- Felix -
2. Felix
Montag, 7:30 Uhr, Pausenhalle. Ja, ich hab meine Hausaufgaben vergessen – na ja, vergessen stimmt nicht so ganz, aber…
„Physik?“
Kopfschütteln.
„Chemie?“
„Nee…“
„Mathe.“ Äh, ja.
Ich stehe nicht gerne auf. Niemals.
Ich bin auch nicht immer pünktlich, aber die meisten Lehrer mögen mich. Wenn nicht, wäre das vermutlich ein Problem.
„Ach, komm schon!“ Es ist mittlerweile 7:45 Uhr und ich bettele meine Freundin Silence immer noch um Hausaufgaben an.
Wir haben Mathe in der ersten Stunde und die meisten Lehrer können mich nicht ausstehen – und richtig, dieser spezielle noch weniger als die anderen.
Es würde die Illusion der perfekten Tochter zerstören, käme es tatsächlich deshalb mal zu einer Beschwerde. Und das kann ich mir nicht leisten, meine Perfektion ist im Grunde mein einziger Schutz.
„Felix, wenn du nicht sofort die Klappe hältst, hau ich dir dein Matheheft um die Ohren.“ Silence kann so was ganz ruhig sagen und trotzdem ist eine Gänsehaut garantiert.
Das Genialste ist aber wohl die Tatsache, dass ihr zweiter Vorname ‚Mary’ lautet – wie die Mutter Jesu, das wohl reinste und bekanntlich unschuldigste Geschöpf, das die Geschichte kennt.
Silence Mary Hastings – sogar ihr Name trieft vor Sarkasmus.
Der blöde Wecker geht nicht aus und ich weiß, er steht nicht ohne Grund am anderen Ende des Zimmers.
Wenigstens macht sie ihrem ersten Vornamen alle Ehre und schweigt sich aus, während ich meine Taktik ändere. Es wird höchste Zeit, es ist jetzt 7:55 Uhr und wir betreten den – zum Glück – noch lehrerfreien Klassenraum.
Meine zweite Wahl fällt auf Luca, mein bester Kumpel – zumindest ist er das für mich. Das mit ihm ist nämlich etwas prekär.
„Woran liegt’s denn, dass du deine Hausaufgaben mal wieder ‚vergessen’ hast?“, fragt er mich, während ich dankbar sein Heft ergreife.
„Äh… na ja, weißt du-“ Das Matheheft wird mir unter der Nase weggezogen, bevor ich auch nur einen Blick auf die erste Lösung werfen kann.
„Den Ton kenn’ ich!“ Und schon geht’s wieder los. „Lass mich raten, Little Miss Sunshine brauchte mal wieder ‚ganz dringend’ deine Hilfe?!“
Luca kann Lina nicht ausstehen. Warum? Die Spekulationen überlass ich euch.
Ich dusche kalt, das ist gut für die Haut. Ich benutze eine Bodylotion für feine Poren, mit hohem Wasseranteil.
Gutes Aussehen kommt auf der Skala meines Vaters gleich nach guten Noten. Danach folgen perfekte Manieren und strikter Gehorsam ihm gegenüber.
Diese Liste existiert nicht wirklich.
„Luca, bitte! Die Hausaufgaben!“
„Vergiss es!“
„Ach, komm schon…“ Ich stütze mein Kinn auf meine Hand und blinzle ihn an.
„Mann, Feli, du bist’n echter Vollpfosten!“ Und schon hab ich das Heft zurück und sehe Silence aus dem Augenwinkel bloß den Kopf schütteln.
Eine solche Technik dürfte ich mir bei ihr nicht erlauben – und vermutlich auch bei niemandem sonst.
Aber die Erfahrung hat mich gelehrt, dass es diese Dinge sind, die ihm auffallen. Positiv.
Warum es nur bei Luca funktioniert, ist jetzt wohl klar. Aber verstehen tu ich das nicht. Ich bin nämlich absolut nichts Besonderes – ich sehe weder gut aus, noch bin ich in irgendwas besonders gut. Jedenfalls hab ich noch nichts gefunden.
Gerade will ich also endlich meine verdienten Hausaufgaben abschreiben, als mir das Heft ein weiteres Mal aus der Hand genommen wird. Dieses Mal allerdings ein ganzes Stück rabiater und aus einer anderen Richtung.
Während Herr Skunkstiefels – der heißt wirklich so! – Predigt an mir vorbei geht, sehe ich mich im Klassenzimmer um.
Lina ist noch nicht da. Es ist jetzt 8:05 Uhr.
Ich klopfe an die Tür des Klassenzimmers, atme kurz durch und setze mein charmantestes Lächeln auf. Es gibt keinen Ärger, nur eine halbherzige Mahnung, doch bitte nicht zu vergessen, dass das hier eine Schule sei.
Menschen sind so leicht zu manipulieren.
t.b.c.