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Milchglas

von

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Verwirrungen

(Hannah)
 

Dreihundertundsechszehn.
 

Müde legte ich den Taschenrechner beiseite und vergrub den Kopf in den

verschränkten Armen.
 

Ich war behämmert.
 

Erstens sollte man für eine simple Multiplikation keinen Taschenrechner brauchen

und zweitens war es völlig albern, das ganze Elend auch noch auszurechnen.
 

Dass es jetzt dreihundertundsechszehn Stunden waren, das ich nicht mehr mit der

besten Freundin, die ich je gehabt hatte – Sorry, Miriam – redete.
 

Gott, es war so dämlich.
 

Kindisch einfach.
 

Aber ich würde sie nicht anrufen.
 

Ich konnte sie nicht anrufen.
 

Sie war unter Garantie wütend und sauer wegen meiner Reaktion, und ich konnte

und wollte mich dafür nicht entschuldigen.
 

Weil es mir nicht leid tat.
 

Alexander ‚Nicht Alex‘ Vondersand.
 

Was ein Arschloch.
 

Allein die Tatsache, dass Lindas Eltern ihn mochten, bewies das doch. ‚Nicht Alex‘.
 

Auf dem einzigen Foto, das ich von ihm kannte, sah er so arrogant in die Kamera, dass ich hätte kotzen können.
 

Er war nicht gut genug für sie.
 

Fragte man nicht normalerweise seine beste Freundin zumindest, was sie davon hielt? Statt ihr das einfach so mitzuteilen?
 

Ich wusste es nicht mehr. Ich wusste gar nichts mehr.
 

Ich war wütend und traurig und verletzt und vermisste sie und wollte nicht, dass sie böse auf mich war. Gott, wieso musste das nur alles so durcheinander sein?
 

(Miriam)
 

Linda rief mich an und heulte.
 

Kaum hatte Linda aufgelegt, stand Hannah vor der Tür mit einem Gesicht wie Stein.
 

Sie versuchte echt alles, um sich abzulenken, sie hatte sogar einen kleinen Kellner-Job angenommen, in den sie fast jede freie Minute investierte, die sie hatte – allerdings gab sie keinen Cent von dem aus, was sie erhielt. Sie wollte keinen Spaß haben. Vielleicht sollte mir zu denken geben, dass sie stattdessen zu mir kam.
 

Als sie weg war, lief im Fernsehen nur Drama, Erotik oder das Wetter.

Nachts konnte ich nicht schlafen, weil ich mein tägliches Laber-Pensum nicht

erfüllt hatte.
 

Am nächsten Morgen war ich halbtot.
 

Und so oder ähnlich lief jeder der nächsten Tage ab.
 

Ich war so im Eimer.
 

Meine Bilder wurden grau und meine Statuen hässlich.
 

Die beiden entzogen mir all meine kreative Energie, und was das Schlimmste war:

Sie taten mir so schrecklich leid, dass ich ihnen nicht mal irgendwie böse sein

konnte. Im Gegenteil: Wenn sie sich dann mal nicht meldeten, machte ich mir Sorgen ohne Ende.
 

Im Grunde erzählten sie mir beide das Gleiche, mir war schleierhaft, wie sie sich selbst so belügen konnten, und so war alles, was ich sagte „Mhm“, „Jaah“ und „Achso“.
 

Lindas Freund hatte ich mittlerweile auch mal getroffen.
 

Er schien sie gut zu behandeln, aber er war wirklich ein Schnösel.
 

Mit einem sparsamen – aber, wie ich zugeben musste, ehrlichen Lächeln hatte er mir die Hand gedrückt und gesagt: „Guten Tag, ich bin Alexander... nicht Alex.“
 

Ich wusste nicht ganz, was ich davon zu halten hatte.
 

Aber es kümmerte mich auch reichlich wenig – denn irgendwie stellte ich fest, der Junge hätte auch Orlando Bloom persönlich sein können und ich hätte mich noch mehr für das Wohl meiner beiden Sorgenkinder interessiert.
 

Wobei, wir wollten es ja nicht übertreiben…
 

Ich schüttelte den Kopf.
 

Übermüdung ahoi.
 

(Linda)
 

Ich versuchte zu kochen, denn Alexander wollte heute kommen. Das Kochbuch lag aufgeschlagen auf dem Boden (auf der Arbeitsfläche war kein Platz), überall lagen Tüten und Zutaten herum und in meinem Torso rumorte etwas, das sich anfühlte wie ein kalter, stählerner Wurm.
 

Mit Hannah hätte ich sicherlich zusammen gekocht.
 

Oder zumindest währenddessen mit ihr telefoniert.
 

Ohne es zu wollen, warf ich dem beharrlich schweigenden Telefon, das auf Augenhöhe mit mir auf dem Kühlschrank stand, einen hoffnungsvollen Blick zu.
 

Das Salz lief aus der Dose in meiner Hand unkontrolliert in die Soße.
 

„Fuck…“
 

Ich setze den Behälter ab und stützte die Stirn in die Hände. Warum musste er unbedingt heute kommen? Ich wollte nicht, dass er heute kam, ich war viel zu durcheinander, um die aufgeräumte Linda zu sein.
 

Es gab Tage, an denen es sich in Grenzen hielt, aber heute war eindeutig keiner davon.
 

Im Radio lief André Rieu. Ich warf den Probierlöffel danach und die Geigenmusik begann zu rauschen.
 

Ich konnte quasi vor mir sehen, wie gnädig er sich hier umsehen würde, in meiner kleinen, hässlichen, aber selbstfinanzierten Wohnung. Meine kleine Unabhängigkeitserklärung an meine Eltern, mein Rückzugsort, mein Hochsitz, meine Bat-Höhle.
 

Ich wollte eigentlich überhaupt nicht, dass er hierher kam, um alles mit seinen verwöhnten Augen zu begutachten und heimlich mit seinem Styler-Myler-Appartement zu vergleichen.
 

Müde ließ ich mich auf den Boden sinken und lehnte mich gegen den Herd.

Irgendwie fühlte ich mich nicht so, wie man sich ein einer Beziehung fühlen sollte.
 

Alexander war lieb, das war er wirklich. Er rief mich abends an, wenn er merkte, dass ich immer noch nicht im Bett war, und versuchte, mich dazu zu bewegen, schlafenzugehen. Er schickte mir Blumen mit wirklich niedlichen kleinen Gedichten – die er zwar nicht selbst geschrieben hatte, aber immerhin. Er hatte mich in ein süßes, unbekanntes Café ausführen wollen – doch als ich durch die Fensterscheibe gesehen hatte, wer dort drinnen bediente, wäre ich beinahe weggerannt. Obwohl ich eigentlich viel lieber hineingegangen wäre. Nur nicht mit ihm.
 

Er gab sich wirklich alle Mühe, aber es half alles nichts. Ich war kreuzunglücklich.

Seufzend angelte ich nach meinem Handy und rief ihn an.
 

Ich konnte heute nicht. Ich musste dringend hier weg.
 

#
 

Die Luft schmeckte wunderbar nach Salz, das Meer rauschte herrlich beruhigend und das Fischbrötchen schmeckte dankenswerterweise wirklich nach frischem Fisch. Meine Hände waren kalt.
 

Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück und drehte das Radio lauter.
 

„-you spin my head ri-“ Umschalten.
 

„-in the pouring rain and she will be loved, an-“ Umschalten.
 

„-come away with me and we’ll kiss, come away with-“ Radio aus.
 

Ich war fünf Stunden gefahren, hatte ein unangenehmes Gespräch mit Alexander geführt, mein kleines Auto da geparkt, wo ich das Meer sehen konnte, nur um jetzt festzustellen, dass mir das alles nicht half. Es ging einfach so nicht.
 

Wo war das Problem? Ich wollte Alexander nicht und vermisste Hannah.
 

Warum musste ich Hannah vermissen? Weil sie Alexander auch nicht mochte.
 

Die Lösung lag doch auf der Hand, oder? Oder nicht?
 

Warum verließ ich ihn nicht einfach, erklärte Hannah alles und alles war wieder

okay?
 

Ich seufzte und legte den Kopf in den Nacken.
 

Die hässliche Wahrheit: Ich war feige.
 

Ich traute mich nicht, Hannah anzurufen.
 

Ich wollte nicht zugeben, dass ich nicht wusste, was ich mir dabei gedacht

hatte.
 

Ich wusste nicht, ob es nicht albern war, sie so zu vermissen.
 

Ich brachte es nicht fertig, Alexanders Bemühungen abzuweisen.
 

Ich dumme Kuh.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Science
2010-04-09T16:03:21+00:00 09.04.2010 18:03
Gruuuuuuuuuuuuusse aus dem heissen Spanien. @.@
Das Kapitel ist toll, auch wenn sie nicht miteinander reden. xD Ich mag es. Sie reagieren nicht so... uberyogen wie in solchen Geschichten sonst. ^^
*Sucht veryweifelt die Sonderyeichen auf der spanischen Tastatur*
Wird es jetyt noch schlimmer, bevor es besser werden kann? ó.ò
Ich mag ein gute-Laune-Versohnungs-Kapitel. xD
Okaz, ich hoffe Du geniesst Deine Ferien. ^.welle
Lena
Von: abgemeldet
2010-04-08T20:16:41+00:00 08.04.2010 22:16
Ich finde die beiden so süß (x

Aber sie tun mir echt leid. obwohl ich mag kleine streitereien und die versöhnung danach^^

Freu mich schon aufs nächste kapitel, spannend (:
Von:  Shimizu
2010-04-07T20:12:30+00:00 07.04.2010 22:12
mhahhhh...ich leide gerade mit...ist echt herzzerreissend..=_=

freu mich auf die fortsetzung...

gruß Shimizu
Von: abgemeldet
2010-04-07T17:06:13+00:00 07.04.2010 19:06
Total toll.
Also man muss Linda schon lassen, dass sie ein klein wenig bischen einsichtiger als Hannah ist.
Ach, sie sollen wieder miteinander reden =_=
Freue mich aufs nächste Kapitel.


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