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Katatonia Sleep

Darkfiction
von

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Hilfeschreie

War das eine Träne?

Als Daniel den Raum betrat, waren ihm zunächst nur die vielen Schläuche und das monoton piepsende EKG aufgefallen. Der Anblick war äußerst beklemmend und erinnerte zeitgleich irgendwie an alte Science-Fiction-Filme, für die Meg schon immer eine seltsame Faszination hatte. – Daniel selbst konnte nicht viel damit anfangen, aber wenn sein Freund einmal wach wäre, würde er mit ihm gemeinsam darüber lachen. – Zumindest hoffte er das.

Er setzte sich auf den einzigen Stuhl des Raumes, der direkt neben dem Bett stand und fühlte sich seltsam deplaziert. Nicht nur, weil der billige, weiße Plastikklappstuhl fühlbar unter seinem Gewicht nach gab, sondern auch, weil Meg niemals zugelassen hätte, dass Daniel ihn in so einer Situation angaffte. Schon aus diesem Grund hatte Daniel bisher davon abgesehen Megs Familie zu informieren. Das konnte er auch später noch machen, wenn die Medien das nicht vorher erledigten.

Das Gesicht des jungen Musikers wirkte bleich, beinahe wächsern, als sei er bereits gestorben. Die Hände lagen gerade und kraftlos neben seinem Körper. Aus der Rechten ragte eine lange Nadel, die mit einem Schlauch verbunden irgendeine Funktion erfüllte, die Daniel nicht deuten konnte.

Wann hatte Daniel Meg das letzte Mal krank oder blass gesehen?

Vermutlich war das auf der letzten Party, als er nach viel zu viel Alkohol umgekippt war und Daniel den Türsteher, der alles nur zufällig mit angesehen hatte, nur mit Mühe davon überzeugen konnte keinen Krankenwagen zu rufen.

- Vielleicht war er ansatzweise so blass gewesen, als sie ihren ersten richtigen Auftritt vor mehr als 200 Leuten hatten, aber das war Jahre her.

Meg war nie krank gewesen und schien niemals müde. Er war in die Rolle des Gottes geschlüpft, den er für seine Fans verkörperte und da gehörte Schwäche nun einmal nur dann zu, wenn es medienwirksam war. Das war alles nur Fassade und verbargen den wirklichen Meg, so wie die Schläuche und die Nadeln in Megs Arm, eigentlich auch nur kaschieren konnten, dass die Ärzte letztendlich auch machtlos waren und nicht wussten, was sie tun sollten. – Zumindest war das Daniels Gefühl.

Nun, da Daniel Zeit hatte zwischen den Gerätschaften seinen besten Freund zu betrachten, fiel ihm ein leichter Schimmer unter den Augen auf. Aber rein logisch betrachtet konnte das keine Träne sein. Vielleicht war es überschüssige Tränenflüssigkeit, die aus dem Auge tropfte. Daniel hatte Meg noch nie zuvor weinen sehen.

Er konnte sich nicht einmal vorstellen, dass Meg überhaupt so etwas, wie Trauer zeigen konnte. Seines Wissens nach ging Meg immer, wenn es ihm schlecht ging duschen. Stundenlang, wenn nötig. – Nicht mehr.

Das was Daniel nun in diese Träne interpretieren wollte, war eine Illusion. - Irre geleitete Hoffnung.

Meg lag im Koma und niemand wusste genau wieso.

Man hatte Bremsspuren eines Autos gefunden, aber keinen Wagen. - Man hatte Meg am Straßenrand liegen gesehen, aber keine gebrochenen Knochen, keine frischen Wunden.

Man hatte den Verdacht, dass er vielleicht eine Überdosis genommen hatte und das wurde momentan noch überprüft.

Man glaubte, dass Meg eventuell einen Hirnschlag erlitten hatte, aber auch das war nicht bewiesen.

Es gab so viele Möglichkeiten. Das Ergebnis blieb dasselbe und Daniels größte Angst war, dass Meg zwar erwachte, aber vielleicht nicht mehr der sein würde, der er vormals gewesen war. Man konnte von Schädigungen am Gehirn so viele Behinderungen mit sich nehmen, dass Daniel am liebsten gar nicht anfangen wollte über die möglichen Folgen nach zu denken. Meg hätte dies sicherlich noch weniger gewollt, als den Tod.

Zumindest glaubte Daniel dies, aber er wusste es nicht genau. Vielleicht hatte Meg einmal etwas in dieser Richtung gesagt. Daniel wollte nichts einfallen. Wer war er überhaupt, dass er sich anmaßen durfte seine eigenen Schlussfolgerungen über Megs Meinungen an zu stellen?

Kurz fiel ihm ein, dass er Megs bester Freund war und dass immerhin irgendwer, nun, da Meg sich in diesem Zustand befand, für ihn würde sprechen müssen. Wenn nicht er das war, wer dann?

"Hey, Meg.", murmelte Daniel als könne er eine Antwort erwarten. Es fühlte sich falsch an. Als würde er mit einem Schlafenden reden. Er sah sich um, als habe er Angst bei einem beschämenden Geständnis belauscht zu werden. Er betrachtete eine Weile das Fenster, glaube er jemand könnte ihn dadurch beobachten. Eine ziemlich dämliche Vorstellung, wenn er bedachte, dass er sich alleine in einem Zimmer im 6ten Stock des riesigen Gebäudekomplexes befand. Selbst wenn irgendein Paparazzi Wind von der Sache bekommen hatte, war es so gut wie unmöglich hier ohne großen Aufwand zu spionieren.

Daniel schüttelte sich, um sich wieder ganz Meg zu zu wenden und startete einen zweiten Versuch.

"Ich weiß nicht, ob du mich hören kannst, aber..." Er stockte mitten im Satz. "du musst zurück kommen, okay?"

Seine Stimme hatte jetzt etwas an Festigkeit gewonnen. Er zwang sich zu einem Grinsen und streckte die Hand nach den goldblonden Haaren seines Freundes aus, um vorsichtig eine wirre Strähne aus dem kalkweißen Gesicht zu streichen.

Daniel war noch nie ein guter Redner gewesen, also beließ er es fürs Erste dabei und nahm Megs Hand. – Der etwas jüngere Mann war ein gutes Stück kleiner, als Daniel - schon, als sie noch Kinder waren. Jetzt fiel es Daniel erst richtig auf und ein starkes Gefühl Meg beschützen zu müssen, überkam ihn, obwohl es nicht wirklich verwunderlich war, dass Meg einfach nicht so groß war, wie er.

Mit knapp zwei Metern purer Muskelmasse war Daniel bisher immer der Größte und Stärkste gewesen. – Zumindest, was alles Körperliche anging. Er war in der Schule der Sportlichste und auch später wurde er als „der Hüne“ von den Medien tituliert, wenn man den überhaupt einmal den Blick von Meg abwandte und sich auch auf den Rest der Band konzentrierte, was nicht so oft geschah, wie man meinen sollte.

Erst jetzt, als er die Hand seines Freundes nahm, fiel Daniel auf, wie zart und klein Megs Hände im Vergleich zu seinen waren. Daniel lachte bitter auf.

"Und du nennst dich "Gitarrist?", spottete er: "Mit diesen Frauenhänden solltest du lieber Klavier spielen."

Er bereute den Spruch sofort, als er bemerkte, wie hohl er im Krankenzimmer verklang. Es tat weh nicht das gewohnte Konterfei zu bekommen - oder zumindest ein entrüstetes Schnauben. - IRGENDWAS! Irgendeine Reaktion wäre immer von Meg gekommen. Auch wenn er häufig wütend aufgestanden und den Raum verlassen hatte, wenn Witze auf seine Kosten gerissen wurden. Wieso konnte Meg nicht einfach einen seiner wütenden Anfälle bekommen?

Jetzt war er absolut wehrlos und obwohl Daniel Meg schon seit seiner Kindheit in Schutz genommen hatte, bemerkte er nun, dass er auch diesen Zustand der absoluten Wehrlosigkeit bei dem jungen Sänger nie gesehen hatte.

Er hatte bisher immer zurück schlagen können und sei es nur durch harte Worte.
 

* * * * * *
 

Der Schmerz war real. Meg konnte nicht sagen, woher er kam, aber er war da. - Das Gefühl in sich konnte er nur als "Terror" bezeichnen. Er hatte den Echos den Rücken zugewandt und versuchte es nun stattdessen in der genauen Gegenrichtung. Vielleicht war es besser einfach von den Geräuschen fort zu kommen, als auf sie zu zu gehen.

Sie taten ihm nicht gut, also konnten sie wohl kaum den richtigen Weg zeigen.

"Ich brauche euch nicht! Ich brauche niemanden!“, gellte erneut ein bohrendes Echo in seinem Kopf, dass ihn schon seit seiner Flucht vor dem Schatten zu verfolgen schien und sich nur durch das leise Geräusch von Flügelschlagen im Nebel bemerkbar machte.

Meg versuchte es zu ignorieren, so gut er konnte, aber er war sich bewusst, dass es genau das war, was er nun fühlte.

"Ich brauche euch nicht!"

Meg begann zu schreien. Er wusste nicht genau, wieso, aber er wusste, dass es gut tat. Er presste seine Arme verschränkt über den Bauch und sank zusammen, während seine Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit noch zunahm und der Nebel sich erschreckend über ihm verdichtete.

Vielleicht musste er auf Ewig hier eingesperrt bleiben. War es nicht besser, dann sofort zu sterben und sich diesen Gefühlen, die er nun hatte so endgültig zu entziehen?

Er hatte sich zu lange in sich selbst versteckt und all seine negativen Gedanken in sich verschlossen, damit ja niemand sehen konnte, wie einsam und gebrechlich das einstige Kind war. Er hatte bewiesen, dass er stark war und alleine zu Recht kommen würde. Er war erwachsen und hatte nichts mehr mit dem schwachen Versager zu tun, der er einst vielleicht gewesen war. Nichts desto trotz war diese Schatulle, die er so lange in sich gehütet hatte, nun aufgebrochen und alles lag in Scherben vor ihm. Wie sollte er dies alles nur jemals wieder in Ordnung bringen?

Er hatte seine Wut zu lange unterdrückt - seinen Schmerz. Es war doch nur logisch, dass sich all dies irgendwann einmal gegen ihn selbst wenden musste.

Dies war real. Das war kein Traum.

"Ich kann einfach nicht glauben, dass du sie nie für das hast bezahlen lassen, was sie dir angetan haben!", sagte dieses Mal eine weniger schreiende Stimme und als Meg den Blick hob, sah er erneut den Schatten seines Selbst. Vielleicht wollte er damit ein Echo intonieren. – Vielleicht war er auch selber Eines. Was Meg mit beinahe felsenfester Sicherheit wusste, war, dass dieses verdammte Biest sich über ihn lustig machen wollte.

"Lass mich in Ruhe!", fauchte er und bemerkte selbst, wie er langsam die Beherrschung verlor. Er wusste, er konnte nichts gegen den Schattendämon ausrichten, also hatte er versucht ihm aus dem Weg zu gehen. Immer, wenn er gerade glaubte, er habe sich dem Schatten entzogen, war er wieder da. Es gelang Meg einfach nicht, sich in Sicherheit zu bringen. Der Dämon ließ ihn nicht mehr gehen.

"Du kannst nicht weg.", bemerkte der Schatten das Offensichtliche ganz so, als habe er Megs Gedanken gelesen. "Dafür ist selbst dein Verstand nicht tief und verwoben genug."

Meg war sich sicher, dass man einfach nur seine Miene studieren musste, um zu erkennen, dass er nicht mehr konnte. Er war am Ende.

„Willst du mich etwa verfolgen?“, kreischte er und ballte seine Hände zu Fäusten.

Der Schattendämon antwortete ihm nicht, sondern sah Meg nur eine Weile mit jenem leeren, katzenhaften Blick an, den Meg nicht deuten konnte und wollte.

"Lass mich raus! Lass mich gehen!", dieses Mal versuchte Meg nicht mehr fort zu laufen. Wenn der Schatten einen Kampf wollte, dann würde er ihn auch erhalten. Meg sprang und griff in Richtung des schwarzen, zarten Halses, um dem Dämon die Luft ab zu drücken.

Statt des erwarteten Gefühls, fand er sich bald auf dem Boden wieder.

Er glitt durch das Fleisch und die wabernde schwarze Haut hindurch und landete auf den Knien, wie ein Diener vor einem König.

Angewidert strich Meg sich hektisch über die Arme, als seien dort noch Reste des flüssigen Dämons, die es abzuschütteln galt.

In der Mimik seines Gegenübers konnte er indes weder Zorn noch Überraschung lesen.

"Wo sind meine Freunde?", schluchzte Meg und versuchte seine verwirrten Gedanken zu sortieren - sich zu beruhigen. Es hatte keinen Zweck mehr fort zu laufen, also musste er sich wohl oder übel auf das Spiel dieses Teufels einlassen. Meg schloss die Augen und atmete tief durch.

Dann spürte er plötzlich die Krallen des Schattens auf seiner Schulter. Er zuckte zusammen und erwartete, dass die Krallen des Dämons ins Fleisch schneiden würden, bevor er die tröstende Geste erkannte. Er versteifte sich weiter, als sich die Pranken langsam zurück zogen. Eine Weile war es einfach nur still.

Dann ergriff der Schatten erneut das Wort: "Hier unten bist du schon immer alleine gewesen. Du hast hier keine Freunde."

Meg wusste, dass sein Gegenüber dieses eine Mal Recht hatte. Er war alleine. Er hatte sich immer allein gefühlt. Wieso brauchte er erst diese Halluzination, bevor ihm das bewusst werden konnte?

"Wäre es nicht besser zu sterben?", fragte Meg und sah dem Schatten tief in die gelben Augen. Er gab keine Antwort und keine Regung von sich, wie eine Statue aus Obsidian.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  freddy
2010-05-30T18:19:54+00:00 30.05.2010 20:19
Also dieser Schatten würde mich wahnsinnig machen. Wenn man ihn etwas fragt kommt entweder keine klare Antwort oder er schweigt sich aus. XD Ich mein, klar, genau das macht ihn aus und macht das ganze interessanter; aber ich würde ihn anfallen wollen um endlich Antworten zu bekommen.
Ansonsten wieder einen tolles Kapitel und auch Daniels Abschnitt spricht mich wieder an.


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