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Genau wie im Märchen

von

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Zum Schreiben dieser Geschichte hat mich Bela B. höchstpersönlich inspiriert.

„Farin ist für sein Alter noch ziemlich rüstig […], ansonsten ist er ‘n seelisches Wrack, mehr kann ich dazu nicht sagen.“ (Ärzte on Tour – Rockzone - MTV) Was auch immer er damit gemeint hat, ich hab einfach mal interpretiert…

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Farin sah auf seine großen, nackten Füße, die aus den Enden seiner Jeans ragten und zog sie in den Lichtkegel seiner Leselampe, als würden sie auf der Stelle abfrieren, wenn er sie weiterhin der Dunkelheit aussetzte.

Er hatte sich ein paar Notizen für sein Buch gemacht, sie durchgelesen, ordentlich alles Durchgestrichene wegradiert, sie auf Rechtschreib- und Grammatikfehler überprüft, keine gefunden und dann versucht, sie in andere Sprachen zu übersetzen, nur so um mal zu sehen, wie viel er noch konnte. Anschließend hatte er den Fernseher angestellt, zwei Minuten einer Gerichtsshow gesehen, den Fernseher gleich wieder ausgeschaltet (und sicherheitshalber den Stecker gleich gezogen, vielleicht war soviel Dummheit ja kabelübertragbar…), ein Buch genommen, bemerkt, dass er immer dieselbe Zeile las, dass er immer dieselbe Zeile las, dass er immer dieselbe Zeile las, und es schließlich aufgegeben.

Heute brachten ihn Worte nirgendwohin. Weder fremde noch seine eigenen. Farin seufzte frustriert und stellte sich vor, dass sich hinter den scharfen Grenzen seines Lichtkegels nicht seine Wohnung, sondern ein ganz anderes Land verbarg, vielleicht heiß und exotisch, vielleicht dunkel und kalt, aber voller versteckter Geheimnisse. Vielleicht laut und schmutzig, vielleicht hell und strahlend…

Doch die Bilder in seinem Kopf zerrissen mit dem Geräusch des Schlüssels im Schloss, der sich so dramatisch knirschend drehte, dass Farin augenblicklich wusste, wer es war (es konnte natürlich auch damit zusammenhängen, dass außer ihm nur einer seinen Wohnungsschlüssel besaß, aber Farin wollte lieber an seine umwerfenden Kombinationsfähigkeiten ob der Theatralik des Knirschens glauben). Im nächsten Moment fiel die Tür ins Schloss, und er wurde übergossen von einem Redeschwall.

„Haaallo, ich bin’s! ..Meine Fresse, was ist das hier so dunkel? Ist Jan nicht da? … Ah, doch. Was is’ los, warum ist hier so ‘ne Depristimmung? Weißt du, dass es hier arschkalt ist? Ach, du hast ja auch das Fenster auf. Es ist November, Jan, selbst in einem Kühlschrank ist es wärmer. Hörst du mir überhaupt zu?“

„Dir auch einen schönen guten Abend, Bela..“

Ehe Farin sich versah, hatte sein bester Freund das Fenster geschlossen und das Licht angemacht. Die fernen Länder waren wieder fern. Sein Kokon aus Licht war verschwunden. Bela wirbelte durch seine Wohnung, warf ihm quer durch sein Wohnzimmer ein paar warmer Socken an den Kopf, schimpfte ihn aus („Seit wann machst du bitte dein BETT, was sind das hier für ZUSTÄNDE?!“), stellte ohne mit der Wimper zu zucken Bier in Farins alkoholfreiem Kühlschrank kalt, und redete unterdessen ohne Unterlass.

„Ich übernachte heute bei dir, Alina lässt mich zuhause nämlich nicht mehr schlafen. Du kennst du noch Alina? Klein, blond, extrem viel Vorbau? Hab mit ihr Schluss gemacht – ich meine, bitte. Ich war mit ihr im Keller, ja, und zeig‘ ihr so ‘nen alten Kompass und sag ‚Guck, da ist Norden‘, und sie: ‚Jaaa, verarschen kann ich mich alleine, der hat hier doch gar keinen Empfang‘… Ich bitte dich! Jedenfalls ruft sie jetzt dauernd bei mir an, vorzugsweise nachts, wenn ich meinen Rausch ausschlafe, um mir zu sagen, dass ich ein Arschloch bin und es WOHL auf die Größe ankommt. Mein Anrufbeantworter hat schon den Geist aufgegeben deswegen! Übrigens, wusstest du, dass du nicht mehr zu erreichen bist?“

An seiner Stimme hörte Farin, dass Bela wusste, dass er die Akkus aus Telefon und Handy genommen hatte. Zwei Pizzen wanderten in den Ofen, eine mit Spinat (für Farin) und eine mit Gyros (für Bela). Farin fragte sich, was Gyros auf Pizza verloren hatte, und dachte dann, dass das eigentlich etwas sehr EU-Freundliches war …

„Lass uns heute Abend nochmal zocken“, beschloss der Drummer, wertete sein Schweigen als Zustimmung und erweckte den Fernseher wieder zum Leben, ohne den gezogenen Stecker zu kommentieren.

Farin sah stumm zu, wie Bela in seinen Schränken herumwühlte, auf der Suche nach seinem Lieblingsspiel, und dabei seine penible Ordnung völlig missachtete; beobachtete, wie er Kabel anschloss und mit gerunzelter Stirn kurzerhand einmal auf Farins Konsole schlug, als sie nicht sofort anging; wie er Gummibärchen in einer Schublade fand und ungeniert in sich hineinstopfte (natürlich ohne zu fragen).

Schließlich stand er vor ihm und drückte ihm einen Teller mit so-gerade-eben-noch-nicht-verbrannter Pizza in die Hände.

„Kommst du jetzt auf die Couch zum Zocken oder wartest du darauf, dass das Kabel vom Controller zu dir ‘rüberwächst?“

Farin lächelte.

Bela lächelte zurück.

Die fernen Länder waren immer noch fern.

Aber dafür war Bela hier, der ihn zu Tode quatschte, alles durcheinanderbrachte, Dreck hereintrug, nie um Erlaubnis bat und ihn mit trockener Pizza und dramatischen Schlüsseln heldenhaft aus seiner Einsamkeit errettete.
 

Widmung:Science again. xD



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2009-11-17T20:21:22+00:00 17.11.2009 21:21

>>bemerkt, dass er immer dieselbe Zeile las, dass er immer dieselbe Zeile las, dass er immer dieselbe Zeile las,<<


Haaach wunderprächtig ich schließe mich dem gequietsche an

*daumän ruff*
Von:  Science
2009-10-14T11:50:22+00:00 14.10.2009 13:50
Haydie! :D
xD Dankeschön nochmal.
Hab ich erwähnt, dass ich solche Darstellungen von Männerfreundschaften liebe? xD Dieses... Etwas unkommentiert Lassen.

> "[...] Übrigens, wusstest du, dass du nicht mehr zu erreichen bist?"
> An seiner Stimme hörte Farin, dass Bela wusste, dass er die Akkus aus Telefon und Handy genommen hatte.

Genau das. Das krieg ich nie hin. <.<
Dann natürlich die kabelübertragbare Dummheit, Bela, der dramatische Schlüssel, Bela, der empfangslose Kompass, Bela, die EU-freundliche Pizza, Bela, und nicht zuletzt (doch zuletzt!) das Ende. Hach. Herrlich.
Dass Dein Schreibstil anbetungswürdig ist und ich Minderwertigkeitskomplexe davon bekomme weißt Du ja, deshalb lassen wir das.

Kisses
Sciencie.

P.S.: Farin hat übrigens gar keinen Fernseher... :D
Von:  Pudel
2009-10-13T16:51:57+00:00 13.10.2009 18:51
Zwei mal gelesen...
Bzw. einmal vorgelesen bekommen (vom Geburtstagskind persönlich XD) und einmal selbst gelesen ;)
Zuerst einmal: du hast eine wirklich... hmmm... wie soll ich es beschreiben... anschauliche Stimmung geschaffen... ich kann es nicht benennnen aber die Story hat defenitiv Atmosspähre (*murmmel* was so manche Geschichte hier auf Mexx doch arg vermissen lassen *murmel* *hust*)
Zwei Sachen die mir jedoch sehr erheiternd im Gedächtnis geblieben sind und wo ich fast (XD) neidisch werden könnte das ich es nicht geschrieben habe...
"...des Schlüssels im Schloss, der sich so dramatisch knirschend drehte..."... ein dramatisches Türschloss... aus mir unbekannten Gründen mag ich es XD Ich möchte so eins bitte auch später haben... (am besten mit einem klangenden Seufzer wenn man die Klinke herunterdrückt XD)
"...dass er immer dieselbe Zeile las, dass er immer dieselbe Zeile las, dass er immer dieselbe Zeile las, und es schließlich aufgegeben."... OCD ist doch was schönes XD
Hmmm... Fazit? Wirklich schön geschrieben und würde sehr sehr gerne mehr von dir lesen ;)
Von: abgemeldet
2009-10-12T14:48:12+00:00 12.10.2009 16:48
<3 Das ist so klasse...~
Ich musste es wahrlich anquietschen. xD


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