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Little Brother + Big Brother =Chaos

Der ganz normale Wahnsinn!
von

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Geheimnisse

Eine scheinpaar endlose Minute verging im Schneckentempo.

Marcel starrte mit ausdruckloser Miene Löcher in die Luft.

Nichts regte sich in seinem Kopf; Jede einzelne Gehirnzelle erstarrt.

Dann war das alles – das vom dem Unwetter an bis hin zur Vergewaltig- ein Traum?

Nur ein absurder Traum, ein Streich seiner Fantasy und keine Realität?!

In seine Arme gewickelt riss sich Marcel aus seiner Gedankenwelt, und fixierte Kim.

„Dann bin ich bis jetzt gar nicht weggewesen, um mich mit Connor und Fee zutreffen?“

Kim schüttelte langsam den Kopf. Die Verwirrung stand ihm buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Eine Decke des Schweigens legte sich um sie.

„Marcel, ich sag es dir jetzt noch einmal“ sagte Kim schließlich betont ruhig und langsam. „Du hat heute Abend das Haus nicht verlassen. Ich weiß nicht was mit dir los ist, aber du benimmst dich, als hätte dir jemand eine Gehirnwäsche verpasst“

Marcel warf ihm einen erschrockenen Blick zu.

Vielleicht war das des Rätsels Lösung; Mephisto hatte die Erinnerung seiner Brüder Manipuliert! Wenn jemand diese Kunst beherrschte, dann er. Von dem Teufel, der Reinkarnation des Bösen, würde man so etwas auf jeden Fall erwarten.

Beklommen holte er tief Luft um seine flatternden Nerven zu beruhigen. In der seiner Lunge kribbelte der Sauerstoff.

„Wenn du so überzeugt davon bist heute Abend draußen gewesen zu sein, dann hattest du einen Traum“ Kim setzte sich auf die Bettkante und streckte die langen Beine. „Willst du mir nicht davon berichten? Vielleicht kann ich dir helfen, ihn zu deuten“

Draußen über den Haus brach die Wolkendecke auf, und der Vollmond grinste hämisch ins Zimmer. Sein kaltes, lebloses Licht wirkte an diesen Abend absolut unnatürlich.

Marcel schluckte und rutschte unruhig auf den Laminat-Boden hin und her. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Natürlich hätte er sich Kim gerne anvertraut, aber er wusste nicht, wie es erzählen sollte. Außerdem war es beschämend, das er von Sex – in seiner verbotensten Form - geträumt hatte.

Das kam beinahe notgeil rüber. Nicht das es Marcel persönliche störte, ganz im Gegenteil, er hatte ja schon mal davon geträumt. Aber damals war es anders; es hatte ihn gefallen, und niemand fügte ihm währenddessen Leid zu.

„Schon gut…“ murmelte er kleinlaut. „Er war nicht besonders… aufregend“

„Aha…“ Scheinbar desinteressiert an dem Gespräch, lenkte Kim die Aufmerksamkeit auf seine Fingernägel. „Vor 5 Minuten hätte es dich noch fast umgehauen. Du warst – ich korrigierte- Du bist total käsig, und zitterst wie Espenlaub. Komm bloß nicht auf die Idee mich anzulügen, ansonsten schieß ich dich ohne Rückfahrkarte auf den Mond! Also, was hast du nun geträumt?“

Leicht säuerlich presste Marcel die Lippen auf einander. Warum musste Kim weiter in der Wunde bohren? Warum begnügte er sich nicht einfach mit seiner Antwort? Und warum brachte ihn der Ausdruck seiner Unterschiedlichfarbenden Augen ins Wanken?

„Ich… ich hatte einer dieser fiesen, sehr realistischen Albträume“ Langsam hob Marcel den Blick vom Fußboden, den Kim gleichdarauf gefangen nahm. „Jemand hat mir weh getan. Reicht dir diese Aussage? Ich möchte nicht weiter ins Detail gehen, wenn du verstehst“

Kim sah ihn verständnislos an, und zog die Augenbrauen hoch.

„Oh…“ sagte er langsam ohne den Blick abzuwenden, aber mit todernster Miene.

Also lag Kim mit seiner Vorahnung doch nicht ganz falsch – jemand hatte Marcel verletzt!

Zwar nicht in der Realität, aber im Traum. Und das war fast genauso schlimm wie das eine, denn solche Visionen brachten meist irgendwelche verstecken Gefühle, oder Ängste ans Tageslicht.

Kim dachte scharf nach. Er wusste, dass Marcel über solche Sachen nicht mit ihm redete. Dazu fehlte einfach das notwendige Vertrauen untereinander.

Wenn doch nur Jeremy da wäre…

Fast lautlos ließ er sich neben seinen kleinen Bruder auf den Fußboden sinken, und tätschelte relativ unsicher seine Schulter.

„Es war nur ein Traum“ sagte er mit ruhiger Stimme, „Wie ich schon sagte, du warst nirgendwo, wo dich jemand verletzten hätte können. Und bevor sich ein Fremder ins Haus schleicht, hätte Daimon ihn schon dreimal verprügelt“

Marcel schien einen Moment zu überlegen; so gesehen gab es nichts was gegen Kims Worte sprach. Sicherlich hatte der Ältere recht. Anscheinend war er wirklich eingeschlafen, und sein Gehirn spielte währenddessen seine Spielchen mit ihm. Er warf Kim einen schüchternen Blick zu, und dann löste ein kleines Lächeln die Trauermine ab.

„Na siehst du“ jetzt grinste Kim ebenfalls. „Alles halb so wild. Hmm - Sag mal, um wie viel Uhr wolltest du dich nochmal mit deinen Freunden treffen. Es ist gleich 20. 30 Uhr“

Marcel hielt erschrocken den Atem an, seine Augen schrumpften auf Erbsengroße „Oh mein Gott die habe ich ja ganz vergessen!“

Mit einem Mal verfiel er in bodenlose Hektik, sprang auf, und kollabierte im Lauf fast mit dem Kleiderschrank.

„Oje, jetzt geht du wieder ab!“ sagte Kim und schüttelte den Kopf. „Das hast du davon, wenn du deine Zeit lieber verpennt“ Er streckte Marcel die Zunge raus. Dieser erstarrte erschrocken, kam schlitternd zum Stehen.

„Seit wann hast du ein Zungenpiercing?“

WÄHM. Und Kim bekam ein, dickes, fettes imaginäres Holzbrett vor den Kopf geknallt. Er blinzelte zweimal, ehe er sich lautstark räusperte.

„Seit 8 Tagen. Aber kein Wort zu Jeremy, hörst du? Er rastend aus, wenn er wüsste, das ich jetzt auch mit solchen Sachen anfange“ Sein grinsen wurde breiter, als er Marcels unverständlichen Blick sah. „Neuerdings schminke ich mich auch ein wenig. Aber nur mit Kajal und… wie heißt der Stift nochmal? Ähm- Ähm… Eye-Dings“

„Eyeliner?“

„Ja genau, Der!“

„Wie kommst du so plötzlich auf den Schminktrip? Das ist doch sonst nicht dein Ding“

„Hikari hat mich drauf gebracht!“ antwortete Kim sofort. Wieder diese Wirre Blick. „Na Hikari“ – er fuchtele theatralisch mit den Händen- „das Mädel das Daimon letztes Jahr bei der Meisterschaft kennengelernt hat. Das Kung fu-Weib, bist du schwer von Begriff… Roxane Anderson!!“

„Achso“ Jetzt war der Groschen auch bei Marcel gefallen. „Die, die ihre Haare Bonbonrosa färbt, und lila Kontaktlinsen trägt?“

„Jap! Sie arbeitet in ihrer Freizeit als Model und Visagistin. Und letztens bei einer Homeparty – wir waren alle Hacke dicht – packt die auch einmal ihr Köfferchen aus, und schminkt einen nach den andern. Das war super. Als wir uns am nächsten Tag die Videos anschauen, gab es keinen der sich vor Lachen nicht kringelte. Nachher gestand mir Hikari, also Roxane, das sie mich gerne noch einmal richtig schminken würde“ Kim zuckte mit den Achseln. „Seit dem bin ich voll auf den Emotrip – die Frisur dafür hab´ ich ja schon – und die Klamotten finde ich auch voll Geil! Aber denk bloß dran, halt den Mund gegenüber Jerry! Der würde mir doch glatt ´ne Briefbombe schicken, oder auf Facebook zu Tode stupsen“

„…Oder nach Hause kommen und der Piercing mit der Grillzange raus reißen!“

Mit einem Grauenerfüllten Augenzucken fuhr sich Kim nervös durch sein kurzes, schwarzes Haar.

„Ja, oder das… Man, du hast vielleicht Ideen! Naja, wenigstens hast du deinen Humor wieder gefunden“ bemerkte er trocken.

Auf einmal wurde das Gespräch der beiden unterbrochen als jemand polternd die Türe aufriss.

„Ich soll fragen, ob du eine Kompass brauchst um zurück in den Küche zu finden, Kiley?!“

Kuroro betrat grinsend den Raum, sein rotglühendes Augenpaar wirkte wie ein Lagerfeuer.

Und was für eins…!

Über Nacht hatte sich Kuroro einer sonderbaren Verwandlung unterzogen; Er trug ein weinrotes Achselshirt was nur bis zur Mitte geknüpft war, und deshalb viel von seiner muskulösen Brust entblößte. Dazu trug er eine relativ moderne Jeans, hier und da ein paar dekorative Löcher und Risse im Stoff.

Aber das I-Tüpfelchen bescherte ihm erst seine neue Frisur. Anscheinet hatte er die langen Haaren Platinblond gefärbt, und einmal wild Stufen lassen. Es stand jetzt in wilder Pracht voluminös von seinem Haupt ab. Der Werwolf entging Marcels fragenden Blick keinesfalls.

„Sieht toll aus, ne?“ Kuroro blinzelte ihm verschwörerisch zu. „Kim hat mich beraten. Ich muss schon sagen; In Sachen Mode hat dein Bruder echt was drauf!“

Kim kicherte mit vorgehaltender Hand. „Ach hör bloß auf. Du bist ja ein richtiger Schleimer!“

„Aber nur für dich!“ Kuroro schnappte sich währenddessen Kims Arm und küsste flüchtig seinen Handrücken.

Dieser knurrte bloß, und zog die Hand rasch zurück.

„Lass diesen Homo-scheiß! Ansonsten sorg ich dafür das Daimon dir zu Ehren des Tages die Fresse einschlägt!“

Auf diese Drohung hin verzog Kuroro noch nicht mal eine Wimper. Selbstbewusst fuhren seine Mundwinkel zu einem Grinsen geformt in die Höhe.

„Im Vergleich ist zu dir ist Daimon aber wesentlich reifen. Er geht bei dieser >Homo-scheiße< nicht so ab wie du! Er verträgt Spaß, du kleiner Spießer… und jetzt komm runter in die Küche, wir wollen in 10 Minuten los“

Genervt verdrehte Kim die Augen und schnalzte mit der Zunge; „Du passt einfach super in Daimons Schlägerclub… ich hoffe nur, dass du dich gegenüber ihn zügelst ansonsten gib´s wirklich was auf Maul!“

Er drehte den Kopf langsam zu Marcel.

„Du kommst heute Abend alleine klar?“

„Natürlich“ Völlig überrascht Marcel lächelte ein bisschen. Er vernahm trotz des kühlen Blicks eine deutliche Portion Fürsorge in Kims Stimme. Das baute ihn innerlich auf, und seine persönliche Sympathie für den älteren Zwilling wuchs.

„Mach keinen Mist, Kleiner. Bis später dann!“

„Tschüss, und viel Spaß euch dreien“

„Danke!“ riefen Kim und Kuroro gleichzeitig, während die beiden aus dem Zimmer verschwanden und die Türe zu zogen.

Und nun war Marcel wieder alleine.

Alleine mit seinen Ängsten und Kummer. Traurig gab er sich seinen düsteren Erinnerungen hin; Er hätte sich eigentlich denken können dass Kim nicht auf die Idee gekommen wäre, diesen Abend bei ihm zu bleiben. Dafür wusste der Dämon einfach zu wenig über Marcels Alptraum. Ansonsten wäre er sicher dageblieben…

Sichtlich niedergeschlagen zog Marcel seinen versteckten Rucksack unter dem Bett hervor, als just in diesen Moment sein Handy mit All the Rage! von Blood on the Dancefloor als Klingelton los heulte.

Ohne einen Blick auf den Display zu werfen nahm er den Anruf entgegen.

„Fee?“

„Auch Hallo“

„Was gibt’s? Soll ich früher kommen?“

Am anderen Ende der Leitung hörte Marcel wie seine Freundinn enttäuscht seufzte.

„Vergiss den Höllenberg für heute. Da gab es vor knapp 20 Minuten einen schweren Unfall mit einem Motorradfahrer an der Hauptkreuzung. Die Polizei hat alles im Umkreis von 100 Meter abgesperrte. Wir kommen nicht an den ganzen Leuten vorbei, das können wir abhacken. Außerdem möchte ich unterwegs nicht über einen abgetrennten Arm, oder Fuß stolpern“

„Hmm…Schade drum“ So richtig konnte Marcel seine Erleichterung nicht verbergen, denn wenigstens muss er sich nicht in die Nähe der Villa aufhalten.

Erst fing der Abend scheiße an, und nun sollte sich doch noch alles zum Guten wenden?

„… Marcel? Bist du noch dran? Du sagst ja Garnichts mehr. Hallo?!“ rief Fee gereizt. Im Gegensatz zu ihm hatte sie sich riesig auf den Abend gefreut, da sie schon beim ersten Mal am Höllenberg nicht dabei sein konnte.

„Ja klar, sorry ich war grade abgelenkt. Was sagtest du?“

Fee knirschte lautstark mit den Zähnen, als sie zischten die Luft durch die Nasenlöcher zog. Sie würde es zwar nie offen zugeben, aber insgeheim sorgte sich sie um das Wohlergehen ihrer Freunde sehr.

„Ob es okay ist wenn Connor und ich heute bei dir übernachten? Wir wollten dir ein bisschen Gesellschaft leisten, damit du nicht mehr so einsam bist“

„Ich… COOL! Das wäre toll!!“enthusiastisch hupfte er von einem Bein auf das andere. „Habt ihr zwei denn schon gegessen? Wenn ihr wollt, kann ich die Reibekuchen von heute Mittag warm machen“

Fee überlegte kurz. „Hast du die gebacken?“

„Natürlich. Daimon rührt noch nicht mal die Suppenkelle an!“ sagte Marcel leicht kichernd, der Fees angedeutet Frage sofort verstand, insgeheim froh darüber, das sie nicht recht hatte. Dann seufzte Marcel wohlig. „Wann seid ihr da?“

„Hmm… in, ich schätzmal, in 25 Minuten. Selbst von Connors Haus aus, ist es noch ein gutes Stückchen mit dem Fahrrad. Ihr wohnt ja auch echt am Arsch der Welt… Aber wir beeilen uns. Versprochen. Schieb die Reibekuchen schon mal in die Mikrowelle“

„Alles klar. Bis gleich“

„Ciao“

Wie Marcel offen gestehen musste, hatte sich Fee mit ihrer Zeitangabe gänzlich vertan; denn seine besten Freunde kamen aus irgendeinen unerdenklichen Grund erst eine Stunde später bei ihm an. Was Unterwegs alles so geschehen war, sollte (und im Nachhinein wollte) Marcel auch nicht erfahren, da ihm Fee als Entschuldigung ein paar neue Lila gestreifte Armestülpen schenkte.

Nach weniger als 10 Minuten hatten sie die Reibkuchen verschlungen, und sich in Marcels Zimmer einquartiert. Fee, auf den Boden vor ihrer Tasche hockend, packte grade ihren Nigel-Nagel-Neuen Laptop aus.

„Wow!“ rief Connor überrascht, mit weit aufgerissenen Augen. „Erst die Stülpen, dann dieser Laptop – hast du etwa in Lotto gewonnen, ohne uns was zu sagen?!“

„Natürlich nicht!“ sagte Fee eine Spur zu schnell und leicht genervt. „Ich… ähm… meine Eltern haben das Taschengeld erhört. So einfach ist das“

Was wohl so viel wie: >Fragt nicht weiter!< heißen sollte.

Marcel und Connor tauschten einen verborgenen Blick; Fee verhielt sich seltsam. Tatsächlich erzählte Connor eine halbe Stunde später, das sie in den letzten Wochen kaum noch Zeit für ihn oder ihre Freundinnen übrig hatte, während Fee selbst gemütlich unter der Dusche stand.

„Was sie uns wohl verheimlicht…?“ murmelte Marcel und biss in einen Rotbackigen Apfel.

Sein gegenüber zuckte mit den Achseln, wirkte aber bedrückt.

„Keine Ahnung, aber früher oder später finden wir es schon heraus“

„Da hast du recht. Auch ein Apfel?“

„Nein danke“ sagte Connor und rückte seine Brille zurecht. „Sag mal, hast du eigentlich Stress mit dem Albino? Ich sehe euch zwei kaum noch zusammen“

Marcel wollte widersprechen doch, seine Worte gingen in einem lauten krächzen der Türe unter.

„So Jungs, jetzt seid ihr dran!“ verkünde Fee mehr als gut gelaunt, und setzte sich mit ihren Laptop auf den Beinen neben Connor.

Schnaubend stand Marcel auf, schnappte sich sein Nachthemd und stürmte so schnell wie ihn seine Beine trugen ins Badezimmer.

Das hatte ihm grade noch gefehlt! Rasch schlüpfte er aus den Klamotten und stellte sich unter die Dusche; Fee war nicht die einzige die sich seltsam verhielt, auch Dylan benahm sich gegenüber Marcel eigenartig, und er wusste noch nicht mal, warum. Vor zwei Tagen hatte Marcel ihn eine SMS geschrieben, und bis heute noch keine Antwort erhalten, was den Blonden sehr wunderte. Sonst meldete sich Dylan doch wenige Minuten später sofort. Und auch in der Schule sprachen sie kaum noch miteinander, Marcel hatte außerdem den Eindruck, als würde Dylan von Mal zu Mal dünner und blasser werden, falls das überhaupt noch möglich war.

Ganz allmählich beschlich ihn das Gefühl, das sein Freund eine eigenartige verändern durchlebte.

Am Montag kam Dylan doch tatsächlich mit kurzen Haaren in die Schule.

Seine langen, und wunderschönen Haare waren ab – Ab! - der Schere zum Opfer gefallen. Als Marcel das sah traf ihn fast der Schlag. Hinten trug Dylan es jetzt kurz und stachelig, an den Seiten dagegen Schulterlang und glatt- eine Art Bob für Jungen – gestufte Ponyfransen umspielten sein Gesicht, und hingen wirr in den goldenen Katzenauge, die er mit schwarzen Kajal und mit viel Mühe dünn umrandet hatte. In der Tat sah Dylan noch unnormaler aus als überhaupt vorstellbar. Natürlich bemerkten dies auch die anderen Schüler, und unglaublicherweise interessiert sie sich plötzlich für den Albino. Mit einem Mal klebten in jeder Pause eine Hand von 8- aber auch 10-klässlern an seinen Fersen. Sogar die beliebte Roxane, für alle jedoch Hikari, gesellte sich noch am gleichen Tag zu Dylan. Und mochte dass alles auch so unglaublich erscheinen – das erklärte noch lange nicht Dylans seltsamer Wandel. Was kümmerte es ihn schon, wenn Marcel ihn fast so sehr vermisste wie Jeremy? Jetzt hatte er neue, viel bessere Freunde gefunden…

Marcels Hände zitterten leicht als er nach dem Handtuch griff, und sich langsam abtrocknete.

Was betraf es Dylan, das es Marcel vorkam, als umklammerte eine eiserne Faust sein Herz sobald er ihn auch nur auf dem Gang sah? Die meisten Schüler wussten nicht mal mehr, dass Marcel und Dylan anfangs oft zusammen waren, viel eher wollten sie ihn ganz für sich alleine haben. Mindestens 5 Mädchen der Schule schwärmten für Dylan, 3 Sportvereine (Schwimmen, Theater und Volleyball) rissen sich um ihn, und die restlichen 300 fragten sich, weshalb ein Albino goldene Augen vorwies.

In diesen Moment fiel Marcels Blick in den Spiegel: Sein Spiegelbild betrachtete ihn mit einer Mischung Mitleid und Verachtung.

„Dachtest du, ein Dämon würde dich Zwerg auch nur ansatzweiße lieben, wenn du noch nicht mal einen richtigen Menschen findest?“ fragte der Marcel im Spiegel kühl.

Der echte Marcel biss zornig auf seine Lippe.

„Musst du den gleich immer alles schlecht machen? Woher weißt du überhaupt, das Dylan mich nicht gerne hat?“

„Weil er dich jetzt stehen lässt, wie ein fauler Sack Kartoffeln! Du bist immer so gutgläubig, dass ich fast Kotzen könnte, so Übel wird mir. Sehs doch ein; Der Zug ist endgültig abgefahren! Der Junge will nichts mehr von dir Wissen! Such dir nen neuen Macker - Heulsuse“

Jählings drehte Marcel sich um, und verließ Poldereden Schrittes den Raum.

Auf eine zynische Innerestimme konnte er gut verzichten.

Am nächsten Morgen standen die drei recht spät auf (sie hatten die ganze Nacht lang gequatscht), und Marcel brach sich fast den Hals als er mit Connor auf der Treppe zusammen stieß.

Daimon und Kim bekamen von der ganzen Aufruhe nicht das Geringste mit, denn sie schliefen seelenruhig in ihren Betten, während Marcel Speck und Spiegeleier in der Pfanne brutzelte.

Ohne Jeremy im Nacken machte Daimon gerne Blau, vor allen, wenn ein kritischer Schultag bevor stand. Selbst Kim ließ sich diesmal von ihm einlullen, wobei er sonst immer zur Schule ging, obwohl er das inzwischen nicht mehr nötig hatte. Letztes Jahr, Ende Dezember, hatte er nämlich sein Abitur mit der Note 1, 14 bestanden, und könnte endlich das heißersehnte Medizin Studium antreten. Doch er fühlte sich noch nicht bereits dazu. Glücklicherweise erklärte sich Anfang des Jahres eine Pensionierte Lehrerin dazu bereit, solche Leute wie ihn (es gab noch mehr Schüler, die sich für das Studium nicht bereit fühlten, oder einfach keinen Semester Platz ergattert hatten) extra Spezifischen Unterricht zugeben.

Im Allgemeinen brauchten die Freunde ziemlich lange um in die Gänge zukommen, und verpassten um Haaresbreite ihren Schulbus.

„Ich Übernachte nie wieder innerhalb der Woche bei Freunden…“ murmelte Connor noch ganz verschlafen, und kuschelte sich in das dunkelrote Polster seines Sitzes. Ihm schmerzen die Augen, und immer wieder nickte er während der Fahrt weg.

„Stell dich nicht so an!“ knurrte Fee, eben so müde wie er doch sichtlich gefaster. „Immerhin haben wir das für Marcel getan!“

Währenddessen schaute dieser gelangweilt aus dem Fenster und zählte die Straßenlaternen, an die der Bus vorbei kam. Er kannte Connors und Fees alltägliche Streitereien genauestens, und doch bekamen sie sich nie ernsthaft in die Wolle. Die große Leuchttafel neben der Bank verkündete einen kühlen Mittwochmorgen, um 7.23 Uhr. Nach weiteren 10 Minuten hielt der Bus ächzend und klappernd vor der Schule, und die Insassen stiegen mehr schlecht als recht aus. Wie immer, wären alle viel lieber im warmen Bett liegen geblieben. Doch der Wecker, oder aber die Mutter vergönnten ihnen dies Schicksal nicht.

„Lass und sofort in die Klasse gehen“ sagte Connor besonders Übellaunig zu Marcel. „Ich habe keine Lust, noch länger in dieser Affenkälte zu stehen. Morgen werde ich sicher Krank; ich merke schon, wie meine Nasennebenhöhlen anschwellen… - “

„Ist gut!“ Marcel hob blitzartig die Hand. „Du brauchst mir nichts erklären. Danke!“

Schon Connors detailliertes Vokabular reichte vollkommen und Marcels Meinung zu ändern, und in den Klassenraum zu gehen.

Fröstelnd schob sich der sonst so schüchterne Connor durch den Schülerstrom, rempelte andere um, und trat auf ein halbes Dutzend Füße.

„Hey…!“

„AUA!“

„Mmpf – Was soll das denn; kannst du nicht aufpa-!“

„Schubs doch nicht so!“

„Diese Kinder heutzutage werden auch immer frecher!“

Mit eingezogenen Schultern klammerte sich Marcel an den Kastanienbraunen Pullover seines besten Freundes, und ließ sich durch die Masse ziehen.

Unten den wütenden Blicken seiner Mitschüler schien er noch kleiner zu werden, als er ohnehin schon war – Connor gehörte normalerweise zu den stillen, und tiefen Gewässern, aber heute reagierte er sehr gereizt auf alles und jenen. Tatsächlich wurde seine Haltung noch starrer, und Raubtierartiger als er plötzlich unvorbereitet stehen blieb. Marcel hörte deutlich wie Connor die Zähne auf einander biss, und leise knurrte.

Der Grund dafür sprang ihm auch weniger Sekunden später selber ins Auge.

Ungefähr 5 Meter von ihnen entfernt stand Dylan lässig an einem Spint gelehnt, munter quatschend mit Hikari, dem Superstar in Spe, und Gunnar Di Lauro (Kapitän der Basketballmannschaft, in der Abschlussklasse, 19 Jahre, Gutaussehend – einer der Populären, äußerst beliebten Schüler und deshalb in Kims Gruppe Mitglied).

Im Vergleich zu Hikari gab Dylan jedoch ein echter Winzling ab, der Abstand zwischen ihnen betrug mehr als 10 cm. Und als ob das noch nicht genug wäre; Gunnar war nochmal ein Kopf größer als Hikari – Dylan reichte ihm grade mal bis zum untersten Rippensatz.

„Sehr schön – dann kommst du nächste Woche also auch zu meiner Party?“ hörten Marcel und Connor Hikari sagen. Das Mädchen mit der Rosawolkenmähne klimperte erwartungsvoll mit den großen Kulleraugen - auch wenn ihre Gesten und Gesichtszüge eine gigantische Feminität andeuteten, sah der Rest ihres Körpers verdammt sportlich, oder eher unmädchenhaft aus; Traumhafte geschwundene Schultern, (wirkten sehr einladend zum Kopf abstützen) lange Beine, in einer grauen Röhre steckend, eine flache, trainierte Bauchdecke, verdeckt unter einem schwarzen Shirt, und kleine, perfekte Brüste.

Dylan biss sich leicht auf die Unterlippe, und senkten enttäuscht den Blick. Eine unsichtbare Wolke verdunkelte seine Augen, die leicht rötlich aufglühten, was nur Marcel sah; er kannte schließlich dieses sonderbare Phänomen. Panik durchzuckte ihn.

Doch dann rettete Dylan die Situation mit einem schrecklich gekünstelten lächeln, beidem sogar Mephisto vor Neid erblasst wäre.

„Sorry, ich kann nicht. Mein Vater erlaubt mir keine Partys“

Deprimiert schaute Hikari zu Gunnar der nur mit den Schultern zuckte.

„Tja, da kann man nichts machen. Meine Eltern erlaubten mir in deinem Alter Partys auch nur, wenn ich sonntags den Garten machte und das Auto putze. Glücklicherweise lebe ich jetzt getrennt von ihnen. “

Der Basketballtrainer warf sich schwungvoll die Tasche um, und grinste wobei eine perlweiße Reihe Zähne blitze. Seine dunklen, zu stacheln gestylten Haaren verrutschten nicht um einen Millimeter.

„So Leute, ich geh dann mal in den Klassenraum. Hab jetzt Englisch – bis gleich“

Er winkte noch ein letztes Mal und verschwand dann hinter der Türe zu seiner Linken.

Laute Willkommensrufe, und hysterisches Mädchengekreische übertönen für einen kurzen Moment den allmorgendlichen Lärm des Unterrichtsraums.

Angewidert zog Connor die Nase kraus, der Neid sprang in fast aus der Kehle.

„Wie ich solche Beachboys hasse! Schnell weg, sonst übergebe ich mich auch noch!“

„Jetzt renn mal nicht so. Wir liegen hier gleich auf den Boden!“ zischte Marcel, hielt sich jedoch an das vorgeschriebene Tempo bis er endlich auf seinem Stuhl saß.

„Hast du das gesehen?“ fuhr ihn Connor wenige Sekunden später von der Seite an. „Dein Albino-Freund grüßt dich des Morgens noch nicht mal! Kaum hat er andere Leute gefunden, schon lässt er dich eiskalt stehen. Das ist so ein komischer Vogel, ich hab´s dir ja von Anfang an gesagt. Der bringt dir nur Pech und Kummer - “ Plötzlich stockte er mitten im Satz, und sah beunruhigt an Marcel vorbei. Die Röte schoss ihm augenblicklich ins Gesicht bevor er den Blick senkte.

„Sorry wenn ich eure Gespräch unterbreche Jungs, aber kann ich mal mit dir reden, Marcel?“

– seine Stimme hätte er aus hunderten erkannt.

„Felix, was gibt’s?“

„Kommst du mal mit, wir müssen was klären“ sagte Felix in einem unterkühlten Ton der nichts Gutes bedeutete. Verschüchtert stand Marcel auf, warf einen verwirrten Blick zurück und folgte ihn aus dem Klassenraum.

Sie liefen eiligst durch die Korridore der Schule und kamen an der Cafeteria vorbei. Am Musikzimmer blieben sie schließlich stehen und Felix zog ohne Umwege die Türe auf. Er machte eine kurze Handbewegung in der Luft.

„Hier komme ich immer her wenn ich schwänze“ sagte Felix recht locker, und sich keiner Schuld bewusst. „Bis jetzt hat mich noch keiner Lehrer gefunden, und - “ er fixierte Marcel mit seinen kleinen, funkelnden Augen. „-hoffe das das auch so bleibt. Was heißt, das du den Rand hältst, klar?!“

Inzwischen hatte Marcel sich von den ersten Schock erholt, und erwiderte Felix stechenden Blick ohne große Schwierigkeiten. „War´s das, oder willst du von mir noch anders sagen? Ich habe nämlich echt keine Zeit. In 3 Minuten beginnt meine erste Stunde, und Physik ist echt kein Zuckerschlecken - “

„Ja ja, mach dir mal nicht in die Hose…“

Würde ich auch sagten, wenn man die Begabung eines Dackels hat, dachte Marcel verächtlich, sprach seine Gedanken jedoch nicht laut aus.

Felix lehnte sich gegen eine gelbliche Wand und kreuzte Arme sowie Beine. Er holte kurz Luft, und auf einmal zierte eine leichte Gänsehaut seinen Körper. So, als ob er plötzlich frieren würde, oder Angst hätte.

„Ich wollte mich wegen der Sache neulich bei dir entschuldigen“ sagte Felix und schaute stur auf einen Punkt über Marcels Kopf. „Es war nicht geplant, das Gregor dir ein paar knallt und du im Krankenhaus landest. So… da wir das nun geklärt haben, kannst du bitte Daimon mitteilen, das er aufhören kann, mir Prügel anzudrohen. Das ist echt nicht mehr witzig – ich habe zwar keinen Schiss vor den, aber der Kerl kommt mir manchmal wie ein Unmensch vor. Hast du dir mal seine Arme angeguckt? Die sind so dick wie Baumstämme! Ich wette, der wohnt im Fitnesscenter und lebt nur von Eiweiß-Präparaten. Und schluckt Nägel am Stück“

Ja, da blieb Marcel aber zum ersten Mal die Spucke weg. Wie ein verstörtes Kaninchen starrte er auf Felix ‘Gesicht, unfähig etwas Vernünftiges zusagen oder zu denken.

Das war jetzt nur ein schlechter Scherz, oder?!

Felix wollte ihn doch nur ärgern…

Daimon setzte sich für IHN ein, wobei er Marcel das Leben doch zur Hölle machte? Ihn regelrecht folterte, und sich jeden Tag neue Gräueltaten ausdachte. Das alles sprach nicht grade für eine innige Geschwisterliebe.

„Was hast du gesagt? Daimon hat dich bedroht? Warum? Das versteh ich nicht - Er hasst mich!“

„Naja“ wiedersprach Felix mit hochgezogenen Augenbrauen. „Man kann den Mensch auch nur vor den Kopf, und nicht in den Kopf gucken. Jedenfalls will er dich vor weiteren Schaden Schützen, soviel ist sicher. Aber jetzt genug von diesen Psycho-Quatscht! Ich rede da schon wie meine Alten! Das ist gruselig“

Felix stieß sich lässig von der Wand ab, und schlug Marcel seine wuchtige Hand auf die Schulter.

„So Zwerg, ich geh dann mal wieder. Tut mir den gefallen, und sag keinem, bis auf Daimon, das ich mich bei dir entschuldigt habe. Schließlich habe ich eine Ruf zu verlieren“

„Okay“ antworte Marcel ehrlich, da ihm die Story sowie niemand glauben würde. Wie jeder an der Schule wusste, war Felix ja auch so zahm wie Dracula persönlich.
 

Als Marcel auf sein Handydisplay schaute während er das Schulgebäude nach der letzten Erdkundestunde verließ, wurde er Aschefahl im Gesicht.

So ein Mist! Jetzt hatte er doch glatt seinen Bruder Daimon verpasst, und das nur, weil ihn sein Lehrer in letzter Minuten den Tafeldienst auf Auge drückte.

Er wollte sich doch noch vor den Karate-Training bei Daimon bedanken, welches er 3-Mal die Woche (montags, mittwochs und freitags) in der Sporthalle für 2 Stunden gab – auch dann, wenn Daimon vom Hausarzt vorläufig >Krank< geschrieben war, und theoretisch im Bett liegen sollte.

Rasch ordnete Marcel seine Haare die der Wind zerzaust hatte, und schlich sich auf leisen Sohlen in die Halle. Er wollte es vermeiden von den Kohai (Schüler, in dem Sinne Karateschüler) gesehen zu werden, da Marcel sich ein wenig vor ihnen fürchte. Das waren alles Jungen in dem Alter, die ihn gerne Mobbten oder sonst wie ärgerten. Außerdem wussten selbst alle in der Schule, dass sich Marcel und Daimon eigentlich hassten.

Die Sporthalle bestand aus 2 Umkleidekabinen und 3 voneinander getrennten Bereichen, in denen man Trainieren konnte. Schon seit Jahren benutze Daimon die zweite für sein Dojo.

Allmählich drang eine laute Stimme in Marcel Ohr. Er blieb stehen und lauschte ihr.

„So, und nun ist Schluss mit Lustig, in 3 Wochen machen die Grüngurte Prüfung. Jetzt müssen wir echt Gas geben. Ihr dreht jetzt erst mal 12 Runden an der Wand entlang - Macht schöne große Kreise. Aber zackig! Auf mein Kommando rennt ihr Rückwerts – wer sich hinlegt, bleibt direkt am Boden und mach zur Strafe 25 Liegeschütze. Dasselbe zählt für´s Anhalten, nur mit den winzigen unterschied, dass ich denjenigen persönlich auf Laminat klatsche! Alles klar? Was steht ihr den noch blöd zum? Habe ich euch keine Anweisung geben?! Los jetzt“

Dies war eindeutig Daimons Stimme, der wie immer wie ein wildgewordener Stier in der Kampfarena klang. Irgendwie hatte er sich gedacht dass das Training so, oder so ähnlich Abläufen würde. Und dann wollte ihn Daimon unter diesen Umständen ebenfalls Unterrichten?!

Das würde er nie im Leben überstehn! Nie! Nicht mal in 100 Jahren.

Marcel ging bis zur Türe der zweiten Halle und lugte neugierig herein. Der Boden wurde von einem Grün-roten Mattenfeld bedeckt, die die Form eines riesigen Quadrats bildeten. Daimon stand in der Mitte des Mattenfeldes und motze seine Schüler an, gefälligst schneller zu laufen.

Seine Augen verdunkeln sich und Marcel musste nicht ganz neidlos zugeben, dass das Eckelpacket namens Daimon, verdammt scharf aussah. Selbst der weit geschnittene Karate-Gi, bestehend aus einer schlichten weißen Baumwollhose und einer weißen Jacke aus demselben Stoff , schien seinen Körper mehr zu betonen, als den jedes anderen Jungen.

Vielleicht sollte Marcel sich doch Nachhilfe geben lassen. Natürlich nur, um ebenfalls solche Muckis zu kriegen, und nicht, weil er Daimon ungestört begaffen wollte.

Stopp, Marcel.

Das Reicht! Nachher fängst du an zu sabbern.

Der Kerl mit den geilen Sixpack ist dein Bruder, der ist Tabu für dich!

Hallo, ich meins Ernst! Hörst du schon nicht die Sirenen der Polizei?

„Hey Kleiner, pass doch auf wo du stehst!“

Unsanft wurden Marcels Gedanken in die Realität zurück befördert als ein Braunhaariger Junge ihn an rempelte. Ohne es zu bemerken, hatte die Mannschaft die erste Runde geschafft, und war Schlusslicht an der Türe angelangt, wo Marcel dann halb im Weg stand.

Natürlich drehte sich Daimon um, doch der interessierte Ausdruck verschwand sofort aus seinem Gesicht, als er erkannte, wer genau gemeint war. Seine Smaragdgrünen Augen bohrten sich trotz der wohl Lebensrettenden Entfernung, furchteinflößend in Marcel eigenes Paar.

Er machte genau sechs Schritte, und stand dann an der Stelle wo die grünen Matten von einem Rand aus Roten abgelöst wurden.

„Was machst du denn hier? Hast du wegen Kind- bedingten Alzheimer den Haustürschlüssel vergessen, oder was?“

Marcel öffnete den Mund, wollte grade ein nicht minder freches Kommentar abgeben, als er sich an den Grund seines Kommens erinnert. Normalerweise hätte er sonst direkt zurück geschossen. Marcel hielt es jedoch für Klüger, zu diesem Zeitpunkt den Mund zu halten.

Wenn Daimon ihn schon täglich runter macht, wollt er ihm keinen triftigen Grund geben, dies vor der versammelten Karate-Mannschaft fort zusetzten.

Im nächsten Moment weiten sich Marcels blauen Augen doch schon; Unerwartet zauberte Daimon ein sanftes Lächeln auf seine Lippen – sanft, aus seinem Blickwinkel– für andere ähnelte es eher einer Mordlustige Grimasse.

„Jetzt weiß ich es wieder…“ säuselte Daimon im passenden Ton zu seinem Psycho-Grinsen. „…du bist wegen deiner ersten Karatestunde hier!“

„Was!“ rief Marcel entgeistert und wich bis zur Wand zurück. „I-Ich… ähm… Ich, ich kann nicht, weil – AH! LASS MICH LOS!!“

Mit einem Mal stand Daimon vor ihm, und umklammerte seinen dünnen Oberarm so feste, das sich Aufgrund dieser gnadenlosen Behandlung bestimmt ein Bluterguss bilden würde.

Er zerrte ihn mit sich auf die Matte zurück.

„Jetzt bleib mal locker, Brüderchen, wir haben doch noch gar nicht angefangen!“ Daimon funkelte Marcel bösartig an, seine Pupillen hatten inzwischen die Form von Schlitzen angenommen.

Panisch wand sich der Kleine nach allen Seiten. „Wie soll das denn gehen? Ich habe doch keine Sportsachen dabei. Lass mich los…. Bitte! Du machst mir echt Angst“

Bei diesen Worten lachte Daimon freudlos auf. Das bitten und betteln seines kleinen Bruders ließ in vollkommen kalt. Nicht ein einziges Fünkchen Liebe erweichte sein Herz.

„Ich habe noch einen Karateanzug der Größe S im Spinnt liegen. Zufällig habe ich den bei einer Lieferung, im letzten Monat dabei gehabt. Der passt dir sicher perfekt. Findest du das nicht toll?!!“

„Ich will das nicht, Daimon“ zischelte Marcel so leise wie er konnte. Sein Brenndenes Gesicht leuchtete Magnetrot „Oder soll ich mich etwa vor deinen ganzen Leuten blamieren?“

Schnell zog Daimon ihn näher an sich, dessen Arm Mittlerweile wohl abgestorben war. Fauchend erwiderte er genau so leise: „Worauf du Gift nehmen kannst. Du kleiner Masochist brauchst doch deine tägliche Portion Mobbing!“

Kurz darauf stieß er Marcel ein Stück weg, und verließ galoppierenden Schrittes die Halle um den Karate-Gi zu holen. Der selbstgefällige Ausdruck in seinem Gesicht schien nur die Spitze des Eisberges zu sein- Gleichzeitig durchströmte eine fröhliche, stark Sadistische Erregung seinen Körper bis zu den Zehnspitzen.

Die Schüler tauschten stumm fragende Blicke, liefen aber unbeirrt weiter ihre Runden.

Marcels Beine zitterten, er glaubte jeden Moment den Halt zu verlieren. Alles drehte sich in seinem Kopf. Das würde das peinlichste Erlebnis seines gesamten Lebens werden, und dabei wollte er sich doch nur bei Daimon bedanken! Nach den heutigen Tag brächte er keinen Fuß mehr über die Schwelle dieser Schule zusetzten. Er musste sich unbedingt beruhigen, oder zu mindestens etwas gegen diesen verdammten Wunsch tun, augenblicklich los zu flehenden. Die Gedanken überschlugen sich. Schnappend zog er die Luft ein.

„Hey Kleiner, was ist denn los? Du siehst auf einmal so bleich aus. Ist dir schlecht?“

Marcel spürte eine Hand im Rücken, die ihn leicht streichelte. Er drehte sich stockend um.

Hinter ihm stand ein außergewöhnlich hübscher Junge mit großen Lila farbenden Augen.

Moment mal!

Lila Augen sind biologisch betrachtet ein Ding der Unmöglichkeit, das können nur Kontaktlinsen sein…!

Das letzte bisschen Selbstbeherrschung verließ Marcel, und er sprangt mit einem lauten „Uaah!“ zur Seite.

Da stand wahrhaftig Roxane Anderson, und streichelte immer noch seinen Rücken. Im ersten Moment hatte er das großgewachsene Mädchen (geschätzte 182 cm) für einen Jungen gehalten, da der Karateanzug all ihre Kurven verdeckte.

Vom nahen sah ihr Gesicht noch 10-mal attraktiver aus. Ein butterweiches lächeln zierte ihre rosigen Lippen.

Als Marcel bewusst wurde, wer ihn da so freundlich betrachtete, lief er schlagartig Knallrot an.

„Du bist Daimons kleiner Bruder Markus, stimmst?“ fragte Roxanne, alias Hikari, heiter.

„Marcel…“ verbesserte er kaum hörbar. Auf einmal war die Luft zu dick zum atmen; sein Puls raste wie verrückt. Das populäre Model war nicht nur beliebt und gutaussend zugleich, sondern auch freundlich und warmherzig. Dieses angenehme Verhalten ihm gegenüber verstörte ihn immer wieder auf neue, wo ihn doch alle anderen Schüler wie Dreck behandelten.

„Hey Hikari, auch wenn du ein Schwarzgurt bist kriegst du keine extra Wurst! Renn gefälligst weiter, und zur Strafe hängst du noch 3 Runden ran“

Daimon kam mit polternden Schritten auf die beiden zu, die Ecken seines Mundes hatten sich zu zynischen lächeln nach oben gezogen, während an seinem Arm lässig die Miniaturausgabe eines Karateanzugs baumelte.

Mit einem Hechtsprung kehrte Hikari an die Spitze der Mannschaft zurück, die grade ihre 4 Runden drehte, und streckte Daimon frech die Zunge raus. Ihre Lila Augen glitzerten im Licht wie geschliffene Diamantensplitter. Marcel konnte gar nicht anders, als ihr verwundert hinterher zu schauen. Niemand, bis auf Kim, sprang so mit Daimon um. Dazu gehörte eine Portion Mut, oder ein erheblicher Dachschaden, oder aber, ein Hang zu Masochismus.

Marcel schüttelte seinen Kopf, so dass seine blonden Haarsträhnen in alle Himmelsrichtung flogen. Dann wandte er ihn Daimon zu, der bereits hinter ihm stand und immer noch gemein dreinblickte.

„Bereit Zwerg? Du warst die längste Zeit deines Lebens gesund! Da!“ zischte er spitz, und schlug Marcel unwirsch den Karate-Gi auf die Brust. Dieser zuckte schmerzerfüllt zusammen; erst brach Daimon ihn fast den man Arm, und jetzt presste man seine Lunge zu einen Pfannkuchen zusammen.

Egal, jammern würde eh nichts bringen. Keiner der Anwesenden würde ihm helfen.

Marcel biss die Zähne auf einander; Mist, obwohl er dagegen an kämpfte, spürte er bereits die ersten Tränen in den Augenwinkeln lauern.

Ein hastiger Blick zu Daimon genügte, um zu wissen, wie sehr dieser Sadist Marcels Verzweiflung genoss. Er leckte sich unbewusst über die trockenen Lippen, und berührte kurz mit der Zungenspitze sein Piercing. Hmm, der salzige Geschmack des Metalls erinnerte ihn leicht an Blut…

„Ich geh mich dann umziehen“ murmelte Marcel und überlegte schon, ob er nicht aus der Sporthalle fliehen sollte, sobald er sich aus Daimon Sichtfeld befand. Er verwarf gleichzeitig diesen Gedanken. Würde er das wirklich bringen, hätte er seinem Bruder Stoff zum Ärgern gegeben, oder vielmehr geschenkt.

In Zukunft würde er ihn nur noch Eierlose-feige-Heulsuse nennen. Das wollte Marcel sich nun wirklich nicht geben lassen.

Er drückte den Karate-Gi feste an sich, trotzdem fühlte sich etwas in seinem Inneren eiskalt an. Vor wenigen Wochen hatte er doch einen so guten Kontakt zu Daimon hergestellt, und jetzt ging alle der Terror wieder von vorne los? Marcel öffnete die Türe zur Umkleidekabine und betrat widerwillig den unterkühlen Raum. Er stank nach Schweiß, alten Tennissocken und abgestanden Wasser in den Waschbecken, und Duschen. Diese Umkleidekabine wurden sonst nur von den 10- 12- Klässlern benutzt, daher hatte Marcel bis jetzt auch noch keinen Fuß in diese Grotte gesetzt.

Glücklicherweise, der Suff erstickte ihn fast. Keine Ahnung wie das die anderen Schüler überlebten, wahrscheinlich liefen sie alle mit Klammern auf den Nasen rum.

Er kicherte leise. Mit dem Bild der Nasenklammern vor Augen zog er sich rasch um, und ging in die Halle zurück. Der weiße Anzug schmiege sich wie eine zweite Haut an Marcels Körper, und fühlte sich gar nicht mal so schlecht an.
 

„Danke Leute, das wars dann. Ihr habt heute Abend super mitgearbeitet, das muss ich schon ganz offen sagen. Ich bin stolz auf euch!“ rief Daimon, und warf einen allgemeinen Blick in die Runde, der von allen erwidert wurde. „Hmm? Was Glotzt ihr mich denn noch so dämlich an? Wollt ihr ein Extrastunde anhängen, oder was? He! Vergisst es; nachher kriege ich Beschwerdebriefe von euren Mamis. Dann dürft ihr jetzt in den Feierabend abhauen. Wir sehen uns dann am Freitag wieder, und oweh, ich höre einen einzigen über Blaueflecken jammern!“ Nachdem Daimon das Training beendet hatte, schwirrten die Karate-Jungs wie die Fliegen in die Umkleidekabine, und veranstalteten eine riesen Schlacht mit dem Wasser der Duschen. Auch wenn Daimon recht barsch mit ihnen umging, mochten sie ihn alle. Daimon war doch ihr großes, sportliches Vorbild!

Nein, es gab keinen in der Mannschaft der schlecht über ihn sprach, oder gar seine manchmal recht fragwürdigen Trainingsmetoden anzweifelte. Keinen, bis auf Marcel der wie ein Häufchen elend vor der Kabinentüre hockte. Natürlich tat ihm jeder Knochen weh, und jeder noch so kleine Muskel brannte wie die Hölle selbst. Die Jungs behandelten ihn jedoch höfflich, was wohl an Daimons Anwesenheit lag, und halfen ihm bei den schwierigen Tricks. Darüber Freude er sich insgemein; wenigstens eine Hand voll Schülern verspottet ihn nicht.

Zur Abwechslung mal.

Dennoch wollte er sich nicht gemeinsam mit ihnen umziehen. Er schämte sich wahnsinnig für seinen mädchenhaften Körper. Keine Spur von Muskeln, oder Schamhaaren wies er auf. Vielleicht würde er sein Leben lang an Geschlechtloses Etwas rumlaufen, oder sich früher oder später die Kugel geben…

Nach 20 weiteren Minuten verabschiedenden sich die letzten beiden Jungen bei Daimon per Handschlag, und gingen aus der Halle.

Dieser kam grade um die Ecke, und warf einen flüchtigen Blick in die Umkleidekabine.

„Man…! Wie lange brauchst du noch Marcel?! Beeil dich mal ein bisschen; Ich will nachhause!!“

Ein ungeduldiges schnauben als Antwort.

„Ist ja schon gut, bleib ruhig! Eine Röhre ist nun mal keine Jogginghose, die man Schwupps! Angezogen hat. Vor allem nicht, wenn einem überall Schweiß klebt!“ rief Marcel zurück.

„Das interessiert mich einen scheiß! Wenn du nicht in 5 Minuten fertig bist, schließe ich dich bis Morgen hier ein!“

„Mach doch! Dann rufe ich die Polizei an“

„Halt´ die Fresse du Pisser!“

„Danke für den Kosenamen, Schatz…“

Kaum hatte Marcel die Hose über die Hüfte gezogen, als Daimon auch schon laut die Türe aufriss, und wie eine wildgewordene Furie los keifte.

„Wenn du kleines Rotzblag mich weiterhin provozierst, schlag ich dich zu Brei! Ich schwör´s dir; diesmal mein ich es ernst! Ich beherrsche alle Möglichkeiten dich mittels Folter in geistige Nirwana zu verbannen!“

Mehr als die Hälfte vergaß Marcel sofort, und rollte entnervt mit den Augen. So langsam verlor er die Angst vor Daimons ewigen Drohungen. Erst wenn sich Körperlichegewalt ins Spiel mischte, erwachten seine momentan arg strapazierten Überlebenssinne.

„Anstatt hier rum zu motzen kannst du mir auch mein T-Shirt geben, das ist irgendwo dahinten zwischen Bank, und Wand gerutsch -“

Etwas Warmes streifte Marcels Handgelenk, und dann schoss ein scharfer Luftzug an seinem Gesicht vorbei worauf er donnert gegen Kabinenwand krachte.

So ein Mist! Gott verdammtes Arschloch!!

Marcel schrie auf während der Schmerz seine Wirbelsäule empor kletterte, und sich allmählich in seinen gesamten Körper ausbreitet.

„SCHEISSE!!! Was soll das!? Wolltest du mich killen, oder zum Krüppel machen!?“

Leider war Daimons Gesicht vollkommen emotionslos, so dass es unmöglich war die Richtung zu bestimmen, die seinen Gedanken einschlugen. Nicht mal mehr der Schatten eines Grinsens lag auf seinen blassen Lippen.

„Wenn du was von mir willst, musst du mich schon höfflich darum bitten“

Triumphieren brannte sich das giftige Grün von Daimons Augen, wie ein Feuer in Marcels Körper. Das Herz schlug diesen fast bis zum Hals. Jetzt war der Zeitpunkt des Schweigens gekommen, wenn er sich nicht eine Ohrfeige oder schlimmeres, fangen wollte.

In diesen Moment ließ Daimon den Kopf nach vorne fallen, und näherte sich langsam Marcels Gesicht.

„Hast du jetzt schon schiss?! Ich wusste doch, dass du nur heiße Luft von dir gibst; Du bist ein echter Versager! Komm schon, wehr dich wenigstens!!“

An den Haaren riss er Marcel nach vorne, und blies ihm seinem vom Training heißen Atmen gegen die Lippen. Ein kurzer Blitz durchzuckte seinen Körper. Wie immer fühlte es sich richtig gut an, wenn er schwächere bis auf Blut Quälte. Und Marcel eignete sich nun mal am besten für solche > harmlosen Scherze<. Der schlug doch nie zurück!

Daimon ahnte von der Panik die Marcels Körper durchströmte und grinste ihn Hämisch ins Gesicht. Nur noch ein wenig, und schon würde der Kleine los flennen wie eine Sirene und den Geräuschpegel eines Startendes Kampfjets erreichen.

Doch plötzlich richtete sich Marcel unter Daimons Gewicht auf. Auch dem Ruhigsten platze irgendwann mal der Kragen. Seine blauen Augen glänzten Mordlustig, und schon im nächsten Moment versenkte er seine kleinen Zähne in Daimons Lippe. Die scharfen Beißer verschmolzen mit dessen Piercing, und ein geschätzter Liter Blut ergoss sich zischend über den Steinboden. Marcel ruckte den Kopf heftig zurück, ohne dass er die Wand im Rücken berührte, worauf ein scharfes reißen ertönte. Auch Daimon zischte wie eine Kobra als er jaulend nach hinten sprang, und sich die Hand auf den Mund schlug.

„DU KLEINER WICHSER!“ schrie er so schrill dass sich seine Stimme vor Aufregung überschlug. „BIST DU JETZT VOLLKOMMEN ÜBERGESCHNAPPT, EY!!?“

Vor Schmerzen wimmerte betastete Daimon die Verletzung in seinem Gesicht; anscheinend hatte sich der Metallring nach Marcels Attacke halb durch seine Lippen gebohrt, und sie fast in zwei Hälften gerissen. Immer noch lief in Strömen dunkles Blut aus seinem Mund, und landete auf Daimons weißes Hemd. Rein aus Reflex stieß er einen Fluch aus. Das war sein bestes, und einziges Hemd!

Nachdem seine Augen immer dunkler wurden, und die Wut in ihn hoch kochte, fing er Marcels Blick auf. Der Dämon in seiner Brust stieß einen röhrenden Schrei aus. Am liebsten hätte er sofort los geschlagen.

Sein Gegenüber erwiderte den Blick erst frostig, dann sichtlich verwirrt, und schließlich total verängstigt.

Marcel schluckte hart. Auf einmal zitterten seine Hände wie verrückt. Das war nicht beabsichtigt gewesen. Eigentlich wollte er Daimon gar nicht verletzen!

Das seine Zähne ausgerechnet das Piercing erwischten, war bloß reiner Zufall, und nichts Geplantes. Aus reiner Angst hatte er schließlich zugebissen.

Der Schock trieb ihm den Schweiß auf die Stirn, und das Herz schlug ihm bist zu Hals. Oh weh, jetzt saß Marcel echt tief in der Tinte.

Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete er, wie Daimon immer wütender wurde. Bald würde er Amoklaufen und einen Mord begehen. Und Marcel sah sich selbst schon in der Opferrolle.

Sein zittern verwandelte sich in unkontrolliertes Zucken und er musste sich arg zusammenreißen.

Am liebsten hätte er sich heulend hingeworfen, aber bevor es dazu kam, sprang plötzlich die Kabinentüre zur Seite.

„Hey Daimon, hast du vielleicht noch 5 Minuten Zeit, ansonsten gehe ich jet– Was ist denn hier los…?“ Wie aus dem Nichts herauf beschworen stand Hikari plötzlich im Rahmen. Ihre Augen hatte sie nun mit dunklen Kajal nachgezogen, und ein wenig getuscht, obwohl ihre Wimpern auch ohne wie dichte Staubwedel aussahen.

„OH MEIN GOTT, ist das Blut?!“ Sie stieß einen kurzen Schrei aus, und deutete mit ausgestreckter Hand auf Daimons Mund. Die Chancen standen gut, das sie aus den Latschten, beziehungsweiße, High Heels, kippte.

Sie sah Daimon mit weit aufgerissen Augen an.

„Das ist Blut!!“ Die Haut unter ihrer fluffigen Mähne färbte sich schlagartig Weiß. Sie wimmerte ängstlich. „Was hast du bloß angestellt?! Das sieht ja grauenhaft aus, du musst sofort zum Arzt. Komm, ich fahr dich hin!“

Daimon wirkte wie vor den Kopf gestoßen, und doch schrumpfte der Rachedurst in seinem Magen auf einen winzigen Punkt zusammen.

„Hey hey, immer ruhig mit den jungen Pferden. Das sieht schlimmer aus, als es in Wirklichkeit ist“

Er log, und das wussten sie beide. Natürlich war es schlimm, denn er hätte fast seine Unterlippe verloren. Aber Daimon wollte nicht den Waschlappen spielen, sondern kehrte lieber den Macho nach außen. Er machte eine kurze, abwertende Handbewegung und grinste leicht, wobei sich sein Gesicht jedoch vor unterdrückten Schmerz verzog.

Unwillkürlich machte Hikari einen Schritt nach Vorne und packte Daimon mit einer sanften aber entschlossen Bewegung am Handgelenk. Mit einem Mal wirkte sie gar nicht mehr panisch, oder ängstlich.

„Jetzt markier hier nicht den Starken“ sagte sie ruhig. Ihre Augen verengten sich bei diesen Worten leicht. „Ich kenne dich gut genug, um hinter deine Fassade zu blicken“

„Aber Roxane…!“

„Kein aber!“ Sie warf einen kurzen Blick in Marcels Richtung. „Kannst DU mir wenigstens helfen?“

„I-ich…?!“ stammelte Marcel verwundert.

„Ja klar“

Zu Zweit bugsierten sie Daimon bis nach draußen auf den Parkplatz, wo Hikaris freie Hand auch schon in ihrem Sportrucksack verschwand, und einen Schlüsselbund hervor zog.

Sie hielt eine kleine, schwarze Fernbedienung in der Luft und drückte einen ebenso kleinen, roten Knopf. Irgendwo auf dem Parkplatz, surrte leise ein Auto und zwei Scheinwerfen blinzelten in der Dämmerung.

Marcel blickte sich fragend um; Die Lichter gehörten zu einem roten Cabriolet, den normale Schüler sich eigentlich nicht leisten konnten. Aber war heutzutage schon normal?

Ohne große Umwege schlief Hikari ihren widerspenstigen Kumpel zum Wagen und drängte ihn unter vollem Körpereinsatz auf den Beifahrersitz.

„Jetzt-Mach-Dich-Nicht-So-Schwer. Verdammt!“ keuchte sie. „Mein Gott! Du tust ja fast so, als ginge es zum Schlachthof!“

„Du raffst ja nicht dass ich keinen Arzt brauche!“ spie Daimon ihr angriffslustig entgegen „Das ist nur ein kleiner Riss den ich morgen schon wieder vergessen habe!“

Obwohl er größer und stärker war als Hikari, rührte Daimon keinen Finger um sich aus ihren Klauen zu befreien.

Im Gegenteil. Es schien, als hätte er sogar Angst das Mädchen anzufassen.

Marcel stand Unschlüssig neben dem Cabriolet, und betrachtete mit bangem Blicken die Situation. Das schlechte Gewissen plagte ihn so sehr, dass er ganz in Gedanken versunken war, und kaum was anders mitbekam, als das ständige Hämmern in seinem Kopf.

An diesen Tag ging es viel Verrückte zu, als sonst.

Es war ein Tag, an dem faste ALLES schief ging.

„Buh! Geschafft“

Die Autotür knallte zu und Hikari umrundete erleichtert den Wagen. Im vorbeigehen schnappte sie sich Marcels Ärmel und legte mütterlich einen Arm, um seine schmale Schulter.

„Dein Bruder ist ja echt Schlimm! Wetten, dass er nur Schiss vor dem Nähen hat? Uijiujiujiu~ Hat unser Daimon etwa Angst vor Nadeln!?“
 

Der Tag neigte sich langsam dem Ende zu und die untergehende Sonne tauchte Goathland in ein leuchtendes Rot. Es sah aus, als stünden die einzelnen Wolken am Horizont in Flammen.

Im Fernsehen lief grade irgendeine eine Telenovela vom Nachmittag, als Marcel die Haustüre aufschloss und ins Wohnzimmer spähte.

Kim saß im Schneidersitz auf der Couch und hatte seine Augen verschlafen an die Matchscheibe geklebt. Heute trug er einen Weiss-schwarz gestreiften Pullover, mit einem tiefen V-Ausschnitt am Hals. Dazu passend eine dunkelgraue, enge Röhrenjenas und dicke Baumwollsocken an den Füßen.

„Hi…“ murmelte Marcel im Vorbeigehen und warf seinem Bruder ein kleines Lächeln zu.

Gemächlich drehte dieser den Kopf vom Fernsehen weg, und sah Marcel mit einen intensiven Blick an.

„Hi“ erwiderte er tonlos, ohne dass sich die Hautpartie an seinem Mund bewegte. „Wo warst du den ganzen Tag? Ich habe dreimal auf dein Handy angerufen, und dreimal bist du nicht dran gegangen…“

Marcel verdrehte leicht Augen, und doch schmunzelte er ein wenig dabei. Wieder solch ein geheimer Moment, in dem er Kims Fürsorge deutlich spürte, und sie in seinem an Heterochromie leidenden Augen lodern sah.

„Ich war noch beim Karatetraining und hatte mein Handy deshalb ausgeschaltet. ´tschuldigung, wenn du dir Sorgen um mich gemacht hast“

„Tzz~!“ erwiderte Kim kühl. „Kein Bisschen. Als ob ich nichts Besseres zu tun hätte?!“

„Ist schon okay“ sagte Marcel achselzuckend und ging in die Küche. Dabei warf einen kurzen Blick nach draußen. Er sah Hikari, die mit dem Rücken zum Haus stand, und Daimon verwirrt zu ihr hoch Blickend, immer noch im Auto sitzend. Daimon war Kreidebleich angelaufen und seine Augen weiteten sich wie ein aufblähender Kugelfisch. Dann nickte er plötzlich, lächelte schälmisch und berührte kurz seine genähte Lippe…-

„Huch, wenn haben wir denn da? Wenn das mal nicht Prinzessin Hikari ist“ ertönte plötzlich eine Stimme dicht neben Marcels Ohr. Dieser zuckte leicht zusammen, als er bei Starren erwischt wurde. Das Gesicht zu einem grinsen verzogen legte Kim seine Hand auf Marcels Kopf und verwuschelte leicht seine blonden Haare.

„Zeit zum essen!“ meinte er dann und Kims Stimme klang auf einmal viel freundlicher und auch wärmer als zuvor. „Heute hat Kuroro für dich gekocht, also gehen Beschwerden an ihn, okay?“

Marcel nickte und fand sogar auf Anhieb eine kleine Schüssel mit Sahne-Champion Tortellini in der Mikrowelle.

Doch dann entdeckte er den Hagen an der Sache;

Der Tortellini klebten auch ohne Geburtsfehler an einander wie Siamesische-Zwillinge.

Nur schwerlich konnte er den Nudelklumpen mit einer Gabel zerkleinern, da Kuroro anscheinend so viel Ahnung von Kochen hatte, wie ein Fisch vom Fahrradfahren.

Selbst nach 5 Minuten gnadenlosen hacken und fluchen schaffte es Marcel einfach nicht gegen die Sturheit des Abendessens anzukommen, und musste den Klumpen wohl oder übel in den Abfall befördern.

„Kiley…“knurrte er unwirsch. „Tue mir einen gefallen, und halt Kuroro die nächste Zeit von der Küche fern! Schau dir das doch nur mal an! Das ist jetzt vielleicht etwas niveaulos ausgedrückt, aber da kann selbst Daimon besser Kochen, sprich die Tiefkühlpizza in den Backofen schieben“

Noch in der derselben Sekunde stellte sich Kim hinter Marcel und pustete ihm kräftig ins Ohr.

„Weißt du was? Koch demnächst selber! Wir sind nicht mehr Hotel Jeremy; ab jetzt lebst du wie ein normaler Mensch mit zwei gesunden Armen, und machst dir dein Essen gefälligst alleine“

„Wie bitte?“ Marcel drehte sich mit weit ausgerissenen Augen zu Kim um. Sein Blick bohrte sich wie tausend Messer in die Augen seines Bruders. „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Ich bin den ganzen Tag in der Schule, wie soll ich das den mach - “

„Hey, was ist los ihr Zwei? Warum Zickt ihr euch an!?“

Daimon betrat mit hochgezogenen Augenbrauen die Küche.

„Schon gut“ meinte Kim achselzuckend und wischte das Thema mit einer lässigen Handbewegung vom Tisch. „Jetzt sag mir mal was Roxanne hier wollte“

Als Antwort leckte sich Daimon vorsichtig über die gerötete Unterlippe.

„Der Giftzwerg hat mich eben fast zu einem Mord animiert“ sagte er spitz, und sah Marcel dabei misstrauisch an.

Mit gekreuzten Armen vor der Brust und versiegelten Lippen behielt Kim seine Haltung bei, und starrte seinem Zwillingsbruder direkt in die Augen.

„Wie bitte?“

Für Daimon war ein richtiger Genuss noch einmal die Situation zu schildern, und zu sehn wie Kim ungläubig den Mund aufriss. Zum Schlussnahmen sie Marcel provozierend langsam unter die Lupe, und setzten sich dann ohne zu lächeln an den Küchentisch.

Wollten sie dramatisch sein? Erstens sahen sie sehr grimmig aus; außerdem verbreiteten sie mit ihren ernsten Gesichtern eine schlechte Atmosphäre.

„Das hätte ich nicht erwartet“ prustete Kim keine 5 Sekunden später wobei er tadeln den Finger hob.

„Ich auch nicht… der Kleine ist doch ein echter Sandjoé. Du musst dir nichts gefallen lassen, auch von mir nicht“ Der Sarkasmus in Daimons Stimme war nicht zu überhören. Feste packte er Marcel am Handgelenk und zog ihn an sich. „Schau dir gut an, was du getan hast!“

Seine Mimik war wie aus Stein. Vollkommen Gefühlskalt.

Marcel betrachtete Wortlos seine Schandtat. Und schon wieder bildete sich bei diesem Anblick ein dicker Kloss in seinem Hals, der ihn beim Schlucken leicht würgte.

„…e -esttutuutmiiirleid…“ stotterte er. Die Pure Verlegenheit stand ihm ins Gesicht geschrieben.

„Was hast du gesagt Marcel? Ich habe dich nicht verstanden“

Dieser hatte sich zwischenzeitlich notdürftig aus Daimons Stahlgriff befreit und seine Augen zu kleinen Schlitzen verengt. Sein Blick sah ziemlich furchteinflößend aus.

Als Marcel endlich den Mund aufmachte, klang seine Stimme so kalt, als würde er mit einem Stein am Straßenrand sprechen.

„Bist du taub? Das habe ich dir doch grade - “

„Na na, bist jetzt warst du auf den richtigen Weg!“

Vor Wut schoss Marcel das Blut in den Kopf; Warum musste Daimon immer, IMMER Salz in die Wunde streuen?

„Hättest du mich nicht gegen die scheiß Wand gestoßen, hätte ich dich auch nicht gebissen – also bist du an deinem Unglück selber schuld!“

Daimon hörte noch nicht einmal zu. Er schnalzte bloß ungeduldig mit der Zunge.

„Na und? Soll ich mich dafür etwa entschuldigen? Wenn du so blöd labberst kriegst du eben ein paar aus Maul!“

Marcel, so energiegeladen, dass er mit den Fuß laut auf den Boden stampfte, lachte eisigkalt.

„Was für ein Geistreichereinfall! Kannst du deine Probleme nur lösen, indem du anderen auf Maul haust?!“

„Immerhin kann ich die alleine lösen, und bin nicht auf meinen älteren Bruder angewiesen!“

„Jetzt roll´ doch keine alten Geschichten auf, das ist doch lächerlich. Hast du keine anderen Argumente auf Lager?“

„Oh doch!“ Daimon krempelte sich grinsend die Ärmel hoch. „Ich habe sogar zwei auf einmal!“

Trotz der lautstarken Auseinandersetzung behielt Kim die Ruhe, und legte seinen Brüdern jeweils eine Hand auf die Schulter.

„Jetzt bleibt aber mal sachte Jungs“ meinte er, während er seine Eckzähne fletschte und ein kehliges Knurren hören ließ, bei dem Marcel und Daimon gleichermaßen zusammenzuckten. „In diesen Ton verträgt ihr euch doch nie im Leben! Und ganz nebenbei; langsam kann ich eure ewigen Streitereien nicht mehr hören. Versetzt euch doch mal in meine Lage! Das ist echt mega lässig. Ich bin schon darauf und dran einen Maulkorb für euch zu kaufen!“

Mit einem Kopfschütteln ließ er die beiden los und funkelte sie erwartungsvoll an.

Und, was macht ihr nun? Schien der kühle Ausdruck in seinen Augen zu sagen.

„Na gut…“ knurrte Daimon, dem das Alles gar nicht passte, sich aber als älterer Bruder dazu berufen fühlte den Streit zu beenden. Missmutig streckte er Marcel als Zeichen seiner Reue die linke Hand entgegen. „Entschuldigung, das ich dich wie eine Schmeißfliege gegen die Wand geklatscht habe“

Okay, Daimon winkte wie üblich mit dem Zaunpfahl. Zeit die Rankenwerfen in die richtige Position zu rücken.

„Dann entschuldige ich mich dafür, dass ich mit dir Wonne in die Lippen gebissen habe, und sehr bedauere dass dein Piercing sie nicht gezweiteilt hat!“

„Marcel…. Daimon! Was zum Hänger fällt euch ein? Verdammte Scheisse; JETZT VERTRAGT EUCH ENDLICH, ODER IHR FLIEGT HIER RAUS!! DAS IST MEIN VOLLER ERNST. ICH HABE KEINEN BOCK MEHR AUF DIESEN MIST!!“

Allesklar; nach diesem Tag würde Kim ein paar Therapiestunden bei einem guten Psychologen bitter nötig haben. Im Allgemeinen sah er aus sehr, sehr gefährlich aus. Wie ein richtiges Ungeheuer. Schon die ganze Zeit pochte eine wütende Ader an seiner linken Schläfe, die nur darauf wartete zu explodieren.

Natürlich lag es an den Genen in ihrem Blut, das Daimon ebenfalls wütend, noch wütender als zuvor, wurde und die Pupillen zu kleinen Schlitzen verengte.

„Ach, wer hat dich eigentlich zum Familienoberhaupt erkoren? Ich erinnere mich nicht an eine rechtmäßige Abstimmung!“ zischelte er böse.

„Labbere keine Scheisse Daimon. Das ist ja wohl klar, dass ich jetzt wo Jeremy weg ist, die Verantwortung übernehme. Immerhin bin ich nach ihm der Älteste!“

„Die 2 Minuten verschaffen dir sicher keinen geistigen und moralischen Vorsprung, mein Lieber!“

„Und du hast deine verbliebenden geistigen Fähigkeiten bei kiffen in die Luft geblasen!“

„Huch, der hat mich jetzt aber getroffen. Wenigstens habe ich sinnvolleres zu tun, als mich mit einem extra Schuljahr zu langweiligen, weil ich schieß vors Studium habe“

„Wenigstens habe ich mein Abi schon mal, und bin nicht kleben geblieben!“

„Ist das alles was du zu sagen hast, Mister Schlaumeier?“

„Ja!“ fauchte Kim und senkte bedrohlich die Stimme. „Du hast Hausarrest!“

Daraufhin begann Daimon auch ohne Drogen total bekifft zu Gackern.

„Ich glaube, bei dir Piepst wohl!?“ rief er nachdem er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Doch dies war nur die berühmte Ruhe vor dem Sturm. So wie jetzt;

Sofort erlangte die Wut die Kontrolle über Daimon zurück „Du hast weder zu bestimmen was wir machen, noch kannst du mir irgendwelche Verbote erteilen!“

Ein Seufzen verließ Kims trockene Lippen und er befeuchtete sie gedankenverloren mit seiner Zunge. Dann schüttelte er sich mit einer Kopfbewegung die Haare aus dem Gesicht.

„Daimon“ sprach er sanft und machte einen Schritt auf seinen Zwilling zu, der ihn versöhnlich stimmen sollte. „Bitte lass uns mit diesen Vorwürfen aufhören, ich möchte mich nicht auch noch mit dir streiten. In so einer Zeit müssen wir alle, Marcel eingeschlossen, zusammen halten. An dem Tag bevor Jeremy abgereist ist, hat er mir aufgetragen, in seine Rolle zu schlüpften. Das ist für mich auch nicht einfach, und mit deinem gereizten Verhalten, machst du es mir nicht grade leichter“

Mit einem weiteren Seufzten seinerseits überbrückte Daimon die Entfernung zu seinem Bruder, legte einen Finger unter Kims Kinn und schloss bestimmend seinen Mund.

„Hab schon verstanden“ sagte er so freundlich und sanft wie nie zuvor. „Kein Streiten mehr, kein Brüllen, keine Vorwürfe und keine Verbote. Du bist der Boss, Kimi-Maus!“

„Kimi-Maus!?“ rief >Kimi-Maus< rot anlaufend, und boxte Daimon leicht vor die Brust. „So hast du mich das letzte Mal mit 8 Jahren genannt, in der Grundschule!“

„Und du fandest es total cool und abgefahren. Ich durfte dich gar nicht mehr Kim nennen, ganz geschweige von Kiley. Du wolltest immer nur >Kimi-Maus< gerufen werden“

„Gott! Was war ich damals bloß für ein Hohltier“

„Sag doch sowas nicht, ich fand und finde deinen Kosenamen sogar jetzt noch sehr süß“

„Spinner…. Du willst dich doch nur bei mir einschleimen“

„Na und?! Es scheint ja gut zu wirken“

Da lachte Daimon auch schon und fuhr sich mit einer Hand durch sein rotes Haar, ehe er eine Zigarettenpackung aus seiner Hosentasche zog, und sich den Glimpfstängel zwischen die Lippen klemmte. Wohltuend zog er den Rauch in seine Lunge und vergas vor einen Moment die Außenwelt, und deren negativen Eigenschaften.

„Übrigens…“ sagte Daimon nach einigen Sekunden, und reichte die Zigarette an Kim weiter. „Hikari hat mir eben was Interessantes erzählt. Heute in der großen Pause hat sie irgendeinen vermummter Spastie beobachtet, der anscheinend meinem Spinnt aufbrechen wollte. Aber als sie ihn ansprach, ist der Wichser natürlich abgehauen. Morgen lasse ich einen meiner Jungs im Flur wachen schieben. So etwas lasse ich nicht zu. Wer weiß was der Irre wollte; nachher habe ich eine Briefbombe oder sowas krankes wie eine Schweinehaut ihm Schrank liegen. Wenn ich diesen Kerl in die Finger kriege und mit ihm fertig bin, kann der seine Nahrung nur noch aus der Schnabeltasche trinken“

Ah ja, das war der Daimon den sie alle so sehr lieben. Immer aggressiv und total motiviert das Leben seiner Mitmenschen oder aber Mitschüler in die Hölle zu verbannen, und selbst wenn es sich nur um einen harmlosen Scherz handelte. Doch für Daimon gab es solch eine Art Scherz nicht. Und vor allem nicht in diesem Bereich.

Die eben noch sanften Augen Kims gewannen an Ärger und Mordslust. Die Samtstimm, die so viel Ähnlichkeit mit Jeremys hatte, klang wie scharf wie ein Rasiermesser

„Nein Daimon, falsch. WIR schnappen uns den Kerl, und nicht du alleine. Wer meinen kleinen Bruder belästigt, kriegt die Fresse auf Hochglanz poliert!“

Demonstrativ ballte Kim seine Hand zur Faust und schlug sie in seine andere Handfläche.

Bei dem Chaos, das morgen in der Schule ausbrechen würde, wäre Marcel liebend gerne daheim geblieben. So gern er es auch getan hätte, aber er war einfach zu ehrgeizig dazu. Was bedeutete, dass er jetzt schlafen musste, wenn er morgen in Deutsch die Tischplatte nicht voll sabbern wollte. Mit der Mine eines Mannes, der allem bereit ist, ging der jüngste des Hauses in sein Zimmer und schloss sich ein.
 

In Gedanken spulte Kim den Tag vor Jeremys Abreise nochmal vor seinem Geistigenauge ab, als er stunden später geduscht und umgezogen im Bett lag;

„Ich werde morgen früh um 5 Uhr von einem Rekruten abgeholt“ sagte Jeremy ruhig zu seinen Brüdern. Die Vier saßen in der Küche am Esstisch, und drei von ihnen zogen leidvolle Mienen.

Als Jeremy keine Reaktion von ihnen bekam klopfte er mit der Faust kurz auf die Platte. Der erste der den Blick hob war Kiley. Müde und verzweifelte das er aus. Dicke Schatten lagen unter seinen Augen.

„Was sollen wir den darauf sagen außer viel Glück? Deinen letzten Auftrag hattest du vor 13 Jahren, mal davon abgesehen, das die bei der Army anschneidet Überfluss an Personal haben, da die dich erst jetzt wieder in den Dienst einziehen“

Daimon fluchte leise und blickte stur aus dem Seitenfenster während er seinen Senf dazugab. „Es ist echt wunderbar das die ausgerechnet Dich haben wollen. Ich meine damit, du bist doch nicht der einigste Offizier der ein paar ferngesteuerte und willenlose Marionetten in den Krieg führen kann. Du hast denselben wichtigen Status wie ein alleinerziehender Vater! Sind deinen Leuten etwa schon so Kaputt, das ihnen das Familienleben ihrer >Mitarbeiter< total egal ist?! Wenn das wirklich der Fall ist, dann sind diese Affen sind doch echt allesamt Krank!“

„Es ist für mich nun mal ein anderes Leben. Und lebe es gerne“ antwortete Jeremy mit einem hauchzarten Lächeln im Gesicht, das dem Dämon in seiner Brust alle Ehre machte. „Im Kampf kann ich aufhören zu denken, und einfach das tun, was ich am besten kann. Ich habe euch schon mal erklären das ich besondere Aufgaben erledige und das die Spezialeinheit, die Navy SEALs, meinem Kommando unterliegt. Die Jungs setzten ihr größtes Vertrauen in mir; für die meisten bin ich Lebensretter und Letzte Hoffnung zugleich. Ja, es ist ein anderes Ich, ein dazu anderes Leben. Ein glücklicheres? Natürlich nicht. Ein Grausameres? Aufjedenfall. Trotzdem werde ich diesen Job nie aufgeben. Denn solange es da draußen diese Typen gibt, die Terroranschläge vorbereiten, Bürgerkriege anzetteln oder kleine Kinder zur Prostitution zwingen, bin ich da und vernichte sie“

Erschrocken sahen ihn Daimon an. Jeremy lächelte, zufrieden mit seinem Vortrag. Wenn er einmal von seinen >Aufträgen< erzählte, wurde der Rotschopf plötzlichen ganz Zahm. Doch es ging sich nicht darum, seine Brüder fürs Leben zu schocken, er wollte einfach erreichen, dass sie seine ernste Arbeit verstanden und akzeptieren. Im gegenüber saß Marcel, dessen Unterlippe so stark zitterte das Jeremy ahnte, er würde sofort los heulen wenn er nicht mit den Geschichten vom Dienst aufhörte. Er fühlte sich deswegen schon wie ein gefühlsarmer Kühlschrank und tätschelte liebevoll Marcel Handrücken.

„Macht euch bitte keine Sorgen um mich, sondern lieber um die, die es mit mir aufnehmen wollen. Ich werde euch so oft wie nur möglich schreiben – ihr wisst ja – Telefonate werden vom Sicherheitsdienst überwacht. Dämliche Sache finde ich. Wenn ich Informationen weitergeben möchte, dann mache ich das ganz sicher nicht mit meinem Diensttelefon. Idioten!“

Mit seiner angeborenen Lässigkeit entlockte Jeremy dem Kleinen ein Lächeln, ja sogar ein kleines kichern. Er legte Marcel die Arme um die Hüfte und hob ihn über den Tisch drüber, um ihn anschließend sanft in seinen Schoss nieder zu lassen.

„Ich werde euch doch auch vermissen…“ murmelte Jeremy leise und drückte Marcel feste an sich.

„Fang bloß nicht vor mir an zu heulen, dann ist es aus!“ sagte Marcel. Seine blauen Augen die so schön funkeln konnten waren stumpf und wässrig zu gleich.

Langsam brach der nächste Tag an. Die ersten Sonnenstrahlen fielen ins Haus und malten goldene Muster auf den Laminatboden; die Wanduhr aus dunkeln Eichenholz im Wohnzimmer zeigte 4. 34 Uhr an.

Schon seit 2 Stunden war Jeremy auf den Beinen, und traf die letzten Vorbereitungen für seine nähende Abreise. Er versuchte bewusst so leise zu sein, wie er konnte da er niemanden aus den Schlaf reißen wollte. Eine seltsame, emotionslose Ruhe hatte von ihm Besitz ergriffen; in diesen Zustand hätte er genauso gut eine zerstückelte Kinderleiche im Garten vergraben können, und danach Marcel eine Kakao ins Zimmer hochbringen. Doch es war gut so.

Genau dieser Zustand ermöglichte es ihm erst, die sonderbaren Aufgaben und Aufträge zu erfüllen, bei dem manch Andere schon längst durchgedreht wäre. Seit den Tod seiner Eltern hatte Jeremy die skrupellose Fähigkeit erlangt, sein Herz und Gehirn in schweren Situationen vollkommen >einzufrieren<.

Dieses Wort benutzte er gerne für die Beschreibung seiner Fähigkeit.

Für Eis gibt es kein Schmerz, Eis konnte man nicht zerstören, solange es nur hart genug war und vor allem kannte Eis kein Erbarmen mit den Lebewesen, denen es den Tot brachte.

Nachdem der Kampf vorbei war, konnte sich Jeremy das Blut von den Händen waschen und so weiter machen, als ob er nicht grade ein Dutzend Menschen, oder gar noch mehr, ermordet hatte.

Diese Fähigkeit betrachtete Jeremy als zuverlässiger Selbstschutz seines rein menschlich denkenden Herzens. Würde er ohne Selbstschutz oder als Stone Face all die Taten vollbringen die SIE von ihm verlangtem, würde er eines Tages als lebender Zombie zurückkehren, und die vernichten, die er am meisten brauchte. Aus Selbstschutz natürlich…

„Wie lange bist du schon Wach? Machst du dir etwa solche Sorgen um uns?“

Jeremy drehte sich langsam und kontrolliert um seine eigene Achse.

„Kim… Natürlich… Selbst wenn ich alle in diesem Haus mit Schlafmittel betäubt hätte, würdest du jetzt trotzdem hinter mir stehen, und diese Frage stellen“

„Wenn nicht ich, wer dann?“ Langsam und Katzenhaft schlenderte Kim die Treppe runter und schmiege sich mit der Wange an die Brust seines Bruders. Seine Haare standen in alle Richtungen ab weil er sich nachts immer und immer wieder umher gewalzt hatte. Mit großen, hellwachen Augen sah er zu Jeremy hoch.

„Versprich mir bitte dass du nicht schon wieder Kranke Ideen hast, und irgendwelche fremde Leute mit ins Haus bringst. Einen Bruder mehr, verkrafte ich einfach nicht…“

„Kiley…“ zischelte Jeremy und seine Augen funkelten wie Neonleuchten, die plötzlich in einem dunklen Raum angeschaltet wurde.

„Ist ja schon gut. Reg dich nicht deswegen auf. Ich wollte nur, dass du meine Ängste kennst, und weißt, das wir uns keine weiteren, wie nennst du es nochmal? >Ausrutscher< erlauben dürfen. Wir haben uns ohnehin schon mehr erlaubt, als jedes andere Stone Face. Und das wurde auch nur geduldet, weil du mit Violetta und Ray zu den Mächtigsten unserer Rasse gehörst“

Zuerst wollte Jeremy ihm wiedersprechen, doch dann fiel sein Blick auf das Familienfoto auf dem Wohnzimmerschrank und sein Herz machte einen Satz Richtung Magen.

Er nahm Kim Kopf zwischen seine Handflächen und küsste ihn auf beide Augenlider.

„Ich schwöre dir bei meinem Leben, das ich keine weiteren Dummheiten begehe“

„Und auch keine Frauen-Geschichten, hörst du?“

„Nein Kim, keine Frauen- Geschichten, das verspreche ich dir!“

Vorsichtig streckte Kim seine Hand aus und fuhr zart mit den Fingern über Jeremys glatte Wangen bis sie auf den Lippen hängen blieben.

„Ich möchte nicht, das du auch nur einen einzigen Menschen dort Küsst! Schwör es mir!“

„Jetzt wird bitte nicht melodramatisch.“

In dem gedämpften Licht funkelten Kims Augen vor Eifersucht.

„Schwör es!“

Ohne Vorwarnung gefror das Lächeln in Jeremys Gesicht und er drückte fast aggressiv Kims Genick nachhinten, als sich seine Finger um dessen Kinn schlossen.

„Ich denke, du bist nicht in der Position mir irgendwelche Befehle zu erteilen, oder sehe ich das falsch Kiley?“

Kim zuckte zusammen als er den schneidenden Unterton in seiner Stimme bemerkte. Angst? Nein, er hatte keine Angst vor Jeremy, nur mächtig viel Respekt. Er wusste genau, dass er ihm in allen Lebenslagen oder Gemütszuständen vertrauen konnte.

„Natürlich nicht. Aber was kann ich anderes tun, um meine Eifersucht in den Griff zu kriegen, als dich um das mindeste bitten?“

„Zum Beispiel mir Vertrauen“

Praktisch sofort spiegelte sich dasselbe Schauspiel von vor 27 Sekunden in Kims Gesicht wieder; seine Mine erstarrte.

„Das tue ich. Sogar wenn du mich während eines Tobsuchtanfalls blind und taub geschlagen hättest. Was bleibt mir anders übrig als dem Wesen zu vertrauen, dass mein Bruder ist und gleichzeitig mein Herr und Meister?“

Jeremy seufzte und küsste Kim noch einmal sanft.

„Du solltest vor den Schlafen gehen die Psycho-Thriller weglassen. So langsam bestärkt sich das Gefühl ein Bordell zu leiten. Daimon ist ja schon Krass drauf, aber du bist wahrhaftig die Krönung! Ich tippe ernsthaft auf einen Sado Maso-sklave…“

Vor Wut und Scham schoss Kim die Röte ins Gesicht während sein Atem flacher wurde und er schließlich fast hyperventilierte. D „Danke Jeremy, dass du mich auf meinen momentanen Geisteszustand hinweist!!“

„Seid ihr jetzt fertig mit flirten und darf ich auch mal etwas sagen?“

Dieser kurze Kommentar reichte aus um den Puls der beiden in makrokosmische Höhen zu katapultieren. Einen Moment lang dachten sie schon ihr Herz würde aussetzen, so intim und vertraut war der Moment eben gewesen.

Zischten drehten die beiden sich zu Daimon um, der sie missbillig und genervt beobachtete.

„Wie lange lauschst du schon?“ rief Kim gereizt und war noch ein bisschen röter geworden. „Lang genug um zu wissen, dass du einen ganz schönen Bruderkomplex hast!“ erwiderte der Rotschopf kühl am Fuße der ersten Stufe, genau an der Stelle, wo Kim selbst gestanden hatte.

Kurz bevor diesen einen Herzkasper bekam und die passende Gelegenheit nutzte, um Daimon einen hasserfüllten Sturzbach an Beleidigungen an den Kopf zu werfen, drückte Jeremy seine langen, dünnen Finger auf seinen Mund.

„ARRRRG~ Jermiiii!!! Da is s ei Argshc!!“

„Bist du nur runtergekommen um Kim zu ärgern?“ Jeremy sagte das nicht unfreundlich, doch man hörte deutlich raus dass er schon leicht gereizt war.

„Natürlich nicht“ prustete Daimon empört und strich sich eitel eine Haarsträhne hinter sein Ohr.

„Ich bin gekommen um mich bei dir zu verabschieden“

„Und nicht nur er…“ Langsam erschien ein blonder Lichtfleck neben Daimon in der Dunkelheit. Wie aus dem Boden gewachsen stand Marcel plötzlich da warf einen scheuen Blick ins Wohnzimmer, wo Jeremy und Kim nun wie versteinert aussahen.

„Und ich habe mir solche Mühe gegeben euch nicht auf zu wecken…“ murmelte Jeremy angefressen, und konnte doch nicht die Freude verdrängen, die ihm bei den Anblick seiner drei Brüder durchströmte wie ein warmer Lufthauch.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Reyel
2012-01-12T19:34:04+00:00 12.01.2012 20:34
Hallo,

ich hatte dein fanfic schon lange als favo, nur war sie mir bist jetzt noch zu kurz um sie zu lesen.
dennoch habe ich mir jetzt mal die zeit genommen und habe alle 10 kapi auf einmal gelesen und bin begeisetrt!
Sie ist total geil und vorallem will man mehr!
ich bekomme nicht genug von den 4 brüder ab.... alles was sich sonst so abspielt ist mehr nebensächlich. die 4 sind einfach zu geilXD

Du schreibst schön, aber es sind in den ersten 6 kapi noch einige sätze, die nicht wirklich sinn ergeben, da du vielleicht mal ein wort verschluckt hast. auch die länge der kapis bessert sich!
diese länge von dem 10 kapi ist total in ordnung, finde ich.
ich würde mich freue, mehr von dir zu lesen.
den diese story ist echt hammer und ich bin schon der droge erlegen!

also, hau rein!

ps:
bei weiteren frage oder sonstiges zu mir oder so, frag einfachXD
Von:  Hamsta-chan
2012-01-09T19:18:29+00:00 09.01.2012 20:18
eine sehr schöne geschichte, ich hoffe du schreibst schnell weiter ^^

lg hamsta-chan


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