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Reneé

von

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Die Schlacht beginnt

Aramis trat zu ihrer Gruppe. Es lag diese besondere Stimmung in der Luft, angereichert mit Angst, Testosteron und viel Tatendrang. Eigentlich meldeten sich gerade die Grundbedürfnisse ihres Körpers, - Essen, Schlafen, sofort, doch dafür war nun keine Zeit mehr. Die Sonne ging auf. Die Priester begannen mit der Segnung der Soldaten.

Sie musterte ihre Männer. Es handelte sich um ein Bataillon von Infanteristen, bewaffnet mit der anderthalb Meter langen Muskete, dessen Feuer bis zu 250 Meter weit reichte. Ihr Bataillon war mit zwei anderen Einheiten zu einem Regiment zusammengefasst worden. Bei Angriff des Feindes, marschierten die Musketierkompanien als große geschlossene Formation auf das Schlachtfeld. Der Schuss einer einzelnen Muskete war zu ungenau. Deshalb musste eine ganze Einheit bei Angriff gleichzeitig feuern, um die Trefferzahl zu erhöhen. Eine gut funktionierende Einheit feuerte sekundengenau zeitgleich. Die Männer sahen sie vertrauensvoll an. Anfangs hatte sie Sorge gehabt, von den mitunter rauen Männern wegen ihres weibischen Aussehens abgelehnt zu werden, aber dem war nicht so. Die Männer behandelten sie mit Respekt. Vielleicht lag es daran, dass sie den Eindruck erweckte zu wissen was sie tat. Der einfache Soldat wollte Befehle empfangen und darauf vertrauen, dass sie sinnvoll waren.

„Hauptmann Aramis?“ Aramis wandte sich um und salutierte, als sie den Leutnant der vierten Division vor sich sah.

„Sir?“

„Ihr sollt mit Euren Männer nach vorn an die Frontlinie und das 14. Regiment verstärken. Ihr untersteht jetzt Leutnant Picardie.“

„Aber wir sollen als Schützen die Reserve verstärken!“

„Jetzt nicht mehr! Das ist die direkte Anweisung von Feldmarschall de Gûines. Wollt Ihr Euch dem widersetzen?“, fragte er scharf.

„Nein, natürlich nicht!“ sagte Aramis und nickte ihren Männern zu. Brav marschierten sie durch die Reihen der wartenden Musketiere und Kavalleristen, um hinter den Kanonen der Artillerie Stellung zu beziehen. Das Mittelfeld und die rechte Seite waren durch den Wald und hastig ausgehobene Wälle und Gräben geschützt. Doch hier, auf der linken Seite, faserte die Aufstellung auf dem freien Feld aus. Keine Gräben, Wälle, Häuser, Hügel oder Wälder hinter denen man sich verschanzen konnte. Deshalb sollten sie die fordere Reihe verstärken. Hier bestand die Gefahr zurückgedrängt oder seitlich angefallen zu werden, damit der Feind dem Mittelfeld in den Rücken fallen konnte. Vor ihnen standen nur noch die Kanonen, dann freies Feld, über dem der Nebeldunst lag. Hinter seinem grauen Schleier wartete der Feind auf den Angriff. Aramis Herz begann schneller zu schlagen, als sie die weite gespenstig leere Ebene vor sich sah. Es raste vor Angst und Schrecken. Das ganze Heer wartete auf den Beginn der Schlacht, im Nebeln gespenstig verschwommen und vollkommen unbeweglich und still. So wartete es, bis zur sechsten Morgenstunde und weiter, auf einen Gegner, den es nicht sehen konnte, auf ein Zeichen, dass er endlich angriff. Doch die Spanier hatten Zeit und ebenfalls keine Lust, einen unsichtbaren Feind anzugreifen. Das stille Warten zermürbte die Männer, welche diszipliniert in ihren Reihen standen, in die neblige Wand starrten, hinter der zwanzigtausend feindliche Augen lauerten. Der weiße Dunst verzehrte alle Laute und ließ sie von überall und nirgendwo erschallen.

Plötzlich löste sich ein einzelner Kanonenschuss und schlug krachend ein. Die Erde bebte.

„Wer hat die Kanone abgefeuert?“ brüllte einer der obersten Befehlshaber des linken Flügels. Keine Antwort aus seinen Reihen, dafür die Entgegnung der kaiserlichen Armee, die jetzt das Feuer eröffnete. Der eine Kanonenschuss, wurde zum Startsignal. Es war mittlerweile sieben Uhr. Die Schlacht hatte begonnen. Beide Armeen feuerten ihre Kanonen ab. Wo der Nebel sich lichtete, quoll nun Pulverdampf hoch. Die Angst hatte Aramis jetzt vollkommen in seiner Klaue. Sie benötigte all ihre Kraft, um nicht Hals über Kopf in Panik zu verfallen und zu fliehen. In den Gesichtern ihrer Männer sah sie dieselbe furchtsame Anspannung. Sie waren dazu verdammt bewegungslos zu warten, während die Welt um sie herum erzitterte und sich verdunkelte. Der Rauch brannte in den Lungen, der Staub verklebte die Nasen, die Ohren klirrten von den lauten Explosionen.

Als die Kanonen plötzlich schwiegen, hallte es noch immer in ihren Ohren. Dann kam der Befehl zum Angriff. In Reihen stürmten die Pikeniere und Musketiere gegen die kaiserliche Armee los. Die Reiter gaben ihren Pferden die Sporen und preschten los, um aus kurzer Distanz mit Degen oder Pistole dem Feind den Garaus zu machen. Im Rauch erwarteten sie die Spanier.

Nach nicht einmal einer Stunde, bedeckten so viele Tote das Feld, dass der linke Flügel sich zurückzuziehen begann.

Die Übermacht der Spanier war einfach zu stark für Aramis Regiment. Sie versuchte ihre Männer zusammenzuhalten, geordnet zusammenzuführen und in Salvenfeuer die anrückenden Spanier unter ständigen Beschuss zu halten. Aber die einzelnen Bataillone begannen sich immer mehr zu zerstreuen. Die Kanonen hatten wieder mit dem Beschuss angefangen. Jederzeit könnte eine der Kanonenkugeln zu nah bei ihnen einschlagen. Es war die Hölle, ein Lärmkessel, aus Chaos, Hitze, Staub und Blut. Sie hatte schon aufgegeben sie selbst zu sein. Sie war eine Puppe, dazu erschaffen Befehle auszuführen, mechanisch, taub und gefühllos.

Schmerz, wie eine glühende Zange, fuhr plötzlich durch ihren Oberschenkel. Ihr Bein gab augenblicklich unter ihr nach und sie fiel in den Schlamm.

„Der Hauptmann ist getroffen!“, schrie einer ihrer Männer.

Sie versuchte sich aufzurichten, aber ihr Bein wollte ihr Gewicht nicht tragen. Nach der vergangen Nacht und einem ganzen Morgen im Gefecht, waren ihre Kraftreserven restlos aufgebraucht. Ihre Hände fuhren hilflos durch den Schlamm, in dem sie lag. Sie schaute auf. Sie sah Männer tödlich getroffen zu Boden sinken, sie sah die Leichen die das Feld bedeckten, sie sah das blutverschmierte Eisen in den Händen der Männer, die vor Blutdurst verzehrten Gesichter der Soldaten. Aus Schrecken wurde Panik. Aramis versuchte sich auf den Händen vorwärts zu ziehen, weg von dem Inferno, dem tobenden Abgrund um sie herum. Doch ihre Arme versanken im Schlamm. Sie schluchzte trocken auf. Etwas in Aramis gab auf.

Ihre Männer rückten zusammen, um einen Schutzwall für ihren Hauptmann gegen die feindliche Übermacht zu bilden. Ein kleiner Wall, gegen eine Unzahl an feindlichen Angreifern, die sie unbarmherzig bedrängten.
 

Athos Arm schmerzte vom Handgelenk bis zum steifen Schulterblatt. Seit zwei Stunden kämpfte er nun schon ununterbrochen und unermüdlich. Es hatte etwas für sich, nur als einfacher Gefreiter den direkten Gegner zu bekämpfen. Er versuchte abzuschätzen, wie die Schlacht verlief, wo die einzelnen Truppenteile standhielten und wo sie bedrängt wurden, aber um ihn herum herrschte scheinbares Chaos, Nebel und Qualm. Boten eilten über das Schlachtfeld und überbrachten die Meldungen, wie es anderorts aussah. Der mittlere und der rechte Flügel hielten die Gegenangriffe der kaiserlichen Armee stand, doch an der linken Seite rückte der Feind nun vor. Viele hohe Offiziere waren dort gefallen und verwundet. Kollabierte die Seite, stand der Feind vor dem Zentrum. Aber Oberfeldmarschall Bernhard von Sachsen-Wismar hatte für eine zweite Reihe und Reservetruppen an der linken Seite gesorgt. Es galt das Zentrum zu halten. Athos gab der Artillerie den Befehl, die kaiserliche Armee erneut unter Beschuss zu setzen, um die Spanier zu erschüttern. Die Kanonen wurden gezündet. Es dauerte einige Minuten, doch dann begann die Apokalypse aus berstender Erde und dunklem Rauch auf der gegnerischen Seite. Zeit für Athos, ein wenig zu Atem zu kommen. Er erteilte einige Befehle und wendete sein Pferd zum Hügel hinauf, um über das Schlachtfeld schauen zu können. Das Mittelfeld behauptete sich hinter Wällen und dem schützenden Wald und seinen beiden Flügeldivisionen. Der Oberfeldmarschall befehligte diese Divisionen selbst. Auch das rechte Feld hielt stand. Doch auf der linken Seite, wo nur das freie Feld zwischen den Franzosen und den Spaniern lag, war die Hölle los. Kaiser Ferdinand II hatte seine größten Truppenteile dem schwächsten Flügel Ludwigs gegenübergestellt. Es war als, würden die Spanier die linke Seite regelrecht überrennen. Die Fußsoldaten wurden immer mehr vom Gegner an die Straße zurückgedrängt. Noch hielt die zweite Reihe die Stellung. Doch wo stand die Reserve?

Plötzlich war Porthos an seiner Seite. Beide nickten sich erleichtert zu. Sie waren unverletzt und am Leben.

„Das sieht nicht gut aus, da drüben!“ meinte der Riese, der seinem Blick gefolgt war.

„Wo ist die Reserve vom linken Flügel?“, fragte Athos.

„Ich weiß nicht“, gab Porthos zu.

Athos wandte sich an einen der Boten. „Was ist mit der Reservetruppe vom linken Flügel passiert? Haben sie sich zurückgezogen?“

„Nein, die hat der Herzog doch schon vor Schlachtbeginn aufgelöst und an die Frontlinie geschickt. Um die Regimenter dort zu verstärken. Die Reserve befindet sich mitten im Kampf!“ Athos Kopf fuhr wie an einem Seil gezogen, zur heftig umkämpften Frontlinie. Aramis steckte mitten dort drin. Er spürte, wie sich sein Herz vor Furcht zusammenzog. Er sah Porthos an. Wusste dieser was das bedeutete?

„Was?“

Athos Lippen formten tonlos Aramis Namen. Er riss scharf sein Pferd herum. „Ein Bataillon Reiter zu mir. Die Spanier brechen durch den linken Flügel!“, befahl er und galoppierte los, ohne auf die Ausführung seines Befehls zu warten. Rote Schliere tanzten vor seinen Augen und machten ihn blind, für das was direkt um ihn herum geschah. Sein Pferd hatte Schaum vor dem Maul, so scharf und unbarmherzig ritt er es an der mittleren Frontlinie entlang zum linken Flügel, mitten hinein ins Getümmel. Ihm war es egal, ob ihm Freund oder Feind, unter die Hufe gerieten. Dort herrschte das reinste Chaos. Es war unmöglich, Aramis unter all den Soldaten zu finden. Immer mehr französische Soldaten fielen und wurden von Soldaten in kaiserlicher Uniform ersetzt. Schon lag sein Schwert wie ein verlängerter Arm in seiner Hand und fuhr durch die Leiber der feindlichen Soldaten. Er sah sich um. Wo war Aramis?
 

„Seid ihr die Verstärkung? Wir sollen uns zur zweiten Reihe zurückziehen“, begrüßte sie einer der Hauptmänner an der vorderen Front. Er brüllte gegen den Lärm der einschlagenden Kanonenkugeln. „Wir müssen das Feld aufgeben.“

„Wo sind die Regimenter eurer Infanterie, das zweite Bataillon?“ brüllte Athos zurück und riss den Arm vor das Gesicht, als ihn mit einem Schwall heißer Luft, explodierte Erde um die Ohren flog. Der Hauptmann zuckte die Schultern. „Wer kann dass bei dem Durcheinander das hier herrscht schon sagen. Vielleicht sind sie alle gefallen oder verstreut!“

Der Kanonenhagel hatte das Feld in eine Kraterlandschaft verwandelt. Die Erde explodierte erneut und hinterließ einen Flecken zerfetzter Leiber.

„Ihr solltet auch von ihr verschwinden. Wir überlassen den Spaniern das Feld.“ Der Hauptmann zog seine Männer zurück.

„Wo ist Aramis?“ fragte Porthos und zügelte sein Pferd.

„Ich weiß es nicht!“ Athos bahnte sich voller Entsetzen den Weg. Er sah nur Leichen und aufgewühlte Erde. „Was suchst du hier?“, fragte er Porthos fahrig. „Du gehörst doch zum Mittelfeld.“

Porthos reckte den mächtigen Brustkorb. „Ich lasse doch Aramis nicht im Stich! Und ich habe meine Jungs mitgebracht!“, erklärte er stolz und wandte sich an einen seiner Kavalleristen, die getreu hinter ihm auf Befehle warteten. „Nicolas, halt uns die Spanier vom Hals, während wir suchen!“

„Jawohl, Hauptmann Porthos.“ Porthos rundes Gesicht leuchtete auf.

Wie lang waren Aramis Haare gewesen? War sie so groß? So schlank? Athos hätte sie sofort an ihrer Art sich zu bewegen erkannt, doch in diesem Durcheinander von Toten und Verletzten konnte er den einen nicht vom anderen unterscheiden.

Dort drüben lag ein Soldat mit blonden Haaren, in der Uniform der französischen Armee auf dem Bauch und dort noch einer, nur der Arm fehlte ihm. Es war nicht Aramis. Hinter der sanften Steigung lagen noch mehr Tote. Er rannte zu dem nächsten und wieder nächsten Toten. Porthos folgte ihm. Die Mienen mancher Toten waren verzehrt, andere wirkten friedlich. Er verschloss sich gegen die flehenden Bitten der Verwundeten und suchte weiter.
 

„Was ist, wenn Aramis gar nicht mehr hier ist, sondern schon im Hauptfeld? Wir sollten von hier verschwinden, Athos, dass ist Wahnsinn!“ Widerwillig nickte Athos und ließ ein letztes Mal den Blick über die verwüstete Ebene gleiten. So viele Tote und Verletzte. Die Spanier attackierten sie mittlerweile von allen Seiten. Porthos hatte Recht, es war Wahnsinn, dass Leben seiner Soldaten sinnlos aufs Spiel zu setzen. Er wollte sich gerade umwenden, als sein Blick auf eine handvoll französischer Infanteristen fiel, die vergebens und allein versuchten, sich gegen die feindliche Übermacht zu wehren. Athos runzelte verwirrt die Stirn. Warum flohen diese Trottel nicht? Alle anderen französischen Soldaten hatten sich schon zur zweiten Reihe zurückgezogen. Hatte ihnen denn keiner den Befehl gegeben, die Stellung aufzugeben? Dann sah er den verletzen Soldaten mit den schmutzig blonden Haaren am Boden. Sie hatten Aramis gefunden und sie lebte. Er riss sein Pferd herum und galoppierte los. Porthos brüllte los, wie ein wilder Stier und haute seinem Pferd die Fersen in die Flanken. Ihre Bataillone folgten ihnen, wie ein todbringender Schweif.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  citosol
2011-08-04T21:27:34+00:00 04.08.2011 23:27
Omg, when I heard Aramis had to go to the first line I was:"NOOOO!!! ATHOS MUST KNOW THAT! HE'S NOT GOING TO ALLOW IT! ATHOS, WHERE ARE YOU?!"

And than you made it happen: Aramis wounded fell in the mud, and Athos, worried, desperate went to looking for her...okay, Porthos went along, she loves her blond friend too, but Athos...omg, he Loves her.

And now? And now?
Von:  blubbie
2011-06-26T22:53:23+00:00 27.06.2011 00:53
Oh Gottseidank, sie haben sie gefunden.
Das war ein grausames Kapitel. Aber ich denke das muss so sein. Immerhin beschreibst du hier einen Krieg. Noch dazu eine Schlacht die rein zahlentechnisch aussichtslos ist. Ich bin beeindruckt, wie sich diese Geschichte bis jetzt von deinen anderen Geschichten unterscheidet, wie z.B.: "Diplomatie im Auftrag ihrer Majestät" udn "Der Kreis schließt sich". Sie ist zwar ncoh nicht so lang, aber ich habe das Gefühl, dass s eine ganz ander Art ist. Vielleicht irgendwie realistischer? Oder macht das das Schlachtgetümmel? Ich freue mich sehr auf die nächsten Kapitel :)


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