Wiedersehen mit Misty
Pokémoncenter Vertania City
Misty blickte abwesend aus dem Fenster des ihr zugewiesenen Zimmers. Ihr kleines Azurill schlief seelenruhig auf ihrem Kopfkissen, ihr Rucksack stand auf einem kleinen Stuhl. Es dämmerte schon, doch von Ash, Pikachu und Rocko war immer noch nichts zu sehen. „Vielleicht brauchen sie ja etwas länger..“, murmelte sie geistesabwesend. Seit gestern hatte sich Rocko nichtmehr gemeldet. Vielleicht war ihnen etwas zugestoßen? Ach Blödsinn. Ash und Rocko waren alt genug und hatten zahlreiche Abenteuer bestanden, sie machte sich wohl einfach zu viele Sorgen.
Die Orangehaarige ließ sich auf das bequeme Bett fallen und blickte zu ihrem blauen Pokémon. „Ach Azurill..“
irgendwo in Vertania City
Rocko konnte nicht aufhören, über die Vorfälle der letzten Nacht nachzugrübeln. Dieses Ereignis hatte ihn mehr als beunruhigt, denn obwohl er bereits viel von der Welt gesehen hatte, auf zahlreichen Reisen war und unzählige Bücher über Pokémon gewälzt hatte, so etwas hatte er noch nie gesehen. Auch Ash schien ziemlich schweigsam, sein Blick war starr zu Boden gerichtet. „Pika?“, kam es etwas besorgt von seinem kleinen, gelben Pokémon, welches auf seiner Schulter saß und sanft an einer seiner Haarsträhnen zog. „Was ist denn Pikachu?“, antwortete er, wie aus den Wolken geschüttelt. „Pi..“ Die Elektromaus klang etwas traurig, ja sein Freund machte sich sorgen um ihn. Seit heute Morgen hatte der Schwarzhaarige nicht sonderlich viel gesagt, wirkte nachdenklich. „Hey, ist ja schon in Ordnung, ich bin nur noch etwas.. K.O. von heute Nacht..“, meinte er aufmunternd und grinste.
„Wir müssen dringend Professor Eich anrufen, vielleicht kann er uns weiterhelfen.“, erinnerte Rocko seinen Mitreisenden und erblickte am Ende der Straße bereits das Pokémoncenter von Vertania City.
„Endlich! Ich hab schon wahnsinnigen Hunger!“, murrte Ash, dessen Magen sich schon seit Stunden stetig zu Wort meldete. „Pika Pikachu!“, rief sein kleiner Freund, denn auch das Pokémon schien schon ziemlich hungrig zu sein.
„Na dann los!“ Die letzten Meter ging Ash im Schnellmarsch, er konnte es kaum erwarten. Abendessen. Duschen. Ein weiches Bett.
„Guten Abend Schwester Joy!“, sagte er freundlich, als er durch die Türe kam.
„Guten Abend.“, entgegnete sie gewohnt höflich.
Rocko, der Ash nicht so schnell nachgeeifert war kam nun auch endlich in das lange erwartete Versorgungs- und Medizingebäude.
Kaum war der Braunhaarige über die Türschwelle getreten, fiel er in altbekannte Muster zurück.
„Schwester Joy! Welch Freude sie zu sehen!“, zwitscherte er vergnügt und ergriff sofort die Hand der rosahaarigen Schwester. Diese schien etwas überfordert zu sein und wurde leicht rot um die Nase, wahrscheinlich aus Verlegenheit.
„Das ist ja wiedermal Typisch!“, kam es vom nahegelegenen Flur. Ash, der sich gerade auf einer bequemen Bank im Sitz- und Essbereich niedergelassen hatte, bekam von all dem erst nichts mit.
„Anscheinend hast du dich nicht sonderlich verändert.“, merkte Misty nun an, die Rocko entgegen kam. Sie musste schmunzeln. Ja, so kannte sie ihren alten Freund. Vernünftig, ja. War jedoch eine Frau im Spiel, war Rocko völlig von der Rolle.
„Misty!“ Jetzt wurde auch der angehende Züchter wieder halbwegs klar im Kopf. „Schön dich zu sehen!“
„Azu!“, mischte sich nun auch das kleine Pokémon der Orangehaarigen ein. „Wow, Azurill sieht ja prächtig aus, es ist gut gewachsen!“
„Ja, dank deiner hervorragenden Nahrung, vielen Dank Rocko.“
„Pi..?“
Das Mauspokémon streckte die Nase in die Luft und schnupperte. Diesen Geruch kannte es doch genau. „Pika!“, rief es freudig aus, sprang von der kleinen Bank und lief ums Eck in den Vorraum, wo genau die Person war, deren Duft er schon so lange nichtmehr vernommen hatte. „Pikaaa!“
Und schon sprang Pikachu auf den Tresen und von dort aus auf Misty’s Schulter. „Hey, Pikachu!“, sagte diese erfreut und streichelte dem kleinen gelben Ding über den Kopf. „Azu!“, quietschte auch ihr kleiner Begleiter erfreut und strampelte mit seinen kleinen Beinchen.
„Pikachu, wo bist du, was soll das?“, rief Ash seinen langjährigen Freund verwundert und bog schließlich auch ums Eck.
Schock. Sie hier?
„Misty?!“, stieß er verwundert und in leicht aufgebrachtem Ton aus.
Die Orangehaarige versteifte sich im selben Augenblick, als sie den Schwarzhaarigen sah.
Sie schluckte, doch versuchte sie, sich zu fassen.
„Hey Ash!“, entgegnete sie ihm freundlich.
„Ich warte schon seit ein paar Stunden hier, endlich seid ihr da.“
In diesem Moment war sie einfach nur froh, ihre alten Freunde wiederzusehen.
„Pi!“
„Du wartest hier? Was soll das heißen? Was machst du hier?“
In diesem Moment fühlte sich Misty, als würde ihr jemand einen Dolch ins Herz stechen. Diese Reaktion hätte sie sich wohl am wenigsten erwartet. Wie lange hatte sie sich auf diesen Tag gewartet, ihm entgegengefiebert und dann eine solche Reaktion?
Nun meldete sich auch Rocko wieder zu Wort.
„Ich hab wohl vergessen dir zu sagen, dass uns Misty begleiten wird..“, flunkerte Rocko ungeschickt und fühlte sich in dieser Situation sichtlich unwohl.
Misty biss sich auf die Unterlippe. Sie kämpfte gegen die Tränen an, doch zuzugeben, wie sehr Ash sie mit diesen Worten gekränkt hatte, kam für sie nicht in Frage.
Die Orangehaarige drehte auf dem Absatz um, was zwangsweise dazu führte, dass Pikachu von ihrer Schulter sprang und mit seinen Pfoten gekonnt auf dem Fußboden landete. „Pika!“
Mit schnellen Schritten eilte sie zurück in ihr Gästezimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
Ash blickte mehr als verdutzt drein. Er war überfordert. Was war denn nun passiert? So erwachsen wie er auch geworden war, manchmal fehlte es ihm doch eindeutig an Feingefühl.
Er blickte verwirrt zu Rocko der sich die Hand auf die Stirn schlug.
„Ash du Idiot..“, meinte er Kopfschüttelnd und seufzte.
„Ich wusste, wie lange ihr zwei nichtmehr miteinander gesprochen habt, deswegen und um der alten Zeiten willen, habe ich mir gedacht, es wäre schön, sie bei unserer letzten Reise dabei zu haben. Außerdem kann ich dir sagen, als Arenaleiter kommt einem ein Tapetenwechsel wie eine willkommene Abwechslung vor!“
„Pika Pika!“, murrte die kleine Elektromaus und zupfte an Ash’s Hose. Damit gab es ihm unmissverständlich zu verstehen, dass Ash einen Fehler begangen hatte und sich völlig daneben benommen hatte.
„Dieser Vollidiot!“ Misty konnte es kaum fassen. Hätte sie gewusst, wie das alles hier laufen würde, wäre sie in Azuria City geblieben. Nun konnte sie die Tränen nichtmehr zurückhalten. Ungehindert liefen sie über ihre zarten Wangen und tropften zu Boden. „Azu..“, murmelte ihr kleiner Freund und versuchte sie zu trösten. „Schon gut Azurill..“, murmelte sie gespielt fröhlich und setzte das kleine Tier auf ihr Bett. Die Orangehaarige stellte sich ans Fenster und blickte in den mittlerweile dunkel gewordenen Himmel. Dieselben Sterne, in die sie gestern gesehen hatte, doch das Gefühl war ein anderes.
Wie sehr hatte sie sich gefreut. Sie war so nervös gewesen, hatte sich so oft überlegt, was sie sagen sollte, wie sie es sagen sollte, wie sie sich benehmen sollte.. Und jetzt? Alles für die Katz!
Misty biss die Zähne zusammen. Es schmerzte so sehr. Sie hätte auf ihre Schwestern hören und in Azuria City bleiben sollen, weit weg von all diesem Mist.
Es klopfte. Misty schniefte und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Was gibt’s?“, antwortete sie versucht heiter auf die Pochgeräusche.
Die Türe öffnete sich. Als erstes tapste das kleine, gelbe Pikachu ins Zimmer und gesellte sich zu Azurill aufs Bett.
„Hey Misty..“, murmelte Ash und schloss die Türe hinter sich.
„Was willst du?!“, murrte sie und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich.. es tut mir leid. Ich war nur so.. überrascht dich hier anzutreffen..“
„Na so hat es sich auch angehört.“
Misty’s Traurigkeit mischte sich mit Wut. Dieser blöde kleine..
Der Schwarzhaarige ging auf seine alte Freundin zu und stoppte kurz vor ihr.
„Jetzt sei doch nicht so sauer..“
Wieder ein Fehler.
„Nicht sauer? Nicht .. sauer!? Jahre lang hast du es nicht für Wichtig genug gehalten, mir auch nur eine kleine Nachricht zu senden, oder mich zu besuchen! Und ich dachte wir wären Freunde! Und dann deine Reaktion, als wäre ich ein Bibor!“
Misty’s Kopf wurde hochrot.
Ash blickte beschämt zu Boden.
„Das tut mir ja auch leid.. Aber.. Wenn dir das alles so wichtig gewesen wäre.. wieso hast du dich dann nie gemeldet?“
Schach Matt.
Aus der Zornesröte der Orangehaarigen wurde mit einem Mal Schamesröte. Er hatte Recht. Auch sie hatte ihm nie geschrieben, ihn nie besucht. Sie war genauso schuld gewesen wie er.
„Ich..“
Ihre Stimme wurde wieder traurig.
„Schon in Ordnung, so war das ja nicht gemeint..“, entschuldigte sich der Schwarzhaarige prompt und strich Misty zärtlich über den Kopf.
Damit hatte sie nun sogar nicht gerechnet. Sie blickte ihren alten Freund verlegen an und brachte kein weiteres Wort über die Lippen.
Stille. Auch Ash konnte nichts mehr sagen. Seine Hand wanderte von Misty’s orangefarbigem Haarschopf zu ihrer Wange. Er hatte sie so lange nicht gesehen.
Erst jetzt fiel ihm auf, wie sehr sie sich verändert hatte. Sie war ein Stückchen größer geworden, weiblicher, ja, beinahe noch hübscher als früher.
Auch Misty musterte ihr Gegenüber.
Ash, der früher nicht viel größer war als sie, überragte sie nun gut um einen ganzen Kopf. Er wirkte muskulöser, seine Stimme war tiefer geworden.
„Ash ich..“
„Hey Misty, hast du Ash gesehen?“, platzte Rocko plötzlich zur Tür herein.
Augenblicklich fuhr der Gesuchte herum und wandte sich dem Braunhaarigen zu. „Klar, ich bin hier, ich wollte nur..“ , doch Rocko schien hektisch und ließ seinen Freund kaum ausreden.
„Ich habe Professor Eich am Telefon, komm schnell, was er zu sagen hat, dürfte dich interessieren!“
Rocko klang ungewohnt aufgekratzt und besorgt.
Die drei Freunde gingen im Eilschritt ins Kommunikationszimmer, wo einige Telefone mit Bildschirmen standen.
„Professor Eich, schön sie zu sehen!“, grüßte Misty freundlich.
„Ah, Misty, du bist auch hier, schön schön..“
„Hey Professor!“, meldete sich auch Ash zu Wort.
„Ash.. gut dass ihr nun alle da seid.. Was ich Rocko bereits zuvor erklärte habe, sollt auch ihr erfahren.“
Die Miene des grauhaarigen Mannes war seltsam ernst, so kannte Ash ihn kaum, denn meist war der anerkannte Wissenschaftler gut drauf, eine Frohnatur.
„Rocko hat mir von eurer Sichtung von gestern Nacht berichtet..“
„Sichtung?“, warf Misty verwirrt ein.
„Ja, letzte Nacht haben wir einen seltsamen Lichtblitz gesehen, gefolgt von einem blauen Lichtstrahl am Himmel.“
Die Orangehaarige wirkte verdutzt.
„Solche Sichtungen gab es in dieser Nacht nur im Vertania Wald, rund um die Stadt. Wenige haben gesehen, was ihr gesehen habt, dennoch hat mir ein besorgter Kollege von einem geheimen Projekt erzählt.“
„Geheimes Projekt?“, fragte Ash neugierig. Irgendetwas stimmte hier nicht, das war offensichtlich.
„Ja. Er ist ihm gelungen und Ash, frag mich bitte nicht wie, an Unterlagen von Team Rocket zu kommen..“
„Team Rocket?!“, kam es beinahe Synchron von den drei Freunden. Die schon wieder?! Von diesem Gaunerverein hatten sie nun wirklich die Nase voll.
„Ja. Es scheint so als hätten sie ihre alten Forschungsarbeiten wieder aufgenommen und ein neues Labor auf einer uns noch unbekannten Insel errichtet. Wo sie genau liegt, ist uns noch nicht geläufig, doch es sind bereits einige Tauboga damit beschäftigt, Kanto nach ihr abzusuchen.“
Ash schluckte. Das hörte sich nun gar nicht gut an. Alte Forschungen. Wo Team Rocket seine Nase drin hatte, herrschte stets nur Chaos und Verwüstung.
„Nun, es scheint so als würden sie an einer Methode arbeiten, die Gene von Pokémon mit Menschlichen zu mischen und..“
„Soll das heißen sie wollen aus Pokémon Menschen machen?!“, warf Misty erschrocken ein.
„So ungefähr.. Wir sind uns noch nicht ganz sicher, was genau Team Rocket damit bezweckt, aber..“
„Auf jeden Fall nichts Gutes!“, beendete Ash Professor Eichs Satz.
Dieser nickte.
„Mein Kollege Professor Tulp, der ein Laboratorium in Orania City leitet, welches sich mit den dort lebenden Meerespokémon beschäftigt, ist an der Sache dran, er erwartet euch bereits. Mit dem Bus aus Vertania City braucht ihr gute sechs Stunden. Wenn ihr den Morgen um sechs Uhr morgens nehmt, seid ihr bis Mittag dort. Meldet euch dann bitte bei mir.“
Klick.
Ash schluckte. Wie furchtbar. Dieses Team Rocket war verabscheuungswürdig.
„Wir sollten nicht allzu lange aufbleiben, wir werden unsere Kräfte noch brauchen, fürchte ich..“, murmelte Rocko, der ebenfalls schockiert schien.
Der Hunger, den der Schwarzhaarige schon die ganze Zeit vernahm, war wie weggeblasen.
„Du hast Recht.. komm Pikachu..“, murmelte er. „Pika..“
Misty lag in ihrem Bett. Ihr kleines Azurill war längst im Land der Träume und schlief friedlich auf dem Kopfkissen. Ihr Kopf drohte zu explodieren, tausende Gedanken drehten sich wie ein bedrohlicher Strudel im Kreis. Die neuen Pläne von Team Rocket, furchtbarer als jeder zuvor und dann auch noch die Sache mit ihrem alten Freund Ash. Immer wieder schwirrten ihr die Bilder von ihrer vorherigen Begegnung im Kopf umher. Ein seltsam flaues Gefühl machte sich in ihrem Bauch breit. Eines war ihr klar, diese Reise würde ganz anders verlaufen, als sie es erwartet hatte.
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So, schneller als erwartet kommt nun das zweite Kapitel von DESTINY :)
Diesmal geht es ein bisschen mehr zur Sache ;)
Bis Donnerstag wird es wohl noch ein Kapitel geben, dann erst wieder nach dem Wochenende :)
Ich freue mich auf Kommentare und Kritik/Wünsche!
Lg
eure Cubone