Never give up without a fight
'Ich hasse Dich.' ... das Bild verschwamm vor Lees Augen und er sah in ein Meer aus rot und orange... er konnte nicht sagen ob ihm heiß oder kalt war... vor ihm, mit dem Rücken abgewandt, stand ein junger Mann. 'Ich hasse Dich.' ... Die Haut des Mannes glühte und er sank auf die Knie. Lee sah seine eigene Hand. Sie trug einen Dolch... in seine Klinge waren Schriftzeichen eingraviert, doch er konnte sie nicht erkennen... die Luft flimmerte vor Hitze... Lee fühlte wie sich seine Hand fester um den kalten Griff der Stichwaffe schloss... gegen seinen Willen holte er aus... und mit all seiner Kraft stach er zu. Ein Schrei durchdrang das dicke Geschwader aus heißer Luft... er ließ den Dolch fallen, die Klinge war verschmiert von blauem Blut... Lee sank zu Boden und er sah in das Gesicht seines Bruders. „Sen Su!“ wollte er rufen doch aus seinem Mund drang nichts hevor als heiße Asche... das Gesicht veränderte sich jetzt... grüne Augen wichen funkelnd goldenen... sie waren so fesselnd, dass Lee sich in ihrer Tiefe verlor... 'Geh nicht' ... das rechte Auge des Mannes verengte sich und nun sprach eine raue Stimme... „Ich hasse Dich!“
Keuchend und schweißgebadet erwachte Lee aus seinem Albtraum. Wie so oft hatte er wieder von ihm geträumt. Lee strich sich eine Strähne feuchten, braunen Haares aus dem Gesicht, warf die Bettdecke zurück und stand auf. Durch ein glasloses Fenster in der Wand über seinem Schlafplatz konnte er den Vollmond leuchten sehen. Es musste mitten in der Nacht sein. Seufzend schlurfte der Junge zu einer Waschschüssel in der linken Ecke seiner Kammer. Das Wasser war angenehm kühl.
Sieben Monate waren vergangen, seit der Fremde fort war. Der Fremde, der wie ein Bruder zu ihm gewesen war. Der Fremde, der ihn stets beschützt hatte. Der Fremde, den er verraten hatte.
In dem Moment, als ihm klar wurde, dass sein neu gewonnener Freund ein Feind war, hatte Lee nur Angst gespürt. Ihm war überhaupt nicht bewusst gewesen, dass dieser Mann – Feuerbändiger hin oder her – ihm gerade das Leben gerettet hatte.
Das letzte, was Lee dem Prinzen der Feuernation damals geschenkt hatte war ein eisiger, verängstigter und hasserfüllter Blick. Dabei hätte er ihm so gerne seine Dankbarkeit gezeigt.
Lee fühlte sich furchtbar. Immer wieder suchten ihn diese Träume heim. Natürlich wusste er, dass er damals falsch gehandelt hatte. War es nicht egal, welchen Hintergrund ein Mensch hatte, wenn er nur gut war? Sicherlich war es das. Auch beim Sohn des Feuerlords? Ja; denn obgleich sein Feuer zertören konnte, so hatte er selbst unter dem eines anderen gelitten; sein Gesicht würde immer davon zeugen. Nur warum konnte er dieses Gesicht nicht vergessen? Vielleicht suchte er auch nur nach einem Ersatz für seinen Bruder. Vielleicht, dachte Lee, hätte er ja anders reagiert, wenn nur seine Mutter ihn nicht zu schützen versucht hätte.
Nachdem er sich gewaschen hatte, überkam Lee erneute Müdigkeit. Schwerfällig schleppte er sich wieder in sein Bett und starrte an die Lehmdecke. Niemals hatte er seinem ersten, wirklichen Freund ein Messer in den Rücken stoßen wollen.
Lee erwachte durch ein leises Klopfen. Es klang dumpf, also war wohl jemand an der Haustür. Nachdem er ein zweites Mal eingeschlafen war, hatte er nichts mehr geträumt; zumindest nichts, an das er sich erinnern konnte. Lee streckte sich und setzte sich an die Bettkante. Das Klopfen hatte aufgehört. Dann hatte bestimmt schon jemand aufgemacht, dachte er und gähnte herzhaft. Nach einigen Sekunden hörte er die Stimme seiner Mutter. „Lee,“ rief sie. „Da ist Post für dich!“
Post? Wann hatte er das letzte Mal Post bekommen? Lee rappelte sich abrupt auf und eilte in die Diele. „Morgen,“ wünschte er seiner Mutter knapp und wandte sich sofort dem kleinen Paket zu, das vor der Türschwelle lag. Stürmisch riss er es auf.
Völlig unvorbereitet kamen all seine Schuldgefühle und Ängste mit einem Mal in ihm hoch. In seiner Hand lag ein hübscher, fein gefertigter, dunkelgrüner Dolch. Als Lee zitternd die Klinge aus der Scheide zog, konnte er eine Gravur erkennen: „Gib niemals kampflos auf.“
Für einige Augenblicke stand Lee wie paralysiert da und starrte auf das, was er in Händen hielt. Also hatte er ihn doch nicht vergessen? Ganz intuitiv rannte der Junge, den Dolch fest umschlossen, nach draußen und sah sich um. Und dort, auf der Straße, die nach Osten führte, sah er, wie sich die Sillhouette eines jungen, aber stattlichen Mannes allmählich entfernte.
„Warte!“ rief Lee dem Mann hinterher und rannte los. Gut zweihundert Meter weit entfernt hielt der Fremde inne, strich seine Kapuze zurück und wandte sich um. Als er den Bauernjungen in seine Arme schloss, erfüllte ein Lächeln das Gesicht des Feuerlords.