Zum Inhalt der Seite

Der Zauberlehrling

Eine Interpretation
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Sturmfreiheit

Ein aufgeregtes Kribbeln beginnt in meinen Fingerspitzen und breitet sich in meinem ganzen Körper aus. Der Grund ist ein dumpfer Knall. Mit großartigem Schwung hat ein gewisser Herr mit spitzem Hut, der es normalerweise als herrlich empfindet mich herumzukommandieren, die schwere Holztür zugeworfen.

„Ruhig Blut!“, rufe ich ihm übermütig nach, wohl wissend, dass er mich nicht mehr hören kann. Sonst hätte ich mich das wohl nicht wirklich getraut. Wahr gesprochen, mir ist meine Gesundheit nicht gerade unwichtig. Normalerweise zügle ich also das Mundwerk statt frech zu werden, aber jetzt …

Sturmfreiheit!

Ich beuge mich schon einmal vorsichtshalber über den vergammelten Eimer, falls der große, große Meister zurückkehrt. Doch auch nach weiteren Minuten und vielen aufgeregten Herzschlägen bleibt die Tür geschlossen, der ungemütlich steinerne Raum ruhig. Ein hysterisches Lachen entweicht mir. Ich soll ernsthaft weiter diesen Gammeleimer herumschleppen?

In welcher Welt leben wir eigentlich? Ich bin ein schlaues Kerlchen und ich weiß durchaus, dass mein Meister etwas anderes tun könnte, statt mich die schweren Eimer schleppen zu lassen. Einmal hat er nämlich einen Besen verhext, und was habe ich getan? Mir den Zauberspruch gemerkt, natürlich!

Denn der Besen hat Arme und Beine gekommen, die Eimer geschleppt und den großen Badebottich rascher gefüllt als ich es je vermöge. So ein Besen scheint ganz schön kräftig zu sein, wenn ich da an meine Arme denke.

Der Meister meint immer, in ihnen stecke nur Krötenschleim, und dass ich zu schwach für den einfachsten Zauber sei. Doch ich weiß ganz sicher, dass ich viel zu ausgefuchst bin, um mich von irgendeinem alten Tattergreis und rätselhaften Worten ins Boxhorn jagen zu lassen. So schwer kann es doch wohl nicht sein!

Rasch laufe ich zum Besen und klopfe ihm nahezu freundschaftlich auf das morsche Holz. Dass so viel Kraft in diesem alten Borstenschwinger steckt, kann ich noch immer nicht glauben, aber zumindest hart ist das Holz. Probehalber spanne ich meine Armmuskeln an, aber mir reicht das Tasten und meine Laune ist gedämpft. Es fühlt sich überhaupt nicht wie Krötenschleim an, nur irgendwie … ein kleines bisschen wie … ähem.

Krötenschleim.

„Egal! Rasch, rasch!“ Ich klatsche voll Tatendrang in die Hände und räuspere mich, um den Zauberspruch zu beginnen, doch ich entschließe mich dafür, dass ich eindeutig noch etwas brauche, um mehr wie ein Magier zu wirken. Das Auge isst schließlich mit, wieso also zaubert es nicht auch gemeinsam mit dem Verstande?

Ich blicke mich um und entschließe mich spontan dazu, mir einen langen Stock zu nehmen und ihn wie einen Zauberstab zu schwingen. Dann hülle ich mich in eine ausgebleichte Decke, die noch leicht rötlich wirkt, wie die Farbe der Könige. Jetzt bin ich bereit dazu, das erste Mal zu zaubern. Ich könnte vor Freude jauchzen und dennoch empfinde ich einen gewissen Respekt vor den Worten.

„Oh, komm schon!“, versetze ich genervt.

„Du wirst doch wohl keinen Bammel haben dich vor der Arbeit zu drücken? Du erleichterst es dir doch nur! Als würde der Meister es je erfahren! Kaum taucht der in sein Bad schmilzt sein Gehirn vor der Hitze und den Dämpfen, und hinterher ist er lahm wie ein Kriechtier und schläfrig wie eine fette Katze!“

Der Dialog von mir – mit mir – zeigt einmal wieder, dass es um meine geistige Gesundheit nicht mehr allzu gut bestellt ist, seit ich mit dem Meister zusammen lebe. Jedoch muss man sagen, dass ich wesentlich beruhigter bin, nun, da ich es tatsächlich geschafft habe mir selbst Mut einzureden.

Zumindest ein wenig.

„Nun, sodann!“ Ich bemühe ich mich um eine imposante Ausdrucksweise und baue mich hoch vor dem Besen auf, wobei ich mit dem Stab wie anklagend auf ihn zeige. Jämmerlich ist er niedergelegt auf dem Boden und muss sich meinem Willen beugen. Derzeit ist er ja auch noch nicht lebendig, aber fortan bin ich der Meister, dessen Untertanen ihm das Wasser zu Bade tragen.

„Armseliger Besen, so höre mich an, und erkenne mich als deinen neuen Meister!“

Natürlich ist das alles nur blanke Prahlerei und überflüssiges Reden, doch ich gefalle mir in meiner neuen Rolle besser und besser. Mit einer ausschweifenden Bewegung werfe ich einen Deckenzipfel über meine Schulter und recke den Stab zum Himmel empor.

„Die Macht der ungreifbaren, unvorstellbaren Magie liegt in meinen Händen und fließt in meinen Adern statt des Blutes eines unterlegenen Menschen! Somit fordere ich dich auf, höre die Worte, welche dir das Leben schenken, um mir zu dienen!“

Ich muss nach Luft schnappen, so sehr habe ich meine Stimme erhoben, und brauche einige Atemzüge, um nun tatsächlich die Formel zu beginnen.

„Worte fein,

wie Glas und Gold und edler Stein,

schenken dir das Leben,

und für jede Seit' das pass'nde Bein,

denn auf Wunsch meiner selbst,

du sollst wandelnd sein!“

Nichts geschieht, doch ich mache mir keine Sorgen, habe ich doch unter meiner wollenen Decke hervorgelugt während der Hexerei des Meister, und gesehen, dass erst zum Schluss des Spruches tatsächlich das beschworene Leben auftritt.

Ich befeuchte meine trockenen Lippen mit der Zunge und räuspere mich, um die nächste Strophe herrisch zu verkünden, die Arme weit von mich gestreckt.

„Worte warm,

wie Sonne und Leben und keimender Sam',

schenken dir das Leben,

und für jede Seit' den pass'nden Arm,

denn auf Wunsch meiner selbst,

ich dich zu wandeln ermahn!“

Schon jetzt kann ich erblicken, wie der hölzerne Stiel des Besen zuckt, so als sei schon ein wenig Leben in ihn gehaucht und warte darauf, endlich davor zu strotzen , um sich zu erheben. Und mir ergeben zu sein!

Aufgeregt richte ich die Decke ordentlich auf meinen Schultern, trete dichter auf den Besen zu und steigere tatsächlich noch meine Lautstärke, um dem auferstehenden Ding ein wahres Hörvergnügen zu bereiten.

„Worte kräftig,

wie Bär und König und das Leben prächtig,

schenken dir das Leben,

und jedes Teil von dir so schmächtig,

auf Wunsch meiner selbst,

du des Wandeln seist mächtig!“

Der Besen macht einen plötzlichen Satz in die Luft und landet polternd wieder auf dem steinernen Boden, bevor er gleich noch einmal nach oben springt. Ich stolpere einige Schritte zurück und beobachte mit schreckensgeweiteten Augen den zuckenden Holzbesen, aus dem sich langsam, und mit einem ekelerregend knackenden Geräusch, Auswüchse wie Arme und Beine bilden. Ich verhedderte mich in der Decke, strauchle, und pralle gegen den Tisch, an dessen Kante ich mich klammere.

Ganz ehrlich, ich bin niemand, der sich leicht erschreckt, aber wenn ein stinkendnormaler Besen ein solches Spektakel veranlasst, dann jagt einem das einen gehörigen Schrecken ein, das sage ich euch, wohl wahr!

Es knackt noch eine Weile, doch endlich beruhigt sich der Lärmpegel und ich bin fähig, erneut das Atmen aufzunehmen und mein Herz zu bändigen.

Vor mir steht ein Besen mit Armen und Beinen.

Klackend bewegt er sich auf den Eimer zu, der, dem Herrn sei's gedankt, weit von mir entfernt steht. Ich will nicht in der Nähe dieses widerwärtigen Dings sein, das einst ein Besen war.

Dennoch recke ich den Hals und beobachte, wie er quicklebendig zum Eimer greift und damit entschwindet .

Das laute Klacken seiner Beine verhallt allmählich, und ich sammle mich wieder. Mit zitternden Fingern richte ich die Wolldecke auf meinen Schultern, lege den Stab nieder und stakse zu meiner Pritsche. Es ist Zeit, mich auszuruhen, schließlich habe ich gerade dafür den Zauber gewirkt.

Dennoch finde ich keine so rechte Ruhe und schaffe es nicht meinen Kopf ruhig niederzulegen. Stattdessen recke ich den Hals erneut und stiere zur Türe. Das Klacken wird wieder lauter, lauter und nochmals lauter, dass es mir die Kehle zuschnürt. Das unnatürliche Wesen ängstigt mich, und trotz alledem keimt so etwas wie Freude in meinem Inneren auf, als ich es sehe, wie es zielsicher den schweren Eimer zum Bottich am Boden trägt.

Schwungvoll ergießt sich das Wasser mitten hinein, und kaum ist der letzte Tropfen gefallen, da ist der Besen schon längst wieder auf dem Wege nach draußen, um noch mehr zu holen. Ich weiß bestimmt, dass in kürzester Zeit meine Arbeit getan sein wird, und ich meinem Diener wieder das Leben entziehen kann.

Dann würde ich mich tatsächlich lang strecken und die Augen schließen, um mich in das Land der Träume entführen zu lassen und dort gänzlich anderes zu verleben, als ich es jemals im tristen Alltag zu tun vermöge.

Doch für den jetzigen der Momente sitze ich dort, steif, als ob mich nun des Besens Steifheit überkommen hätte. Für einen kurzen Herzenspocher erfüllt mich dieser Gedanke mit Schrecken, doch nur ein Lachen entfleucht meiner Kehle, schlussendlich schließlich bin ich der Mensch und gab dem widrigen Holzbesen nicht meine Lebendigkeit, um ihn zu solcher zu bringen. Nicht wahr?

„Oh, du närrischer Flegel!“, schelte ich mich selbst. „Welch Gedankenspiele dich ängstigen!“ Kein kleines Gör würde Angst wegen derlei großartiger Fantasien verspüren. Lächerlich, was dieser Besen für Gefühle auslöst in mir. Dennoch, kaum ist er das nächste Mal über die Schwelle hinweg, tragen mich meine Füße schneller zum Bottich, als der Meister mich „Taugenichts“ nennen kann.

Der Pegel des Wasser schwappt noch immer, wegen dem letzten Eimerguss, doch man kann erkennen, wie viele Liter sich bereits darin befinden. Nur noch wenige Eimer und schon, endlich, würde ich dem Besen das Leben entziehen können. Dann müsste ich nur noch die Holzscheite unter dem Badebottich anfeuern und das Wasser erwärmen, versetzen mit exotischen Salzen und Ölen, und schon wäre alles bereit.

Meine Arbeit getan.

Ein Lächeln, gar zufrieden und stolz, schleicht sich auf meine Lippen. Wie der Meister staunen würde! Und wenn er nur wüsste, welch ausgefuchsten Trick ich angewandt hatte. Oh, welch Überraschung das wäre! Ob der Meister mir je derartiges zugetraut hätte? Sicherlich nicht.

Summend breite ich die Arme aus, tanze wiegenden Schrittes umher, froh mit mir und der Welt, bis ich abermals die Schritte vernehme. Nein, nahe des Bottichs und des Besens zu sein ist nicht mein Bestreben. Langsam tänzle ich zu meiner Pritsche zurück, jedoch zu unruhig, mich zu setzen. Ich spähe zu dem hölzernen Diener herüber, sehe das Wasser durch die Luft fließen und mit einem lauten Rauschen in den hölzernen Bottich prasseln, den Besen erneut auf seinem Wege.

Welch Einfachheit mein Leben annehmen kann, wenn nur nicht die Argusaugen des Meisters jede meiner Bewegungen und Taten genauestens fixieren! Manchmal scheint er mir adlergleich, und mich überkommt ein Gefühl der Kleinheit, mausähnlich.

Ganz so, als sei es ein Privileg, seinen Blick überhaupt zu spüren und seine Lehre genießen zu dürfen. Dabei zählte es nun schon zwei ganze Lenze, seit ich die Lehre begann. Und dies ist der erste von mir gewirkte Zauber. Ist denn dies zu fassen?!

Alles, was ich tue, ist das Sortieren von den widerwärtigsten Zutaten. Froschaugen und getrocknete Fledermausflügel, von Schimmel überzogene Beeren, lebendige Maden. Und auch säubern darf ich, den Meister bekochen, das Feuer schüren oder eigens entzünden, wenngleich dies vom Meister mit einem kurzen Spruch gewirkt werden konnte.

Des Abends dann, wenn meine Glieder bereits schwer und müde waren, paukte ich gemeinsam mit ihm die großartigsten Begriffe und Anwendungen, komplizierte Formeln, Sprachen, so alt, dass nur noch eine handvoll Menschen überhaupt ihren Namen kannte. Alles war so theoretisch!

Dabei ist es doch nicht einmal so schwierig zu zaubern – die Geister der Magie zu rufen. Ich habe es doch selbst erkannt und kann den Beweis mit eigenen Augen sehen.

Kaum, dass der Besen noch zwei Eimer entleert hat, springe ich behände zum Bottich hinüber. Welch Freude!

Die Arbeit meines Dieners ist nun endlich getan. Ich will keine Zeit mehr verlieren, keine großartigen Reden schwingen und einen Zauberstab dazu. Nein, ich werde einfach den Spruch aufsagen und ihm das Leben entziehen.

Ich räuspere mich und rufe mir die Worte ins Gedächtnis. Der Besen marschiert mit dem nächsten Eimer auf den Bottich zu.

„Halte ein!“, donnere ich und breite die Arme aus. Es bleibt keine Zeit zu verlieren.

„Höre mich an, Knecht!

Wandelnd zu sein,

du hast verwirkt dein Recht,

Lebend zu sein,

das wäre nicht echt.

So endet das Gefecht!“

Der Besen hält inne und wartet still auf meine weiteren Worte, den Eimer in der Hand.

„Höre mich an, Besen!

Viel zu lange du lebendig gewesen,

in meinen Worten sollst du lesen,

du sollst …“

Ich schnappte nach Luft, mein Kopf so leer wie der Badebottich noch zu Beginn gewesen.

„Du … du sollst ...“

Der Besen tut einen langsamen Schritt, einem Schlafwandler gleich, so, als wolle er versuchen, ob er dessen fähig war. Ich frage mich, ob solch ein Besen tatsächlich fähig ist zu fühlen, wenn er schon lebt. Was, wenn er nicht gewillt ist, zu sterben? Denn damit ist seine Leblosigkeit durchaus vergleichbar.

Doch, nein! Hinfort mit diesen Gedanken, hinfort damit! Ich brauche die Formel. Ich brauche die Worte.

„Viel zu lange du lebendig gewesen,

in meinen Worten du sollst lesen, nein!

Viel zu lange du lebendig gewesen,

in meinen Worten sollst du lesen … du sollst … Besen, höre mich an, ich … entziehe dir ...“ Was soll ich sagen? Ich entziehe ihm Spesen? Wo sind die Worte? Welcher Reim ist geeignet? Und wie ist die Anordnung denn nun?

Der Besen nun wird schneller, seine Schritte sicherer. Mit einem Kieksen springe ich beiseite, bevor er gegen mich prallt, und er schüttet den nächsten Eimer in den Bottich. Der Pegel freilich ist nun gestiegen bis an den Rand, erste Rinnsale bahnen sich den Weg zum steinernen Boden.

Panik erfasst mein Herz und breitet sich rasch aus bis zu meinen Zehenspitzen, kribbelt in jeder Faser meines schmächtigen Körpers, pocht und zwickt an meinen Gedanken herum, knabbert sie an, sodass sie nur noch halb scheinen. Zu nichts zu gebrauchen. Um Gottes Willen, was nun soll ich tun?

Bei allen guten Geistern! Ich bin verloren!

Der Besen ist erneut auf dem Wege, um Wasser zu holen, und wird er dies weiterhin tun, bis der Meister kommt, wird nicht nur mein Bluff auffliegen, nein, bis dahin wird bereits der gesamte Boden geflutet sein mit Wasser!

Ich falte die Hände, die Augen fest geschlossen, sende bittende Gedanken zum Himmel, doch in mir wächst die Gewissheit, dass nur ich etwas tun kann. Nur ich kann die Katastrophe verhindern und meine Haut retten.

Nur ich bin fähig mit meinen Händen dem Monstrum Einhalt zu gebieten. Und ich bin dazu verpflichtet!

Ich lege die Fingerspitzen an meine Schläfe, als wäre es mir so besser möglich, darüber nachzudenken, was zu tun ist. Doch es scheint mir nicht zu helfen. Nichts auf der Welt scheint helfen zu können außer dem Spruch. Aber selbstverständlich! Ich muss ihn finden. Zwischen den Aufzeichnungen des Meisters.

Ich renne herüber zu den Regalen, dicke Bücher türmen sich in den irrsten Stapeln, die wirken, als würden sie bei auch nur einer Berührung in sich zusammen fallen und mich unter sich begraben. Wie soll ich das richtige Buch finden, und unter den hunderten Seiten den richtigen Spruch finden? Und wie soll ich dies bewerkstelligen, ohne den Bücherturm in sich einstürzen zu lassen?

Hinter mir ertönen die Schritte des Besens, ich höre das Wasser gegen die Eimerwände schlagen und weiß, dass es nun in den übervollen Bottich soll. Ich muss dies doch irgendwie verhindern können! In meiner gedankenlosen Panik stürze ich auf den Besen zu, mit ausgestreckten Händen.

„Nein!“, erschallt mein Schrei gellend und ich werfe mich gegen das Holz, doch alles, was geschieht, ist, dass ich zurückgeworfen werde und auf den Boden stürze. Meine Brust tut an der Stelle weh, an der ich mit dem Besen zusammengeprallt bin, und noch ehe ich verstehe, dass der elende Knecht nicht aufzuhalten ist, fließt das Wasser auf den Boden. Mein entsetztes Gesicht spiegelt sich in der sich ausbreitenden Pfütze.

„So halte doch ein! Beende dieses kranke Spiel!“, meine Stimme klingt flehentlich und dünn. Und selbstverständlich hört der lebendige Besen nicht auf mich, vielmehr führt er seine Arbeit aus wie ihm aufgetragen, seine Schritte tragen ihn weiter und weiter.

Ich richte mich auf, drehe mich im Kreis, ohne zu wissen, wo meine Gedanken mir stehen. Schon kommt der Besen in seinem eigenartigen Schrittetakt zurück, ein bedrohendes Geräusch.

Ich stelle mich vor den Bottich, zwinge mich dazu, meine Füße keinen Millimeter weichen zu lassen. Hier wird er nicht vorbei kommen. Immer näher und näher gerät er mir, immer näher, bald werden wir abermals aufeinander prallen, er muss doch wohl -

Mit einem Ächzen werde ich zu Boden geschleudert, der Besen steigt hinweg über mich. Erneut fließt das Wasser über, die Pfütze breitet sich aus, ganz so als sei die Ebbe vorbei und die Flut käme in das alte Haus des Meisters.

Meine Kehle scheint nicht länger fähig zu schreien, meine Lippen zittern. Ich richte mich auf und meine Handflächen brennen, mein Körper ächzt. Ich komme nicht an gegen die Höllengestalt. Mein Körper ist zu schwächlich. Was nur kann ich tun?

Verängstigt sehe ich auf die Pfütze am Boden. Zuerst einmal brauche ich einige Lumpen verteilt, um die Überflutung zu verhindern, oder wenigstens einzudämmen.

Rasch laufe ich in die Kammer, in welcher das Werkzeug lagert, und zerre alle Putzlumpen heraus, werfe sie auf den Boden, um wieder zurück zu laufen. Der Besen durchnässt sie alle mit dem nächsten Eimer. Ich brauche noch mehr.

Eimer um Eimer entleert sich in den Bottich, strömt auf den Boden, überall hin breitet sich das Wasser aus, bald schon wird es den großen Tisch erreicht haben und noch weiter quellen. Von überall her hole ich Lumpen, Decken, Tücher.

Geschwind renne ich vom Bottich in die Kammer und zurück, wieder und wieder.

Da blitzt Metall in dem blassen Licht auf, das durch die dünne Luke oben scheint, als ich in den kleinen Raum laufe. Ich sehe sie, und noch bevor ich ganz begreife, wie mir geschieht, halte ich bereits die Axt in Händen.

Was soll schon Holz gegen scharfes Metall ausrichten können? Was schon? Wieso nur bin ich nicht früher darauf gekommen, wo ich ohnehin das Holz für den Ofen hacke?

In mir reift der Wille auf den Besen einzuschlagen, bis seine Einzelteile auf dem Boden liegen mögen. Erfüllt von Wut und Tatendrang hebe ich das schwere Gerät über meinen Kopf, und kaum dass der Besen abermals erscheint, saust meine Waffe schon nieder.

Der Besen wird knackend zerteilt, seine obere Hälfte mit den Armen daran stürzt einfach auf den Boden nieder, und auch das andere fällt zu Boden.

Still liegen die beiden Enden dort, und zufrieden über meine Arbeit, sinke ich daneben auf den Untergrund.

Lieber würde ich einen neuen Besen kaufen, als jemals wieder diesem Monstrum ausgeliefert zu sein. Ich lege die Axt beiseite, als da plötzlich ein Schauspiel beginnt, welches meinen Schrecken ganz und gar abrundet und noch um das zehnfache verstärkt. Oh, wie kann dies nur geschehen?!

Knackend beginnen die beiden Teile des Besens sich erneut zu verwandeln. Dem einen Teil wachsen die Beine, dem anderen die Arme, und da zu zweit sie sich erheben. Einer von beiden nimmt sich den Eimer, den anderen kann ich erstarrt vor Schreck nicht daran hindern, den Kessel von der Feuerstelle zu nehmen.

Was habe ich getan?! Wie nur soll ich dies wieder gut machen? Gleich zwei unbesiegbare Knechte nun machen mir das Leben schwer und füllen die Stube weiter und weiter, unaufhaltsam mit dem Wasser.

In meine Augen steigen die Tränen von Hilflosigkeit, Wellen der Verzweiflung schlagen über mir zusammen. Ich drohe in einen Strudel zu fallen. Überall Wasser, Wasser, nur noch Wasser! Ich werfe mich auf die Knie, mein Beinkleid saugt sich voll, während ich mit durchnässten Lumpen versuche die Überflutung zu verhindern und irgendetwas dagegen zu tun, doch ich schiebe nur die eine Welle zur anderen umher.

Und immer wieder hüpfe ich davon vor den grausamen Besen, vor denen mich so bangt. Oh, welch Unglück bricht nur über mich herein!

Des Meisters Wut wird nicht zu zügeln sein, vor die Tür sitzen wird er mich, und so habe ich durch mein leichtsinniges Handeln meine Zukunft als Magier auf ewig verwirkt! O weh, o weh!

Und dennoch sehne ich mich nur noch nach seiner Ankunft, nach dem starken Meister, welcher dem Spuk ein Ende bereitet und endlich die grauenhaften Knechte zur Ruhe bringt. Gerne werde ich jeden einzelnen Tropfen aufwischen, mich katzbuckelnd entschuldigen und weinend von dannen ziehen, so lange nur dieser Alptraum endlich aufhören möge.

Meister! Bitte, bitte kehre doch zurück!

Ein Schluchzen entringt sich meinen Lippen, da fliegt die Tür mit lautem Krachen wieder auf, donnert gegen die Wand und in ihr sieht man die imposante Silhouette des Meisters stehen, welcher mit schnellem Blick die Lage erfasst. Ich springen auf, laufe auf ihn zu, doch er deutet mir mit schwungvoller Geste an, zu bleiben, wo ich sei.

Von ihm perlen die Worte nur so in den Raum, schnell genug, um unverständlich zu sein für mich, und als die Besen leblos auf den Boden stürzen, fällt die Angst von mir ab. Mit zitternden Gliedern sinke ich erneut zu Boden, kann mich nicht mehr auf den Beinen halten.

„Nun, sodann erwarte ich eine Erklärung für dieses Spektakel!“

Großen Schrittes schreitet der Herr auf mich zu, seine Augen auf mich gerichtet, blitzend vor Zorn. Es scheint als würde ein Gewitter in dem weiten Grau seiner Iris zu toben, welches sich auf mich entladen mag.

„Meister, ich ...“, beginne ich, doch ich kann die Worte nicht zu Ende führen.

„So lass mich dir helfen. Ich nehme an, deine Faulheit hat dir deinen Verstand vernebelt? Deine Dummheit dich glauben lassen, der Zauberei gewachsen zu sein? Siehe an! Ein Glück, dass du nicht abgesoffen bist, du Tunichtgut!“

Seine Worte fühlen sich an wie Faustschläge, schlimmer gar. Ich senke den Kopf und dränge die Tränen zurück.

„Bitte vergebt mir. Ich bitte Euch! Nimmermehr mag ich so töricht sein!“

Seine Hand packt mich an der Schulter, weit fester, als man dem alten Herren zutrauen mag, er zerrt mich auf die Beine, und mit sich hinüber zu den Bücherregalen.

„Sieh mir in die Augen!“

Ich hebe den Kopf, und den Blick, langsam schweifend über seinen langen Bart, seine Knollnase, bis hin zu den stechend klaren Augen. Es fühlt sich an, als würde ich verbrennen.

„Wo hast du also den Spruch gefunden, Lehrling? In welchen meiner jahrhundertealten Bände hast du deine diebische, dreckige, kleine Nase gesteckt? Antworte!“

Ich fürchte mich so sehr vor der Reaktion auf meine Antwort wie vor den Besen, doch wenn ich meinen Meister nicht noch weiter erzürnen will, muss ich ihm die Wahrheit sagen, und zwar auf der Stelle.

„In keinem der Bücher sah ich nach. Einst hörte ich Euch, wie Ihr jenen Spruch gesprochen habt, und merkte ihn mir, um ihn später zu gebrauchen. Die Gegenformel jedoch brachte ich durcheinander ...“

Stumm sieht mich der Meister an, mustert mich, vielleicht auch meine Seele, wer sagt schon, dass er diese Fähigkeit nicht besitzt?

„Bitte vergebt mir!“, bricht es aus mir heraus, doch noch immer spricht er kein Wort und sieht mich nur an. Was nur kann ich tun, damit ich hier weiter bleiben darf, wie kann ich ihm klar machen, dass ich weiß, weshalb die Zauberei für mich noch zu gefährlich ist? Ich weiß mir keinen Rat.

„Was stehst du da noch herum?“, schreit er plötzlich wütend, und in mir scheint etwas zu zerbrechen.

„D-darf ich meine Kleider noch wechseln?“, frage ich mit gesenktem Blick, die Hände zu Fäusten geballt, meine Zähne auf die Unterlippe beißend. Ich möchte ihm nicht zeigen, wie sehr er mich verletzt. Dies werde ich auf gar keinen Fall tun.

„Aber selbstverständlich nicht! Wo kommen wir denn dann hin?! Du wirst sie gebrauchen, um alles aufzuwischen, und dabei deine nasse Kleidung anbehalten! Danach richtest du mir mein Bad – allein! Essen gibt es für dich erst morgen wieder! Und später wirst du mir die 68 Anwendungen der Zwiebelwurzel aufschreiben, auf lateinisch, deutsch und altgriechisch! Deine Kenntnisse der alten Sprache sind noch nicht weit genug fortgeschritten, aber erwarte nicht, dass du in Zukunft darum herum kommst, die Anwendungen in sieben verschiedenen Sprachen zu beschreiben! Ich vergesse nie!“

Überglücklich höre ich mir seine Strafen an. Er wird mich behalten, ich werde meine Ausbildung weiterführen! Ich kann es kaum erwarten, mir die Nacht um die Ohren zu schlagen und meine Schuld abzuarbeiten.

Mein ganzes Gesicht muss strahlen, als ich ihn ansehe.

„Aber natürlich! Ich beginne sofort!“, rufe ich voller Stolz und Erleichterung. Flüssiges Glück scheint durch meine Adern zu fließen und erfüllt mich. Ich wirble herum, bringe Eimer und Kessel, wohin sie gehören, und kann dabei das Summen einer lustigen Melodie nicht lassen.

Auch nicht, als ich beginne, den Boden mit meiner Kleidung zu wischen. Der Meister setzt sich in die trockene Ecke auf seinen großen Stuhl vor dem steinernen Pult.

Meine Torheit zu vergeben ist von solcher Großzügigkeit – und ich frage mich, wie ich jemals wütend auf den Meister hatte sein können, wo ich ihn doch nun vor Freude umarmen könnte. Und aus dem Augenwinkel sehe ich sogar, wie er mich versonnen, lächelnd ansieht, bevor er sich mit sauertöpfischer Miene erneut seinen Schriften zuwendet.

Ich höre seine Feder über das Papier kratzen. Wie dankbar bin ich dafür, sie auch noch in Zukunft hören zu dürfen!



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2012-01-24T18:19:05+00:00 24.01.2012 19:19
So.. und auf gehts:

Zuerst mal herzlichen Dank für deine Teilnahme an meinem WB.

Woah *.*
ICh bin schlichtweg begeistert. Einen einmaligen Schreibstil hast du da, der mit viel Wortwitz, tollen Metaphern und einem rotzfrechen, größenwahnsinnigen Hauptchara alles nur zu lebendig wirken lässt ^.^

Im großen und Ganzen hast du "Dem Zauberlehrling" ein flottes und modernes Äußeres verpasst.

Die selbstgereimten Zaubersprüche und der leicht überdramatisierte, emotionale Touch sind dann noch das Sahnehäupchen auf dem ganzen.

Wir hatten richtig Freude beim Lesen und außer ein paar Rechtschreib- und Beugungsfehlern nicht viel zu beanstanden.
Die Essenz des Gedichtes tropft quasi aus jeder Zeile. ^.^
und trotzdem ist etwas Einzigartiges entstanden.

Dankeschön, dass du uns so ein Lesefeuerwerk beschwert hast ^.^

LG
memento


Zurück