihr gab in ihre Lebensversicherung gesteckt. Ich glaube, dass Patrick hinter diesem Geld her war – nein, ich weiß es. Als ich ihn nämlich einige Monate nach dem Vorfall zur Rede stellte, gab er alles offen zu. Er gab zu, den Wagen absichtlich auf die Schienen gestellt zu haben, das er alles zeitlich genau berechnet hatte. Seine Selbstvorwürfe waren nur geschauspielert, er hatte es von Anfang an auf das Geld abgesehen.“ erklärt sie traurig. „Er hat mir alles erzählt. Und hat gelacht, über meine Wut.“

„Und warum sind sie dann nicht zur Polizei gegangen?“ fragt Kommissar Leitenberg.

Langsam hebt sie den Kopf. „Ich bin zur Polizei gegangen. Ich habe ihnen alles erzählt. Aber ich hatte keine Beweise und sie haben mir nicht geglaubt. Was zählt denn mehr, die Aussage einer alten, verbitterten Frau, oder die eines jungen, offensichtlich von Schuldgefühlen geplagten Witwers, der bisher auch noch nie ein Verbrechen begangen hat?“

Daraufhin sagt Leitenberg nichts mehr.

Und langsam kann auch ich meiner Großmutter glauben. Sie hat das Wissen von dem Mord ihrer Tochter so lange mit sich herumtragen, dem Mörder ihrer Fatima in die Augen sehen müssen ohne etwas tun zu können. Hatte sehen müssen wie die Welt sich einfach so weiter drehte und der Schuldige nicht bestraft wurde. Es musste schrecklich gewesen sein.

Und tatsächlich, es fällt mir nicht einmal schwer zu glauben, dass Patrick ein Mörder war. Aber warum, warum denn gerade heute?

„Luise, warum hast du das gemacht? Willst du denn den Rest deines Lebens im Gefängnis verbringen? Das ist doch auch keine Lösung!“ meint mein Vater traurig, offensichtlich sehr betroffen von der Nachricht, dass der Tod seiner Schwester kein Unfall war. Den Mienen der Umstehenden nach zu urteilen, kann keiner von uns Oma diese Tat verübeln. Nein, nach dieser Geschichte sind wir vielleicht sogar froh, dass Patrick seine gerechte Strafe bekommen hat.

„Ich weiß, Weihnachten ist nicht gerade ein gutes Datum für einen Rachefeldzug und es tut mir Leid, dass ich euch das Fest verdorben habe, aber es war die einzige Gelegenheit, die ich noch hatte.“ antwortet Luise.

„Wie meinen sie das?“ fragt der Kommissar.

Traurig sieht sie uns der Reihe nach an. „Ich bin sehr krank... Ich habe Blutkreps in einem sehr fortgeschrittenem Stadium. Vielleicht werde ich nicht einmal mehr Neujahr überleben, aber zu einem Prozess wird es sicher nicht mehr kommen.“

Diese Nachricht schockt uns dann doch alle sehr, davon haben wir nichts gewusst.

Aber natürlich, es macht alles einen Sinn. Meine Oma hat das grausame Geheimnis die ganze Zeit mit sich rumtragen müssen und als sie erfuhr, das sie sterben würde, hat sie wohl den Mut gefasst ihre Tochter letztendlich doch noch zu rächen. Wahrscheinlich wollte sie uns nicht so einen großen Schreck einjagen und mit der Auflösung warten bis sich die Gemüter beruhigt hatten oder so ähnlich. Doch als man Kate beschuldigte der Mörder zu sein, hatte sie die ganze Sache natürlich aufgelöst, damit niemand Unschuldiges zu Schaden kommt. Und sie hatte ja recht. Wenn ihr Leben nur noch so kurz war, hatte sie doch von der Polizei nichts zu befürchten.

„Bitte, verzeiht mir...“ flüstert sie leise.

Langsam lächle ich und lege ihr meine Hand auf die Schulter. „Ich schon gut, Oma. Ich hätte es an deiner Stelle genauso gemacht.“

Der Kommissar sieht mich missbilligend an, doch da sagt auch Kate: „Ja, du hast das Richtige gemacht. Dieser alte Sack hat nichts anderes verdient!“

„Mach dir keine Sorgen deswegen, wir werden dich trotzdem in guter Erinnerung behalten.“ stimmt mein Vater zu,während Tränen in seinen Augen glitzern und meine Mutter nickt und lächelt gezwungen.

„Nicht trotzdem, gerade deswegen!“ lächelt Onkel Nemo und die Miene des Kommissars wechselt von verdattert über empört zu... ja, fast amüsiert.

„Ich... Ich danke euch...“ haucht Luise und eine einsame Träne verabschiedet sich aus ihren Augenwinkeln.

Kommissar Leitenberg räuspert sich. „Ähm, nun, sie müssten uns dann wohl auf das Revier begleiten...“

„Ach, kommen sie schon, Herr Kommissar! Wie wollen sie denn einen Rollstuhl in ihr Auto kriegen?“ fragt Kate und der Angesprochene läuft rot an.

„Ich bitte sie, wir können ja einen Spaziergang in die Stadt machen, sie können gerne mitkommen. Wir bringen Oma Luise schon zum Revier, aber lassen sie sie doch wenigstens ein letztes mal Weihnachten genießen.“ bittet Nemo.

„Nun, aber... Das ist gegen die Vorschriften, und... Ach, soll mich der Teufel holen! Nun gehen sie schon!“ ruft er schließlich aus. „Aber das sie mir ja auch dort ankommen!“

„Keine Sorge, das werden wir.“ versichert meine Mutter.

Still lächle ich in mich hinein, während der Kommissar nun zu seinen Kollegen zurückgeht und sie anweist, Kates Freunde freizulassen.

Dieses Weihnachten war vielleicht das schrecklichste in meine Leben. Doch ich kann ganz bestimmt nicht behaupten, dass es verschwendete Zeit war. Und eins steht fest: Von all den langweilige Weihnachtsfesten die ich schon über mich ergehen lassen musste, wird nur dieses mir wirklich im Gedächtnis bleiben.
 


 


 


 

So, das war mein Beitrag zu der aktuellen Challenge und gleichzeitig meinem ersten Krimi. Ich hoffe es hat euch gefallen und ich würde mich sehr über ein paar Kommentare freuen!



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2009-01-01T17:39:45+00:00 01.01.2009 18:39
Diese Challenge ist lustig.
Gefragt ist ein Agatha-Kristie-60er-Krimi, aber auf einer Anime-Seite wird natürlich alles Conanesque.
Wenn das beabsichtigt war, war das auf jeden Fall eine gute Idee (und wenn nicht dann auch).
Die Characktere waren alle ziemlich nachvollziehbar, nur ehrlih gesagt, waren es ein bisschen zu viele, dass man sich alle innerhalb einer so kurzen Geschichte merken konnte. Es hätte vielleicht den Ratespaß verstärkt, aber das war wohl nicht beabsichtigt, da es ja früh klar war wer, der Mörder ist. ("Sie könnte das auf GAR KEINEN Fall gewesen sein"- Wenn dieser Satz in einem Krimi steht, dann ist es meistens der Mörder.)
Und wo zum Teufel kamen die Satanisten her?
Du kannst die doch nicht einfach so in eine 60er-Welt reinbringen.- Die bringen einen ja vollkommen aus dem Konzept. XD
Von:  Thuja
2008-11-30T14:38:29+00:00 30.11.2008 15:38

krass
das war ja einfach nur geil
ich finde keine Worte dafür
es war wahrscheinlich sogar eine ganze Ecke besser als geil
du hast mich schlichtweg begeistert
eine Wahnsinnsstory
tut mir leid ich kann mich grade nicht einkriegen
dafür bin ich zu hin und weg
das das zu meinen Favos kommt steht wohl außer Frage

dieses unerwartete Ende. Und nein unerwartet war nicht unbedingt wer der Mörder war, unerwartet war, wie der Mord gestanden wurde und wie alle das aufgenommen haben
da lief es mir eiskalt den Rücken runter
und ich musste ganz schön schlucken so mitreißend war das.
Die alte tat mir so Leid
Aber auch ihre Familie. Ein Mord und demnächst stirbt eine geliebte Person
Die Worte, die Nemo und die anderen zu ihr gesagt haben, haben mich einfach gerührt
Das war traurig
Aber der ganze Krimi war begleitet von Spannung, Humor, Gefühlen, alles was eine gute Geschichte braucht

Schon als Patrick Tod aufgefunden wurde, hast du die Atmosphäre super rüber gebracht
So richtig Gänsehaut erregend

Und auch die Charakterisierung der einzelnen Personen ist dir super gelungen
Auch wenn ich immer grinsen muss, wenn ich das Wort „Zwilling“ lese. Liegt wohl daran, dass ich selbst einer bin ^^

Ebenfalls super war, wie du auf den Mord hingearbeitet hast. So langsam und immer mit diesen Bemerkungen, dass es sozusagen noch schlimmer kommt
Wobei ich an Kirche rein gar nicht schlimmes sehe. Aber ich bin ja auch Christ und gehe mehr als gerne in die Kirche :P

Und wenn man bedenkt. Es wirkte alles so friedlich und harmonisch. Wie schnell die Stimmung umschlagen kann

Also noch mal fetten Respekt

Und einen schönen ersten Advent



Zurück