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Gijinka

von

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Breaking The Habit I

Vermutlich denken die meisten an ein Unternehmen oder Arbeitslager, wenn sie das Wort „Steinbruch“ hören. Diese Vorstellung entspricht jedoch nicht der Wahrheit. Denn der Steinbruch ist nichts Geringeres als eine funktionierende Polis, kaum unterschiedlich zu jenen der Menschen, ein Ort, an dem verschiedene unserer Überspezies, die eine Affinität zur Erde haben, zusammenleben und jedem eine Rolle zugeteilt wird, die den Fähigkeiten des Individuums entspricht. Dank dieses Systems kann jeder das, was er braucht, vom anderen verlangen, wenn er der Einzelpersonen oder der Gemeinschaft seine Talente zur Verfügung stellt. Für Nahrung baut der eine dem anderen ein Haus, für medizinische Betreuung gibt jener wiederum auf die Kinder des Heilers Acht, wer der Grenzerweiterung des Steinbruchs dient, darf sich Luxusgüter gönnen... man kann die Beispiele endlos fortsetzen. Wichtig ist eher zu sagen: Keiner ist überflüssig, keiner kann schmarotzen, und auch wenn es hin und wieder zu Streitereien kommt, so kann man im Großen und Ganzen sagen, dass dieses System ein Erfolg ist, unser Zusammenleben ist harmonischer, als es sich die optimistischsten Staatsphilosophen vorstellen können.

Doch diese Harmonie ergibt sich nicht aus dem Willen der einzelnen Individuen, sondern aus dem Willen des Regenten des Steinbruchs, der auf alles ein Auge hat.

Überwacht wird dieses System, sowie der ganze Steinbruch vom „Stahlkönig“, welcher stets ein Stahlos von unbeschreiblicher Kraft und Weisheit ist. Jedoch geht der Thronanspruch nicht auf die Tatsache zurück, dass diese Kreaturen die anderen Spezies durch diese Attributen übertrumpfen würden. Die Regentschaft jener Gattung basiert auf der Gründungslegende, die besagt, dass in einer Zeit größten Elends ein Stahlos eine unbewohnbare Gegend von allen Giftstoffen befreite und somit bewohnbar machte. Dieser war der erste Stahlkönig. Seither wird sein Amt an einen seiner Nachkommen weitervererbt. An diesem monarchischen Erbschaftssystem hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert.

Mein Name ist HOWLITH und ich bin einer der potentiellen Erben.

Gerne würde ich verzichten. Ich mag meine Rolle als Arzt, die ich mir selbst erwählt habe, und möchte sie nicht für die Pflicht aufgeben, unschlüssigen Individuen zu sagen, was sie zu tun haben, und ständig meine Kraft und Klugheit zu demonstrieren. Außerdem... ich mag jung sein, doch kann ich mich jetzt schon als glücklicher Familienvater bezeichnen. So, wie es jetzt ist, habe ich stets Zeit für meine Frau und meine Kinder... ich weiß, dass sich dies ändern würde, wenn ich in die Fußstapfen meines Vaters trete. So sehr er sich bemühte sich um seine Kinder zu kümmern, so wenig Zeit hatte er auch. Ich will so nicht enden.

Doch leider kann ich die Erbschaft nicht ausschlagen. Andernfalls würde der Steinbruch nicht mehr das sein, wofür er bekannt ist.

Obwohl mein Vater insgesamt dreizehn Kinder hat, so gibt es neben mir nur zwei weitere potenzielle Erben: Meinen älteren Bruder Jet und meine jüngere Schwester Beryl. Die beiden sind sich sehr ähnlich – stur, ehrgeizig, verbissen, selbstsicher, sarkastisch, exzentrisch... und zum Regieren nicht geeignet.

Und das ich behaupte nicht, weil ich unbedingt den Thron besteigen will, und beweisen möchte, was für einen schlechten Charakter sie haben. Schließlich liebe ich die beiden und zögere nicht meine eigenen Schwächen zu betonen, es gibt genug Punkte, die mich zu einem inkompetenten Herrscher machen. Ich würde lieber all ihre Stärken, als ich negativen Seiten hervorheben, damit sie eher den Titel bekommen als ich, da ich schließlich gar nicht der neue Stahlkönig werden möchte... wenn ich bloß nicht der Meinung wäre, Jet und Beryl könnten kein Volk regieren.

Auch wenn die beiden sich vom Wesen sehr ähnlich sind, so sind die Gründe ihrer Untauglichkeit unterschiedlich: Beryl ist physisch krank, Jet psychisch; Beryl will ich aus persönlichen Gründen abhalten, Jet zum Wohle des Allgemeinwesens.

Ich leugne nicht, dass Beryl die nötige Intelligenz hat die Pflichten des Stahlkönigs zu erfüllen, vermutlich wäre sie sogar unterfordert die belanglosen Fragen unschlüssiger Personen zu beantworten, die nur selten über „Was soll ich tun?“ hinausreichen. Ich bin mir sicher, ihre Entscheidungen würden klug und überlegt sein und stets Zufriedenheit hervorrufen. Ich leugne auch nicht, dass Beryl eine gute Kämpferin ist, eine Eigenschaft, die der Stahlkönig erfüllen muss, damit sich die Bewohner des Steinbruchs in labilen Zeiten sicher fühlen. Beryl ist nicht stark, darf es gar nicht sein, doch hat sie die Fähigkeit die Taktik des Gegners zu durchschauen und darauf ihre eigene aufzubauen, wobei sie die Schwachpunkte nützt und in wenigen Zügen den Gegner niederstreckt. Sie hat noch nie einen Kampf verloren. Selbst unser Vater konnte sie nicht besiegen. Ich bin mir sicher, dank ihrem strategischen Talent würden sich das Volk unter ihr wohler fühlen, als unter einem Stahlkönig, der nur Muskelkraft aufweist.

Doch was haben Intelligenz und Talent für einen Wert, wenn man beides eigentlich gar nicht einsetzen dürfte, und stets ein Sterberisiko besteht, wenn man sich nicht alle drei Stunden hinlegen darf um in vier Stunden Schlaf den Körper zu regenerieren?

Keiner hätte gedacht, dass Beryl überhaupt über das Kindesalter hinausreifen würde, denn eine bisher unbekannte, noch namenlose Krankheit zerfrisst ihren Körper. Zum Vergleich – unsere Spezies kann ein Gewicht von drei Tonnen heben, sich hundert Meter tief unter die Erde graben, ehe der Druck nicht mehr ausgehalten wird und ein Schlag unserer Faust kann Gestein zum zerbrechen bringen. Beryl kann nicht mehr als drei Kilo heben, ohne ins schwitzen kommen, zehn Kilo in ihren Armen enden in Bewusstlosigkeit. Ihre Knochen halten kaum Druck aus, sie kann nicht tiefer als drei Meter unter die Erde kriechen, sonst würde ihr Leib zu Staub zerfallen. Ein harter Aufprall führt zum Knochenbruch, schon eine zu feste Umarmung führt zu Blutergüssen. Schlägt sie gegen Stein, springen ihre Knochen aus den Gelenken. Sie blutet schneller, als andere Exemplare unserer Gattung. Deswegen übersteht Beryl auch keinen Kampf ohne Verletzung. Sie ermüdet sehr schnell, ist sie länger als fünf Stunden aktiv, bricht sie zusammen, auch wenn sie nur durch die Gegend spaziert.

Es ist wundervoll, dass sie nun bald ihren fünfundzwanzigsten Geburtstag feiern darf, doch ich will, dass sie noch älter wird. Dies wird nicht so sein, wenn sie ihren Körper nicht schont. Und das wird sie nicht können, wenn sie Stahlkönigin wird.

Die Aufgaben mögen schlicht sein, aber zeitraubend und schon allein die Tatsache, dass jedem Bürger zu jeder Stunde Audienz gewährt sein muss, kann sie mit ihrer Krankheit nicht ertragen. Doch ich weiß, sie würde es versuchen. Und sich übernehmen, wie es eben ihre Art ist. Und jener Stress, dem sie ständig ausgesetzt sein wird, wird ihr Todesurteil sein.

Leider ist Beryl nicht sehr einsichtig was ihren gesundheitlichen Zustand betrifft. Ich verstehe, dass sie nicht als Invalidin behandelt werden will, gäbe es niemanden, der sie von ihren waghalsigen Plänen abzubringen versucht, wäre sie schon längst tot. Ich bin der, der sich dieser Aufgabe angenommen hat. Einige Male habe ich sie schon von ihren verrückten Ideen, wie ihrer Wahnvorstellung sich bis zum Erdkern durchzugraben, abbringen können, doch genauso oft bin ich gescheitert. So konnte ich sie nicht abhalten gegen unseren Vater anzutreten. Und auch den Thron kann ich ihr nicht ausreden.

Doch ich muss zugeben, lieber sehe ich Beryl am Thron sterben, als Jet überhaupt als Stahlkönig.

Jet war lange Zeit mein Vorbild – selbstbewusst, stark, mutig, gerecht, ehrgeizig, dickköpfig, autoritär; was er wollte, bekam er auch. Er hat die seltsame Gabe aus dem Bauch heraus zu entscheiden und dabei immer die beste Lösung zu finden. Zwar meistens für sich selbst am Besten, doch waren die Entscheidungen ebenfalls für den Dritten passabel. Doch das alles änderte sich, als er einen Metallmantel fand.

Einen Metallmantel zu finden bedeutet nicht nur soziales Ansehen, sondern auch ein Wachstum der Kraft, eine Veränderung des Aussehens, eine Schärfung des Verstands, eine Weiterentwicklung – erst ab dem Tragen eines Metallmantels wird unsere Gattung „Stahlos“ genannt. Davor sind wir „nur“ Onix. Nie gab es einen gebürtigen Stahlos, selbst der Stahlkönig wird nicht als solcher geboren. Auch ist ein Onix mächtig, doch der Stahlos gilt als mächtiger.

Den meisten Erben des Stahlkönigs wird ein solcher Mantel erst mit der Thronübernahme übergeben, damit die Tradition erhalten bleibt. Dass Jet von selbst einen fand erhöht seine Chancen auf die Nachfolge. Leider. Denn seitdem er dieses Artefakt anlegte, ist er irgendwie... irre.

Seine Lösungen sind nicht mehr so passabel wie früher. Wenn die Möglichkeit zu Gewaltanwendung besteht, dann nutzt er sie auch. Er schreit nur mehr und kann anscheinend nicht mehr normal sprechen. Über die grausamsten Dinge lacht er, stets hat er ein zynisches Grinsen auf den Lippen. Sein kritisches Wesen endete im Größenwahn, er schwadroniert von Reformen des Systems und der Regierungsform im Steinbruch. Und schlussendlich behauptet er Dinge zu sehen, die jedem anderen Auge verwehrt bleiben.

All das zusammen ergibt Angst – will man wirklich einen Herrscher haben, den man fürchtet und nicht respektiert?

Und wozu würde seine Gewaltbereitschaft führen? Wahrscheinlich zu Krieg, Legalisierung des Mordes, den Wert eines Wesens würde er auf seine Kampfbereitschaft reduzieren. Und seine Fantasien von der Ordnung klingen wie eine grausame Diktatur des anarchischen Hedonismus, in der über jedes zögernde Individuum das Todesurteil gesprochen wird.

Das muss ich verhindern.

Sehe ich Jet als Stahlkönig, sehe ich den Steinbruch in einem Blutmeer untergehen. Sehe ich Beryl als Stahlkönigin, so sehe ich sie sterben. Beides will ich nicht.

Meine Name ist Howlith und ich bin ein potentieller Stahlkönig.



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