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Wings 2

von

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Miracle Day

Die Erde begann unter meinen Füßen zu beben. In ganz Japan würde man sich jetzt wohl in Sicherheit begeben. Würde überhaupt jemand diese riesige Wellen sehen, die ich sah? Meterhoch türmte sie sich bereits am Horizont auf. Für menschliche Augen war sie vielleicht gar nicht sichtbar. Konnte man überhaupt bemerken, dass der Horizont viel weiter oben anfing als normalerweise? Ich presste das Buch fester an mich und richtete meinen Blick wieder auf Tian.

„Was würde Sky dazu sagen?“

„Was schert es mich, was dieser Wicht denkt? Seine Zeit ist vorüber und er hat nicht mehr zu entscheiden! So einfach ist das.“

„Als ob es so einfach wäre. Er ist in dir...“ Ich stellte mich seitwärts und zeigte mit dem linken Zeigefinger auf den Geflügelten. „Irgendwann wird er sich an dir rächen.“

Tian lachte schallend auf. „Natürlich... gleich nachdem er sich wieder ein unbegabtes Menschenmädchen geangelt hat!“ Seine Stimme vor voller Hohn. „Es bringt nichts, „gut“ zu sein, denn die verlieren in Sachen Macht immer.“

„Mikan war nicht schwach und schon gar nicht unbegabt. Sky hat nur erkannt, welche Stärke wirklich in ihr lag! Und wenn die Guten doch immer verlieren, wie kommt es dann, dass die Welt noch immer nicht unter gegangen ist?“

Nun war es wieder still. Tian senkte leicht den Kopf und sah mich mit zu Schlitzen verengten Augen an. Ich sollte vielleicht aufhören ihn auch zu provozieren, wenn ich keine Ahnung hatte, wie ich ihn aufhalten, geschweige denn besiegen wollte.

„Lassen wir das...“ Seine Stimme jagte mir eiskalte Schauer über den Rücken. Instinktiv drückte ich das in Leder gebundene Buch noch enger an mich. „Gib es mir und vielleicht schafft es die Priesterin dich zu retten.“

Vielleicht, vielleicht aber auch nicht, dachte ich im Stillen. Mein Schweigen sprach Bände. Ich würde ihm dieses heilige Relikt niemals überlassen. In ihm stand, was er benötigte, um den Tempel, der vor mir unter der wilden See schlummerte, anzuzapfen und seine Macht gegen die Menschheit zu richten. Ein paar Sätze aus diesen alten Zeilen hatten schon gereicht, um mir Tians eigentliches Ziel zu erklären. Und dennoch, da war noch mehr.

„Nun komm schon... bisher hat mein Plan doch auch funktioniert...“ Seine Stimme klang so ruhig. Er war sich seiner Sache so verdammt sicher, dass es mich nur noch wütender machte. Als ich schließlich in vollem Umfang begriff was er meinte, brachte es das Fass zum überlaufen.

Nicht nur, dass er mich benutzt und hintergangen hatte, nein, er hatte gewollt, dass wir hierher kamen. Er hatte diese alte Magie geschickt, die meine Freundinnen befallen hatte damit wir ihr bis hierher folgen konnten. Er hatte uns kleine Krummen hinterlegt, die wir bereit willig aufgepickt hatten. Nur ich und der Stern konnten die Bannkreise aktivieren, um Energie in den versunkenen Tempel zu laden. Natürlich, so musste es sein. Warum hatte man mir nicht früher schon dieses Wissen dargelegt? Vorsichtig horchte ich in mir hinein.

„Es ist nicht ihre Schuld, Mammi!“ Ein kleiner Aufschrei, direkt aus mir heraus, und meine Wut verpuffte.

„Genug gespielt, jetzt mache ich Ernst. Ich warne dich nur noch einmal: Übergib mir freiwillig das Buch, oder ich hole es mir aus deinen kalten Händen!“ Tian war bereits in Kampfstellung gegangen und hatte alle Muskeln angespannt, die er hatte. „Was ist denn jetzt? Was soll dieser Blick?!“ Er klang ungehalten.

Aber hatte er es denn nicht gehört? Die ungeschützte Magie hätte er doch hören müssen. Oh bitte, Leute, tut nicht so, als ob ihr nichts begreifen würdet. Wie soll ein Ungeborenes bitte mit seiner Mutter reden, wenn nicht mit Magie?

Ich hatte keine weitere Sekunde, um darüber nachzudenken, als Tian seine erste Feuerkugel, so groß wie ein Auto auf mich schleuderte. Schützend hob ich die Hand und schloss die Augen. Wie würde es wohl sein am lebendigen Leib zu verbrennen? Ich konnte es mir beileibe nicht vorstellen. Doch es geschah nichts. Nur heftiger Wind kam auf und mein Haar flog zurück. Blinzelnd öffnete ich die Augen. Die Kugel löste sich vor meiner ausgestreckten Hand bereits wieder in Luft auf.

„Wie...?“

„Das darf doch nicht wahr sein“, zischte Tian ärgerlich. Hatte er sich seinen Sieg wohl etwas leichter vorgestellt? Oh, der Arme!

Nun war ich diejenige, die ihre Augen zu Schlitzen verengte. Ich würde kämpfen. Für meine Freunde, für mein Kind, für die Menschen, die da mal waren, derzeit sind und noch kommen mögen. Und, ja, ich wollte für mich kämpfen! Für die vielen Stunden mit meinem Sohn, für die Rache an Herrn Won, für viele weitere sonnige Tage und Spaß. Auch für Trauer und Tränen, denn ohne geht es nicht.

Das Erdbeben war mittlerweile stärker geworden. Meine Hand ballte sich zur Faust und sauste schließlich herab. Schmerzen durchzuckten meinen Körper, doch die Magie schoss bereitwillig durch mich hindurch und in den Sand hinein. Sofort wanderte etwas schmales unter der Düne entlang und blitzschnell auf Tian zu, der verblüfft nur zusehen konnte, wie der Sand direkt unter ihm auseinander stob und Gesteinsbrocken von unten gegen ihn flogen. Schnell stand ich wieder auf. Das war ja voll der Wahnsinn!

Doch was war aus Tian geworden? Mit gemischten Gefühlen sah ich zu dem Staubwirbel hinüber, aus dem sich der ehemalige Mann meiner Träume ohne einen Kratzer hervor schälte. „Aber, aber, meine Liebe, verhält sich so eine ergebene Geliebte?“

Wütend presste ich die Lippen aufeinander um bloß nichts darauf zu erwidern. Ich fing gerade erst an!

Über ihm erschienen vier weitere Feuerbälle, die sich mich als Ziel ausgesucht hatten. Als würde ich jemandem ein paar Ohrfeigen verpassen, lies ich meine Hand durch die Luft schnellen, um die Geschosse noch vor dem Aufprall in neue Bahnen zu lenken. So hatte Tian genügend Zeit um sich eine neue Position für seinen nächsten Angriff zu suchen. Der Beste war zweifelsohne hinter mir. Seine Magie traf mich hart im Rücken und warf mich zu Boden. Es war aber keine Feuerkugel gewesen, die mir die Haut versenkte. Es hatte sich wie ein glatter Gesteinsbrocken angefühlt. Woher ich genau wusste, dass es keiner gewesen war, wusste ich nicht. Irgendwas an der Sache war merkwürdig. Ich spuckte den Sand aus meinem Mund und sah ohne aufzustehen hinter mich. Tian hielt eine Hand mit der Innenfläche locker nach oben. Etwas tanzte darauf. Es sah aus wie ein Tornado in Miniaturform. Wind, natürlich, wenn ich ihn benutzen konnte, konnte er es auch. Dieses Mal empfand ich es eher als ärgerlich, dass der Mann mehr Erfahrung hatte.

Der Geflügelte holte bereits zum nächsten Schlag aus, als ich wieder Magie durch den Boden sendete. Dieses Mal tiefer, damit man sie nicht sehen konnte und in anderer Form. Leider blieb mir so keine Zeit mehr um ihm auszuweichen. Doch die Schmerzen waren nur der Lohn, um seine überraschten Schmerzensschreie zu hören, die er durch das flüssige Lavagestein ausstieß, welches direkt unter seinen Füßen hervor schoss. Schnell stand ich wieder auf und beobachtete, was Tian als nächstes tun würde. Seine Flügel hatten Federn lassen müssen, genügend, wie ich feststellte. Für einen Flug hätte er erst wieder Magie aufwenden müssen, die mir einen entscheidenden Zeitvorteil verschafft hätte. So blieb er also erst einmal an die Erde gebunden, die ich sehr gerne als Waffe benutze. Dennoch war mir in diesem Moment nicht bewusst, dass er immernoch viel schneller war als ich.
 

Keuchend rannte Lilli den ganzen Weg zurück. Es war ja gut und schön, dass sie jetzt eine besondere Macht besaß, doch mehr als dem Wissen über Gift, war ihr bisher nicht aufgefallen. Warum nur hatte man ihr nicht irgendwas zur Fortbewegung gleich mitgeben können? Hätte sie gewusst, dass Corinne gleich hinter ihr war, jedoch ebenfalls nicht für Langstreckenrennen ausgelegt war, dann wäre das Ganze vielleicht erträglicher gewesen. Als die Blondhaarige sie dennoch schließlich einholte und ihren Namen rief, blieb Lilli für einen Moment stehen und sog begierig die Luft ein, die durch das anhaltende Erdbeben mit Staub und Dreck gefüllt war.

„Corinne“, japste sie und staunte nicht schlecht, als sie das Geschirr aus Leder an ihrer zierlichen Freundin sah. Jetzt fragte sie sich nur noch mehr, warum gerade sie etwas bekommen hatte, das man jemandem einflößen musste, um es zur Waffe werden zu lassen.

„Das darf doch alles nicht wahr sein“, langsam verzweifelte Lilli wirklich. Plötzlich hörte sie eine leise Stimme hinter sich. Gemeinsam hoben die beiden Frauen den Kopf und sahen zu Evelyn zurück, die rennend auf sie zukam, den Speer hoch in die Luft gestreckt.

„Ich hab's geschafft!“

Während die Hexe die Distanzwaffe ansah und es ihr endgültig den Rest gab, überlegte sie schon, wer ihre Wut unverdienterweise zu spüren bekommen würde.

„Kruzifix!“

„Nein, das ist ein Speer.“
 

Auch der nächste Schlag traf mich heftig. Blut rann mir an den Armen und Beinen hinunter. Egal wie oft ich ihn verletzte, ich bekam es immer doppelt zurück. Nicht nur, dass die Schmerzen immer größer wurden, nein, meine Magie kostete mich extrem viel Kraft. Eine sorgenvolle Stimme innerhalb meines Körpers rief immer wieder meinen Kosenamen. Ich versuchte Hoffnung und Zuversicht auszustrahlen, doch mit jeder Attacke schwand meine Macht und Tian gewann immer weiter die Oberhand. Als ich schließlich durch Zufall entdeckt hatte, wie man einen Bannkreis aufbaut, um sich zu schützen, war es bereits zu spät. Ich konnte nur noch meine letzte Kraft in diese Magie investieren und versuchen die Zeit zu überbrücken, bis mir jemand zu Hilfe kam. Aber wer sollte denn kommen? Selbst wenn Corinne und die anderen kamen, was sollten sie schon groß ausrichten können? Sie konnten Tian wohl kaum mit ihrem Make Up bewerfen und hoffen, dass er an dem Puder erstickte. Dennoch lies ich den Schild nicht herunter, ich kämpfte trotzdem. Komisch, vom Fernseher aus, sahen diese Kämpfe irgendwie leichter aus.

Da brach er! Meine Magie fiel in kleinen Splittern herunter und glitzerte im letzten Schein der Sonne. Der nächste Angriff von Tian war bereits nah. In wirklich allerletzter Sekunde sprang ich zur Seite und rollte mich hinter einen kleinen Felsen, der mich sitzend gerade so verbarg. Ein paar wilde Geschosse flogen nur knapp an mir vorbei. Schließlich war es nur eine Frage der Zeit, bis er genau die Mitte des Steines traf und diesen mit aller Macht sprengte. Ich flog nach vorn, spürte weitere Schmerzen im Rücken und landete ungeschickt auf der Seite, als ich mich drehte, um mein Kind vor dem Aufprall zu schützen.

Mein Haar stand zu allen Richtungen ab und klebte mir schweißnass im Gesicht. Der Sand und das Salz brannten in meinen Wunden und ließen die Schmerzen nur noch mehr zur Hölle auf Erden werden. Zitternd drehte ich mich herum. Blut floss in meine Augen und nahm mir die Sicht.
 

„Yara!“ Ein Name und doch so viele Stimmen, die sich für mich verbündeten. Ich blinzelte und erkannte schließlich meine Freundinnen, die sich bereitwillig zwischen mich und Tian stellten.

„Ist denn hier irgendwo ein Nest?“

Als hätte er nicht gewusst, dass der Stern hier war. Er entpuppte sich immer mehr zum kompletten Arschloch. Hatte es sich also doch wieder bestätigt: Yara gelangt immer nur an komplette Idioten!

Corinne zog ruhig ihre kleinen Schwerter und fixierte ihren Gegner ruhig. Auch Eveleyn ergriff den Schaft ihres Speeres jetzt ebenfalls mit der anderen Hand und Lilli zückte zwei kleine Fläschchen, die sie zwischen drei Fingern einer Hand hielt und die erste mit den Zähnen entkorkte.

„Lass uns spielen...“ Ihre Stimme klang anders, aber es war unverkennbar meine Freundin, die sprach. Sie alle waren gewachsen, nicht nur an den Aufgaben, die ihnen gestellt worden waren. Nein, das Wissen aus alter Zeit hatte sie reifen lassen. Genau wie mich.

Dann sprangen sie vor und auf Tian zu. Vielleicht erwartete man ein unbedachtes drauf losschlagen, aber diese Frauen hatten einen gewissen Vorteil. Auch wenn ihre Körper nicht an die Strapazen des Kämpfens gewöhnt waren, so hatten sie immer noch den Taktikvorteil. Immerhin hatten sie alle schon einmal gemeinsam gekämpft, nicht nur einmal. So teilten sie sich auf und attackierten Tian von allen Seiten, um ihn von mir fern zu halten und einen Moment der Pause zu gönnen. Woran ich letzteres erkannte? Sie griffen nicht alle auf einmal an, sondern versuchten Zeit zu gewinnen.

Keuchend rappelte ich mich auf. Ich sendete eine 'Alles in Ordnung?' in mich hinein und lauschte. Ein warmes Gefühl kam wie als Echo zurück. Das hieß wohl ja. Nun konzentrierte ich mich wieder auf die eigentliche Aufgabe. Was konnte ich tun? Mir gingen die Ideen für Attacken aus, die Tian überraschen könnten. Ich hörte wie Waffen aufeinander schlugen, hörte die Schreie und schmeckte mein eigenes Blut. Mit dem Ärmel meiner freien Hand wischte ich mir über das Gesicht. Mein Blick blieb an dem Buch hängen. Hastig öffnete ich es und blätterte darin herum. Es musste doch einen Weg geben, wie wir ihn bannen konnten!

„Yara!“ Lilli warf sich hart gegen mich und brachte mich aus der Schusslinie. Sie selbst traf der magische Blitz mit all seiner Kraft. Ihr Körper zuckte, ehe sie schließlich auf die Knie sank und weiter zitterte.

„Lilli!“ Ich schrie, noch ehe ich es bemerkt hatte. Evelyn sah zurück, um zu sehen, was geschehen war und wurde so ebenfalls unvorbereitet von Tians Energie getroffen. Nur Corinne war nun noch übrig. Mit Tränen in den Augen schallt ich mich selbst. Ich machte alles nur noch schlimmer. Hätte ich nicht geschrien, wäre Evelyn unverletzt geblieben. Und hätte ich besser aufgepasst, hätte es nicht Lilli getroffen! Innerlich zerriss es mich selbst.

„Was soll denn das?! Verdammt, Leute, Yara verlässt sich auf uns! Steht sofort wieder auf!!!“ Die kleine Corinne, ihre harte Stimme straffte ihrer Körpergröße Lügen.

Mit weit aufgerissenen Augen sah ich zu ihr hin. Auch Tian hielt einen Moment inne, um dieses sinnlose Schauspiel zu bewundern. Er amüsierte sich scheinbar köstlich.

„Keine Sorge, Yara...“ Die leise Stimme war fast nicht zu hören. „Wir beschützen dich...“ Dieses Mal kamen die Worte von der rechten Seite. „... so, wie du uns immer beschützt hast!“ Hinter den Steinen kam Evelyn zum Vorschein. Sie hatte schon vor dem Kampf ausgesehen, wie ein schweizer Käse und nun sah sie nur noch schlimmer aus. Mein Blick wanderte umher. Auch die anderen sahen gebeutelt aus. Lillis schönes Kleid war zerissen und sogar auf dem schwarzen Stoff konnte man die dunklen Blutflecken sehen.

„Wir halten ihn schon in Schach!“ Die schwarzhaarige Frau hatte sich wieder aufgerappelt und zog erneut eine Flasche aus ihrem Gürtel, dessen Inhalt das feurige rot von Mohnblüten innehielt. Mit einem Grinsen löste Lilli den Korken und nickte Corinne unbemerkt zu. Diese sprang schnell vor und lenkte Tians Aufmerksamkeit erneut auf sich. Lilli hingegen rannte näher heran, machte aber einen kleinen Bogen um den Geflügelten. Mit einer Feuerkugel in Corinnes Magen warf er die Angreiferin schließlich zurück und drehte sich siegessicher Lilli zu, die nun hinter ihm stand und das Fläschchen, schon eine Weile etwas entfernt von sich hielt. Gerade als er auf sie zuspringen wollte, stoppte er. Seine Glieder begannen zu zittern und sein Blick verschwamm. Was war los?

„Wirklich schade, meine Rache hätte fürchterlich ausgesehen!“ Ich verstand kein Wort. Wie hätte ich auch ahnen können, dass Lilli mehr als froh darüber war, dass man einige Mischungen nicht trinken musste, um zu sterben?
 

Ich riss mich nur widerwillig von dem Anblick los. Tian hatte sichtlich Mühe zu stehen, geschweige denn Magie zu wirken. Dennoch, auch wenn sie ihn geschwächt hatten, sie mussten weiter drauf halten. Während der Kampf weiter ging, die Erde immer stärker bebte und die Welle nun gefährlich nah war, kroch ich auf Händen und Knien zu dem Buch zurück, welches mir bei dem Stoß aus der Hand gefallen war und blätterte weiter. In Gedanken war ich bei meinen Freundinnen und dennoch verließ ich mich darauf, dass sie mir genug Zeit verschaffen konnten, bis ich gefunden hatte, was ich brauchte. Meine Augen überflogen die Zeilen und hielten plötzlich an. Da war sie, die Information, die ich brauchte!

„Haltet durch!“ Ich rief so laut ich konnte und rappelte mich mit dem Buch erneut auf dem Arm wieder hoch. Der Weg zurück zum Souvernir-Tempel dauerte viel länger als der Weg zu der kleinen Hütte. Ich bemühte mich nach Kräften nicht zu fallen und dennoch so schnell zu rennen, wie mich meine Füße tragen konnten. Keuchend stieg ich die Stufen hinauf. Meine Kehle war wie zugeschnürrt. Der Wind, wohl ein Weltuntergangssymptom, warf meine Haare wirsch hin und her. Oben angekommen konnte ich endlich das volle Ausmaß des Erdbebens erkennen, welches immer noch anhielt. Überall hatten sich Erdspalten geöffnet. In meinen Ohren sauste der Wind, doch in meinem Blick stand verblüfft ein Anour. Was tat dieser Dummkopf hier?

„Was tust du hier?“

„Ich bin zurück gekommen, weil mir das alles merkwürdig vorkam! Aber im Tempel seid ihr alle nicht gewesen!“ Es dauerte diese Worte und noch einen Moment, bis der junge Mann den gesamten Ausmaß meines geschundenen Körpers erfasst hatte. Er holte bereits Luft, um seine Verwunderung laut und nicht minder sauer in Worte zu fassen. Doch ich kam ihm zuvor.

„Anour! Du musst mir jetzt vertrauen! Bring dich in Sicherheit und warte bis das Erdbeben vorbei ist!“ Obwohl ich versucht hatte normal zu klingen, hatte meine Stimme doch zwischen Sicherheit und Erdbeben an Lautstärke gewonnen. Vielleicht war es aber auch nur der Wind....

Anour wollte heftig protestieren und streckte die Hände nach mir aus. Hastig wich ich zurück. „Das ist mein Ernst“, schrie ich ihn an und schlug seine Hände, die immer noch nach mir verlangten, weg. Verwundert sah er mich an und musterte meine Augen, die ihm stur entgegen blickten.

„Ich weiß nicht, was hier vor geht. Aber ich gebe dir zehn Minuten, dann komme ich dich holen!“

„Baka!“ Hastig drängelte ich mich an ihm vorbei und rannte weiter zum Eingang des Tempels. Aber obwohl ich ihn einen Idioten genannt hatte, ließen seine Worte mein Herz höher schlagen. Unwirsch schüttelte ich den Kopf und drängte diese Gedanken erst einmal beiseite.
 

Ich war wohl ein seltsamer Anblick, als ich die hohen Türen des Souvenir-Heiligtums mit viel zu viel Kraft öffnete und blutüberströmt im Eingang stand. Nur eine Sekunde schnappte ich nach Luft und rannte dann auf die Treppen zu. Die Mitarbeiter starrten mich mit offenen Mündern an. Einige fingen sich für meinen Geschmack viel zu schnell und versuchten mich aufzuhalten. Ich schrie ihnen etwas auf japanisch entgegen, was wohl soviel hieß wie, dass sie mich durchlassen sollten. Dann ging ein heftiger Ruck durch die alten Gemäuer des Tempels und die Scheiben des Erdgeschosses zersprangen. Dahinter konnte ich kurz noch Tian sehen, ehe ich schützend meine Arme hob. Diese kleine Ablenkung half mir mich zu befreien und weiter zu rennen. Die Mitarbeiter schrien wild durch die Gegend. Einige gerieten in Panik. Andere gaben Anweisungen und hielten inne, als sie den Mann sahen, der mit weiten Flügeln ein Stockwerk weiter hinauf flog und dort wieder eine Attacke durch die Scheiben fliegen lies, um mich zu erwischen. Außer dem Sturm, der draußen tobte und das Klirren des Glases, war es für einen Moment still. Wenn man genau hinhörte, konnte man mein Schnaufen vernehmen.

Die Stufen waren eine schier endlose Qual. Noch hinzu kamen die zusätzlichen Schnittwunden und das Glas in meiner Haut. Doch meine Sinne waren schon lange nicht mehr auf solche Kleinigkeiten aus. Viel mehr bemühten sie sich gemeinsam mich gänzlich in die Knie zu zwingen. Meine Sicht wurde immer schlechter und mein Wille reichte fast nicht mehr aus um auch nur noch einen Schritt zu tun. Doch dann war ich dort, wo ich sein musste. Ich rannte auf das Gemälde zu, legte Magie um meine freie rechte Hand und streckte sie vor. Zuerst waren es meine Fingerspitzen und schließlich fast mein ganzer Arm, der in dem Bild mit der Priesterin verschwand.
 

Dieser verfluchte Mistkerl von einem Kellner. Da hatte er einen Moment nur so getan, als würde er zusammen brechen und sie in Sicherheit gewogen und schon hatte er seine Flügel stückchenweise mit Magie geheilt. Nun flog er weit über ihren Köpfen und versuchte Yara das Leben schwer zu machen. Evelyn kam schnaufend die Stufen hinauf gerannt, die hinunter zur Küste führten und sah nach oben. Aber sie hatte schon einen Plan. Sie rief Corinnes Namen so laut ihre Stimme es noch konnte und war sich sicher, dass die kleine Kämpferin jetzt nur noch mehr die Stufen hinauf fliegen und wie ein geölter Blitz bei ihr sein würde.

Evelyn spannte ihren Arm nach hinten und warf ihren Speer weit oben gegen das Mauerwerk, wo er zielgenau in einer Ritze Halt fand. Blitzschnell drehte sie sich herum und streckte die Hand vor, die die Blondhaarige bereits begierig ergriff und Evelyn mit einem breiten Grinsen antwortete. Diese warf ihre Freundin mit aller Kraft herum und schließlich hinauf. Sie hatte gar nicht gewusst, dass solch eine Kraft und Magie in ihr steckte. Doch jetzt wollte sie das erst einmal in vollen Zügen genießen. Wären da nicht ihre Muskeln gewesen, die mit voller Kraft aufschrien und hoffnungslos übersäuerten. Dennoch machte sie weiter und setzte ihre gesamte Hoffnung in diesen Schwung und lies Corinnes Hand im rechten Moment los.

Die junge Frau flog wie ein Geschoss durch die Luft, sauste an dem Speer vorbei ehe ihr Weg nach oben langsamer wurde und sie schließlich wieder viel. Ihre Beine klappten zusammen, als ihre Füße den Schaft des Speeres berührten und sie wie ein Katapult nur noch schneller nach oben warfen. Tian, der viel zu beschäftigt war, um Corinne zu bemerken, spürte plötzlich einen heftigen Schmerz in seinem Rücken, als Corinne eine ihrer Klingen ohne Rücksicht auf Verluste in ihn hinein rammte. Das Knochengerüst seiner Flügel und die Bewegungen wurden somit eingeschränkt. Brüllend vor Schmerz packte er hinter sich und riss die Frau an den Haaren, die sich nur noch energischer an ihre Waffe krallte und schließlich die zweite Klinge in ihn hinein rammte.
 

Das war meine Chance. Als meine Angriffe mehr gekommen waren und auch Tian nicht in mein Blickfeld trat, wagte ich es, zu den zerstörten Fenstern zu eilen. In einer Hand hielt ich das Buch. In der anderen eine Halskette. Der unerbittliche Kampf wurde in der Luft fortgesetzt. Ungeschickt öffnete ich die Seiten und suchte nach dem Spruch. Laut vorlesend hielt ich die Kette in die Höhe. Die Worte, zweifelsohne nicht japanisch, soviel weiß mittlerweile sogar ich, verließen schließlich sogar ohne lesen meine Lippen. Ich konnte sie alle hören, die Frauen, die vor mir gekämpft hatten. Sie waren alle hier. So wurden wir nur noch lauter, bestärkt durch die jeweils anderen und riefen eine uralte Magie.
 

Ein warmes Gefühl ging von Evelyn aus. Auch Lilli, die gerade die letzten Stufen geschafft hatte, konnte es fühlen. Sie legte zittrig eine Hand an ihre Brust und sah nach oben. Ihr Körper begann zu leuchten, genauso hell wie ein Stern am Firmament. Die Beschützer der Priesterin, der Stern war ein Teil dieser alten Kraft. Gruselig war nur, dass sie nicht nur das Licht der Lebenden spüren konnten. Dennoch lag ein Lächeln auf ihren Lippen.
 

Das Beben verringerte seine Kraft, die hohe Welle, die vor der Küste gelauert hatte, zog sich wie von Geisterhand zurück und zeitgleich bündelte sich die Kraft von Magie, Liebe und Mut in einer kleinen Kette, die Yara mit letzter Kraft gegen Tian schleuderte. Das goldene Geschoss leuchtete mystisch, weitete sich aus und bildete ein Netz, welches sich fest um Tian schlang und seine Flügelschläge zum erliegen brachte. Corinne sprang in aller letzter Sekunde ab und landete ungeschickt in Yaras Armen. Der Geflügelte fiel hinab und prallte schmerzhaft auf dem Boden auf ohne zu sterben. Egal wie stark diese Magie auch war, sie hatte nicht die Kraft etwas so mächtiges wie einen Seelenwanderer zu töten.
 

Corinne und ich hielten uns aneinander fest und horchten einen Moment nur auf unsere Atemzüge, die hektisch umher flatterten. Dann sahen wir uns an und konnten nicht anders als vor Glück losprusten.

„Wir hatten ja schon immer gewusst, dass du eigentlich ein kleiner tasmanischer Teufel bist“, lachte ich.
 

Nur einige Stunden später war die Polizei, alarmiert durch die Mitarbeiter des Souvenir-Handels, vor Ort. Man befragte uns, doch wir wussten nicht, was wir sagen sollten. Die Männer in Uniform brachten mit keinem Wort die Flügel zur Sprache, die man ganz eindeutig an Tian sehen konnte. Auf englisch fragten sie nur immer energischer, warum der Mann da am Boden so komisch da lag und nicht aufstehen konnte. Sie versuchten ihn hoch zu ziehen und schließlich zu halten. Doch sie mussten einsehen, dass es leichter war, ihn liegen zu lassen. Zumal er kein Wort sprach. Ich sag nur alte Magie...

„Macht Platz!“ Eine herrische Frauenstimme drang durch die Menge, ehe diese sich teilte und eine kleine Gruppe in Sicht kam. Anour begriff kein bisschen was hier geschah. Er war einer derjenigen, die von den Polizisten zurück gehalten wurde. Irgendwann hatte er aufgegeben zu mir zu gelangen. Ich sah wieder zu der kleinen Gruppe von Japanern hinüber, die auf uns zukamen.

„Es tut mir Leid für die Umstände“, sagte der Mann in einem langen Mantel und neigte ergeben den Kopf.

„Oh, that's no problem but... Wie?“ Hatte er gerade meine Sprache gesprochen?

„Nein, wirklich. Das Ganze hier ist mir äußerst peinlich!“ Mit finsterem Blick sah er zu dem Polizisten hin, der noch immer meinen Arm fest umklammert hielt. Plötzlich löste sich sein Griff und auch meine Freundinnen waren unvermittelt frei.

„Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Yuuki Won. Ich bin der Bereichsleiter von Japan.“ Na toll, noch ein Mensch mit diesem Namen.

„Was... was für ein Bereich???“ Hatte ich denn nicht schon genug Probleme gehabt? Warum redeten hier alle nur Bahnhof.

„Bitte kommen Sie alle hier herüber. Ich werde es ihnen erklären.“ Höflich führte er uns weiter weg von der Menschensammlung, was Anour völlig missfiel. Aufgebracht rief er uns hinter her und versuchte wieder an den Wachen vorbei zu kommen.

„Alles in Ordnung, Anour...“ Das klang so schrecklich merkwürdig. Ich begriff gar nichts und Anour flippte da hinten noch völlig aus.

„Yara!“ War ja klar, dass er nicht einfach aufhören würde. Seine Rufe wurden schließlich leiser, als wie weiter um den ramponierten Tempel herum gingen.

„Meine Damen, zu aller erst möchte ich Ihnen allen danken! Sie haben nicht nur Japan sondern die ganze Welt gerettet. Wir alle schulden Ihnen unser Leben.“

„Sie wissen davon?“, rief ich überrascht aus und schlug mir die Hände vor den Mund.

„Natürlich. Hatten Sie gedacht, dass in all den Generationen kein Wissen mehr über die Kämpfe der Priesterinnen und Priester bestehen würde?“ Was sollte ich darauf schon antworten? Ja, ich hatte wirklich nicht gedacht, dass es eine Organisation geben würde, die darüber Bescheid wusste? Und doch waren sie jetzt hier.

Die Minuten, in denen er uns das Nötigste erklärte, verstrichen. Die Dunkelheit war bereits über uns herein gebrochen, als er endlich seinen Monolog beendet hatte. Wir wussten jetzt immerhin soviel, dass es schon seit Jahrhunderten eine Gruppe von Leuten gab, die übernatürliche Angriffe bekämpften. Die Geflügelten waren nur ein Teil von all den Wundern, die sie schon gesehen hatten. Ihr wisst schon UFO's und so nen Kram, denn es nicht wirklich gibt... oder doch?

Jedenfalls gibt es an vielen Orten, verdeckt unter anderen Organisationen, wie zum Beispiel Gefängnissen, Operationsorte, an denen Mitarbeiter ausgebildet, geschult und ausgeschickt werden, um dem Bösen Herr zu werden. Dieser Herr Won entschuldigte sich noch ein paar mal in japanischer Manier für seine Verspätung. Angeblich hatten sie viel zu spät von dem Angriff erfahren und waren schließlich mit einem Bus kollidiert, der gerade vom Tempel aufgebrochen war und dann die Straße blockiert hatte. Außerdem sei ihnen ein Herr begegnet, der nicht zu beruhigen war.

Ich vermute auch heute noch, dass dieser Bereichsleiter und mein Geschichtslehrer verwandt sind und er uns deshalb alles so genau erzählt hat.

„Und... was geschieht nun?“

Er schien auf diese Frage vorbereitet zu sein und antwortete ohne zu zögern. „Nun, wir werden ihn an Deutschland überführen und an einem geheimen Ort verwahren. Das Buch aber wird in unserer Obhut bleiben.“ Er musterte mich kritisch.

Unschuldig sah ich zurück. „Welches Buch?“

„Bitte, lassen Sie uns gemeinsam dem hier ein Ende setzen und zu unserer verdienten Ruhe zurück kehren.“ Als ob er hier Blut und Wasser geschwitzt hätte.

Dennoch, nach kurzem Zögern legte ich den Kopf geschlagen zur Seite und schnippte mit den Fingern. Direkt vor meiner Nase tauchte das schwere in Leder gebundene Buch wieder auf und fiel in meine bereits vorgehaltenen Hände.

Dankbar nahm mir Herr Won das Relikt ab und lächelte mich an. „Vielen Dank! Wie ich sehe besitzen Sie ein gutes Gespür für Tarnungsmagie.“

Ich brummelte etwas unverständliches vor mich hin. Meine Freundinnen kicherten.

„Wie bitte?“, fragte Herr Won höflich.

„Ach, sie meinte nur, dass sie das als nächstes bei dem anderen Herrn Won in Gesch... mmmmmmmmm!“ Hastig hatte ich meine Hand vor Corinnes Mund geschlagen. Man hätte doch erwarten können, dass diese Erfahrungen in den letzten Stunden sie verändert hatten. Falsch gedacht.

„Bitte?“ Jetzt klang der Bereichsleiter nicht mehr ganz so höflich. „Sie dürfen diese Magie, die Ihnen geschenkt wurde, nicht einfach so für Ihre niederen Zwecke missbrauchen!“

„Nein, nein, natürlich nicht“, warf ich hastig ein und versuchte Corinne mit meinen Blicken vor weiteren Worten abzuhalten.

„Herr Won, wir sind hier vorne nun fertig.“ Einer seiner Untergebenen hatte sich zögerlich genähert.

„Sehr gut. Nun, meine Damen, ich denke, Sie brauchen jetzt ebenfalls ein bisschen Ruhe, nicht wahr? Wir werden Sie begleiten und in einem unserer besten Hotels unterbringen.“ Mit diesen Worten führte er uns wieder um das Gebäude herum.

Tian, die Polizisten und die Mitarbeiter waren verschwunden. Dort war nur noch Anour, der sich hartnäckig weigerte, auch nur einen Zentimeter zu weichen. Als er mich erblickte, brach der Tumult nur wieder von vorne los.

„Kennen Sie den Herrn?“

„Ja, ist schon in Ordnung...“ Ein knapper Befehl auf Japanisch und Anour wurde los gelassen.

„Yara! Was um Himmelswillen geht hier vor?“ Ich sah zu meinen Freundinnen, deren Blick ich nur zu deutlich lesen konnte. „Weißt du, Anour. Ich hoffe, du hast ein bisschen Zeit mitgebracht. Das kann etwas länger dauern.
 

Ja, ich würde ihm wirklich die Wahrheit erzählen. Aber noch nicht jetzt.



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