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Racco und der Vogel

Freundschaft kennt keine Grenzen
von

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Racco war fünf Jahre alt, als seine Eltern in dem Feuer ums Leben kamen. Die Polizei fand ihn noch in derselben Nacht, etwa zwei Häuserblocks entfernt von dem Feuer, das noch immer wütend alle Erinnerungen an seine Vergangenheit auslöschte.

Racco war nicht verängstigt. Racco war niemals verängstigt. Racco war still. Er tappte auf seinen kleinen Füßchen vom Geschehen weg und war einfach still.

So still, dass er niemals ein Wort sprach. Die anderen Kinder im Waisenhaus hatten Angst vor ihm, hielten sich von ihm fern, ignorierten ihn und sprachen nicht mit ihm, doch es schien Racco keinesfalls zu stören.

Jeden Tag saß er an einem der großen Fenster im Aufenthaltsraum des Hauses, der voller lautstark spielender Kinder war, und sah hinaus in den Garten. Draußen spielten die Vögel. Sie zwitscherten und sangen, denn der Frühling hatte Einzug gehalten.

Die Vögel waren ziemlich scheu, die meisten jedenfalls. Einer bildete die Ausnahme, ein kleiner, Brauner, der es ihm angetan hatte. Er kam jeden Tag zum Fenster, setzte sich auf den Sims und nach einer Zeit ließ er sogar zu, dass Racco das Fenster öffnete und ihm das Gefieder streichelte. In solchen Momenten hatte der kleine Racco ein Lächeln auf seinem blassen Gesichtchen.

Tag für Tag saß Racco mit seinem kleinen Vogel am Fenster. Die anderen Kinder beachteten ihn immer noch nicht, aber Racco hatte seinen Vogel und er war glücklich damit.

Bis zu dem Tag, an dem der kleine Vogel nicht wieder kam.

Die Bäume draußen waren kahl und leer und hatten all ihre Blätter abgeworfen. Der eisige Wind pfiff um das Haus und durch das geöffnete Fenster in den Raum, doch Racco störte sich nicht daran. Er hielt nur Ausschau nach dem Vogel.

„Racco, bitte mach doch das Fenster zu!“

Racco drehte sich um und sah das zitternde, blonde Mädchen ausdruckslos an. Er tat das nicht aus böser Absicht, doch das Mädchen bekam solche Angst, dass ihm die Tränen in die großen, braunen Augen stiegen und es davon lief.

Racco kannte diese Situation, er erlebte sie oft genug. Und tatsächlich, das Mädchen kehrte zurück, weinend, an die Schürze einer Betreuerin geklammert.

„Racco, was hast du nun wieder angestellt?“, wollte sie streng wissen. Racco gab keine Antwort. Warum auch? Das war doch egal. Nur eines zählte. Sein Vogel war weg. Sein kleiner, brauner Vogel war weg. Er hatte ihn verlassen, wie ihn seine Eltern verlassen hatten, aber das war auch verständlich. Sie hatten einfach nur das gesucht, wonach jeder Mensch strebte: Freiheit.

Seine Eltern waren frei gewesen, frei zu gehen, wohin sie wollten. Sein kleiner Vogel war frei gewesen, frei zu fliegen, soweit ihn seine Schwingen trugen. Nur er… er war nicht frei. War nie frei gewesen. Erst zuhause, wo seine Amme den ganzen Tag um ihn herum gewuselt war und jetzt hier im Waisenhaus, wo die Kinder und Betreuerinnen ihn innerhalb dieser Mauern hielten. Racco wollte frei sein, so gerne frei sein… und er machte sich frei.

In der Nacht, als alles schlief, kletterte er leise aus seinem Bettchen, schlüpfte in seine Schühchen, wand sich in Schal und Mantel und stahl sich durch die Gartentür hinaus.

Racco wusste, wohin sein Vogel geflogen war. Zum Meer. Das war logisch, denn der Vogel war frei und das Meer, das war auch frei, also musste der Vogel zum Meer geflogen sein.

Also schlug Racco den Weg in Richtung Meer ein. Er wusste, wo das Meer lag, denn die Kinder hatten einmal, im Sommer, einen Ausflug dorthin gemacht. Das Meer war gar nicht weit.

Und doch, je weiter Racco wanderte, desto schwerer wurden seine Augen und desto müder seine Füße. Und gerade, als er aufgeben wollte, sich an den Wegesrand legen und schlafen, da erblickte er ihn. Seinen kleinen, braunen Vogel.

Frei und leicht und unbeschreiblich glücklich schien der kleine Vogel, wie er da am Himmel über dem Meer tanzte.

Racco stürmte zum Geländer, das die schroffen Klippen sicherte. Unten tobten die Wellen gegen den Fels und die See war rau und aufgewühlt; ein Herbststurm nahte.

Racco klammerte sich ans Geländer und winkte mit der Hand nach seinem Vogel, er möge zurückkehren und wieder am Fenster mit ihm spielen und für ihn singen, doch der Vogel zwitscherte nur und flog weiter seine Bahnen in den Himmel.

Racco traf einen Entschluss. Wenn der Vogel nicht zu ihm kam, dann musste er zum Vogel kommen, damit sie gemeinsam frei sein konnten, frei, zu singen und zu fliegen und am Fenster im Waisenhaus zu sitzen.

Der Junge sah sich um, überlegte, dann entdeckte er die Steine, die links von ihm waren und immer größer wurden, je näher sie an der Felswand lagen, die die Klippen links begrenzte.

Racco lief hinüber zu den Steinen, auf die er mühselig hinauf kletterte. Es dauerte etwas und mit seinen kleinen Füßen rutschte er immer wieder ab, doch irgendwann war er so hoch, dass er auf das Geländer klettern konnte. Er war dem Himmel, seinem Vogel so nahe! Gleich, gleich würde er ihn erreichen können!

Racco machte ein paar tapsige Schritte in die Richtung des kleinen, braunen Vogels, schwankte, fing sich aber wieder. Ein eisiger Wind kam auf, ließ Racco frösteln und dieser überlegte erstmals, ob es richtig war, den kleinen Vogel zu fangen. Doch sein Wunsch ihn zu besitzen war stärker. Wieder machte er ein paar unbeholfene Schritte. Das Meer unter ihm schlug gegen die Klippen und Wassertropfen spritzten in sein Gesicht, doch Racco ließ sich nicht beirren. Und dann kam ein scharfer Windstoß und fegte den kleinen Racco vom Geländer hoch über dem großen Meer.

Racco entfuhr ein schrilles, panisches Quietschen und er kniff verängstigt die Augen zusammen, als ihn plötzlich etwas um die Brust packte. Mit einem Ächzen wurde er zurück über das Geländer gezogen.

Ängstlich öffnete Racco ein Auge und blickte in ein besorgtes Gesicht. „Bist du in Ordnung?“ Verwirrt blinzelte er. Vor ihm kniete ein älterer Junge, in einem weiten, braunen Gewand. In seinem wirren, brünetten Haar steckten einige Federn.

Einige Sekunden sah Racco ihn nur an, dann stiegen ihm Tränen in die Augen und er warf sich in die Arme des verdutzten Brünetten. „Mein Vogel“, schluckte er, seine Stimme war nur ein raues Krächzen, weil er sie so lange nicht mehr benutzt hatte.

„Dein Vogel?“, wollte der Brünette wissen. Racco vergrub das Gesicht in dem braunen Mantel und atmete gierig den erdigen Duft ein. Er fühlte sich geborgen, wie früher, bei seinen Eltern.

„Mein Vogel ist weggeflogen! Er sollte doch bei mir sein, er sollte doch frei sein!“

Racco wurde durchgeschüttelt, als der Brünette sich auf den Hintern fallen ließ; die kniende Position war nicht sonderlich bequem.

„Weißt du“, begann der Junge, „Vögel müssen wegfliegen. Nur dann sind sie wirklich frei, wenn sie eingesperrt sind, sind sie nie wirklich frei!“ „Ich bin auch nicht frei, ich bin auch eingesperrt“, nuschelte Racco. „Eingesperrt?“ „Ja, im Waisenhaus.“ Racco seufzte betrübt. „Bist du frei?“, wollte er dann wissen.

Der Brünette legte nachdenklich den Kopf in den Nacken und streichelte über Raccos blonden Schopf. „Ich denke schon“, erwiderte er dann, „Ich muss mich zwar auch nach den anderen Mitgliedern meiner Gruppe richten, aber wir ziehen wann wir wollen und wohin wie wollen, ohne Ziel und ohne Regeln. Wir können frei entscheiden, wohin wir gehen wollen.“

Racco kletterte auf den Schoß des Brünetten und gähnte leise.

„Ich glaube das ist Freiheit“, murmelte der Brünette. Racco nickte nur. Er verstand ihn nicht, aber der andere Junge war warm und schenkte Geborgenheit. Und er war frei.

„Darf ich bei dir bleiben?“, fragte Racco leise. Der Brünette blickte den halb schlafenden Blonden in seinen Armen fragend an. „Als dein Bruder?“

Das Gesicht des Brünetten wurde weich und er lächelte. „Wie heißt du?“, fragte er sanft. „Racco… und du?“ Der Brünette fischte eine Feder aus seinem Haar und steckte sie vorsichtig in Raccos blonde Strähnen.

„Tori… mein kleiner Bruder…“, flüsterte er leise.

Ende



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  L-mo
2010-11-08T15:29:35+00:00 08.11.2010 16:29
Oh immer wieder gerne x3 *geehrt fühl, dass ich schon wieder in ner FF beschreibung steh*
Ich mag den OS <3
Der is toll *__*
*keckse da lass*
KNUDDELATTACKE! :D


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