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Falsch gedacht

von

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Als John heimkam, brannte kein Licht in der Wohnung. Nur der Fernseher flackerte beunruhigend hektisch. Ohne Ton. Sherlock saß oder hing, vielmehr, im Bademantel auf der Couch und zappte, ohne auch nur eine Sekunde bei einem Sender zu verweilen.

John blieb einen Moment lang neben den Kleiderhaken stehen und erwog, irgendetwas völlig Sinnfreies zu tun, nur um Sherlock ein neues Rätsel aufzugeben.

,Ich könnte ein Ei über seinem Kopf zerschlagen und er würde wortlos duschen gehen, weil er mich in meiner Absicht durchschaut hätte‘, ging es ihm durch den Kopf. ,Wobei - Eigentlich könnte ich es einfach trotzdem tun, weil es der Anblick so wert wäre.‘

Ein Grinsen huschte über sein müdes Gesicht und verschwand in seinem Schal, während er seine Jacke aufhängte. ,Und diesen Gedanken könnte er so wenig nachvollziehen, dass er seine Existenz vermutlich nichtmal in Erwägung zöge.‘

Vier Schritte weiter stand er in der Tür.

„Schalten Sie auf Vier, Sherlock. Und machen Sie den Ton wieder an.“

Der Angesprochene blickte nicht einmal auf, als John ihm vollkommen absichtlich durchs Bild lief und sich zu ihm auf die Couch fallen ließ.

„Vergessen Sie‘s. Die Nachrichten haben Sie verpasst.“

„Ich weiß. Schalten Sie auf Vier.“

„John, es läuft ein schlecht produzierter Serienkrimi.“

„Sherlock, ich weiß.“

Er beobachtete, wie Holmes die Brauen zusammenzog.

„Sie mögen keine schlecht produzierten Serienkrimis.“

„Tun Sie‘s einfach.“

Letztlich gewährte Sherlock ihm die Gnade der Senderauswahl - was selbstverständlich etwas völlig anderes war, als ihm einen Gefallen zu tun oder ihm gar zu gehorchen.

Die ersten Minuten waren unbehaglich wie die Stille im Wartezimmer der Vasektomieabteilung.

John bemerkte, dass er seine Schuhe noch anhatte, traute sich aber nicht, sie auszuziehen. Er war nicht mehr sicher, was er hatte bewirken wollen. Was er sich davon versprochen hatte, mit Sherlock einen drittklassigen Krimi anzusehen - dass es ihn packte und er aus der klebrigen Gedankensuppe seines unterbeschäftigten Gehirns auftauchte?

Gerade, als John sich krampfhaft das Hirn zermarterte nach einem Weg, diese Situation würdevoll abzubrechen, bemerkte Sherlock:

„Was für ein armseliger Inspector.“

John stutzte. Die Situation auf dem Bildschirm war vollkommen unkritisch, die Folge noch im Anfangsstadium.

„Warum das denn jetzt schon?“, entschlich es ihm ehrlich überrascht.

„Weil er nicht glaubt, dass es der Bänker ist.“

„Erstens - woher wissen Sie das? Und zweitens - warum glauben Sie, dass er es doch ist?“

„Zu Ersterem: Betrachten Sie doch seinen wohlwollenden Gesichtsausdruck, beachten Sie die Art, wie er auf seine nebensächlichen Erzählungen einsteigt. Er empfindet Sympathie. Daraus resultiert, dass er gar nicht glauben möchte, dass er es sein könnte. Zweitens: Haben Sie nicht bemerkt, wie sehr seine Hände gezittert haben, als er den Whiskey eingegossen hat? Er hätte selbstverständlich ein Motiv, sein Alibi ist nicht stichhaltig und seine Körpersprache verrät Angst. Vermutlich, weil er die Tatwaffe in dem Safe hinter seinem Gemälde aufbewahrt.“

„Gut, ich stimme Ihnen zu, der Inspector glaubt an seine Unschuld. Aber ich muss Ihnen widersprechen, was die tatsächliche Schuld des Bänkers betrifft.“

Sherlocks Gesichtsausdruck schwebte irgendwo zwischen ,Schön für Sie‘ und ,Bitte was?!‘.

„Wäre es für die Handlung wichtig gewesen, dass seine Hände gezittert haben, wären sie näher gezeigt worden. So war es vermutlich nur die zitternde Hand des Schauspielers. Warum denken Sie, dass sein Alibi nicht stichhaltig ist? Und warum vermuten Sie hinter dem Gemälde einen Safe?“

„Dieser untersetzte, bequeme Mann, dem die Panik zu Gesichte steht, weil ein Inspector in seinem Büro sitzt, ist kein regelmäßiger Kasinobesucher. Er scheut das Risiko zu sehr. Seine zitternden Hände“, Watson entging nicht, dass sein Einwand einfach ignoriert wurde,“zeugen ebenfalls von seiner geringen nervlichen Belastbarkeit.“

„Wie hat er es dann fertig gebracht, einen Mann zu erschießen?“

„Aus eben diesem Grunde.“

„Sie meinen, er ist einfach abgedreht?“

„Ja. Wenn es kaltblütiger Mord gewesen wäre, hätte der Täter besser gezielt.“

„Soso.“ Sherlock warf John einen undeutbaren Blick zu. Vielleicht konnte man ihn am Ehesten interpretieren als ,Ich will nicht, dass du mich Sosost. Aber noch viel weniger will ich, dass du weißt, dass mich das stört‘.

„Und warum der Safe?“

„Das Gemälde hängt leicht schief. Er hat es zu hastig aufgehängt, als er sich vergewissern wollte, dass die Tatwaffe noch da ist.“

John ließ ein paar Augenblicke verstreichen, bevor er in seine rechte hintere Hosentasche griff, sein Portemonnaie hervorzog und fünfunddreißig Pfund auf den Tisch warf.

„Zwanzig, dass es nicht der Bänker ist, zehn, dass er doch im Kasino war und fünf, dass hinter dem Gemälde kein Safe ist.“

Holmes verharrte ebenfalls kurz. Dann:

„Ich halte dagegen.“

Das Geld interessierte ihn nicht. Es ging natürlich darum, dass er richtig lag und John falsch. Aber außerdem gab es noch etwas anderes, was John in der nächsten Zeit über Sherlock erfahren sollte: Er mochte Wetten. Nicht so sehr, wie er selbst seiner Spielsucht Einhalt gebieten musste, dennoch...

Am Ende des Abends war Watson um fünfundzwanzig Pfund reicher. Holmes hatte nur fünf gewonnen und fuhr sich unablässig durch die Haare.

„Es war irgendetwas, worüber ich nicht informiert bin. Ich habe es unterschätzt, es sind andere Maßstäbe. Was war es, John?“

„Der Schauspieler des tatsächlichen Mörders war viel zu bekannt, um nur eine simple Nebenrolle zu spielen. Gleichzeitig war er aber auch zu unverbindlich dem Inspector gegenüber, als dass er eine der Polizei hilfreiche Rolle hätte belegen können. Außerdem ist er oft der Böse.“

Darauf fiel Holmes nichts mehr ein. John grinste, als er aufstand, um sich endlich die Schuhe ausziehen zu gehen. Es war einfach zu gut.

Als er genau dreiundzwanzig Stunden und einundzwanzig Minuten später die Wohnungstüre hinter sich schloss, begrüßte ihn Sherlock aus dem Wohnzimmer.

„Du bist sechs Minuten zu spät.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  galaxys-child
2011-11-15T19:44:33+00:00 15.11.2011 20:44
Das ist mal ein netter kleiner OS, der mir richtig gut gefallen hat. So kann man sich einen Abend von Scherlock und John in der Bakerstreet vorstellen, wenn es mal keinen Fall zu lösen gibt. Den trockenen Tonfall, mit dem sie sich auch in der Serie unterhalten, hast du sehr gut hinbekommen.

Man merkt, wie beide (nicht nur Sherlock!) die Herausforderung lieben. Und dass Watson gewinnt, habe ich vermutet (nein, wohl eher gehofft), da er ja viel mehr Zeit mit Fernsehen verbringt als Sherlock und daher besser um den dramaturgischen Aufbau eines Fernsehkrimis und dessen Darsteller weiß.

Lustig geschrieben ist es außerdem! Am besten fand ich: "Die ersten Minuten waren unbehaglich wie die Stille im Wartezimmer der Vasektomieabteilung." :-D

Gerne mehr davon!

Viele Grüße
galaxys-child
Von:  Science
2011-11-10T14:32:27+00:00 10.11.2011 15:32
Harrr. Dies mir!

Ich maaag Deinen Sherlock, aber das haben wir ja schon geklärt. :) Ich mag auch dass sie sich siezen. Zuerst dachte ich bei der Serie, das passt ja mal so gar nicht, wie soll man damit was schreiben? Das klingt ja dann mörderdistanziert. Aber bei Dir funktioniert es, ich mag diesen leicht unbeteiligten bis selbstgefälligen Tonfall in Verbindung mit dem höflichen Sie. Und ich mag Deinen sich nicht so rumschubsen lassenden John!

Liege ich eigentlich richtig mit der Annahme, dass hinter dem Bild doch ein Safe war? xD Von der Wetteinnahmenverteilung her.

...hab ich mich eigentlich bedankt?
Danke man! :)

Lena.
Von:  -Arizona-
2011-11-09T15:06:48+00:00 09.11.2011 16:06
Hi,

ich bin über deine kleine Sherlock-Geschichte gestolpert und fand sie richtig toll gemacht! Ich liebe es, wenn man an einem einzigen Moment den gesamten Zusammenhang der ganzen Geschichte erkennt, das war bei dir so, und zwar an der Stelle:"Das Geld interessierte ihn nicht. Es ging natürlich darum, dass er richtig lag und John falsch." Daran merkt man einfach, dass eine Geschichte gut konstruiert ist.:)

(Ach ja, da fällt mir ein: der Titel der Story ist auch schön, ich wusste überhaupt nicht, wie du das jetzt gemeint hast, was mich auch zum Lesen bewogen hat!)

Der Anfangssatz war auch toll, erst erwartet man irgendwas total Spektakuläres (Ich hab irgendwie gedacht, dass Sherlock es wohl endlich geschafft hat, sich mit seinen Experimenten selbst in die Luft zu sprengen... Tja: Falsch gedachtxD)

Mein absoluter Lieblingssatz:"Was er sich davon versprochen hatte, mit Sherlock einen drittklassigen Krimi anzusehen - dass es ihn packte und er aus der klebrigen Gedankensuppe seines unterbeschäftigten Gehirns auftauchte?"

(Ich würd ja auch gerne mit Sherlock drittklassige Krimis ansehen:D)

Die "Sherlocks Gesichtsausdruck schwebte irgendwo zwischen ,Schön für Sie‘ und ,Bitte was?!‘" und die Vielleicht konnte man ihn am Ehesten interpretieren als ,Ich will nicht, dass du mich Sosost. Aber noch viel weniger will ich, dass du weißt, dass mich das stört‘." Stelle fand ich auch noch sehr schön!^.^

Ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn ich trotzdem ein paar Kleinigkeiten anmerke: Man schreibt nicht 'Bänker', sondern einfach nur Banker.. das erste war DenglischxD
Und: In der Geschichte Siezen sich John und Sherlock, außer am Ende. Da sagt Sherlock:"DU bist sechs Minuten zu spät." Eine einheitliche Form wäre da besser.

Ansonsten: Tut mir leid, dass ich dich hier so zugetextet habe, und danke für das Lesevergnügen!:D

Liebe Grüße,
Chevy






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