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Karamellbonbon

von

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24. Dezember

***
 

Vollkommen unerwartet traf der Schlag Takerus Schulter. Ein heftiges Zucken, dass nicht mehr unterdrückt werden konnte, durchwanderte für einen kurzen, kaum wahrnehmbaren Moment, den gesamten Körper und ließ das Herz für Sekunden schneller schlagen, als es sollte.

Tief nach Luft ringend, drehte sich der Japaner zu dem Übeltäter seines Schockes um und blickte in das grinsende Gesicht seines Mitkommilitonen Koji.

„Na Alter, wie läufts mit dir und Akemi-san?“, Anstand kannte der Kurzhaarige mit der schiefen Nase und dem breiten Grinsen in solchen Dingen nicht. „Bekommt sie dieses Jahr zum Jahreswechsel eine Kleinigkeit geschenkt oder sollte sie langsam 'Waiting-Akemi-san' genannt werden?“

Während Takeru seine Jacke wieder zurecht rückte, ein reiner Reflex des menschlichen Daseins, nuschelte er brummend in seinen nicht vorhanden Bart: „Das geht dich und die anderen Wettmitglieder gar nichts an.“


 

*
 

Es war ein grandioser Erfolg – und das auf der ganzen Linie. Sie hatten die Halle gerockt, ob mit Gesang oder den musikalischen Fertigkeiten am Instrument, ihre Mitschüler waren bei jedem Lied regelrecht ausgeflippt und hatten fast immer mit voller Inbrunst mitgesungen.

Fans und Band schaukelten ihre Ekstase im Wechselspiel nach oben, um sich gegen Ende zum finalen Höhepunkt zu bringen, der in einer Lichtershow mit schnellen Akkorden und dem gewissen Groove eingestimmt wurde. Wann das Ende kam, konnte niemand so richtig sagen, denn nach dem Konzert schien die Party erst richtig loszugehen. Drei Stunden spielte die Band ununterbrochen, danach durften arrangierte DJs ihr Können zeigen und der Band so richtig einheizen.
 

Mit einem Dröhnen im Ohr und dem Gefühl, dass der Kopf gleich platzte, wachte Nitan auf. Noch immer ausgelaugt von der nächtlichen Feier kroch sie einer Schnecke gleich aus ihrem Bett. Dabei wurde die störrische Bettdecke hinterher gezogen, um der Kälte nicht gleich in die Arme fallen zu müssen.

Der Weg ins Bad erschien wie ein Marsch der Unendlichkeit und jeder Schritt den sie bleiern tat, verlangte die mühselige Überwindung des inneren Schweinehundes - der anstatt die Schritte zu erschweren, den Blick in den Spiegel hätte verhindern sollen. Denn das was Nitan da sah, war der erschreckende Anblick einer jungen Frau, die sich nach einem nächtlichen Partytrip einfach nur noch ins Bett geschmissen hatte.

Dort wo einst Ordnung über Haar und Make-Up geherrscht hatte, fand sich das pure Chaos wieder. Die sonst so geordnete Haarpracht stand gehalten vom übermäßigen Gebrauch von Haarspray und Haarlack in alle Richtungen ab. Schon der bloße Gedanke das Wirrwarr auf ihrem Kopf zu zähmen, ließ in Nitan die pure Panik aufsteigen. Den Schmerz, der ihr beim Ausbürsten bevorstand würde unerträglich werden.

Im Gegensatz dazu, war ihr Gesicht noch einigermaßen human anzusehen. Lidschatten, Eyeliner, Lippenstift und Rouge waren nur an den Augen und dem Mundbereich zu einer einzig großen Masse an bunter Farbmischung zusammengelaufen, aber sowas konnte mit etwas Wasser und dem Benutzen von Make-Up Entfernungslotion wieder in Ordnung gebracht werden. Aber die Haare – Nitan litt schon beim Betrachten des monströsen Haarnestes auf ihren Kopf Qualen.
 

„Leg die Bürste weg“, hörte Nitan hinter sich sagen. „Warmes Wasser, falls du das als Finnin kennst und Shampoo helfen bei so was viel besser weiter.“, ehe die Blonde mit der Katastrophenfrisur sich umdrehen und einen Schrei der Empörung von sich geben konnte, stand Ju aufmunternd lächelnd neben ihr. Doch der Blick, den sie zugeworfen bekam, war beseelt mit Zorn und lodernder Wut.

„Du glaubst wohl, wir Finnen leben noch immer hinterm Mond?“, zischte Nitan.

„Noch immer?“, hakte Ju belustigt nach und schwang ihre Augenbraue nach oben.

„Ach.“, meinte Nitan unwirsch und wandte sich wieder ihrem Spiegelbild zu, dass ihr kritisch entgegen blickte. Leicht angeekelt fischte sich die Blonde eine Strähne aus ihrem hellem Vogelnest heraus, dass auf ihrem Kopf manifestiert war und zwirbelte die Spitze zwischen ihren Fingerspitzen hin und her. Ju betrachtete das Geschehen und seufzte.

„Tu was ich dir gesagt hab.“ Nach diesem Satz war die Halbchinesin schon fast aus dem Bad verschwunden, da hielt sie abrupt inne und drehte sich am Türrahmen gelehnt zu Nitan.

„Bevor ich es vergesse, wir treffen uns Punkt sechzehn Uhr in der Eingangshalle.“, dieser Satz ließ die Finnin noch mehr erstarren, als ihr verwahrlostes Spiegelbild.

In einer hundertachtzig Grad Drehung platzte es aus ihr heraus: „WAS?“

„Heute ist der 23.“, meinte Ju fast schon gelangweilt, während bei ihrer Bandkollegin das Gesicht verrutschte.

„Wi … wir … – Wir fliegen heute?“, geschockt von der Erkenntnis, die sie nicht wahr haben wollte, stolperte Nitan zurück und stieß gegen das Waschbecken, an dem sie mit ihren Fingern Halt suchte.

„Heute?“, krächzte es aus ihr hervor.

„Ja, heute. Das weißt du doch.“

Wusste sie es? Das zarte Zittern ihrer Mundwinkel verriet das sie sich langsam an die Besprechung mit dem Rest der Band erinnerte.

„Oh“, entwich es ihr. Hilfesuchend blickte sie zur Tür, doch Ju war schon weg.

„JU?“, schrie Nitan verzweifelt. Ihre Zimmergenossin konnte sie doch nicht einfach so allein lassen. Nicht jetzt. Doch die Finnin blieb allein zurück. Mit panischen Blick sah sie zu dem kleinen Radio, das im silbernen Grau an der gefliesten Wand hing und ihr verriet, dass nur noch drei Stunden blieben.

Erneut schien ihr Gesichtsausdruck zu entgleisen und so sehr sie sich auch bemühte, das Display mit ihrem Blick zu erdolchen, die Mechanik ließ sich einfach nicht davon abbringen die Zahlen weiterlaufen zu lassen. Als ob die Erkenntnis der knappen Zeitbemessung noch nicht ausreichte, erwachte in ihrem Kopf eine kleine piepsige Stimme, die nur leise daran erinnerte, dass sie die Koffer noch zu packen hatte.
 

Drei Stunden später hatte Nitan etwas geschafft, was sie sonst immer als unmöglich gehalten hatte.

Ihre drei Koffer waren bis zum Anschlag vollgepackt mit Kleidung, Schuhen, Schmuck und Kosmetika. Den letzten und größten hatte sie nur mit Hilfe zu bekommen, dabei war ihr der Fingernagel sogar abgebrochen. Glücklicherweise unecht und daher leicht ersetzbar.

Nun stand sie auf der obersten Treppenstufe und sah erhobenen Hauptes mit zufriedenen Blick auf den Eingangsbereich hinab. Aus ihrem einstigen Vogelnest waren goldenen Wellen geworden, die einen samtenen Schimmer an den Tag legten. Ihr Make up war zwar nicht wie sonst, saß aber perfekt und war trotzdem typisch Nitan. Elegant, so wie es die Mutter ihr beigebracht hatte, schritt sie die Treppe hinunter. Das ihr dabei über die Hälfte der männlichen und weiblichen Blicke gehörten, war für die Finnin eine alltägliche Nebensache.

Wenn sie einem Blick mit zarten Lächeln huldigte, dann gehörte dieser ihrem Freund, der am unteren Treppenende mit einem schelmischen Grinsen wartete.
 

Ju, die sie ebenfalls als erblickt hatte, konnte sich einem frechen Spruch einfach nicht verwehren.

Der Anblick von vor drei Stunden war einfach zu göttlich gewesen.

„Ich dachte schon, du schaffst es nicht.“, stichelte sie.
 

Auf der drittletzten Stufe verharrend, strich Nitan ihre Haare elegant zurück, während die zweite Hand stützend auf der Hüfte ruhte. Von oben herabblickend, wandte sie sich kurz von Gil ab und meinte zu Ju:

„Glaubst du, ich will Weihnachten allein unterm Mistelzweig verbringen?“

Ein keckes Lächeln und ihre Aufmerksamkeit gehörte wieder ihrem Freund, der ihr in bester Manier die Hand reichte, um ihr die letzten Stufen eine Stütze zu sein.

Gil konnte sich bei dieser Aussage ein Schmunzeln nicht verkneifen. Seine blonde Wildkatze konnte manchmal nicht einmal allein unterm Duschkopf stehen.
 

Kari, die mit geschlossenen Augen und den Kopf an Joes Schulter gelehnt, das Szenario akustisch mitbekommen hatte, fragte müde und nuschelnd in die Runde: „Sind wir jetzt komplett?“,

„Nein, Hero fehlt noch.“, gab Joe ebenso schläfrig zur Antwort und schmiegte seine Wange an Karis Haar.
 

„Was?“, empört wandte sich Nitan von Gil ab und sah sich suchend um. Als sie feststellen musste, das Joe nicht gelogen hatte, stemmte sie ihrer Hand in die Hüfte und motzte: „Da beeile ich mich extra und dann müssen wir trotzdem warten?“

„Es liegt nicht an ihr.“, versuchte Ju das lodernde Feuer zu beschwichtigen. „Herr Direktor wollte nochmal mit ihr sprechen.“, gab sie als Erklärung an.

„Kann er das nicht vertagen?“, zischt sie und warf das goldene Blond schnaubend über die schmale Schulter.

„Das haben wir ihn auch gefragt und gleichzeitig gesagt, dass wir es eilig haben, aber du kennst ja unseren Direktor, der kommt nie zu einem Ende.“

Das stimmte. Da konnte sogar der Weltuntergang vor der Tür stehen, erst wenn der Direktor mit seinem Monolog fertig war, durfte der Niedergang kommen. Dementsprechend laut war auch das verzweifelte Seufzen von Nitan.

„Und so, wie ich Hero einschätze, wagt sie es nicht, der Höflichkeit und dem Anstand wegen, das Gespräch zu einem schnellen Ende zu bringen.“

„Etwas was du nicht hast.“, kicherte Kari.

„Wozu auch. - Ich bekomme immer was ich will.“, gab sie frech zur Antwort und drehte sich wieder zu Gil.

Dieser grinste breit und flüsterte ihr ins Ohr. „Selbst dann, wenn du es nicht willst.“

Das laszive Lächeln, dass er dafür erntete, war Vorfreude genug auf den ersten Mistelzweig.
 

„Naja, wir dachten, wir lassen ihr und dem Direktor so lange Zeit mit Quatschen, bis unser Gepäck verstaut wurde.“, entgegnete Joe gähnend und schmiegte sich noch näher an Kari heran. Nicht ahnend, welchen Sturm er losgetreten hatte.

Nitan horchte bei der genannten Information auf. Plötzlich wurde Gilbert mit einem seltsames Glitzern in ihren Augen bedacht.

„Die Autos sind schon da?“, fragte sie erfreut.

„Na jetzt hast du was gesagt.“, meinte Gil an Joe gewandt und ging Nitan hinterher, die in der Zwischenzeit zu einem der vier Fenster gelaufen war und nun versuchte durch die Verzierungen etwas von draußen zu erkennen. Doch die ins Glas eingelassenen Ornamente verwerten der Finnin jeglichen Blick.

„Geh doch einfach zur Tür.“, gab ihr Gil den Rat, nachdem er dem Ganzen etwas länger als eine Minute zugesehen hatte. Mit zusammengezogenen Augenbrauen und gerunzelter Stirn sah Nitan ihn an.

„Da ist es aber kalt.“, sie zeigte mit dem Finger auf die Tür. „Ich hab schließlich keinen Mantel an.“

„Aber du hast mich.“, entgegnete dieser und stellte sich hinter sie, um ihr sofort seine Wärme demonstrieren zu können. Dieser zärtlichen Geste konnte sie einfach nicht widerstehen und so blieb sie da, wo sie stand.
 

Die Automarke war zu Nebensache geworden, viel mehr erstaunte es Nitan immer wieder aufs Neue, wie ihr Freund es schaffte, seinen wahrlich starken, nicht überdreht muskulösen Oberkörper unter einem einfachen Oberteil, wie einem Hemd zu verstecken.

Mit dem Rücken schmiegte sie sich an ihn, um auch jeden Muskel wahrnehmen zu können. Dies blieb Gil nicht verborgen. Er neigte sich zur ihrem Ohr und wisperte: „Wenn du so weitermachst, könnte es passieren, dass wir den Abflug verpassen.“
 

Jack grinste während er das Paar beobachtete.

An den Rest der Gruppe gewandt, meinte er amüsiert: „Kaum liegt sie in seinen Armen, zerfließt sie und ist zahm wie ein Kätzchen.“

Ohne von ihrem Buch aufzusehen, gab Ju ihr Statement dazu ab: „Tja, die Beiden wissen halt, was sie aneinander haben. Heute haben sie sich lieb und morgen zanken sie wieder, wenn niemand anderes da ist, der Nitan die Würze in ihrem Leben geben kann und trotzdem kann sie nicht ohne ihn. Ist wie mit Pfeffer und Salz, zu viel davon ist nie gut aber ohne... geht nicht.“

„Ach ja?“, Jack sah sie mit hochgezogener Augenbraue an. „Woher willst denn du so was wissen, so weit ich weiß...“, er hielt einen Moment inne und wandelte seinen Satz in eine Frage um: „Wann hattest du deinem letzten Freund den Laufpass gegeben?“

Nun war es Kari, die sich mit einem empörten Unterton und ihrem Sinn zur Gerechtigkeit zu Wort meldete und gegen den Amerikaner aufbegehrte, auch wenn es Ju nicht im Geringsten störte, was über sie gesagt wurde.

„Jack, das war gemein.“

„Wieso?“, kam es von diesem, der verwundert zu der zierlichen Brasilianerin blickte.

„Weil das gemein war.“, gab diese nur als Begründung an.

Sie war empört über Jacks Ausrutscher, schließlich wusste auch er, dass Ju, was die Liebe anging ein Mauerblümchen war und sobald sich jemand für sie interessierte, die Flucht in sieben Meilen Stiefeln ergriffen wurde.

Zum Leidwesen der Sehnsucht nach Liebe, die in Ju wie ein zarte Blume vor sich hin vegetierte, gab es das Paar 'Sieben Meilen Stiefel' nur einmal und daher konnte keiner der hitzigen Bewerber der Halbchinesin folgen.
 

Ein lautes, negativ gestimmtes Brummen kam aus Nitan und Gilberts Richtung.

Sie hatte zwar aufgehört ihren Freund unbewusst zu stimulieren, dafür war aber der Drang die Automarke endlich in Erfahrung zu bringen, wieder erwacht.

Stimmungsvoll verstimmt starrte Nitan durch das Fenster und drehte sich am Ende grummelnd in der Umarmung ihres Freundes zu diesem um.

Die vorgeschobene Unterlippe und der trotzigen Blick ließ nur erahnen, wie empört sie über das verzierte Fenster war, dass ihr einfach nicht den Blick freigeben wollte, so oft sie es auch niederstarrte.
 

„Was?“, hakte Gil nach.

„Ich konnte nichts erkennen?“, nuschelte die Finnin maulend, wie ein kleines Kind.

Mit großen Augen sah sie ihren Freund an und erhoffte die rettende Antwort von ihm zu erfahren, welche Automarke da draußen auf die Gruppe und auf sie wartete.
 

Joe, der kleine Bruder von Jack, sah dem Ganzen amüsiert zu.

Mit monotoner Stimme, die sogar Kolibris hätte einschlafen lassen können, meinte er schließlich: „Kein Mercedes.“

Kaum hatte er dies ausgesprochen, erntete er einen ungläubigen und bohrenden Blick.

„Was?“, war das Einzige, dass Nitan in der Lage war zu sagen, während ihre Augen einen fokussierten Wechsel zwischen Gilbert und Joe veranstalteten, als ob sie einen PingPong-Ball im Spiel verfolgen würden.

„Sag, dass das nicht wahr ist.“, murrte Nitan, mit dem vielsagenden 'ich-glaube-kein-einziges-Wort-Blick'.

„Es stimmt aber.“, meinte Gil frei raus und hielt sie dabei nur noch fester in seinen Armen, um ihr den Weg zur Tür unmöglich zu machen.

Zuerst wandte sich sich, dann zerrte sie und zum Schluss stemmte sich Nitan gegen ihren Freund.

„Gil!“, jammerte sie kläglich, mit dem Gedanken den Fuß auf den Boden zu stampfen, wie es Rumpelstilzchen einst getan hatte. Doch sie unterließ lieber den Versuche, man konnte schließlich nicht wissen, ob sich der Boden bei ihr nicht doch auftat.

Noch ehe sie ihrer zweiten Vorstellung nachkommen konnte und wie bockiges Kleinkind zu reagieren, meinte Ju:

„Es ist auch kein Maybach.“

„Kein Rolls Royce“, fügte Jack hinzu.

„Und auch kein Bentley.“, nuschelte Kari und versuchte ihren Kopf weicher auf Joes Schulter zu betten.
 

Der Pegel ihrer Fassungslosigkeit war bei jedem genannten Namen weiter nach oben geschnellt und hatte nun den Zenit erreicht. Die Wandlung ihre Gesichtsmimik bis zur endgültigen Entfaltung, war in Zeitlupe verfolgbar gewesen.

Allein ihr Mund, der schon leicht geöffnet war, schien größere Dimension annehmen zu wollen, da das Kiefer immer weiter nach unten wanderte. Dem wollte ihre Augen nach einigen Sekunden in nichts nachstehen, während die rosige Farbe ihrer Wangen spätestens bei 'Rolls Royce' ein kalkfarbenen Blässe gewichen war.
 

„Tut mir leid“, raunte Gil ihr ins Ohr. Das süffisante Lächeln auf seinen Lippen war kaum wahrnehmbar. „Aber meine Großeltern waren der Ansicht, uns bei dem Wetter da draußen mit zwei Porsche Cayenne zum Flughafen fahren zu lassen.“
 

Die Stille, die nun eintrat, war Nitan ihrer Auffassungsgabe zu verdanken. Denn der Satz sickerte wie eine zähe Masse nur langsam in ihr Bewusstsein. Zur selben Zeit war beim Rest der Gruppe ein breites Grinsen sichtbar. Selbst Kari hatte nun ihrer Augen geöffnet, um sich diesen Moment nicht entgehen zu lassen.

Das so wenige Wörter soviel Bedeutung besitzen konnten, wurde Nitan in diesem Moment wieder schlagartig bewusst. Natürlich war diese momentane Erkenntnis über die verbale Macht nicht so bedeutend, wie die Nacht, in der Gilbert ihr kurz vor dem gemeinsamen ekstatischen Höhepunkt in horizontaler Lage die drei bedeutungsvollsten Worte ins Ohr gehaucht hatte. Es war mehr eine Kombination aus Zischlauten und knurrenden Grollen gewesen, das aber sehr erregend geklungen hatte.

Noch heute war sie mit Peinlichkeit erfüllt, wenn sie an die Nacht zurück dachte – und alles nur wegen diesen verdammten drei kleinen Wörtern, die sie fast an den Rand des Wahnsinns gebracht und ganz nebenbei Tränen der Freude in ihren Augen entwickelt hatten. Damals war sie einer glücklichen Heulattacke nah gewesen. Doch bevor sie sich so etwas erlaubte, wurde Gilbert für den Rest der Nacht mit Küssen überhäuft und ihm gleichzeitig verständlich gemacht, dass sie sich für den Rest der Nacht immer wieder von ihm Lieben lassen wollte, bis beide ihren Trieben der Müdigkeit wegen ins Traumland entflohen.

In ihrem bisherigen Leben hatte sie auch nie so für einen Kerl gekämpft, wie für Gil.

Natürlich hatte sie vor ihm schon einige andere gehabt, aber das waren Ein-Wochen-Beziehungen, die nur für die Ausfüllung ihres hormongesteuerten Haushaltes herhielten. Seit sie dreizehn war wechselte sie ihre fast gleichaltrigen Liebhaber wöchentlich, bis vor drei Jahren Gilbert einfach so in ihr Leben gestolpert war.

Während andere sofort die Zündung starteten, wenn sie Interesse zeigte, war Gilbert noch nicht einmal aufgefallen, dass es sie überhaupt gab. Nitan hätte sich wahrscheinlich in den ersten drei Monaten nackt vor ihm hinstellen können und er wäre nicht darauf eingegangen.

Erst nach einem halben Jahr hatte sie es geschafft, seine Aufmerksamkeit nur auf sich bezogen zu gewinnen. Ganze zwei Monate hatte es noch gedauert, bis sie endlich soweit waren, dass man von einem Paar sprechen konnte und wer meinte, dass die kühle Blonde ihn nach einem weiteren Monat fallen lassen würde, wie ein Kind, dem das Spielzeug zu langweilig geworden war, der hatte seinen Wetteinsatz verspielt. Es dauerte zwar noch ein weiteres halbes Jahr, bis sie endlich an dem Punkt gemeinsamer ekstatischer Höhe in horizontaler Lage und den drei Wörtern angekommen waren, doch in dieser Zeit hatte Nitan die Liebe mehr als nur auf diese eine Art lieben gelernt.

Die Zeiten in denen sie mit der ebenso triebgesteuerten Dame 'S.J' aus einer erfolgreichen US-Serie verglichen wurde, waren vorbei.

Nitan war sesshaft geworden und jeder der das Gegenteil behauptete oder schamlose Verleumdungen säte, konnte sich darauf gefasst machen den Zorn einer blonden Furie zu spüren. Sie hatte seit zwei Jahren und einigen zerquetschten Monaten und Wochen bewiesen, dass sie ihre Liebe und erotische Seite mehr als nur einmal an ein und den selben verschenken konnte.
 

Die Farbe kam wieder in Nitans Gesicht zurückgeschossen und die Fassungslosigkeit wandelte sich in euphorische Begeisterung.

„Porsche Cayenne.“, hauchte sie spitz, während ihr Atem einem holprigen und bebenden Zustand annahm, der den erregenden Ekstasen seit einer gewissen Nacht glich – und wahrlich, es gab nicht viele Dinge, die Nitan in diesen Zustand fallen lassen konnten. Dafür war die Finnin, wie ihr Heimatland, viel zu kühl. Ein der beiden Stimulanzen formte sich zu ihrem Freund, die ander teilte sich in Bühnenleben und Autos auf. Letzteres war nur erregend, wenn es teuer, elegant und viel PS unter der Haube besaß.

Plötzlich wurde sie von einer unerträglichen Hitze erfasst, die von Gil und dem Wissen der Automarke ausging und sie zum Schmelzen brachte. Das Herz schlug Saltos, Purzelbäume und sämtliche akrobatischen Hüpfer, die möglich waren und schien gar nicht mehr aufhören zu wollen. Wäre Hero nicht als Rettung erschienen, Gil hätte seine Freundin im neuen Aggregatzustand 'flüssig' mitnehmen müssen.
 

„Bin da.“, erklang die helle Stimme der Japanerin.

Gleichzeitig zeigte sich wieder diese uneingeschränkte Macht, die verbale Kommunikationsausgabe haben konnte. Wie von einem Bann erlöst, befreite sich Nitan von der Umarmung ihres Freundes und sauste zur Tür hinaus.

„Dann kann's ja losgehen!“, hörten die anderen sie schreien, während Gil erstaunt hinterher sah.

Ju, die dem panischen Lauf ihrer Freundin verfolgt hatte, meinte verwundert: „Und was ist mit ihrem Mantel?“

„Sie braucht keinen Mantel, die Autos wärmen sie.“, meinte Kari, die in der Zwischenzeit Hero geschnappt hatte und diese im eingehakten Zustand der Arme, mit sich zog.

Es sollte erwähnt werden, dass sich Joe und Hero, was die erste Geige bei Kari anging, abwechselten. Je nachdem, wer zuerst auf der Bildfläche war, spielte in dem Zeitraum die Hauptrolle in Karis Welt, bis die zweite geliebte Person erschien.

Joe war das abrupte Fallen lassen schon gewöhnt. Hero hingegen wurde sanft bei Seite gelegt.
 

*
 

Leni war an diesem Abend nur in Bewegung, sie glich einer aufgescheuchten Henne, der man den Fuchs in den Stall gesetzt hatte. Von einer Ecke des Lokals raste sie im hohen Tempo in die Andere. Extremsportler hätten ihr wahres Vergnügen gehabt, für Leni war das der pure Stress. Kaum hatte sie den fünf neuen Gäste an Tisch 7 die Bestellung abgenommen, da rief auch schon Kollegin Natascha an Kuchentheke ihr zu.

Es gab mal wieder Schwierigkeiten mit der Kaffeemaschine.

Typisch! Kaum herrschte Hektik in dem Laden, stieg das Erbe aus Zarenzeiten aus.

Auf den Weg zur Theke knallte Leni den Zettel für Tisch 7 dem Ober, der gerade mit einem leeren Tablett in die Küche wollte, entgegen.

„Hier, sag du mal Bescheid.“, meinte sie mit überschlagender Stimme und konnte nur darauf hoffen, dass ihr ältere Mitstreiter es auch tat.

Bei Natascha angekommen, verschnaufte Leni, während die rothaarige Kollegin ohne Punkt und Komma auf sie einredete.

„... und plötzlich blieb das Ding hängen, jetzt funktioniert gar nichts mehr und schau die dir die vielen Menschen an. Die wollen alle Kaffee. Ich hab sie schon gebeten, einen Tee zu nehmen, aber heißes Wasser, so meinen sie, können sie auch daheim kochen.“, kam es panisch.

„Schon gut, ich schau mal, wo das Problem liegt.“, meinte Leni noch immer Atemlos und ließ einen prüfenden Blick über das Gerät schweifen.

Im Hintergrund ertönte die Stimme einer sehr ungeduldigen Frau im Pelzmantel und tiefroten Lippen, die sich darüber empörte, dass das Personal einfach unfähig sei. Bei jedem Wort konnte jeder sehen, wie die dunkelrote Farbe ihres Lippenstiftes an ihren Zähnen hängen blieb und dort in kleinen Schlieren verwischte. Appetitlich war anders.

Leni bedachte die Frau nur mit einem genervten Blick, sie hatte keine Zeit sich mit solchen Personen über banale Bemerkungen zu streiten. Viel wichtig war es, dass das Kaffeemaschinenproblem gelöst wurde.

Äußerlich schien mit dem klapprigen Teil alles in Ordnung zu sein, nur das scharrend, quietschende Zischen und der metallische Klang der Wasserpumpe ließ Leni erahnen, das etwas nicht stimmte. Das Gesicht verziehend, öffnete sie den Schrank unterhalb der Maschine und konnte gerade so ihre Füße in Sicherheit bringen. Ein Schwall aus Wasser plätscherte heraus und ergoss sich über den roten Teppich. Entnervt seufzte sie und blickte zu Natascha.

„Die Wasserzufuhr ist unterbrochen, der Schlauch hat sich gelöst. Sag Oleg, er soll das Wasser hier für einen Moment abstellen, sonst haben wir hier gleich eine Überschwemmung.“

Sofort flitzte die Rothaarige in die Küche und bat den Koch das Wasser abzustellen. Dieser kam der Bitte nur mürrisch nach, aber er tat es. Kaum, dass das Wasser aufgehört hatte zu sprudeln, versuchte Leni den Wasserschlauch mit der Maschine zu verbinden. Sie drehte die Verbindungsmutter so fest an, wie sie konnte. Danach gab sie Natascha das Zeichen, damit das Wasser wieder angedreht werden konnte. Prüfend blickte Leni auf den Kaffeespucker. Erst tat sich gar nichts, doch dann waren brodelnde Geräusch zu hören. Die Pumpe gab keinen metallischen Klang von sich und das grauenhafte Zischen hatte auch aufgehört.

Ein Pfiff ertönte und plötzlich schoss ein heißer Strahl Kaffee aus der Öffnung direkt in die Tasse hinein.

Mit einem warmen Lächeln wandte sich Leni an die Kundschaft und meinte mit einem vorangehenden Gruß der Entschuldigung, dass der Betrieb an der Kuchentheke wie gewohnt weitergehen würde.

Der Vorfall mit der Kaffeemaschine hatte genau die Zeit in Anspruch genommen, die der Koch und seine Helfer für die Essenszubereitung für Tisch 7 gebraucht hatten. Somit brauchte Tisch 7 nicht auf sein Essen zu warten und hatte als Zeitüberbrückung die 'Legende der nicht Kaffee spuckenden Kaffeemaschine' miterleben dürfen. Na, wenn das kein Gesprächsstoff gab.
 

Leni war gerade auf den Sprung zu einem anderen Tisch, um das benutzte Geschirr abzuräumen, da ertönte ein ihr bekannte Stimme.

„Frau Leni Solowjowa, haben Sie einen Moment?“, es war ihr Chef, Anton Koslow.

Leni hatte ihn erst gar nicht wahrgenommen, da er an einem der Tische saß. Erstaunt wirbelte sie herum und sah ihn verdutzt an.

„Sicher.“, meinte sie freundlich und kam der Bitte nach, sich mit an den Tisch zu setzen.

Verwundert und darauf wartend, was er wollte, sah sie ihn an. Es dauerte einen Moment, bevor ihr Chef sein Anliegen hervorbrachte. Zwischenzeitlich kam ein ältere Gast vorbei, der dem Chef die Hand auf die Schulter legte und sich bei diesen für die Übernahme der Kosten bedankte. Erst als dieser gegangen war, legte Koslow seine gesamte Aufmerksamkeit auf Leni.

„Ein Freund von Ihnen, ich glaube ihr Mitbewohner.“, der Chef legte eine Pause ein, um sich den Namen ins Gedächtnis zu rufen.

„Dimitri Mo...“

„Dima Morosow.“, erklärte Leni schnell und erschrak über sich selbst, dass sie so frei raus geantwortet hatte. Entschuldigend sah sie Koslow an, der sie verwundert betrachtete aber gleich darauf weiter sprach.

„Ganz genau, der. Dieser junge Mann hat mich darum gebeten, Ihnen während dieser WM, die da in Moskau stattfinden soll, frei zu geben. Er meinte, ohne sie würden er und sein Trainingspartner sich nicht richtig auf die WM was das kulinarische Befinden angeht, vorbereiten können und auch während der WM bräuchten beide ihre Unterstützung.“, Koslows Stimme klang gelangweilt und desinteressiert. Doch die Aufregung in Leni, ließ sie die monotone, fast einschläfernde Stimmlage überhören. Sie lächelte sogar verlegen, als sie hörte, welche Begründung Dima ihren Chef angebracht hatte, um diesen davon zu überzeugen sie mitfahren zu lassen.

„Nun ja, was das Wissen von Rezepten angeht, sind beide wirklich nicht die Gesündesten.“, hauchte sie als Bestätigung zu dem, was sie eben gehört hatte. Ihren Blick hatte sie nach unten gerichtet, doch in ihrem Gesicht war ein Lächeln zu sehen, welches Koslow nicht entging.

„Deswegen mein liebes Kind, werde ich es nicht zulassen, dass die Beiden allein nach Moskau reisen.“, der plötzliche Hautkontakt ließ Leni erschrocken aufsehen. Aus den Augenwinkeln sah sie seine Hand auf ihrer ruhen. Nur langsam, murmelte Leni ein 'Danke'. Sie konnte nicht sagen warum, aber die Berührung zwischen ihr und dem Chef ließ ein unbehagliches Gefühl aufkeimen. Die junge Russin war wirklich froh persönlich von ihrem Chef zu hören, dass sie mit durfte, aber ihr Inneres zog sich immer mehr zusammen, je länger seine Hand ihre umgab.Vorsichtig versuchte Leni ihre Hand aus der männlichen Gefangenschaft zu befreien, doch Koslow ließ dies nicht zu. Im Gegenteil, er nahm nun seine zweite Hand hinzu und fing an ihre zu tätscheln.

Nun spannte sich ihr gesamter Körper an. Verkrampft saß sie auf den Stuhl und blickte sich so unauffällig wie möglich nach ihren Kollegen um. Der Versuch ihrem Chef zu sagen, dass sie diesen beim Trubel beistehen musste, gelang ihr nicht. Koslow forderte Aufmerksamkeit und Augenkontakt.

„Wissen Sie Leni, ich weiß nicht ob Sie wirklich nur wegen der Verpflegung mit müssen, aber...“, er brach mit dem visuellen Kontakt und ließ seinen Blick über ihren Körper streifen. Unterhalb ihres Halses, in der Nähe des bedeckten Dekolletés, blieben seine Augen für einen Moment mit begierigen Ausdruck hängen, bevor er den Augenkontakt mit ihr wieder aufnahm.

„Ich kann es den jungen Männern nicht verdenken. Warum sollten die Beiden erst was bezahlen, wenn sie es doch von Haus her geliefert bekommen.“, den letzten Satz hatte er in Gedanken zu sich selbst unbewusst im flüsternden Ton ausgesprochen. Doch Leni hatte es gehört und verstanden.

Ihr Puls raste, sie hatte das Gefühl jeder in diesem Raum konnte ihr Herz schlagen hören. Dieser prüfende Blick hatte ihr den Rest gegeben und diese Anspielung auf ihren Körper, wie konnte er denken, dass sie nur aus dem Grund von den Jungs mitgenommen wurde. Ihr wurde heiß und wieder kalt, alles fühlte so unrealistisch an und seine Berührungen an ihrer Hand ekelten sie regelrecht.

„Nun,“, versuchte sie als Ansatz. Sie brach ab. Ihre Stimme zitterte, sie musste sich fassen, durfte keine Schwäche zeigen. Das Beste war, so zu tun, als ob sie seine Deutungen falsch interpretierte.

„Ja, Leni?“, Koslow wartete auf eine Antwort. Wie konnte er sie nur beim Namen nennen, beim Vornamen. Noch einmal holte Leni tief Luft.

„Frei Haus, das glaube ich weniger.“, meinte sie. „Die Zutaten müssen schließlich auch bezahlt werden.“

„Natürlich müssen sie das. Das Auge soll ja schließlich auch was davon haben.“, sein Lächeln erschien Leni in diesem Augenblick dreckig und gleichzeitig verwirrte sie dieser Satz. Er sprach einfach weiter.

„Leni. Wissen Sie, dieser Morosow hat ihr Essen in den höchsten Tönen gelobt. Warum versuchen Sie nicht mal in der Küche ihr Glück.“

Jetzt verstand sie gar nichts mehr. Eben hatte er noch auf ihren Körper angespielt und nun sprach er über ihre Kochkünste, die von Dima so hoch gelobt worden waren.

„Nun, was meinen sie?“, hakte er nach.

„Sie meinen, ich sollte dem Koch beim Backen und Braten helfen?“, stotterte sie vor Aufregung. Doch ihr panisches Verhalten kam nun nicht mehr von der Berührung, sondern von ihrer Psyche. In ihr wirbelten Fragen herum, auf denen sie keine Antwort zu wissen schien. Hatte sie sich die Anspielungen auf ihren Körper nur eingebildet? War ihr deshalb die Berührung so ekelhaft vorgekommen? Waren ihr die Nachrichten über Missbrauch am Arbeitsplatz und Übergriffen von ranghöheren Arbeitskollegen zu Kopf gestiegen und hatten ihr ein Trugbild vorgespielt? Sie konnte doch nicht so Paranoid geworden sein, nur weil er ihre Hand in einer so vertrauten Art und Weise tätschelte.

Leni war so sehr in ihren Gedanken versunken, dass seine Stimme sie aufschrecken ließ.

„Ja, aber nicht jetzt. Sie müssen ja erstmal zeigen, dass Sie auch was drauf haben.“, schon wieder fanden seine Augen den Weg zu ihren Brüsten. Leni war fassungslos. Nein, Paranoid war sie nicht, die Bestätigung folgte auf dem Fuß.

„Wie wäre es, nach Lokalschluss? Sie backen einen kleinen Kuchen und den koste ich und wenn ich zufrieden bin, dann dürfen sie einige ihrer Kuchen in der Theke verkaufen. Na, wie wäre das?“

„Nach Ladenschluss?“, sie hätte heulen können.

„Ja, sicher. Während der Öffnungszeiten ist das nicht möglich, mein Kind.“

Koslow rückte näher an sie heran und führte eine Hand zu ihrer Wange, dort strich er hauchfein über ihre Haut und spielte mit einer Strähne die nicht in den streng geflochtenen Zopf eingebunden war.

„Schließlich müssen die Einnahmen, die während ihrer Fehlzeit nicht reinkommen, nachgeholt werden. Und warum sollten Sie dabei nicht ein wenig Spaß haben. Immer nur die beiden Jungs daheim zu bekochen, ist doch nicht das Wahre. Nach dieser WM machen wir es uns einen Abend hier gemütlich und Sie zeigen mir, wie es mit Ihrer Kochkunst bestellt ist.“

„Ja, natürlich. Danke.“, hauchte Leni und wich den Berührungen in ihrem Gesicht aus. Die Strähne wurde verächtlich von ihr hinter das Ohr gestrichen.

„Du brauchst dich nicht zu bedanken, das mach ich doch gerne. Sie sind doch ein braves Mädchen und würden alles tun, um das Studium zu finanzieren und um bei den Jungs zu sein, nicht?“, mit diesen Worten entließ Koslow sie aus seinen körperlichen Fängen.
 

Benommen und blass, taumelte Leni zur Theke, hinter der Natascha stand. Würde sie wirklich alles tun? Das unbehagliche Gefühl blieb als sie mit leicht zittrigen Beinen neben der Rothaarigen stand. Bis zum Ende hatte sie gehofft, dass dieses Tätscheln und Betrachten nur eine Marotte von ihm war, doch der Moment als er das 'du' angesprochen hatte, wurde ihr bewusst, dass die Angst begründet war.

„Hast dich ja prächtig mit dem Alten unterhalten.“, meinte Natascha muffig. Darauf konnte Leni nichts sagen. Sie zahlte Geld in die Kasse ein, entschuldigte sich bei der Kundschaft, dass sie sich einfach den nächsten Kaffee nahm und setzte sich in eine ruhige Ecke. Verwundert sah Natascha ihr nach und winkte eine Kollegin hinzu, die für einen Moment den Verkauf übernehmen sollte.
 

„Bist ja kreidebleich. Was wollte der Chef den von dir?“, gelangweilt an der Wand lehnend und ihre roten Krallen betrachtend, die mal wieder eine unbezahlbare Maniküre notwendig hatten, wandte sie sich Leni zu.

Mit kurzen Schlücken versuchte diese den Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken, bevor sie eine Antwort gab.

„Er hat zweideutige Anspielungen gemacht. Er will mich nach Ladenschluss hierbehalten, damit ich ihm meine Kochkünste vorführen soll.“

„Und? Was ist daran zweideutig? Dann kochst du halt für ihn und gut ist.“, meinte Natascha mit den Schultern zuckend.

„Ach, du verstehst das nicht.“, winkte Leni ab und versuchte das Gespräch zu beenden.

„Wie du meinst.“, kam es von der Rothaarigen, die einmal genüsslich mit vorgehaltener Hand gähnte.

„Beschwer' dich aber nicht. Du bekommst fast einen gesamten Monatslohn umsonst. Mit eins, zwei Gefälligkeiten musst du ihm schon beweisen, dass du sehr dankbar bist, die Erlaubnis bekommen zu haben mit deinen Jungs nach Moskau zu reisen.“

Erstaunt sah Leni Natascha an. „Dann hast du ja doch verstanden was ich meine.“, flüsterte sie.

„Süße, du bist nicht die Erste und auch nicht die Letzte mit der er einen schönen Abend hatte und haben wird. Wer eine Extrawurst haben will, der muss auch Leistung bringen und wenn er die Gelegenheit hat mit einem Mädchen, dass nicht so vertrocknet wie sein Alte daheim ist, zu flirten, dann macht er es auch.“, gab sie gelangweilt an und zwirbelte ihre Haare zwischen den Fingern.

„Wie 'nur flirten' kam mir das aber nicht rüber.“

„Herrgott, wie sind nicht im Paradies. Um zu überleben musst du halt auch Opfer bringen.“, motzte Natascha. „Klar, dass ich nicht flirten gemeint hab. Er will ne schöne Nacht. Keine Sorge, du wirst es bequem haben und schwängern will er auch niemanden. Nur eine bisschen Spaß.“

„Natascha“, hauchte Leni fassungslos. „Du?“, mehr brauchte sie nicht zu sagen.

„Himmel, was glaubst du denn, wie ich die Erlaubnis bekommen habe, mit meinem Freund Silvester in Moskau verbringen zu dürfen und nicht hier arbeiten zu müssen.“

Leni durchbohrte mit ihrem Blick die Kollegin, diese stieß genervt die Luft aus und gab der Kollegin Bescheid eine Raucherpause einlegen zu müssen. Sie schnappte Leni am Arm und zerrte sie durch die Küche zum Hinterausgang hinaus auf den schneebedeckten Hof.
 

„Au! Du tust mir weh!“, zischte Leni böse. „Was soll das, Natascha?“

„Halt den Mund und hör zu.“, maulte diese sie an, während sie den Hof und den Angestellteneingang überprüfte, ob sie auch wirklich allein waren.

„Für mich war es auch nicht gerade toll zu wissen, was er wollte. Aber ich hab es getan und so schlimm war es auch gar nicht.“

„Bitte?“, allein der Gedanke daran ekelte Leni.

„Ich hab es für meinen Freund und für mich getan. Schließlich will ich Silvester nicht hier allein bei der Arbeit verbringen.“

„Weiß Viktor davon?“

„Spinnst du? Natürlich nicht.“, schoss es aus Natascha. „Der wird schon eifersüchtig, wenn mich ein Halbstarker nur mal anlächelt. Was meinst du, was der getan hätte, wenn er davon erfahren hätte.“

„Aber ...“

„Kein 'aber', Leni. Du wirst Vik nichts sagen. Klar.“

„Ja.“, zur Bestätigung nickte die Angesprochene. Den Blick zu Natascha wollte sie nicht erwidern.

„Leni.“, die Stimme der Rothaarigen klang brüchig. „Es … ich hab es mir schlimm vorgestellt. Aber … er will nur einen jungen Frauenkörper berühren und vergessen, dass er daheim eine alte und vertrocknete Schachtel hat.“

„Kannst du es vergessen?“, hauchte Leni und sah ihrer Freundin in die Augen. Diese wandte sofort den Blick ab und wischte sich unwirsch die Tränen aus dem Gesicht.

„Du wirst es lernen. – Ich hab es schließlich auch gekonnt.“, damit sah sie Leni wieder an.

„Wie oft hat er...?“

„Nur das eine Mal.“, gab Natascha zur Antwort. „Nur einmal.“

Leni wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Es behagte ihr nicht, Natascha in die Arme zu nehmen und sie zu trösten und trotzdem tat es ihr weh, die Rothaarige zu sehen.

„Leni.“, mit festen Blick sahen sich beide an. „Er wird nicht von dir verlangen, dass du dich komplett entkleidest. Nur, so viel, wie nötig ist.“, damit war das Thema für Natascha beendet und sie ging ihre Kollegin wieder ablösen. Leni blieb mit ihren Gedanken allein zurück.

Opfer bringen, mussten diese wirklich so aussehen. Natascha hatte bestätigt, was sie geglaubt hatte in den Anspielung auf ihren Körper zu sehen. Das an dem Abend mehr als nur Essen kochen passieren würde, falls es überhaupt dazu kam, war so sicher, wie die Tatsache, dass es von der Jahreszeit her, Winter war. Es fröstelte Leni, doch nicht die Kälte des Dezembers stieg in ihr auf, es war eine andere Art des Zitterns. Ein tiefe dunkle Vorahnung, die ihr mehr als nur Angst einjagte.
 

Dima ahnte nicht, was auf die Frau, für deren Urlaub er so gekämpft hatte, zukam. Nein, er ahnte gar nichts. Fröhlich und mit seinem gesamten Charme flirtete er auf den Heimweg mit einigen Mädchen, die ihm süß und verlegen zulächelten. Sein Säuseln ließ sie alle Reihenweise weiche Knie bekommen und es schien, dass sie nicht genug von seiner tiefen Stimme bekommen konnten.

Natürlich machte es dem Schürzenjäger Spaß Frauen den Kopf zu verdrehen, aber was nützte es ihm, wenn er bei der Einen, die er für sich auserkoren hatte, nicht landete.

Hin und wieder konnte er sie in Verlegenheit bringen und ihr die Röte auf die Wangen zaubern, doch die meiste Zeit blieb sie eisern und mimte die Unantastbare. Im Grunde gefiel ihm ihr Verhalten, so konnte er wenigstens Sicher sein, dass sie treu sein würde, sobald sie ihm sein Herz geschenkt hatte. Doch er liebte auch diese andere Seite an ihr, wenn der Wodka ihr inneres Feuer weckte und sie freizügiger und sinnlicher werden ließ. Da sie nur selten Alkohol trank und dadurch die traditionelle Trinkmethode nicht regelmäßig frönte, wie er und Kostja, hatte er nur ein einziges Mal diese geheimnisvolle Seite an ihr erleben dürfen und er wäre glücklich gewesen, wenn sie diese auch im nüchternen Zustand vor ihm präsentiert hätte.

Die Erinnerung daran raubte Dima immer wieder den Atem. Wie konnte ein so elegantes Mädchen, wie sie, so sündig und verrucht werden. Er hätte seine Chance nutzen sollen, als er sie hatte – aber sein Anstand und die Liebe zu ihr, obwohl sie unerwidert war, hatten ihn davon abgehalten.
 

Passiert war alles vor einem Jahr zum Neujahresfest. Kostjas Adoptiveltern waren aus Japan zu Besuch gekommen. Wie bei jeder ordentliche Feier floss auch der Wodka. Kostja, der vor seinen Eltern nicht so viel Wodka trinken wollte, wie er es eigentlich konnte und seine Eltern, denen soviel Alkohol nicht gut tat, hielten sich von dem russischen Nationalgetränk fern. Er selber genehmigte sich immer einen Extraschluck auf dem Weg in die Küche und Leni nippte nur daran.

Es hätte ihm auffallen müssen, dass mir ihr etwas nicht stimmte. Den gesamten Tag hatte sie sich schon merkwürdig verhalten, doch er hatte es durch den Trubel mit Kostjas Adoptiveltern nicht bemerkt. Hätte er gewusst, dass Leni an dem Abend noch so ausgetickt wäre, er hätte den gesamten Inhalt der Wodkaflaschen in den Abfluss verbannt.

Während Kostja seine Eltern zum Hotel begleitete, waren bei Leni irgendwie die Sicherungen durchgebrannt. Sie hatte es geschafft innerhalb einer halben Stunde eine und ne viertel Wodkaflaschen allein zu leeren, leider hatte sie das Essen nebenbei vergessen und so passierte, was geschehen musste. Der Wodka wirkte und er hatte sie so lasziv, wie noch nie erlebt. Sie konnte von Glück sprechen, dass er aus einer wohlerzogenen Familie kam und ihm wirklich etwas an ihr lag, sonst wäre er ihrem lockenden Rufen, Bitten und Flehen verfallen.

Immer wenn er an diesem Moment zurückdachte, wurde Dima ganz warm ums Herz. Zu wissen, dass ihn dieses Paradies erwartete, sobald er ihr Herz eroberte und er sie SEIN nennen konnte, machte ihn ganz wirr im Kopf.
 

„Leni, wo bist du?“

Suchend hetzte Dima durch die Räume der kleinen Wohnung. Eben noch war sie in der Stube gewesen, doch jetzt, nachdem er vom stillen Örtchen wiederkam, war sie weg. Und bei ihrem angeheiterten Zustand, war sie eine Gefahr für sich selbst.

Fast alle Zimmer hatte er durchsucht, selbst auf dem Treppenflur hatte er nachgesehen, keine Leni. Der einzige Ort, wo sie nun sein könnte, war sein Zimmer. `Nie im Leben`, dachte sich Dima, doch nachzusehen schadete ja nichts. Schließlich würde Kostja ihm die Hölle heiß machen, wenn der guten Seele dieser WG etwas in seiner Abwesenheit passieren würde, in seiner Anwesenheit hätte Leni es gar nicht geschafft, eine Flasche Wodka in einer halben Stunde leer zu trinken und eine andere anzubrechen.
 

Vollkommen geschafft und mit dem letzten Funken an Hoffnung, stürmte er sein Zimmer und blieb nach zwei Schritten wir angewurzelt stehen. Das was er da sah, verschlug ihm nicht nur den Atem, auch sprachlich schien sein Gehirn auszusetzen.

Nach den ersten kurzen Atemstößen bemerkte er den süßen und lockenden Duft, der ihn umfing und einhüllte. Das dämmrige Licht seiner Schreibtischlampe gab den Blick auf die Konturen einer jungen Frau preis, die auf seinem Tisch platz genommen hatte. Die Beine waren übereinander geschlagenen, währen die Hände den Oberkörper nach hinten weg abstützend. Eng lag die schwarz-bordeauxroten Corsage mit dem passenden Höschen an dem Körper an. Die roten Ohrringe funkelten ihm entgegen, genauso wie der Glanz in ihren Augen, die leicht erregt blickten.
 

„Und?“, hauchte sie, „Steht sie mir? Ich wollte gerne deine Meinung dazu wissen.“, ihre Stimme war zittrig vor Aufregung und ihr Blick, trotz des erotischen Auftrittes, schüchtern und scheu.

Dima schluckte, er bekam gar nicht mit, wie er selbst die Tür hinter sich schloss und langsam den Schlüssel herumdrehte. Nicht, damit die süße Versuchung keine Chance bekam zu fliehen, sondern, damit er mit ihr nicht gestört wurde – bei Kostja konnte ja man nie wissen.

Wie in Zeitlupe ging er auf die junge Frau zu. Er beobachtete, wie ihr Körper bei jedem Atemzug bebte. Unsicher blickte sie ihn an. „Steht sie mir?“, sie klang nervös und unsicher.

In Gedanken schüttelte Dima amüsierte den Kopf, wie konnte so eine elegante und durchsetzungsfähige Frau, unter Alkoholeinfluss, in der Gegenwart eines Mannes so nervös werden. Ruhig stand er nun vor ihr und betrachtete den wunderbar geformten Körper, dessen Haut sich hinter der Seidencoursage versteckte. In Dima drängte sich die Frage auf, wie sie dieses Stück Stoff überhaupt bezahlen konnte und genauso schnell, kam auch seine Antwort. Das Paket, das einen Tag vorher für Leni gebracht wurde und von ihrer Großmutter stammte, hatte genau die Größe, das sowohl Schmuck und der Stoff hineingepasst hätten. Was war das bitte schön für eine Großmutter? Andere schenkten etwas zum Naschen oder lang haltbare Lebensmittel, die am Besten noch selber zubereitet und eingekocht waren und Lenis Großmütterchen, Valja, schenkte ihrem Enkelkind Reizwäsche.
 

„Dima“, hauchte Leni leise und bekam somit seine Aufmerksamkeit. Ihre großen Augen blickten ihn unsicher an, er begegnete ihr mit einem Lächeln. Vorsichtig berührten seine Finger ihr Gesicht und strichen über ihre Wange.

„Sie steht dir. Dir steht alles.“, wisperte er mit rauer Stimme ihren Lippen entgegen und vernahm die Wandlung ihres Blickes von Unsicherheit in Unglauben.

„Du bist wunderschön.“, flüsterte er, während seine Handfläche auf ihrer Wange ruhte, um dann langsam ihren Nacken hinunter wanderte. Er zog sie an sich heran, brachte ihren Verstand dazu, ihn zwischen ihre Beine zu lassen. Wie in Trance umfingen ihre Arme seinen Körper, um näher bei ihm zu sein.

Als sich ihre Lippen berührten, spürte Dima das zarte Beben ihrer naiven Unschuld. Sie war die pure süße Sünde.

Hatte sie wirklich nie erfahren, was ein Kuss bedeutete oder hatte sie schon unzählige Male geküsst, aber nie mit solch einem Antlitz, mit solch viel frei gezeigter Natur? Und wenn schon, ihm war es egal, ob andere Männer diese Lippen schon im Besitz hatten, jetzt lagen sie an den Seinen und er würde ihnen nicht so schnell ihren eigen Willen lassen.

An ihren geschmiegt verführten seine Lippen die vollen Weiblichen zu einem Tanz, der mit jeder Sekunde an Genuss und Feuer zunahm.

Es war längst kein einfacher Kuss mehr, der nur über die Münder stattfand. Ihr Zungen verhakten und neckten sich, während ihre Leiber noch immer von Kleidung bedeckt gegeneinander drängten. Seine Hände lösten das Band auf der Rückseite der Coursage, durch jede Schlaufe zog er es, ihre hingegen griffen in sein Haar und die Beine umschlangen seine Hüfte.

Ihr Atem war heiß und zittrig, als er von ihr ließ und seine Lippen ihre Wange liebkosten. Sie krallte sich für den Moment, an dem er an ihrem Hals entlangwanderte, tiefer in sein volles Haar. Ihre Beine rieben an seinen Seiten, während sie ihren Rücken durchbog. Das Einzige was sie davon abhielt sich vollendend auf dem Tisch niederzulegen, war er, mit seinen starken Armen und dem Drang ihren Bewegungen nicht in dem Maß nachzukommen, wie sie es verlangte.

Dima gebot seinen Lippen an ihrem Dekolletés Einhalt und betrachtete die erregte Leni, die leise mit einem flehenden Blick in seine Augen seinen Namen wimmerte. Lockrufe einer Sirene.

Die Coursage hatte er fast offen. Er musste das Band nur noch durch eine Schlaufe ziehen und der erste Schritt ins Paradies war sein.

Die Augen wieder auf ihren sich betörend bewegenden Körper gerichtet, fuhr er langsam mit den Händen über die noch bedeckte Haut. Lenis Atem nahm zu, als er sich ihren weichen Rundungen nährte und dort zärtlich Druck ausübte. Ein kleiner Funke ihres Daseins hoffte, dass Dima nicht bemerkt hatte, dass sie noch so unerfahren war, wie ein junges Reh, dass zum ersten Mal den sicheren Wald verließ. Doch das Hoffen war vergeblich, schon an ihrem unbeholfenen zittrigen Kuss, der am Ende feurig und zärtlich zugleich war, hatte Dima erkannt, dass nie ein Mann Leni einmal als sein Mädchen betitelt hatte.

Sie war so unschuldig, aber so verführerisch. Alles an ihr wollte er berühren, begehren und verführen. Ihr Haar duftete nach diesem süßen und leichten Parfum, dass er so liebte. Ihr Körper war so warm und passte sich genau seinem an. Die Lippen voll und rosig, bereit jederzeit seinen Mund zu begrüßen und sich auf diesen wilden Tanz einzulassen.

Ihr Busen – perfekt.

Nie hatte er geglaubt, solch eine Gelegenheit geboten zu bekommen.

Wenn er wollte, konnte er sie jetzt haben, doch er wagte nicht, diesen letzten Schritt zu gehen.
 

„Leni“, hauchte Dima.

„Ja“, brachte sie leise hervor.

„Du bist schön. Atemberaubend. Gott allein weiß, wie sehr ich dich in diesem Moment haben will.“

„Dann nimm mich.“, sie schlang ihre Arme wieder um ihn und zog ihn an sich ran. „All das ist dein.“

Dima küsste nacheinander ihre beiden Wangen, den Mund, die Nasenspitze und die Stirn, dann zog er sie in seine Arme und wiege sie ein wenig hin und her.
 

„Dima.“, kam es leise von ihr.

Sie war verwirrt. Der Angesprochenen brauchte noch einen Moment, er sah zur Zimmerdecke und atmete tief ein. Seine Hand fuhr zu ihrem Kinn und er hob ihren Kopf leicht an.

„Süße Leni, wie gern würde ich dich in dieser Nacht mein nennen und dir das Verlangen und die Sehnsüchte erfüllen, die du begehrst. Aber, was wäre das für eine Nacht, wenn nicht du selbst bestimmst, was du willst, sondern der Wodka, der erst deine Leidenschaft wecken musste.“, während er die Worte sagte, konnte er sehen, wie die Enttäuschung in ihr hochkam. „Aber wenn ich irgendwann solch eine Wirkung auf dich hab, dass du wegen mir und nicht wegen dem Alkohol solch ein Verlangen nach mir bekommst, dann lass dir gesagt sein, es wird keinen Moment geben, in dem ich darüber nachdenke, ob es falsch oder richtig ist was wir tun.“.

Oh, konnte der Kerl Süßraspeln.

In den nächsten Momenten hoffte dieser Kerl inständig, dass Kostja nicht zur Wohnungstür hereinspaziert kam.

Sobald er aber Leni in ihrem Bett abgeliefert und selber aus ihrem Zimmer verschwunden war, durfte der jüngere Russe die Wohnung so oft stürmen, wie er wollte.
 

Am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass Leni keinen Schimmer hatte, wie sie in ihr Bett gekommen war und noch weniger, dass sie ihren ersten Kuss an Dima verloren hatte. Nur Dima, der musste mit den Gedanken an diese eine Nacht leben, die trotz des Abbruchs seinerseits, auf Platz eins seiner Favoritenliste kam.

Es stellte sich nur eine Frage: Was war wohl am nächsten Morgen in Lenis Kopf vorgegangen, als sie bemerkt hatte, dass sie die geschenkte Corsage trug.
 

Omas und Alkohol konnten manchmal so gemein sein.


 

„Sag mal träumst?“, Kostja stieß seinen Kameraden unsanft in die Rippen.

„Au!“, meinte dieser gespielt wehleidig und blickte den Jüngeren an. „Eifersüchtig, he? Das die ganzen Mädchen nur mich begrüßen. Musst halt netter zu ihnen sein.“

„Das Thema hatten wir schon.“, brummte Kostja und stiefelte weiter.

Dima lachte und versuchte Schritt zu halten.

„Was machen wir heute zu essen?“, fragend wurde er von Kostja angesehen.

„Sind wir dran?“, vollkommen erstaunt, dass nicht Leni, sondern die beiden Jungs mit Kochen dran waren, erwiderte er den Blick.

„Na, Leni hat Spätdienst. Die Arme kommt erst, wenn das Lokal schließt.“

„Achso.“, raunte der Ältere und rieb sich den nicht vorhandenen Bart, aber dafür die schon ansatzweise wieder gewachsenen Stoppeln. „Ich muss mich rasieren.“, hauchte er und betastete seine Wangen.

„Wenn das deine einzige Sorge ist, dann fällt das Essen aber flach.“

„Ach was. Wir finden schon was.“

„Es muss aber auch Leni schmecken.“

„Vielleicht hat sie ja was eingefroren.“

Ein tiefer Seufzer entrann Kostjas Kehle. Es war ein Verzweifelter.
 

Daheim angekommen, drehte Dima verwundert den Schlüssel im Schloss um. Hatte Leni vergessen ordentlich abzuschließen oder war sie schon daheim? Aber von unten hatte er kein Licht brennen sehen. Er hielt inne.

„Stimmt was nicht?“, fragend sah Kostja ihn an, diesen gab er nur das Zeichen sich still zu verhalten.

So leise wie möglich öffnete Dima die Tür, alles war dunkel als sie in den Flur eintraten. Vorsichtig schloss Kostja den Eingang und wartete, was als nächstes passieren würde.

Dima tastete nach dem Lichtschalter und betätigte diesen. Sorfort brannte die kleine Birne und brachte flackernd warmes Licht in die Wohnung. Nichts regte sich, kein Ton war zu hören. Spätestens jetzt hätte ein Einbrecher einen Laut von sich gegeben und wenn es nur die Geräusche der Flucht waren. Schließlich gab es so manch eine Diele, die gerne im Dunkeln so laut knackte und knarrte, dass sich sogar der Untermieter einmal beschwert hatte. Am Ende hatte es sich aber herausgestellt, das die Geräusche, die ihn in der Nacht geweckt hatten, von seiner Frau kamen. Die Gute war auf einer Diät gewesen, um ihren Mann zu gefallen und wurde in der Nacht vom Hunger heimgesucht und das in einer Lautstärke, da verkrochen sich sogar gestandene Bären ganz tief in ihrer Höhle.

Gerade als die Beiden glaubten, dass alles in Ordnung war, hörten sie das Knarren einer Tür. Leni kam aus ihrem Zimmer.

„LENI“, gaben Beide lauter als sie wollten von sich, erschrocken von dem plötzlichen Bruch mit der Stille.

„Was?“, vollkommen erstaunt über den Auftritt ihrer Jungs sah sie diese an.

„Was?“, äffte Dima, „wir dachten, hier sei eingebrochen wurden, weil die Tür nicht abgeschlossen war und kein Licht brannte.“

„Ich war in meinem Zimmer und hab geschlafen und wenn ich schlafe, braucht kein Licht zu brennen.“, vollkommen genervt zog sie sich wieder in ihren Raum zurück. Doch bevor sie ihre Tür schloss, rief sie ihnen noch was entgegen. „Essen steht im Ofen.“
 

„Ich glaub, ihr geht es nicht gut.“, meinte Kostja besorgt.

„Das hab ich auch mitbekommen, sonst wäre sie ja nicht schon daheim.“, Dima zuckte mit den Schultern und lief in Richtung Küche, „Wahrscheinlich hat sie die für Frauen typische Krankheit.“

„Was denn?“

„Kopfschmerzen.“
 

*
 

Seit einer Woche war für Akemi die Welt, wie sie eigentlich war, nicht mehr vorhanden. Für sie existierten nur noch zwei Farben, das restliche bunte Treiben nahm sie nicht mehr war. Abhängig von ihren Gefühlen erschien ihr die Umgebung in einem quietschenden Rosarot oder fröstelnd Weiß – und alles nur, wegen einer Einladung.

Das sie damit auch ihre Familie den letzten Nerven kostete, bekam das liebestrunkene Mädchen gar nicht mit.
 

Akemis Mutter hatte fast den Notarzt gerufen, als ihre Tochter vor einer Woche mit hochroten Kopf, leichtem Fieber und erhöhter Herzfrequenz von der Uni nach Hause geschickt worden war. Zu allem Überfluss schien ihr armes Kind durch das Fieber zu halluzinieren. So behauptete Akemi doch tatsächlich, die Bäume wären nicht vom Schnee bedeckt, sondern von hellroter Zuckerwatte und wenn ein Familienmitglied mit ihr sprach, so saß einem ein mit total verklärten Blick schauendes Mädchen gegenüber, das wie ein Dusel vor sich hinlächelte.
 

Es hatte nicht viel gefehlt, Frau Ono hatte schon das Telefon in der Hand gehabt, da wäre Akemi eingewiesen worden. Doch glücklicherweise gab es noch Oma Ono – und die erkannte auf einen Blick, von welcher Krankheit ihre arme Enkeltochter heimgesucht worden war.

Seit einer Woche war für Akemi die Welt, wie sie eigentlich war, nicht mehr vorhanden – denn die Gute war bis über beide Ohren verliebt.
 

„Akemi-chan, gib Ruhe. Du musst morgen nochmal in die Uni.“, bellte ihr Opa mit begleiteten Husten aus dem Nebenraum.

„Ja, Oji-san.“, kicherte Akemi und versuchte der Bitte nachzukommen. Doch irgendwie wollte das nicht so klappen, wie sie es vor hatte.

Immer wieder geisterte der Moment in ihrem Kopf, als Takeru leicht verlegen mit ihr auf dem Plateau des Tokio Tower stand, abseits der restlichen Unikameraden, und sie darum bat in einer Woche seiner Einladung zu folgen.

Ihr Herz wusste in diesem Moment nicht genau was es tun sollte, genauso wenig ihr Verstand. So vergaß sie doch tatsächlich für einen Moment zu atmen und ihre pumpende Antriebskraft schien auch nicht mehr so zu hüpfen, wie es eigentlich sein sollte. Nur stotternden hatte sie ein 'Ja' aus sich herauspressen können und nun lag sie auf ihrem weichen Futon, von der gesamten Familie – außer Oma – für verrückt erklärt, total verliebt und aufgeregt auf den nächsten Tag wartend.
 

Während Akemi noch ihren Milchschaumträumen in Rosa nachhing, beschäftigte Opa nebenan ruhend, viel mehr die Sorge, was das für ein Kerl war, der es schaffte seiner kleinen Lotusblüte den Kopf so zu verdrehen, dass das arme Ding eine Hondo-Eule Konkurrenz machen konnte.

„Über was grübelst du nach, mein Lieber?“, Oma sah ihrem Ehegatten mit fragenden Blick an.

„Über diesen Taugenichts, der meiner Lotusblüte fiebrige Gedanken bringt.“, gab dieser grummelnd zur Antwort. Daraufhin konnte sich Oma nur amüsieren.

„Wenn du ihn mal kennengelernt hast, dann wirst du keinen anderen für unsere Lotusblüte haben wollen.“

„Für meine Lotusblüte ist keiner gut genug und wenn es der Kaiser-Thronfolger-Enkelsohn persönlich wäre.“

„Der Sohn des Kaisers hat aber keinen Sohn. Er hat eine Tochter.“

„Na und.“, meinte Opa. „Und eigentlich, woher willst du wissen, wie dieser Kerl ist?“

„Weil ich ihn schon kennengelernt habe.“, bei diesen Worten fing Oma an zu schwelgen. „Ach ja, nochmal jung sein.“, gluckste sie vergnügt und beobachtete mit Freude, wie die Empörung im Gesicht ihres Mannes anstieg.

„Bin dir wohl nicht gut genug.“, bellte er erzürnt und schob dabei beleidigt seine Unterlippe nach vorne. Oma lächelte nur und meinte, „Keinen anderen außer dir, hätte ich mir lieber gewünscht. – Aber, gib den Jungen eine Chance. Er ist ein guter Junge aus gutem Haus, für seine berufliche Zukunft ist schon gesorgt. Er ist außerdem gescheit und wenn ihn Akemi-chan doch so lieb hat, dass sie sogar Fieber bekommt, nachdem sie eine Einladung von ihm erhalten hat, dann kann da gar nichts schief gehen.“

„Um wen handelt es sich hier eigentlich?“, nun war Opa doch neugierig geworden und dass Oma soviel mehr über diesen Kopfverdreher wusste, passte ihm gar nicht. Er war schließlich das älteste Familienmitglied und somit mehr Recht als Schlecht das Oberhaupt – auch wenn keiner so richtig auf ihn hören wollte, allen voran Oma.
 

„Ah, jetzt willst du also den Namen wissen.“, den Triumph über ihren Gatten kostete Oma aus und das ließ sie ihn auch spüren, was diesem überhaupt nicht gefiel.

„Nun sag schon.“, drängt er sie.

„Takeru-kun.“

„Wer ist das?“

Eindringlich sah Oma ihn an. „Kato-Clan.“, fügte sie hinzu. „Na, funkt es jetzt?“

Es erschien ihr, als ob bei ihrem Alten die Augen ausfallen würden, so weit riss dieser die Lider nach oben und der Mund vollführte stumme Gestiken, die einem Koi der nach Futter schnappte, glichen. Erst nach einigen Minuten gelang es Opa die Stimme wieder anzuwerfen.

„Du meinst den Spross vom Kato-Clan?“

Oma nickte.

„Warum hast du das nicht gleich gesagt?“, Opa wusste gar nicht, was er als Erstes tun sollte. „Wann ist die Hochzeit?“ „Also, Masao. Das du dich nicht schämst, lass die beiden erst einmal ein Paar werden und sich dann verloben.“, motzte Oma und sah ihren Gatten empört an, der dem Ganze mit einem verschmitzten Lächeln entgegnete und am Ende mit Lachen anfing.
 

„Könntet ihr bitte aufhören, die Zukunft meiner Ältesten zu bestimmten. Es reicht schon, wenn ihr mit meiner gesponnen habt.“, rief Akemis Mutter im genervten Ton durch die Tür.
 

*
 

So hektisch wie der Vortag den Abreisetag am Internat veranstaltet hatte, so ruhig wurde es unter den Bandkollegen als diese ihren Platz im Privatjet von Gilberts Vater gefunden hatten.

Obwohl Kari solche Flüge nutzte, um mit ihrem Freund zu kuscheln, wurde dieser, sobald Hero mit von der Partie war auf den zweiten Rang degradiert.

Mit einer großen Tasse Kakao, die dampfend serviert worden war, lehnten sich Kari und Hero aneinander und sahen mit friedlichen Blick in den großen Flachbildschirm. Was konnte es schöneres geben, als mit der besten Freundin Kakao zu trinken und sich Jane Austens Verfilmung „Sinn und Sinnlichkeit“ mit Kate Winslet in einer der Hauptrollen anzusehen.

Ein seliges Lächeln der Zufriedenheit war auf den beiden Gesichtern zu sehen.
 

Obwohl die Anderen zur selben Zeit weniger ruhig auf ihren Plätzen saßen und am laufenden Band plapperten und lachten, war es wenige Minuten nach dem Start vollkommen still.

Der Kakao dampfte halb getrunken in den Tassen vor sich hin und der Film gab ungesehen seinen Inhalt wieder.

Jetzt rächte sich der Schlafentzug der Weihnachtsfeier in der vergangenen Nacht.

Den drei Flugbegleiterinnen und den zwei Piloten mit einem Lotsen, konnte dieser Schlafmangel nur Recht sein.

Sie kannten die Truppe, besonders die Jungs, als laute und wilde Horde, die jeden Flug als Party ansahen. Selbst wenn er so kurz war und nur über Europa hinweg ging.
 

In London herrschten Temperaturen unter Null. Die meisten Straßen mussten jede Stunde vom heftigen Schneefall befreit werden.

Am Heathrow Airport herrschte das Chaos. Die Enteisungsmaschinen kamen gar nicht mehr so schnell nach, wie die Flugzeuge vom scharfen Wind und den Minustemperaturen vereisten und es war ein Wunder, dass der kleine Privatjet der Familie Gray noch landen durfte.

Die Flugbegleiterinnen hatten ihre Passagiere einige Minuten vor Ansage der Landung geweckt.
 

Nun stand die Maschine, doch bei einigen der Insassen kam das große Bedürfnis zum Vorschein erst gar nicht Aussteigen zu wollen.

Beim Blick aus dem Fenster fing Ju an zu frösteln. „Ach, sieht das kalt aus.“

„Es sieht nicht nur kalt aus, es ist bestimmt auch kalt.“, meinte Kari mit einem Blick auf Temperaturenanzeige ihres iPhones.

„Müssen wir da wirklich raus?“, brummte Joe.

„Jetzt sag nur, du bist ein Weichei.“, stichelte Nitan und ließ sich von Gilbert helfen, den Mantel anzuziehen.

„Ich bin kein Weichei, aber die Kälte mag ich nicht.“, brummte Karis Freund in seinen Schal.

„Ist ja auch kein Wunder, bist ja nur das sonnige Florida gewöhnt.“, nervte sie weiter, während Joe ihre einen bösen Blick zuwarf.

„Ach, und wer wollte bei der Abreise nicht an der Tür nachsehen, um zu wissen um welche Autos es sich handelt?“, giftete er zurück.
 

„Leute, es ist Weihnachten.“, warf Hero fröhlich in die Runde und hoffte, die Spannungen etwas zu lösen.
 

„Wie jedes Jahr.“, gab Nitan schulterzuckend zur Antwort, die wie Öl auf Wasser an Hero abprallte. Sie hatte einfach ein zu sonniges Gemüt.

„Nitan!“, zischte Ju mahnend.

„Schon gut.“, meinte die Blonde amüsiert über Jus Mutterinstinkte gegenüber Hero. Ihr Blick wandte sich zur Flugbegleiterin, die im Begriff war, die Tür zu öffnen.
 

Ein wahrlich eisiger Wind kam der Flugbesatzung und ihren Gästen entgegen. Selbst die an Kälte gewöhnte Nitan zuckte kurz zusammen und hoffte, dass keiner das gesehen hatte. Wäre ja peinlich gewesen.

Dick eingehüllt in ihren Mänteln verließ die Gruppe das Flugzeug. Dabei ließ es sich niemand nehmen der Crew ein schöne Fest zu wünschen.

Anstandshalber bei einigen.
 

Mit einem Blick auf die Uhr stellte Gilbert fest, dass sie, wenn die Straßen ihnen gütig gesinnt waren, noch vor Mitternacht bei seinen Eltern ankamen. Also verlor die Truppe keine Zeit die Autos aufzusuchen.

Nachdem kontrolliert worden war, dass die Koffer vollzählig in den Stauräumen der Autos verschwunden waren, konnte die Fahrt beginnen.

Raus aus London, weg von dem hektischen Trubel, der in der Stadt durch die weihnachtliche Stimmung noch Schlimmer war als sonst. Die Fahrt ging in die Nähe des fast 70 Kilometer entfernten Aylesbury, Hauptstadt der Grafschaft Buckinghamshire.

Dort besaßen Gilberts Eltern ein großes Anwesen mit einigen Hektar Land und den einen oder anderen zahlungsunwilligen Pächter. Wenn alles gut ging, würden die Jugendlichen durch das Wetter bedingt, nach einer eineinhalbstündigen Fahrt endlich ankommen.
 

„Du, Kari-chan.“, Hero klang jammernd. „Willst du mich wirklich mit Gilberts Cousin Ewan verkuppeln?“

Kari seufzte und lehnte sich zurück. „Ich? Wir.“, betonte sie auf die Gruppe deuten. „Und außerdem, du hast dich doch gut mit ihm verstanden und ich weiß von Gilbert das Ewan noch keine Freundin hat und sich sehr auf deinen Besuch freut.“

Frustriert blickte Hero aus dem Fenster. Sie war kurz davor zu schmollen.

„Hero, wir bleiben ja nur über Weihnachten und...“, lenkte Kari ein und kuschelte sich ein wenig an ihre Freundin „Und sie es doch mal so, vielleicht kannst du was die Liebe angeht, endlich dein Glück finden.“

Beide sahen sich mit einem vertrauten, lächelnden Blick an.

„Meinst du?“, fragt Hero schließlich leise.

„Lass es auf einen Versuch ankommen. – Du hast ja selbst gesagt, erst wenn du weißt, wie es ist zu Lieben, dann wirst du es schaffen, diese Melodie in deinem Kopf perfekt zu vollenden.“, sprach die Brasilianerin, deren Stimme mit jedem Wort euphorischer geworden war.

„So hab ich das aber nicht gesagt.“, wehrte sich Hero.
 

„Das wäre doch was, dann hätte unsere Hero auch ihren Topf gefunden.“, meinte Joe belustigt.

„Wie kannst du nur.“, empörte sich Kari. „Als ob Hero ein blindes Huhn wäre, dass keine Körner findet.“

„Du weißt wie ich es meine.“, grinste er.

„Weiß ich das?“, kam es ahnungslos von ihr.

Joe, der auf der anderen Seite von Kari saß, beugte sich vor, um Hero zu erblicken.

„Hero, sag ihr, dass sie es weiß.“, flüsterte er gespielt.

Die Angesprochene lachte.

„Ich weiß nicht, ob sie weiß, was du behauptest, dass sie es wissen müsste.“, erklärte Hero ihm mit einem Schulterzucken, wissend das dieser Satz bei Kari einen noch Lachkrampf hervorrief und den armen Joe mit gestressten Nerven unbeantwortet ließ. Dieser lehnte sich eine Schnute ziehend wieder zurück und starrte aus dem Fenster.

Sollten doch die Weiber ihren Spaß haben.

Doch sein grummelndes und vor sich hin trotzendes Ego verschwand genauso schnell, wie es gekommen war, da sich Kari an ihn kuschelte und mit leiser Stimme „Ich weiß, was du meinst.“ hauchte.
 

Den nächsten Satz vollkommen aus dem Kontext gerissen, meinte Hero: „Ich hätte eine viel bessere Idee, als mir Ewan aufzuschwatzen.“, unterbrach sie die für wenige Minuten existierende Zweisamkeit. „Wie wäre es, wenn wir Ju und deinen Bruder … “, sie blickte zu Joe. „... zusammenbringen.“

Ein euphorisches Augenzwinkern folgte, kombiniert mit einem breiten Grinsen.

Vollkommen perplex wurde Hero von zwei Augenpaaren angesehen.

„Wie kommst du denn auf so was?“, entfuhr es Kari.

„Ich hab mich an das Gespräch zwischen dir, mir und Nitan erinnert, als wir darüber diskutiert haben wo wir Weihnachten und Silvester verbringen wollen.“, meinte dies unschuldig blickend.

Empört darüber, nichts von dieser Verschwörung gewusst zu haben, meinte Joe etwas angesäuert: „Du willst meinen Bruder, mit der Chinesin...“,

„Halbchinesin.“, verbesserte Hero ihn.

„Dann halt Halbchinesin.“, brummt er. „Du willst Ju und Jack zusammenbringen? Du weißt doch gar nicht, ob die Beiden sich mögen.“, meinte er aufgebracht.

„Tun sie.“, flüsterte Kari in die Runde. „Sie selber sehen es nur nicht, aber ihre Umwelt.“

„Aha.“, grummelte es.

„Natürlich muss ihre Umwelt auch genau darauf achten.“

„So so.“

Kari sah ihren Freund an.

„Das ist mein Ernst.“

Seine Augenbraue zuckte skeptisch, während der Blick schon längst diese Emotion zeigte.

„Darf ich auch fragen, wie du gedenkst, es anzustellen.“, fragte er Hero.

„Ja, darfst du. Aber nen Plan hab ich noch nicht, ich dachte, wir können ja noch nen Plan zusammenschustern.“, grinste sie vergnügt.
 

Noch bevor die beiden Wagen bei Gray Manor angekommen waren, tüftelten Hero und Kari eifrig am Plan, wie sie die Beiden noch vor Neujahr zusammenbringen konnten. Joe, hörte sich alles in Ruhe an und erklärte sich bereit, die Aufgaben für das Liebesglück seine Bruders zu übernehmen, die im zugewiesen worden.
 

Die Uhr auf dem Grundstück von Gray Manor schlug nicht einmal Mitternacht, da bogen die schwarzen Limousinen in die Einfahrt ein.

Auf den obersten Treppenstufen wartete schon Familie Gray, allen voran Gray Senior, mit seinem Sohn Sohn Charles E. Gray, der Ewans und Anthonys Vater war. Die Frauen blieben mit den angeheirateten Männern im Hintergrund und standen am Hauseingang.
 

Gilbert blickt erwartungsvoll aus dem Fenster als die Wagen zum stillstand gekommen waren.

„Na dann, raus mit uns und rein ins Vergnügen.“, grinste er und stieg aus.

Die anderen taten es ihm gleich und ließen den Spießrutenlauf von Händeschütteln, Kuss links und rechts auf die Wange und festen Umarmungen über sich ergehen. Sie hätten auch keine andere Wahl gehabt, alles andere wäre eine beleidigende Verletzung der Familie gewesen.

Jack, der gerade beim Senior der Familie angekommen war, wurde besonders in Augenschein genommen.

„Jack D. Dawson Junior. Oder?“, meinte der alte Mann mit kräftiger Stimme als er genauso kraftvoll die Hand des Amerikaner schüttelte. Dieser bejahte und hoffte keinen Schaden von der schwungvollen Begrüßung im Handgelenk zu bekommen.

„Siehst wie dein Vater aus, nur etwas schmaler.“, lachte Gray Senior und klopfte dem Jungen ziemlich heftig auf die Schulter, so dass Jack das Gefühl hatte in die Steinplatte eingehämmert zu werden.
 

Der Trubel war groß, während sich alle begrüßten und untereinander den neusten Klatsch austauschten.

Für einen Moment wurden sogar die eisigen Minusgrade der besonders klaren Nacht vergessen.
 

„Hero.“, freudig sah Ewan das Mädchen an, dem er gerade die Hand gereicht hatte.

„Ewan.“, hauchte sie lächelnd zurück.

„Ich hab mich so gefreut, als ich gehört hab, dass du dieses Jahr wieder dabei bist.“, verlegen blickte er in Heros Augen, bevor er sich auf seine Manieren besann „Wie geht es dir?“

„Gut, und dir?“ , hakte Hero überrumpelt von so viel Euphorie nach.

„Auch. Vater hat mir zu Weihnachten ein neues Pferd gekauft.“

„Toll.“, gab Hero mit gespielter Freude von sich und hoffte, das ihr Spiel nicht durchschaut wurde.

Pferde waren nicht gerade ihre Leidenschaft, über einen neuen Hund für Ewan hätte sie sich mehr gefreut.

„Ja... ich war selber überrascht als er vor zwei Wochen mit ihm ankam.“, grinste der Brite. „Wir können uns ja Prestige, so heißt er, morgen ansehen.“, in seinen Augen sah Hero das ein 'Nein' nicht akzeptiert wurde und so kam sie „Gerne“ der Einladung nach. Eine warme Schokolade mit einem spannenden Buch war für sie eher was, als die kalten Gänge der Stallungen. Doch für ein standhaftes 'Nein' ohne Kompromisse und anderen herzlosen Gesten war Hero einfach zu weich. Sie konnte andere Menschen ihretwegen nicht traurig sehen, zu sehr hatte sie in ihrer Vergangenheit ihre Liebsten verletzt.
 

Es war Kari, die Hero erlöste und mit in das Haus hineinzog.

„Sei nicht so verkrampft.“, flüsterte diese ihr zu.

Der fassungslose Blick über diese Aussage wurde gnadenlos ignoriert. Gleichzeitig fragte sich Hero, was sie denn hätte machen sollen, um nicht verkrampft zu wirken – vielleicht eine stürmische Umarmung? Das konnte Kari nicht von ihr verlangen, schließlich war sie Japanerin und der Rest Anstand, der von ihrer Erziehung übrig geblieben war, wurde in allen Bereichen bis aufs Extremste ausgekostet.

Verkrampft … oder nicht.
 

Im Haus wurden den Gästen und Hauseigentümern die Mäntel von der Dienerschaft abgenommen und in einen extra dafür vorgesehen Raum gehängt.

Mrs. Smith, nur Molly genannt und Hausdame über die gesamte Belegschaft, brachte die Herrschaften in den blauen Salon.
 

„Ich hoffe, Sie hatten eine gute Reise.“, meinte die, in die Jahre gekommene, ältere Frau an Ju gewandt.

„Gewiss, Molly. – Und hatten Sie ein gutes Jahr?“

„Wie man es nimmt. Es gab wenig Fuchsjagden. Die Bürgerschaft hat vieles vereitelt. Dafür startet Mr. Gray Senior am am morgigen Tag eine Hetzjagd zu Pferde, aber ohne Hunde. Eine Schnitzeljagd.“, gab die Frau mit leicht gehobener Nase zu.

„Oh, fein. Wissen Sie ob die Gäste von Mr. Gray daran teilnehmen dürfen?“, flüsterte Ju.

„Aber mein liebes Kind. Mr. Gray Senior besteht darauf.“
 

Nach dem kleinen Gespräch wartete Ju auf die anderen. Sie neigte sich zu Kari und Hero, die ihre Köpfer verschwörerisch zusammengesteckt hatten.

„Egal, was ihr ausheckt.“, beide Mädchen fuhren erschrocken zusammen. „Vor der Schnitzeljagd könnt ihr euch nicht drücken.“

„Eine Schnitzeljagd?“, fragte Kari überrascht.

„Ja. Morgen.“, gab Ju triumphierend etwas zu laut an die Beiden weiter.
 

„Hat Molly wieder geplaudert.“, bellte Mr. Gray Senior von hinten.

„Aber nein.“, beschwichtigte Ju. „Geben Sie der Armen keine Schuld. Ich hab sie halt so lange belegt, bis sie nachgeben musste. Sie wissen doch, wie ich bin.“, meinte sie Augenzwinkernd und mit ihrem schönsten Lächeln, dass selbst den alten Mann besänftigte.

Dieser hatte sein Augenmerk auf Hero gerichtet. Wusste er doch, dass sie die Einzige war, die nicht viel vom Reiten hielt und das hatte sich, seit sie Evida unterm Sattel gehabt hatte, nicht zum positiven verbessert.

„Hero.“, mehr brauchte er nicht zu sagen.

„Ja, Sir. Ich werde an der Gesellschaft teilnehmen.“, es blieb ihr ja auch nichts anderes übrig.

„Gut so.“, gab er lächelnd und stolz über ihre mutige Entscheidung an. „Und keine Sorge, diesmal hab ich das passende Pferd für dich.“

„Das haben Sie das letzte Mal auch gesagt.“, gab Kari zum Einwand.

„Ja. Da wusste ich aber nicht, das Hero nicht wirklich etwas mit Pferden anfangen kann.“, er grinste. „Aber dieses Mal ändert sich das, ich hab vor einem halben Jahr eine hübsche Fuchsstute vom alten Cedric abkaufen können. Liebes Ding. Total brav, egal was ist. Geht nicht durch. Ihr Name ist Rubys Star. Sie ist schon etwas in die Jahre gekommen, trägt aber ihren Reiter, ob erfahren oder nicht, sicher über jedes Gelände.“, sinnierte er. „Kannst sie dir ja morgen, wenn du mit Ewan den Stall besichtigen gehst nochmal genauer ansehen. Denn bei der Jagd wirst du dir nur den Hals betrachten können.“

Mit großen Augen sah Hero den alten Mann an. Dieser legte auf sein faltiges und bärtiges Gesicht ein Lächeln.

„Glaubst wohl, ich hab die kleine Verabredung nicht gehört. Aber keine Sorge, Molly wird ein Auge auf euch zwei haben.“, er neigte sich zu Hero und flüsterte: „Im Stall passieren nämlich ohne Überwachung die merkwürdigsten Dinge.“

Das beruhigte ungemein.

Ohne darauf zu achten, dass Hero auf einmal von der Farbe her ganz Rot im Gesicht wurde, lief der alte Gray in den Salon.

„Jetzt könntest du Ruby Konkurrenz machen.“, trillerte Kari und zog Hero mit sich.
 

Im Salon herrschte eine umhauende Wärme. Auf dem kleinen Kaffeetisch aus dem späten 18. Jahrhundert stiegen kleine weiße Nebelschwaden vom Tee hinauf und luden in Kombination mit Schokoladenplätzchen zur Mitternachtsteezeit ein. Die Frauen nahmen auf den roten 18. Jahrhundert Sofas, die mit eleganten und floralen Blumenmustern verziert waren, platz. Während die Männer sich die Spirituosen am anderen Ende genehmigten.
 

Für Hero war der Besuch bei den Grays wie ein Sprung durch die Zeit, zurück in die Vergangenheit. In eine Ära, in der das britische Empire noch seinen Bestand hatte, als Earls und Lords mit Kutschen durch die Gegend fuhren und die Industrielle Revolution noch in den Kinderschuhen steckte.

Hier hatte sie den ersten ungewollten Kontakt zu Pferden gehabt. Keine grausige aber auch nicht überragend schöne Erinnerung. Sie wusste auch nicht, aber ihre Angst war von Anfang an da gewesen.

Gilbert und die anderen hatten ihr zum 13. Geburtstag einige Reitstunden geschenkt, damit sie bei diesen Schnitzeljagden teilnehmen konnte.

Eine richtige Freundschaft mit den, für vielen Menschen, edlen Tieren konnte sie bisher noch nicht aufbauen. Doch die Familie Gray würde wahrscheinlich schon dafür sorgen, dass sie sich, trotz ihrer geringen Zuneigung, zu einer eleganten und sehr sicheren Reiterin entwickelte. Ein unumgängliches Muss, das in höheren britischen Gesellschaften zur guten Erziehung gehörte. 'God save the Queen – und ihre Liebe zu den Pferden'.
 

Dies und einiges andere, waren die kleinen Mangos, die eine Freundschaft zu Menschen wie Gilbert und Nitan – eigentlich zu allen aus der Band – mit sich brachte und in manchen Momenten auch erschwerte.
 

„Ich hab gehört die Winter in Finnland sind sagenhaft schön aber nichts für ambitionierte Pferdezüchter, wie wir Gray es sind.“, meinte Gilberts Mutter, Anne Victoria - geborene Gray, leicht spöttisch an Nitan gerichtet. „Aber reden wir nicht über das Wetter. Mich würde es eher interessieren, wie es dir geht?“

Während die Frau an ihrem Darjeeling nippte, wurde jede Bewegung und jedes Wort ihrer Schwiegertochter in Spe gedanklich protokolliert. Denn der Ruf der Finnin war noch vor dem ersten Besuch bekannt gewesen.

„Oh, sehr gut. Und Ihnen?“, gab die Blonde als Gegenfrage zurück, nicht zeigend, dass sie am Liebsten in die Luft gegangen wäre. Sie wusste, dass dieses und viele folgende Gespräche nur an der Oberfläche kratzten – wie immer, in öffentlicher Gesellschaft.

Selbst der eigene Mann, oder die besten Freunde der Zukünftigen waren ein oder mehrere Zuhörer zu viel. Zu den klaren Gesprächen zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter kam es in dieser Gesellschaftsebene auf publizistische Art nie. Entweder beide akzeptierten sich oder sie bekamen die Eifersucht und den Hass der jeweils andern in spitzen Bemerkungen und unmissverständlichen Taten zu spüren. Besonders, wenn es zu Familientreffen kam, war sich eine Schwiegermutter nie darum verlegen ihre verhasste Schwiegertochter, und sei sie noch in Spe, vor allen bloß zu stellen. Die Hauptsache war, das gezeigt wurde, wer die Macht über den weiblichen Teil der Familie besaß. So kam es in der Familienchronik der Grays schon öfters vor, dass der Sohn, der eine ungeliebte Schwiegertochter ehelichte, ganz und gar enterbt wurde. Merkwürdigerweise waren die Sprösslinge aus solch schicksalhaften Verbindungen nie vom Hass betroffen. Im Gegenteil, alle weiblichen Familienmitglieder, die von Geburt mit der Schwiegermutter verwandt waren, benutzten diese Kinder als Werkzeuge gegen die nicht akzeptierte Schwiegertochter.

Ewan und Anthony waren zwei dieser Werkzeuge gewesen, dadurch Scheidungskinder und in der Rangfolge nur die Neffen von Gilbert J. Grays Mutter, Anne Victoria Gray.
 

Ewan entfernte sich von den Gesprächen der Männer, die untereinander darüber wetteten, wer als erster den 'Fuchs' am morgigen Tag fangen würde. Seine Aufmerksamkeit galt Hero, die mit Gilberts Großmutter nicht beim Rest der Frauen saß, sondern im kleinen Winterpalais einen Rundgang machte.

Die alte Dame mochte Heros Anwesenheit. Da war es auch nicht verwunderlich, dass Oma Evelyn Gray die treibende Kraft gewesen war, die ihren Verwandten, angeboren oder nicht, davon überzeugte dem einzigen aus nicht wohlhabender Familie stammenden Menschen im Freundeskreis von Gilbert immer ein Zimmer bereit zu stellen.

Das war das Erste aber sicher nicht das letzte Mal, dass sich Oma Gray über ihre Tochter, Anne Victoria, hinweggesetzt hatte.

Mittlerweile akzeptierte das verwöhnte und die Nase immer zum Himmel streckende Töchterchen das japanische Bandmitglied. Manchmal sogar mehr als Nitan.
 

„Ich lass dich mal allein.“, meinte die alte Frau mit kecken und faltigem Lächeln.

Das junge Mädchen wusste gar nicht, wie ihr geschah, als mit einmal Ewan neben ihr stand und die Großmutter zwischen den Blumen verschwunden war.
 

„Hero, ich war so frei ...“, Ewan reichte ihr ein Glas mit etwas Gin. „... und hoffe, du verträgst ihn. Aber wenn du ihn nicht trinken willst, hier stehen genügend Töpfe.“, meinte er leise Lachend und mit einem kurzen Blick auf die Pflanzen gerichtet.

„Danke. Ich glaub, ein wenig Gin kann nicht schaden.“, gab sie verlegen an und wagte sich nur sacht in die glänzenden Augen ihres Gegenüber zu sehen.

„Lass uns doch ein wenig laufen.“, meinte der Brite und bot ihr seinen Arm an. Zögernd kam sie der Bitte nach und hakte sich bei ihm unter. Nach einigen Schritten, erschien es Ewan doch zu ruhig.

„Wie ist es dir in dem Jahr ergangen?“

„Gut. Und dir?“, Hero hatte keinen blassen Schimmer, was sie sich mit dem hochgewachsenen und zwei Jahre älteren Jungen unterhalten sollte.

Über das Wetter? Nein, beide wussten das es ein scheußlicher Winter war und sehr kalt.

Mit dem Lieblingsthema, dem Ewan sehr angetan war, der Pferdezucht, kannte sich Hero genauso gut aus, wie Kari mit den PS-Stärken der teuren Autos, in denen sie heute gesessen hatte – nämlich gar nicht. Trotzdem versuchte Hero so neugierig wie möglich zu klingen.

„Dein Pferd heißt also Prestige? Was ist mit Agamemnon?“

Verwundert, dass sie ihn über seine Pferde ausfragte, blickte er Hero mit großen Augen an. Sie hatte ihn mit dieser Frage so überrumpelt, dass Ewan im ersten Moment nicht wusste, was er sagen sollte.
 

„Hero. Du brauchst dich nicht zwanghaft mit mir über Pferde zu unterhalten.“, grinste er.

„Aber...“, sie hielt inne. „Aber mich interessiert es nun einmal, was mit deinem Schimmel passiert ist.“, zwischendurch trank sie kleine Schlücke vom Gin und hoffte, dass sein Wirkung bald einsetzte.

„Nun ja.“, begann Ewan. „Agamemnon ist in die Planung meiner Großmutter mit eingeflossen.“

„Was für eine Planung?“

„Die Zucht.“

„Oh...na, dann... auf Gutes gelingen.“

Ewan lachte leise. „Danke.“
 

Er blieb mit Hero an einem der vielen Fenster stehen, welches jedoch nicht von Pflanzen überwuchert war und eine herrliche Aussicht auf die vom halb verdeckten Mond und dem Schnee erleuchtete Landschaft frei gab.

Schneeflocken, die sanft auf den weißen Untergrund niedergingen, glitzerten wie kleine Sterne.

Vorsichtig blickte Hero nach oben, um erleichtert feststellen zu müssen, das dort kein von ihr so verfluchter Mistelzweig hing.

Ewan, der sie beobachtet hatte, grinste amüsiert. „Hast du Angst?“

Verwundet sah Hero ihn an. „Nein! Wie kommst du darauf?“

„Weil du so angstvoll nach oben geblickt hast.“, gab er belustigt zur Antwort.

„Ähm.“, meinte sie sichtlich verlegen. „Ich wollte nur … nachsehen, ob das Dach den vielen Schnee standhält. In letzter Zeit haben ja viele Dächer den schweren Lasten der Schneemassen nachgeben müssen.“

„Ach so?“, flüsterte Ewan. „Da brauchst du dir aber keine Gedanken zu machen. Heute morgen...“, er verbesserte sich, nach einem Blick auf seine Uhr. „...ich meine gestern Morgen, da habe ich Mortimer auf genau diesem Dach den Schnee herunter schieben sehen.“

„Auf genau diesem?“, mit dem Finger zeige Hero nach oben.

„Auf genau diesem.“, beantwortete Ewan ihre Frage und tat es ihr, was den Fingerdeut anging, gleich.

„Da bin ich ja erleichtert.“, hauchte sie und versuchte sich mit der weißen Landschaft, die im starken Kontrast zu den gut gepflegten Pflanzen im Winterpalais standen, abzulenken.

Ewan vereitelte diesen Plan, da er sich zu ihr herunter beugte und flüsterte.

„Die Mistelzweige werden erst heute aufgehangen.“, und im selben Moment hielt er einen über ihren Kopf. Wo er ihn hergeholt hatte, wusste Hero nicht zu sagen. Wahrscheinlich hatte der Zweig schon vorher von ihm oder der Großmutter gut versteckt zwischen all dem Grün gelegen. Doch zu wissen, woher das Ding jetzt kam, war für das Mädchen vollkommen nebensächlich. Viel wichtiger war das, was unter einem Mistelzweig geschah und davor hatte sich Hero geängstigt, seit sie von der Verkupplungsgeschichte wusste. Schließlich war sie selber bei der Ratsversammlung anwesend gewesen, aber mit vollkommener Mehrheit überstimmt worden.
 

Musste sie jetzt wirklich jemanden auf den Mund küssen? Es war zwar nicht so, dass sie Ewan für abstoßend hielt, dennoch hatte sie sich das Ganze total anders vorgestellt. Zumindest hatte sie gehofft, dass sie demjenigen einen Mistelzweigkuss schenkte, den sie vielleicht schon zuvor auf ganz natürliche Art geküsst hatte, ohne einen traditionellen Brauch zu frönen.
 

Bevor sie aber etwas tun musste oder konnte, vereinfachte Ewan die ganze Sache.

Der Kuss war flüchtig, fühlte sich dennoch warm an. Er war federleicht und trotzdem erschien es Hero, dass sie bis ins Mark getroffen wurde, so sehr prickelte es. Ihr gesamter Kopf war wie leergefegt, während ihr Herz zu rasen begann und das bei einem Kuss, der nur auf die Wange gesetzt worden war.
 

Erschrocken sah sie Ewan an, während ihre Fingerspitzen die Stelle berührten, auf der sie für einen Augenblick seine Lippen gespürt hatte. Ihre andere Hand wurde von seiner genommen und bekam den Mistelzweig auf die Handinnenfläche gelegt.

„Schenke ich dir.“, meinte er, bevor er ging.

Vollkommen desorientiert stand Hero im Winterpalais und hielt den Mistelzweig so sanft in ihrer Hand, als ob es dabei um einen kleinen Vogel handeln würde, der nicht weg fliegen, aber auch nicht sterben durfte.
 

*
 

Der Morgen brach viel zu schnell und eigentlich zu früh an. Doch ändern konnte Akemi nun auch nichts mehr. Leicht schwankend taumelte sie ins Bad und nur langsam geschah das, wofür sie eigentlich nur wenige Minuten brauchte. Erst das nervende Geschrei ihrer kleinen Schwester, sie brüllte ununterbrochen schon seit fünf Minuten, brachte Akemi dazu diesen Raum gegen ihren zu wechseln. Noch immer benommen, hüpfte sie singend den Flug entlang.

Hina, der Schreihals, sah ihrer Schwester den Kopf schüttelnd hinterher.

„Die hat doch ne Klatsche.“, murmelte sie und verschwand im Bad.
 

Mit den Gedanken in den Wolken und den Füßen eine Ebene über der Erde schlitterte die Verliebte in die Küche. Die Haare waren nicht wie sonst frisiert. Einige Stellen erschienen länger gebürstet worden zu sein, als gut war und hatten dadurch ein ziemlich schwebendes Dasein und den Drang sich überall anzuschmiegen.

Kurz um: durch das viele Bürsten, waren die Haare elektrisch geladen.

Na hoffentlich wurde das kein genauso elektrisierendes Treffen, dachte sich Opa, als er seine Lotusblüte am Frühstückstisch begrüßte. Oma Ono verhinderte, das Akemi mit solch einem elektrischen Haarbeat das Haus verließ.
 

Grummelnd sah Opa Masao ihr nach.

„Wann trifft sie sich mit dem Jungen?“

„Erst heute Abend.“, gab Oma zur Antwort.

„Und da ist jetzt schon so durch den Wind.“

„Sie war schon die ganze Woche so.“, meinte Hina und packte sich das von Oma angefertigte Frühstück in die Tasche. „Sei nicht so vorlaut.“, rief Opa ihr nach, an Oma gewandt meinte er dann: „Sie werden viel zu schnell groß.“

„Das hast du bei unserer Tochter auch gesagt.“, meinte diese.

„Ist doch auch wahr.“, rechtfertigte sich Masao.

„Seit sie arbeiten geht, sehen wir sie nur noch je nachdem, wenn ihre Schicht günstig ist und selbst da ist es nicht mal sicher, dass ihre Kinder und wir sie sehen.“, brummte er und erhob sich von seinem Sitzplatz. „Und alles nur, wegen diesem Taugenichts von Yamada.“

„Sprich nicht so verachtend von ihm. Er zahlt wenigstens für die beiden Mädchen und unternimmt in den Ferien auch was mit ihnen. Das sieht in anderen Familien ganz anders aus.“, ermahnte Oma ihn.

„Pah! Ich spreche so, wie es mir passt.“, bellte er und verließ den Raum, es war schließlich schon nach Sieben und jeden Morgen traf er sich mit seinen Freunden im Park, um seinen Körper fit zu halten. Oma hingegen, blieb daheim und bereitete das Essen vor, für ihren verehrten brummelnden Gatten.
 

In der U-Bahn war Akemi allein.

Takeru sah sie erst nach der Mittagszeit, da seine Kurs durch den vielen Schnee verlegt wurden oder auch ausfielen, weil die Dozenten eingeschneit waren. Erst am Nachmittag hatten beide wieder beim gleichen Professor und da dieser im Gegensatz zu seinen älteren Kollegen nur wenige Meter neben dem Unigelände lebte, war dieser Unterricht regulär angekündigt.

An ihrer Zielstation wurde Akemi schon von ihren Freundinnen Chiyo und Emi erwartet. Nach einer kurzen Begrüßung im morgendlichen Gedränge ging es auch schon in Richtung Uni. Die Mädchen wickelten sich ihre Schals enger um den Hals, damit der schneidende Wind nicht so sehr durch die Schuluniform zog.
 

„Sag mal Akemi-chan. Wo gehst du heute mit Takeru-kun hin?“

Erschrocken sah die Angesprochene ihre Freundin an.

„Woher weißt du das?“, statt einer Antwort hörte sie nur das leise Kichern ihrer Freundinnen.

„Aber, das weiß doch jeder, der euch beide kennt.“, grinste Chiyo.

„Und außerdem.“, ergänzte Emi. „War es ja schon ziemlich verdächtig, wie ihr vergangene Woche, als wir den Tokio Tower besucht haben, so allein in der Ecke gestanden habt und du auf einmal bleich und dann knallrot geworden bist.“

Akemi seufzte.
 

„Wie kommt ihr eigentlich darauf, dass es heute ist?“

„Das hat uns Koji verraten. Wir haben ihn darüber ausgefragt, wann Takeru Training und wann er einen Abend frei hat.“, gab Emi zur Antwort. Das sie selber ein wenig Rot um die Nasenspitze wurde, versteckte sie gut hinter ihrem Schal und ließ dabei nur ihre Augen hervorblitzen.

„Oh!“, meinte Akemi erstaunt.

„Also ist es heute?“, hakte Chiyo nach.

Nur zögernd kam die Antwort. „Ja.“, gab die Verliebte mit Herzklopfen zu.

„Und, weißt du schon wo es hin geht?“

„Nein, Chiyo-chan! Er hat mich nur gefragt, ob ich den späten Nachmittag und frühen Abend mit ihm verbringen möchten.“, erzählte sie verlegen.

„Was?“, Emi klang empört. „Nur bis zum frühen Abend. Also wenn, dann sollte er schon den gesamten Abend mit dir verbringen.“

„Ja, spinnst du denn?“, fuhr es auch Chiyo heraus. „Wohl am Besten noch die ganze Nacht. Die beiden können doch nicht den gesamten Abend miteinander verbringen.“

„Wieso nicht? Und das mit der Nacht...“

„Das gebietet der Anstand.“

„Der Anstand.“, äffte Emi und schüttelte ihren Kopf. Dabei flogen die Bommel an ihrer Mütze wie wild umher. „Heutzutage läuft doch die Polizei nicht jedem Paar hinterher und wartet darauf, dass sie die Zeit des Anstandes überziehen.“, meinte sie euphorisch. „Heute ist wilde Romantik angesagt.“, schwärmte das Mädchen und seufzte zufrieden über ihre Vorstellung, die sich in ihrem Kopf eröffnete.
 

„Ich glaub, dir ist der gestrige Festtag zu Kopf gestiegen.“, meinte Chiyo und schnappte sich Akemi, um schnell von Emi wegzukommen. Diese lachte.

„Du bist doch nur neidisch, weil du nicht so tolle Vorstellungen hast.“

„Ach, halt doch den Mund.“, schrie Chiyo zurück, die arme Akemi immer noch mit sich zehrend.

„Chiyo-chan. Könntest du mich loslassen?“, bat die junge Verliebte flehend ihre beste Freundin.

„Was? – Oh.“, damit wurde Akemi vom Klammergriff befreit und konnte wieder selbstständig durch die Welt laufen. Das Ganze blieb jedoch nicht unbeobachtet und hatte amüsierte Zuschauer angelockt.

„Versuchst wohl Akemi-san vor Takeru-kun in Sicherheit zu bringen.“, lachte eine der Unikolleginnen. Dafür erntete diese einen bösen Blick von Chiyo.

„Lass uns gehen.“, flüsterte Akemi und zog diesmal Chiyo mit sich.

Das Emi wieder den Anschluss zu den Beiden bekommen hatte, kümmerte das aufgebrachte Mädchen nicht. Im Gegenteil, sobald die Drei ihren Sitzplatz im Vortragssaal 4-a gefunden hatten, würde Emi in einen verschwörerischen Plan mit eingebunden werden, der spätestens beim Mittagessen wieder verflogen wäre. Aber zuerst wurde sich über diese ungehobelte Frechheit aufgeregt. Das war Chiyos ihre Art.
 

Takeru war mit seinem Großvater im Zentrum von Tokio unterwegs. Der alte Mann hatte noch einige Besorgungen zu tätigen, die nicht eben beim 24Stunden-Markt um die Ecke eingekauft werden konnten.

Die seltene Gelegenheit wieder in die Innenstadt der Millionenmetropole zu kommen, nutzte er auch, um alte Freundschaften zu pflegen und gleichzeitig hatte er die Chance mit Takeru ein vertrautes Mann zu Mann Gespräch über Akemi zu führen.
 

„Wo wollt ihr heute Abend hin?“

„Wen meinst du mit 'ihr'?“, unschuldig blickte der Enkel seinen Opa an.

„Du weißt was ich meine.“, grinste dieser.

„Opa, ich hab echt keine Ahnung, was du willst!“, damit wäre für Takeru das Gespräch beendet. Schließlich war es doch seine Sache, wohin er heute Abend mit Akemi ausging.

„Takeru.“, räusperte sich der Großvater. „Ich weiß, dass du heute mit Akemi-san verabredet bist.“, selbst das tiefe Seufzen seines Enkels ließ den alten Mann nicht weiter davon abhalten seine Rede zu halten.

„Reg dich nicht auf. – Ich freue mich ja, dass du endlich bemerkt hast, wie es zwischen dir und Akemi-san steht.“

„Opa!“, kam es genervt.

„Lass mich ausreden! Ich finde es schön, dass du endlich jemanden gefunden hast, besonders, weil es sich hierbei um so ein nettes und hübsches Mädchen, wie Akemi-san handelt. Deswegen, hör meinen Rat an.“, Opa Isamu sah seinen Enkel eindringlich an. „Dass du es dir mit Akemi-san nicht verscherzen willst, habe ich mitbekommen und das du auch nichts überstürzen wirst, dessen bin ich mir auch sicher – aber worüber ich mir nicht sicher bin, wie du es deinem Vater beibringen willst.“

Nun kam keine aufgebrachtes 'Opa'. Isamu bemerkte, dass er ins Schwarze getroffen hatte.

„Dein Vater, dass weißt du, hält nicht viel davon, wenn du dich mit Mädchen triffst oder eine Freundin hast. Im Gegenteil, er glaubt sogar, dass du durch eine Freundin abgelenkt wirst. Also, würde ich mit der Bekanntmachung bis nach der WM warten.“

„Opa, darüber hab ich auch schon nachgedacht.“, grinste Takeru, konnte sich aber ein Schmunzeln nicht verkneifen, da er alles an Themen erwartet hatte: Von Verhütung bis hin zu 'was mach ich, wenn es doch schief gelaufen ist', aber nicht dieses Sache.
 

„Ich bin nur um dein und Akemis Wohl bedacht oder was hast du geglaubt, über was ich mich mit dir unterhalten wollte.“, spitzbübisch sah Isamu seinen Enkel an. „Ich glaube doch, du weißt, wie das mit dem Bienchen und Blümchen funktioniert und das so etwas auch Folgen haben kann.“, am Ende konnte sich Opa diese belehrende Bemerkung doch nicht verkneifen, schließlich kannte er die neue Angewohnheit der Jugend zum 24. Dezember und erntete dafür einen genervten Blick.

„Ich wusste es.“, seufzte Takeru und schob seine Hände tief in die Taschen.
 

*
 

Leni schlief schlecht. In ihren Träumen durchlebte sie den vergangenen Tag. Immer wieder sah sie ihren Chef vor sich sitzen und ihre Hand berühren und am Ende erwachte sie, schweißgebadet im Bett sitzend.

Obwohl es Winter war, empfand die junge Russin eine unheimliche Hitze in ihrem Zimmer. Sie stürzte förmlich zum Fenster und riss es auf. Weit beugte sich Leni hinaus und atmete die trockene Kälte der eisigen Winternacht in kurzen hektischen Atemzügen ein. Erst als sich ihr Herzschlag und der rasselnde Atem beruhigt hatten, griff sie in den Schnee, der auf dem Fensterbrett lag und presste diesen zu einer kleinen Kugel zusammen. Diese hielt sie an ihr Dekolletés, um das erhitzte Gemüt schneller abkühlen zu können.
 

Zittrig bewegte sie sich zu ihrem Kleiderschrank. Es war schon das vierte Tank-Top in dieser Nacht, dass gewechselt wurde. Wenn das so weiter ging, würde sie ohne Trinken mit hoher Wahrscheinlichkeit bald dehydriert sein.

Noch immer war das Fenster geöffnet, doch das interessierte nicht.

Vollkommen geschafft vom Tag und den Träumen, ließ sich Leni in ihr Bett fallen und blieb dort einfach auf der Seite liegen. Wenn sie krank werden würde, war es doch nur ein Glück für sie. Dann brauchte sie wenigstens nicht mehr zur Arbeit gehen und konnte rechtzeitig Gesund sein, wenn die Jungs mit ihr nach Moskau wollten.
 

Den Tränen nah, griff Leni nach ihrem Kissen und vergrub ihr Gesicht darin.

Wie von selbst kamen die Gedanken an das Gespräch mit ihrem Chef. Seine Berührungen, sein Blick – alles hatte sie angewidert und nun bekam sie diese Erinnerungen nicht los.

Verächtlich blickt die junge Russin auf ihre rechte Hand, die vor einigen Stunden in den Händen dieses Mannes gelegen hatte. Wie verrückt hatte Leni, als sie heimgekommen war, mit Kernseife und einer Bürste auf der Haut umher geschrubbt. Am Ende war ihr Handrücken leicht aufgerissen und die Seife brannte in den Verletzungen.

Nun trug sie einen weißen Verband, der auch die rötliche Färbung verdeckte, die ihre rechte Hand angenommen hatte. Bei Fragen würde sie einfach sagen, dass sie mit heißem Wasser in Berührung gekommen war. Anstatt das Fenster zu schließen, zog sich Leni die Bettdecke über den Kopf und weinte sich leise in einen tiefen Schlaf.
 

*
 

Irgendwas krabbelte und zwar an seiner Nase, also rümpfte Gil diese und versuchte mit dem seitlichen Drehen seines Gesichts, dem krabbelnden Irgendwas zu entfliehen.

Zwecklos.

Denn hinter dem nervigen Irgendwas steckte Nitan, die der Länge lang in Gilberts Bett lag und versuchte ihren Liebsten irgendwie zu wecken. Das glückte ihr nach wenigen Sekunden auch.
 

„Morgen.“, murmelte sie leise und bettete ihren Kopf auf seine Brust.

Gilbert erwiderte den Gruß desorientiert, er brauchte noch einen Moment, bis er kapierte wo er und was eigentlich Sache war. Erst dann legte er seinen Arm um Nitans Körper und zog sie näher an sich heran.

„Hast du gut geschlafen?“, flüsterte er.

„Ja.“, gab sie schnurrend zur Antwort. „Aber ich hätte noch viel besser geschlafen, wenn ich bei dir gelegen hätte.“, Nitan streckte ihren Körper, um sich während des nächsten Satzes ein wenig vom Bett erheben zu können.

„Aber deine Mutter hat mich höchstpersönlich in mein Zimmer begleitet.“, maulte sie.

„Oh! Du Arme.“, grinste Gilbert und strich ihr über den Rücken, was dazu führte, dass sie dieser Berührung nachgab und ein Hohlkreuz formte.

„Ja, ich bin wirklich arm dran.“, seufzte sie und zog mit ihren Fingern kleine Kreise auf dem unbedeckten Oberkörper ihres Freundes. Zeichen genug für den Briten, um zu verstehen, was seine blonde Schmusekatze wollte.
 

„Nitan. Nein! Molly kann jederzeit hineinkommen.“, warnte er. Doch das schien die Finnin nicht zu interessieren.

Im Gegenteil. Ohne das er sie aufhalten konnte, saß sie plötzlich rittlings auf dem unteren Teil seines Körpers und bewegte langsam ihr Becken auf dem Seinen.

„Ni!“, zischte Gil und versuchte ihren Bewegungen mit den Händen Einhalt zu gebieten.

Er packte sie an ihre Hüfte und hielt sie somit von den kreisenden Bewegungen ab, die sie verflucht gut beherrschte.

„Was denn?“, fragte sie keck lächelnd, sich dabei mit der Zunge über die obere Lippe leckend.

Sie beugte sich zu seinem Ohr runter und hauchte: „Hast du Angst, das Molly uns so sieht?“ Gilbert konnte ein leises Lachen vernehmen, während sie an seinem Ohr knabberte. Das brachte ihn aber nicht dazu, die eiserne Umklammerung ihrer Hüften zu lockern. Als Nitan bemerkte, dass ihre Liebkosungen nicht den Effekt hatten, den sie wollte, erhob sie sich wieder.

„Entspann dich.“, schnurrte sie.

Entspannen konnte sich Gilbert nicht, denn der Gedanke, dass Molly oder schlimmer noch seine Mutter genau in den Moment hineingeplatzt kommen konnten, in denen seine Raubkatze die Krallen ausfuhr und er seine Beherrschung verlor, ließ bei ihm jede Lust davon flattern.

Genau diese eben bedachte Raubkatze legte ihre Hände zärtlich auf Seine.

„Soll ich dir ein Geheimnis verraten?“, flüsterte sie.

„Dann leg mal los.“, knurrte er, an seiner Beherrschung zerrend.

„Die Tür ist verschlossen.“, hauchte sie und fing seine Lippen mit ihren ein. So wie sie seinen Mund verwöhnte, durfte sie auch wieder die untere Region bearbeiten.

Mit einem Kniff in ihrem Hintern, bekam Gilbert die Aufmerksamkeit von Nitan, die er wollte, bevor sein Verstand dem Verlangen den Vortritt ließ.

„Au!“, zischte sie in den Kuss und löste diesen, nachdem Gilbert nicht aufgehört hatte, sie zu kneifen.

„Okay. Sagen wir mal, Molly kann nicht hier rein. Aber, da ist immer noch die Sache mit meinen Eltern. Wir müssen zum Frühstück pünktlich sein und außerdem findet heute morgen die Schnitzeljagd statt.“

„Oh.“, kicherte das blonde Irgendwas.

„Weißt du.“, flüsterte sie. „Du hast genau zwei Stunden, bist du aufstehen und dich für das Frühstück einkleiden musst.“

Verwundert wurde sie angesehen.

„Wie bitte?“

Rasch blickte Gilbert auf den Wecker, der neben dem Bett stand und dann zu den zugezogenen Vorhängen. Kein Sonnenstrahl drang durch sie hindurch. Das Licht, welches den Raum erhellte, waren die Wandlampen gewesen.
 

Der Blick mit dem Nitan bedacht wurde, ließ bei ihr ein helles Lachen über die Lippen kommen, bevor sich die Welt für sie drehte und ihr liebstes Stimulanzmittel plötzlich über ihr war.

Sie vernahm nur noch ein leises, tiefes Raunen: „Na, wenn das so ist.“, bevor ihr Mund räuberisch geplündert wurde und sich eine starke, raue Hand den Weg unter ihr Top hoch zu ihren Rundungen bahnte.

Voller Vorfreude schlang Nitan ihre Arme um seinen Hals und stieß mit ihrer Hüfte hart an seine. Für dieses boshafte Vergehen, vernahm sie ein dunkles Grollen, tief aus seiner Kehle und einen mahnenden und zwickenden Biss in ihrer Unterlippe, worauf sofort eine raue Zunge zur Versöhnung folgte.

Ihre lustvollen Laute, die durch seine Berührungen hervorgebracht wurden, versanken in einem Kuss, der einem Wechselspiel von Bissen glich. Das Ende eines solchen Kampfes war erfüllt von einem leidenschaftlichen hin und her ihrer Zungen.

Als sich Gilbert von ihrem Mund löste und langsam den Weg in tiefere Regionen anstrebte, zog Nitan ihn wieder zurück zu ihren Lippen.

Wispernd kamen ihre Worte, die sie mit flehenden Blick sprach.

„Und irgendwann...“, hauchte sie, „... in einem der beiden Porsche Cayenne.“, das Funkeln in ihren Augen verriet, dass sie es Ernst meinte. Trotzdem verkniff sich Gilbert nicht seine Bemerkung.

„Du bist verrückt.“

„Küss mich.“
 

Insgesamt hatten sie in der vergangenen Nacht nur vier Stunden Schlaf bekommen und die restlichen Zwei hätten sie wahrscheinlich dringend benötigt, doch das war ihnen an diesem Morgen vollkommen egal.

Jede Sekunde, die sie jetzt in den 120 Minuten hatten, wurde mit ihrer Leidenschaft und Hingabe füreinander bis an ihre ekstatischen Höhepunkte ausgereizt.
 

*
 

Total übermüdet und verfroren schloss Leni ihr Fenster. In der Nacht, nachdem sie eingeschlafen war, hatte es wieder zu Schneien begonnen und im ganzem Zimmer lag der Schnee verteilt. Doch Interesse an dem Chaos hatte sie keine. Im Gegenteil, Leni zog sich einen warmen Pullover über und verließ ihr Zimmer in Richtung Bad.

Die beiden Männer der Wohnung schliefen noch.
 

Als Leni sich im Spiegel sah, erschrak sie. Ihre Augen waren gerötet und getrocknete Tränenspuren lagen auf ihren Wangen. Die Lippen waren trocken und blass, während das Haar spröde an ihre herab hing.

Ein wenig Rouge, Lidschatten und Lippenstift mit Lipgloss kombiniert, ließen das Bild von ihr schon wieder viel heller und wärmer wirken. Sie musste nur ihre zerzausten Haare in einen eleganten Bauernzopf flechten und schon war sie die Leni, die freundlich die Gäste im Lokal bewirtschaftete und dafür ihren Lohn verdiente, damit sie ihr Studium bezahlen konnte.

Fünfzehn Minuten und aus dem verweinten Gesicht und der Strohfrisur war eine adrette junge Frau geworden.
 

Auf dem gesamten Weg zur Arbeit hatte sie mit ihren Tränen zu kämpfen.

Sie war froh, dass ihr Schicht heute nur bis zum späten Nachmittag andauerte, somit konnte ihr Chef in den späten Abendstunden keine privaten Angriffe auf sie verüben, die von seinem natürliche Drang her stammten.

Im Lokal angekommen bewegte sie sich so unauffällig wie möglich und hielt sich weites gehend im öffentlichen Bereichen auf. Doch als es schon auf elf zuging, wunderte sich selbst Leni, dass sie bis jetzt ihren Chef weder gehört, noch gesehen hatte. Langsam wurde sie schon neugierig und während sie Natascha hinter der Theke aushalf, konnte das junge Mädchen nicht länger an sich halten.

„Tascha. Kommt der Chef heute nicht?“, sie versuchte die Frage so belanglos klingen zu lassen, wie möglich.

Die Rothaarige drehte sich zu ihr und meinte gelangweilt.

„Der Chef? Der ist im Urlaub.“

„Im Urlaub?“, hakte Leni zur Sicherheit nach, während sie einen der Kuchen in gleichgroße Teile schnitt.

„Ja. Er ist heute gefahren und kommt erst im neuen Jahr wieder ... ich glaub', Mitte des Monats.“

„Wirklich?“

„Wenn ich es dir doch sage.“, meinte Natascha leicht genervt, weil Leni ihr nicht glauben wollte. Dabei dachte sie gar nicht mehr an den Vorfall vom gestrigen Tag. Das hatte sich schon längst vergessen.

Leni hingegen fiel ein Stein vom Herzen. Wenn alles gut ging, brauchte sie ihren Chef nur noch eine Woche lang zu sehen und das nur in der Frühschicht. Vielleicht sollte sie sich doch einen anderen Job suchen. Nein, nicht vielleicht! Mit hundertprozentiger Sicherheit sollte sie sich eine neue Arbeit suchen. Vielleicht hatte Olga eine Stelle für sie. Nicht so gut bezahlt wie hier aber sicherlich ohne einen Chef, der seinen weiblichen Angestellten am liebsten die Kleider vom Leib reißen wollte. Die Suche würde schwierig werden, da es wirklich kaum freie Arbeitsplätze gab und wenn doch, dann waren zu viele Arbeitslose da, die sich darauf stürzten.

Sie wollte es dennoch versuchen. Mit diesem Entschluss schnitt sie den nächsten Kuchen an.
 

*
 

Akemi konnte sich endlich von dem Gedanken an das Treffen mit Takeru ablenken und war regelrecht in das Buch, das jeder Student für die Vorlesung zu kaufen hatte, versunken. Doch ihre Ruhe dauerte nicht lange. Ein herber männlicher Duft von After Shave lag plötzlich ganz zart in der Luft, kaum wahrnehmbar. Von diesem Aroma geleitet, drehte Akemi ihren Kopf nach rechts und erblickte Takeru, der den Platz neben ihr als seinen auserkoren hatte und selbst gedankenverloren im Buch las.

„Takeru-kun.“, hauchte sie.

Der Angesprochene blickte auf und lächelte. „Akemi-chan.“ Das 'chan' ließ bei Akemi die Wangen erröten.

„Bleibt es bei heute Abend?“, hakte sie sich zur Sicherheit nach.

„Ja.“

„Ich freue mich schon.“, gab sie schüchtern zu und unterbrach den Augenkontakt, um ihre Verlegenheit zu verbergen.

„Ich mich auch.“, flüsterte Takeru und im selben Moment hätte er sich am Liebsten selbst eine runter gehauen. Wie konnte er nur 'Ich mich auch' sagen, wenn ja die Einladung von ihm kam. Da war es doch selbstverständlich, dass er sich auch freute. Mit leicht geröteten Wangen blickte er hinunter zum Dozenten, der gerade im Begriff war seinen Vorlesung zu beginnen.
 

Es war wirklich spät geworden als die Beiden das Unigelände verließen. Die Arbeitsgruppen hatte mehr Zeit in Anspruch genommen, als erwartet.

Gemütlich spazierten Akemi und Takeru zu der U-Bahn Station. Dabei spiegelte die in rosafarbene getauchte Umgebung Akemis Traumzustand wieder. Die Sonne stand schon etwas tiefer und war in ein leichtes rot – orange getaucht, dass vom Schnee reflektiert wurde.

„Darf ich fragen, wo es heute hin geht?“, verlegen blickte sie zu Takeru, der nach der Frage ein wenig herum druckste und erst spät mit der Antwort herausrückte.

„Dürfen schon, aber ich möchte dir den Ort nicht verraten.“, gab er lächelnd zurück.

„Oh! Na gut, dann lass ich mich überraschen.“, kicherte Akemi, doch die Enttäuschung war nicht zu überhören.
 

Als Beide auf den Zug warteten, standen sie unbeholfen nebeneinander.

Takeru wusste selbst nicht, warum er so nervös war. Schließlich war Akemi nicht sein erstes Date. Drei, vier Mal hatte er ein Mädchen schon ausgeführt – Kino, Zoo, Park waren die idealen Orte für Verabredungen und nicht vertrauter Zweisamkeit gewesen.

Bei Akemi war aber alles anders. Er lud sie zum Essen ein und dann war da noch dieses kleine silberne Etwas in seiner Tasche, dass die ganze Sache auch nicht leichter machte. Glücklicherweise wusste Akemis nichts von dem Geschenk, sonst hätte sie womöglich einen Ohnmachtsanfall nach dem anderen bekommen und aus dem Diner wäre ein gemeinsamer Aufenthalt im Krankenhaus geworden.

Der Einzige, der sich vielleicht daran teilweise erfreut hätte, wäre Opa Ono gewesen. Schließlich wollte er den Kopfverdreher kennenlernen, obwohl er ihn schon aus dem Fernsehen, der Zeitung und durch das Fenster gesehen hatte.
 

Die Tatsache, dass Takeru nur 'Einladung' und nicht zum 'Essen ausführen' erwähnt hatte, beruhte auf dem Wissen, dass Akemi nach solchen Ankündigungen immer in Atemnot geriet und den Anschein erweckte, einfach durch das Aussetzen ihres Luft-hol-Verstandes, Tod umzufallen.

Um jegliche Aufregung zu vermeiden, die zu einem ungewollten Erstickungstod führen konnten, musste er das Essen so einfach wie möglich betiteln. Also, wurde dem Kind der Name 'Einladung zum Treffen nach dem Unibesuch' gegeben, das hatte aber auch nicht viel gebracht. Bei Akemi brannten die Sicherungen trotzdem durch. Da konnte Takeru nur von Glück sprechen, dass er ihr die Wahrheit vorenthalten hatte.

Wahrscheinlich gehörte seine Angebetete zu jenen Mädchen, die irgendwann wegen Herzschmerzen beim Arzt landeten.

Für eine junge Frau, in Akemis Alter, war es eine normale Sache sich mit einem Gleichaltrigen fürs Kino zu verabreden, aber eine Spezielle, von diesem zum Essen ausgeführt zu werden und eventuell im extremen Fall noch ein Geschenk überreicht zu bekommen und alles am 24. Dezember. Denn das Alles waren die klarsten und brutalsten Anzeichen auf ein erhofftes Zusammenkommen, in Form eines liebenden Paares.

Allein die Vorstellung an so etwas, konnte bei jungen Frauen eine erhöhte Herzfrequenz verursachen und in manchen Fällen sogar zu kleinen Unregelmäßigkeiten führen, die vom Arzt als Herz-Rhythmus-Störungen meist fehl diagnostiziert wurde. Hinzu kam die verzweifelnde Ungewissheit, ob es sich bei solche einem Date nur um eine einmalige nächtliche Sache handelte oder mehr dahinter steckte.
 

Das fünf Minuten zur Ewigkeit werden konnten, hatten Beide schon des Öfteren erfahren. Doch diesmal schienen sich die einzelnen Zeitabschnitte wie flüssiger Camembert in die Länge ziehen. Die stichelnden Sprüche und Gestiken der anderen Studenten machten das Ganze nicht einfacher, um so erlösender erschien Takeru und Akemi die Ankunft der Bahn. Wie zwei Ausgesetzte flüchteten sie in den sicheren Wagon.

Das die Hälfte der störenden Kommilitonen ebenfalls einstiegen, war den Beiden erst im Inneren der Bahn aufgefallen. Amüsiert über ihr merkwürdiges Verhalten grinsten sie sich an und versuchten den Rufen kein Gehör zu schenken.
 

Die Sonne stand extrem tief und blitzte gerade so durch die Skyline Tokios. Die Nacht schien klar und kalt zu werden, sofern es der Schmutz der Stadt zuließ. Nachdem Takeru und Akemi eine Weile mit der Bahn gefahren waren, zog er sie urplötzlich bei einer Haltestelle hinaus.

„Wo sind wir?“, noch desorientiert, blickte sich das Mädchen um und stellte fest, dass sie im Ginza Viertel waren.

„Ginza. Aber das hast du ja schon bemerkt.“, meinte Takeru und ging zu Ausgang der Station. „Komm, sonst sind wir zu spät.“

„Warte!“, rief Akemi ihm nach und versuchte so schnell wie möglich Takeru zu folgen, der ihr lächelnd die Hand hin hielt, während er auf sie wartete.

Mit verkrampft dargestellter Freude bahnten sich beide durch das Viertel, doch der Gedanke, dass es sich hierbei um ein Date handelte, bremste die aufgesetzte 'breites Lächeln - Mimik' in manchen Momenten.

Der Weg, den Takeru einschlug, führte in Richtung des Hibiya Parks. Akemi hatte schon öfters von ihren Freundinnen gehört, das junge Studenten, zu denen sie ja auch gehörte, sich gerne zu Zweit im Park trafen und dieser ein idealer Ort für den 24. Dezember war. Daher malte sich die verliebte Japanerin in ihren Gedanken einen romantischen Spaziergang bei Mondschein und der weihnachtlichen Beleuchtung aus.

In einem ihrer Lieblingsmangas waren die schönsten Momente auch immer im mondbeschienen Park passiert. Obwohl, diese ganz intimen Momente wollte sich Akemi nun nicht vorstellen und schon gar nicht so schnell, wie es in den meisten Mangas und Animes vorkam. Hinzu kam, dass die Kälte dem Ganzen ebenfalls einen Strich durch die Rechnung machen würde.

Peinlich berührt von ihren verrückten Gedankengängen blickte Akemi verlegen in eines der vielen Schaufenster und war froh, dass ihre gerötete Gesichtsfarbe vom Schatten der Stadt überdeckt wurde. Ohne es zu merken, drückte sie Takerus Hand ganz fest. Dieser reagierte natürlich prompt und drehte sich zu 'seinem' Mädchen um.

„Hast du was?“

„Wie? Nein. Nein.“, meinte Akemi hastig und aufgescheucht, wie ein Huhn. Gleichzeitig schüttelte sie zur Bestätigung ihrer Aussage den Kopf. „Alles in bester Ordnung.“, künstlicher konnte sie nicht mehr Lächeln.

„Wie du meinst.“
 

Welch katastrophaler Auftritt dachte sich die Japanerin in der Hoffnung, dass es bei einem gemeinsamen Abend im Park bleiben würde. Das wäre von ihrer Vorstellung her voll und ganz ausreichend. Umso erstaunter war sie, als Takeru in ein Hotel wollte, an dem sie eigentlich vorbei gegangen wären, wenn er den Park als Ziel im Kopf gehabt hätte. Doch er hatte diesen nicht einmal in seinen Plan miteinbezogen. So musste Akemi ihre Gedanken neu spinnen, während sie mit halb geöffneten Mund und großen Augen das Hotel anblickte.

„Takeru-kun.“, hauchte sie. „Was wollen wir hier im Hotel?“

„Lass dich überraschen.“

Überraschen? Klar und das am 24. Dezember, wenn alle Hotels, unabhängig ihrer Preisvorstellungen, belegt waren.

Vollkommen fassungslos sah die Japanerin ihren Schwarm an, denn wie aus heiterem Himmel war ihr ein aufregender aber auch unsittlicher Gedanke durch den Kopf geschossen.

Er wollte doch nicht – er konnte doch nicht, nein, das war doch unmöglich. Trotzdem war sich Akemi nicht sicher, ob sie Takeru folgen sollte.

Ihr Verstand spielte verrückt.

Gedanklich wurde sie von ihrem inneren Teufel beschimpft, nur so schlichte Unterwäsche zu tragen, doch auf der anderen Seite flehte ein Engel sie schreiend an, Takeru nicht zu folgen. Bilder von ähnlichen Szenen, wie sie in Animes, Mangas oder realen Filmen vorkamen, flogen im Akkord durch ihren Kopf..
 

„Takeru.“, flüsterte Akemi fast atemlos.

„Ja?“

„Wir sollten das nicht machen!“

„Was nicht machen?“, verwundert über das zögerliche Verhalten trat er auf sie zu. „Akemi-chan. Was hast du denn?“

Verlegen blickte die Angesprochene weg und spielte mit dem Träger ihrer Tasche.

„Ich...“

„Ja?“, hakte Takeru nach.

„Ich...“, mit ihrem gesamten Mut sah sie ihm in die Augen. „Ich fühle mich nicht bereit, für solch einen Schritt.“

Trotz ihrer großen Gefühle für ihn.
 

Es herrschte Stille.
 

Ihr Gegenüber wusste nicht so schnell, was er sagen sollte.

Von diesem plötzlichen Ausbruch überrascht, versuchte er seine Stimme wiederzufinden.

„Woher weißt du... ähm.“, vollkommen perplex starrte Takeru sie an.

Sie wollte nicht mit ihm Essen gehen. Bei Takeru kletterte die Panik langsam nach oben. Er spürte wie sein Herz gegen die Rippen hämmerte, schließlich hatte er einen Großteil seines ersparten Geldes von Gelegenheitsjobs und gewonnen Wettkämpfen für einen Tisch in diesem verdammt teuren Hotel ausgegeben.
 

„Takeru-kun, können wir gehen.“, flehte sie mit Stimme und Blick, so dass er nur einen Entschluss fassen konnte: Sie nach Hause zu bringen.

„Okay.“, kam es gehaucht von ihm und leicht enttäuscht. „ Aber... ich muss trotzdem rein und den Tisch abbestellen.“

Erfreut darüber, dass Takeru sie verstand, überhörte sie 'fast' die letzten Worte. Gerade als er hinein gehen wollte, hatte das Verarbeitungszentrum ihres Gehirns die Information der letzten Aussage erfasst.

„Den TISCH?“, platzte es aus ihr heraus, lauter als sie wollte.

Takeru drehte sich abrupt um und sah sie verwirrt an.

„Ja, den Tisch.“, bestätigte er.

„Was hattest du vor?“, fragte Akemi lieber nach. Denn einen Tisch brauchten sie für das, was bei ihr mal wieder abgegangen war, nicht. Zumindest brauchte sie dafür keinen Tisch, da sie irgendwann einen Film gesehen hatte, wo 'es' auch im Stehen geklappt hatte.

„Was hast du denn gedacht?“, stellte Takeru die Gegenfrage.

Fassungslos über sich selbst, rang Akemi nach Luft und spielte nervös mit dem Träger ihrer Tasche.

„Auf jeden Fall nicht das, was du vor hattest.“

Sie wünschte sich ein tiefes schwarzes Loch in das sie springen konnte. Ihre Lächerlichkeit toppte wahrscheinlich alles. In Gedanken verpasste sie sich eine Ohrfeigte nach der anderen, während sie die Frage:„Können wir … den Plan, den du hattest, weiterverfolgen?“, verlegen stammelte.

Mit einem leisen, amüsierten Lachen, blickte Takeru sie an. Er ahnte, was in ihrem Kopf abgegangen war. Schließlich war heute nicht irgendein Tag, sondern der 24. Dezember. Ein Tag für alle Oberstufenschüler und Studenten, die eine schöne Nacht mit ihren Liebsten haben wollten. Egal wo, egal wie, am Besten waren dafür die Hotels geeignet und dafür wurde schon Wochen vorher das Geld gespart und die Dates verabredet.

War kein Hotelbett mehr aufzutreiben, so konnten an diesem Tag sämtliche bettlosen Paare in der Gegend von Shinjuku angetroffen werden. Dort blieb keine Bank und Ecke unbesetzt.

„Ich will gar nicht wissen, was du dir in deinem hübschen Kopf zusammen gesponnen hast.“, grinste Takeru. „Lass uns meinen Plan weiterverfolgen.“

Gemeinsam betraten sie das Imperial Hotel und das dazugehörige Restaurant.
 

*
 

„Das ist Rubys Star.“

Voller Stolz präsentierte der alte Gray seine neue Errungenschaft für Hero.

Die Fuchsstute stand aufgezäumt und gesattelt mit den anderen Pferden auf dem Hof vor den Stallungen. Unsicher trat das Mädchen, für die das Pferd gedacht war, auf das große Tier zu.

„Sie haben aber vergessen zu erwähnen, dass sie sehr groß ist. Sir.“, stotterte Hero und betrachtete sich das Tier eingehend.

„Unsinn.“, brummte dieser. „Sie hat den perfekten Stockmaß für eine junge Reiterin, wie sie. Auf.“, damit winkte er den Pferdewirt herbei. „Cameron, helfen Sie der jungen Dame in den Sattel.“, und ehe sich Hero versah, saß sie auch schon auf dem großen Pferd.

„Ich hoffe, du weißt noch, wo Gas und Bremse sind.“, bellte der alte Gray und sah amüsiert zu ihr rauf.

„Ich hoffe es auch.“, flüsterte Hero und versuchte sich an das, was sie gelernt hatte zu erinnern.

Zögerlich nahm sie die Zügel auf und verkürzte damit die Länge dieser Leinen, die die einzige Verbindung zum empfindlichen Maul waren und daher mit bedacht verwendet werden sollten.

Doch im selben Moment stieg in Hero die Angst auf wieder abgeworfen zu werden, wie beim letzten Mal, als sie bei der Schnitzeljagd teilgenommen hatte. Da hatte sie noch Glück gehabt und war im hohen Bogen nur im Heuhaufen gelandet, aber wie würde es diesmal werden und war die Stute wirklich so brav, wie Mr. Gray Senior es beschrieben hatte. Hero seufzte und konnte nur dem Sprichwort nachgehen 'Abwarten und Tee trinken'.
 

„Na. Hast du dich schon mit ihr angefreundet.“, das Ewan mit seinem Hengst Prestige neben ihr stand, hatte Hero gar nicht mitbekommen. Erschrocken, aber sichtlich erleichtert, einen so erfahren Reiter, wie Ewan neben sich zu wissen, ließ sie zögerlich Lächeln.

„Na ja. Das Anfreunden wird wahrscheinlich erst da draußen passieren.“, damit blickte sie zur verschneiten Wiese.

„Keine Sorge. Sie ist wirklich brav.“, meinte Ewan lachend und versuchte Hero die Angst zu nehmen. „Ich bin auch immer in deiner Nähe.“

„Das brauchst du doch nicht. Bestimmt ist dein Pferd schneller als meines und mit mir würdest du nur verlieren.“, gab Hero zum Einwand.

„Ach, das glaube ich nicht.“, meinte der Brite und ließ seinen Prestige näher an Heros Rubys Star herantreten.

„Mit dir, würde ich in jedem Fall gewinnen.“, flüsterte er in einem ernsteren Ton.

Die Bedeutung dieser Worte ließen Hero verstummen und leicht Rot um die Nase werden. Ewan bemerkte, dass er mit diesem Satz sie peinlich berührt hatte.

„Entschuldige!“, kam es hastig. „Aber sieh nur, Prestige und Ruby stecken jetzt schon ihre Köpfe zusammen. Da kann gar nichts schief gehen.“, meinte er leise lachend und versuchte die Stimmung wieder aufzulockern, doch ganz gelang es ihm nicht.
 

„Oh mann! Jetzt bleib stehen.“, fauchte Nitan, während sie zum fünften Mal versuchte auf den Hengst Black Ten zu steigen.

„Fahr ihn doch nicht so an.“, lachte Ju. „Nicht jeder will von dir geritten werden.“

„Ju!“, zischte die Blonde und blickte erbost zu der Halbchinesin, die schon auf dem braunen Green Tea saß.

Amüsiert über das Bild, dass die Finnin und der Apfelschimmel abgaben, beugte sich die IT-Managerin der Band zu Blacks Zaum und hielt diesen dann fest.

„Versuch es jetzt.“

Nitan ließ sich diesmal von Cameron helfen und in wenigen Sekunden saß sie ihm korrekten Sitz auf dem Pferd.

„War der schon immer so zappelig?“, murrte sie eher zu sich selbst, als zu dem Pferdewirt. Doch dieser fühlte sich angesprochen.

„Nein. Aber im Sommer wurde er für die Zucht eingesetzt und jetzt bei den vielen Stuten und konkurrierenden Hengsten, ist er immer so.“

„Aha.“, murmelte Nitan und stellte ihren Bügel um zwei Löcher kürzer. Nervös tänzelte der Apfelschimmel über den verschneiten Boden und warf seinen Kopf hektisch nach oben. Widerwillig kam er den Paraden nach, die ihm seine Reiterin mit Schenkeldruck und Zügelverkürzung sendete.

„Er steht zu hoch im Blut.“, flüsterte Nitan und schien ein Einsehen mit dem störrischen Hengst zu haben. Während andere Reiter sich mit ihren Pferden für den Ritt noch bereit machten, versuchten jene, die schon im Sattel saßen aber eine Nervenbündel drunter hatten, ihre Tiere zu beruhigen.
 

Kari, die auf einer dunkelbraunen Stute saß, ritt näher an Ju heran und kicherte.

„Na, was ist denn so lustig?“, fragte Ju.

„Schau mal.“, grinste diese und zeigte mit dem Finger auf Hero und Ewan. „Süß, nicht wahr.“

„Hach! Die Beiden passen zueinander.“, flüsterte Ju.

„Wenn er so weiter macht, liegt er gleich auf Rubys Hals.“, gluckste Kari.

„Oder Ewan zieht Hero auf seinen Prestige.“, kicherte Ju.
 

„Na, was ist so lustig?“, ertönte eine warm klingende Stimme.

„Oh! Guten Morgen, Mrs. Gray.“, riefen beide Mädchen gleichzeitig.

„Guten Morgen.“, erwiderte die ältere Dame und Großmutter von drei Jungs.

„Sie reiten mit uns?“, fragte Ju und sah leicht besorgt auf die gebrechliche Frau, die noch immer im Damensattel ritt.

„Sicher.“, meinte diese. „Meine Bella und ich sind ein eingespieltes Team und außerdem, brauch ich es nicht so schnell anzugehen.“, ihr Blick ruhte auf ihren Enkel Ewan und seiner Angebeten. „Wenn es nach mir ginge, wäre Hero schon längst ein Teil dieser Familie, ohne das sie sich mit jemanden der Grays einlassen müsste.“

Verwundert sahen die Mädchen die ältere Frau an.

„Wie meinen Sie das denn?“, fragte Ju.

„Wenn Sie eine Adoption im Auge gehabt haben, muss ich Sie enttäuschen.“, gab Kari als Einwand.

Erneut zeigte sich ein faltiges aber warmes Lachen auf dem Gesicht von Mrs. Gray, die sanft ihre Stute am Hals liebkoste.

„Nein, das mein ich nicht. Ich hätte ihr den Namen Gray einfach verpasst.“, gab sie mit stolzem Ton an.

„Einfach so?“, fragte Kari fassungslos.

„Einfach so.“, bestätigte Mrs. Gray. „Mit Geld, lässt sich vieles 'einfach so' erledigen.“

„Und ihr Mann?“, Jus Blick war skeptisch, daraufhin lachte die alte Dame herzlich.

„Mein Mann hat dieses Kind genauso ins Herz geschlossen wie ich.“, sie tätschelte erneut ihre Stute am Hals und seufzte. „Wir sind glücklich über unsere Enkelkinder. Gilbert ist auf dem besten Weg in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, Anthony hat sich in den Kopf gesetzt Arzt zu werden und Ewan, er hat ein Händchen für die Pferdezucht und schon groß angekündigt, er werde das Gestüt weiterführen.“

„Aber?“, hakte Kari nach.

„Aber ein Mädchen als Enkelkind, das wie Hero ist … das blieb uns verwehrt.“, seufzte die alte Frau.

Daraufhin fing Ju hinter vorgehaltener Hand mit Kichern an. Den Blick, den ihr Mrs. Gray zuwarf, bemerkte sie sofort und hörte dementsprechend gleich wieder auf.

„Ich lache nicht wegen Ihnen.“, versuchte sie sich zu retten.

„Ach nein?“, fragte die ältere Dame nach. „Was ist dann so lustig?“

„Hätten Sie Hero auch vorher um Erlaubnis gefragt?“

Die gespielte Empörung, die Ju von Mrs. Gray zu spüren bekam, brachte nun alle Drei zum Lachen.
 

Die Pferdewirte Cameron und Heston gaben mit den Jagdhörnern das Signal zum Start. Der 'Fuchs' hatte mit der farbigen Spreu einen großen Vorsprung und konnte nun die Meute, wenn er gut war, gekonnt abhängen. Doch der Schnee vereinfachte die Situation für den 'Fuchs' nicht, sondern erschwerte das Ganze.

Kaum war der Klang der Jagdhörner erloschen, starteten die Reiter ihre Verfolgungsjagd. Hero sah zu Ewan, der der Meute hinterher blickte und sein Pferd dazu brachte nicht zu folgen.

„Na los, hol dir den Sieg.“, mit erwartungsvollen Blick musterte sie den Briten. Dieser erwiderte den Augenkontakt und lächelte.

„Bist du dir sicher?“

„Ja.“, grinste Hero. „Ich kenne dich doch, du würdest dich das gesamte restliche Jahr ärgern.“

Daraufhin lachte Ewan und verkürzte den Zügel seines Pferdes. Er beugte sich zu Hero und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und flüsterte: „Der Sieg ist unser!“

Kaum hatte er dies gesagt, lies er seinen Prestige in Bewegung kommen. Verdutzt über den Kuss sah Hero ihm nach und hatte auf einmal ein warmes, flattriges Gefühl.
 

„Na? Ohne Mistelzweig schon auf Kussfang?“, stichelte Nitan von der Seite.

„Na? Keine Lust dein reiterliches Können zu zeigen? Hast dich wohl heute morgen schon verausgabt?“, dabei blickte sie der Älteren herausfordernd entgegen. Der stand für einen kurzen Moment erstaunt der Mund offen, bevor sie mit Grinsen anfing.

„Nicht schlecht, Kleine. … Gar nicht schlecht.“, meinte sie und folgte der Meute. Hero sah ihr nur nach und dachte gar nicht daran los zu reiten. Es war die alte Mrs. Gray, die sie dazu aufforderte sich in Bewegung zu setzen.

„Nur Mut mein Kind.“, rief ihr die ältere Frau zu, die ihre Stute in den Galopp fallen ließ und sich entfernte.

Nun war Hero mit Ruby ganz allein und konnte nur der Schneespur folgen. Ihr war das aber egal, für sie war es nur Wichtig ohne Abwurf ins Ziel zu kommen.

Der Lärm der jagenden Reiter war schon weit weg, da fasste sie den Mut es im gemäßigten Galopp über die Wiese zu versuchen. Etwas unbeholfen gab sie der Stute die Paraden. Sanft wechselte diese vom Trab in die schnellere Gangart Galopp und flog so elegant und sicher über den Schnee, als ob sie zu wusste, was für Hero gut war.
 

Derweil war an der Spitze der Meute ein heißer Kampf entbrannt. Allen voran Gilbert und Ewan.

Hier wurde kein Wert auf einen sanften und langsamen Galopp gesetzt, hier zählte die Schnelligkeit.

Ihrer Reitkünste und der gut ausgebildeten Pferde wegen, bildeten die beiden Grays den Anfang. Die Anderen hatten zwar auch, was die Ausbildung anging, exzellente Pferde unter sich, doch im schneebedeckten Gelände trauten sie sich gewagte Manöver nicht zu.

Gilbert und Ewan hingegen waren schon als kleine Jungen mit ihren Ponys durch den tiefsten Schnee getobt und kannten das Land wie ihre Jackentasche, dementsprechend waren auch ihre waghalsigen Reitmanöver.

Ewan ließ seinen Prestige über eine vom Schnee bedeckte Hecke springen, während die Anderen die drei Meter weiter entfernte Lücke nahmen und damit ein kleiner Stau entstand, da nicht alle gleichzeitig durchpassten.

Gilbert tat es seinem jüngeren Cousin gleich. Für sein Pferd, dem zehnjährigen Biscuits, war es einfaches das ein Meter breite und halbe Meter hohe Schneehindernis zu überspringen. Seine langen Beine und die enorme Sprungkraft vereinfachten das Ganze.

Beide waren mit ihren Pferden Kopf an Kopf. Da drehte sich Ewan zu Gilbert und lachte. „Der Sieg ist mein!“

„Das denkst nur du!“, schrie der Ältere.

Die Spur führte in den naheliegenden Wald. Dort lag der Schnee zwar nicht so hoch, doch die Gefahr kam von oben. Die Äste der Bäume konnten unter dem Gewicht des Schnees brechen und die Reiter treffen. Da es nur ein kurzes Stück durch den Wald ging, billigte die Familie Gray diese Gefahr.

Wenn man Reich war, musste man sich den Nervenkitzel halt suchen.

Vor lauter Übereifer vergaßen die Jungen die vereiste Stelle am Beginn des Waldes. Dadurch kamen Prestige als auch Biscuits ins Rutschen und konnten sich nur durch die Hilfe ihrer erfahrenen Reiter auf den Beinen halten.

Während die beiden Gray Jungs das Kopf an Kopf Rennen an der Spitze nach dem Ausrutscher weiterführten, gab es weiter hinten ein Duell der besonderen Art.

Gilberts Mutter und dessen Freundin, Nitan, lieferten sich nicht nur einen heißen Kampf um den dritten Platz. Hier ging es viel mehr um den ganz natürlichen Wettstreit zwischen einer Mutter, die sich für ihren Sohn eine andere Freundin wünschte und genau dieser Freundin, die die sich von der Mutter sicherlich nicht vergraulen lassen wollte.

Die beiden Frauen schenkten sich und ihren Pferden nichts und die, wollten auch nichts geschenkt haben. Sie waren irische Jagdpferde, dazu gezüchtet im hohen Tempo über freies Gelände unabhängig der Jahreszeit zu galoppieren.

Nitans Hengst, Black Ten, war wie ausgewechselt. Der anfangs zappelige und nervöse Hengst, war zu einem aufmerksamen und leicht zu reitenden Pferd geworden. Ein idealer Partner für Nitan bei solchen Jagden, doch die Finnin musste zugeben, dass die Stute ihrer Schwiegermutter in Spe ebenso gut war.

Anne Victoria wusste um den vereisten Platz am Waldrand und hielt ihre Stute Farah mit Absicht zurück. Sie würde im langsamen Tempo einen Umweg durch das Dickicht nehmen, dafür aber ohne Rutschgefahr durchkommen.

Was die Intrigen der Grays anging, war sie die Königin.

Leider wusste die selbst ernannte Queen nicht, dass einer der Pferdewirte Tage vorher mit Black Ten genau den Weg geritten war und er fast einen Unfall an der Stelle gehabt hatte. Ein Vorteil für Nitan, denn ihrer zappeliger Apfelschimmel besaß neben einem enorm guten Gedächtnis auch extrem viel Mut. Angst war für dieses Pferd ein Fremdwort und als er mit seiner energischen und zu allem entschlossenen Reiterin bei der vereisten Stelle angekommen war, sprang er ohne das geringste Anzeichen von Scheu über das kaum sichtbare Hindernis.

Das Einzige was Nitan in diesem Moment spürte, war ein gewaltige Ruck und eine etwas unsanfte Landung auf dem Sattel. Ihrem reiterlichen Können hatte das Mädchen es zu verdanken, dass sie auf dem Rücken des Hengstes blieb.

Verwundert über das plötzliche Buckeln ihres Pferdes sah sich die Nitan um und bemerkte, dass Gilberts Mutter einen anderen Weg eingeschlagen hatte und zurück lag.

Mit Staunen stellte Anne Victoria fest, dass ihre Schwiegertochter in Spe ohne Straucheln über die Vereisung gekommen war und nun vorne lag. Doch sobald sie aus dem Dickicht heraus war, wurde Farah dazu angespornt wieder in den Galopp zu fallen. So einfach ließ sich eine geborene Gray nicht abschütteln.
 

Bei Hero hingegen ging es weniger hektisch zu. In der Zwischenzeit hatte sie die alte Mrs. Gray eingeholt.

„Ah.“, lächelte diese erfreut darüber, das Mädchen zu sehen.

Im gleichen langsamen Tempo ritten sie über die Wiese und folgten den Spuren der vorangegangen Reiter. Bei der Hecke konnten Beide gemeinsam durchreiten und die vereiste Stelle erkannten sie schon von weitem, da einer der Reiter einen Ast auf die Vereisung geworfen hatte, um anderen zu Signalisieren einen Bogen zu machen oder drüber zu springen.
 

*
 

Die Atmosphäre im Les Saison, dem hauseigenen Restaurant des Imperial Hotels, ließ in Akemi ein Kribbeln emporsteigen. Sie wagte sich gar nicht ihrem Gegenüber in die Augen zu sehen, dieser versuchte im glattstreichen seiner Ärmel von der eigenen Nervosität abzulenken.
 

„Es ist schön hier.“, meinte Akemi den Saal betrachtend.

„Bitte?“, fragte Takeru, der mit seinen Gedanken beim Ablauf des Abends vom Essen zur Geschenkübergabe bis zum Abschied vor Akemis Haustür gewesen war und die einzelnen Szenarien immer wieder durchgespielt hatte.

„Ich hab gesagt, dass es ein tolles Ambiente ist.“, meinte sie leise.

„Ja. Ich dachte, dass die gesamte Atmosphäre dir gefallen könnte.“

„Da hast du richtig gedacht.“, die kleine steife Unterhaltung wurde von einem der Ober gestört. Vornehmlich, um auf sich aufmerksam zu machen, räusperte sich dieser.

„Pardon, Madame et Monsiuer. Wenn ich mir erlauben dürfte, die Karten.“, damit reichte er den Beiden jeweils eine Karte. „Wissen Sie vielleicht schon, was Sie trinken möchten?“
 

Unsicher blickte Akemi zu Takeru, in der Hoffnung, dass er mehr Erfahrung ins solchen Dingen hatte. Dieser bemerkte den Blick und betrachtete rasch die Frontseite der Speisekarte.

Erschlagen von dem überwältigend, teuren Angebot sah Takeru zu dem freundlich wartenden Ober auf.

„Was können Sie uns den empfehlen? Also, kulinarisch und auch bei den Getränken.“

„Wenn ich dürfte.“, er ließ sich die Speisekarte geben und schlug die dritte Seite auf. Damit seine Gäste auch sehen konnten, was es empfahl, drehte er diese um.

„Unsere Speisen richten sich nach der Jahreszeit.“, gab er als Information vorne weg.

„Ich empfehle als Vorspeise den leicht geräucherten Lachs mit Kaviar und Kartoffeln als Beilage, dazu einen Kreuzkümmelsalat. Wenn sie aber eine Eigenkreation unseres Chefkochs Gérard de Bleyedere möchten, dann wären die Trüffelkuchen genau das Richige.“, nach dieser Ansage wurde eine Pause eingelegt, um das eben Gesagte bei seinen Gästen ankommen zu lassen.

„Wenn ich Ihnen noch den Hauptgang empfehlen darf?“

„Gewiss.“, meinte Akemi und sah verwirrt über die exzellente Auswahl des Menues zu Takeru.

Halleluja, hier war mindestens ein Stern am Kochen und die Fortführung der Gerichte bestätigte die wage Vermutung.

„Als Hauptgang können Sie sich zwischen Früchten des Meeres und Fleisch entscheiden. Das saisonale Angebot aus dem Meer ist diesmal sehr vielfältig. Wir haben französische Seezunge gefüllt mit Krabbe, Haselnüssen und französischen Pilzen.“, erneut wurde die Pause eingelegt, bevor die Speisen mit dem Fleisch kamen. Diese klangen genauso, wie die anderen, schön teuer – nur die Nachspeise hörte sich relativ preiswert an.

Eine einfache typisch, japanische weiße Weihnachtstorte mit frischen, roten und süßen Erdbeeren als Verzierung.

Es sollte sich nach dem Essen herausstellen, dass diese Torte das teuerste in der gesamten Speiseabfolge war. Dabei war das Ding in jedem gängigen Restaurant zu preisgünstigeren Angeboten während der westlichen Weihnachtszeit in Japan anzutreffen. Doch zuerst mussten Vor – und Hauptspeise gewählt werden, bevor es zur Nachspeise kam.
 

„Takeru“, flüsterte Akemi, nachdem der Ober seinen appetitlichen und kostenfreien Monolog beendet hatte. Sie zeigte mit dem Finger auf ihrer Menuekarte die entsprechenden Speisen.

„Herr Ober, ich glaub, die Dame hat gewählt.“, räusperte sich Takeru.

Sofort richtete sich die Aufmerksamkeit des Mannes auf Akemi, der das Ganze etwas peinlich war. Verlegen lächelte sie den Bediensteten an und deutete, während sie das Essen wählte, auf die jeweiligen Speisen.

Takeru bestellte sich das Gleiche. Das Getränk vom Ober bestimmt wurde.

Nachdem der gewählte Weißwein da war, fing Akemi zu flüstern an.

„Takeru, dass ist alles...“, sie sah sich im Saal um und erblickte Geschäftsmänner, die im Anzug ihren ebenso feinen Frauen gegenüber saßen. „...so...so teuer.“

„Ich weiß.“, lächelte ihr Takeru aufmunternd zu.

„Ich mein... das Geld für das Essen.“

„Akemi, du bist von mir eingeladen worden, komm ja nicht auf die Idee dein Essen bezahlen zu wollen.“, ermahnt er sie.
 

*
 

Ewan war es, der den 'Fuchs' zuerst gesehen hatte und nun hinter ihm her jagte. Verfolgt wurde er noch immer von Gilbert, der seinem Cousin jedoch zugestehen musste, dass dieser wahrscheinlich das bessere Pferd besaß.

Der Rest der Meute war abgeschlagen, während das Ziel zum Greifen nah war.

Doch bevor der 'Fuchs' dort ankam, wurde ihm das rote Tuch, welches locker am Sattel befestigt war von Ewan abgenommen.

„Gewonnen!“, schrie der junge Brite und ließ sein Pferd in Schritt fallen.
 

Bei den Stallungen angekommen, nahmen die beiden Pferdewirte Cameron und Heston die Tiere der Drei entgegen. Während sie diese in den Stall führten und versorgten, nahm Gil seinen Cousin in den Schwitzkasten.

„Du alter Haudegen. Gib's zu, den Sieg hast du dir nur nicht entgehen lassen, weil Hero dabei ist.“

Als sich Ewan befreit hatte und Gilbert freundschaftlich gegen den Arm boxte, lachte er:

„Welcher Ansporn könnte schöner sein und du... du hast dich wohl schon in der Nacht mit wilden Reitkünsten verausgabt, dass du heute so langsam warst.“

„Pass ja auf!“

„Selbst Großvater ist es nicht entgangen, dass du und Nitan ziemlich unwirsch beim Frühstück erschienen seid.“, grinste der Jüngere auf dem Weg ins Haus.
 

Als Nächste traf Nitan ein, sie hatte es geschafft ihren Vorsprung gerade so auf eine Pferdelänge halten zu können, um den dritten Platz zu ergattern.

Gerade als sie sich ins Haupthaus begeben wollte, wurde sie von Mrs. Anne Gray aufgehalten.

„Gar nicht schlecht, meine Liebe.“, noch immer wurde die Nase in den Himmel gehoben, doch es hatte den Anschein das sie sich um einige Grad nach unten gesenkt hatte.

„Danke. Ihr Reitstil kann sich aber auch sehen lassen.“, meinte Nitan respektvoll. „Ich gratuliere.“

„Ich hab nur den vierten Platz.“, meinte Anne frustriert.

„Besser den Vierten, als gar keinen.“, grinste die Blonde und reichte ihrer Schwiegermutter in Spe die Hand. Diese zögerte für einen Moment, kam der Geste jedoch nach. Diesen Kampf hatte sie schließlich verloren und das bedeutete, dass sie für die gesamte Zeit, die Nitan über Weihnachten zu Besuch da war, keine negativen oder spitzen Bemerkungen über die Finnin abgeben durfte.

„Glaube aber ja nicht, dass du dir damit Vorteile erkämpft hast.“

„Keine Sorge, aber ich werde Gilbert nicht aufgeben.“, lächelte Nitan zu allem entschlossen.

Somit begaben sich die beiden Frauen nebeneinander zum Haupthaus. Wo sie erfahren mussten, dass Ewan der Gewinner war.
 

Nitan wollte nach dieser Jagd nur noch Eines, ein schönes langes und heißes Bad. Nicht ahnend, dass ihre Plan durchkreuzt wurde, da sie ohne darauf zu achten unter einem Mistelzweig trat, der direkt im Eingangsbereich von Gilberts Zimmer hing und zum Anderen war sie von der Jägerin zur Beute degradiert wurden.

Ihren Gedanken an das Bad nachhängend, hatte die Blonde nicht bemerkt, wie Gilbert ihr leise gefolgt war und nun die Gelegenheit des Mistelzweigs nutzte.

Sie zuckte zusammen, als zwei starke Arme sich um ihren Körper schlangen und eine raue Stimme „Mistelzweig“ in ihr Ohr flüsterte.

Nitan hatte ihren Jäger erkannt, doch bevor sie reagieren konnte, wurde sie einmal um 180 Grad gedreht und ihre Lippen von den Seinen in Beschlag genommen. Sofort wanderte eine von ihren Händen zu seinem Haar und griff fest hinein, während die andere den Weg nach unten suchte.

Ein kehliges Grollen von ihm verriet ihr, dass er mit dem was ihre Hand tat, mehr als nur einverstanden war.

„Biest.“, zischte es ihr entgegen.

„Gibs zu, du hast den Mistelzweig da oben aufhängen lassen.“, meinte sie lächelnd, während ihre Hand seine Nerven strapazierte.

„Und wenn? Dich stört es doch am wenigsten.“, meinte Gil nach ihren Lippen schnappend.

„Aber ich wollte jetzt baden.“, hauchte sie nur noch, da in der Zwischenzeit Gilberts Hand ebenfalls den Weg nach unten gefunden hatte, aber auf ihrem Körper.

„So?“, säuselte er und drängte Nitan gegen seine Tür.

„Ja.“, gab sie spitz zur Antwort und versuchte den geschickten Fingern irgendwie auszuweichen, während seine Hüfte gegen ihre drängte und sie seine erwachte Lust in der Hand spürte. Wie um alles in der Welt konnte er da noch laufen, geschweige denn so 'ruhig' bleiben.

Plötzlich überkam Nitan ein ungewollter Schub an ekstatischer Hitze, der ihren gesamten Körper erbeben ließ und sie dazu veranlasste ihre Hand aus seiner Hose zu nehmen und sich wie eine Ertrinkende an seinen Hals zu klammern, während sie auf den Zehenspitzen tänzelte und an der Tür lehnte.

„Hör auf. Reicht dir der Morgen noch nicht?“, hauchte sie und musste sich zusammennehmen, um nicht über den gesamten Flur zu stöhnen.

„Der Morgen war doch nur das Vorspiel...“, raunte er „... und du willst es doch auch“, damit ließ er Nitan spüren, wie feucht sie schon war.

Es fühlte sich so unvollkommen an, als sein Finger sie verließ. Ein berauschender Kuss seinerseits, veranlasste sie dazu ihren Körper noch mehr an seinen zu schmiegen. Gleichzeitig entrann ihr ein kehliges Stöhnen, als seine Hände ihren Hintern umgriffen und sie nach oben hoben. Instinktiv schlangen sich ihre langen Bein um seine sich Hüfte.

Im Unterbewusstsein bekam Nitan mit, wie die Tür hinter ihr nicht mehr den nötigen Halt gab. Doch das war ihr egal, selbst die Tatsache, dass er sie noch einmal absetzen musste, um die Tür zu schließen war zu Nebensache geworden. Was sie jetzt wollte, war er. So ließ sie selbst als er ihr dem Pullover über den Kopf zog nur ungern von ihm ab. Glücklicherweise trug er nur ein Hemd, dessen Knöpfe sie einfach nur öffnen musste und schon kam seine harter Oberkörper zum Vorschein, der unter den Sachen kaum vermutet wurde.

Sie wollte ihre Lippen auf seine Haut legen, doch er hielt sie auf Abstand und dirigierte sie mit Küssen auf ihren Mund durch den Raum.

„Deine Schuhe“, hauchte er ihr entgegen und ließ sie aufs Bett sinken.

Während sie sich auf dem Bett räkelte, zog Gil ihr unter der Belastung seiner harten Lust die Reitstiefel aus und warf sie achtlos zu Boden. Etwas ruppig zerrte er an ihrer Hose und öffnete diese für Nitans Geschmack zu langsam. Doch dafür ging das Ausziehen wesentlich schneller, auch bei seiner eigenen.

Nitan war schon im Begriff vollkommen auf das riesige Bett zu krabbeln, als er sie am Fußgelenk festhielt und zu sich zog. Seine Hand erfasste die ihre und er brachte sie wieder in die vertikale Lage.

Mit einem Arm umschlang er ihre Taille, während er mit der anderen Hand das Spiel wiederholte und seine Finger für sich sprechen ließ.

Vollkommen benebelt von dem, was Gil tat, schlang sie ihre Arme um ihn und bewegte sich gegen seine massierende Hand. Nur langsam dämmerte es ihr, dass sie am Bett vorbeidirigiert wurde.

„Gil?“, hauchte sie und sah ihn mit verklärten Blick an.

„Du wolltest doch Baden.“, kam es rau.
 

Es dauerte fast eine Ewigkeit bis die beiden im Bad angekommen waren und sich unter der Dusche wiederfanden.

Hätte Nitan es nicht besser gewusst, dann hätte sie behauptet, die ganzen Armaturen in der Dusche waren allein dafür da, dass sie sich besser auf ihren Beinen halten konnte, während Gilbert ihr den Verstand raubte und das nicht nur mit seinen Küssen.

Ihre Sinne wussten nicht mehr worauf sie sich konzentrieren sollten. Auf seine Berührungen, die er mit seinen Händen auf ihrer Haut ausübte, auf das warme Wasser, dass wie ein leichter Regenschauer auf beiden Körpern herabfiel oder doch eher auf diese rhythmische Bewegung, die er mit seiner Hüfte vollführte und ihr mit jeden vorwärts gehenden Drang das Gefühl der Vollkommenheit gab. Sie wusste es nicht. In ihr schlugen die Sinne Purzelbäume und fuhren Achterbahn.

Jeder ihre lustvollen Laute, gefüllt mit Emotionen und Leidenschaft gingen in seinem räuberischen Mund unter. Das Einzige was sie tun konnte, war sich an den Armaturen festzuhalten und sie tat es, als ob sie nie etwas anderes getan hatte. Gleichzeitig wurden seine Bewegungen immer heftiger aber auch fordernd, während seine Hände schon längst quälend langsam ihre Rundungen massierten.

Sie hoffte, dass die Armaturen ihr Gewicht halten würden, als sie eines ihre Beine um seine Hüfte schlang und mit der Hand in sein nasses Haar griff.

Die Kühle der Fliesen an ihrem Rücken konnte ihre Hitze nicht mehr lindern. Ein wolliger Laut entrann ihr, als Gils Hände an ihren Seiten, über ihren Hintern hinab glitten und an der Rückseite ihrer Oberschenkel zu Ruhe kamen.

Kurz verloren sie ihre Verbindung. Woraufhin er einen gedämpften, jammernden Laut aus ihrem Mund vernahm, als sie seine harte Lust nur noch gegen ihren inneren Schenkel streifen spürte. Doch genauso schnell, wie der Entzug kam, gab er ihr das, was sie wollte und brauchte zurück.

Seine Lippen lösten sich von ihrem Mund und fanden den Weg zu Nitans Hals hinab. Dort fing er mit der Zunge das tropfende Wasser auf und knabberte zärtlich an ihrer feuchten Haut.

Das Ziehen an seinem Haar, das Drängen ihrer kreisenden Hüfte, ließen ihn im Takt seines Rhythmus gedämpft gegen ihr Ohr knurren. Ein kehliges, tiefes Grollen, dass sie nur all zu gerne hörte. Ihre Hand griff noch fester in das nasse Haar, dabei rieb sie ihre Wange an seiner Schläfe, während die andere Hand hilflos Halt an den Fliesen suchte. Sie schlang ihre Beine noch enger um seine Hüfte und versuchte zu verhindern, dass er durch seine Bewegungen immer wieder zurückglitt. Gleichzeitig drängte sie mit ihrer ihm entgegen.

Eine emotionale Welle von Sternen und ekstatischer Leidenschaft überrollte Nitan, den schmerzhaften Biss, den ihr Gilbert am Hals verpasste, nahm sie nur für Sekunden wahr.

Als dieses Explosionsgefühl nach einigen Nachbeben verebbt war, küsste dieser zärtlich die Stelle, an der er sie gebissen hatte. Nur langsam ließ er Nitan auf ihren eigenen Beinen stehen.

Noch ein wenig atemlos und sich halb an Gilbert klammernd, hauchte sie: „Also wenn das Baden jedes Mal so abläuft...dann wird das eine ganz schön lange Angelegenheit.“
 

Nitan lag mit ihrer 'langen Angelegenheit' gar nicht so daneben. Während das Paar unter der Dusche ein feucht fröhliches Erlebnis nach dem anderen feierte, waren alle Teilnehmer der Schnitzeljagd längst zurückgekehrt und mit warmen Getränken versorgt worden. In der Zwischenzeit hatte Hero von Kari angefeuert Ewan zum Sieg gratuliert und diesmal vor versammelter Familie einen Kuss auf die Wange bekommen, sehr nah am Mundwinkel.

Sie hatte dabei nicht unter einem Mistelzweig gestanden.
 

Ein wiederholt krächzender Husten, der eigentlich ein Räuspern sein sollte und von einer gewissen Haushälterin kam, die auf dem Namen Molly hörte, ließ daran erinnern, dass sich Nitan und Gilbert irgendwann an dem Tag nochmal blicken lassen mussten.

Spätestens zum Mittag, das in einer viertel Stunde serviert wurde.

Für den Aufschrei von Nitan, dass ihre Haare noch feucht waren, hatte Gilbert nur ein müdes Lächeln übrig.

Mit hochgezogener Braue meinte er: „Na, wenn das alles ist, was an dir feucht ist, muss ich da beunruhigt sein?“
 

Dem Handtuch, dass ihm entgegengeflogen kam, wich er lässig aus.
 

*
 

Die Sonne war schon längst verschwunden und daran war nicht die Skyline von Tokio Schuld, als Akemi mit Takeru vor ihrem Elternhaus stand.

Verlegen kratzte Takeru mit dem Schuh im Asphalt und versuchte ein Loch hineinzubohren, was aber eher dazu führte, dass sein Schuh eines bekam.

„Also...“, begann er. „....ich fand den Abend echt schön.“

„Ich auch.“, hauchte sie verlegen und lächelte einmal ungekonnt ihm entgegen.
 

Beide waren frustriert und verwirrt, sonst waren ihnen solche Abschiede immer leicht gefallen. Er hatte 'Tschüß' gesagt und war weiter gegangen und sie war einfach ins Haus hinein. Doch diesmal war es so anders. Befremdend anders.
 

„Ich... es ist schon spät.“, meinte Akemi und deutete damit an, ins Haus gehen zu wollen.

„Ja.“, bestätigte Takeru und sah hilflos zu, wie sie sich zum Eingang bewegte.

'Jetzt oder nie' schallte es plötzlich in seinem Kopf und wie von einer fremden Hand geführt, griff Takeru nach Akemis Arm. Überrascht drehte diese sich um.

„Ta...“, weiter kam sie nicht.

„Das wollte ich dir noch schenken, und hoffe, du nimmst es an.“

Mit diesen Worten drückte er ihr eine kleine Schachtel mit einem silbernen Armband als Inhalt in die Hand.

Verdutzt blickte sie auf das Päckchen. Nur langsam wurde die Schleife gelöst und das Papier heruntergezogen. Zögerlich hob sie den kleinen blauen Deckel vom Rest der Schachtel und schluckte hart als sie das Innere erblickte.

Takeru hatte es zwar nie ausgesprochen und den Gerüchten hatte sie keinen Glauben geschenkt, doch jetzt schien sich Akemi sicher zu sein, dass er sie mit der Verabredung und mit dem Geschenk fragen wollte, ob sie mit ihm 'zusammen sein' wollte.

Nicht dieses freundschaftliche Zusammensein, sondern dass, bei dem man sich sogar auf den Mund küssen durfte.

Sofort fing ihr Herz an unregelmäßig zu galoppieren. Mal bäumte es sich auf und im nächsten Moment raste es, wie eine unaufhaltsame Lawine, die den Berg hinunter brach.
 

Eine Sache, die Beide nicht wussten, war, dass der gesamte Haushalt der Onos hinter den Fenstern und runter gelassenen Rollos stand und nun gespannt die Luft anhielt. Selbst Akemis kleine Schwester Hina, die natürlich ihrer Schwester nie zeigen würde, dass sie sich für ihr Glück freute, stand mit offenen Mund da.
 

Es waren schon zwei Minuten und 25 Sekunden vergangen, seitdem Akemi wie angewurzelt auf das Armband starrte. Da startete Takeru einen Versuch, um in Erfahrungen zu bringen, was sie nun dachte.

„Und? Gefällt es dir?“, die Hoffnung bebte.

Sie gab keine Antwort und das verunsicherte den jungen Japaner noch mehr. Nach weiteren Minuten des Wartens, meinte er: „Ich sollte lieber gehen.“

Noch ehe er aber sich umdrehen konnte, schnappte Akemi seine Hand und küsste ihn ohne weiteres Nachdenken auf den Mund. So schnell wie der Kuss gekommen war, schreckte das Mädchen zurück und hielt sich die Finger an ihre Lippen, dabei hatte sie das Armband fest in der anderen Hand umschlossen.

Überrascht blickte Takeru sie an.

„Akemi...“

„JA!“, schrie sie. „Ja, ich will mit dir zusammen sein.“, platzte es aus ihr heraus.

Kaum das sie dies gesagt hatte, schlich sich nach einem erschrockenen Ausdruck eines der wunderbarsten Lächeln, für Akemi, auf Takerus Gesicht. Im gleichen Moment wurde die junge Japanerin aber von Unsicherheit und Zweifel erfasst. Die nächsten Worte flüsterte sie mit einem Unterton der Angst zittrig über die Lippen.

„Du wolltest mich das doch fragen, oder?“

Anstatt einer verbalen Antwort, ließ Takeru Taten sprechen.
 

Er küsste sie.
 

Dieser Kuss war zärtlicher als ihrer. Es war fast wie ein Hauch, aber für Akemi, war es alles.

Kleine heiße Tränen der Freude rannten ihr über das Gesicht als sie ihre Augen schloss und diese zärtliche Geste von Takeru einfach genoss.

Viel zu schnell lösten sich seine Lippen von den ihren, so kam es zumindest Akemi vor.
 

Währenddessen herrschte bei den vier Zuschauern kollektives Luft anhalten, Aufatmen und erleichtert sein.

Vor Aufregung hatte sich Oma Ono setzen müssen. Soviel Spannung und das in ihrem Alter – ach ja, Enkelkinder waren schon was feines und wenn sie Glück hatte, konnte sie vielleicht noch ein Urenkel miterleben.

In diesem Moment beherrschte ein glückseliges Lächeln die faltige Mimik von Oma.
 

„An welchen Arm willst du es gerne haben?“

„Was?“, Akemi stand auf den Schlauch. 'Was wollte sie an welchen Arm?', plötzlich dämmerte es ihr, das Armband, dass sie gerade in ihrer Hand zerdrückte. Erschrocken blickte sie hinunter und konnte mit Erleichterung feststellen, dass es aus Silber war und keinen Schaden ihrer euphorischen Kraft genommen hatte.

„Rechts.“, murmelte sie.

Stumm, aber lächelnd legte Takeru das zierliche Armband um ihr Handgelenk und schloss es. Dabei entdeckte Akemi den kleinen funkelnden Stein, der an dem Armband hing.

Seine Farbe war zu dunkel für einen Bernstein und für ein Tigerauge war die Farbstruktur zu unregelmäßig. So klein wie er war, doch sein Farbspektrum reichte von einem sanften Gold bis hin zu einem tiefen Sirupbraun.

„Ist das eine Edo-Sarasa?“, ihre Stimme war ein heißeres Krächzen, dass ihr die Röte ins Gesicht schießen ließ.

„Ja.“, bestätigte Takeru ihre Vermutung.
 

Erstaunt über die wunderbare Natur des Steins blickte sie diesen eindringlich an.

Sie hatte schon einige bei Juwelieren gesehen, doch alle hatten nur ein Lederband als Halterung, mit der silbernen Einfassung schien der Stein jedoch regelrecht zu strahlen.
 

In der Zwischenzeit hatte sich einer der Onos durch das Zupfen am Rollo bei Takeru verraten. Ausgerechnet Opa Ono, der dem Ganzen äußerlich skeptisch zusah aber innerlich schon seine Urenkel durch die Gegend springen sah. Wie das Herz doch gleich anfing zu flattern.
 

„Ich glaub, du solltest jetzt rein gehen.“, meinte Takeru leise und schob Akemi, die noch immer wie verzaubert war in Richtung Tür.

„Ja.“, hauchte sie, mehr abwesend als alles andere. Mechanisch kamen die Bewegungen, die ihr halfen die Tür aufzuschließen und diese auch zu öffnen.

Bevor sie jedoch reinging, erwachte sie aus ihrem Zauber und drehte sich zu Takeru um. Ihr Blick war schüchtern, so wie der Klang ihrer Stimme.

„Und wir sind jetzt wirklich 'fest' zusammen?“, ihr Verstand wollte das Ganze nicht glauben, obwohl Kuss und Armband ausreichende Beweise waren.

„Ja.“, Verwirrung machte sich bei Takeru breit.

„Ich meine, so richtig, richtig zusammen?“

„So richtig, richtig.“, bestätigte er.

„So mit Kuss und allen drum und dran?“, sie wollte es ja so gerne glauben, wenn da nur nicht ihr ungläubiger Verstand wäre, der nach mehr Indizien für diese Tatsachen suchte.

Um ihrem Gefühl endlich Ruhe zu verschaffen, beschränkte Takeru seine Beteuerungen, sie als feste Freundin zu wissen, nicht mehr auf Worte, sondern ließ erneut seine Lippen auf andere Art sprechen.

Seine Hand fuhr zu ihrem Kinn, er hob es leicht an. Erneut jagten die Blitze durch ihren Körper, als sie seine Lippen auf ihren eigenen spürte. Doch diesmal war der Kuss anders, er war nicht so leicht, sondern herber aber trotzdem voller Zärtlichkeit und da war noch etwas, seine Lippen bewegten sich. Das hatten sie bei den letzten zwei Küssen nicht getan.

Gott, ihr wurde schwindlig. Irgendwie setzte das Denkvermögen aus und da sie Angst hatte, einfach so in die Knie zu gehen, schlang sie für Takeru überraschend die Arme um ihn. Außer den beiden vorangegangen Flüchtigkeitsküssen, hatte sie bisher noch nie jemanden geküsst. Ungewollte entfuhr ihr ein Seufzer des Glückes, kurz bevor er von ihr ließ.

Während Akemi noch um ihren Verstand bangte, schien sich Takeru gefangen zu haben.

„Gute Nacht.“, murmelte er und löste sich aus ihrer Umarmung. Er war es auch, der die Haustür schloss, als er ging.
 

Minuten flossen dahin und Akemi stand noch immer allein im dunklen Flur verträumt auf die Tür starrend da. Ihre Lippen bebten und in ihr war eh alles von einem Beben nach dem anderen erschüttert worden. Tief seufzend lehnte sie sich mit der Stirn an die Tür, drehte sich nach einer Weile und ließ sich an der Tür gelehnt, hinunter auf den Boden gleiten.

Ein Blick auf ihr Armband verriet, dass es kein Traum war.

Plötzlich überkam sie eine Welle des Glücks und aus den Tiefen ihrer Lungen kam ein Aufschrei der Freude, der die gesamte Familie bis ins Mark erschrecken ließ.
 

„Gute Nacht.“, flüsterte sie ihrem Armband entgegen und überhäufte es mit Küssen.
 

*
 

Zum Mittagessen hatte Mr. Gray Senior die Tischplatzsituation selber bestimmt, trotz der Proteste seiner Tochter. Schließlich war er noch immer das Oberhaupt im Haus und das konnte tun und lassen was es wollte, solange alles in einem gewissen sittlichen, britischen Rahmen getan wurde.

Diese Vormachtstellung hatte zur Folge, dass Nitan ihren Sitzplatz zwischen der in Spe-Schwiegermutter und Bandkollegin Ju wiederfand. Gilbert saß ihr zwar Gegenüber, aber die phänomenale Tischdekoration von geschmückten Minitannenbäumen verlangte von ihr einen Giraffenhals, um wenigstens seine Augen sehen zu können.

Wäre das die einzige Anordnung des alten Mr. Gray gewesen, Hero hätte sich herzlichst gefreut.

Da Gray Senior die Annäherungsversuche seines Enkels aber nicht entgangen waren, fanden sich Ewan und Hero in der Mitte der Tafel nebeneinander platziert wieder.

Während des Essens wurde sich ausgesprochen laut unterhalten und das Gilbert sich den Sieg vor der Nase hatte wegschnappen lassen, warf immer wieder aufs neue Diskussionen auf.

Spekulationen wurden in den Raum ge – und verworfen. Bei manch einem Hirngespinst schoss einigen Damen sogar das Blut in die Wangen, doch im Allgemeinen blieb die Unterhaltung für britische Verhältnisse gesittet.
 

Ewan neigte sich zu Hero.

„Bleibt es bei unserem Spaziergang durch die Ställe? Da kann ich dir Prestige nochmal vorstellen.“, flüsterte er.

Wie gerne hätte Hero ihre beste Freundin Kari vorgeschoben, doch die war von Mr. Gray Senior ans hintere Drittel der Tafel verfrachtet wurden.

„Ja, gerne.“, und insgeheim hoffte Hero, das Haushälterin Molly ein wachsames Auge haben würde. Denn die Aussage vom alten Gray war noch immer in ihrem Kopf manifestiert. Den inneren, sorgenvollen Gedanken keine äußerlichen Anzeichen gebend, wandte sich Hero wieder ihrem Rehbraten in Weinsauce zu.
 

*
 

Es war kurz nach 16 Uhr. Der Schneesturm hatte sich nach langer Zeit des Überlegens endlich dazu entschlossen sich zu legen, damit die Straßen von mehr oder weniger fleißigen Männern geräumt werden konnten. Bei den Meisten war der Fleiß weniger vorhanden, dafür die Furchen im Gesicht, die den russischen Ackerfeldern Konkurrenz machten, umso mehr.
 

Leni hatte endlich ihre Schicht hinter sich gebracht.

Erschöpft seufzend zog sie die weiße Schürze aus und verstaute sie in ihrer Tasche. Erneut hatte die 'Legende der Kaffeemaschine' zugeschlagen und wer hatte es abbekommen? Leni und ihre Schürze.

Doch diesmal war es nicht bei einem Schwall Wasser geblieben, das gesamte Ding war ihr um die Ohren geflogen und sie konnte von Glück sprechen, dass sie sich keine Verbrennung durch das spritzende, erhitzte Wasser zugezogen hatte.

Nun war nicht nur Leni zerschlagen, sondern auch die 'Legende'.

Das Überziehen des Mantels fiel ihr schwerer als sonst. Daher war es nicht verwunderlich, dass eine männliche Person hinter dem Lokal Sorge schob sie verpasst zu haben, da es schon fünf Minuten nach Schichtende war.

Nachdem Leni sich komplett in Mantel und Schal eingepackt hatte, ging sie müde zum Hinterausgang.

Den gesamten Morgen hatte sie sich nicht wohl gefühlt, was wahrscheinlich an der Sache mit dem offenen Fenster in der Nacht lag. Schließlich war ihr Chef durch Urlaubspläne aus dem Verkehr gezogen.
 

„Ich dachte schon, ich hätte dich verpasst.“, begrüßte eine gutgelaunte Stimme sie.

Verwundert blickte Leni auf.

„Dima?“, hauchte sie spitz. „Was machst du denn hier?“

„Dich abholen.“

„Und das Training?“

„Is' flach gefallen.“, skeptisch sah sie ihn an, während beide den Weg zur WG antraten.

„Das Training und flach gefallen? Das glaubst du doch selbst nicht.“

„Doch.“, grinste Dima amüsiert. „Kostja steht daheim in der Küche und bereitet schon Kaffee zu.“

Oh ja! Denn könnte sie sehr gut vertragen.

„Das erklärt auch warum du hier bist.“

„Hey, mach mir keine Vorwürfe, ich hab ihn sogar gefragt, ob ich ihm helfen kann.“

„Und warum ist das Training nun ausgefallen?“

„Die Halle ist zu geschneit, und niemand hat daran gedacht sie frei zu schaufeln.“

„Das bisschen Schnee hätte euch beiden auch nichts ausgemacht.“, empörte sich Leni.

„Da wäre ich mir aber nicht so sicher. Denn mit Sicherheit wären Kostja und ich trotz oder wegen des Schneeschippens nicht mehr zum Training gekommen.“, ein verwunderter Blick traf Dima nach seiner Aussage. „Ich mein ja nur. Schließlich liegen auf drei Kilometer verteilt Schneemassen in einer Höhe von ein bis zwei Metern.“, zur Verdeutlichung gestikulierte er mit seinen Händen, wie groß und riesig diese Schneeberge waren. Als von Leni keine Antwort darauf kam, fügte er in einer bühnenreifen, theatralischen Darstellung noch hinzu: „Du hättest mich und Kostja sicherlich nicht da durchbutteln lassen?“

Daraufhin verdrehte sie nur die Augen.
 

Nach 30 Minuten waren beide in der heimischen WG angekommen. Es duftete herrlich nach frischen Kaffee als Leni zur Tür hereinkam. Dima konnte sich einen seiner Scherze nicht verkneifen.

„Ja, ja, jetzt muss man sich ihn nur noch mit Schürze vorstellen, dann ist er perfekt.“, dafür erntete er einen Seitenhieb von Leni. Kostja versuchte die Aussage zu überhören und stellte die leckeren Butterkekse neben dem Kaffee auf den Tisch.

„Will dich mal Kaffee kochen sehen.“, brummte er dann doch in sich hinein.

„Das macht die Maschine für mich.“, flötete Dima und ließ sich auf seinem angestammten Platz nieder. „Außerdem musste ich Leni abholen.“

„Sie hätte sicherlich auch allein Heim gefunden. Oder traust du ihr das nicht zu?“, grummelte Kostja während er platz nahm.

„Ich dachte er hätte dich gefragt, ob er dir helfen kann?“, meinte nun Leni verwundert, da ihr Dima auf dem Heimweg so etwas ähnliches berichtet hatte.

„Hat er auch.“, bestätigte der Jüngere. „Nur zu dem Zeitpunkt war sein Kopf nur noch hier, der Rest war schon auf dem Weg zu dir.“

Dima wurde von Lenis tadelnden Blick regelrecht durchbohrt. Sich keiner Schuld bewusst, sah er auf.

„Was?“, empörte sich dieser.

„Dein Kaffee ist heiß.“, meinte sie nur.

„Und ich? Bin ich nicht heiß?“

„Du bist zum abgewöhnen.“, gab sie ruhig zur Antwort bevor sie einen Schluck ihres Kaffees nahm, den Kostja mal wieder exzellent hinbekommen hatte.
 

*
 

Im Stall war es angenehm, wenn Hero an die Kälte außerhalb der Pferdeboxen dachte.

Eine friedvolle Ruhe war nach dem hektischen Morgen eingetreten und jedes der Tiere tat das, was es immer tat. Manche hatten ihre Köpfe tief in ihren Futtertrog gesteckt und versuchten an die übrig gebliebenen Haferkönner heranzukommen. Dabei war ein sanftes Schnauben zu vernehmen.

Andere blickten interessiert aus ihren Boxen den beiden Zweibeinern entgegen oder zeigten ihnen in bester Manier den Allerwertesten, da sie die weiße Landschaft durch ihren Ausguck für viel interessanter erachteten.
 

Ewan führte Hero zu seiner neusten Errungenschaft, Prestige.

Für die Japanerin war das Pferd ein Riese. Schon am Morgen hatte sie den deutlichen Größenunterschied zwischen Rubys Star und dem Koloss bemerkt – und dabei hatte sie zum alten Gray gemeint, dass die Stute schon ziemlich groß war.
 

„Er ist vom Stockmaß ganz schön groß, aber leicht zu händeln und hat nen erstklassigen Stammbaum.“, meinte Ewan mit stolzem Blick auf das Namensschild, das an der Box angebracht war.

Der große Braune trat näher an die Tür heran und streckte seinen Kopf den Beiden entgegen. Ohne zu zögern strich der junge Brite über den sehnigen Hals seines Pferdes.

Leicht schmunzelnd kraulte Ewan die Partie hinter den Ohren und blickte dabei zu Hero.

„Du kannst nichts mit ihm anfangen, nicht wahr?“

Hundert Punkte für den Kandidaten.

So teilnahmslos, wie Hero vor dem Riesen stand, konnte es auch gar nicht anders sein. Da hatte sogar ein Grashalm mehr Interesse an dem Pferd, als es bei ihr vorhanden war.

„Ewan...“, stammelt sie, doch weitere Worte fand sie nicht. Dafür war aber das amüsierte Lachen des jungen Briten zu hören, der die Liebkosungen zum Leidwesen des Braunen für beendet erklärte und die Hände lieber in die Seiten stemmte, als in dessen Winterfell.

Da konnte der große Kopf noch so sehr gegen das Gesicht des jungen Mannes stupsen, der entzog sich einfach mit einigen Schritten von der Box weg. Ein entrüstetes Schnauben half da auch nicht und das Mädchen, die stand einfach so da und ließ nicht einmal ein Anzeichen dafür erkennen, dass sie ihn streicheln wollte.

Prestige brummelte. Einen Moment würde er noch warten, dann aber konnte diese Zweibeinigen seinem Hinterteil 'Hallo' sagen.
 

„Großvater hat es gefreut, dass du trotzdem mit gemacht bist.“, meinte Ewan aufmunternd, „Er war sich nicht sicher, da die Jagd im vergangenen Jahr weniger erfreulich für dich geendet hat.“

Der Abwurf. Jetzt dämmerte es bei Hero.

„Achso... na ja, ich hab einfach nur den Reiterkodex befolgt, der besagt doch 'gleich wieder in den Sattel steigen' – oder so ähnlich.“

„Ja, so ähnlich, aber es kommt ja auf den Inhalt an.“, gab Ewan zur Antwort, da er den eigentlichen Wortlaut auch nicht mehr kannte. „Ich hab dich noch gar nicht gefragt, ob du gut mit Ruby klar gekommen bist.“

Ihre Antwort klang schnippischer als sie es wollte: „Sonst wäre ich ja nicht hier.“

„Ah, ja. Klar.“, lächelte Ewan, der bemerkte hatte, das Hero nie eine Pferdeliebhaberin sein würde. Sie bemühte sich, doch er konnte ihrer Haltung ansehen, dass sie dem Gestüt nichts abgewinnen konnte. Doch die Hoffnung keimte bei Ewan trotzdem weiter, denn bisher hatte sie noch keine Abneigung gegen ein Leben auf dem Land gezeigt.

Hero hatte bemerkt, dass sie mit ihrer Antwort etwas barsch gewesen war.

„Ich hab das nicht so gemeint, wie es geklungen hat. Ich ...“

„Du brauchst dich nicht zu erklären. Wenn man vom Pferd geworfen wird, bleibt das immer in Erinnerung.“, meinte er.

„Danke.“, hauchte sie leicht lächelnd. „Wir können ja nochmal nach Ruby sehen.“, gab sie als Kompromiss an.

„Ja, das können wir machen.“

Gemeinsam verließen sie den Stall, in dem nur die Hengste standen und gingen hinüber zum Stutenstall.
 

„Na nu?“, meinte Hero erstaunt. „Hier stehen aber wenig Pferde.“

„Die Stuten mit denen wir züchten stehen alle auf dem Zweitgestüt in der Nähe von Dover.“

„Ihr habt ein Zweitgestüt?“

„Ja. Dort sind auch die ganzen Fohlen und Jährlinge untergebracht. Wenn sie dann nicht mehr für die Zucht gebraucht werden oder die Junghengste zweieinhalb sind, kommen sie dann hier her oder werden von London aus bei Auktionen verkauft.“

In der Zwischenzeit waren beide bei Ruby angekommen. Die Stute kümmerte sich nicht um die zwei Störenfriede, ihr Interesse galt dem duftenden Heu, dass sie an die heißen Tage im Sommer auf einer vom saftigen Gras überwucherten Weide erinnerte. Ein genussvolles Schnauben entkam ihren Nüstern, bevor sie ihr Maul gänzlich im dem getrockneten Sommergras verschwinden ließ.

„Sie scheint nicht viel von mir zu halten.“, meinte Hero belustigt.

„Das ist Gemüt.“, grinste Ewan. „Ihre Mutter 'Touching of Ruby' ist Rennen gelaufen und hatte auch großen internationalen Erfolg gehabt. Aber ihr Vater ist unbekannt und es wird vermutet, dass sie von ihm das Gemütliche hat.“

„Wie meinst du das unbekannt? Ich dachte bei der Zucht wird alles schriftlichen festgehalten.“, fragend sah sie den Briten an. Was die Zucht anging, wusste sie nur das es Geld, Zeit und viele Geduld brauchte und jede Menge Schreibarbeit bedeutete.

„Wird es ja auch, aber sie wurde unbeobachtet gedeckt.“, meinte Ewan.

„Wie bitte?“

„Na ja, der Vater von Ruby ist schon bekannt, kommt aber nirgends offiziell zur Sprache, da es halt eine unbeaufsichtigte Deckaktion war.“, erklärte er ihr. „Wir wollte eigentlich nicht mit ihre Züchten, daher stand sie den Sommer über auch hier und nicht in Dover. Der Stalljunge hatte vergessen Rubys Mutter abends in die Box zu bringen, also stand sie die gesamten Nacht draußen und am anderen Morgen stand der fremde Hengst auf der Koppel.“

„Oh.“, kommentierte Hero das Ganze.

„Ja, und dummerweise war der Vater kein englisches Vollblut, sondern eine ganz andere Sorte.“, Ewan seufzte. „Ein Kaltblut.“

„Ein was?“

„Kaltblut. Die haben im Gegensatz zu Rassen, wie dem englischen Vollblut, ein höheres Körpergewicht und sind vom Temperament wesentlich ruhiger. Sie wurden vor der industriellen Revolution als Kutsch- und Zugpferde eingesetzt.“

Jetzt war Hero in Sachen Pferde wieder etwas klüger geworden, obwohl sie sich sicher war, dass dieses erworbene Wissen ihr eh nirgends weiterhelfen würde.

„Und so eine Kaltblut ist Rubys Vater?“

„Ja, das Kaltblut vom Nachbarn. Er hat sich auch bereit erklärt, falls ein Fohlen aus der der Nacht entsteht, würde er es bei sich aufnehmen.“

„Das Kaltblut gehört dem alten Cedric?“, verdutzt sah sie Ewan an.

„Ja. Du hättest mal sein Gesicht sehen sollen, als Großvater vor einem halben Jahr bei ihm anklopfte und nachfragte, wie viel er denn für den einstigen Querschläger haben will.“, lachte der Brite amüsiert über die Erinnerung.

Hero hingegen sah die Stute fassungslos an. Da hatte sie sich gefreut, auf einem Pferd zu sitzen, dass nicht aus der Zucht der Grays stammte und nun erwies es sich als Irrglaube. Ruby war ein Zuchtunfall, den die Grays nicht geplant hatten. Genauso wenig, wie die Tatsache, dass Nitan sich nicht davon abbringen ließ Gilbert trotz der gemeinen Sticheleien vom Rest der Familie, treu zu bleiben.

„Na ein Wunder, dass sie hier im Stall bei anderen Pferden leben darf und nicht allein in einem Schuppen hausen muss.“

„Kein Sorge, sollte einer der Hengste in Versuchung geraten, wäre das auch nicht schlimm. Und außerdem ist schon zu alt für ein Fohlen.“

„Wie jetzt?“, empört sah sie Ewan an. „Auf der einen Seite wird sich aufgeregt, wenn ein zuchtfremder Hengst eine Stute von Gestüt deckt und auf der anderen Seite ist es aber nicht schlimm, wenn ein Gestütshengst Interesse an Ruby hat?“

„Es wäre eine Verbesserung des Blutes.“

Hero riss die Augen auf. Eine Verbesserung des Blutes ... Rassismus unter Pferden und deren Zucht. Sie musste ihr weg. Die erhaltenen Informationen waren schon zu viel des Guten gewesen, mehr wollte sie auch gar nicht in Erfahrung bringen.

„Mir ist kalt. Können wir wieder ins Haus?“

„Ja, klar.“, grinste Ewan. „Aber vorher, muss ich noch was abholen.“

„Was willst du denn abholen?“

Für die Antwort zeigte Ewan mit dem Finger nach oben. Heros Augen folgten dem Verlauf und blieben bei etwas Grünem mir roten Früchten hängen.

'Das durfte doch nicht wahr sein!'

Mit offenem Mund starrte sie zur Decke. Erneut stand sie unter einem Mistelzweig. Wenn das in den nächsten Tagen so weiterging, würde sie sich bis zum Abreisetag nicht mehr aus dem Zimmer wagen. Denn eins stand fest, sich die ganze Zeit abknutschen zu lassen, wollte sie auf keinem Fall.

„Wer hat den da oben aufgehangen?“, hauchte sie.

„Ich glaub mein Großvater.“, flüsterte Ewan gegen ihr Ohr. Sofort überrannte eine flatterndes Frösteln ihren Körper und hinterließ eine Gänsehaut. So nett wie Gilberts Cousin auch sein konnte, doch wenn er die Gelegenheit hatte sie zu küssen, dann nahm er diese auch wahr. Hero wagte nicht ihn anzusehen und als seine Finger ihr Kinn berührten zuckte sie leicht zusammen. Obwohl es ihr widerstrebte fügte sie sich seinem Drängen und wandte ihm ihr Gesicht zu.

Ihre Blicke trafen sich. Kurz darauf konnte sie erkennen, wie er ihr gesamtes Profil musterte, um am Schluss bei ihren Lippen hängen zu bleiben. Sanft strich Ewan mit dem Daumen über ihre Unterlippe. Hero schreckte wenige Zentimeter zurück. Doch seine Hand, die zu ihrem Nacken wanderte, brachte sie wieder dazu näher an ihn heranzutreten. Noch immer war sein Fokus auf ihren Mund gerichtet.

Sie standen sich so nah, dass Hero den herben und schweren Duft seines After-Shaves mit jedem ihrer hektischen Atemzüge wahrnahm.

„Ewan.“, wisperte sie, während das mulmige Gefühl in ihr immer stärker wurde.

„Schhh.“, mit dieser verbalen Geste, legte er ihr seinen Zeigefinger für einen kurzen Moment auf die Lippen. „Es ist nur ein Kuss.“ Seine Stimme klang in Heros Ohren seltsam rau und gedämpft. Zögerlich betrachtete sie seine Augen eingehender. Die grünbraunen Iriden schimmerten nicht mehr so hell, wie sonst. Es schien ihr, als wären sie von einem dunklen Schleier überlegt worden. Erneut hauchte sie seinen Namen. Ihre Stimme zitterte und klang ängstlich, doch er nahm es nicht wahr. Ohne auf ein Zeichen ihrer Einwilligung zu warten, legte er seine Lippen auf ihre. Aus einem Reflex heraus schloss Hero die Augen und wartete, dass der Kuss zu Ende ging. Sie wollte doch nicht auf den Mund geküsst werden, nicht unter einem Mistelzweig. Nicht so! Nicht von ihm! Und auf einmal schmerzte es tief in ihrer Brust, dort wo das Herz unaufhörlich schlug.

Zurückweichen konnte sie nicht. Das Gegenteil trat ein.

Der drängte Druck in ihrem Nacken, verursacht durch die starke männliche Hand, ließ sie noch näher an Ewan herangekommen. Alles verkrampfte sich, nur ihr Unterkiefer zitterte.

Es dauerte nur Sekunden, wenn überhaupt, bis Ewan nicht nur seinen Mund auf ihren liegen haben wollte. Er wollte mehr. Für Hero so überraschend, dass sie ihre Augen aufriss, wurde der Kuss fordernder. Erst bewegten sich nur seine Lippen, doch dann strich auch seine Zunge über ihren immer noch Verschlossenen.

Sie verzweifelte. Reichte es ihm nicht, sie auf dem Mund zu küssen?

Immer herber forderte er von ihr, dass sie seinem stummen Verlangen nachgab und ihm endlich mehr Spielraum gewährte. Doch sie öffnete ihren Mund nicht.

Nicht darauf achtend, das Hero dem Ganzen nicht so erfreut gegenüberstand, legte er seine zweite Hand auf ihre Taille und übte dort einen besitzergreifenden Druck aus. Er zog sie an seinen Körper heran, schmiegte seinen an ihren und beachtete gar nicht ihre zarten Hände, die sich abwehrend gegen ihn stemmten. Um ihr jegliche Flucht zu untersagen, wanderte seine Hand von der Taille auf ihren Hintern und ertastete dort mit kreisenden Bewegungen das neue Areal. Gleichzeitig versuchte Hero sich von ihm zu lösen.

Jammernde Laute der Angst waren von ihr zu hören, während sie sich in seinen Armen wandte. Doch je mehr sie von ihm weg wollte, desto heftiger wurde sein Verlangen und Kraft, mit der er sie festhielt.

Es klang wie ein Zischen, doch sie verstand es. Ohne nur einen Zentimeter ihrer Lippen freizugeben, flüsterte er: „Komm schon.“

Alles nur das nicht, schoss es Hero in den Kopf. Doch es war zu spät. Um zu erreichen, was er wollte, griff er fest in ihren Hintern, so dass sie ein Schmerzenslaut von sich gab und somit den Mund leicht öffnete. Die Chance ließ sich der kopflose Ewan nicht nehmen und drängte seine Zunge zwischen ihre Lippen. Vollkommen berauscht drängte er Hero gegen ein der Boxen und zwängte sie zwischen sich und der Wand ein.

Mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte stemmte sich das Mädchen mit ihren Händen und Armen gegen ihn. Doch er war ganze zwei Köpfe größer als sie und wesentlich stärker. Als sie seine Zunge gegen ihre streichen spürte, überkam sie eine Welle der Übelkeit. Immer wieder leckte er über ihr. Ihr Wimmern wurde immer lauter, doch Ewan interpretierte es als hingebungsvolle Seufzer und begann langsam seine Hüfte gegen ihre zu Kreisen.

Hero zuckte zusammen und versuchte seinen Bewegungen auszuweichen, doch eine unerbittliche Hand hielt sie an der Taille und versuchte sogar das sie sich seinem Rhythmus anpasste. Ein Keuchen entkam Ewan. Für Heros Ohren klang es wie das Grunzen eines Schweines.

Die Tränen in ihren Augen fanden keinen Halt mehr und versenkten die rosigen Wangen des Mädchen mit ihren heißen Fluten. Sie wusste nicht, wo sie die Kraft hernahm und wie sie es überhaupt schaffte, doch der Knall war durch den gesamten Stall zu hören.

Sichtlich verwirrt sah Ewan sie an, während sich auf seiner linken Wange ein roter Fleck bildete, der Heros Handform ähnelte. Er blickte in ein Paar weit aufgerissener Augen, die ihn mit einer Mischung aus Wut, Angst, Unglaube und der kleinen Prise Verachtung ansahen.
 

„Hero“, hörte er sich selber sagen und zuckte bei ihrer Reaktion zusammen. Sämtliche Pferdeköpfe schossen nach oben und einige Tiere, die hoch im Blut standen, tänzelten nervös in ihrer Box.
 

„HÖR AUF!“, schrie sie ihn an. Dabei stieß sie ihn von sich und stolpere seitlich von ihm weg.

Angstvoll und verweint blickte sie ihm in die Augen, während sie sich immer weiter von ihm entfernte.

Seinen Versuch ihr nach zukommen, unterband sie sofort.

„BLEIB WO DU BIST!“

Ihr ganzer Körper bebte.

„Komm mir nicht zu nah.“, zischte sie. Bevor endlich die bleierne Schwere ihre Beine freigab, damit sie wegrennen konnte und sie rannte.
 

„Hero?“, flüsterte er ihr hinterher.
 

Sich nicht umsehend, wo sie hinrannte, stürzte sie in das Foyer. Nitan die gerade mit Gilbert dort stand, wurde fast von ihr umgerissen.

„HEY!“, motzte die Blonde im ersten Moment, war dann aber doch verdutzt als sie erkannte, wer sie da angerempelt hatte.

„Hero!“, verwundert sahen beide dem Mädchen nach, dass die Treppen fast hoch stolperte und an der letzten Stufe sogar hängen blieb und auf die Knie fiel. Sich aber nicht darum kümmernd, stand sie wieder auf und rannte in ihr Zimmer, das von innen abgeschlossen wurde. Sie wollte niemanden sehen oder hören. Von wegen die Liebe finden.

Vollkommen in Tränen aufgelöst und mit Verzweiflung angefüllt schmiss sie sich in das Bett und schrie ihren Kummer in eines der Kissen.
 

Einige Sekunden später traf Ewan im Haus ein. Dort wurde er von Nitan mit schiefen Blick bedacht. Sie brauchte nicht lange, um Eins und Eins zusammenzuzählen.

„Sag mir nicht, dass du an dem Elend, dass eben vorbei gerannt ist, Schuld bist?“, zur Sicherheit legte Gilbert ihr seine Hand auf die Schulter. Denn wenn Nitan etwas außer rhythmischen Hüftbewegungen ebenso gut konnte, dann war es den anderen die Augen auszukratzen.

„Wenn das Elend Hero war, dann ja.“, gab der junge Brite leise zur Antwort.

„Was hast du angestellt, dass sie so AUFGELÖST ist?“, fauchte sie. Das war schließlich ihre Aufgabe, andere aufzulösen, aber nicht so, dass sie weinend wegrannten. Zumindest nicht, wenn es sich dabei um enge Freunde handelte, wie die Bandmitglieder.

Von dem Lärm angezogen, kam Ju neugierig aus der Bibliothek, nicht ohne ein Buch in der Hand zu haben.

„Wer oder was ist aufgelöst?“

Gilbert drehte sich zu ihr. Allein an seinem Gesichtsausdruck konnte sie erkennen, dass es ernst war.

„Hero.“, gab er nur zur Antwort.

„Wieso?“, Nervosität erklang in ihrer Stimme. Der vielsagende Blick von dem Paar auf den jungen Mann an der Tür, sagte ihr schon alles.

„Hast du es dir mit Hero verscherzt?“, kam es etwas ungläubig von der Halbchinesin. Seit sie Hero kannte, hatte sich nicht einen Tag erlebt, an dem das Mädchen durch jemanden anderen verstimmt oder wegen einem gemeinen Spruch aufgelöst war.

„Ja, ich glaub schon.“, flüsterte er.

Erschlagen von diesen Worten krächzte Ju: „Was hast du getan?“, und wiederholte damit die Frage von Nitan, nur etwas schlichter gehalten.

„Ich … ich glaub, ich war zu forsch.“
 

„ZU FORSCH?“
 

Erschrocken blickten alle vier Anwesenden zur Treppe. Dort stand eine aufgebrachte Kari, die sich wutentbrannt am Geländer festhielt. Ihre Stimme bebte.

„Ich kann sie durch die Zimmertür hören, so heult sie sich gerade die Augen aus. Da braucht es mehr als nur die Tatsache, dass jemand zu FORSCH war!“, schrie sie Ewan an, während ihre Lungen nach Luft schnappten. „Von forsch kann da keine Rede sein, ÜBERTRIEBEN wäre die besser Bezeichnung!“

So zierlich wie die Brasilianerin auch war, aber das Haus konnte sie zusammenschreien. Nacheinander kamen die anderen Band- und Familienmitglieder verwundert ins Foyer. In der Zwischenzeit stand Kari vor dem betroffenen Ewan und zog ganz langsam einen Strohhalm aus seinem Haar, dass sie dann direkt zitternd vor Wut unter seine Augen hielt.

„Was wolltest du ihr außer Prestige und Ruby noch zeigen, wie das mit dem Decken funktioniert?“, während sie ihn zur Rede stellte, erkannte sie die rote Schwellung, die er durch das Neigen seines Kopfes zu verstecken versucht hatte.

Geschockt darüber und der Erkenntnis, die sie wie ein Schlag traf, taumelte sie zurück.
 

„Kari.“, kam es besorgt von Nitan. Diese drehte sich zu der Blonde und sah sie fassungslos an. Erst als sie sich gefasst hatte, blickte sie wieder zu Ewan.

„Hero ist keines dieser Mädchen, die einfach so Ohrfeigen verteilen. Ich will gar nicht wissen, was du getan hast oder tun wolltest.“, hauchte sie kopfschüttelnd, während sie auf den Weg zur Treppe war.

Der Rest der Band zog bei diesem Satz scharf die Luft ein.

Sie kannten Hero, seit sie elf war und sie wussten, das Mädchen war noch nicht mal in der Lage einer Spinne etwas zu tun. Obwohl sie Angst vor diesen hatte.

Auf der ersten Stufe angekommen blieb die 17-jährige Brasilianerin stehen.

„Und ich hab ihr gesagt, Ewan ist ein ganz netter. Sie soll es doch einfach mal versuchen.“, ihre Stimme klang brüchig. „Ich kann es nicht glauben. Ich lag falsch, so falsch.“, böse war ihr Blick als sie Ewan in die Augen sah. „Sie ist nichts für dich, sie ist zu gut für dich.“, mit diesem Worten verschwand sie in der oberen Etage und begab sich auf den Weg zu Heros Zimmer.
 

Gray Senior, der das Spektakel erst beim Strohhalm mitbekommen hatte, erhob bevor alle anderen losquatschten, die Stimme.

„EWAN!“

„Ja, Großvater?“

„Schließ' die Tür, hier drin wird es kalt und dann erzählst du uns allen, warum Hero, nach Karis Meinung, sich die Augen wegen dir ausweint.“, brummte er. Und das zu Weihnachten!

Skandal! Das brauchten die Grays nicht.

Der Enkel kam der Aufforderung nach und stellte sich dann dem versammelten Haus. Haushälterin Molly stand hinter Mr. Gray Senior und wünschte sich nicht auf diesen verfluchten kleinen Bengel von Enkel gehört zu haben. 'Ich werd schon nichts mit ihr anstellen' und jetzt heulte das arme Ding.

„Ich höre nichts.“, kam es fordernd von Mr. Gray Senior.

Ewan seufzte und senkte den Kopf. Ja, er gab sich reumütig aber er wusste nicht was er falsch gemacht hatte. Ihr hatte es doch gefallen, sonst hätte sie doch nicht so 'geseufzt' und sich so anrüchig in seinen Armen bewegt.

Als er mit seiner Erklärung was passiert war fertig war, herrschte Stille. Einzig das monotone Ticken der Standuhr war zu hören und zerrte an den Nerven des Angeklagten. Es erschien fast wie eine Ewigkeit, bis jemand die Stimme erhob und es war ausgerechnet Mrs. Anne Victoria Gray.

„Du siehst deine Schuld nicht, nicht wahr?.“, fragte sich sachlich. Ihr Neffe sah sie mit großen Augen an. Allein an seinem Blick sah sie, dass er nichts verstand.

„Das, was du als Aufforderung gedeutet hast, war ihre Art dir zu zeigen, dass du aufhören solltest.“, sprach sie einem tadelnden Ton. „Die Tatsache, dass sie dir nichts sagen konnte, das sie nicht wollte … diesen Fehler musst du bei dir suchen.“

Geschockt über diese Aussage sah Ewan sie verwundert an. Doch Anne Victoria erinnerte ihren Neffen, dass er sie die ganze Zeit geküsst hatte.

„Du hast doch selber gesagt, das deine Lippen nur auf ihren waren. Wie hätte sie da bitte sprechen sollen? … Sobald sie den Mund aufgemacht hätte, hättest du den Kuss vertieft.“

Fassungslos über das Benehmen ihres Neffen ging sie langsam auf ihn zu.

„Versetz' dich doch mal in ihre Lage.“, meinte sie. „Du hast seit sie hier ist alles falsch gemacht. Sie hat dich das letzte Mal vor einem Jahr gesehen und gesprochen und da meinst du mit ein wenig Small-talk kann das Jahr aufgeholt werden? Sie ist noch nicht mal 24 Stunden hier und du willst sie an einem Tag zu deiner Freundin empor heben. So was braucht Zeit. Frag deinen Großvater, wie lange er gebraucht hat, bis deine Großmutter sich bereit erklärt hat einen kleinen Kuss auf die Wange zu akzeptieren.“

„Tante...“, begann Ewan, doch sie tadelte ihn mit erhoben Finger.

„Ich war mit dir noch nicht fertig, mein lieber Neffe. … Die Aussage, die Kari getroffen hat, ist gar nicht mal so falsch. Du verdienst Sie nicht. Sie ist zu anständig … für die gesamte Familie.“, sie stand nun nur noch wenige Meter von ihm entfernt.

„Du hast es nicht einmal gemerkt, wie wohl erzogen sie ist. Sie ist sogar so gut erzogen, dass sie vieles ohne Widerspruch duldet und daher hast du dir mehr erlaubt, als es sittlich angemessen ist. Das ist auch der Grund, weshalb du ihre sogenannten Seufzer, die du als solche interpretiertest, falsch verstanden hast. Du warst es einfach nicht gewohnt, dass sie auch einmal 'Nein' sagen kann.“

Sie blickte ihm in die Augen, während ihre Hand über seine Wange strich.

„Ewan, du hast vergessen, wer du bist. Welchen Namen du trägst und welche Verantwortung damit verbunden ist.“

Verzweiflung lag in Ewans Blick. Er wollte es sich nicht mit Hero verscherzen, er hatte sie wirklich lieb.

„Tante...“, begann er erneut. „Was soll ich tun?“, haucht er so leise, dass seine Großeltern Probleme hatten ihn zu verstehen.

„Das weiß ich nicht.“, auf diese Antwort hin, blickte Ewan sie flehend an. Sie gab ihm noch einen Rat: „Ich weiß nur, dass du sie über die Feiertage bis zu ihrem Abreisetag in Ruhe lassen wirst. Erwarte nicht von ihr, dass sie nächstes Jahr wieder hierher kommt.“, mit diesen Worten begab sich Anne Victoria zur Treppe. „Und nun entschuldige mich, mein Neffe. Ich muss die Falte glätten, die du verursacht hast.“

Sie wandte sich von ihrem Neffen ab und blickte zu Ju und Nitan, der sie die Hand entgegen streckte.

„Nitan, meine Liebe, und du auch Ju, kommt. Wir sollten Kari mit unterstützen.“

Nitan stand wie angewurzelt da, schließlich wurde sie gerade von ihrer Schwiegermutter in Spe 'meine Liebe' genannt. Erst der kleine Anstoß von Gilbert ließ sie loslaufen und die Hand der Frau greifen, die bis vor wenigen Stunden nicht einmal im Traum daran gedacht hatte, sie als Freundin ihres Sohnes zu akzeptieren. Ju ging den beiden hinterher, während Nitan an der Hand geführt wurde.
 

„Nun Ewan.“, jetzt war sein Vater Charles am Zug. „Du hast deine Tante gehört. Du weißt was das für dich bedeutet?“, der Angesprochene nickte stumm.

„Wir sehen uns dann im Neuen Jahr?“, fragte er leise.

„Ja.“, nickte Charles. „Ich werde deine Mutter informieren.“

„Wirst du ihr auch den Grund sagen?“

„Willst du es ihr sagen?“, skeptisch sah der Vater seinen Sohn an. Dieser hatte den Kopf gesenkt und war regelrecht eingegangen. Doch er besaß noch den Schneid in die Augen seines Erzeugers zu blicken.

„Ja. Ich werde es ihr sagen.“, damit verließ Ewan das Foyer und packte seinen Koffer. Er wusste, dass er Hero nicht wiedersehen würde und wenn, würde seine Familie – allen voran sein Großvater – alles daran setzen, den Aufenthalt für Hero so angenehm wie möglich zu gestalten. Selbst wenn ein Mitglied der Familie in dieser Zeit gemieden wurde. Doch das war das Gesetz der Familie und diese Regelung galt seit den frühsten Anfängen des Stammbaums.

Es war nicht so, dass die Grays mit jedem Gast so bevorzugt umgingen. Im Gegenteil, wäre es eines der anderen drei Mädchen gewesen, hätte das Familienmitglied bleiben können und das Mädchen abreisen müssen. Die Tatsache, dass Hero von ihrer Familie so gut erzogen worden war, hatte den Ausschlag gegeben für diese drastische Maßnahme. Niemand der Grays würde ihr die Schuld an dem Schlamassel geben. Dafür hatte sie schon zu oft bewiesen, dass sie mit ihren Manieren perfekt in diese gehobene Welt hineinpasste. Bei jeden Besuch war einer von Gilberts Freunden immer in ein Fettnapf getreten, außer Hero. Selbst wenn sie kurz davor war, hatte einer der Grays sie bewusst oder unbewusst davor bewahrt.
 

„Hero! Mach dir Tür auf.“, jammerte Kari und klopfte im monotonen Akkord gegen das Holz. Sie war schon so verzweifelt, dass sie ihre Bemühungen aufgeben wollte. Doch da legte sich eine Hand auf ihre Schulter und ein aufmunternder Blick traf ihren.

„Lass mich mal“, meinte Anne Victoria einen Schlüssel aus der Tasche ziehend.
 

*
 

Da sie keine dieser modernen Geschirrspülmaschinen besaßen, wurden die Kaffeetassen per Hand gewaschen. Gedankenversunken stand Leni an der Spüle und säuberte das Geschirr. Kostja hatte sich dazu bereit erklärt noch schnell in den Lebensmittelladen zu gehen und einige Sachen für die nächsten Tage zu besorgen. Somit hatte er einer endlosen Diskussion zwischen Leni und Dima entgegengewirkt. Dieser lehnte sich gerade an den Türrahmen zur Küche und sah Leni bei ihrer hauswirtschaftlichen Arbeit zu.

„Na, woran denkst du?“

Die junge Frau zuckte zusammen.

„Nichts was dich angeht oder interessiert.“

„Wirklich?“

„Ja.“, kam es schnippisch von ihr, während die Tasse zum Trocknen weggestellt wurde.

Dima grinste: „Nächstes Mal werde ich Kostja helfen, die Kaffeemaschine mit Wasser und Kaffee zu befüllen.“

„Hör auf. Was willst du?“, fragte sie genervt.

„Was soll ich wollen?“

„Du stehst nicht umsonst am Türrahmen.“

„Ich soll dich von Kostja...“, sie unterbrach ihn.

„Von Kostja? Ich glaub eher, du bist hier neugierig und nicht Kostja.“

„Okay. Ich wollte dich im Namen meiner Neugierde fragen, was du am 31. Dezember vor hast.“

„Ich hab Frühschicht.“

„Echt?“

„Ja.“, beantwortete sie seine Frage. „Es ist üblich für einen normalen Menschen der Arbeit hat am Morgen des 31. Dezember zu arbeiten, wenn er sich keinen Urlaub geholt hat.“

„Frag doch mal, ob Tascha einspringt.“

„Die ist mit ihrem Freund in Moskau.“, kaum hatte Leni diesen Satz gesagt, überkam sie ein furchtbarer Schauer der Erinnerung. Die Tasse in ihrer Hand wurde erneut in das Wasser eingetaucht und mit dem Abwaschlappen wieder bearbeitet, obwohl sich schon jeder Kaffeefleck im Seifenwassergemisch aufgelöst hatte. Dies blieb Dima natürlich nicht verborgen.

„Alles in Ordnung?“, kam es einfühlsam von ihm.

Leni drehte sich langsam mit dem Gesicht zu ihrem Mitbewohner um.

„Ja, klar. Alles in Ordnung. Ich ...“, guter Rat war jetzt teuer, was sollte sie als Erklärung anbringen. „Ich hab nur eben an meine Eltern und an den Rest meiner Familie denken müssen.“, eine Lüge. Doch sie war besser als die Wahrheit, fand sie.

„Du kannst sie ja anrufen. Ich würde die Kosten auch übernehmen.“

„Danke. Ich komm auf das Angebot zurück.“, flüsterte sie, nicht ohne eines ihrer sanften Lächeln zu zeigen, das bei Dima jedes Mal das Herz schneller schlagen ließ. Wie sehr wünschte er sich doch, sie als sein 'Mädchen' zu betiteln. Abends neben ihr einzuschlafen, nur um am Morgen der Erste zu sein beim Aufwachen, um ihr beim Schlafen zusehen zu können. Er hoffte auf die Weltmeisterschaft, wenn sie in einer anderen Umgebung waren. Vielleicht würde sich da eine Gelegenheit ergeben und wenn es die Kleinste auf der Welt wäre, er würde sie ergreifen.

„Ich geh das Wohnzimmer saugen.“, meinte er beim Gehen mit einem Lächeln.

Was! Verwundert über diese Aussage sah Leni ihm hinterher. Seit wann half Dima freiwillig beim Haushalt. Um es zu glauben, lauschte sie und erschrak fast, als ihr Mitbewohner seine Aussage wahr machte und den Staubsauger anwarf.
 

In dem kleinen Lebensmittelladen von Olga war der Teufel los. Erst heute hatte sie neue Ware aus Moskau bekommen und die Insider wussten das diese Sachen abends schon in den Regalen lagen. Alles was aus der Hauptstadt kam, war innerhalb von 42 Stunden ausverkauft. Glücklicherweise benötigte der junge Russe keine speziellen Dinge, sondern nur alltägliches, wie Milch, etwas Wurst, Käse, Zucker und Brot.

Es wurde Gekreischt, Geschrien und einige Frauen waren sogar so aggressiv, dass sie wild mit Konserven um sich schlugen und dabei manch eine gegnerische Kundin K.O. ging. Wenn das nicht reichte, dann kam es zu härteren Geschützen und es war keine Besonderheit wenn irgendwo ein Haarbüschel zu finden war. Die Männer waren bei so etwas wesentlich gelassener. Wenn der Artikel nicht mehr da war, dann war er halt nicht mehr da.

Endlich an der Kasse fiel ihm auf, dass dort nicht wie immer die Besitzerin Olga, sondern eine junge Frau stand. Sie fiel vollkommen in Dimas Beuteschema. Eigentlich gehörten alles hübschen Mädchen mit niedlichen Lächeln und gepflegten Haar zu Dimas Lieblingen. Kostja hingegen interessierte sich nur für ein Mädchen. Doch die neue Kassiererin schien das anders zu sehen.

„Hallo.“, begrüßte sie ihn freundlich. Er nickte nur desinteressiert. Doch sie ließ nicht locker.

„Du musst Kostja sein. Tante Olga hat mir erzählt, dass hier manchmal ein junger Mann einkauft, dessen Beschreibung auf dich passt. Du bist doch Kostja?“, er sah auf und sie klimperte mit den Augen. Nett! Mehr schien sie wohl nicht zu können.

„Hm.“, brummte er und blickte auf die Ware, die er einkaufen wollte. Sie sah ebenfalls auf die verschiedenen Artikel.

„Oh!“, wisperte sie und scannte den Barcode. „Ich hab gehört du trainierst Kendo?“

„Ja.“

„Nimmst du auch an der WM teil?“

Nun entwickelt Kostja doch ein wenig Interesse. Diese zeigte er mit einem fragenden Blick, den sie mit einem verschmitzten Lächeln beantwortete.

„Ich hab auch eine Zeit lang in Sankt Petersburg Kendo trainiert.“

„Wie kommst du von Petersburg hier her?“ Die Neugierde stieg, so wie der zu bezahlende Preis.

„Ferien und … ich hab es ja schon erwähnt, Olga ist meine Tante.“, nur kurz löste sie ihren Fokus von ihm, damit sie den Betrag nennen konnte.

„Ferien?“, hakte er nach. Das Interesse sank.

„Ja.“, meinte sie lächelnd fuhr mit den Fingern flüchtig und sanft über seine Hand, als sie das Geld entgegennahm. „Vielleicht können wir uns nochmal treffen. Außerhalb, wenn ich Schluss hab und du dein Training beendet hast.“, trällerte sie einer Nachtigall gleich.

„Vielleicht.“, kam es Trocken von ihm. Ganz sicher nicht, so viel stand für Kostja fest. Allein schon die Aussage, dass sie Ferien hatte, war eine glatte Lüge gewesen. Heute war der 24. Dezember und Ferien gab es erst am 1. Januar. Im Grunde, hätte er sich so oder so nicht mit ihr getroffen. Sie war nicht 'das' Mädchen.
 

*
 

Die Sonne hatte sich schon längst von der Stadt verabschiedet und dafür dem Mond den Vortritt gelassen. Doch Akemi war nicht in der Lage zu schlafen. Nachdem sie von ihrer Mutter ins Bett gebracht werden musste, lag sie jetzt seit Stunden wach.

Jedes Mal wenn sie kurz vorm einschlafen war, überkam sie diese unglaubliche Welle des Glücks, die ihr der Tag beschert hatte. Ihre Finger tasteten immer wieder aufs Neue über das filigrane Armband an ihrem rechten Arm. Es fühlte sich kühl aber so vertraut an.

Ein tiefer Seufzer entkam ihr nun zum wiederholten Mal und genauso oft hatte sie auch ihre Liegeposition geändert. Sie konnte einfach nicht einschlafen. Hinzu kam, dass es trotz des leicht geöffneten Fensters extrem heiß in ihrem Zimmer war. Plötzlich schossen ihre Bilder und das Gefühl vom letzten Kuss in den Kopf und machten sie ganz wirr. Am liebsten hätte Akemi mit ihren Beinen gestrampelt, sich von einer Seite auf die andere gewälzt und dazu einen Juchzer der Freude nach dem anderen von sich gegeben, nur um am Ende in ein glückliches Lachen zu verfallen.

Es war aber auch kein Wunder. Sie kannte Takeru seit dem letzten Jahr auf der Mittelstufe. Beide waren zwar nicht in die selbe Klasse gegangen, aber ihr Freundeskreis wurde mit der Zeit der selbe.

Ihre Begegnung war zufällig.

Anfangs hatten sich beide gar nicht miteinander unterhalten. Der richtige Kontakt kam nach dem ersten halben Jahr in der Oberstufe. Sie konnte sich noch genau an diesen Tag erinnern.
 

Vollkommen in die mathematische Aufgabe versunken, griff Akemi immer wieder in ihre Schokoladenbox mit der Aufschrift 'Prüfungsfutter-Mix'. Es stand zwar keine Prüfung an, aber für der nächste Test. Die mit Honig überzogene Weizen-Pops und die Schokoladenkekse mit Schokoladenfüllung waren genau das Richtige für überstrapazierte Nerven. Sie war so vertieft, dass sie gar nicht mitbekam, wie sich ein Oberstufenschüler ihres Jahrgangs zu ihr an den Tisch setzte.

„Ich hoffe, ich störe nicht?“, fragte er leise nach. Doch das Mädchen neben ihm reagierte gar nicht.

Takeru betrachtete sie eingehend genauer. Von irgendwoher kannte er sie – wusste aber nicht, wo er sie einzuordnen hatte.

Beide saßen nun seit fünf Minuten fast einen Meter entfernt voneinander auf der Bank als es bei Takeru 'Klick' machte. Ruckartig sah er von seinen Aufgaben auf und wandte sich wieder dem Mädchen, das neben ihm saß, zu.

Sie schien in das Mathebuch vollkommen versunken und sich seiner Anwesenheit noch immer nicht bewusst. Aus der Augenwinkeln hatte er bei seinen Studien immer wieder beobachtete, wie sie in regelmäßigen Abständen aus der kleinen blauen Box mit der Aufschrift `Prüfungsfutter-Mix' Schokoladenstückchen entnahm. Gerade als sie wieder hin langte, schob er die Schachtel zur Seite, so dass sie daneben griff. Einen Moment lang tastete ihre Hand auf dem Tisch, bis sie ruhig liegenblieb und dafür das Mädchen aufsah.

Sie zuckte leicht zusammen, als sie den fremden Oberstufenschüler neben sich bemerkte.

„Hallo.“, kam es von diesem.

„Hi.“, sagte sie mehr als nur überrascht.

„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Aber … du kommst mir irgendwie bekannt vor und ich wollte nur nachfragen, ob du die bist, für die ich dich halte.“

Sich nervös das Haar hinter das Ohr streichend, sah sie ihren Nachbarn erwartungsvoll an.

„Und... für wen hältst du mich?“

„Ähm … du bist doch Ono-san?“

Erstaunt darüber, dass er richtig lag und sie nicht mit irgendjemand anderen verwechselt hatte, nickte sie.

„Äh... ja. Und du?“, kaum das sie diese Frage gestellt hatte, erkannte sie das Gesicht. „Halt, warte.... du bist doch Kato Takeru, ich mein Kato-kun.“, damit verbeugte sie leicht, was er ihr gleichtat. Ihr Herz bebte, noch vor kurzem hatte sie sich mit Hina, ihrer kleinen Schwester, darüber gestritten, welche japanische Star berühmter war. Dabei war auch der Name des Jugendweltmeisters in Kendo, Kato Takeru, gefallen und die Schwestern mussten zugeben, das er wirklich schnucklig war.

Hätte irgendjemand Akemi erzählt, dass dieser Kendo-Meister drei Tage nach dem Streit mit ihrer kleinen Schwester neben ihr sitzen würde, sie hätte ihn ausgelacht und für verrückt erklärt.

Er schmunzelte über das aufgeregte Verhalten. Noch vor wenigen Minuten hatte sie still und ruhig neben ihn gesessen.

„Darf ich fragen, woher du mich kennst?“

„Deine Freundin Emi-san kennt nen Freund von mir und letzte Woche beim Kinobesuch...“

„Ah, stimmt. Jetzt kann ich mich daran erinnern. Du und Tanaka-kun ihr seid etwas verspätet zur Vorstellung gekommen, du hast am anderen Ende der Reihe gesessen.“

„Ja.“, gab Takeru zu. „Du lernst Mathe?“

Sie blickte auf das Buch, auf welches er deutete.

„Nächste Woche steht ein Test an.“

„Doch nicht beim alten Professor?“

„Meinst du Matsumoto-sensei?“, hakte Akemi mit Ehrfurcht nach. Sie musste Kato-kun zwar Recht geben, was das Alter anging, aber man durfte doch nicht so herablassend über einen angesehen Professor sprechen.

Takeru lachte und beugte sich zu ihr. „Das bleibt aber unter uns.“, flüsterte er ihr ins Ohr. „In Fachkreisen wird er nur der Alte genannt.“

„Achso.“, hauchte sie. „Keine Sorge ich bin verschwiegen.“, gab sie mit einem Lächeln an.

Takeru lehnte sich zurück und fing an mit Grinsen. Er wartete, bis sie seinen Blick erwiderte.

„Kato Takeru, erster Jahrgang der Oberstufe. Ich freue mich dich kennenzulernen.“

Die junge Japanerin sah ihn perplex an. Dieser Typ konnte schon verwirrend und überraschend zugleich sein.

„Ono Akemi, ebenfalls erster Jahrgang der Oberstufe. Es freut mich auch.“, kaum hatte sie sich vorgestellt, griff er zu ihrer Aufgabe und sah sich diese an. Erneut war ihr Blick voller Verwunderung auf ihn gerichtet.

„Du lernst also Mathe.“

„Ja.“

„Die Aufgabe ist falsch.“, damit hielt er das Blatt hoch und zeigte ihr welche er meinte.

„Echt?“

„Ja, und die darunter auch.“

„Oh“, war ihr einziges Kommentar. Kein Wunder, schließlich hatte sie gerade mal die zwei berechnet und die Dritte nur widerwillig angefangen. Das waren ja rosige Aussichten. Allein für die ersten zwei Aufgaben hatte sie schon dreißig Minuten gebraucht. „Danke, dass du mich darauf hingewiesen hast.“, sie nahm ihm das Blatt wieder ab und sah es sich enttäuscht an.

Ohne lange zu zögern schob sich seine Hand in ihr Blickfeld. Mit den Finger zeigte er auf eine Stelle in der Aufgabe.

„Vorzeichen...“, der Finger wanderte. „... Zahlendreher.“, das Ganze wiederholte sich noch dreimal, dann verschwand die Hand wieder.

Akemi drehte sich zu ihm.

„Bist du gut in Mathe?“

„Bist du gut im grammatischen Englisch?“

„Gegenseitige Nachhilfe?“

„Wöchentlich?“

„Wo und wann?“

„Gehst du immer so ran?“, kam es mehr als Witz von ihm gedacht. Doch in Akemis Wangen schoss sofort das Blut und sie sah verlegen auf ihr Blatt. Zur selben Zeit zog Takeru seinen Wochenplan aus der Tasche und legte ihn neben dem Aufgabenblatt mit auf den Tisch.

„War nicht so gemeint. Wie wär's mit nem Stundenvergleich?“


 

Akemi wusste bis heute nicht, ob er sich zu ihr gesetzt hatte, weil sie gut in Englisch war und er Nachhilfe brauchte oder weil es einfach so sein sollte. Seufzend rollte sie sich auf den Bauch und träumte mit offenen Augen vor sich hin.

Am Anfang hatten sie sich wirklich nur wegen der Nachhilfe getroffen. Doch irgendwann waren die Aufgaben nur noch zweitrangig und sie hatten sich über verschieden Dinge unterhalten, wer mit wem ein gutes Paar abgeben würde oder welcher Film sich zum ansehen lohnte. Durch diese Gespräche merkten sie bald, dass sich ihre Interessen nicht nur überschnitten, sondern auch in vieler Hinsicht parallel verliefen. Nach einiger Zeit wurden die Nachhilfestunden auf das Wochenende oder zwischen die Schulstunden verlegt, um nachmittags durch die verschiedenen Viertel von Tokio zu flanieren oder mit dem gemeinsamen Freundeskreis einen Ausflug zu unternehmen.

Ihr Blick glitt zu einem kleinen Schrank, der in einer Ecke ihres Zimmers stand. Im untersten Schubfach, ganz hinten und in ein seidenes Taschentuch gewickelt, befand sich die erste Eintrittskarte, die ihr Takeru zu einem seiner Wettkämpfe geschenkt hatte. Ein wolliger Schauer überkam sie, als sie sich daran erinnerte, wie er ihr ins Ohr geflüstert hatte 'Ich würde mich freuen, wenn du kommst.'

Huh! Sie zitterte. Es war in der U-Bahn gewesen und durch das Gedränge war er ihr so nah, wie nie. Eine Nähe, die in den nächsten Jahren einfach zur alltäglichen Gewohnheit wurde. Doch an dem Tag war es noch so neu gewesen und durch die Schieberei hatte sie seine Lippen hauchzart an ihrem Ohr gespürt.

Ganze dreieinhalb Jahre war sie die fürsorgliche, tadelnde und wie er meinte, auch aufbauende Freundin gewesen. Nicht mehr und auch nicht weniger. Sie hatte gelernt ihre Zuneigung, die über die Freundschaft hinaus ging, für sich zu behalten und nicht zu zeigen.

Stets war sie das Mädchen im Hintergrund, die erste Ansprechpartnerin neben Koji. Es hatte weh getan, ihn mit anderen Mädchen flirten zu sehen, zu wissen, wenn er den Abend mit einer anderen verbrachte. Während sie nur der weibliche Kumpel war. Eine seiner Verehrerinnen hatte sie sogar mit 'Takerus kleine Schwester' betitelt, daraufhin konnte diese das Date mit ihm streichen. Doch zuvor hatte er das Mädchen angemotzt und gemeint 'Wenn sie von nichts ne Ahnung hat, sollte sie lieber die Klappe halten'. So wütend hatte Akemi ihn noch nie erlebt.

Schlaflos drehte sich die verliebte Japanerin auf den Rücken und starrte zur Decke.

Wochen nachdem Vorfall, den sie schon wieder vergessen hatte, war er zu ihr gekommen und hatte von seiner kleinen Schwester Sakura erzählt. Sie verstand von Anfang an, da sie selber eine kleine Schwester hatte. Wieder hatten sie eine Gemeinsamkeit und Takeru teilte sie mit ihr so intim, wie er es noch nie getan hatte. Als er ihr von Sakura erzählte, hatte er mitten drin seinen Kopf in ihren Schoß gelegt und weiter geredet. Nach einer Weile fing sie an über sein Haar zu streichen und mit vereinzelten Strähnen zu spielen, während sie ihm lauschte.

Nach dreieinhalb Jahren freundschaftlicher Treue hatte er sie aus dem Schatten geholt und sie wusste, er hatte dies nicht leichtsinnig getan.

Akemi setzte sich auf und dachte nach. Alles andere in ihrem Kopf war bei Seite geschoben. Erst jetzt war ihr aufgefallen, dass Takeru in den letzten Monaten gar keine Dates mehr mit anderen Mädchen gehabt hatte.

Sie rechnete nach.

Wenn sie es genau nahm, dann hatte er sogar im letzten Jahr der Oberstufe mit keiner anderen geflirtet.

Ihr Atem stockte. Genau in dieser Zeit hatte er angefangen, wenn sie zusammen Unterricht hatten, sich neben sie zu setzen oder zumindest einen Platz in ihrer Nähe zu bekommen. In der Mensa saß er ihr Gegenüber und hin und wieder hatte er die Höflichkeitsform an ihrem Vornamen weggelassen.

Tränen schossen ihr in die Augen.

Aber wie hatte er sich sicher sein können, dass sie auch etwas für ihn empfand.

Stoßweise kam ihr Atem, während ihr das Herz fast stehen blieb.
 

„Du bist doch nicht eifersüchtig?“, flüsterte er im Geschichtsunterricht ihr ins Ohr.

„Sei still und folg dem Unterricht.“

„Akemi-san?“

„Was?“, zischte sie ihn an.

„Du bist eifersüchtig!“, grinst er.

„Bin ich gar nicht.“

„Ach ja?“

„Ja.“

„Und warum hast du dann die Mensa so schnell verlassen?“

„Ich hab sie nicht schneller verlassen als sonst.“, versuchte sie sich selbst davon zu überzeugen.

Verdammt noch mal, ja! Sie war schon sauer gewesen über die Sache in der Mensa. Er hatte sie schließlich einfach so im Raum stehen gelassen und sich mit dieser Schnepfe von Mai unterhalten.

„Angenommen du bist nicht eifersüchtig, dann frag ich mich wirklich, wie du im eifersüchtigen Zustand wärst.“, hauchte er ihr ins Ohr und verursachte damit eine prickelnde Gänsehaut. Am liebsten hätte Akemi laut geseufzt.


 

Waren die ganzen Flirts von ihm, nur ein Test gewesen, um zu sehen, wie sie sich verhalten würde.

Wenn ja.

Oh, die Schuft!

Dieser süße, unwiderstehliche, gemeine und so liebevolle Schuft.

Erschöpft ließ sich Akemi in ihr Futon fallen.

Er war ja so gemein. So süß und gemein.
 

*
 

Leni hatte nicht mitbekommen als Kostja vom Einkauf wieder gekommen war. Genauso wenig, dass er und Dima die Sachen ohne sie zu wecken in die Schränke verstaut hatten.

Sie war einfach eingeschlafen, während sie die Zeitung nach einer neuen Stelle durchsucht hatte. Nun lag sie halb auf dem Sofa und wurde von ihren beiden Jungs betrachetet.

„Sollen wir sie da liegen lassen?“, kam es von Kostja.

„Nein, wir sollten sie wecken.“

„Sicher?“

„Ja.“

„Und, wie willst du das anstellen?“

„Wieso ich? Du!“, meinte Dima auffordernd. „Du kannst nicht von mir verlangen, dass ich sie wecke. Am Ende denkt sie sonst was.“

„Was sollte sie den denken?“, fragend zog der Jüngere die Augenbraue nach oben.

„Von mir das Schlimmste und von dir das Harmlose.“, grinste Dima und schlug dem anderen auf die Schulter. Kostja brummte. Immer war er derjenige. Jedes mal.

Als er Dima lachen hörte, drehte sich er sich zu diesem um. „Was?“

„Wenn du so weiter brummst, dann endest du als Brummbär im russischen Staatszirkus.“

„Halts Maul.“, meinte Kostja und ging zu der schlafenden Leni. Er beugte sich über die Rückenlehne und versuchte es erstmal verbal.

„Leni?“

Keine Reaktion. Also rief er sie etwas lauter. Doch die gute Seele der WG war weit, weit weg und nicht einmal in Versuchung der Stimme, die nach ihr rief, zu folgen, um wieder aufzuwachen. Nach ungefähr zehn Versuchen, sah sich Kostja dazu gezwungen, sie sanft am Arm zu stupsen.

„Hmm.“, kam es genervt und im Tiefschlaf von ihr. Aber zumindest, gab sie ein Lebenszeichen.

Mit einem gemeinen und bösen Funkeln in den Augen sah der junge Russe zu Dima. Der bekam den Blick mit.

„Was hast du vor?“, flüsterte dieser.

„Nichts.“, kam es mit einem Grinsen von Kostja, der sich danach zu Leni runter beugte und flüsterte: „Leni...Dima ist deinem Zimmer und ist auf der Suche nach irgendwas in deinen Schubfächern.“, jetzt musste er seinen Kopf nur schnell genug von Leni wegbekommen, sonst könnte es passieren, dass beide zusammenstießen.

Während Dima seinen Sportkollegen mit offenen Mund betrachtend ansah, wachte Leni langsam auf. Kaum hatte sie ihre Augen geöffnet, schreckte sie hoch.

„WAS?“, schrie sie.

„Ich bin hier.“, meinte Dima beschwichtigend.

„Was hast du in meinem Zimmer verloren?“, kam es aufgeregt von ihr und noch etwas verschlafen.

„Ich war nicht in deinem Zimmer.“, unwirsch deutete auf Kostja, der mit einem leichten Grinsen, das Ganze beobachtete. Leni sah zu Kostja.

„Kostja?“

„Ich musste dich wecken, Dima wollte es so.“

„Dima?“

„Wir konnten dich doch nicht einfach so hier schlafen lassen.“

Ohne ein etwas zu sagen, stand Leni auf und bedachte ihre beiden Jungs mit Kopfschütteln.

„Ihr beide.“, seufzte sie. „Lasst mich das nächste Mal einfach schlafen.“

„Gerne.“, kam es von Kostja, der sofort den Rückzug startete.

„Hey.“, motzte Dima aufgebracht. „Du wolltest sie da auch nicht liegen lassen.“

„Ich wollte sie aber auch nicht wecken.“, kam es gerechtfertigt von ihm.

Beide starrten sich an. Keiner von ihnen verzog auch nur einen Gesichtsmuskel. Ganz anders bei Leni, die den beiden zusah und schon allein der Tatsache wegen, dass sie sich anstarrten, lachen musste.

Es war erst nur ein Kichern, dass immer heftiger und lauter wurde, bis sie in ein helles Lachen verfiel.

Mit hochgezogenen Augenbrauen bedachten die beiden jungen Männer ihre lachende Mitbewohnerin. Je länger sie ihr dabei zusahen und auch zuhörten, desto breiter wurde auch bei ihnen das Grinsen, bis auch sie mit Lachen anfingen.
 

*
 

Sie hatten sie getröstet, ihr Mut zu gesprochen und sämtliche Schuld, die sie sich gab, ausgeredet. Unter dem strengen Blick von Mrs. Anne Victoria Gray trank Hero jede Tasse von warmer Schokolade bis hin zum beruhigenden Baldriantee, der sie ohne Tränen in den Schlaf wiegte. Aber nicht nur sie.

Auch die anderen drei Mädchen wurden von Mrs. Gray dazu genötigt den Tee zu trinken. Sie war der Ansicht das es allen gut tun würde in einen ruhigen Schlaf zu sinken. Als Gilberts Mutter den Raum verließ, lagen vier Mädchen schlafend in einem Bett.

Der Rest der Band hatte sich vor Heros Tür versammelt und sah erwartungsvoll zu der Frau. Gilbert ging auf seine Mutter zu, diese gab ihm zu verstehen leise zu sein. Sie erlaubte den drei Jungs einen Blick in das Zimmer.

Wäre der Grund, für den Anblick von vier schlafenden, aneinander kuschelnden Mädchen, ein erfreuter gewesen, sie hätten Witze gemacht und am anderen Tag die Mädchen damit aufgezogen. Doch keiner von den dreien, dachte in dem Moment überhaupt an so etwas. Für sie war es jetzt nur wichtig, dass es der Jüngsten aus der Band gut ging.

„Mum, wie geht ihr?“

Anne Victoria schloss die Tür.

„Sie hat viel geweint und sich die Schuld daran gegeben.“, ihre Finger strichen über den Türknauf. „Traurige Weihnachten, gestalten wir sie so angenehm wie möglich.“

Mit diesen Worten ging sie zur Treppe. Sie brauchte einen Cognac, einen Starken. Bevor sie die Treppe hinunterging, sah sie zu ihrem Sohn: „Würdest du mit deinen Freunden sämtliche Mistelzweige suchen gehen?“, sie wartete nicht auf die Antwort.

Schon viel Elend hatte sie gesehen. Doch das klägliche Häufchen, dass sie da vor wenigen Stunden weinend auf dem Bett vorgefunden hatte, brachte es fertig, dass sich ihre Kehle noch immer wie zugeschnürt anfühlte. Fast unzählige Male hatte das Mädchen gemeint, daran Schuld zu sein und genauso oft, hatten vier Münder dagegen gesprochen. Arme hatten sie neben der Wirkung des Baldriantees mit in einen sanften Schlaf gewiegt.
 

Als Anne in den Saloon kam, befand sich trotz der späten Nachtstunde ihr Vater dort.

„Vater, du bist noch auf?“, frage sie verwundert, während sie auf dem Weg zu den Spirituosen war.

„Deine Mutter hat sich schon hingelegt, es war zu viel für sie.“

„Kein Wunder.“, meinte Anne und schenkte sich den Cognac ein. „Du auch?“

„Nein, nein. Ich hatte schon drei Whiskey.“

Während er dies sagte, trank seine Tochter das Glas in einem Zug und füllte es sofort wieder auf. Ihr tiefes Luft holen, war nicht zu überhören. Daraufhin drehte sich Mr. Gray Senior zu ihr um, doch er sprach nicht.

Das Zittern ihrer Hände verschüttete fast den kostbar, teuren Cognac. Voller Verzweiflung stellte sie das kleine Glas wieder weg, sie knallte es förmlich auf den Tisch aus Kastanie.

„Ist es weil er ein Scheidungskind ist?“, platzte es aus ihr heraus.

„Anne.“, versuchte ihr Vater sie zu beruhigen. Doch sie ließ dies nicht zu, sondern wanderte ziellos durch den Raum.

„Vater! Nicht einmal Gilbert war so. Obwohl er mit dieser Virtanen Tochter zusammen ist.“

„Du hast sie doch schon längst als deine Schwiegertochter anerkannt.“, brachte er es auf den Punkt. „Also rede nicht so von ihr.“

„VATER!“, schrie sie. „Wie kannst du nur.“, doch im Grunde, wusste sie das er Recht hatte.

„Ich hab mit Nitan geredet, ein Gespräch, wie ich es nicht einmal mit Mutter oder meiner Schwiegermutter hatte. … Ich hab sie gefragt, wie sie es geschafft hat die Freundin meines Sohnes zu werden. Willst du es wissen?“

Er nickte nur.

„Er war so stur, dass er kein Auge für sie hatte. Sie meinte, noch nie in ihrem bisherigen Leben sei ein Kerl so stur gewesen, wie er. Über ein halbes Jahr hat es gedauert, bis er sie geküsst hat.“, sie schnappte nach Luft und ging zum Kamin, in dem noch immer das Feuer brannte.

„Und nun schau dir EWAN AN!“, spie sie. „ER ist ein GRAY.“, presste sie zwischen ihre Zähne hindurch. „DU und MUM habt auch noch fleißig mitgemacht.“

„Ich weiß. Wir haben den Jungen wahrscheinlich dazu ermutigt.“

„Wahrscheinlich?“, lachte sie zynisch. „Sie gibt sich die Schuld, obwohl sie am wenigsten Schuld trägt. Sie ist noch ein halbes Kind und Ewan, er hat sich einfach gehen gelassen und nur wegen diesen verdammten Mistelzweigen.“

Sie schnappte sich einen dieser Zweige, die den Kamin verzierten und warf in mit voller Wucht ins Feuer.

„Was ist an seiner Erziehung schief gelaufen? Die Scheidung seiner Eltern.“, Anne wirbelte herum. „Er war vierzehn! Wenn er ein Kleinkind gewesen wäre, dann hätte ich es verstanden. Aber nicht in diesem Alter.“

„Anne.“, ihr Vater stand vom Sofa auf und ging auf sein Kind zu. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und sah ihr in die Augen. „Kind, leg dich hin. Lass den Morgen kommen, dann kannst du dich weiter aufregen. Es bringt nichts, wenn du die Nacht beschimpfst.“
 

Ende fünftes Kapitel.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  -fluffi-
2011-06-28T07:26:04+00:00 28.06.2011 09:26
ich habe deinen douji gerade endeckt und bin begeistert!
So eine gute story habe ich shcon lange nicht mehr gelesen!
Man denkt richtig du hast ne ahnung von allem über dass du schreibst
gutes essen, pferde und so =D
ooou ich bin echt gespannt wies weiter geht, ich finde
das auch genjal mit den verschiedenen storys und trotzdem gehörn
sie doch zusammen... oder werden zusammen kommen..
und ich bin ja mal echt gespannt wo die sakura ist....
wird sie auf dem fest auftauchen???


grüsssscheen


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