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Orthogonalität am Beispiel des virilen Objekts

von

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Der Mathelehrer und der Matheschüler

Als Herr Branner in einer Parklücke eingeparkt und den Motor ausgestellt hatte, atmete er laut auf und sah mich dann an.

Ich schaute aus dem Fenster. Wir befanden uns in einer gewöhnlichen, kleinen Einkaufsstraße; Mehrfamilienhäuser standen Wand an Wand, in den untersten Etagen waren kleine Blumenläden, eine Bäckerei, ein Café und eine Eisdiele, eine Sparkassenfiliale und eine Boutique.

„Wo wohnstn du eigentlich?“ fragte er dann. Ich spürte seinen Blick auf mir, er sah mich gespannt und schmachtend an, musterte mein Gesicht, meinen Hals, die Schulter unter dem Pullover und das Schlüsselbein.

Als ich fertig geguckt hatte, drehte ich mich zu ihm um, erwiderte den begehrenden Blick und antwortete: „Bei meiner Mutter.“

Er nickte und grinste, und ich grinste zurück.

Dann strich er mir durch das Haar, die Hand glitt über meinen Hinterkopf in den Nacken. Er sah mich wieder so an.

Ein Blick voller Wärmer und Vertrauen, der mir sagte, dass er mich wollte, mich liebte, so, wie ich hier vor ihm saß und dass er froh war, mich endlich haben zu können.

Dann zog er mich zu sich hin, seine Lippen trafen auf meine, berührten sich hart, bewegten sich aufeinander.

Seine andere Hand strich über meine Wange und ein aufregendes Kribbeln folgte der Berührung.

Er glitt über mein Kinn zur Brust, die Seite runter und legte die Hand schließlich auf meine Hüfte, zog meinen Körper noch näher zu sich und ich spürte seine Wärme, wennauch wir durch die Mittelkonsole getrennt wurden.

Nah waren wir uns trotzdem.
 

Als er von mir ab ließ, sah er mir wieder so in die Augen.

Sein Blick lächelte.

Dann flüsterte er: „Wann erwartet dich deine Mutter?“

Ich lächelte auch und zuckte die Schultern: „Weiß nicht.“
 

Dann lehnte ich meine Stirn an seine, ich schloss die Augen und genoss es, bei ihm zu sein.

Seinen Herzschlag unter meiner Hand zu spüren und seinen leisen Atem in meinem Ohr zu hören.

Wenn diese Stille zwischen uns nicht unbehaglich war, wenn sie als angenehm und unterstreichend empfunden wurde, dann durfte ich doch wohl von richtiger Liebe reden, oder?
 

Herr Branner hielt sich sehr zurück, wenn es darum ging, etwas von sich zu erzählen.

Er schwieg gern, genoss die Stille der Zweisamkeit, lag gern einfach nur da, neben mir, streichelte mein Gesicht, spielte gedankenverloren mit meinem Haar, hielt liebevoll meine Hand und erbaute sich am zusammen sein.

Er war mir gern nah, legte seine Arme um mich, oder seinen Kopf in meine Halsbeuge, ließ mich gern seinen Herzschlag hören und freute sich einfach nur darüber, dass er mit mir zusammen sein konnte.
 

Eigentlich hielt er sich insgesamt mit dem Erzählen sehr zurück.
 

Seine Wohnung war oberhalb des kleinen Blumenladens und passte eigentlich nicht wirklich zu seinem blauen Lotus.

Sie war nicht besonders groß und ziemlich spärlich eingerichtet.

Ein Regal im kleinen Flur, ein Tisch und zwei Stühle neben der Küchenzeile. Ein Dreisitzter und ein freischwingender Sessel von Ikea, eine ziemlich große Fernsehbank für seinen riesigen Plasma Fernseher und die Playstation drei fanden sich in dem kleinen Wohnzimmer wieder.

Weniger  auffällig im Eck unter einem der zwei Fenster stand ziemlich einsam ein kleiner Schreibtisch, dadrauf der neuste iMac neben ordentlich gestapelten Bücern und CDs.

„Hm“, machte ich, als ich die Wohnung betrat und mich umsah.

Ich fragte mich, an wen ich da geraten war.
 

Ich hatte mir sicherlich hundert Mal ausgemalt, Herrn Branner in seiner Wohnung zu besuchen.

In meiner Fantasie war sie immer ziemlich hedonistisch gewesen, Bücher und CDs, die auf dem Boden lagen, Benutzten Pfannen und Töpfe in der Spüle, eine Schlafcouch, die nie zum sitzen, sondern nur zum Schlafen benutzt wurde und mit Sicherheit kein Fernseher mit einer Bildschirmgröße im Ausmaß meines Bettes.
 

„Sie leben nicht schlecht“, stellte ich fest.

Er legte seine Schlüssel auf das Regal im Flur, zog sich die schwarze Jacke aus und warf sie einfach über die Garderobe und kam dann zu mir in die Tür zum Wohnzimmer.

Er legte die Hände auf meine Schultern, massierte eine wenig durch den Stoff des Pullovers und der Jacke und sagte: „Beeindrucken muss ich dich doch nicht damit?“
 

Auf die Frage hin, wie er sich einen iMac und einen zweitausend Euro Fernseher leisten konnte, bekam ich keine Antwort und auch der blaue Lotus Esprit blieb mir ein Rätsel.
 

Wir verbrachten den Nachmittag auf seiner Couch.

Das Gerät von Fernseher lief, meistens aber nur nebenbei, wir küssten uns und kuschelten und genossen einfach nur die Zweisamkeit; und aßen Pizza.

Am frühen Abend, als es anfing, dunkel zu werden, fuhr er mich dann nach Hause.

Mama war nicht da gewesen, hatte mir einen Zettel auf den Küchentisch hinterlassen, der mir sagte, dass sie bei Lou sei und vermutlich erst spät nach Hause käme.
 

Lou, eigentlich Louise-Marie, war ihre beste Freundin seit Kindheitstagen. Sie gingen zur gleichen Schule, machten gleichzeitig ihren Abschluss, Mama studiere vier Semester Sozialpädagogik, Lou machte eine Ausbildung zur Krankenschwester.

Dann lernte Mama den verrückten, hippen jungen Mann von der Schauspielschule kennen und sie verliebten sich.

Sie brach ihr Studium ab und begann ebenfalls eine Ausbildung zur Krankenschwester. Hier traf sie dann Lou wieder und die alte Freundschaft blühte ganz neu auf.
 

Herr Branner und ich verabschiedeten uns voneinander mit einem innigen Kuss.

Total müde und total glücklich ging ich an diesem Abend in mein Bett und ich nahm mir vor, am nächsten Tag alle Poster von Zac aus meinem Zimmer zu entfernen.
 

In der Schule taten wir weiterhin so, als sei nichts.

Herr Branner war viel souveräner, er konnte mich wirklich so behandeln wie vor der Klassenfahrt. Sogar ich kaufte ihm das Benehmen ab und manchmal war ich mir nicht mehr so sicher, ob wirklich etwas zwischen uns war.

Doch wenn er im Unterricht zu mir an den Tisch kam und sich davor hin hockte, um mir persönlich nochmal zu erklären, was Orthogonalität bedeutete, dann spürte ich seine Zuneigung.

Manchmal leuchteten seine Augen auch, sehr dezent, aber für mich war es zu sehen.

Doch irgendetwas bemerken, das konnte niemand.

Wir begrüßten uns so, wie sich Schüler und Lehrer begrüßten, er berührte mich nicht auf eine Art, auf die ein Lehrer seine Schüler nicht berühren sollte und wenn er mich ansah, dann war seine Zuneigung nur für mich ersichtlich.

Eigentlich verhielten wir uns unauffälliger, als wir es vor Aachen getan hatten, und auch meine verbalen Schwärmerein im Freundeskreis gingen sehr zurück.
 

Am letzten Dienstag vor den Weihnachtsferien wünschte er uns, bevor die Schulglocke läutete, schöne Feiertage, schöne Ferien und einen guten 'Rutsch ins Neue Jahr'.

Wir packten unsere Blöcke in die Rucksäcke und wollten in die Pausenhalle gehen.

Ich ließ mir sehr viel Zeit und Lilly, Ray und Joe wartete bei der Tür auf mich.

„Hm“, sagte ich, sah meine Freunde, dann Herrn Branner an, der sich noch Notizen in sein Kursbuch machte.

„Ich wollt' eigentlich noch mal kurz mit Herrn Branner reden. Wegen Noten und so.“

Erklärte ich ihnen und ließ den Collegeblock in meine Tasche gleiten.

„Nagut“, sagte Lilly „wir sind unten am Stammtisch, ja?“ sie lächelte mich merkwürdig an, Ray seufzte genervt und Joes Blick war so durchdringlich, dass mir augenblicklich kalt wurde und ich eine unangenehme Gänsehaut bekam.

Schnell schluckte ich das Unbehagen runter, zog den Reisverschluss von der Tasche zu und sah dann zu Herrn Branner auf.

Der schrieb sich noch immer etwas auf, doch lächelte er.

Und das Lächeln war so warm, dass ich mich sofort besser fühlte und mein Herz einige Sprünge machte.

Ich stand von meinem Stuhl auf, legte den Rucksack auf den Tisch, ging zur Tür, sah in den Flur, ob dort jemand war, zum Glück keiner, und schloss die Tür dann zu.

Dann drehte ich mich wieder zu ihm um.
 

Er sah mich immer noch nicht an, er schrieb sich immer noch etwas auf.

Ich ging zu ihm.

Ich griff nach seinem sich permanent über das Papier bewegendes Handgelenk.

Das Schreiben hörte auf.

Herr Branner sah meine Hand gespannt an.

Ich hob seinen Arm, legte ihn um mich, drückte seinen Oberkörper nach hinten und ließ mich dann auf seinem Schoß nieder, legte die Arme um seinen Hals und lächelte ihn sinnlich an.
 

Dann lehnte er sich vor und wir küssten uns.
 

Und in meinem Hinterkopf war wieder die Angst vor der Gefahr, dass jemand plötzlich ins Zimmer geplatzt käme und sah, welche Auffassung wir hier von Unterricht hatten.

„Hm“, machte er, dann lösten wir uns und er lächelte mich frech an „und du glaubst wirklich, dass deine Noten dadurch besser werden?“

„Zumindest versuchen sollte ich es.“ antwortete ich und küsste ihn erneut.
 

Es fühlte sich so verboten gut an.
 

„Herr Branner“, sagte ich, legte meinen Kopf auf seine Schulter und spürte sein Herz gegen meins. Seine Arme waren um mich geschlungen und ich konnte fühlen, wie sehr er diese Berührungen genoss.

„Was ist mit Weihnachten?“

„Was sollte damit sein?“

„Wollen wir da zusammen sein?“
 

Sein Schweigen war etwas unangenehm und ich wollte mich aufrichten um ihn anzusehen, doch drückte er mich an sich, dann küsste er mein Haar und nickte: „Natürlich wollen wir das.“

Ich spürte seinen Atem an meinem Hals.
 

„Na ja“, sagte ich „Heilig Abend ist doof, da sind wir immer zu Hause und Papa und Josh kommen und so. Aber an den Weihnachtstagen haben wir nichts vor.“

Er nickte wieder: „Alles klar.“

„Ziemlich cool, was?“ Jetzt lehnte ich mich endlich zurück und strahlte meinen Lehrer an. Der nickte.

„Dann seh ich dich am Freitag wieder?“

„Ja.“

„Alles klar.“
 

Ich stieg von ihm runter, drückte ihm einen letzten Kuss auf die Lippen und als ich mich umdrehte um meinen Rucksack zu holen, wurde die Tür aufgerissen und eine Schülerin aus der zehnten Klasse stand im Türrahmen.

Mein Herz raste und pumpte ungewohnt viel Adrenalin durch meinen Körper, sodass ich deutlich sichtbar zitterte, als ich den Riemen meines Rucksacks griff.

„Man Herr Branner, wo bleiben sie denn“, sagte sie genervt „sie sind seit zwanzig Minuten überfällig!“

Ich schluckte nervös, drehte mich dann zu ihm um, lächelte unsicher und verabschiedete mich.
 

Auf dem Weg in die Pausenhalle dann kam mir zum ersten Mal der Gedanke, wie absurd und riskant diese Beziehung war.

Wäre sie nur eine Minute eher rein gekommen hätte sie uns in dieser absolut unmissverständlichen Position vorgefunden.

Dann wäre es aus gewesen.

Zwischen ihm und mir, mit seiner Karriere in diesem Beruf und mit seiner Freiheit.

Und ich hätte ewig mit diesem Gewissen leben müssen, dass ein unschuldiger Mann meinetwegen sein ganzes Leben versaut bekommen hätte.
 

Den Rest das Tages zitterte ich vor Aufregung und der Angst, die immer noch in mir saß.



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