- Geisterjagd
-
Mit der Laterne in der Hand
Jag ich den Schatten nach/
Mit dem Rücken zur Wand
Verbrenne ich das Dunkel/
Die Geister der Vergangenheit
Hetz ich in das Licht/
Eine Jagd nach Unsterblichkeit
Und nach freier Sicht/
Denn wer will schon sicher sein,
Wenn Abenteuer rufen?
Wer will im Dunkeln bleiben,
Wenn der Sonnenaufgang naht?
Ich verglüh' vor Sehnsucht
Sehne mich nach dem Licht/
Ich raste im Schatten
Doch bleiben werd ich nicht/
-
Für die Sehnsucht,
meine ständige Begleiterin.
- Auf der anderen Seite
Auf der anderen Seite der Gleise verläuft ein weiterer Bahnsteig.
Er sieht genauso aus wie jener, auf dem ich stehe und warte. Genauso grau in grau, genauso matschgrüne Pfeiler und genauso seltsam riechende Automaten.
Die Luft dort drüben ist ganz genau so trocken und kalt wie hier bei mir und doch gibt es einen entscheidenden Unterschied.
Denn ich warte nicht auf einen Zug.
Gleis 4 und 5 verlaufen parallel, getrennt von den Schienen, dazwischen das gleiche alte Häuschen aus Backstein, wie es auch zwischen Gleis 2 und 3 steht. Ich denke gerne darüber nach, wofür es wohl früher einmal genutzt wurde.
Die Passanten und Wartenden am Bahnhof erzählen stumm, mit lautstarken Stimmen, ihre Geschichten. Und mit stummen Stimmen, die aussprechen, was in ihren Gesichtern gemeißelt steht und an ihrer Kleidung klebt.
Mir wird kalt und ich ziehe die Ärmel meiner Jacke bis über meine Fingerkuppen, während in der verschmierten Dachkuppel die unverständliche Stimme einer Ansage widerhallt.
Doch die Menschen am Bahnhof sind langweilig; irgendwie sehen sie schon lange alle gleich aus. Mit einer Ausnahme, denn ich warte nicht auf einen Zug.
Auf Gleis 5 kauft ein Mädchen mit zuviel Farbe im Gesicht einen Kaffee. Ich frage mich, ob das wohl schmeckt.
Natürlich kann ich nicht erkennen, ob das Mädchen wirklich zu schrill aussieht. Ich rate, weiß es und weiß es auch nicht, denn die Menschen am Bahnhof sind langweilig.
Sehe ich nach rechts, sind dort diese lustigen Masten, die bestimmt einen wichtigen Eigennamen haben. Irgendwo weit hinten liegt etwas, das aussieht wie eine Fabrik; der Schriftzug interessiert mich nicht.
Ich starre gerne in diese Richtung und nicht in die andere. Links machen die Schienen eine Kurve.
Langsam zweifle ich, ob das Warten noch Sinn macht.
Denn ich warte nicht auf einen Zug.
Aber dann.
Ein Blick, unter dieser braunen Mütze hervor.
Ein Erkennen in diesen dunklen Augen.
Eine Haarsträhne, die sich vorwitzig kringelt und dem Gesicht etwas Schelmisches verleiht.
Dann bist du da und siehst zu mir herüber. Von Gleis 5 nach Gleis 4.
Und ich schaue zurück, erkenne dich, die Mütze, die Augen, die vorwitzige Haarsträhne.
Denn ich warte niemals nur auf einen Zug.
fin
- Müde
Ich bin müde. So unglaublich müde.
Doch schlafen hilft mir nicht, es reicht einfach nicht aus. Ganz egal, wie lange und wie tief ich schlafe – es reicht nicht mehr aus.
Denn ich bin müde. Vom Leben.
Die Müdigkeit des Alltags lastet träge auf meinen Schultern, doch sie ist nichts. Nichts im Vergleich zu dem Nebel, der mich wirklich müde macht. So unendlich müde.
Und erschöpft.
Leer und kalt. Schmerzen.
Mir tut alles weh und doch weiß ich, es ist nicht die Verspannung im Nacken, die mich quält.
Wie kann mich das Leben so erschöpfen, wenn ich es doch so sehr liebe?
Ja. Ich liebe das Leben, aber nicht meines. Nicht mein Leben.
Und doch ist alles in Ordnung, es geht mir doch gut. Ich habe eigentlich alles, eine Familie, Freunde, Perspektive. Und ich studiere, was ich studieren will. Und doch –
mein Leben liebe ich nicht.
Es ermüdet mich.
Ich liebe die Menschen darin, in meinem Leben. Ich liebe die Welt und hasse sie. Ich lebe und liebe es und doch – nicht das hier, nicht meines. Ich sehne mich nach mehr, da muss doch noch mehr sein!
Weil wir Menschen immer mehr wollen, als wir haben?
Oder weil ich weiß, dass da noch etwas anderes ist?
Etwas, das mir schon immer gefehlt hat, etwas, das ich mein Leben lang gesucht habe. Ich sehne mich nach etwas, ohne zu wissen, was es ist.
Sehnsucht. Und Müdigkeit. Und Liebe.
Zum Leben.
fin
- Morgens, halb zehn am Bahnhof
Morgens, halb zehn in... ähhh am Bahnhof
Der blöde Automat lacht mich an.
Mir fehlen ganze 10 Cent. Das ist ja wohl jetzt nicht sein Ernst, oder? Ich starre den Apparat an, als hätte er Schuld an meinem Dilemma. Mich trennen 10 CENT von einem rettenden Kaffee!
Der dämliche Automat lacht mich definitiv aus.
Ein scheißkalter Windstoß macht den letzten Rest von dem, was einmal eine Frisur gewesen ist, zunichte – und es fängt an zu regnen. Ich öffne meine Tasche nur routinemäßig, ich weiß ganz genau, wo mein Regenschirm ist – jedenfalls nicht hier.
Und zu allem Übel wartet ein elendig langatmiges Seminar auf mich. Mit einem Dozenten, der das Wort ‚Betonung’ vermutlich nicht einmal schreiben kann. Seine Vorlesungen gleichen einem Strom dahin kriechender Worte, die mit jedem Buchstaben mehr zu einer einheitlichen – nein, Moment, wie sagte mein neunmal kluger Kommilitone neulich? Genau, ‚homogen’. Die also mit jedem Buchstaben mehr zu einer homogenen Wortmasse werden.
Ich atme tief ein. Es stinkt. Nach Zigaretten, Metall, Abgas und diesem seltsamen Geruch, den die Snackautomaten hier am Bahnhof immer verströmen.
Haha.
Leben, du kannst die Leute hier wirklich nicht sehr gern haben!
Lässt mich einfach ohne Koffein auf meine Mitmenschen los, also echt.
Grinsend fahre ich mir mit der Hand durch die feuchten Haarsträhnen, ziehe die Kapuze über den Kopf und strecke dem Automaten die Zunge raus.
Wir sehen uns noch, Freundchen!
Ein Mädchen in Chucks zu schwarzen Strumpfhosen und einem blutroten Schal kommt mir vom anderen Ende des Bahnhofsvorplatzes entgegen. Ich wedele sinnfrei mit den Armen in der Gegend herum und hüpfe von einem pseudodekorativen Stein zum nächsten.
Das Mädchen lacht und zieht sich die Kapuze vom Kopf.
Fast hätte es das Gleichgewicht verloren, als ein Schuh auf dem glatten Marmor wegrutscht.
Doch ich fange mich rechtzeitig und lande mehr oder weniger elegant auf meinen Füßen. Das Mädchen tut es mir gleich und ich zeige meinem Spiegelbild in der Fensterscheibe des Cafés ein Peacezeichen.
Der Gast auf der anderen Seite des Glases glotzt mich perplex an. Er sieht aus wie die fette kleine Stoffschildkröte auf meinem Fernseher und das Mädchen mit dem roten Schal wirft ihm lachend eine Kusshand zu.
Es ist halb zehn.
fin
- Für ihn
Achtung, Shounen-ai-Alarm! X3
Für ihn.
Er sagt, er liebt den Menschen, die Person, die ich bin.
Und er sagt, er sei nun mal hetero.
Er sagt, er liebt mich, doch er würde nun mal auf Frauen stehen.
Er sagt, dass er mit mir zusammen sein will, doch dass er mich niemals auf diese Weise anziehend finden könnte.
Weil er auf Frauen steht. Und ich keine bin.
Aber heißt das nicht, dass er mich gar nicht wirklich liebt?
Bedeutet das, er macht mir - uns - nur etwas vor?
Denn wenn er mich wirklich lieben würde, wäre es ihm dann nicht egal, dass ich genauso Kerl bin wie er? Kann man das überhaupt so unterscheiden, wie er es tut?
Und doch wünsche ich mir so sehr, kein Mann mehr zu sein, sehne mich danach, das zu sein, was er will. Ob er mir nun etwas vor macht oder nicht.
Nein, ich will kein Mädchen sein.
Aber ich will in einer Welt existieren, in der es diese Unterscheidung nicht mehr gibt. In einer Welt, in der es keine Rolle spielt und man nicht an seinen Körper gebunden ist.
Dort will ich sein. Mit ihm. Für ihn.
Damit er wirklich mich lieben kann, den Menschen, die Person, das Wesen, das ich bin.
fin
- Aus dem Zug gestarrt
Das Leben als ein Geschenk zu bezeichnen, wäre eine maßlose Untertreibung. Vielleicht auch eine Beschönigung.
Das Leben ist eine Gabe.
Eine Gabe, die es – wie die meisten ihrer Art – uns selbst überlässt, ob wir sie nutzen. Denn jene Gabe, Leben, ist gleichermaßen ein Fluch, der durchaus in der Lage ist, uns in gehorsame Existenz zu verbannen.
Ein Fluch, der wie ein Gegengift zur bitteren Medizin des Lebens wirkt.
Für wahr, manch einer mag diese taube Vegetation durch die Zeit für angenehmer empfinden, als eine Gabe zu nutzen, die ihm doch immer Leid bescheren wird. Doch Taubheit hat ihren Preis.
Der Fluch der leblosen Existenz betäubt nicht nur den Schmerz der Medizin Leben – er macht uns auch blind für all die Wunder, die wir erst lebendig zu sehen imstande sind.
fin
Übrigens ein Ausschnitt meiner Gedankenflash-Sammlung für das Jahr 2010. Letztes Jahr entstand diese:http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/214150/207270/
- Kamikaze
Kamikaze
(April 2010)
Wie friedlich alles aus der Entfernung aussieht, wie wunderschön die Welt ist, solang man ihr nicht zu nahe kommt.
Fast wie die Maskerade, die ich mein Ich nenne. Aus der Entfernung gelassen, voller Liebe zum Leben, aus der Nähe zerrissen, hohle Leere und noch immer auf der Suche. Welch Ironie.
Doch spielt das wirklich eine Rolle?
Ist denn nicht der Mut, es zu versuchen, schon genug? Weniger noch: Die störend sture Hoffnung.
Ich kann gar nicht aufgeben.
Das weiß ich, denn ich habe es mehr als einmal versucht. Habe versucht, die Hoffnung gehen zu lassen, um den unausweichlichen Schmerz der Enttäuschung abzuwenden. Man sollte meinen, dass die Menschen wenigstens über ihre letzte Triebfeder, die Hoffnung, frei verfügen.
Doch seien wir mal ehrlich: Wäre das der Fall, wäre das Projekt "Mensch" von Anfang an zum Scheitern verdammt gewesen.
Doch halt.
Ich vergaß: Wir scheitern zweifellos.
Es ist doch faszinierend, wie wir heute mit dem Gedanken aufwachsen, die Art "Mensch" sei in nicht allzu ferner Zukunft zum Tode verurteilt. Und jetzt stelle man sich vor, wir verfügten frei über jene letzte Triebfeder.
Hoffnung.
Wie verzweifelt – zweifellos – muss man sein, um sie aufgeben zu wollen? Ist es nicht auch völlig sinnlos, seinen Antrieb, seinen Grund aufgeben zu wollen, wenn doch sowieso das Scheitern unabwendbar ist?
Dann kann ich auch weitermachen.
Weitermachen und soviel leben und leiden wie möglich. Ich will keinen Schmerz verpassen, kein Leid auslassen, denn... auf den Schmerz folgt stets die Erleichterung, die mir erneut Hoffnung gibt.
Und mir ist egal, ob dieser Grund, Hoffnung, einen Sinn verfolgt oder ob er mit den Menschen untergehen wird. Denn nicht nur aus der Ferne kann ich Frieden finden. Nein, er ist in jedem Licht, in jedem Lächeln, in jeder Wärme, die uns Hoffnung schenkt.
Kamikaze-Unternehmen Hoffnung, ich verschreibe mich dir.
fin
Ein weiterer Ausschnitt meiner Gedankenflash-Sammlung für das Jahr 2010. Letztes Jahr entstand diese:http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/214150/207270/
- Es war einmal
Ein Junge zählt die Fliesen, ein Junge schaut zur Decke.
Ein Junge, keine zwölf Jahre alt, errechnet eine 64.
Es war einmal jener Junge. Es war einmal er. Und zwar immer nur er, denn er war allein. Allein in einem großen Saal, allein in einem Raum voller Fliesen. Weiße Fliesen rundherum, weiße Fliesen über und unter ihm. 64 an der Decke.
Es war einmal ein Tag. Es war einmal jener Tag. Jener Tag, an dem er merkte, dass es immer nur er sein würde. Er allein in einem Raum voller Fliesen, weiße Fliesen. 64 an der Decke.
Und eine Tür am Ende des Saals.
Es war der Tag, an dem er erkannte, dass es immer nur er sein würde, wenn er stehenblieb. Er allein. Mit Fliesen, weißen Fliesen. In einem Saal ohne Fenster, aber mit einer Tür an seinem Ende.
Acht Fliesen längs, acht Fliesen quer. Zähl die Schritte, zähl die Fliesen, geh auf die Tür zu und es wird einmal sein. Es wird einmal der Tag sein, an dem du die Tür erreichst. 64 Fliesen an der Decke, 64 unter deinen Füßen. Mit einer Tür am Ende des Saals, eine Tür, hinter der es nicht mehr nur der Junge sein wird.
Es kommt einmal der Tag. Es kommt einmal jener Tag. Jener Tag, an dem du merkst, dass es nicht immer nur du sein wird. Du allein in einem Raum voller Fliesen, weiße Fliesen. 64 an der Decke.
Und eine Tür am Ende des Saals.
Geh hindurch.
fin
- Such mich, wenn du kannst!
Such mich, wenn du kannst! Find mich, wenn du kannst.
(April 2012)
Ein Schlüssel zur Tür in den gestreiften Wahnsinn, Schritte in eine Welt kranker als jede Medizin. Vielleicht hätte ich dir nie den verbotenen Weg auf die verschlüsselten Pfade zeigen dürfen.
Ist es zu laut?
Der Gang in diesen regenbogen-gepunkteten Irrsinn, er erfordert mehr als deinen Mut.
Ist es zu leise?
Sag mir, dass die rauchenden Raupen nicht deinen Geist verwirrt, die grinsenden Katzen nicht dein Licht gestohlen haben.
Ich weiß. Du verfluchst schon lange den Schlüssel, den das neblig lachende Mädchen dir gab. Du hast dich täuschen lassen von der Sonne in ihren Augen.
Tut es weh?
Kein Wind wird dir deuten, wie weit du noch zu irren hast, ein staubtrockener Regen an deiner Seite berührt grienend deine Schulter. Verschlüsselte Pfade schließen einander nicht aus und keine Karte wird dir ein Ziel versprechen.
Gehst du weiter?
Hinter dir gestreifter Wahnsinn, der mit regenbogen-gepunktetem Irrsinn neblig lacht. Die Raupen raunen, du kannst nicht mehr zurück.
Dein Kopf stand zu Gericht schon beim ersten Schritt.
fin