Glücksfälle
(Miriam)
Entgegen aller negativen Erwartungen hatte Robert mich tatsächlich angerufen, um mich zum Tanzen einzuladen.
„Du kannst auch gerne deine Wachhunde mitnehmen“, hatte er scherzhaft hinzugefügt.
Ich hatte die beiden tatsächlich eingeladen – auch, wenn ich mit ihrer Zusage nie gerechnet hätte. Anscheinend hatten sie ihren Spaß an Alkohol und lauter Musik gefunden.
Und deshalb waren wir an diesem Abend zu viert unterwegs; Linda, schon leicht angetrunken, hing kichernd an Hannahs Arm, während Robert sich mittlerweile getraut hatte, einen Arm um mich zu legen, und die beiden in einem Fort aufzog. Ich half ihm dabei nach Leibeskräften – Drei gegen Eins war schließlich unfair…
„Wollten wir nicht tanzen?“, wollte mein Begleiter schließlich wissen, „oder ist das wieder zu viel verlangt für einen Abend?“
Ich sah ihn kritisch an.
„Hmm… Na gut.“
Hannah zog Linda mit sich.
„Komm, Ehefrau, wenn du in meine Familie einheiraten willst, musst du mit mir tanzen.“
Brav, dachte ich, und jetzt werde ich die ungestörte Zweisamkeit um meinen persönlichen James Marsden anzuflirten. Hoffentlich stellte ich mich dabei besser an als bei Marc.
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Mit Robert zu tanzen war ungefähr so, wie von einem attraktiven Arzt behandelt zu werden. Ich versuchte, so elegant wie möglich zu werden, während er mich hin- und her drehte, gut aussah und dabei umwerfend lächelte.
Über seine Schulter hinweg ließ ich den Blick wandern und konnte ein paar Meter entfernt Linda und Hannah ausmachen.
Ich blieb stehen.
„Hey, alles okay?“
Rasch warf ich meinem besorgten Date ein beruhigendes Lächeln zu.
„Klar! Ich hab nur total Durst! Meinst du, du könntest uns was zu trinken holen?“
Das war zwar nicht wirklich überzeugend, aber der Gentleman in ihm war sofort zur Stelle.
„Natürlich! Bis gleich!“
Ich nickte. Wie auch immer.
Er verschwand und ich wandte mich wieder meinen Freundinnen zu, die viel zu sehr mit sich selbst beschäftigten waren, um mich zu bemerken.
Es war nicht so, dass sie besonders eng tanzten, sich tief in die Augen sahen oder gleich wild herumknutschten.
Eigentlich benahmen sie sich nicht anders als Freundinnen es eben ab einem bestimmten Alkoholpegel tun. Was meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, war etwas anderes, viel Tieferes…
Vielleicht die Tatsache, dass sie so einen Spaß hatten, so eine ehrliche, unaufgesetzte Freude, und sich nicht darum scherten, ob sie jemanden störten.
Hannah drehte sich an Lindas Hand lachend um die eigene Achse.
Vielleicht war es auch die Vertrautheit, mit der sie miteinander umgingen, völlig ohne diese Versuche, jemanden zu beeindrucken, die man meistens irgendwie machte.
Vielleicht auch die Tatsache, dass sie selbst sich scheinbar auch von niemandem gestört fühlten; und dennoch hatte ich das Gefühl, sie bewegten sich in einer Art separatem Raum…
Aber egal, was es war, in diesem Moment fiel der Groschen.
Ihre Verbundenheit, all diese gesunden und erfreulichen Veränderungen, die Art, wie sie tanzten…
Es war mir schleierhaft, wie ich das so lange hatte übersehen können.
Die beiden waren einander völlig verfallen.
Und wie es aussah, waren sie sich dieser Verliebtheit kein bisschen bewusst.
Als Robert zurückkam, wollte er unbedingt wissen, warum ich so lachte, aber ich verriet kein einziges Wort.
(Linda)
Ich ließ mich in mein Bett fallen.
„Wuuh~…“
Alles drehte sich. Ein bisschen vom Alkohol und ein bisschen vom Tanzen.
Vielleicht auch ein bisschen vor Müdigkeit.
In meinem Gesicht saß ein breites Grinsen.
„Mann, was ein Abend…“, sagte ich laut und versuchte, mir die Schuhe mit den
Füßen auszuziehen, was nicht wirklich von Erfolg gekrönt war.
Ich wollte gerade dazu ansetzen, Hannah mit Pfannkuchen zum Frühstück zu
bestechen, mir zu helfen, als mir einfiel, dass sie mittlerweile wahrscheinlich
längst zuhause war.
Leise murmelnd setzte ich mich auf und befreite meine Füße aus den Schuhen. Etwa fünfzehn Minuten später (ich war nicht sonderlich schnell, wenn ich müde und unnüchtern war) lag ich endlich im Bett. Mein Handy vibrierte.
‚so süße.. bin zuhause. schlaf gut, du betrunkene maid! liebe dich! hannah x3‘
Woah, es war echt krank, wie sehr ich mich über sowas freute. Ich war einfach zu einsam, ging es mir durch den Kopf, schon halb im Schlaf, selbst so ein kleines bisschen Zuneigung reichte, damit ich grinste wie ein Honigkuchenpferd… Bescheuert…
(Hannah)
Ich schrieb Linda eine SMS und warf meinen Schlüssel auf das Board.
„You spin my head right ‘round…“
Summend zog ich Mantel und Schuhe aus, lief in Richtung Küche und schenkte mir ein Glas Wasser ein. Das sollte angeblich verhindern, dass man am nächsten Tag
Kopfschmerzen hatte.
Miauend strich mir mein rauchgraues Wollkäuel um die Beine.
Das Leben war schön.
Auch, wenn der Boden kalt war, der Wasserhahn zu laut tropfte (ich würde die ganze Nacht nicht schlafen können, wenn das nicht bald aufhörte) und im Fernsehen nur Schund lief, als ich ihn einschaltete. Pinot Grigio, mein Kater, sprang mir auf den Schoß und rieb sein Kinn an meiner Schulter. Und ja, ich hatte einen Kater namens Pinot Grigio – wie der zustande gekommen war, konnte man sich ja denken („Was ist paradox? – Wenn ein Pinot Grigio eine Schnapsidee ist…“, war Lindas Kommentar dazu gewesen, was mir einen weiteren Drink eingebracht hatte).
Ich machte den Ton am Fernseher aus.
Über die Mattscheibe flimmerten bunte Bilder, Pinot Grigio schnurrte, in der Küche tropfte der Wasserhahn und ich saß auf meinem Bett und war mit jedem Fitzelchen Hannah glücklich.
Alkohol war doch was Tolles.