Kapitel Vier: Falling Down
Falling Down...
Nachdem er den hungrigen Gizmo mit Frühstück glücklich gemacht hatte, saß er in der Küche, in der sie bis vor ein paar Wochen noch zusammen gekocht hatten. Manchmal bildete sich Miya ein, er könnte sogar Tatsurous Geruch noch wahrnehmen, auch wenn das völliger Unsinn war.
Es fühlte sich immer noch so schmerzhaft an. Und er konnte immer noch diesen Druck in seinem Brustkorb spüren, der ihm förmlich die Luft abgeschnitten hatte.
Wieso musste es nur so wehtun? Wieso konnte er Tatsu nicht einfach vergessen...
Gedankenverloren rührte er in seinem Kaffee herum, bis er doch irgendwann auf die Uhr schaute. Verdammt! Es war schon halb 12...Sie wollten sich doch um 10 Uhr im Studio treffen! Wie lange hatte Miya hier schon gesessen?
Dem Kaffee nach zu urteilen eine ganze Zeit, denn dieser war vollkommen kalt.
„Verdammt verdammt verdammt!“, donnerte Miya und suchte sich ein paar Sachen zusammen, die man anziehen konnte. Irgendwie hatte er vollkommen vergessen, mal wieder Wäsche zu waschen...oder aufzuräumen...Obwohl das gar nicht seine Art war!
Schnell noch Hut und Brille aufgesetzt und dann konnte er auch schon los.
Wieso passierte ihm das in letzter Zeit so häufig? Dass er zu spät kam, die Zeit vergaß oder sonst was? War sein Leben nicht schon schlimm genug?
Er fuhr wiedermal zu schnell, damit er wenigstens nicht all zu viel zu spät kam. Doch irgendwie hatte er heute das Pech gepachtet, denn schon wurde er wegen seiner Raserei angehalten.
„Bitte, ich muss los!“, meinte Miya nervös und hüpfte von einem Bein auf das Andere.
„Moment...es dauert so lange wie ich das will, klar?!“, meinte der Polizist sehr unfreundlich und schaute Miya abschätzig an.
Nach quälenden 20 Minuten hatte der Gitarrist seinen Strafzettel bekommen und durfte endlich weiterfahren, auch wenn er darauf achtete, nicht mehr zu schnell zu fahren.
Verdammt...nun war es schon halb eins, als er endlich am Studio ankam. Natürlich, er als Leader, der Pünktlichkeit so groß schrieb, kam so viel zu spät...War irgendwie klar an so einem verhunzten Tag!
„Man...wo bleibt er nur? Ich hoffe es geht ihm gut...“, nuschelte Sato und war ziemlich besorgt.
Natürlich hatte er nichts von den wahren Gründen für Miyas Zusammenbruch erzählt, das wäre nicht gut gewesen. Aber er machte sich Sorgen, obwohl es dem kleinen Gitarristen anscheinend gestern Abend besser ging.
„Dem wird’s bestimmt gut gehen...Unkraut vergeht nicht!“, nuschelte Tatsu in seinen nicht vorhandenen Bart und hörte sich dabei ziemlich gemein an.
Sato seufzte. Das war unfair von dem Größeren, aber er wollte grad einfach keinen Streit vom Zaun brechen.
„Gomen...Stau...“, keuchte Miya als er endlich in den Raum gestürzt kam.
Er war das ganz Stück vom Parkplatz bis hier her gerannt und war nun vollkommen außer Atem.
Sato war unendlich froh als der Kleinere endlich reinkam. Es ging ihm gut, er konnte noch laufen...Es war schön das zu wissen.
„Jaja...jetzt setz dich endlich...Und sag uns was wir nu machen müssen...“, nuschelte Tatsurou und sah den Gitarristen nicht an.
Er konnte ihn einfach nicht ansehen, er wusste grade auch nicht warum. War es vielleicht das schlechte Gewissen? Schließlich hatte er ein Date, auch wenn Miya das noch nicht wusste...
„Hmm...keine Ahnung...spielen wir als erstes „Falling Down“, ja?“, meinte der Leader dann etwas geistesabwesend und ging gesenkten Hauptes zu seiner Gitarre.
„Falling Down....Falling Down...Falling Down...Growing up!“, sang Tatsurou gerade mit tiefer Inbrunst, und es hallte in Miyas Kopf nach.
Ja...er fiel gerade, fiel immer weiter hinab...Aber würde ihn das erwachsener machen? Oder konnte er dann vielleicht gar nicht mehr aufstehen oder an sich wachsen?
Es war einfach schrecklich, zu wissen dass es dem anderen so viel besser ging als ihm selbst, dass er ihn anscheinend schon „vergessen“ hatte...Das schmerzte sehr. Aber Miya vertiefte sich in seine Arbeit, damit ihm genau das nicht angemerkt werden konnte.
„Gut...war schon mal nicht schlecht...machen wir weiter mit „Polaris“...“, nuschelte der Leader und bedeutete Satochi, er solle doch einzählen.
„Kyou mo kimi ni ienakatta....Kimi wo aishiteru...“, hauchte Tatsurou schon fast und sah dabei in Miyas Richtung.
Verdammt! Warum kribbelte es gerade bei diesem letzten Satz „Ich liebe dich“ schon wieder so fürchterlich in seiner Magengegend? Er und der Gitarrist waren was die Liebe anging geschiedene Leute, da sollte nichts mehr kribbeln!!!
Das Lied passte irgendwie dachte Miya so bei sich. Er liebte den anderen noch immer, doch er konnte es ihm nicht mehr sagen. Die einzige Antwort auf sein Leiden war Tatsurou, nur er konnte es beenden...
„Gut...war alles super...Machen wir Pause!“, nuschelte Miya und ging schnell nach draußen, er hielt es hier drin gerade nicht mehr aus.
Es war, als würden die Wände immer mehr auf ihn zukommen, er hatte noch niemals solche Platzangst gehabt wie in diesem Moment!
„Hey...Miya...“, nuschelte die nasale Stimme des Drummers, „Dir geht’s überhaupt nicht gut, oder?“
Sie hatten es gestern versucht, seine Frau Midori und er...Doch anscheinend konnte man Miya gerade einfach nicht richtig helfen.
„Naja...es ging mir schon besser...“, nuschelte der Angesprochene, „Ich halt das einfach nicht aus...Ich weiß dass er mich vergisst, dass er wieder neu in sein Leben startet...Aber ich kann das einfach nicht...“
„Aber...Miya...Du erinnerst dich schon noch an deine Chatbekanntschaft...Diesen Superapple da...“
Stimmt! Verdammt, da war ja noch was! Wie konnte er seinen Superapple79 vergessen?
Er seufzte.
Er wollte sich ja mit dem Anderen treffen, diesen Sonntag...Aber er bekam große Zweifel ob er das überhaupt konnte. Konnte er sich wirklich auf eine neue Person einlassen? Jetzt schon?
„Du...du hast recht...Aber ich weiß nicht, ob ich das jetzt schon kann...Ob ich mich jetzt schon in ein neues Leben stürzen kann. Mich auf eine neue Person einlassen kann...Das ist grad alles so schwer...Vor allem, bald ist die Tour...Dann sind wir wieder Tag und Nacht beieinander...Ich weiß nicht ob das gut ist...“
„Du willst doch nicht die Tour absagen, oder?!“
Satochi sah ihn entgeistert an.
Für einen kurzen Moment fand Miya diesen Weg sogar ziemlich gut. Das wäre es doch, einfach alles absagen und sich verstecken. Aber...Da waren die Fans! Die Tickets gingen schon seit Monaten über die Ladentheke...
„Nein...natürlich nicht...“, meinte der Gitarrist nach einigen Momenten und sah Sato an.
Nein, das konnte er nicht machen, damit würde er alle Fans enttäuschen, und das ging gar nicht!
„Gut...Ich dachte schon du spielst mit dem Gedanken...“; meinte Sato und lächelte etwas.
Während dem Gespräch mit dem Drummer musste Miya immer wieder an Superapple79 denken...Würde er sich mit ihm treffen? Oder...würde er sich lieber verstecken?
Vor lauter Nachdenken vergaß der Leader sogar, sich eine Zigarette anzumachen und zu rauchen, was auch nicht gerade normal für ihn war.
„Komm, lass uns wieder reingehen, was meinst du?“, meinte der Drummer freundlich und nickte Miya zu.
Ja...das war wohl das beste...Wieder reingehen und in Arbeit knien, um alles zu vergessen!
Der Rest der Proben verlief gut, und sie verabredeten sich für den nächsten Tag für die selbe Uhrzeit.
Natürlich bekam Miya noch ein paar Sticheleien ab, dass er doch ja nicht nochmal zu spät kommen sollte und lieber um alle Staus herumfahren sollte, doch dann entließen sie den Gitarristen mit einem Lächeln. Nur Tatsurou lächelte nicht wirklich. Manchmal wünschte er sich wirklich, mit dem Anderen nach Hause zu fahren.
Zuhause angekommen ließ Miya zuerst Gizmo in den Garten, bevor ers noch ein Unglück in der Wohnung geben würde, machte seinem Hund dann was zu fressen und ging in sein
Schlafzimmer. Er wollte mit Superapple79 reden, dass er noch nicht bereit war, sich zu treffen...dass sie vielleicht noch warten...
Deshalb ging Miya on und hoffte, Superapple79 würde auch da sein...
»Superapple79: Hey! Du auch wieder da? Irgendwie hab ich mir gestern Sorgen gemacht, weil du nicht on warst...“«
»RealGuitarHero: Hey..Naja gestern gings mir nicht wirklich gut...Hab erfahren dass mein Ex n Date hat, hat mich ziemlich getroffen«
»Superapple79: Oh je...Das tut mir leid...+pat+ Sowas ist schlimm, ich weiß...«
»RealGuitarHero: Ja...das war es...mir wars so schlecht, ich konnte nur noch rennen +drop+ Den ganzen Abend hab ich mich schlecht gefühlt, zum Glück hatte ich nenn Kumpel...Er und seine Frau haben mich wieder aufgebaut...«
»Superapple79: Das ist doch gut...also das letztere! ^_^“ Wenn man solche Freunde hat, dann geht es einem schon besser...Aber das erstere...Du armes..x.x«
»RealGuitarHero: Ja, da hast du recht...Naja, jetzt geht es mir schon besser, schreib ja mit dir^^ Aber ich muss noch was loswerden...«
»Superapple79: Hmm, was denn Schnucki? XD«
»RealGuitarHero: Das fällt mir jetzt nicht leicht...Das kannst du mir glauben..+schluck+
Aber ich glaub ich pack das noch nicht, das Treffen mit dir...Ich weiß, es ist dumm von mir und bestimmt auch gemein, aber ich kann das einfach noch nicht. Ich will dich unbedingt mal treffen...Können wir das nach meiner Tour machen? Das wäre mir lieber...«
»Superapple79: +seufz+ Nee, das kann ich verstehen...So scheiße wie es dir jetzt geht. Ich bin dir nicht böse, hätte mich nur gefreut dich bald zu sehen^^ Aber nach der Tour ist auch cool, vielleicht ist das bei dir einfach noch zu frisch, hm?«
»RealGuitarHero: Danke...Danke dass du so verständnisvoll bist^^ Da fällt mir gleich ein Stein vom Herzen«
Miya war so glücklich, dass der Andere es verstand, und vor allem dass er ihm nicht böse war. Das hätte er nämlich gut verstehen können.
Nachdem ihm dieser Stein nun vom Herzen gefallen war, konnte er sich wieder vollkommen gelöst mit seinem Chatpartner unterhalten.
Bald war es wieder spät geworden, und lächelnd verabschiedete sich Miya von dem Anderen. Er klappte sein Netbook zu und legte sich aufs Bett. Und wieder kam es ihm in den Sinn: Tatsu hatte schon einen Anderen...Er hatte ihn schon vergessen! Das machte Miya mehr zu schaffen als er zugeben wollte.
Jedes Mal, wenn er an das Glück seines Ex-Freundes dachte, war es so, als ob die ganze Freude in seinem Körper einer riesigen Dunkelheit und Kälte platz machen müsste.
Einerseits hatte er da diesen lieben, netten Kerl aus dem Chat, von dem er aber eigentlich nicht viel wusste, nicht mal seinen richtigen Namen. Andererseits war da das Glück von Tatsurou...Und dass dieser ihn schon durch einen neuen Kerl ersetzen konnte.
Es kam dem Gitarristen so vor, als ob er, je glücklicher er für einen Moment war, dafür um so tiefer herunterfallen würde. Er war in dieser Spirale nach unten gefangen...Wie lange würde er sie nur aushalten?
Miya machte in dieser Nacht kein Auge zu. Vor lauter Denken und Gefühlen konnte er einfach nicht schlafen. Vollkommen übernächtigt stieg er am nächsten Morgen aus dem Bett und ging seiner üblichen Routine nach. In die Küche gehen, Gizmo füttern, währenddessen Kaffee machen, Gizmo raus lassen, seinen Kaffee trinken, eine Zigarette rauchen, Gizmo wieder rein holen, duschen und dann ab ins Studio. Das alles lief noch viel automatisierter ab als sonst.
Der Leader war froh, dass er heil am Studio angekommen war, ohne sich wegen Sekundenschlaf um einen Baum zu wickeln. Langsam stieg er aus und machte sich auf den Weg in das Tonstudio, als ihn fast der Schlag traf. Mit weit geöffneten Augen sah er, wie sich Tatsurou mit einem Kerl unterhielt! Sie kannten sich, das war klar, so oft wie sie sich berührten. War das der Kerl?! War das der, der Miya ersetzte?!
Es tat ihm so unglaublich weh, alles in seinem Körper verkrampfte sich schmerzhaft. Er zitterte am ganzen Leib. Wie konnte Tatsurou ihm sowas antun? Vor seinen Augen, vor ihrem Tonstudio??? Wie konnte er nur so kalt sein?!
Miya musste hier weg, einfach nur schnell hier weg. Er rannte so schnell ihn seine Beine trugen, merkte nicht einmal wohin. Auf einmal fand er sich vor dem Haus seines besten Freundes, Sato, und dessen Frau wieder. Er wusste nicht, wie er hier her gekommen war. Er hatte nur dieses Bild vor Augen, dass sich in sein Gehirn eingebrannt hatte: Tatsurou mit seiner neuen Liebe!
Vollkommen am Ende brach Miya vor der Haustür zusammen und merkte nicht, wie er vorsichtig in die vier Wände getragen wurde.
