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Every day is writing day
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corazon (24.06.09)

Er blinzelte.

Ah, er war also nicht wach.

Noch bevor Miguel sein eigener Name einfiel, wer oder was er war, wusste er, dass er nicht wach war.

Die Erkenntnis erreichte ihn vor allem anderen, dass immer dann, wenn er blinzelte, die Realität weit entfernt war. Organische Okularnotwendigkeiten wie Blinzeln oder Weinen waren dort eine finanzielle Unmöglichkeit, die er sich nicht leisten konnte.

Keinen Schimmer, ob er sich BTL reingehauen hatte oder einfach nur schlief und träumte. War ihm auch völlig gleichgültig.

Diese Lidschlagerkenntnis hatte ihn wenige Wochen nach seinem ersten Aufenthalt in einer Schattenklinik ereilt. Eine Zeit, in der er noch manchmal morgens vor den Spiegel getreten war und vor den verchromten Wölbungen anstelle seiner Augen zurückgeschreckt war, überzeugt er habe einen Albtraum.

Dann war er irgendwann aufgewacht und hatte sich selbst in einem reflektierenden Etwas verschlafen angeblinzelt. Die kaum wahrnehmbare Berührung des Augapfels mit einem umhüllenden Lappen Haut; so vertraut und geschmeidig, dass es sich nicht beschreiben lässt. Eine Gewohnheit, die Miguel erst bemerkte, als sie fehlte. Es war ihm sofort klar, dass es nicht real war. Er erlernte mit einem Mal das luzide Träumen, das manche Menschen ihr Leben lang nicht erreichen, wenn sie überhaupt wissen, dass es existiert - oder es missverstehen, nachdem sie es wissen. Die Fähigkeit sich innerhalb des Traums bewusst zu werden, dass dieser einer war und ihn aus diesem Bewusstsein hinaus zu formen und zu lenken.

Die Bewegung des Augenlids, ein langanhaltendes Blinzeln oder einfaches Zwinkern, wurden zum Indikator, der ihn sofort Herr über einen Traum werden ließ. Manchmal klappte es auch einfach nicht, weil er einen gesamten Traum lang ein Ball aus heißem Käse war, der darüber wahrnahm sich an allem zäh und anhänglich festzukleben.

Käse. Er musste an seinen alten Lehrmeister denken, einen Schweizer Chummer und Ghuljäger, den es irgendwie nach Redmond verschlagen hatte. War es schon so lange her, dass er sich von ihm gelöst hatte und selbst zurecht kam? Dank der Gewalt über seinen Traum klappt sofort ein Bild des zerfurchten Zwergengesichts auf wie ein Taschenspiegel. Versoffener alter Bastard, ich hoffe es geht dir gut. Das Bild klappte zu und nur der Spiegel blieb und reflektierte Miguel, der sich einen Moment mit dem Alten überlagerte.

Miguel musste wie so oft daran denken, dass die Schlafphase, in der Träume größtenteils stattfinden, REM-Phase genannt wurde. Rapid Eye Movements. Er hatte sich tagelang vor Lachen kaum halten können, nachdem er es aus einem Trid gelernt hatte.

Er konzentrierte sich auf die Landschaft seines Traums. Es war ein erhabenes Gefühl, befreit und unbefangen damit anstellen zu können, was er wollte. Niemandem Rechenschaft schuldig und ohne die Last der Konsequenzen, die in den Schatten lauerte wie ein Drahtnetz - stets bereit sich für einen Fehltritt verbissen zu revanchieren. Der Gypsy King lag abgestreift wie eine jetzt überflüssige Kleidung am Wegesrand. Dies war ein entlegener heiler Ort.

Aber auch das Luzid war kein Wunschbrunnen, kein Tischleindeckdich, kein Fass Chili con Soy ohne Boden. Es hatte seine eigenen Regeln, die Balance und Aufmerksamkeit erforderten.

Miguel blinzelte erneut und dem kurzen Dunkel folgte eine klare Nacht vor Augen, in der man die Sterne am Himmel sehen konnte. Er lag im Bett neben, aber auch in einem wärmenden Feuer, das brannte und brandete wie die bewegte Stille selbst. All das lag auf einem Berg, nein, doch keinem Berg: auf den Dächern einer verwucherten und ausgebrannten Skyline. Das Plateau einer endlich untergegangenen Zivilisation.

Dann war da Ginger und ihre muskulösen Arme legten sich um Miguel, um seinen zierlichen Körper an ihre breiten Schultern zu drücken. Als er verwirrt hinauf sah, war sie ein haarloser Troll mit bleicher Anmut und verführerischem Lächeln zwischen den polierten Hauern.

"Du hast wunderschöne Augen, mi corazon", flüsterte ihre Stimme in tief wallendem Bass in sein Ohr, hauchte es die spitze Länge seiner Ohrmuschel hinauf, kurz bevor sie ihre eleganten Pranken unter sein Tanktop schob um seine ...
 

Miguel erwachte, doch es war nichts als ein Moduswechsel. Sichtmodus an, sichtmodus aus. Alles synapsengesteuert und gut verdrahtet. Er schreckte nicht einmal hoch, wurde einfach nur wach. Der Schlafraum seiner kleinen Wohnung lag in der unauslöschlichen Halbdunkelheit des Seattler Nacht da.

"Madre de dios", murmelte er nur, bevor er anfing zu lachen. Irgendwann würde auf das Luzid zur Beruhigung seiner Nerven soviel Verlass sein wie auf eine Mossberg CMDT mit Schulterstütze und Schockpolster.

Nur ein paar Sekunden, nachdem er sich auf die andere Seite gerollt hatte, war Miguel wieder eingeschlafen und der Gypsy King saß weit entfernt in den Bergen, wo er den Tag erwartete.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Ito-chan
2009-08-22T21:48:39+00:00 22.08.2009 23:48
Armer Miguel, hat er sich gezwungen aus seinem Traum aufzuwachen xDDD Es ist schon irgendwie "befremdlich" Miguel, der auf mich doch so ruhig und weit weg von solch fleischlichen Gelüsten wirkte, in solch einem Traum zu erleben. Wobei er Ginger eben doch näher steht, als man vermutet und mir das wiederrum sehr gefällt ^^ Es ist wiklich sehr schön geworden, selbst wenn ich mal wieder die ein oder andere Vokabelschwäche hatte, die ich mir nachher im Shadowwiki anlesen darf, nur um das nächste Mal dich nach einer weniger komplizierten Beschreibung zu fragen xD
Aber na ja... es ist eben toll xD
Von:  kumquat
2009-06-24T21:28:02+00:00 24.06.2009 23:28
In luziden Träumen anständigen Sex zu haben, ist eine der kompliziertesten Übungen überhaupt. Und das sind nicht nur meine Erfahrungen. ='D

Aber Blinzeln ist eigentlich ein hübsches Gefühl. Wäre mir gar nicht aufgefallen.
Und ich möchte hierbei noch meine Liebe zu Chili con Soy ausdrücken. Fehlerchen sind mir nicht ins Auge gestochen, und die Atmosphäre ist sowieso so... na ja. Fühlt sich im Prinzip auch an wie ein längeres Blinzeln.


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