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Heroes

von

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Ten

Sooo...

Das ging tatsächlich schneller, als ich gedacht habe :D Vermutlich weil dieses Chap quasi der Zündschlüssel ist, die anderen konnte man zum Teil als (wichtiges!) Geplänkel bezeichnen.

Ab jetzt dürfte es wahrscheinlich nur noch drunter und drüber gehen. O__o

Vielen lieben dank an alle, die Heroes bis jetzt unterstützt haben <3 Es freut mich sehr, dass ihr meine gedanklichen Exkremente gerne lest (lol).

Ihr seid mir stets ein Ansporn, schnell weiterzumachen :D
 

Viel, viel Spaß mit Kapitel 10!
 


 

Tsukasa blickte von den Testergebnissen auf und begann sich die Haare zu raufen. Nachdem er zweieinhalb Wochen lang förmlich mit Hummeln im Hinten gelebt hatte, besaß er endlich das, vor was er sich gefürchtet hatte. Die Tests waren auf alles Mögliche positiv ausgefallen, eben darauf, dass es wirklich Kaffee gewesen war, oder wie viel Zucker sich in ihm befand. Was Tsukasa jedoch erbleichen ließ, war die hohe Konzentration an starken Medikamenten, die das Getränk zu einem tödlichen Cocktail gemacht hatten. Katashi konnte von Glück reden, nur einmal daran genippt zu haben, wie er es später selbst erzählt hatte. In seinem Magen hatte man nur geringe Spuren gefunden, die jedoch nicht darauf verweisen konnten, dass ihm jemand etwas Schädliches untergejubelt hatte.

Langsam und unsicher lehnte Tsukasa sich zurück, die Lehne seines Stuhls knarrte leise. Es arbeitete eine Weile hinter seiner Stirn, bis er begriff, was das alles für ihn, was das alles für Karyu zu bedeuten hatte. Auch wenn er innerlich sehr danach strebte, an diesem Wink mit dem Zaunpfahl zu zweifeln, kam er nicht darum die ganze Sache mehr als ernst zu nehmen. Eine Warnung hätte deutlicher nicht sein können.

Wütend über diese Tatsache stand Tsukasa schwungvoll auf, blieb eine Weile reglos stehen und entschied sich letztendlich, sich zum Fenster des Büros zu bewegen. Er konnte nur mit Mühe und zusammengekniffenen Augen nach draußen sehen, denn die Sonne knallte so erbarmungslos auf Tokyo hinab, dass schon der bloße Gedanke an sie blendete. Blinzelnd lehnte er sich nach vorne – in der lächerlichen Annahme, so mehr zu erkennen – und stützte seine Hände auf das erhitzte Fensterbrett. Mit einem erschütterten Seufzen resignierte er gegenüber den Gegebenheiten. Katashi hatte recht gehabt.

Katashi hatte recht gehabt, als er ihm sagte, Yagasumo sei im Prinzip zu allem fähig. Aber Tsukasa hatte nie daran gedacht, dass er es ihm auch zeigen würde. Und dann auch noch auf eine so unmenschliche Art und Weise.

Tsukasa merkte erst gar nicht, wie seine Hände zitterten. Erst als er seinen Blick senkte und auf sie hinabschaute, bemühte er sich halbherzig, sie stillzuhalten. Eigentlich, dachte er, haben sie ja allen Grund so bescheuert zu schlottern. Den Gedanken führte er jedoch nicht weiter fort, sondern ballte seine Hände nun zu Fäusten, schenkte dem Fenster einen letzten verbissenen Blick, klaubte das Papier auf und ging.

Er selbst war so überrascht von seinem plötzlichen Aufbruch, dass er zuerst sogar vergaß, was er jetzt eigentlich vorgehabt hatte. Mit einem verwirrten Blick auf den Papierkram in seinen Händen, und der Notiz davon, wohin ihn seine Füße automatisch trugen, fiel es ihm schlagartig wieder ein. Und genauso schlagartig keimte die Wut noch stärker in ihm, überstieg die ungefähre Skala, auf der er sie zu wissen geglaubt hatte.

Beflügelt wich er den Leuten aus, die ihm entgegenströmten. Und irgendwie kam es ihm vor, als würde hier jeder zu einem potenziellen Hindernis von ihm werden. Alarmiert hielt er Ausschau nach Polizisten, die in diesem Krankenhaus noch immer ihr Unwesen trieben. Zwei schritten gemächlich an ihm vorüber, bis unter die Zähne in einer Schutzkleidung steckend, wie Tsukasa es mittlerweile gewohnt war. Eigentlich gehörten diese Kampfmaschinen von Männern beinahe zur häuslichen Einrichtung. Es war mehr als beruhigend für ihn, dass er hier Karyu nicht begegnete. Sonst schaffte er es nämlich immer vortrefflich, Tsukasa in diesem Gewusel aus Menschen auszumachen. Aber im Moment konnte er ihn gar nicht gebrauchen. Er würde wohlmöglich noch weißer im Gesicht werden, bei dem Gedanken daran, dass er in seinen Händen genauso gut die Testergebnisse von Karyus Kaffee halten könnte. Das würde Fragen aufwerfen, und genau das wollte er möglichst verhindern. Wenn Yagasumo unter der Hand spielen wollte: Bitte sehr. Tsukasa machte mit.

Eine Schwester dirigierte einen Rollstuhl samt Besitzer um ihn herum und verschwand wieder in der Menge.

Tsukasa war fast da, das merkte er aber erst, als er im Laufschritt eine weitere Treppe hinauf eilte, nachdem er bereits eine bewältigt hatte. Jetzt kam ihm der Rest des Weges sogar erstaunlich kurz vor, und ehe er sich versah, stand er vor Yagasumos Büro. Lächerlicherweise fiel ihm genau in diesem Moment auf, dass es direkt über seinem eigenen lag. Nur eben zwei Etagen darüber. Und irgendwie verärgerte ihn das noch mehr.

Er machte sich auch nicht die Mühe, freundlich an die Tür zu klopfen, sondern zerquetsche mit einer Hand fast das Papier, das er bei sich trug, und presste die Tür mit so einem Elan auf, dass er fast mit ihr in den Raum gezogen wurde. Um seine Würde zu wahren, ließ er seine Miene versteinern, er reckte das Kinn und ließ die Tür hinter sich geräuschvoll zufallen. Ihm direkt gegenüber stand ein breiter Schreibtisch, der seinem eigenen nicht minder ähnelte. Dahinter saß Yagasumo, neben sich einen riesigen Stapel mit Akten, die er gerade durchzugehen schien. Er blickte Tsukasa so ernsthaft verwirrt an, dass er für den Bruchteil einer Millisekunde glaubte, den Falschen erwischt zu haben. Immerhin kannte man ja aus Filmen, dass man in solchen Situationen mit wissenden Blicken empfangen und gefragt wurde, wieso das solange gedauert hat.

Er blinzelte und die perplexe Note verschwand wieder aus seinen Augen. Ohne sich auffordern zu lassen, griff Tsukasa in seinem Übermaß an Energie nach einem Stuhl, zog ihn heran und ließ sich letztendlich doch nicht darauf nieder. Stattdessen schritt er so nah an den Tisch heran, bis er sich die Hüftknochen an ihm quetschte und knallte die Unterlagen so heftig auf die Platte, dass der kleine Behälter mit Stiften neben Yagasumo erbebte. Eine ganze Weile sagte keiner von ihnen etwas, und das nutzte Tsukasa aus, um sich bedrohlich langsam zu seinem Kollegen hinunterzubeugen. Er holte tief Luft, lauschte dem dröhnenden Ticken einer Uhr, fragte sich, wieso alle von diesen Dingern so laut sein mussten.

„Sie haben gewonnen“, zischte er, und war selbst davon verblüfft wie seine Stimme vor Zorn bebte. Er hatte eher damit gerechnet, dass sie ihm versagen würde, in Anbetracht der Umstände, dass er das alles ja eigentlich tat um so eine Art Verschonung von Karyu zu erbetteln. Jetzt, da er vor der latenten Gefahr stand, gefiel ihm dieses Ergebnis seiner Gefühlsmixtur jedoch um einiges besser.

Yagasumos Stirn hatte sich so extrem in Falten gelegt, dass Tsukasa ihn fast für diese Leistung bewunderte. Mit bösen Blicken starrten die beiden sich gegenseitig an, bevor er den Zettel unwirsch zu sich heranzog und zu lesen begann. Tsukasa ließ ihn dabei kein einziges Mal aus den Augen, im Gegenteil, sein Blick verschärfte sich sogar, so als rechnete er damit, dass Yagasumo aufspringen und ihn zu überwältigen versuchen könne. Aber das blieb aus.

Beinahe in Zeitlupe hob Tsukasas Kollege seinen Kopf wieder an und er merkte sofort, dass ihm mehr als ein Gedanke im Kopf herumschwirrte. Was er jedoch im Augenblick mehr zur Geltung nahm, war sein wutverzerrtes Gesicht, und die Tatsache, dass er den Mund öffnete, ihn aber um so wütender wieder schloss. Tsukasa nahm an, dass er kein Wort herausbrachte, weil er ihn mehr oder weniger – eher mehr – als den potenziellen Täter entlarvt hatte. Vielleicht sollte er seine Arbeit als Arzt aufgeben und zu Karyu unter die Polizisten gehen.

„Ich lasse Sie in Ruhe“, sagte Tsukasa heiser. „Ich lasse Sie in Ruhe, wenn sie mich in Ruhe lassen.“

Und ganz besonders die Menschen um mich herum, ergänzte er in Gedanken. Aber das schien für Yagasumo keinen Unterschied zu machen. Menschen leiden zu lassen, mit denen Tsukasa zu tun hatte, war für ihn – und auch für Tsukasa – dasselbe, wie die Quälereien an ihm höchstpersönlich auszulassen. Und das alles im Prinzip nur, damit er seine Arbeit nicht verlor. Als Tsukasa diese Erkenntnis traf, fand er sie nahezu lächerlich, und sie führte dazu, dass der Hass, den er mittlerweile auf seinen Kollegen hegte, weiter geschürt wurde.

„Keine Kündigung. Kein gar nichts. Sie bleiben, und keinem geschieht etwas.“

Yagasumo dachte nach. Das sah man ihm an. Und es kam Tsukasa vor, als schlage er ihm die Faust ins Gesicht, als er triumphierend lächelte und sich beinahe entspannt zurücklehnte. Er musste sich anstrengen, seine bildliche Vorstellung nicht bei ihmin die Tat umzusetzen.

Yagasumo legte die Finger aneinander und sah dabei auf sie hinab. Tsukasa beschlich die ihn rasend machende Ahnung, dass er es tat, damit er in seinen Augen nicht das Siegesglück erkennen konnte, das er eigentlich bereits für voll genommen hatte.

„In Ordnung“, sagte er schließlich beinahe lauernd. Tsukasa wartete ungeduldig auf weitere Worte, aber Yagasumo schien sich vorgenommen zu haben, wieder in Schweigen zu verfallen. Er musterte seine entspannte Haltung mit einem missbilligendem Blick und merkte gleichzeitig, wie sich seine Hände automatisch zu Fäusten ballten.

„Sie sind krank“, flüsterte er dann gerade beherrscht genug, um nicht in einem hysterischen Klang zu versinken. Er verengte die Augen zu Schlitzen, fragte sich gleichzeitig, wann er das letzte Mal eine solch immense Wut gefühlt hatte. „Sie sind ein vollkommen kranker Mensch. Es ist mehr als beschämend, Sie hier sitzen zu sehen. Es ist widerlich.“

Tsukasa machte sich nicht einmal die Mühe, auf eine mögliche Reaktion zu warten, kaum hatte er seine Worte ausgesprochen, drehte er um und ging noch so gefasst, dass es nicht nach einer Flucht aussah.
 

„Micawber! Hund! Hund!“

Karyu rollte fluchend mit den Augen, und Tsukasa grinste in den hochgeschlagenen Kragen seines Mantels hinein. Er wusste in etwa, wie tot er war, wenn Karyu ihn erwischte. Gerade in solchen Momenten, in denen der abgerichtete deutsche Schäferhund nur allzu deutlich zeigte, dass ihm die Befehle seines Herrchens soviel bedeuteten, wie die eines am Boden festgetretenem Kaugummis. Tsukasa spielte kurz mit dem fiesen Gedanken, dass Micawber einem solchen vielleicht doch etwas mehr Beachtung geschenkte hätte, verwarf ihn aber wieder und zog an Karyus Arm, den er ausgestreckt hatte und dem Hund hinterher deutete. Der rannte guten Mutes im Zickzack über die riesige Rasenfläche zu ihrer Rechten, und eigentlich konnte man ihn nur wegen der Erde erkennen, die er mit seinen Läufen aufwirbelte. Die Tatsache, dass es am Morgen noch geregnet hatte, unterstützte das nicht minder.

Karyu ließ seinen Arm zwar zögernd sinken, aber machte keinen Bogen um die Erklärung, dass er tot sei, wenn die Verwaltung dieses dämlichen Parks dieses Biest wüten sah. Tsukasa nahm das mit einem Augenrollen zur Kenntnis, überlegte kurz und hakte sich kurzerhand bei Karyu ein, ohne dessen überraschte Blicke zu beachten.

„Bist du krank?“, fragte er ehrlich verblüfft.

„Nein. Wieso?“

Natürlich wusste er, wieso. Immerhin war es sonst Karyu, der so eine Art Annäherungsversuch startete, wenn sie sich zusammen in der Öffentlichkeit aufhielten. Und der nahm es immer wieder in Kauf, ob Tsukasa das zuließ oder nicht, was er – wie er gerade bemerkte – tatsächlich ziemlich oft nicht getan hatte. Es hatte ihm immer furchtbar leid getan, und hatte gleichzeitig gemerkt, dass seine Art nun einmal so war. Und die hatte er ganz besonders um Karyus Willen zum Teil hinunterzuschlucken gelernt. Aber ein Gefühl von Unbehagen war immer noch da gewesen, und Tsukasa wusste im Moment nicht, ob er es tatsächlich Angst nennen konnte. Wenn, dann musste es eine spezielle Angst sein. Davor, gesehen zu werden, davor verabscheut zu werden. Er erinnerte sich an den Mann, der Karyu und ihn mit einem distanzierten Blick taxiert hatte, und war an diesem Tag der Ansicht gewesen, dass das so ziemlich das mildeste war, was ihm passieren konnte.

Mit einem Mal schob Tsukasa die Gedanken zur Seite, und ein Lächeln kam über seine Lippen.

„Es geht mir gerade sehr gut. Nutz das lieber aus.“

Er zwinkerte, was Karyu noch mehr aus der Bahn warf. Es ging ihm momentan tatsächlich wunderbar, wenn man das so sagen wollte. Was allerdings am wenigsten am Wetter lag, das zugegebenermaßen viel zu wünschen übrig ließ. Die Sonne war von einem dünnen Wolkenschleier verdeckt, und der Wind pustete so penetrant, dass Tsukasa schon ein wenig die Ohren schmerzten. Diese ganze Angelegenheit mit Yagasumo war jetzt etwas mehr als einen Monat her, und sie hatten jetzt Mitte September. Irgendwie fand er es eigenartig, dass seit diesem mehr als unangenehmen Moment in Yagasumos Büro soviel Zeit vergangen ist. Und das ohne die Anzeichen davon, dass er die Abmachung nicht hielt.

Genaugenommen war alles wieder seinen gewohnten Gang gegangen, nachdem die Sache geklärt worden war. Tsukasa hatte die Testergebnisse schnell verschwinden lassen, und Fushimasu – der zum Glück selbst die Laborarbeiten übernommen hatte – dazu beschworen, die ganze Sache zu vergessen. Man war bei der Version geblieben, dass man nicht wusste, was mit Katashi losgewesen ist.

Das war es allerdings nicht, was Tsukasa so entspannte. Die Angelegenheit war mehr oder weniger eine Abmachung auf Leben und Tod gewesen, wie er mit einem Schaudern festgestellt hatte. Und so etwas konnte nicht entspannen. Aber die Tatsache, dass Karyu nichts mehr geschehen würde, konnte das auf jeden Fall. Nicht durch die Hand dieses Unmenschen.

Karyu rief ein weiteres Mal nach Micawber, und es kam das Ergebnis dabei raus, mit dem Tsukasa gerechnet hatte: nämlich gar keines. Ohnehin schien er das nur getan zu haben, damit er nicht merkte, wie verwirrt er von seiner plötzlichen Gemütsänderung war. Was Karyu allerdings nicht davon abgehalten hatte, seinerseits einen Arm um ihn zu legen.

„Mit was für einer Zeitspanne darf ich denn rechnen?“, fragte er Tsukasa dann lächelnd und mit einer Stimme, als wolle er sich ganz bewusst einen Plan für die nächsten Stunden zurechtlegen.

„Das kann man nie wissen. Vielleicht schlägt meine Laune in zwei Minuten wieder um.“

Tsukasa musste zugeben, dass es schwer war, bei Karyus schockiertem Blick nicht zu grinsen, aber er hielt sich außerordentlich wacker. Seufzend ließ er seinen Körper gegen ihn sacken und fühlte wie Karyu ihn überrascht fester hielt.

„Du musst doch krank sein“, murmelte er, doch als Tsukasa aufsah, bemerkte er sein zufriedenes Grinsen. Vielleicht war er das ja. Krank vor unendlicher Ruhe.

Sie gingen noch eine Weile mit patschenden Schritten den von Pfützen übersäten Weg entlang, bevor sie sich auf einer mehr oder weniger trockenen Bank niederließen, die ihren Zustand wohl der Baumreihe verdankte, unter der sie sich befand. Karyu achtete auch penibel darauf, seinen Hund immer schön im Auge behalten zu können. Das war auch nicht mehr schwer, da der anscheinend die Güte besaß quasi direkt vor ihren Nasen herumzuspringen.

Tsukasa lehnte sich zurück und bemerkte mit einem kurzen Lächeln, dass es Karyus Arm war, den er da im Nacken spürte. Einen kurzen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, mit den ganzen Dingen in seinem Kopf herauszuplatzen, als er merkte, dass das hundertprozentig die gute Stimmung zwischen ihnen verderben würde. Es war jetzt egal. Es war alles – mehr oder weniger – wieder gut. Jedenfalls, was Karyu betraf. Das Krankenhaus stand noch immer unter Überwachung, und Tsukasa hatte irgendwie das Gefühl, dass sich das so schnell nicht ändern würde. Vor genau zwei Wochen hatten zwei unvorsichtige, bescheuerte Trottel wie Karyu gesagt hatte, vorgehabt, die ganze Sache abzubrechen, da die Person, die das Shubou-Krankenhaus regelrecht zerstückelt hatte, sich noch unmöglich in der Stadt befinden konnte. Wie um eben genau das Gegenteil zu bestätigen, ist ihr ein anderes, aus unbekannten, beschissenen Gründen erbärmlich schlecht überwachtes Krankenhaus zum Opfer gefallen. Seitdem hatte sich die Zahl von Haudraufpolizisten schier verdoppelt. Tsukasa hatte sich gut vorstellen können, wie extrem Karyu zum Ausrasten fähig war, aber was er erlebt hatte, hatte sämtliche Vorstellungen überschritten.

Umso angenehmer empfand er die Tatsache, dass Karyu nun völlig entspannt neben ihm saß, Micawber einen letzten misstrauischen Blick zuwarf und Tsukasa dann näher an sich zog. Er hatte die Augen geschlossen und fühlte nur, wie sich ihre Hände schon fast automatisch ineinander verschlangen. Mit einem Lächeln nahm er den Lufthauch zur Geltung, mit dem Karyus Kopf sich ihm genähert hatte. Er schien inne zu halten und einen Moment zu zögern, dann spürte Tsukasa jedoch, wie er ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen hauchte. Er war selbst ein wenig überrascht von sich, dass er Karyu mit seiner freien Hand zurückhielt, als er sich wieder entfernen wollte. Mit dem Öffnen der Augen begegnete er Karyus fragenden – vielleicht aber auch nur wartenden – Blick, mit dem er ihn musterte. Wortlos schob Tsukasa ihm eine Hand in den Nacken und zog ihn wieder zu sich heran, und er sah gerade noch, wie Karyus Blick eine angenehm überraschte Note annahm.

Tsukasa küsste ihn. Er küsste ihn in aller Öffentlichkeit, was er zumindest nicht auf diese Weise bereits getan hatte, ohne dabei gewaltig über seinen Schatten zu springen. Es war kein kurzer Augenblick, den Tsukasa irgendwie verkrampft hinter sich zu bringen versuchte, auch nicht so eine Art Abschiedskuss, zu dem er sich immerhin etwas leichter bewegen ließ. Er hatte dieses Mal nicht vor, Karyu in naher Zukunft wieder loszulassen. Er wollte es genießen, ihn zu küssen. Und zwar so lange, wie er es wollte, und nicht bis ihm genug entsetzte Blicke den Rücken zerstachen, bis er sich nicht mehr wundern brauchte, irgendwelche Lähmungen davonzutragen.

Irgendwie rief dieser Gedanke eine Trotzreaktion in ihm auf, und ehe er sich versah, hatte er sich aufgesetzt und ganz demonstrativ die Arme um Karyu gelegt, der wahrscheinlich nicht minder überrascht war, es aber dabei beließ, genießerisch in den Kuss hineinzugrinsen.

Tsukasa wusste nicht wie viel – durchaus schöne – Zeit vergangen war, als Micawbers dröhnendes Bellen sie auseinander schreckte, und ihm entging auch nicht der böse Blick, den Karyu ihm dafür schenkte. Mit einem resignierenden Seufzen wandte er sich wieder Tsukasa zu, dem sein Blick fast verträumt vorkam, als er ihm ein paar Haare aus dem Gesicht strich. Den Hund, der hinter ihm auf die Bank gesprungen war und ihm jetzt förmlich ins Ohr hechelte, ignorierte er wissentlich. Das zwang Tsukasa dazu, zu grinsen.

„Ich hoffe, du hast ab jetzt öfter so eine beschwingte Laune“, meinte Karyu mit einem leisen Lächeln. „So gefällt mir das alles definitiv besser.“

„Mir auch“, sagte Tsukasa nach einer Weile, und Karyu beobachtete missmutig, wie sich kurz Falten auf seiner Stirn bildeten.

„Warum dann so ein Gesicht?“

„Ich habe nachgedacht.“ Tsukasa lachte leise. „Ich glaube, ich sollte meinen Eltern einen Besuch abstatten.“
 

Ja, das stimmte. Er sollte es tun. Als Karyu ihm angeboten hatte ihn zu begleiten, hatte er abgelehnt, ohne dabei ein schiefes Grinsen unterdrücken zu können. Dann hatte er nachdrücklich darauf verwiesen, dass seine Familie Karyu ein wenig zu offen kennen gelernt hatte, und sie erst mal die Geschichte mit dem Tablett verdauen sollten. Das sah Karyu wenigstens sofort ein und wünschte ihm stattdessen viel Glück bei seiner Aktion. Glück, das Tsukasa durchaus gut gebrauchen konnte. Direkt am folgenden Tag hatte er sich auf den Weg gemacht, und hier saß er nun: in seinem Auto.

Er bemerkte, dass der Rückspiegel ein wenig verstellt war, und begann mit einer Hand an ihm herumzunesteln.

Dieser Tag hatte kommen müssen, Tsukasa hatte es die ganze Zeit gewusst. Seit der einen Nacht im Krankenhaus, in der Karyu ihn mehr oder weniger überfallen hatte. Eigentlich hatte er in diesem Moment nicht daran gedacht, doch er wusste genau, dass etwas in seinem Inneren Klick gemacht hatte. Vielleicht so eine Art Erkenntnis, die ihn schlagartig getroffen hatte. Im Unterbewusstsein hatte er schon geahnt, eines Tages vor seiner Familie für Karyu gerade stehen zu müssen. Allerdings – so musste er zugeben – hat er es erst vor Kurzem gemerkt, das alles schon gewusst zu haben.

Er liebte seine Familie. Und genau das hat ihn dazu gebracht, vorerst nicht zuzulassen, Karyu zu lieben. Christen und Homosexualität – ob sie nun wirklich schwul waren, oder nicht – vertrugen sich nicht. Jedenfalls nicht wenn diese Christen die größte Homophobie hatten, die Tsukasa je erlebt hatte. Aber irgendwann hatte er auch diese Tatsache verdrängt, jedoch immer Angst vor dem Moment gehabt. Vor dem Moment in ungefähr fünf Minuten.

Tsukasa musste sich eingestehen, dass er nun tatsächlich nervös war, aber er fühlte nicht so was wie Furcht. Er hatte eine Weile versucht herauszufinden, woran das liegen könnte, es dann jedoch wieder aufgegeben. Seine Mundwinkel begannen zu zucken. Vielleicht war er so gelassen, weil er schon nicht ans Kreuz genagelt wurde, als er seinen Eltern klar gemacht hatte, nicht gläubig zu sein. Es war zwar eine unbeschreiblich heftige Diskussion vom Zaun gebrochen, aber Tsukasa lebte. So etwas durfte er nun wahrscheinlich noch mal erleben, nachdem er diesen durchaus mutigen Entschluss gefasst hatte, so ziemlich mit der Tür ins Haus zu fallen. Am besten dann noch in einem Augenblick, in dem sie sich alle Knochen brachen, weil sie vor Schreck irgendwo hinunterstürzten. Dann wartete vielleicht doch das Kreuz auf Tsukasa.

Mit einem grimmigen Lächeln schüttelte er diesen Gedanken wieder ab. Das war immerhin seine Familie. Zwar rechnete er mit einem Donnerwetter und – wenigstens bei seiner Mutter – vielleicht sogar mit einem vorübergehenden Kontaktabbruch, damit ihr Sohn wieder zur Vernunft kommen könne.

„Vernunft“, lachte Tsukasa leise. Wenn es nicht vernünftig war, hinter Karyu zu stehen, was war es dann? Dumm? Zukunftslos? Ekelhaft?

Genau auf diese Reaktionen bereitete Tsukasa sich vor, und er musste zugeben, dass schon der bloße Gedanke daran, dass seine Eltern ihn wahrscheinlich genau mit diesen Worten beschmissen, mehr als nur unangenehm war. Es tat schon weh.

Mit einem resignierenden Seufzer widmete er seine Aufmerksamkeit den penetrant gleichaussehenden Häusern zu seiner Linken. Er befand sich nun genau am äußersten Rand von Tokyo, wo die Wohnsiedlungen in etwa soviel Vorstadtflair hatten, wie seine eigene Wohnung, die nun mehr als im Zentrum lag. Er wusste schon, warum sein Bruder und er hier weggewollt hatten. Und manchmal fragte er sich auch, wie er es in dieser Gegend neunzehn Jahre ausgehalten hatte.

Übertrieben vorsichtig bog er an der richtigen Häuserreihe ab und fuhr die ruhige – oder eher ausgestorbene – Seitenstraße entlang, hielt am letzten Haus und stieg nun deutlich missmutiger aus seinem Wagen. Noch ehe er mit dem Gedanken spielen konnte, schnell wieder einzusteigen und wegzufahren, wurde nicht weit entfernt von ihm eine Haustür aufgezogen und seine Mutter schob ihren Kopf hinaus. Zu Tsukasas Überraschung schien sie bester Laune zu sein, und ihr fröhliches Lachen, als sie ihn sah, zwang ihn förmlich zu einem Lächeln.

Er schloss ab und ging mit gemächlichen Schritten auf sie zu, ließ die übliche Begrüßungszeremonie inklusive dem Um-Den-Hals-Fallen über sich ergehen und folgte ihr ins Haus.

Eigentlich wusste er ja, dass sie ziemlich impulsiv sein konnte, wenn sie sich freute, aber dass sie ihn gleich so behandelte, als sei er der Messias, damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Wer weiß , dachte er nun deutlich besser gelaunt, wahrscheinlich wird es ja halb so schlimm, wie angenommen.

Sie zog ihn beinahe zu enthusiastisch in die Küche und stapelte alle möglichen Sachen auf seinen Armen, während sie ihm sagte, wie sehr sie sich darüber freute, dass er sie mal wieder besuchen kam, und dass sie deshalb Kantsuo auch herzitiert hatte. Ganz kurz überkam Tsukasa eine Woge schlechten Gewissens, aber er entschied sich dazu, dass es wahrscheinlich umso besser war, wenn es alle gleichzeitig erfuhren. Außerdem würde sein Bruder sicherlich eine Hilfe sein, da Tsukasa kaum damit rechnete, dass er genau so altmodisch dachte, wie die Frau, die es gerade geschafft hatte, einen gefährlichen Berg auf Tsukasas Händen zu konstruieren, und der Mann, der wohlmöglich nebenan saß und darauf wartete, dass sein zweiter Sohn eintraf.

Tsukasas Mutter schien gemerkt zu haben Gefahr zu laufen, ihm mit den Sachen noch das Genick zu brechen, und befreite ihn wieder von der Hälfte, was er mit einem erleichterten Seufzen honorierte. So bepackt stolperten sie wieder aus der Küche hinaus. Tsukasa musste zugeben, dass er sein Gehirn schon abgeschaltet hatte, und seine Mutter einfach reden ließ. Als sie aber vor der noch geschlossenen Wohnzimmertür keuchend stehen blieb, wurde seine Aufmerksamkeit wieder wachgerüttelt. Sie drehte sich ganz plötzlich zu ihm um und sie strahlte so über ihr Gesicht, dass Tsukasa sogar ein kleiner Lacher entfuhr.

„Ich habe eine Überraschung für dich, Kenji“, sagte sie, und das Grinsen auf ihrem Gesicht wurde noch eine Spur breiter.

„Oh, das ist aber schön.“ Tsukasa lachte mit einer Art grimmiger Vorfreude. „Ich hab auch eine für euch.“

Dass er überhaupt etwas gesagt hatte, schien sie gar nicht mehr für voll genommen zu haben. Wofür Tsukasa im Grunde genommen dankbar war, immerhin wollte er die ganze Sache nicht erklären, während er mit Fressalien bepackt auf einem viel zu engen Hausflur stand.

Als seine Mutter – kichernderweise – die Tür aufmachte, steuerte Tsukasa ohne sich umzublicken den Tisch an, um sich von seiner Last zu erlösen. Hinter sich hörte er Stimmen murmeln, die zweifelsohne Kantsuo und seinem Vater gehörten. Aber er stockte in der Bewegung, als er meinte, eine dritte gehört zu haben. Er stellte die letzten Sachen ab und drehte sich mit einem verwirrten Blick um. Als eben der auf das lange Sofa traf, dass sich genau am anderen Ende des Raumes erstreckte, stockte er erneut. Neben Kantsuo saß eine junge Frau, vielleicht höchstens Mitte zwanzig, und sie unterhielten sich ziemlich angeregt, bis sie Tsukasas Blicke bemerkten. Kantsuo winkte ihm und rief ihm eine Begrüßung entgegen, die Frau lächelte ihm wortlos entgegen. Anscheinend hatte er seine Freundin mitgebracht. Tsukasa fragte sich, seit wann er denn wieder eine hatte. Er lächelte freundlich zurück und seine Augen wanderten zu seinem Vater weiter, der auf der anderen Seite von Kantsuo saß. Verwundert sah er zu, wie er ihm nur mit einem gezwungenen Grinsen entgegensah und dann die Zeitung griff, die vor ihm auf den kleinen Tisch gelegen hatte.

Ehe Tsukasa ein Wort hätte sagen können, griff seine Mutter von hinten nach seinen Armen und bugsierte ihn in Richtung Sitzecke. Erst jetzt wurde ihm klar, dass sie ununterbrochen geredet hatte. Jetzt, in dem Moment, in dem sie wieder ruhig war. Schließlich trat sie neben ihn, hielt ihn jedoch immer noch am Arm fest und deutete auf die junge Frau. Schon allein in ihrem Atem, der Tsukasa neben sich ziemlich laut vorkam, meinte er Vorfreude hören zu können.

„Das ist Horiko Nasatsu“, sagte sie fröhlich. „Deine baldige Verlobte.“

Tsukasa fühlte, wie sein Lächeln in Sekundenbruchteilen von seinen Lippen bröckelte. Seine Mutter redete weiter, doch er hörte ihr nicht zu. Seine Augen wanderten über seinen Bruder, zu seinem Vater, der sich ganz plötzlich noch tiefer hinter der Zeitung versteckte. Als Tsukasas Mutter merkte, dass er nicht reagierte, hörte sie auf penetrant auf ihn einzureden, und mit einem Mal war der Raum von einer drückenden Stille erfüllt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  NeoStrelitzia
2009-08-01T01:05:47+00:00 01.08.2009 03:05
omg wie kannst du nur da aufhören???
verdammt!!
schreib bitte schnell weiter, würd gern wissen, wie er da wieder rauskommt!
Von: abgemeldet
2009-07-30T22:39:57+00:00 31.07.2009 00:39
du hast das 9 Kapitel an meinem Geburtstag hochgeladen... und ich war nich da T.T

Hife, Verlobte? oO du bist doch blöd, an der Stelle aufzuhören... *is ab morgen wieder weg* ich will MEHR! XD
Von:  Cilia
2009-07-28T14:16:23+00:00 28.07.2009 16:16
Ahahhaha xDDD aah ich hab ja so nen Lachanfall gekriegt x'DD man wo hast du diese Eltern ausgegraben die sind ja zu geil xD *augenwisch* das übertrifft echt alles...
Aber die Spannung hätte mich fast umgebracht, ehrlich. Hat mich so sehr an mein comingout erinnert, dass ich für nen Moment aufhören musste zu lesen...So ne Situation wünsch ich echt keinem <.<
Die Szene zwischen Karyu und Tsukasa war aber große Klasse <3 hach...du solltest darauf achten, eine kleine Knuddelszene in jedem Kappi einzubauen, darauf freu ich mich jedes Mal ^___^
Von:  SevenBlackRoses
2009-07-28T11:53:45+00:00 28.07.2009 13:53
oh oh....das ist nicht gut...
dass eltern aber auch immer meinen, alles für einen organisieren zu müssen >.<
naja, irgendwie ne unschöne situation ^^
bin mal gespannt, wie tsukasa da wieder raus kommt ^___^
Von:  Micawber
2009-07-27T22:07:29+00:00 28.07.2009 00:07
Oh...Heilige scheiße!!
...ähm...äh...OMG!
Ich knabberte grad an einem brötchen herum und das ist mir glatt aus dem mund geplumpst beim lesen.
Verlobte??? ...ich ahne böses +_____+""" argh...omg....omg panik!


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