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Himmel aus Blut 2 - Götterdämmerung

von

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So, endlich schreibe auch ich mal wieder. Hier ist also der zweite Teil meiner FanFic "Himmel aus Blut" den einige wohl so sehnsüchtig erwarten ^.- Wer den ersten noch nicht gelesen hat, könnte möglicherweise Probleme bekommen bei dem hier, ich weiß es aber nicht. Ich hoffe, das ist alles okay geworden. Also dann, ich freu mich auf Kommentare, falls denn welche kommen.
 

Eure Aleksiel
 

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Irgendwann, lange, lange vor uns, am Anfang der Zeit...

Schatten huschten durch dämmriges Gehölz, wie tanzende Feen über eine Sommerwiese, Lachen hallte wieder von den Wipfeln der Bäume, wie ein kaltes, lebloses Echo von schneebedeckten Berggipfeln. Neumond verbreitete süße, schwere Finsternis über das Land, die dennoch hell schien wie Licht, gegen die Finsternis der Ersten. Stimmengewirr hüllte den Wald in Nebel, in kristallene Süße, in zuckrige Schwere, schien den Himmel hier hin zu bringen, wo er doch nicht war und Engel mit weißen Flügeln huschten durch die rote, glitzernde Morgendämmerung auf Tau benetzten Wiesen. Engelchöre schienen zu singen, als goldener Schein über den Horizont der Welt trat und alles in göttlichen Glanz hüllte. Doch dann zerschnitt tosender Flügelschlag die Schönheit des anbrechenden Morgens und Tausende Dämonen überzogen das schimmernde Firmament mit Schwärze und hüllten alles ein wie eine erdrückende, schwere Decke. Hallender Donner waren ihre Schreie. Sie mähten durch die hilflosen Reihen der Engel. Blindwütige Killer, gedankenlos und reulos. Unter ihnen erklangen die gepeinigten, wehrlosen Schreie ihrer Opfer, die selbst jetzt noch schön waren, aber dem Tode geweiht und die schreiend flohen, über unebenen Waldboden und tückische Morgenwiesen, die so schön waren wie von Diamantsplittern überzogener Samt und dennoch gefährlich. Wie gern wären sie geflogen, doch sie konnten es nicht, gezwungen von Dunkelheit. Dann stoppte der Zug der Mörder, wie vor einer unbezwingbaren Mauer. Vor einem Tor, riesig und golden wie die Sonne selbst und es zwang sie zurück. Das und das Wesen davor. Das einzige, was stehen geblieben war. Alle waren sie geflüchtet in die geheiligten Hallen des Friedens, wie feige Memmen, doch eine war stehen geblieben und hatte gewartet. Rein und weiß wie eine sanfte Marmorstatue. Ein weiblicher Engel, so süß, dass die Dämonen erstarrten und den Atem anhielten, um sie anzustarren. Anzustarren, verlangend, sehnsüchtig und gierig. Verlangend danach, ihren Körper zu genießen und ihn in Stücke zu reißen. Sehnsüchtig danach, ihre süßes Stöhnen zu hören und ihre Todesschreie. Gierig auf den Geschmack ihrer weichen, weißen Haut und ihres roten, pulsierenden Blutes. Und der General trat vor, der oberste der Dämonen, der Herr über ihr mörderisches Heer. Furchtlos stand er da und stark. Sah ihr in die ebenso furchtlosen, starken Augen und sie umkreisten einander wie Wölfe vor einem Angriff, dennoch weniger gefährlich und dennoch bedrohlicher als alles andere in ihrer Ruhe, ihrer unendlichen Gelassenheit. Der süße Engel lachte. Ein rauchiges Lachen, das ihn lockte, näher, und alle andern sahen sie nur an. Das Tor stand offen, so dass man die weiße Marmortreppe sah, die in den Himmel hinauf führte, auf der die ängstlichen, zitternden Engel standen und furchtsam starrten. Auf der anderen Seite die Dämonen, deren Blicke eben so starr waren, doch mehr vor Hass und Wut. Unbehaglich auf den General gerichtet, der seine Augen nicht von dem süßen Engel lassen konnte. Nicht von ihren Augen, in denen so viel Schmerz brannte, soviel Leid und Trauer, dass er sich fragte, warum sie nicht in ihren Tränen ertrank. Wie ein feuriges Schwert durchdrang ihr Blick sein Herz und er spürte, wie sie sein Innerstes erforschte, in ihn hinein sah und ihn erkannte, wie er sie erkannte. Sein Leid spürte und seinen Schmerz, seine Einsamkeit... Doch er spürte, wie sie sich weiter und weiter, immer mehr von ihm entfernte. Sich von ihm weg riss, sie trennte wie ein breiter tosender Fluss. Sie wollte es nicht und es durfte nicht sein. Ein letztes mal lächelte sie ihn an, feurig und eiskalt und ein Sturm wie aus Rosen breitete sich aus über die in der Morgendämmerung glühende Lichtung, ließ den Atem der Dämonen zu Eis erstarren wie ihre angespannten Körper und alles um sie herum. Ließ sie wie Statuen die Pforte der Ewigkeit bewachen. Und der süße Engel lachte, ganz leicht uns leise, und trat auf ihn zu, den General, dessen starre Augen noch immer auf ihre Gerichtet waren, trat auf ihn zu, so nah, dass ihr Körper seinen berührte und ließ ihre Hände wie zarte Seide über sein Gesicht streichen. Die Engel hinter den Toren des Himmels beobachteten sie voller Angst. Seitdem der Lichtbringer die Kreaturen des Schattens in die Hölle gelockt hatte, hatte es kein Engel mehr gewagt, sich ihnen zu nähern. Den blutenden Zerstörern des Lebens. Doch dieses Wesen kannte keine Frucht. Sie lächelte, wie Honig voller zähflüssiger Ironie und ihre Macht wallte wie eisiger Nebel über den toten Platz. Millimeter nur verharrte ihr schönes Gesicht vor dem des Generals, dann wollte sie sich zurückziehen, seinen verlangenden Blick mit ihren Augen festhalten, doch er packte sie am Handgelenk, einen Arm um ihre schlanke Taille, und das Leben hielt den Atem an, als sich seine Lippen auf ihre legten. Kein Lüftchen regte sich, kein Ton war zu hören und die Stille schien ein ohrenbetäubendes Crescendo der drohenden Engelchöre, die ihre Wut über diesen Frevel kundtaten. Nur Sekunden, bis alles abbrach. Alles endete. Bis sie sich von einander entfernten. Ruhig und gefasst nach außen hin, doch jeder sah in des anderen Blick den tosenden Gefühlssturm, den dieser unerlaubte Kuss ausgelöst hatte. Der General wusste, man könnte ihn bestrafen. Alle hatten sie es gesehen und der Fürst der Finsternis würde es schon lange wissen. Er würde es sehen, wie der Arm des Dämonen den Körper des Engels hielt, noch immer, bis jetzt, als ein blankes Schwert mit leisem Zischen die Luft zerschnitt. Ins Leere traf, denn der General war zur Seite getreten. Aber es war eine gut ausgesprochene Drohung gewesen. Ein weiterer Schlag wollte ihm den Schädel spalten, doch die Klinge zersplitterte, als er sie mit der Hand abhielt und zudrückte. Er wusste, dass der Erzengel ihn gern getötet hätte und mit dementsprechend großer Arroganz wandte er sich ab. Zwinkerte dem schönen, sanften Engel zu, der schon hinter den Toren der Ewigkeit verschwand. Wächter bewachten ihre Einsamkeit...
 

Sinnend lehnte er an der Wand seines Zimmers, dessen schwarze Wände das düster flackernde Höllenfeuer widerspiegelten. Überwältigt von dem Gefühl, von dessen Intensität, konnte er nicht anders, als nachzudenken. Sich immer und immer wieder diesen Blick ins Gedächtnis zu rufen, der ihn durchdrungen hatte... So traurig und einsam, so verletzt und tot, aber feurig und leidenschaftlich, wie nichts in der Welt zuvor. Als wäre... es kein Engel gewesen sondern das Feuer selbst, das so viel Leben auf dem Gewissen hatte und mit solcher Hitze brannte... Oh, er hatte sie gefühlt. So zart und weich... diese Schönheit, die man spüren konnte. Ihre Reinheit wie tausend weiße Rosen, wie zarteste Seide, wie Kristallsplitter, so unendlich schön und hilflos... Und doch - durch und durch verkommen und schlecht. Verdorben. ,Kleine, dreckige Hure...' Das waren die Worte des Erzengels gewesen, der ihr nachgesehen hatte. Vielleicht war sie das... man konnte es spüren... Ob er sie jemals wiedersehen würde...? Lachen stieg in ihm auf. Er hoffte es. Diese Chance sollte man nutzen... Jemand klopfte voller Hast gegen seine Tür und stürmte dann ohne Zögern herein. Es war nur ein kleiner, unbedeutender, durch jeden ersetzbarer Diener. Es musste etwas wirklich schlimmes passiert sein, dass er so plötzlich eintrat. "Mylord! Mylord!" schrie er schon im Türrahmen voller Hast. "Ich... ich..." Entweder dem kleinen Dämonen wurde jetzt bewusst, was er getan hatte, oder er war gerannt wie ein Verrückter. "Was ist?" fragte der General und lächelte bedrohlich ruhig. Eingeschüchtert verbeugte sich der Diener, während er zurückwich, unterbrach aber seine Worte dabei nicht: "So etwas... Schönes habt ihr noch nie gesehen!" brachte er zitternd hervor, merkte aber selbst, dass etwas nicht stimmen konnte, noch bevor der junge General fragend die Stirn runzeln konnte. Hecktisches Rot überflutete das Gesicht des Dieners und er drehte sich flüchtend um, winkte jedoch seinen Herrn hinter sich her. "Kommt, Mylord, kommt! So etwas... Beleidigendes... Kommt!" Er schwirrte davon, raste förmlich, um sich vor Zorn zu schützen, und als der General den Platz vor dem Palast betrat, war der kleine Dämon schon verschwunden. Aber das war in diesem Moment auch nebensächlich...
 

Der Anblick, der sich ihm bot, war das genaue Gegenteil von allem, was man jemals erwartet hatte. Er war das, was der junge General sich bis ins Innerste seines tiefsten Selbst gewünscht hatte und er war das, was er niemals SO hatte erleben wollen. Hundert Meter vor sich sah er das genaue Gegenteil des Tores der Ewigkeit. Zwei riesige schwarze Flügeltüren, die gezeichnet waren von den gequälten Fratzen der verdammten Seelen, die sich unablässig darin zu bewegen schienen wie in einem wellen schlagenden Meer. Sie sollten geschlossen sein, doch hier standen sie weit offen und zeigten die wogenden Massen smaragdgrünen Grases. Goldene Sonnenstrahlen tanzten auf dem Boden, doch an der Schwelle zur Hölle schienen sie Halt zu machen. Überquerten sie nicht. Als würde die Dunkelheit sie vertreiben... Aber diese Dunkelheit vertrieb nicht SIE, die höhnisch grinsend wie ein Gott verdammter Dämon am Eingang zur Unterwelt stand. Grinsend so wie ein Mörder, der sein Ziel erreicht sah, den letzten Atemzug seines Opfers. Leuchtend hob sich frisches, rotes Blut von ihrer Marmorweißen Haut ab. "Hier", spottete sie und ihr Fuß stellte sich auf ein blutiges Etwas, das einmal ein Engel gewesen sein musste. "Hier hast du sie... MEIN FÜRST." Und der General wirbelte herum, schockiert und sah sich dem Fürsten der Hölle persönlich gegenüber, der ihn still und ruhig musterte und dann an ihm vorbei ging, ein paar Schritte auf die Schönheit zu, die so blasphemisch am Rande des Todes stand. "Hier hast du dein Püppchen", fuhr sie fort. "Deine kleine Prinzessin. Sieh sie dir an, dieses Stück Dreck!" Noch war sie ruhig... Ja, noch, und das, was sie beunruhigen sollte, wäre niemals Angst gewesen, das war zu spüren. Die Dämonen, die entlang der breiten Gasse standen, die sich hier gebildet hatte, und sie so hungrig anstarrten wie beim ersten mal, hätten sie in Furcht versetzen sollen, in unendliche Existenzangst, aber offenbar... wollte sie ihr Leben nicht, denn wenn sie ihr Verhalten so belassen würde, könnte der Fürst einfach mit dem Finger schnippen und sie wäre ein weiteres Opfer. Das schönste Opfer, das Gott zum kochen bringen sollte. Aber noch war sie nicht weiter gegangen, als sie durfte. Noch war diese rotzfreche Göre von einem Engel vor dem Eingang der Hölle stehengeblieben, wenn auch nur Millimeter, mit diesem stinkenden Kadaver eines weiteren Engels. Noch stand sie nur da und lächelte so hasserfüllt höhnisch, so dreist und spöttisch. So wunderschön in all dem Blut, dass der junge General sie nur anstarren konnte, dass man über all dieses Knistern in der Luft spüren konnte, eine Mischung aus Verlangen und Mordlust. Und es gab niemanden, der sich nicht auf sie gestürzt hätte, würde sie auch nur einen weiteren Schritt tun, hinein in die Mitte derer, denen sie so verhasst war... Und es gab niemanden, der sich auch nur regen konnte vor entsetzter Überraschung als sie es tat. Jeder glotzte sie an. Jeder Dämon, der noch Sekundenlang überwältigt war vor Überraschung über diese unfassbare Dreistigkeit, spannte nur wenig später seine Muskeln an, bereit zum tödlichen Sprung... "Hallo mein Engel." Und niemand sprang. Diesmal waren sie wirklich zu entsetzt, um auch nur im entferntesten zu atmen. "Schön, dich zu sehen", sagte der Satan und strich sich geistesabwesend durchs Haar. Der junge, hübsche Engel - fast noch ein Kind, wenn man es genau nahm - musterte ihn interessiert und irgendwie verblüfft. "So ruhig?" Blut tropfte von ihrem Finger und verdampfte zischend auf dem eigentlich gar nicht so heißen Boden. Das hätte auch mit ihr passieren sollen... Ein Häufchen Asche hätte sie werden sollen, doch nichts passierte. "Stört es dich gar nicht, dass ich deine so unendlich geliebte kleine Schlampe umgebracht habe? Sie wird jetzt nicht mehr in den Himmel kommen." Keine Antwort kam, nur ein Lächeln. Ein Lächeln, dass eine gefährliche Reaktion auslöste, als die Augenbrauen dieses wahrhaft dämonischen Engels für eine Sekunde in die Höhe schossen, bevor sie arrogant und ironisch zugleich sagte: "Oh entschuldige, ich vergaß! Du liebst ja niemanden." Der Satan lachte wahrhaftig, bevor er sprach. Fast etwas herablassend, was ihre kaum verhohlene Wut nicht minderte. "Bist du dir der Absurdität deiner Worte eigentlich bewusst? Ich könnte dich jetzt einfach töten. Nur, weil es mir Spaß macht." Ein kurzes aufhellendes Flackern löste für einen Moment die Eiseskälte ihres Gesichts. "Du hast es noch gar nicht realisiert, oder was? Ich bin doch nicht zum Spaß hier!" Einen Moment lang hörte sie sich wirklich vernünftig an. "Ich bin hier, weil ich jemanden umgebracht habe!" Und dann lachte sie ungläubig, als würde sie sich über sein Unverständnis wundern. "Ich könnte dich wegen dieser wahrscheinlich x-beliebigen Leiche vernichten", fauchte der Höllenfürst und der kleine Engel wirkte deutlich erschreckt. Sogar furchtsam und unschuldig. So unschuldig, dass die Dämonen ihre Anspannung wahrhaft verloren und sich verlegen aufrichteten. So unschuldig, dass sie sich fragten, warum sie dieses so harmlose Geschöpf - das sie eigentlich aufrichtig hassten - gerade noch in zerstörerischer Wut hatten vernichten wollen. Aber dann stand das süße Ding schon wieder in Eden, mit der selben Kälte, der selben, beinahe spürbaren Grausamkeit und sie griff nach dem leblosen Bündel, dessen Gewand einmal weiß und jetzt nicht mehr als ein dreckiger Fetzen nutzlosen Stoffes war. Dessen stohiges, verfliztes Haar einmal kastanienbraun mit goldenen Strähnen gewesen war. Dessen Gesicht noch immer so makellos war wie einst, ein Gesicht von unschuldiger Schönheit, mit großen Augen, die nur noch namenlose Qual zeigten, vorwurfsvoll und leidend zugleich. Und die Hölle erbebte.
 

Der Schrei war verklungen. Ein Schrei, der ihnen das Blut in den Adern hatte gefrieren lassen. Der nichts menschliches mehr hatte. Nichts... erklärbares mehr. Ein Schrei, der so qualvoll und schmerzerfüllt gewesen war, dass er unweigerlich die totale, unauslöschliche Stille hervorgerufen hatte. Ein Schrei, der selbst die Hölle verstummen ließ. "Hier", sagte der wunderschöne, unschuldige, mörderische Engel mit dumpfer, tonloser Stimme und Resignation war das einzige Gefühl, das ihr Gesicht überschattete. "Sieh hin... In ihre Augen..." Satan vergrub den Kopf in den Händen und ihr verzweifelter Schrei gellte durch die Stille: "Sieh sie an!" Eine zitternde Faust hielt den kalten, toten Körper des ermordeten Engels knapp über dem Boden. "Siehst du den Schmerz?! Siehst du die Verzweiflung?! Das ist mein Schmerz! Meine Verzweiflung! MEINE QUALEN, DIE ICH WEGEN DIR DURCH-STEHEN MUSSTE! Und jetzt..." Sie atmete aus und schwieg. Wartete auf ein Wort. Ein tröstendes... Ein beruhigendes... Irgend ein Wort... Aber es kam nicht. "Gib sie mir...", flüsterte der Satan krächzend. "Gib mir... meinen Engel..." Und in die Augen der Mörderin schlich sich ein undefinierbares Glitzern. "Deinen Engel?!" Sofort bereute der Satan seine Worte. "Ich meinte nicht..." - "DEINEN ENGEL?!?!" Erst Wut, kalt und grausam, dann Ruhe, die noch beängstigender war. "Hol sie dir doch", sagte der junge Engel. Und ließ das tote Bündel fallen. Satan stürmte los, wollte nach der schönen Leiche greifen, doch - durch seine Finger rann nur noch Staub...
 

Der Fürst der Hölle hockte am Boden wie ein kleines verängstigtes Kind und seine Finger krallten sich Halt suchend in die Falten seines schwarzen Gewandes. "Warum", fragte er leise und fassungslos. "Warum?" Er sah zu ihr auf und sie blickte nur traurig, so traurig wie es nur eine Tote sein könnte, zurück. "Warum? Sei gewiss, dass es jeden hätte treffen können, an ihrer Stelle, jeden anderen, jeden x-beliebigen Engel, wenn du es nur gewollt hättest." - "ICH WOLLTE ES JA!" heulte er auf und seine Augen durchbohrten sie wie flammende Schwerter. "HÄTTEST DU NICHT EINFACH IRGEND WEN UMBRINGEN KÖNNEN?!?! IRGEND JEMAND ANDEREN! BITTE, WARUM GERADE SIE?!" Der Engel blickte nur noch trauriger auf ihn herab. "Deshalb. Weil du fragst. Weil du um sie weinst, um ein Häufchen Staub und Asche." Sie schwieg, als wollte sie nichts mehr sagen. "Weil du sie mehr geliebt hast als mich..." Dann wartete sie. Klein und zerbrechlich, so winzig und schwach wirkte sie, dass er vor ihr kniende Dämon sie wie ein finsterer Berg zu überragen schien. "Was willst du...?" fragte er schließlich leise. "Warum quälst du mich so?" Leise, aber in dieser Stille konnte es jeder hören. "Ich wollte doch nur", begann sie jetzt, fast schluchzend, "Dass du mich liebst... Nur ein ganz kleines bisschen! Nur ein einziges mal, ein einziges, winziges, unbedeutendes mal wollte ich, dass ein winziger kleiner Funken wahrer echter Liebe dabei ist! Kannst du das denn nicht verstehen?" Unglücklich und verzweifelt sah sie ihn an. "Ich wurde so oft betrogen. Ich wurde so oft benutzt... Trotz dem ich dir alles gab, dich so viel lehrte... Aber was ist der Dank?! Nicht einen Funken Mitleid hast du! Wegen mir solltest du weinen! Wegen mir verzweifeln! WEGEN MIR SOLLTEST DU ZITTERND IM STAUB KRIECHEN! Wenigstens ein winziges, kleines, vergängliches mal..." Dann atmete sie heftig ein und aus, während er nach einer Antwort suchte. "Aber...", begann er und verstummte. "Ich..." Erneutes Schweigen. "ER gab sie mir zur Frau, weißt du das nicht mehr? Mir, wie er Adam seine Eva schenkte." - "Zur Frau!" konterte sie gehässig. "Als wenn IHM das irgend etwas bedeuten würde... Es ist verloren! ER löschte es aus, als du dich der Dunkelheit verschrieben hast! Du löschtest es aus durch deinen Verrat. Aber ich habe dir dieses Reich gegeben!" - "DU HAST MIR UNVORSTELLBARE QUALEN GEGEBEN! WAS WILLST DU NOCH VERDERBEN?! DU HAST IHN DOCH VERRATEN! DU HAST SEIN REICH ZERSTÖRT! DU HAST VERDAMMT NOCH MAL MICH DAZU GEBRACHT DIESEN SCHEISS VERDAMMTEN KRIEG ZU FÜHREN, ALSO WAS WILLST DU NOCH?!?!?!" Die Zeit wollte still stehen, hätte es vielleicht auch getan, wenn niemand etwas gesagt hätte, aber der hübsche Engel lachte nur leise. "Nichts mehr. Wir sind quitt." Und dann zog sie einen silbern glitzernden Dolch. "Jetzt sind wir quitt..." - "Was hast du vor?!" keuchte er alarmiert und sprang auf und auf sie zu, aber sie wich zurück und Sonne blendete ihn. "Nichts was dich auch nur irgendwie etwas interessieren sollte", sagte sie ruhig und die Messerspitze bewegte sich beunruhigend nahe an ihrem hübschen Hals. "Aber ich kann es dir ja trotzdem sagen, vielleicht interessiert es dich sogar irgendwie..." Er wollte etwas erwidern, aber sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. "Ich will kein Engel mehr sein. Ich habe nichts gutes daran gefunden. Gar nichts... Nur Verlogenheit und Hass in den Reihen der... göttlichen, der eigentlich so unschuldigen Wesen, die Liebe und Hoffnung und Glückseligkeit verkörpern sollten... Glaube nicht, dass du etwas weißt, armer dummer Erster Engel... Niemand weiß... etwas..." Noch immer sagte niemand etwas und niemand verstand etwas... Die scharfe Klinge des Dolches spiegelte die Flammen nieder, als sie sie auf die Stelle zwischen ihren Brüsten richtete und der Höllenfürst stieß einen heiseren Schrei aus, erwartete schon Blut zu sehen und ihren leblosen Körper auf den Boden sinken, doch nichts dergleichen geschah. Man hörte nur das leise Geräusch, wenn Stoff zerschnitten wurde, und dann sah sie zwar noch aus wie ein Engel, aber sicherlich nicht mehr unschuldig, mit dem tiefen Riss in dem bis dahin hochgeschlossenen Gewand. Dennoch war ihr Blick unschuldig und bittend. "Würdest du mich bei dir aufnehmen?" Satan starrte sie fassungslos und ungläubig an, als könne er nicht glauben diese Worte gerade gehört zu haben. "Das wagst du zu fragen", fragte er mit leichtem hysterischem Unterton, "nachdem SIE hier vor meinen Füßen zu Staub zerfiel?!" Sie zerschnitt einen weiteren Teil ihres Gewandes, dass es gerade noch kurz über ihrem Knie endete und warf den Rest so achtlos auf den Boden wie die Leiche des anderen Engels. "Glaubst du, ich wüsste nicht, was ich tue?" Er starrte sie an und sie lächelte, als er sich unbewusst die Lippen leckte. "Ich kenne dich viel besser als du dich selbst. "Ich würde dich töten", murmelte Satan kraftlos und starrte sie an, aber nicht ihr Gesicht, sondern... Er schluckte, aber jeder hätte bei diesem Anblick geschluckt und sich gefragt, ober nicht träume... "Das wäre mir gleich", sagte sie nur und dann griff sie nach einer ihrer Haarsträhnen. Der Dolch fuhr hindurch wie durch Luft und sie reichte ihm die wunderschöne blau silberne Locke. "Ich werde mich niemals beugen. Und ich werde niemals wieder ein Engel sein." Dann ging sie und er hielt noch immer die Strähne in der Hand. Und sie war auch schon fast außer Hörweite, bis er sich endlich dazu durchgerungen hatte zu rufen: "Wo willst du hin?!" Ungläubig und voller Ironie. Und sie stoppte, kam ein Stück zurück und sah ihm fest in die Augen. "Selbst wenn du mich aufnehmen würdest - ich bliebe nicht. Ich kann dich nicht mehr lieben." Sie sprach das Wort ,lieben' merkwürdig spöttisch aus, als würde sie nicht daran glauben. "Du hast mir mein Herz gebrochen. Es tut mir leid, dass es so weit kommen musst, bis du begriffen hast, wer von uns die größere Macht hat. Es tut mir leid, dass es dabei ein unschuldiges Opfer geben musste." Es klang nicht ernst gemeint. "Wir hatten eine schöne Zeit, aber das zählt nicht." - "Bitte bleib doch!" rief er verzweifelt. Jetzt wirklich und ehrlich verzweifelt, als hätte er das eben erlebte schon vergessen. Als würde es ihn nicht interessieren. Als hätte sie irgendwie recht... "Ich kann nicht." Sie schüttelte traurig den Kopf. "Ich bin... nicht mehr, was ich damals war... Du würdest mich hassen für das, was passiert ist." - "Nein! Niemals! Das ist doch... unwichtig!" Sie schüttelte nur den Kopf. "Nicht wegen ihr. Wegen mir selbst... Ich bin kein Engel mehr. Schon lange nicht mehr..." Sie sah an ihm vorbei beim Abschied. "Wenn wir uns wiedersehen, bist du hoffentlich erwachsener. Vielleicht sogar so, dass ich mich...", sie lachte, als mache sie einen Scherz, "in dich verliebe." Dann ging sie wirklich und er machte nicht den Versuch, sie zurückzuhalten. "Danke", murmelte er nur leise. Aber er wurde unsanft aus seinen Gedanken und dem glücklichen Traum gerissen. "Sie sprach nicht mit Euch, mein Fürst", sagte der General hinter ihm. Der offene Spott in seiner Stimme war völlig unangebracht. Dazu grinste er auch noch leicht fies und herablassend. "Das ist mein Ernst. Sie meinte ganz sicher nicht Euch." Der Höllenfürst sah lange zu ihm auf, bevor er sich endlich aus seiner äußerst unwürdigen Position erhob. "So dreist schon? Hast du dich etwa auf ihre Stufe herab begeben?" versuchte er über seinen Schmerz hinweg zu täuschen. "Ich sage nur die Wahrheit", antwortete der General und verlor danach jeglichen Respekt, wobei er sich umdrehte und einfach ging. "Denk doch mal nach. Glaubst du im ernst, sie wäre gegangen, wenn sie dich gemeint hätte?" - "Wen sollte sie sonst meinen?" fauchte ihm der Fürst mit hörbarem, wenig unterdrücktem Zorn nach. Der junge General drehte sich nur einmal kurz um und sein Lächeln war so kalt und höhnisch, dass der Fürst unweigerlich zurückschreckte. "Mich."
 

6015, Eden

Hier war die Welt anders. Hier war sie Eden, der Garten des Himmels. Hier war die Welt neu und die Zeit verlief, wie sie wollte. Schneller. Dreimal so schnell. Sechs Jahre zogen auf der Erde dahin. Achtzehn Jahre ließen den Himmel altern. Viel war passiert. Dinge, an die sich jeder erinnerte und jeder erinnern würde. Vor achtzehn Jahren war der Engel der Ewigkeit, Aleksiel, aus der Menschenwelt verschwunden. Vor achtzehn Jahren war sie in den Himmel zurückgekehrt. Unfreiwillig. Lebte unter ihnen als degradierter Engel, als Novizin, die ihre Aufgaben erfüllte, umher lief, Aufträge ausführte, lebte, aber innerlich war sie tot. Nichts vermochte die Leere in ihren Augen zu besiegen, die Kälte in ihrem Herzen, die allgegenwärtig war. Nichts brachte ihre hübschen roten Lippen zum lachen, geschweige denn lächeln. Nichts zauberte das sanfte gütige Strahlen in ihre Augen, dass einmal durch... Liebe ausgelöst worden war. Nichts konnte ihre Gefühle aus dem Winterschlaf erwecken. Und nichts brachte sie zum sprechen. Sie sprach nicht. Die Meister gaben ihr Aufgaben, die zu lösen sie weniger kostete als ein Wimpernschlag und die Unfehlbarkeit ihrer Antworten war garantiert. Und so lange Gott auch zögerte - einmal musste er sie erheben, denn in ihr schlummerten mehr Wissen und mehr Macht als in jedem anderen Engel, nach den Millionen von Jahren, die sie gelebt hatte, auf der Erde und im Himmel, in Eden und sogar in der Hölle, die sie als einzige betreten konnte... Aus dem merkwürdigen Grund, dass Rociel, der zweite Engel der Ewigkeit und ihr Zwillingsbruder, ein Dämon geworden war. Und so stieg sie von Rang zu Rang, stieg höher und höher, über die Engelchöre. Aber sie sprach nicht, wenn sie es nicht wollte, und sie wollte - musste - es fast nie... Und sie lachte nicht. Sie brauchte es nicht. Brauchte beides nicht, weil man in ihr, so klug und gefährlich sie auch war, nur eine hübsche Puppe sah, eine schöne Hülle mit uninteressantem Innerem und auch wenn niemand von den jüngeren Engeln mehr wusste, was einst, vor so langer, langer Zeit gewesen war, so schienen sie es dennoch in sich zu spüren. Und danach zu handeln. Es zu versuchen. Dieses hübsche Wesen wie ein Püppchen zu behandeln. Und mehr schien sie auch nicht. Eine schöne Hülle mit einem Herzen aus Eis und eine Leere, die groß genug war, die Welt zu verschlingen...
 

Der Erzengel des Feuers." Ein junger Engel, einer derer, die wirklich als Boten tätig waren, verneigte sich vor der nahenden Gestalt im weißen, wallenden Gewand und gesellte sich dann zur Wache an den Eingang des Konferenzpavillons von Eden, dem Ort, an dem man über Krieg und Frieden zwischen den Reichen des Himmels und der Hölle entschied. Zwei Augenpaare richteten sich auf die Gestalt und sahen sie erstaunt und erfreut an. Eine hübsche junge Frau. Ein Engel, der nicht alt schien. Nicht alt genug, das Amt eines Erzengels zu besitzen, aber offenbar besaß sie es. Ihr zartes helles Gesicht mit den roten Lippen und feurigen Augen war umrahmt von gelocktem Haar in den seltsam schönen Farben von Gold und Silber und weiß und himmlischem blau. Sie war so schön, so fast feurig und eigentlich sollte ein so schlanker Körper, ein so verlockendes Äußeres Leidenschaft ausdrücken oder auch Unschuld, doch dem war nicht so. Keines von beidem ging von ihr aus. Nur eine abweisende, elegante Kälte und selbst die drohende Geste, als ihre Hand sich auf den mit Gold verzierten Dolch herab senkte, verlor sie nichts davon. Ein Engel, ironischer Weise der Erzengel des Feuers, doch sie strahlte die Wärme eines Eisblocks aus. Kalt genug, ihren eigenen Winter zu erzeugen. Ihr Gesicht war ohne Regung, nicht einmal ein winziges Lächeln lag darauf und auch wenn sie wenigstens diese beiden hätte begrüßen sollen, so sah sie diese nicht einmal an sondern hielt den Blick standhaft und stark nur auf den dritten gerichtet, der am anderen Ende des Pavillons stand und den lächerlich schönen Sonnenaufgang betrachtete, der gerade den Horizont vergoldete. Er wirkte wie ein sprungbereiter Tiger, während er so da stand, schien alles zu erwarten, tat das vielleicht sogar, aber er drehte sich noch nicht um. Sie wiederum wartete nur ab, ganz leise und gelassen und hätte sie nicht geatmet, wäre in den beiden Dämonen, mit denen sie verhandeln sollte, sicherlich der Verdacht aufgekommen, sie hätten halluziniert und das hier wäre nur eine schöne, sehr lebendig wirkende aber eben doch unechte Puppe. Schwere Schritte auf dem Holzboden rissen sie jedoch aus ihren Gedanken und sie schlossen schnell ihre leicht geöffneten Münder, als der Dritte, ihr Anführer, sich umdrehte. Er sah sie an, musterte sie von oben bis unten, wobei sein Blick an den Stellen hängen blieb, bei denen sie es sich nicht hatte nehmen lassen, freizügig zu sein. Dann lächelte er sie so anzüglich an, dass jede andere schon allein deswegen ausgeflippt wäre, und seine Adjutanten wie auch der ihre zogen überrascht und fassungslos über diese Dreistigkeit die Augenbrauen hoch, doch sie sagten nichts, denn der Erzengel reagierte ihrerseits. Ihre weiße Hand streichelte beinahe zärtlich - auch wenn sie keine weitere Gefühlsregung zeigte - über den Griff des Dolches, dann drehte sie sich um. Graziös und eiskalt. "Ich weigere mich, unter diesen Umständen", ihre Stimme hatte nicht den leisesten Hauch einer Beleidigung, und doch fielen dem Dritten, dem General, bei ihrem Klang fast die Augen heraus, "eine Verhandlung zu führen." Stille, dann schnaubte der General empört, alle anderen bis auf sie nicht beachtend. "Wer von uns hat denn hier wen beleidigt?!" Sie ignorierte ihn. "Raziel, lass die Verhandlungen verschieben, bis sich Ersatz gefunden hat." "Du wirst nicht gehen!" fauchte ihr der General hinterher, als sie sich daranmachen wollte, die Stufen wieder hinunter zu steigen und sie schien allein wegen dieser Worte stehenzubleiben, aber eigentlich war es die Macht, die nur die Ersten Engel besaßen und die sie fest hielt. Eigentlich hätte sie sich jetzt nicht bewegen dürfen, doch noch ehe er überhaupt registrierte, wie ihm geschah, stand sie schon vor ihm, in einer einzigen fließenden Bewegung, und die Klinge ihres wunderschönen, äußerst tödlichen Dolches war nur noch Millimeter von seinem Hals entfernt. "Du bist nicht in der Lage, Forderungen zu stellen", sagte sie ruhig und gelassen, mit nicht mehr als tödlicher Kühle in der Stimme und er tat gut daran, sich nicht zu bewegen, denn sie schien keine Skrupel zu haben, ihre Waffe auch zu benutzen, vor allem nicht bei ihm, auch wenn sie wusste, dass das den nächsten Krieg ausgelöst hätte. Wenn es das jetzt nicht schon hatte. "Entschuldige dich sofort", sagte er trotzdem, auch wenn sich die Messerspitze leicht in seine Haut bohrte, "dann sehe ich möglicher Weise von einer Meldung ab. Willst du wirklich NOCH einen Krieg auslösen?" Das letzte sagte er mit so gemeinem Grinsen, dass es aussah, als hätte sie ihm den Dolch gern ins Gehirn gerammt, aber dann stand sie schon wieder am Geländer der Treppe und sah ihn von dort aus kühl an, aber ihre Gelassenheit hatte einen Sprung bekommen. Er grinste ein wenig breiter und wenn sein Kopf nur ein par Millimeter weiter links gewesen wäre, hätte ihn der Dolch getroffen, den sie ihm in äußerster Wut - in dem, was man bei ihr noch als äußerste Wut bezeichnen konnte und das war nicht viel -, entgegen geworfen hatte. Mit einer seiner Haarsträhnen tropfte Blut zu Boden und jetzt lächelte sie doch. Auch wenn es ihre Augen nicht erreichte, die trotz des Feuers darin kalt schienen. "Du bist nicht in der Lage, Forderungen zu stellen", wiederholte sie kalt, aber nicht mehr so beherrscht und ruhig wie davor. Dann wandte sie sich um und stieg die Stufen hinunter, um über die sanften, grünen Wiesen zum Tor in den Himmel zurückzukehren. "Hey Aleksiel!" rief er ihr plötzlich nach, "du hast was vergessen!" und sie drehte sich noch ein letztes mal um, aber nicht schnell genug... Und dann war es ihr Blut, das zu Boden tropfte...
 

Aleksiel zuckte. Ihr Arm war noch vorgestreckt, wie um sich zu wehren, doch es hatte nichts genützt. Die Adjutanten des Generals starrten entsetzt. Der Engel Raziel umklammerte krampfhaft einen Pfeiler und wagte es nicht, zu atmen. Genauso wenig wie sie... "Was..." Der Messerwerfer taumelte einen Schritt zurück und fasste sich schockiert an die Brust, wie um zu fühlen, ob sein Herz noch schlüge. Ihr Blick wagte es kaum, sich zu senken und dann tat sie es doch und sah auf den schimmernden Rest der Klinge, der nicht in ihr steckte, höhnisch wie Diamant funkelnd. "Was hast du getan?" fragte sie schwach und mit kaum hörbarer Stimme, aber immer noch war da nur Eis, selbst jetzt. Raziel fing sie auf, als sie etwas Ähnliches versuchte wie einen Schritt, aber versagte und stolperte. Seine Unterlippe zitterte, als er auf sie herunter sah, jetzt wo er so viel größer wirkte als sie, wo es alle taten... Der Dolch steckte in ihrer Brust.
 

Keuchend fuhr Angel hoch. Schweißnasses Haar und fiebriger Glanz in den Augen. "Alptraum", murmelte er irgendwann ausdruckslos, als er wieder etwas ähnliches wie einen Herzschlag spürte und ließ sich zurückfallen. Versuchte erst gar nicht, die dunklen Schatten zu vertreiben, die noch auf ihm lasteten. Auch Dämonen hatten Alpträume und dieses war der schlimmste gewesen, den er je gehabt hatte. Es war die Realität gewesen. Dann stürmte sein Cousin Mephistopheles in den Raum, das riesige Schlafzimmer, und blieb erleichtert stehen, als er merkte, dass es nichts war. "Nichts", murmelte Angel. Nichts mit realem Hintergrund... Er lachte leise und aus völlig unerfindlichem Grund, wie Mephisto glaubte. "Du verstehst nichts", seufzte der Sohn Satans, während er sich anzog. "Dass gerade sie..." - "...dort stehen musste?" versuchte der andere den Satz zu beenden. "...in dem Moment auftauchen musste, als ich sie fast schon vergessen hatte", murmelte Angel, ohne ihn zu beachten. "Achtzehn Jahre lang war sie weg... Weg aus meiner Nähe, weg aus meiner Reichweite... aber nicht aus meinen Gedanken..." Er sah den viel jüngeren an, als dieser belustigt auflachte. "Du hast sie nicht gesehen", erklärte er leise. "Du hast sie nicht fühlen können, riechen... Du hast sie nicht schmecken können... Du weißt nicht, wie weh es tut, wenn du sie verlierst..." Mephisto lachte auf. "Verliebt, Vetter? Das hatten wir ja noch nie." Er wartete auf eine Antwort, auf eine Korrektur, doch es fand sich kein Wort dessen. "Ehrlich?" fragte er schließlich ungläubig, als er merkte, dass es zwecklos war, zu warten. "Seit wann kennst du sie, dass du das glaubst?" Er war einer der beiden Adjutanten gewesen, hatte sie gesehen, aber er glaubte nicht, dass man sich in so etwas Eiskaltes, Gefühlloses verlieben konnte. "Schon ewig", murmelte Angel sehnsüchtig. "Ich wollte doch, nicht... dass es dazu kommt... Ich hätte ihr alles gegeben, wenn sie mich nur gelassen hätte..." Fast klang er traurig und verzweifelt, dann mischte sich leichte, lange unbefriedigte Wut in seinen Tonfall. "Aber die Dame musste ja unbedingt verschwinden, bevor ich ihr das sagen konnte!" Leises Glucksen ließ ihn herumfahren und er sah Mephisto bei dem verzweifelten Versuch, sich das Lachen zu verkneifen. "Bist du übergeschnappt?!" fragte dieser, als er sich irgendwie wieder beruhigt hatte. "Mit nem Engel?! Was bitte wolltest du denn mit der anstellen? Sie durchlöchern wie ein Schweizer Käse? Du bist ja echt irre!" Und er lachte weiter, allerdings nur bis zu dem Punkt, als er sich unangenehm am Kragen gepackt und ein paar Zentimeter in die Höhe gehoben fühlte, um dem fast zwei Meter großen Angel direkt in die Augen zu sehen. Einen Moment lang hoffte er, nur brutal gegen irgendeine Wand geschleudert zu werden, wie es schon öfter passiert war, doch dann schlich sich ein so ernster, klarer Ausdruck in Angels Augen, dass Mephisto sich schon allein deshalb sicher war, der andere wäre durchgedreht. "Das ist es", sagte der Sohn Satans und ließ seinen Cousin etwas unsanft auf den Boden nieder. "Dass du irre bist?" fragte Mephisto vorsichtig, nachdem er sich ein paar Schritte in Sicherheit gebracht hatte. Angel warf ihm einen tadelnden, doch ziemlich klar wirkenden Blick zu. "Besser. Viel besser." Dann verließ er pfeifend das Zimmer und der jüngere Dämon wusste genau - da war nichts mehr zu retten...
 

Weiße Schatten huschten über graues Holz und schwarzes Licht spielte auf körperlosem Nichts. Träume huschten über grelle Einsamkeit, Gedanken tauchten aus der Dunkelheit ins Licht und verschwanden wie zerplatzende Seifenblasen. Eine blutig rote Wand aus Grausamkeit, aus Schmerz, verhängte ihr den Blick zur Welt, deren Eingang hinter einem Vorhang salziger Tränen verborgen war. Ohne Laut erhob sich ohrenbetäubendes Flüstern und Schattenfinger zerrten an ihrem Blick und für eine Sekunde zog sich die Welt zusammen zu qualvoller Süße, wie verdorbener Honig und dann verschwand es und sie war wach. Die Wände schimmerten weiß in der goldenen Sonne, grünliche Schatten von Blättern flimmerten über den Boden und das leise, angenehme Flüstern des Windes lullte ein. Alles schien wieder normal. Bis auf... "Wie geht es dir?!" Eine leise Stimme, so sanft wie das Brüllen eines Tigers, doch durchaus anziehend. "Und du wagst es, hier aufzutauchen?" Ihr Ton wie ein leises Katzenfauchen, aber kalt und tot und unmenschlich, und keine Frage darin. "Mutig, mutig, kleiner Feigling." Ein Regen aus Blütenblättern ging auf dem Bett nieder, als er ihr einen Strauß schimmernder weißer Rosen zuwarf. "Dafür, dass ich dich beinahe getötet hätte, bist du ziemlich ruhig." Der Besucher ließ sich auf einen Stuhl neben ihr fallen, von dem aus er sie ungeniert musterte. "Wieso sollte ich nicht herkommen? In Eden zu bleiben verlangt doch geradezu nach mir." - "Sie haben nie geglaubt, ich müsste sterben?" Sie schien ihn fast, aber nur fast zu ignorieren, so wie man den Stuhl ignoriert, auf dem man sitzt, und ihre Antworten waren mehr Selbstgespräch als anderes. Als sie die Decke glättete, wischt sie wie zufällig die Blumen vom Bett, die sie niemals beachtet hatte. Angel musterte sie weiter, diesmal ernstlich entnervt. Er hätte sie beinahe angeschrien, wünschte sich sogar, er würde es über sich bringen, weil ihre Stimme so verdammt kalt war, aber sie hatte noch immer diese merkwürdige Traurigkeit an sich, diese Verlorenheit, die er aus der Zeit vor achtzehn Himmelsjahren kannte und so getraute er es sich nicht, aus Angst, sie könnte plötzlich anfangen zu weinen. Er wusste, dass sie das nicht würde, aber... Verdammt noch mal, warum konnte er sie nicht glücklich machen? Warum konnte sie nicht einfach irgendwie reagieren? Selbst wenn sie ihn anschrie, war das noch gut... Damit er wenigstens etwas Gefühl sah... und dass sie nicht ganz aus Eis war. Und wenn er sie zwang. Überhaupt hatte er sie schon viel zu lange nicht gesehen... Er hörte Schritte auf den Stufen und als er sich umdrehte, sah er Simon erstaunt und mit ziemlich weit aufgerissenen Augen im Eingang stehen, einen Fuß noch erhoben. "Entschuldige", murmelte er dann, wurde rot und drehte sich um und Angel sah aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Aleksiel, wie sie aufgestanden war und um das Bett herum ging, beschattet von grünen Blättern, die durch die offenen Wände des kleinen Pavillons zu sehen waren, so wie große Wälder, grüne Wiesen und die Sonne, wie sie zwischen Baumwipfeln hervor schimmerte. "Halluzination", murmelte sie irgendwann und sie klang noch immer tot. "Alles nur... Halluzinationen... Alles nicht wahr..." Sie war so hübsch und zart und strahle diese verlockende Wärme aus, in ihrem fast durchscheinenden Gewand, aber sie war so traurig und tot... Angel stolperte fast in seiner Eile, ihr nachzulaufen, als sie aus dem Pavillon gegangen war. Doch es war zu spät. Vielleicht nur einen Moment, doch es war ein Moment, in dem er wünschte, niemals geboren worden zu sein und niemals gelebt zu haben... Mit einem fast ehrfürchtigen Licht in den Augen, mit erwartungsvollem Lächeln in das schwarze Gesicht über ihr, in das Gesicht der dunklen Schattengestalt, die ihre Arme um den schlanken Körper gelegt hatte, stand Aleksiel auf der Lichtung im goldenen Sonnenschein, der in dieser Gestalt zu versinken schien, die ein Mann war. Mehr erkannte man nicht. Einer seiner Finger strich über ihren Busen, während er mit ihr sprach, aber man hörte seine Worte nicht, nur eindringliches Gemurmel, das hypnotisierte. Schwach machte, wie sein Blick dieses Mädchen, das an seinen Lippen hing, als wäre er das größte auf der Welt. Und er beugte sich zu ihr herunter, flüsterte ihr etwas ins Ohr und Angel wollte schreien, sie auf das aufmerksam machen, was geschah, aber kein Ton drang aus seiner Kehle. Der Fremde presste Aleksiel an sich, bog ihren Oberkörper zurück und sein Gesicht, das schwarz und unkenntlich hinter einer Kapuze verborgen war, schwebte über ihrem, als wolle er sie küssen und dann... Ihr Kopf fiel zurück, leblos, und er sah Blut, wie es aus ihrem Mundwinkel lief. Überraschung und Schmerz in ihren Augen, die langsam verblassten, stumpf wurden, und Blut färbte die Vorderseite ihres Kleides. Sie fiel, als er sie los ließ und sein eisiger Blick streifte Angel, als ein gesichtsloser Kopf sich ihm zuwandte. ,Ich bin Yakomo', flüsterte eine tonlose Stimme in seinem Kopf. ,Du hättest es wissen müssen, Junge. Du hättest es wissen müssen...' Und verschwand...
 

Fassungslos starrte Angel auf die blutige Gestalt, die neben ihm lag. Irgendwie schien alles neben ihm zu verschwimmen. Und zu verschwinden... "Dass du es überhaupt wagst", sagte eine Stimme, die er niemals im Leben erwartet hätte und er sah entgeistert auf. Sie blickte ihn an wie der Tod, in dessen Fängen sie gerade noch zu stecken schien. "Ally...", murmelte er heiser, "du lebst?!" - "Natürlich", sagte sie, als wäre das wirklich natürlich. Sie blickte herunter, aber nur auf das blutige Kleid und zuckte dann desinteressiert mit den Schultern. "Was hast du sonst erwartet?" sagte sie dann. Ohne auch nur die leiseste registrierbare Gefühlsregung. Sie hatte ihn veralbert. Sie hatte ihn verarscht! "Schlampe", knurrte er, weil es das einzige war, das ihm in diesem Moment einfiel. "Kleine, billige, verfluchte Schlampe." Er hatte sich solche Sorgen um sie gemacht, und sie... verarschte ihn! Sie legte den Kopf schief. "Was hast du gesagt?" Als wäre es belanglos und etwas, das man nach belieben wiederholen konnte. "Billige Schlampe", wiederholte er lauter und stand auf, um so auf sie herabzusehen. "Wertloses..." - "Hübsche kleines Spiel", unterbracht ihn jemand und Rociel tauchte neben ihnen auf. Er legte einen Arm um Aleksiels Taille und küsste sie zärtlich auf die Wange. "Schön dich wiederzusehen", sagte sie zu ihm, ohne ihn anzusehen. Ohne zu lächeln. Ohne überhaupt irgendwo hin sehen, als auf ein imaginäres Staubteilchen oder etwas, dass weder Angel noch Rociel sehen konnten. Ersterer wusste, dass sie nicht nur so tat. Dass sie schon lange... so war... Dass es schon vor achtzehn Jahren Anzeichen gegeben hatte. Rociel dagegen starrte sie entsetzt und sprachlos an. "Hallo Aleksiel", meldete sich schließlich der letzte hinter ihnen, dessen Anwesenheit Angel schon lange gespürt hatte, doch nicht die Reaktion, die schließlich doch noch auf dem Gesicht des schönen Engels zu sehen war, der noch immer einfach nur da stand und ins Nichts starrte, sich nicht bewegt hatte, seit er aufgestanden war. Zum ersten mal seit langem, seit er sie wiedergesehen hatte, sah er etwas anderes auf ihrem Gesicht, als schreckliche, traurige Leere. Jetzt war es Schmerz. Aber wegen Luzifer? "Komisch", sagte sie jetzt mit Grabesstimme und einem Blick, der niemandem galt, wie zuvor und mit Worten, die ins nichts drangen, als würde sie mit jemandem sprechen, den niemand außer ihr selbst sehen konnte: "Genauso ist es, wenn man denkt, das Leben könnte unmöglich noch schlimmer werden... Und dann tut es das doch..." Sie seufzte ein kleines, Todtrauriges Seufzen, wie sie da stand, einfach so, zwischen den vier Männern, die sie alle liebten. "Bitte, warum kannst du nicht warten...?" fragte sie leise irgend jemanden. "Quäl mich doch nicht..." Es hätte allen gelten können, aber sie gab keine Hinweis, wen sie meinte. "Männer sind so verlogen... Benutzen wie Spielzeug... Und werfen dann weg wie Abfall... Versprechen die Welt und geben... nichts..." Betroffenheit erfüllte vier Gesichter und keiner von ihnen konnte auch nur ein Wort des Widerspruchs äußern. "Folge mir nicht...", murmelte Aleksiel so traurig, dass man glaubte, sie würde anfangen zu weinen. "Ich habe Jahrtausende lang allein gelebt... Allein und verlassen, von allen, so egal war ich ihnen... da brauchst du nicht glauben, bei dir würde es anders sein..." Jetzt endlich schwieg sie und wollte gehen doch Angel verstellte ihr den Weg. Er verzog die Lippen zu einem Fauchen und dann schlug er ihr mitten ins Gesicht. Ein roter Abdruck bildete sich auf ihrer Wange, wo seine Finger ihn getroffen hatten und während seine Hand noch erhoben war zu einem zweiten Schlag und seine brennenden Augen Aleksiel fast ebenso kalt musterten wie die ihren ihn, knurrte er: "Undankbares kleines Flittchen. Als hättest du jemals etwas für andere getan!" Sie reagierte noch immer nicht und das ließ seine Hand zucken, als wolle er sie gleich noch einmal schlagen. "Ich hätte nicht gedacht", flüsterte sie dann, "dass es weh tut." Sie trat ein paar Schritte zurück und sah ihm in die Augen und er wusste nicht, ob er ein Lachen beginnen oder in Tränen ausbrechen sollte. "Ich war einmal froh, dich getroffen zu haben, warum auch immer, aber dieses Gefühl löscht sich schon von selbst aus. Nicht nur durch dich. Du bist nicht besser als die anderen." Sie schien zu verschwimmen und die Luft um sie herum wurde erfüllt von Rosenduft, bis da nichts mehr war als in Wirbel aus kaltem Staub. Die vier Männer starrten noch lange auf den Fleck, an dem ein einziges Rosenblatt lag, wie ein Überbleibsel aus der Vergangenheit. Und wäre nicht der Donner ertönt, der sie aus ihren leeren Gedanken riss, wären sie noch lange dort geblieben. ,Simon!', rief die Stimme vom Himmel scharf und durchdringend. ,Wo ist Aleksiel?!' - "Sie ging." Simons Antwort war tonlos und voller Unglaube über das Geschehene. ,Such sie!', fauchte der sonst so sanfte Gott. ,Und bring sie mir auf der Stelle zurück!' Das brachte den Erzengel aus seinen Gedanken und er riss den Kopf hoch und schrie verächtlich in den Himmel: "Such sie doch selbst, du allwissender Gott! Ich hab zu lange deine Spielchen ertragen! Sie doch genauso! An ihrer Stelle wäre ich auch gegangen!" Das Lachen, das darauf ertönte, ließ jeden der vier erschauern. ,Hör mal, du Nichts. Wenn ich sie hole, bedeutet das nichts Anderes, als dass sie sich meinem Willen widersetzt. Und jeder, der das tut, wird vom Himmel bestraft.' Simon schluckte, als stünde er auf dem Schafott, bereit, geköpft zu werden. "Bestraft?" Er griff sich an die Kehle. "Vom Himmel?" Nur weiteres höhnisches Lachen. ,Ich will ja nicht ins Detail gehen, aber du kannst dir sicher denken, dass es nicht sonderlich angenehm für dein kleines Lieblingsflittchen wird.' Dem Erzengel drehte sich der Magen um und er unterdrückte in Würgen. "Sie ..." - ,Ja...' Das Wort wie ein gieriges Stöhnen, wie die Erwartung, die Freude auf das Unausweichliche. ,Ich wusste, dass du gehorchst.' - "Ja." Simon lachte freudlos. "Wie immer..."
 

2006, England

Weißer Vollmond erleuchtete eine Szenerie voller Kälte. Blanke Lichtbalken trafen auf Schattenflächen und vollkommene Stille ließ die Nacht erschauern. In der finsteren Einsamkeit hob und senkte sich die Brust eines Wesens in gleichmäßigen Atemzügen. Schließlich überbrückte ein Flüstern das Schweigen. "Trauriges Jahr... so leidvoll... Ich hoffe, du hast mich wenigstens ein bisschen vermisst...?" - "Verschwinde", stöhnte eine Stimme resigniert in der Dunkelheit. "Geist der Vergangenheit..." Aber schließlich fragte sie doch: "Was willst du?" - "Ich will verschwinden", kam die Antwort von nirgendwo, aber ein Schatten rekelte sich auf dem Bett. "Warum verpisst du dich dann nicht?" fragte sie zurück und fast glaubte man noch, den Eisblock zu spüren, doch unter der Oberfläche war da die leise brodelnde Gefahr eines nur vorübergehend erloschenen Vulkans. "Dein Daddy erlaubt es nicht." Die Stimme lechzte nach ihr. "Meinst du nicht deinen?" fragte sie beiläufig desinteressiert und erhob sich. Schemenhaft wurde die weibliche Gestalt sichtbar, als sie sich erhob und durch die Finsternis auf eine Tür zu spazierte. "Ich nehme nicht an, dass du mich auch ins Bad begleiten willst", sagte sie, bevor sie diese öffnete. "Ach weißt du", säuselte die Stimme, "ich hätte nichts dagegen..." Die Tür fiel laut ins Schloss und Lachen explodierte in der Stille. "War das ne rhetorische Frage...?"
 

Goldgelbes Licht umhüllte die Gestalt wie einen Heiligenschein, ohne in der so lange andauernden Dunkelheit etwas zu zeigen, dann erlosch die Helligkeit und Finsternis fraß gierig das letzte bisschen Licht. Jemand tapste unbekümmert durchs Zimmer, ein Handtuch glitt zu Boden und letzte Wassertropfen glitzerten noch auf nackter Haut. "Was willst du?" Sie war nicht mehr so gut wie damals. Nicht mehr so kalt... Man spürte ihre verdrängte Leidenschaft. "Oh Aleksiel", säuselte er. "Als wenn du das nicht wüsstest. Ich will gar nichts. Ich wurde nur geschickt. Ich bin nur ein Bote." Sie lachte leise, aber humorlos. "Um mich zu holen... Wieder mal... Und was machst du, wenn ich nicht mitkomme?" Heiterkeit durchdrang die Stimme. "Meinst du, das wäre mein Problem? Ich muss dich nur finden, sonst nichts. Und das hab ich doch." - "Mich finden." Es machte ihr nichts, als gierige Augen sie Stück für Stück verschlangen. "Und deine eigenen Wünsche?" Dieser Satz ertönte kalt und abweisend. Als erwarte sie noch etwas, aber dann ignorierte sie sein Lachen, "Das SIND meine Wünsche", und begann sich anzuziehen. Sie reagierte auf gar nichts, bis die Stimme schließlich genervt schnauzte: "Was soll das eigentlich?" Und als die Finsternis zerplatzte wie eine Seifenblase, herrschte für einen Moment Schweigen, während sich beide ans Licht gewöhnten. Dann funkelte die Gestalt, die so schwarz gekleidet war, dass das Licht von ihr abzugleiten schien, Aleksiel wütend an. "Ich lasse dich nicht gehen. Du gehörst mir und du wirst tun, was ich sage." - "Ach Angel." Es lag etwas in ihrem Blick... "Glaubst du etwa, gerade DU könntest mich noch einschüchtern?" - "Hältst du mich für unfähig?!" grollte Angel, sprang vom Bett und richtete sich drohend vor ihr auf. "Du wirst mir folgen, ob du willst oder nicht." Er kannte ihren eisernen Willen. Und er schwor sich, er würde ihn brechen. "Ach ja?" fragte sie jetzt spöttisch. "Und warum?" Er legte seine Hand an ihr Kinn und streichelte sanft die weiche Haut, bevor er sie plötzlich zu sich heran zog, so nah, dass sie einander tief in die Augen sahen. "Weil ich..." Das Klingeln unterbrach ihn und während sie höhnisch kichernd entwischte, knurrte er nur wütend und folgte ihr dann, als er ihre Stimme hörte. "Was ist?" fragte sie gerade und Alicia blieb mitten im Satz stecken, als er neben Aleksiel im Flur auftauchte. Das Menschenmädchen - jetzt eine junge Frau - starrte ihn mit großen Augen an und er selbst starrte ziemlich ungeniert zurück, denn jetzt mit einundzwanzig sah sie auch entsprechend erwachsen aus. "Angel, was machst du denn hier?!" fragte sie fast quiekend und er verkniff sich sein Grinsen nicht, während Aleksiel verächtlich schnaubte. "Das verzogene Papasöhnchen war mal wieder böse und muss sich jetzt hinterm Rockzipfel von Daddys Ex... Freundin verstecken, sonst bekommt er Haue." Alicia lachte und er registrierte Aleksiels befriedigtes Grinsen. Ihr Grinsen, das ihm zeigte, dass sie sicherlich noch nicht fertig war, aber er ließ ihr keine Zeit, um noch eine Bemerkung zu machen, legte er einen Arm um ihre Taille, "Übrigens hast du gerade bei was wichtigem gestört...", grinste frech und zog Aleksiel zu sich heran, um sich endlich seinen verdienten, viel zu lange erwarteten Begrüßungskuss zu holen. Aber als sie ihr Knie in die äußerst empfindliche Stelle zwischen seinen Beinen rammte, hatte er nur noch Zeit, kurz nach Luft zu schnappen, bevor er sich mit schmerzerfülltem Keuchen auf dem Boden wiederfand. Er hatte wohl doch nicht genug nachgedacht... Aleksiel beugte sich zufrieden lächelnd über ihn und in einem anderen Moment hätte er den kleinen Einblick in ihr Dekolleté sicher genossen, doch jetzt konnte er sich auf nichts anderes konzentrieren, als auf den Schmerz. "Oh tut mir leid", sagte sie ironisch besorgt und grinste. "War ich das etwa?!" Vielleicht hätte er ihr doch nicht die Zunge in den Mund stecken sollen? Sie angelte sich eine Jacke vorm Garderobenständer und wenn er gewollt hätte, könnte er die Farbe ihres Höschens sehen. Irgendwie war er sich sicher, dass er es später bedauern würde, diese Möglichkeiten nicht genutzt zu haben - merkwürdiger Weise fiel ihm das gerade in diesem Moment ein -, doch jetzt war das das letzte, was ihn interessierte. Er hörte noch verzerrt ihr fröhliches Pfeifen und ihre Schritte auf der Treppe. Alicia beugte sich zu ihm hinunter, aber es war ganz bestimmt nicht Mitleid, was er da auf ihrem Gesicht sah. "Ich glaube", der Schmerz hatte inzwischen wenigstens genug nachgelassen, dass er über ihren amüsierten Tonfall empört sein konnte, "da hast du dich ein wenig überschätzt."
 

Gedränge herrschte in der Disko, diffuses rotes Licht zog alle Farben ins blutige. Rauch, Schweiß und verschiedene Parfums mischten sich zu einem merkwürdigen, aufregenden Geruch, weshalb außer dem Alkohol, der hier und da nicht nur in Maßen ausgeschenkt wurde, auch das für die ausgelassene, fast euphorisch-ekstatische Stimmung des einen oder anderen Gastes verantwortlich war. Sie saß an der Theke, die Beine aufreizend übereinander geschlagen. Ihre Jacke hing über der kurzen Lehne des Barhockers. Sie wusste genau, dass sie viele Blicke auf sich zog und das war ja auch der Sinn der Übung, schließlich suchte man sich nicht umsonst was Enges aus. Müßig hob sie ihr Glas, in dem noch die Hälfte von ihrem Cuba Libre war, und setzte es an die Lippen, doch genau an dem Moment rempelte sie jemand an und die durchscheinende Flüssigkeit spritze über ihre Sachen. "Verdammter..." Das letzte ihrer Worte hörte man nicht mehr, weil sie es sich verkniff und dann sah sie auf, um die Entschuldigung entgegen zu nehmen und sich vielleicht noch einen Drink spendieren zu lassen - tatsächlich schienen manche Männer das für eine gute Anmache zu halten -, aber sie kam nicht mehr dazu, wenigstens oberflächlich freundlich zu sein. "Süße, das wollte ich wirklich nicht." Angel lächelte sie an und reichte ihr dann eine Serviette. Sie starrte ihn eine Weile lang an, das Glas noch in der Hand, dann schüttete sie ihm aber das letzte bisschen, was noch darin war, ins Gesicht. Er war selbst überrascht, und als er dann endlich darauf kam, die Serviette selbst zu benutzen, sagte sie nur: "Oh tut mir leid, das wollte ich wirklich nicht." Sie nahm sich nicht einmal die Mühe, es irgendwie ernst gemeint klingen zu lassen, was ja sowieso sinnlos gewesen wäre. Durch die tanzende Menge sah sie Phil, einen ihrer Freunde, der sich einen Weg zu ihr zu bahnen versuchte und sie ließ sich vom Barhocker gleiten, um zu ihm zu gehen. "Entschuldige mich", sagte sie noch zu Angel, bevor er ihr schon eine Ohrfeige verpasste. Schon wieder, kam ihr widernatürlich in den Sinn und sie starrte ihn an, wie er so vor ihr stand mit einem Blick, der selbst Luzifer verjagt hätte. "Du dreckige kleine Nutte." Und sein Ton war ruhig genug, dass sie ernstlich angst bekam. "Glaubst du wirklich, ich würde mich so leicht geschlagen geben?" Er legte seinen Arm um ihre Taille und zog sie näher, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern, und irgendwie fühlte sie sich wie gelähmt, als sie seine Worte hörte: "Langsam finde ich Gefallen daran, dir ab und zu mal eine zu klatschen..." Aber dann war da Phil und er packte Angel an der Schulter und zog ihn endlich von ihr weg...
 

Ein einsames Lachen kirrte durch die Leere. "Tot, tot, tot, tot, tot, tot, tot, tot, tot", keuchte es entzückt. "Tot, tot, tot, tot, tot." Die Dunkelheit erbebte wie unter einem Schlag. "TOT!" Das Lachen verklang. Wahnsinn hüllte die Schatten in düstren Glanz. "& so klug! Aber nichts! Nichts! Nichts!" Verzückte Schreie zitterten in der Finsternis. Völlig irr. Völlig wahnsinnig. "Besser... viel besser als die anderen..." Das Lachen schwoll auf & ab, bis es abrupt verstummte & ein heiserer Schrei erklang: "Ich habe sie immer gehasst!" Stille. Die förmlich explodierte mit einem Crescendo der höchsten Wut: "Ich will dein Herz! Reiße es heraus & du wirst es verspeisen noch ehe du tot bist!"
 

"Ally?" Alicia betrat vorsichtig die Wohnung, immer darauf gefasst, das irgend etwas sie anspringen würde, auch ,Ally' - sie hatte im verlauf des letzten Jahres damit angefangen, sie so zu nennen -, auf diese sogar besonders. Sie traute ihr in dieser Beziehung wenig. Wenn Aleksiel wütend war, konnte man ihr alles zutrauen, sogar einen Mord... Sie blieb kurz stehen, grinste schwach und sah sich dann weiter um. "Ally?" Hinter ihr schloss Angel die Tür und sie hoffte beinahe schon, ihre jetzt beste Freundin würde irgendwo hinter einer Ecke vorspringen und ihm ihretwegen den Kopf abreißen. Sie spürte seine Blicke auf ihrem Rücken und auf ihrem Po und es schien ihn nicht zu stören, dass sie schon seit zwei Jahren mit Lance verheiratet war. Er war nicht mal überrascht gewesen. "Ally, verdammt noch mal, jetzt antworte!" rief sie, langsam genervt, und von irgendwoher kam ein undefinierbarer Laut. Sie erwartete eigentlich keine Antwort, als ein gedämpftes "Ja, ja..." durch den Flur drang und etwas fiel, von einem Fluch begleitet, zu Boden. "Wo bist du?!" Alicia spürte Erleichterung in sich aufsteigen. "Im Bad", kam die einfache Antwort aus genau dieser Richtung. "Was machst du da?!" Sie griff nach der Klinke, aber natürlich war abgeschlossen. "Drin bleiben", kam die lakonische Antwort und Angel, der so plötzlich hinter Alicia auftauchte, dass sie erschrocken keuchte, aber er schob sie nur freundlich lächelnd - das konnte er tatsächlich! - zur Seite und klopfte an die Tür. "Mach auf", war sein kurzer Befehl, "oder ich hänge die Tür aus." - "Spinner", fauchte Aleksiel, aber man hatte gehört, dass er es ernst meinte, also schloss sie irgendwann nach einiger Zeit auch die Tür auf und trat heraus. Angel machte einen drohenden Schritt auf sie zu. "Was soll der Scheiß? Wie kommst du dazu, dich mit DEM Typen einzulassen?!" Irgendwie war Phil auch hier und Alicia wunderte sich, weil sie ihn nicht hatte kommen sehen. Angel wies auf ihn und er sah einfach nur wütend und verletzt aus. "Du bist meine Süße, meine, verstehst du?" Sie schnaubte verächtlich. "Ich hab dir nie gehört und das weißt du. Ich gehöre nur mir selbst, verstanden? Ich würde lieber sterben, als DIR zu gehören! Oder dich auch nur in meine Nähe zu lassen." Dann lachte sie spöttisch, aber doch irgendwie traurig, so wie sie immer traurig war, immer und überall, auch wenn sie lachte. Dann trat sie an ihn heran, ganz nah, nicht so nah, dass sie ihn berührte, aber so nah, dass sie fast spüren konnte, wenn sie atmete, wie ihre Brüste sich hoben und senkten... und sie flüsterte ihm ins Ohr: "Wenn du mich noch mal schlägst, weis ich nicht, ob du die nächsten anderthalb Sekunden überlebst..." Dann lächelte sie wieder aber da ist einfach nichts in ihren Augen, das mit ihr lächelt, einfach nichts, das Gefühl zeigt, nur etwas wie Leere... Dann drehte sie sich um und ging, als würde sie einfach irgendwie im Nichts verschwinden, und ihre Hüften wiegten sich bei jedem Schritt, so dass er ihr nur hinterher starren konnte. Und dann war sie weg, wie sie so oft einfach so verschwunden war, einfach so, ins Nichts, in eine Welt, die er nicht betreten konnte, und sie würde ihn töten, hätte er es auch nur versucht. Angel starrte ihr selbst noch nach, als sie verschwunden war und er schien Alicia und Phil schon vergessen zu haben, vor allem Phil, obwohl er wegen dem gerade noch ziemlich wütend gewesen war. "Das ist nicht fair von dir", murmelte er und selbst die Verachtung in seiner Stimme klang traurig, "dass du dich einfach so in deine eigene Welt zurück ziehst... und mich hier allein lässt..." Irgendwie war es ernst gemeint, irgendwie hörte es sich so an, als würde er sie vermissen. "Nicht fair..."
 

"Süß! Süß, süß, süß, süß!" gurrte eine Stimme in der Dunkelheit. "Himmlisch! Einfach himmlisch!" Auf einem goldenen Thron schlug jemand ein Bein über das andere & kraulte den Nacken einer schwarzen Katze. "So strebsam... Wie sie sich bemühen... Einfach putzig!" Ein irres Lachen hallte von den Wänden wieder & warf sein schauriges Echo wie blanken Hohn auf den Thron zurück, als die selbe Stimme mit maßlosestem Zorn schrie: "Schlampe!" Eine Faust donnerte auf einen Tisch neben dem Thron & ein Kristallglas wurde unter der immensen Kraft einfach zerschmettert. Mit einem ängstlichen Fauchen floh das Kätzchen in eine finstere Ecke. Dann war Ruhe. - Fast vernünftig murmelte die dunkle Gestalt: "Wenn sie nicht freiwillig kommt, werde ich sie holen müssen. Miez, Miez, Miez!" Mit furchtsamem Miauen schlich das schwarze Tier heran & begann dann, Tropfen von Blut aufzulecken, die an der Hand der schwarzen Gestalt herunter tropften. "Ja!" Fast erregt keuchte die Stimme. "Genau so wird sie kommen. Unterwürfig. Zahm wie ein Kätzchen. & sie wird meine Gnade aufnehmen wie frisches Blut. Sie wird zahlen. Leiden." Das Kichern weitete sich aus, ebbte ab, um nur mit neuerlicher Kraft die Halle zu erschüttern. Die Gestalt schnellte hoch & reckte die Arme zur Decke. "Nicht mehr lang!" Dann verkrampfte sie sich unter trockenem Würgen, das seine Kehle hinauf stieg & schwarzer Schleim befleckte den Boden. Zwischen Röcheln & Husten kicherte das Wesen, als wenn gar nichts wäre. "Eins, zwei, drei, vier, fünf..."
 

"Oh bitte quäl mich nicht..." Sie schluckte leise, spürte wie sie durch das nichts trieb, obwohl man es nicht sah, obwohl noch zu wenig passiert war, obwohl die wenigen kleinen Lichtpünktchen der Sonnen, der neu erstehenden Galaxien, noch zu wenige waren. Sie wünschte, dass hier etwas wäre, das sie zerstören könnte, aber sie liebte diese Einsamkeit so sehr, so verdammt sehr... Aber glücklich war sie hier dennoch nicht... Sie war nie glücklich, dazu hatte die Welt sich zu sehr enttäuscht... ,Aleksiel... Ally... meine Süße...' Ihre Lippen öffneten sich ganz leicht zu einem Klagelaut, der immer mehr anschwoll, immer mehr und mehr, immer weiter, bis sie schrie und die Hände an die Ohren presste, schrie, bis ihr die Tränen kamen, immer mehr, bis sie keine Luft mehr zu bekommen schien, obwohl sie sowieso nicht atmete, und ihre Stimme noch heiserer klang als sonst und ihr Hals sich anfühlte wie Sandpapier. "Ich bin doch nur ein Spielzeug für euch", flüsterte sie und ihre Worte schmerzten, nicht nur in ihrer Kehle. Auch in ihrem Kopf... Ihr Seufzen war der tiefe Ausdruck unendlicher Trauer. "Weil ich für euch... nur ein Püppchen bin..."
 

"Du liebst sie wohl immer noch..." Angel sah auf aus der Dunkelheit, in die er gestarrt hatte, in Aleksiels Zimmer, konnte niemanden sehen, weil selbst der Mond düster war. "Ich bin besser geworden", sagte die Stimme. "Nicht mal du kannst mich noch spüren." Angel grinste nur schief und humorlos, stand auf und lief durchs Zimmer und irgendwann wirbelte er herum und packte die Gestalt am Kragen. Dann grinste er, als wäre er einer der niederen Höllendämonen, einer der kleinen dreckigen Diener, und selbst hier sah man es, weil plötzlich die Wolkendecke über dem Mond aufriss. Auge in Auge standen sie sich gegenüber, goldgelb zu blutrot. "Besser. Aber nicht gut genug." Er grinste weiter. "Ich kriege jeden." Dann ließ er die Gestalt los, die auf den Boden knallte, schwankte, aber nicht fiel, und setzte wieder seine finstere Grabesmiene auf. "Sie hast du nicht gekriegt", grinste die Gestalt und bekam einen Stoß ab. "Was willst du, Mephisto", fragte Angel, "Oder besser ,Phil'", und plötzlich flammte das Licht auf, dass er fluchend eine Hand vor die Augen schlug. "Verdammt, was soll das?" - "Komm, bleib ruhig, ja?" Der andere trat in sicheren Abstand, weil Angel langsam die Kontrolle zu verlieren schien. "Das hier ist nicht die Hölle. Überleg mal, was das eigentlich soll." Der junge Dämon hätte genauso gut Afrikaner sein können mit seiner schokoladenfarbenen Haut und den schwarzen gekräuselten Haaren, die ihm halblang und irgendwie wirr um den Kopf standen und über die Stirn fielen, so dass seine goldenen Wolfsaugen dazwischen hervor blitzen. Er grinste Angel vorsichtig, aber irgendwie herausfordernd an. "Was?" fragte der Höllenprinz. "Tu doch nicht so", höhnte Mephisto - Phil. "Du willst sie doch. Aber du kriegst sie nicht. Du kriegst sie nicht, weil du zu blöd bist. Du kriegst sie nicht, weil du verdammt noch mal zu blöd bist dran zu denken, was eine Frau eigentlich will. Und du solltest froh sein, dass du sie nicht kriegst, weil sie dich nicht will und weil du so gut wie tot wärst, wenn du sie auch nur anfassen würdest." Angel packte ihn erneut am Kragen, aber Phil kicherte nur, irgendwie leicht irre, aber trotzdem völlig klar. "Du hast echt verdammtes Glück, weißt du das? Du wusstest doch noch nicht mal, was sie eigentlich ist! Klar, lieber auf Nummer sicher gehen, dass du sie auch flach legen kannst, egal wie, und bei ihr war's natürlich was besonderes, weil sie ja der verdammte Ewigkeitsengel war, den du ficken wolltest. Echt, du bist so was von..." - "Schnauze", fauchte Angel, aber er wurde überhört. "...bescheuert. Du hast noch nicht mal die leiseste Ahnung, weißt du das?" Der jüngere Dämon wurde losgelassen, stolperte und fiel, saß auf dem Boden und da kicherte er weiter, wie irre, immer noch, als wäre er betrunken und vielleicht war er das auch. "Du hast so'n verdammtes Glück...", murmelte er weiter, laut genug, dass Angel es hören konnte, der sich fast schuldig in eine dunkle Ecke verkrochen hatte, die Hände über den Kopf geschlagen, und hin und wieder irgend etwas murmelte, zu ignorieren versuchte, was er hörte, es aber nicht konnte. Und auch nicht floh... Jetzt kamen die Worte nur noch abgehackt, fast schläfrig: "Sie hätte dir das Genick gebrochen... hat dich nur fertig gemacht... liebeskrankes Hündchen... Scherz erlaubt..." - "Sie gehört mir", flüsterte Angel trotzig. Phil kicherte wieder. "Hat sie nie... sie hat jedem gehört, dir nie... sie wird dich killen... macht dich fertig..." Die Pausen zwischen den einzelnen Sätzen wurden immer länger. "Du blöder Idiot... geh doch... und schnapp sie dir... wenn du das... über lebst..." Dann war er eingeschlafen.
 

"Es wird langsam Zeit, meinst du nicht, Chérie?" - "Vielleicht. Aber ich bin dafür, noch etwas zu warten." - "& wenn wir zu lange warten?" - Die Frau lachte, während sie weiterhin wie gebannt auf den Mann starrte, der auf dem spiegelnden Wasser zu sehen war. "Zu lange warten? Selbst wenn ich Jahrtausende warte, wäre ich noch nicht zu spät." Sie drehte sich um & ging mit energischen Schritten auf ein dunkles Tor zu, während das Bild erlosch. "Komm jetzt. Wir wollen sie doch nicht warten lassen."
 

Vierundzwanzig Stunden und keine Spur von ihr. Nirgendwo, dazu brauchte er nicht zu suchen, er hätte sie gespürt, wenn sie in seiner Nähe gewesen wäre, und Nähe bedeutete mindestens einen Umkreis von zehn Kilometern. Phil war irgendwann mit leichten Kopfschmerzen aufgewacht - was auch immer er getrunken hatte, es musste sehr, sehr stark gewesen sein und auch eine ganze Menge, um IHM Kopfschmerzen zu bereiten - und hatte schon wieder begonnen, mit den anderen zu streiten. Er behauptete, er wisse nichts mehr von gestern Abend, aber Angel glaubte ihm das nicht und wahrscheinlich hatte er Recht damit. "Klar wird sie das", sagte Simon jetzt mit deutlicher Ironie, auf Lance' Frage, ob Aleksiel wieder zurück kommen würde. Er war irgendwie sofort verständigt worden, als Angel sie gefunden hatte, aber er kam doch etwas zu spät. "Wenn du sie an den Haaren zurück zerrst. Aber dazu müsste man sie erst mal finden... Was ihr kaum schaffen werdet." Neben ihm stand Rociel, beide misstrauisch und beide nicht sehr scharf darauf, Aleksiel zu finden, denn da Ross ihr Bruder war, bräuchte er nicht einmal eine Sekunde, sie zu lokalisieren, aber er tat nichts, um ihnen zu helfen. Jetzt fiel es Angel wie Schuppen von den Augen. Natürlich wollten sie ihnen nicht helfen! Egal was der Alte ihnen versprochen oder angedroht hatte, es musste überzeugend genug gewesen sein, sie zu Gegnern zu machen. ,Was ihr kaum schaffen werdet.' Provokant sollte das sein und Phil wirkte auch schon wieder sprungbereit, genau wie Lance, der sich allerdings nicht genau entscheiden konnte, wem er mehr trauen sollte. Alicia war sowieso wieder völlig verunsichert, wie schon früher, aber wenigstens bestand sie darauf, dass man Aleksiel fand und sie war auch dagegen, dass diese in den Himmel zurückgebracht werden sollte. Vielleicht konnte man da etwas drehen... Ein wütender Wortwechsel ließ ihn aufsehen und er fand Phil und Rociel Auge in Auge gegenüber, wie sie sich beinahe gegenseitig erwürgten. Simon bebte und Lance hatte die Hände zu Fäusten geballt. "Sie ist mein und ich nehme sie mit, das ist GOTTES Wunsch und der wird nicht missachtet!" fauchte Rociel, was verwunderlich war, da er ja eigentlich - zumindest Angels Annahme nach - ein Dämon war. Aber irgendwie war er sich da niemals sicher, schließlich wusste er genauso wenig, was Aleksiel eigentlich war. "Ist mir so scheiß egal, sie hat sich eh vom Himmel gelöst, also habt ihr gar nichts zu sagen! Vor allem mir nicht!" Phil packte den rothaarigen Dämonen am Kragen, schüttelte ihn und sagte: "..." - "Ihr benehmt euch wie Kinder, die sich um ein Spielzeug streiten", murmelte Angel und langsam wurde ihm einiges klar. Die fünf sahen ihn überrascht an, als hätten sie ihn in den letzten Minuten vergessen und schwiegen. Endlich. "Aber wenn es schon so sein muss, dann ist sie MEIN Spielzeug. Und ich hoffe, ihr wollt eure Lektion nicht so lernen, dass ich euch weh tun muss..." Eigentlich hoffte er das doch.
 

Ein gleißender Blitz zerriss die Dunkelheit. Etwas Schwarzes tauchte auf und zappelte wie eine erschreckte Fledermaus. Dann merkte es, dass da nichts war, wohin es fallen konnte und es beruhigte sich wieder. Dann merkte es, dass es Flügel hatte und es fragte sich sekundenlang ernsthaft, ob die letzte Zeit nicht zu sehr an seinem Verstand gezerrt hatte, aber es verwarf diesen Gedanken gleich wieder, weil es wichtigeres zu tun hatte, als über seinen eigenen Geisteszustand zu philosophieren. "Hallo?" rief es irgendwann, nachdem es sich in der trostlosen, von einigen wenigen Lichtpunkten durchbrochenen Finsternis umgesehen hatte, aber die Weite war so unendlich und es gab nichts, dass seinen Ruf weitertragen konnte, und so hoffte es nicht auf eine Reaktion oder eine Antwort und auch nur ein Echo. Also versuchte es, etwas zu sehen, aber die Finsternis... Vielleicht sollte es wenigstens versuchen, ein Licht zu finden? "Ally...", murmelte es. Es? Eigentlich war es ein Er und er spürte, dass er sich sorgte. Sich sorgte, wie er sich noch nie gesorgt hatte, nicht einmal um sich selbst. "Oh, Ally, bitte..." Er spürte, wie sich seine Hände verkrampften und wenn hier Licht gewesen wäre, hätte man sehen könnten, dass seine Fingerknöchel weiß hervor traten, sogar unter der dunklen Haut. ,Glaubst du wirklich, du könntest sie finden?' Er zuckte zusammen, als die kühle alte Stimme durch das Nichts hallte. Er hatte nicht erwartet, dass es sich so anhören würde, geschweige denn, dass diese Stimme ihm erneut begegnen würde, aber es war so. "Schön, dich zu hören", murmelte er, leise und man konnte es kaum verstehen, aber das Wesen, dem die andere Stimme gehörte, verstand alles. ,Meinst du, ich würde sie dir lassen?', fragte die Stimme weiter. "Warum sollte ich dir das sagen?" fragte er lapidar und betrachtete seine Fingernägel, die so schwarz waren alles hier, aber konnte sie sehen, und die irgendwie länger schienen als eben noch, ohne dass man einen Übergang bemerkten konnte. "Ich verhandle nicht mit irgendwelchen Stimmen." Abwertendes Schnauben war zu hören, dann formten Blitze eine gleißend helle Gestalt und Angel fragte sich, ob ihn das beeindrucken sollte, entschied aber, dass es das sowieso nicht tat und verwarf die Frage. "Besser so?" fragte die Gestalt, die als alter Mann zu sehen war. Nun, nicht alter Mann, nicht in dem Sinne, wie man es vermuten konnte. Ein Mann eben mit grauweißem Haar und einem Vollbart, ein paar Falten auf der Denkerstirn und um die Augen, auf den Wangen, eine langsam beginnende Glatze und die langsamen, bedächtigen Bewegungen, die man eben von jemandem erwartete, der schon viel gesehen hatte. Irgendwie erinnerte ihn das Gesicht an jemanden, den er vor ein paar Jahren mal auf der Erde gesehen hatte. Einen... Schauspieler. Wie war der Name gewesen? Sean Connery...? So in etwa vielleicht... Er trug einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd, schwarze Schuhe und Angel wunderte sich kurz, wo denn der lange Mantel und die Sonnenbrille waren, die normaler Weise Erzengel auszeichneten, aber das war kein Erzengel. "So besser?" fragte der Mann erneut, aber Angel sagte nichts darauf. "Also, Adonai..." Er sprach den Namen langsam und bedächtig aus, kostete jeden einzelnen Buchstaben aus, bis das Wort zu Ende war und der Gott, DER Gott ihn anfauchte: "Wage es nicht noch mal, diesen Namen zu benutzen!" - "Was willst du mit ihr?" fragte der Dämon und ignorierte das letzte wiederum. Er musste es schaffen, diesen Dialog zu dominieren, sonst würde er versagen. "Sie ist MEIN, ICH habe sie geschaffen, ICH bestimmte, was mit ihr geschieht. UND ICH WILL SIE WIEDERHABEN!" Offensichtlich war Gott nicht auf ein Plauderstündchen aus, auch nicht auf Verhandlungen. "Du kriegst sie nur über meine Leiche." Angel grinste. Gott grinste zurück. "Okay. Lässt sich einrichten." Er meinte es ziemlich ernst. Alles kein Problem. "Du stehst wohl auf Krieg." - "Luzifer würde es nie verstehen, wenn du wegen einem Engel deine Leute verrätst." - "Wegen diesem ,Engel' haben schon ganz andere getötet. Du doch genauso. Du liebst sie doch so verdammt sehr, dass du sie lieber töten würdest, als sie auch nur eine Sekunde lang ein eigenes Leben führen zu lassen. Als sie auch nur eine Sekunde lang Freiheit spüren zu lassen. Aber du Idiot konntest sie ja nicht festhalten. Du musstest ja mit ihr angeben wie mit einer Trophäe. Aber hast du mal darüber nachgedacht..." Kälte hüllte sie ein, eisige Kälte, so kalt wie das Universum, wie der luftleere Raum, in dem sie sich befanden, wie das alles um sie herum, wie jedes Molekül, das hier schwebte, so weit in der unendlichen ebene aus Dunkelheit. Und all das flog auf sie zu, umfing sie in tödlicher Umarmung und presste ihnen das aus den Lungen, was bei einem Menschen die Luft zum atmen gewesen wäre, nahm ihnen die Energie, sogar dem, der sich Gott nannte, und ließ sie sich japsend und keuchend zusammen krümmen auf der Suche nach etwas wie Halt, das sie hier nicht finden würden. "Ihr werdet es niemals lernen", sagte eine dritte Stimme, diesmal weiblich, und es brauchte nur sie, um die Stärke in die beiden Männer zurückzudrängen, die sich jetzt aufrichteten, sich wild umsahen und immer ein Auge auf den anderen gerichtet hatten, damit dieser ihnen ja nicht ihre Beute nehmen konnte. "Ihr habt mich immer nur als Ding betrachtet, nicht wahr? Trophäe, ja... Spielzeug. Was noch? WAS NOCH?!" Aleksiel löste die Schleier um sich, das was wirkte wie Schleier und ihr ureigenes, immerwährendes Leuchten verdeckt hatte, und jetzt sahen sie sie, wie sie da vor ihnen stand, noch immer in dem Minirock und dem Oberteil, noch immer mit der Jacke, und wie sie sie ansah, so verletzt und traurig und irgendwie wohl wissend, dass es sich niemals so ändern würde, wie es sollte. "Ich sollte nie Freiheit haben. Ich sollte niemals Stärke bekommen. Ich sollte niemals allein bestimmen können, aber du, Adonai" - ein Zucken, gefährliches Glitzern, aber noch immer war da etwas von der Kälte, die ihn am Sprechen hinderte - "musstest mir die Vollkommenheit geben - eine Seele! - damit ich fast menschlich wäre und du das ewigste Wesen hättest, das es gäbe. Und ich hatte immer Freiheit. Ich hatte immer Stärke. Ich habe immer allein bestimmt. Und ich hatte immer, was ich wollte, weil ich es mir genommen habe. Und niemand, nicht einmal du, wird mich jemals daran hindern können."
 

Irgendwann, lange, lange vor uns, am Anfang der Zeit...

Hoch aufgerichtet und furchtlos, mit festem Blick, stand der junge Engel vor dem Thron Gottes. Ihr Gewand war zerrissen - eher zerschnitten - und knittrig. Ihr Haar war wirr um ihren Kopf verteilt, hing über ihr Gesicht, aber sie strich es nicht zur Seite, so dass ihre rot glühenden Augen ihn wie die eines Raubtiers durch einen Urwald anstarrten. Sie wirkte schon wie alles andere, nicht mehr wie ein Engel, aber das war sie niemals gewesen. Irgend wie niemals, auch nicht am Anfang, als sie... "Gehst du so mit deinen Freunden um, Adonai?" fragte sie kühl und berechnend, während sie ihre Arme aus den Umklammerungen der beiden Wächter zog, als hätten sie sie nur freundlich herein geleitet. "Lasst sie los", befahl er ein wenig zu spät, wodurch es eher wie die Angst wirkte, man könnte glauben, sie hätte ihn in der Hand. Aber vielleicht hatte sie das auch...? Er winkte die beiden weg und widmete sich ganz ihr. Sie musste einen Grund haben, SO hier zu erscheinen. "Was ist passiert?" - "Armisael ist tot." Ihre Stimme klang, als würde sie über das Wetter sprechen. Über Belanglosigkeiten. "Was?!" Das Wetter, das in Donnerhall umschlug, und Belanglosigkeiten, die sich als Apokalypse herausstellten. Kristallvasen in Mauernischen zersprangen, als er aufstand, aber sie beachtete es nicht. "Wer?" fragte er. "Wer hat das getan? WER WAGT ES...?!" - "Wen erwartest du denn?" fragte sie noch etwas kühler, und beinahe glaubte er Spuren von blau in ihren Augen zu sehen, aber... das war doch unmöglich, nicht wahr? "War er es?!" Natürlich, wer sonst? Er hätte ihm niemals trauen sollen... Er würde ihn vernichten, er würde ihn zu Brei zermalmen, er würde ihn... Aber nein, das war alles nicht schrecklich genug. Er würde... "Ich habe zugesehen, wie sie starb, weißt du..." Die Erregung in ihrer Stimme ließ ihn aufsehen. Sie anstarren. Das war keine Wut oder Entsetzen oder... "Oh, sie hat so gelitten..." Rauh und doch sanft waren ihre Worte. Sie hatte die Augen geschlossen, die Lippen zu einem leichten, sehnsüchtigen Lächeln verzogen... "Es war so ein wunderschöner Tod..." - "Du?" keuchte er tonlos, Atemlos, Gedankenlos. "Du?!" Nein, das konnte doch nicht möglich sein! "Sie hatte es verdient", sagte der hübsche, wunderschöne, so unschuldige, reine Engel und lächelte. "Ihr Blut war so süß, als es im Boden versickerte. Ihre schreie, als sie nach IHM rief, er möge ihr doch helfen, ihre Schreie nach dir... Ich wünschte, ich könnte das alles noch einmal sehen..." Er schluckte. Setzte sich, ehe er den Halt verlor, denn seine Beine fühlten sich an wie Gummi, merkte nicht, dass er auf dem Boden saß, wollte es auch nicht merken und ignorierte auch, dass sie da saß, auf dem Thron Gottes, aber es war ja auch egal... "Armisael... du..." - "Ich habe sie so sehr gehasst", flüsterte sie ernst. "Ich habe sie so sehr gehasst, jeden verfluchten Tag, den sie lebte, jeden verfluchten Tag, den ER sie liebte. Jeden verfluchten Tag, den sie in Freiheit verbrachte und ich einsam, verlassen und allein im goldenen Vogelkäfig. Und ohne ihn..." Er sah sie an, sah sie doch nicht, und wagte kaum zu fragen, warum, weil er wusste, dass seine Stimme ja doch versagen würde, und fragte doch: "Warum?" Aber das war ja schon die Antwort gewesen und sie wusste es. Und sie hatte nicht vor, ihn in Ruhe zu lassen. "Und ich habe Arael geküsst." Ohne Übergang sagte sie das und schockte ihn erneut, aber er war schon genug versunken in dumpfer Verzweiflung, als dass ihn das noch sehr... "ARAEL?!" Geküsst? Arael geküsst?! Er versuchte eine Verbindung herzustellen. Arael... geküsst... Arael? Sein Engel? Arael geküsst? "Er ist Luzifers Sohn", sagte sie. "Er ist der Sohn des Engels der Unterwelt und des Engels der Schönheit. Er ist der Sohn von Luzifer und Armisael." Er fühlte, wie etwas in ihm zerbrach. Aber nein, das war es ja gar nicht... Armisael... Er wusste ja, dass sie und Luzifer sich geliebt hatten. Schon bevor das passiert war. Er wusste ja, dass er sie nicht hätte zurückhalten können, das zu tun, was ihr Herz verlangte. Dazu war sie zu sehr einer der Ersten Engel. Dazu war sie zu sehr... das was sie war. Gewesen war... Und Luzifer hatte einen Sohn... Und sie... Arael... geküsst...
 

Er fühlte es noch immer, was da in ihm steckte... Hätte er ein Herz gehabt, hätte er sagen können, sie hätte es ihm gebrochen, aber er hatte ja kein Herz. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er eines hatte. Er nicht... Auch wenn er der Gott war. Aber Götter hatten ja kein Herz... Und jetzt war sie weg. War gegangen, davongeflogen wie ein Lufthauch, verschwunden aus seinem... Leben... und hatte ihm nur den schwachen Hauch ihres Parfums dagelassen, den süßen Hauch von Rosen... Und mehr nicht... Er wünschte sich so sehr, er hätte sie noch immer in der Hand, hätte noch die Möglichkeit, sie zu formen, wie er es wollte, hätte noch die Möglichkeit, mit ihr zu machen, was er wollte, damit sie bleiben würde, aber er hatte diese Möglichkeit verspielt... ,Adonai...' Er hörte noch immer ihre spöttische Stimme durch seinen Kopf klingen, wie sie sich verabschiedete. ,Adonai...' Er wünschte, er könnte es doch vergessen... Arael geküsst... Er wusste nicht, ob er das verstanden hatte, oder ob ihm sein Denken einen Streich spielte oder ob... Geräuschlos öffnete sich die Tür. Geräuschlos trat jemand ein. "Adonai..." - ,...wie ich dich hasse...' - "RAUS!" brüllte er, selbst nicht wissend, wieso. "RAUS! VERSCHWINDE! UND BENUTZE NIE WIEDER NIEMALS WIEDER DIESEN NAMEN!" Gabriel zuckte zusammen, schuldbewusst und unwissend. "Mylord...?" - "Nie wieder...", murmelte er. ,...dich hasse...' Sie hasste ihn also? Er merkte nicht, wie Gabriel floh, als er sein grausames Lächeln sah. Sie hasste ihn... Er hörte sein eigenes irres Kichern nicht, ignorierte es vielleicht sogar. Er würde sie kriegen... Er war Gott, er war der Gott... ER WAR GOTT! Sie gehörte ihm und wenn es sein musste, würde er sie quälen und foltern und er würde ihr die Seele selbst herausreißen, bis sie es verstanden hatte...
 

2007, England

Fast geräuschlos hielt der schwarze Ferrari in einer Parklücke und der Fahrer stieg aus, um seiner Begleiterin die Tür zu öffnen. Sie stieg aus ohne ihn besonders zu beachten, aber er schien es nicht zu merken. Küsste nur zärtlich ihren Nacken, nachdem er ihr Haar zur Seite gestrichen hatte, und lächelte. Sie beugte sich in das Wageninnere und holte irgendwo eine Tasche heraus, wobei sie sich weit herunter beugte, so dass er beinahe so, als würde er es nicht merken, über ihren Po streichelte, aber sie reagierte nicht. Die beiden gaben wirklich ein merkwürdiges Paar ab. Er war mindestens zwei Meter groß, vielleicht sogar mehr, und ganz in schwarz gekleidet. Schwere Stiefel, Lederjeans, ein enges schwarzes Shirt, eine schwarze Sonnenbrille, schwarze Halbhandschuhe. Alles an ihm war schwarz, bis auf sein Haar, das irgendwie chaotisch, aber nicht wirr, halb über sein Gesicht hing, und leicht violett schimmerte und seine Haut war gebräunt, aber in einer Art, als würde er das ganze Jahr so aussehen. Sie ähnelte ihm auf gewisse Weise, war aber irgendwie auch wieder anders. Obwohl sie selbst groß war und auch schwarze Lederstiefel trug, die zehn Zentimeterabsätze hatten, überragte er sie um fast einen ganzen Kopf. Jetzt gingen sie nebeneinander her, er hatte seinen Arm um ihre Taille gelegt, unter dem schwarzen Langen Mantel, den sie offen trug, darunter ein kurzes schwarzes Kleid. Ihr Haut war, im Gegensatz zu seiner unglaublich hell, fast weiß, und ihr Haar hing lockig herab, bis fast zu ihrer Taille, teilweise geflochten, teilweise offen. Ihre Augen hatte sie schwarz umrandet, ihre Lippen waren ebenso dunkel. Beide passten zwar zusammen, aber nicht gerade in das Bild des in goldene Sommersonne gehüllten Parks. Hier, wo jeder in helle Farben gekleidet war, war es nicht verwunderlich, dass sie auffielen. Noch merkwürdiger war, dass sie auf eine kleine Gruppe zusteuerten, eine Frau mit einem Baby und zwei Männer, die allerdings auch nicht gerade normal aussahen.
 

"Sie ist so süß..." Aleksiel streichelte sanfter, als man es ihr in ihrem Aufzug zutrauen würde, die Wange des Babys im Kinderwagen. "Ich würde sie am liebsten behalten." Alicia beobachtete mit leicht erstauntem, irgendwie zärtlichem Lächeln das Mädchen - die junge Frau - die sich über den Kinderwagen beugte. Sie wusste immer noch nicht, selbst nach sechs Jahren zum Nachdenken und einem weiteren mit Aleksiel als Beweis, was sie von all dem halten sollte, das ihr passiert war. Ein echter Engel... zumindest ein... eine Frau, die behauptete, ein Engel zu sein, genauso gut aber auch der Teufel persönlich sein könnte. Ein Mann, der behauptete, Luzifers Sohn zu sein und es vielleicht auch war, und ein paar tausend weitere andere Engel und Dämonen... Wesen, die ihnen ähnelten, oder zumindest den Vorstellungen, die sie von solchen Wesen hatte. Und Aleksiel... Ja, immer wieder Aleksiel, die ihr die meisten Rätsel aufgab. Sechs Jahre waren vergangen, und dort, wo sie diese Zeit verbracht hatte, waren es anscheinend schon achtzehn gewesen. Achtzehn Jahre und ein weiteres hier auf der Erde und sie war noch immer nicht verändert. Sie war noch immer kaum zu unterscheiden von einem vielleicht... sechzehn- oder siebzehnjährigen Mädchen und sie hatte immer noch irgendwie etwas merkwürdiges an sich, was trotzdem zeigte, dass sie schon viel mehr gesehen hatte als ein Mädchen jemals sehen durfte. "Kannst du sie mir nicht schenken?" Aleksiel lächelte sie an, irgendwie sanft und unschuldig, was seltsam wirkte, so wie sie aussah. Alicia lächelte zurück. "Du weißt doch, dass du dafür noch lange nicht alt genug bist, Ally." Irgendwann war sie dazu übergegangen, Aleksiel Ally zu nennen und irgendwie schien das dem Engel nichts auszumachen. Wie alles, das ihr nichts auszumachen schien... Es gab einfach nichts, das sie irgendwie stören konnte. Aleksiel lachte leise, mit dieser angenehm rauhen Stimme, die Angel so zu gefallen schien. "Pass gut auf sie auf", sagte sie beinahe flüsternd und trat dann vom Wagen zurück. "Und bring sie bald zurück." - "Ach, sie wird sowieso schlafen", lachte Alicia und schob den Wagen mit ihrer kleinen Tochter los. Ihrer und Lances Tochter, die jetzt etwa sieben Monate alt war. Sie merkte noch, wie Aleksiel ihr nachsah und dann, laut genug, dass sie es noch hören konnte, irgend etwas wegen Angel murmelte. Sie wollte ihn wohl suchen gehen. Aber es hörte sich eher an wie ein einstudierter Satz, wie eine Phrase, die sie ab und zu wiederholte, um sie nicht zu vergessen. Alicia schüttelte den Kopf. Sie war nur müde, wie so häufig in letzter Zeit, sie bildete sich das sicher ein. Das Baby quengelte leise und sie beugte sich herunter, um ihm den Schnuller wieder in das kleine Mündchen zu stecken. Als sie sich wieder aufrichtete und weiterging, hatte sie das schon vergessen...
 

Angel wollte schreiend aus seinem Traum hochfahren, doch Entsetzen lähmte seine Muskeln und so blieb er nur liegen und starrte mit weit aufgerissenen Augen an die Decke. Er atmete nicht einmal, so verspannt war er, aber als die Umgebung langsam in sein Bewusstsein dran, spürte er sogar das bisschen Blut in seinen Adern pulsieren, obwohl er sich selbst beinahe tot vorgekommen wäre. Sein rechter Arm tastete gewohnheitsmäßig auf die andere Seite des Bettes, aber was er spürte ließ ihn entsetzt hochfahren. Doch er kam nicht dazu, Bestätigung aus dieser Perspektive zu erfahren, denn noch ehe er überhaupt Luft geholt hatte, durchzuckte ihn ein scharfer Schmerz und er sank keuchend zurück ins Kissen. Sekundenlang war er wie betäubt und sah nur noch Schwärze und flackernde grelle Lichtblitze, aber auch als das Gefühl endlich nachließ, wurde nichts besser. Eine Seite seines Körpers pochte mörderisch und als er sich irgendwie dazu durchringen konnte, mit der Hand seinen Brustkorb abzutasten, fühlte er Bandagen und Schmerz selbst schon bei dem leisesten Druck. Gequältes Stöhnen entrang sich seiner Kehle, als er den linken Arm hob, um den Verband daran zu begutachten. Was ihn wirklich wunderte war die Tatsache, dass er sich überhaupt noch bewegen konnte. Wie lange hatte er geschlafen? Irgendwo war die Uhr und er sah ihre digitale Anzeige. Achtzehn Uhr. Die Sonne begann gerade hinter dem Horizont zu verschwinden. Hatte er wirklich gerade mal vier Stunden geschlafen? Vielleicht... Na ja, vielleicht war es nicht so schlimm gewesen, wie er geglaubt hatte. Langsam drehte er den Kopf. Sein Nacken schmerzte. Eigentlich schmerzte alles, aber er war froh, nicht gestorben zu sein, denn dann hätte er sich vermutlich totgelacht. Und es war ja wohl auch schon etwas mehr nötig, als... Ally?! Er versuchte verzweifelt, Erinnerungsfetzen zu verbinden, die plötzlich wie verrückt gewordene Gummibälle durch seinen Kopf hüpften, versuchte irgendwie ein Bild zusammen zu kriegen, versuchte das Geschehene zu rekapitulieren: Aleksiel... "Er ist wach!" Dieser Schrei kam völlig unvermittelt, riss ihn aus dem bisschen, was er noch Denken nennen konnte und schmerzte in seinen Ohren, obwohl er nicht einmal besonders laut gewesen war. Auch kein Schrei, eher ein etwas leiserer Ruf. Schritte trampelten unnatürlich laut auf dem Boden. Schatten flohen über die rötlichen Wände. Und sein Kopf schmerzte. Alles schmerzte. ,Oh Aleksiel...' Er wollte nur noch schlafen, weg von all dem, weg von dieser widerlichen Sonne, weg von diesen ekelhaften Vögeln, die da draußen noch sangen, weg von dieser komischen irren Welt, die ihn so fertig machen wollte. Einfach weg von... "Angel?" War Alicia schon immer so merkwürdig verzerrt gewesen? Er wusste es nicht mehr. War da nicht irgend was auf seinen Kopf gekracht? Oder war das was anderes gewesen...? Oder war er vielleicht schon im Himmel? Dieser Gedanke amüsierte ihn ehrlich und er begann zu lachen, auch wenn daraus eher ein trockenes Krächzen wurde, denn selbst der kleinste Atemzug tat weh. "Geht es dir gut?" fragte eine weibliche Stimme besorgt und er rief sich ins Gedächtnis zurück, dass Alicia im Raum war und noch jemand... "Ich könnte Bäume ausreißen", witzelte er erfolglos, denn irgendwie war da doch Besorgnis auf ihrem Gesicht und er spürte, dass sie recht damit hatte. "Warum habt ihr mich so mumifiziert? Und das in ein paar Stunden?" Irgendwo bewegte sich etwas im Hintergrund und er nahm nach einigem Lance und Phil war, und immer noch Alicia, die noch besorgter aussah als vorher. Ihre Antwort war von einem leichten Zittern unterlegt: "Wir sind froh, dass du wenigstens kein Fieber mehr hast wie gestern..." Sie schien ihn beruhigen zu wollen. Sie schien lächeln zu wollen. Es misslang. Nicht nur, weil er sie entgeistert - so gut er das irgendwie ohne Schmerzen konnte - anstarrte. Seine Kehle schien auf einmal wie ausgetrocknet. "Wie lange...", krächzte er mühsam, "Wie lange... hab ich geschlafen?" Lance lachte humorlos. "Du warst so gut wie tot." - "Tot?" War er vielleicht doch im Himmel? Ärgerlich schob er den Gedanken beiseite - also Alicia hätten sie da sicher nicht rein gelassen - und versuchte sich an das zu erinnern, was... Alicia?... gerade gesagt hatte. "...drei Tage bewusstlos... fast schon im Koma... Schlaganfall..." Schlaganfall? Nein, er atmete auf, das war ja nur Übertreibung gewesen. Plötzlich hielt ihm jemand etwas vors Gesicht, das Alicia und Lance entsetzt die Nase rümpfen und ein paar Schritte zurücktreten ließ. "Trink das", forderte Phil ihn auf. "Wenn nicht, kipp ich es persönlich in dich rein." Er hörte sich äußerst ernst an. Angel betrachtete misstrauisch die merkwürdig rot schimmernde Flüssigkeit in dem Glas. "Wenn das... ne Bloddy Mary... ist... Was ist noch... da drin?" Das Sprechen strengte ihn immer noch an und er hatte das untrügliche Gefühl, dass das sich eine lange Weile nicht ändern würde. Wenn er nicht was unternahm... Phil grinste ihn an, wie immer, mit dieser merkwürdigen Nonchalanz. Angel verzog nur das Gesicht, setzte sich irgendwie auf, schnappte sich das Glas und trank angeekelt alles aus. Dann bekam er einen Hustenanfall und das Glas zersplitterte, zusammen mit einer Lampe, an der Wand. "Du bist ja irre!" keuchte er unter Husten und verkrallte seine Finger in der Bettdecke, weil er es nicht schaffte, die Zähne zusammenzubeißen. "Dafür...", wieder Husten, "sollte man dich...", wieder eine Unterbrechung, "sollte man dich aufhängen!" Irgendwie beruhigte er sich schließlich und sah dann die verwunderten Blicke von Lance und Alicia. "Alles okay?" fragte Phil. Entfernt durchkreuzte die Frage seine Gedanken, warum er einen Verband ums Handgelenk trug. "Ich..." Angel wurde auf einmal klar, dass er aufrecht im Bett saß, ohne zu schwanken, ohne Schwindelgefühle und ohne irgendwelche verschwimmenden, sich drehenden Gegenstände. Und ohne die Schmerzen. Zumindest ohne die größten davon. Es war auszuhalten. Wenig genug, dass er es für einen Moment vergessen hatte und konnte. "Also, was war das?!" fragte er wieder, aber Phil winkte nur ab, hockte sich vor den Scherbenhaufen und sammelte das Glas auf. "Sehe ich aus, als könnte ich besonders gut mit Medizin umgehen? Irgendwas wird's schon gewesen sein..." Er seufzte und fuhr dann leiser, beinahe wie zu sich selbst, fort: "Sie war's... Das kann nur sie gewesen sein... Und du hast es immer noch nicht kapiert..." Angel wusste erst nicht, was er meinte, doch dann fiel es ihm plötzlich wieder ein: "Aleksiel!" Beinahe wäre er wieder zurück gekippt, wo weh tat es auf einmal, aber er riss sich zusammen und riskierte einen Blick in den Raum und auf die andere Seite des Bettes, aber es wäre ja zu schön gewesen, wenn er sie vorgefunden hätte. Was hatte er auch erwartet...? Weil sie ja unbedingt... Wenn er sie in die Finger bekam! "Was ist mir ihr?!" fragte Alicia alarmiert. Alle Augen waren auf ihn gerichtet, aber er sah sie gar nicht mehr. Grimmig betrachtete er seine Hände, die sich von ganz allein noch fester in die Decke verkrampft hatten, als wollten sie sie zerreißen, und seine Knöchel waren fast weiß. "Wenn ich sie erwische..." Er spürte weder, wie er das sagte, noch hörte er die besorgten, entsetzten Stimmen der anderen, als sich Dunkelheit um ihn legte. ,...Gnade ihr Gott...'
 

Drei Tage zuvor...

Schwer atmend hockte er auf dem Boden, Blut lief ihm aus einer Wunde über dem Auge an der Wange herunter und tropfte auf den Boden und seine Kleidung. Der linke Ärmel seiner Jacke war zerfetzt und sein Arm brannte wie Feuer, aber er befahl sich, es zu ignorieren, weil er alles ignorieren musste außer seinem Leben. Und sogar das... konnte egal sein... Ihm gegenüber stand... ja, was eigentlich? Vielleicht war es ein Mann, was er auch stark annahm, aber bei den Typen, die sich in seinem Umkreis aufhielten, war es gut möglich, dass er eine Frau vor sich hatte, das erkannte man nicht immer. "Wer bist du", fragte er und versuchte dabei so bedrohlich wie möglich zu erscheinen und da er jetzt aufgestanden war, war das auch kein Problem, denn zwei Meter große Dämonen mit hässlichen Fratzen - ein Vorteil, wenn man sein wahres Gesicht zeigen konnte, wann man wollte - und Licht verschlingenden Flügeln wirkten immer bedrohlich, egal wem sie gegenüberstanden. Besonders wenn derjenige wusste, mit wem er es zu tun hatte und Angel hatte öfter Probleme damit, unerkannt zu bleiben, was ihn aber nicht sonderlich störte. Das war hier auch der Fall, aber leider hatte sein(e?) Gegenüber gleich am Anfang mit einer Engelsstimme geschnurrt: "Hallo mein süßer Angel." Dieses gute Zeichen musste man sich einfach merken. "Scheiß Ironie, was?" murmelte er und grinste flüchtig. "Ich bin Sahaquiel aus dem vierten Engelschor." Das Engelswesen knickste - also doch eine Frau - und lächelte fies. "Und du bist tot..." - "Nach dir, immer nach dir", grinste er zurück und ihr Lächeln zerfiel wie ein zerschlagener Spiegel, bevor sie sich beinahe mit gefletschten Zähnen auf ihn stürzte. Aber dann schien sie sich zu fangen, schien sich sagen zu müssen, dass sie nichts überstürzten sollte, und dann war sie verschwunden. Angel richtete sich zu seiner vollen Größe auf und es war merkwürdig, ihn noch ein Stück mehr wachsen zu sehen. Er wusste, dass Dämonen etwas an sich hatten, was einen zur Weißglut treiben konnte. Sie waren überheblich und arrogant, egoistisch, selbstverliebt und viel zu oft größenwahnsinnig. Sie lachten über alles, wenn sie wollten, verspotteten und verhöhnten, ironisierten und sparten nicht an Sarkasmus. Sie machten sich lustig über den Tod und noch mehr über das Leben. Sie hatten keine Angst vor Schmerzen, fügten sie sich manchmal sogar selber zu, nur um anderen Angst zu machen und waren noch viel lieber sadistische Arschlöcher. Ihr Charakter war einfach widerlich und unerträglich und ihr Aussehen stimmte damit überein. Dämonen konnten so gut aussehen, so stark und groß sein, so ehrfurchtgebietend, oder doch so furchteinflößend, wie ihr Charakter schlecht war. Sie konnten, wenn sie es wollten, aber nur die stärksten waren in der Lage, diese Fassade lange genug aufrecht zu erhalten. Hässliche, spitze Zähne, glühende gelbe Augen wie die eines Wolfes, verzerrte Gesichtszüge, überlange schwarze Krallen an klauenartigen Händen, riesige schwarze Flügel. Es stimmte schon, was die Menschen über Dämonen sagten, aber es gab einige, die waren stark genug, sich besser aussehen zu lassen als manche andere und Angel konnte es. Wenn er wollte... Jetzt stand er da, fast zwei Meter zwanzig groß, verzerrte, hässliche Gesichtszüge. Er fühlte sich frei. Endlich wieder einmal frei. So leicht es auch war, so schön, einfach zwischen all den anderen Menschen herumzulaufen. Sicher starrten sie hinter ihm her, aber wenn er anders sein wollte, dann liefen sie nicht schreiend weg sondern schmachteten ihn an. Doch jetzt würden die meisten wohl eher Erstes tun... Genüsslich strich er über die scharfen Kanten seiner Krallen, jede einzelne tausend mal schärfer als ein Rasiermesser. Er hatte die Hälfte seines Lebens damit verbracht, seine Kraft und Stärke zu vergrößern, alles über das Töten zu lernen, was es nur gab. Manchmal überlegte er, ob es verschwendete Zeit gewesen war, aber in Momenten wie diesen war er stolz, so zu sein wie er war. Und er war stärker als Luzifer selbst, denn als Engel lernte man nicht unbedingt wie man tötete und schließlich war der Fürst der Hölle lange genug einer gewesen, das zu vermeiden, wenn er konnte. Angels Augen schweiften ab und er betrachtete die Umgebung ließ sich Zeit damit, jeden einzelnen Baum abzuschätzen, den Boden und die Sträucher die hier standen. Einen Moment lang blieb sein Blick an Aleksiel hängen, die wie eine zerbrochene Puppe am Boden lag. Blut lief aus Wunden an Armen und Beinen, ihre Kleidung war zerfetzt und einer ihrer Flügel gebrochen. Es schmerzte ihn, sie so zerstört, so hilflos zu sehen, aber ihre Augen waren geschlossen, nicht gezeichnet von dem glasigen Blick des Todes, und er spürte ihren schwarzen Herzschlag wie einen wunderschönen Ton in seinem Kopf. Den schönsten Ton, das wusste er. Er hätte ihr gern geholfen, aber er bekam keine Gelegenheit mehr dazu, denn auf einmal raste Sahaquiel auf ihn zu, sich endlich wieder zeigend, mit Krallen die seinen um nichts nachstanden und einem Gesicht, das an einen Dämonen erinnerte. "Du bist tot", kreischte sie ekstatisch und er machte sich nicht die Mühe, auszuweichen, weil es ihm nichts benützt hätte.
 

Zu Angels Wunden waren noch weitere gekommen. Er konnte den linken Arm nur schwer bewegen, zumindest nicht ohne Schmerzen, und auf der rechten Seite schien ihm diese Engelsschlampe ein paar Rippen gebrochen zu haben. Nichts wirklich schlimmes, aber es machte ihm Sorgen, dass sie ihre eigenen Schmerzen - eine große Platzwunde, wie ein ironisch verzogener zweiter Mund auf ihrer Stirn, und ihr gebrochenes Bein, das sie unbeeindruckt hinter sich her zog - gar nicht zu spüren schien. "Du, der zukünftige Satan?" höhnte sie. "Wie lächerlich. Wenn du Arael bist, ist die Hölle nur ein Witz." Sie lachte irgendwie hysterisch, aber ohne Angst, drehte sich um und schlenderte - trotz ihrer Verletzung schaffte sie es - auf Aleksiel zu. "Und da haben wir natürlich deine kleine Hure. Es war niedlich, wie sie versucht hat, sich zu wehren. Aber du siehst ja, was der ,Engel der Ewigkeit' ist: ein NICHTS. Nicht mal sie kann Den, Der Die Finsternis Verbreitet, aufhalten." Sahaquiels Krallen streckten sich unendlich langsam aber unaufhaltsam nach Aleksiel aus, so als würde der Engel jeden Moment von Angels Verzweiflung genießen wollen, der kaum klar überlegen konnte, was seine Gegnerin von diesem unvermeidlichen Triumph abhalten könnte. Doch dann hüllte schwarzer Nebel die Gestalt ein und Tausende von Blitzen durchzuckten das Gebilde, durch das die Schreie des Engels verzerrt zu Angel herüber klangen. Dann brachen sie ab und das Schwarz schien den Körper zu durchtränken, in ihn einzuziehen wie Wasser in einen Schwamm. Sahaquiel stand noch, aber ihre Augen waren weit aufgerissen und fassungslos, ihr Mund stand offen und ihre Brust bewegte sich krampfhaft, als würde sie verzweifelt versuchen zu atmen, aber er hörte keinen Ton, kein keuchendes Luft holen. Rauch quoll aus ihren Kleidern hervor und Angel wusste, er musste dieses bisschen ihm gegebene Zeit nutzen. "Tia mi aven moridin isainde vadin", murmelte er und lächelte über die ihm so wohl vertrauten Worte. Schlangenähnliche Fasern, schwarz wie die Nacht und mehr, schossen aus seinen Fingern hervor wie Spinnenfäden und wanden sich um den Körper des Engels. Wie Hyänen fraßen sie sich ins Fleisch ihres Opfers, um es zuerst bewegungsunfähig zu machen, bevor sie es bei lebendigem Leib in Stücke rissen und Herz und Gehirn bis zum letzten Moment aufsparten. Es würde ein langsamer, qualvoller Tod werden... Angel wandte sich ab, nicht weil er sich ekelte, aber er hatte wichtigeres zu tun, als sich um die Verlorene zu kümmern. "Verweichlichter Schwächling!" kreischte sie ihm hinterher, soweit sie es noch konnte, als die Materie ihre Stimmbänder erfasste und zersetzte. "Ich bin ein Bote des Herrn", hörte er sie gurgelnd sagen. "Meines Herrn... und er... wird... dich..." Ihre Stimme versagte und nur noch ihre Lippen bewegten sich. Er drehte sich noch einmal zu ihr um, um sie zynisch anzulächeln, um ihr nicht die Freude zu gönnen, dass er ihren Tod verpasste und er sah noch, wie sie ihre Abschiedsworte mit den Lippen formte, bevor auf ihr Gesicht sich in Fleischbrocken und Sehnenstücke auflöste: "Sag auf Wiedersehen, Aleksiel..."
 

Wieder zurück in der Gegenwart...

Angel wünschte sich zum mindestens tausendsten mal, er hätte diese Cindy niemals kennengelernt, oder sie auch nur gesehen, denn dann würde Aleksiel jetzt noch hier sein, bei ihm, und nicht irgendwo, wo auch immer sie war, und... ,Nicht mal sie kann Den, Der Die Finsternis Verbreitet, aufhalten.' Angel setzte sich auf, aber er musste sich festhalten, um nicht wieder ins Kissen zurückzufallen. Sein Magen rotierte und irgend jemand in seinem Kopf trat ihm immer wieder kräftig gegen die Gehirnwindungen. "Der Herr der Finsternis", murmelte er und dann lachte er leise. "Vielleicht sollte ich ihm einen Besuch abstatten... dann gibt er mir Ally vielleicht freiwillig zurück..." Der Sarkasmus in seiner Stimme war beinahe fühlbar. "Und da bist du so sicher?" fragte jemand in seine Gedanken hinein und er wünschte sich, nicht gewisse Leute hassen zu müssen, dafür dass sie lebten. "Der Herr der Finsternis... der hat sie sicherlich schon in seinem Bett." Eine Gestalt in einem engen Minirock, einem knappen Top und mit langen violetten Haaren saß, die hübschen Beine in schwarzen Lederstiefeln und Netzstrumpfhosen, auf Aleksiels Kommode und grinste ihn selbstsicher an. "Ich hätte dich öfter besuchen sollen. Du hast dich in einen verweichlichten Schwächling verwandelt." Ein harter Windstoß aus dem Nichts fegte sie auf den Boden, von wo aus sie Angel hasserfüllt ansah. "Begrüßt man so seine Schwester?" Er warf ihr einen so eisigen Blick zu, dass sie ängstlich zurückwich. "Begrüßt man so seinen Bruder?" fragte er zurück, stand auf und noch ehe er richtig stand, war er schon in schwarz gehüllt, so tiefes schwarz, dass seine Konturen im Licht verschwammen. "Ich hätte dich öfter ohrfeigen sollen. Dann wüsstest du, dass ICH hier das sagen habe." Arakune stand auf und obwohl sie nicht so groß war wie er, fühlte sie sich nicht bedroht. "Ich jammere nicht wegen einem dämlichen Engel, kleiner Bruder. Ich bin kein so schwächliches Baby wie du, wegen einer Schlampe zu heulen." Da schlug er sie doch, die Wucht schleuderte sie gegen einen Schrank und dann lag seine Hand um ihre Kehle, hätte sie zerquetscht, wenn er wollte und er sagte mit der Ruhe eines Toten: "Du bist nicht besser als die anderen. Glaubst du, wegen fünf lächerlicher Sekunden hast du das Recht, irgend eine Entscheidung zu fällen? Du bist ein Nichts. Ein Niemand. Und wenn du nicht meine Schwester wärst, würde ich dich auf der Stelle umbringen. Nur so aus Lust, verstehst du?" Sie schluckte tapfer, sah ihm fest in die Augen und lächelte zittrig. "Bist du fertig?" fragte sie krächzend. "Du verräterische Ratte?" Er lächelte zurück, aber gar nicht freundlich. "Weißt du, eigentlich ist es ja egal, dass du meine Schwester bist. Ich sollte dich gleich um die Ecke schaffen." Dann ließ er sie los und ihre Füße trafen hart auf dem Boden auf, nachdem sie Sekundenlang Zentimeter über dem Boden geschwebt hatten. Sie blieb zitternd stehen, als er, ohne sie eines Blickes zu würdigen, an ihr vorbei aus der Tür ging. Als er weg war, sank sie schluchzend am Schrank herab.
 

"Ist er nicht süß?" schnurrte eine Gestalt in der Dunkelheit & eine Hand streckte sich nach einem verschnürten Bündel aus. Dieses Bündel schien ein Mensch zu sein, mit Schrammen an Armen & Beinen, gefesselten Händen & Füßen & einer Angst in den Augen, die keinen Zweifel an der Situation zuließ. "Was hast du denn?" fragte die Gestalt weiter & nichts sprach mehr gegen eindeutigen Wahnsinn. Auf Händen & Knien kroch das Mädchen rückwärts. "Komm, komm her. Ich tue dir doch nichts." Die Gestalt in der Dunkelheit lachte & eine kleine schwarze Katze schnurrte voller Vorfreude. "Mein Engel hat sein Leben dafür gelassen, sei dankbar, dass du hier bist." Dann lachte die Gestalt weiter. "Der, Der Die Finsternis Verbreitet! Komm, großer Herrscher!" Irr glühende Augen richteten sich auf das Mädchen & ein breites, höhnisch wirkendes Grinsen erschien auf den dunklen Gesicht. "Ich bin das Leben! Eurer aller Tod!"
 

Es war merkwürdig, wieder zusammen zu sein. Sicherlich hatten sie nicht viel Zeit verbracht, doch Arakune war irgendwie froh, Lance und Alicia zu sehen. Das brachte wenigstens ein bisschen Klarheit in eine Situation, die ihr mehr als unangenehm war. Die ihr Angst machte. "Er hat sich verändert", sagte sie leise. "Ich dachte nicht, dass er einmal so werden würde..." Lance sah setzte sich neben sie, wenn auch etwas abseits und eine Sekunde lang schwebte seine Hand zögernd über ihrer Schulter, bevor er sie leicht und beruhigend streichelte, und sie lächelte ihn trotz des Zögerns dankbar an. "Es ist nur die Zeit, die vergangen ist", sagte er. "Es wird sich alles wieder einrenken." Sie lächelte nur weiter, diesmal traurig. "Wäre ich nur niemals zurück gekommen... Vielleicht wäre dann alles noch die schöne Kindheitsillusion, die ich mir aufgebaut hatte..." - "Aber hätte das irgendwas entscheidendes geändert?" Eine eisige Stimme, begleitet von einem schwarzen Schatten und Angel sah auf sie herunter. Seine Sachen waren schmutzig und zerrissen und wieder waren da ein paar Wunden. "Warst du es?" fragte er Arakunde. "Hast du sie geschickt?" Arakune verkroch sich in ihrem Sessel. "Wen? Wen soll ich geschickt haben?" Ihre Stimme zitterte. "Was ist los? Was ist passiert?" Er zog seine Jacke aus, dann das Hemd und man sah den weißen Verband um seine Rippen, der rechts mit Blut gekränkt war. "Wo ist Phil?" fragte er nur halb interessiert. "Im Krankenhaus", sagte Alicia, während sie ihm seine Sachen abnahm. "Er hat sich einen Job gesucht." Angel verzog leicht das Gesicht, als sie seine Rippen abtastete. Es musste sehr weh tun, wenn er jetzt eine Regung zeigte. "Heute ist mein Glückstag, oder was", murmelte er, während er ins Bad ging, um sich zu säubern und dann klingelte das Telefon.
 

Sein Herz klopfte zum Zerspringen, während er der weißgekleideten Schwester durch die hellblau gestrichenen Gänge des Krankenhauses folgte. Er betete bei jeder neuen Tür, sie wären doch endlich da wären, aber er wurde immer wieder enttäuscht, wollte sogar Gott um Hilfe bitten, aber das kam ihm dann doch etwas respektlos vor. "Mr. Martinéz?" Die Krankenschwester riss ihn so plötzlich aus seinen Gedanken, dass er sie fast umgerannt hätte, wies dann freundlich auf eine Tür und ging weiter. Er schluckte und drückte dann die Klinke herunter, um Aleksiel wiederzufinden. Sie fiel ihm gleich auf, als er sich umsah. Sie saß auf dem letzten Bett, aufgerichtet, die Decke über den Beinen, die Hände übereinander gelegt, und sah aus dem Fenster in die hereinbrechende Nacht. Sie war das einzige, was er sah, kaum etwas anderes, aber es war auch nichts da, was seiner Aufmerksamkeit bedurft hätte. Sie bemerkte ihn nicht, als er langsam näher kam, oder zeigte es nicht, sondern sah nur mit leicht geneigtem Kopf traurig hinaus auf etwas, das nur sie sehen konnte. "Bist du noch böse auf mich, Süße?" fragte er leise und setzte sich auf einen Stuhl neben ihrem Bett. "Bitte, es war doch nicht meine Schuld. Sie hat mich angesprochen und ich konnte sie wohl kaum dafür umbringen." Sie reagierte nicht, sondern blickte nur weiter hinaus. "Klar, ich hätte sie stehen lassen können", versuchte er sich zu entschuldigen, "aber... warum nicht mal mit einem Menschen reden ohne ihn umzubringen?" Noch immer sagte sie nichts sondern blickte nur weiter hinaus. Er stand auf, beugte sich zu ihr herunter, so dass er einen schwachen Hauch von Rosen wahrnehmen konnte und wollte sie berühren, aber da packte sie seine Hand und sah ihn ruhig und ausdruckslos an. "Denk nicht mal dran", hauchte sie ihm zu. "Lass deine Dreckspfoten bei dir und fass mich nicht an." Dann stieß sie seine Hand weg und drehte sich zurück zum Fenster. Er glaubte, einen Anflug von Befriedigung auf ihrem ansonsten regungslosen Gesicht zu sehen und er wusste, dass ihm diese Widerspenstigkeit ganz und gar nicht passte.
 

Als sie endlich aus dem Krankenhaus heraus waren, auf der Straße, ließ er sie herunter auf den Boden - er hatte sie heraus getragen, weil sie ihm sonst nicht gefolgt wäre - und als sie gehen wollte, packte er sie hart am Handgelenk und zog sie zu sich heran. "Verdammt, jetzt benimm dich endlich wieder normal!" fauchte er sie an. "Es ist ja nicht auszuhalten mit dir! Musst du mir das verflucht noch mal so vorwerfen?! Ich habe mich doch schon genug bei dir entschuldigt, du solltest langsam mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkommen!" Eigentlich hatte er noch ein wenig mehr sagen wollen, weil sie ihn so unbeeindruckt ansah, wie ein Elefant einem Kaninchen gegenüberstehen würde, aber dann schlug ein Blitz neben ihm ein, nur wenige Zentimeter, und sicherlich war absichtlich verfehlt worden, und zwei Gestalten sprangen aus den Bäumen, ein Engel und ein Dämon, die langsam auf sie zu kamen. "Hallo süßer Schatz", flötete der Engel, "ich bin Boel aus dem fünften Engelschor." - "Seid gegrüßt, Euer Lordschaft", erschallte es spöttisch von dem Dämonen. "Ich bin Sachiel, ehemals aus dem ersten Engelschor." Beide grinsten ihn und Aleksiel an und Angel fragte sich, wie lange sie wohl durchhalten würden, wenn sie gegen ihn UND gegen den Ewigkeitsengel... Natürlich war heute sein Glückstag. "Verdammt, Ally, wo willst du hin?!" fauchte er aufgebracht, als sie sich plötzlich abwandte und langsam die Straße entlang schlenderte, verfolgt von den Blicken der beiden, die sich wohl sicher waren, sie später noch erwischen zu können. "Nach Hause", klang es zu ihm herüber und sie hob grüßend die Hand. "Du schaffst das schon, Schatz. Auch ohne mich." Natürlich. Klar schaffte er es... Konnte sie diese verdammte Ironie nicht lassen?!
 

,Zwei sind einer zuviel...' Einen kurzen Moment lang fragte Angel sich, ob er verrückt wurde, dann ignorierte er den Gedanken, alle beide, die nicht ganz von ihm stammten, und konzentrierte sich auf seine Gegner. Er hatte mit viel schlimmeren Feinden gekämpft, mit Feinden, die seine Schwächen kannten, und diese beiden arbeiteten nicht mal zusammen, sondern schienen sich offensichtlich zu ignorieren und zwar völlig, also konnte es ja wohl nicht so schwer sein, gegen sie zu gewinnen. ,Kann nicht gewinnen, sollte fliehen, solange ich noch kann...' Mit leisem Grollen verbannte er die Stimme in die Dunkelheit, wie er es immer getan hatte. Gerade jetzt war sie keine große Hilfe. Er hatte es immer geschafft, sonst wäre er jetzt nicht hier und wäre nicht Luzifers Sohn. Er würde ja wohl mit ein paar lächerlichen Engeln fertig werden. ,Hör verflucht noch mal auf mich!' Angel stieß zischend die Luft aus, als ihn eine Faust in den Magen rammte. Eigentlich machte ihm so was wenig aus, aber jetzt war er so überrascht gewesen... ,Hör auf mich!' - "Was ist denn? War das etwa schon alles?" Boel ragte über ihm auf, alles andere als drohend, auch wenn er es sein wollte, während Angel ungläubig auf die Straße starrte. Noch nie hatte die Stimme mit ihm gesprochen...? ,Kämpfe!' fauchte die Stimme noch mal, als wäre da wirklich jemand und dann bemerkte er seine Situation und sprang auf, denn sonst hätte es unangenehm für ihn werden können. "Maul halten", sagte er nur und seine eigene Stimme klang seltsam verzerrt, ein tiefes heiseres Grollen, das direkt aus einem Grab zu kommen schien, und er grinste, als er es merkte. Er fühlte sein Gesicht sich verändern, wie es zu dem wurde, was es eigentlich war: eine hässlich verzerrte Fratze, das Gesicht eines Dämonen. "Führst du schon Selbstgespräche?" fragte Sachiel grinsend, als wäre Boel nicht da. Als würde er nicht existieren. Das konnte sicher lustig werden... Aber dann kamen beide auf ihn zu, links und rechts, und er wirbelte herum und verpasste beiden einen Tritt, so dass Boel gegen eine Mauer geschleudert wurde und Sachiel in die Scherben einer zersplitterten Fensterscheibe. Angel hörte knirschende Knochen und er sah Blut bei beiden, aber es wunderte ihn nicht, dass beide unbeeindruckt auf ihn zu kamen, als wäre nichts los. Boel war sicher das Rückrad gebrochen... "Das macht echt keinen Spaß", murmelte Angel. Es war nicht viel passiert, aber es machte wirklich keinen Spaß. Er hasste es einfach, mehr konnte er nicht sagen, weil es ihn verdammt noch mal nicht interessierte - im Moment nicht - sich mit irgendwelchen dämlichen Engeln oder Dämonen rumzuprügeln. Er wollte eigentlich mit Aleksiel reden und sie, wenn es sein musste, fertig machen, bis sie endlich wieder etwas Normalität zeigte. "Sorry, dass es so schnell sein muss", murmelte er und grinste die beiden desinteressiert an. "Tia mi aven moridin..." Er fragte sich, wann er beginnen würde, sich dafür selbst zu hassen...
 

Gerade noch verschlangen geifernde Schlangenähnliche Wesen aus Dunkelheit die letzten Überreste von etwas, das einmal zwei Menschenähnliche Wesen waren, dann verschwanden sie, zogen sich zurück in den Körper, der stumm zusehend daneben stand. "Angel?" Aleksiel ging langsam auf ihn zu. Lance und Alicia folgten ihr. "Was ist passiert?" fragte sie leise. Er schien sie nicht zu beachten, währen winzigste Teilchen wie schwarze Asche vom Wind davon geweht wurden, dann drehte er sich um, "Endlich wieder normal?", und sah sie an und sie stolperte, eine Hand vor dem Mund, ein paar Schritte zurück und wandte sich ab. "Nein", murmelte sie. "Nicht so. So bekommst du mich nicht." Er musterte sie ruhig und sein Gesicht wirkte seltsam, fremd und furchteinflößend grässlich. Lance und Alicia schluckten beide, aber sich versuchten nicht, wegzusehen. Angel schien es nicht zu merken, er sah Aleksiel fragend an, ging dann auf sie zu, packte sie bei den Schultern und drehte sie zu sich herum. Wollte ihr Gesicht zu sich drehen, aber sie presste die Augen trotzig zu. "Nicht so. Verschwinde, wenn du so bist. Ich will das nicht sehen!" Jetzt merkte er es, und alles ging zurück, so schnell, als wäre es nie dagewesen, aber sie sah ihn noch nicht an, und da fauchte er: "ALLY!" aber sie antwortete nur: "Lass mich!" Lance und Alicia beobachteten sie nur verwirrt, den kleinen Kampf darum, wer der Stärkere war, obwohl Angel einfach gewinnen musste, und dann tauchte Phil neben ihnen auf und grinste nur: "Küss sie doch endlich!" und beide sahen ihn überrascht an, bevor sie mit ihren Bemühungen fortfuhren, doch Angel war schneller und legte seine Arme um Aleksiel und als er sie dann endlich küsste, wehrte sie sich nicht mehr. Es dauerte einige Minuten, bis sie sich voneinander lösten und beide atmeten keuchend ein und aus. "Ich hab dich so vermisst", murmelte Angel und Aleksiel schmiegte sich nur an ihn. Er schien sie gar nicht loslassen zu wollen, sie störte das wenig und vielleicht hätte sie noch ewig so dagestanden, wenn Phil nicht dazwischen gegangen wäre: "Da haben wir ja endlich wieder die glückliche Familie und wenn ihr euch ein kleines bisschen beeilen könntet, würdet ihr sicherlich auch bald noch etwas anderes anstellen können, also darf ich bitten?" Er grinste sie an und wies einladend in Richtung Wohnung. "Ist dir der Alkohol ausgegangen?", fragte Aleksiel gehässig. Er grinste nur weiter. "Wann hast du ihn dir denn das letzte mal von Angel reinstecken lassen?" Angels Kommentar "Renn!" war nach Aleksiels Blick eigentlich überflüssig.
 

Schon seit einer Weile standen die beiden Frauen einfach nur da und sahen sich an, blickten sich einfach nur in die Augen, bis die eine lächelte und sagte: "Du bist also zurück", und sich mit einer Hand überflüssiger Weise die halblangen, violett schwarzen, wirren Haare glatt strich. Die andere grinste nur freudlos. "Du bist also geflohen." Dann ging sie an ihr vorbei durch den Gang ins Badezimmer. "Was auch immer..." Angel sah ihr nach, dann setzte er sich mit leisem Seufzen auf die Couch und zog die Jacke aus, wobei er schmerzvoll das Gesicht verzog. Während auch sein Shirt zu Boden fiel, fluchte er leise vor sich hin, irgend etwas über den "verfluchten Himmel" und "diverse Typen namens Gott", und man sah die blutfleckigen Verbände um seinen Brustkorb und den linken Arm und dazu noch die restlichen Kratzer, die seinen Körper hier und da zierten. Nicht viele, aber zu viele, wenn man betrachtete, wer er war. Dann trafen ihn kalte Wassertropfen und er sah auf. Aleksiel stand vor ihm, in eine Handtuch gewickelt, ein anderes um ihr Haar, und betrachtete stumm seine Wunden. Dann drehte sie sich um, verschwand in der Küche und kam mit einem Messer in der Hand und einem schwarzen Kleid anstelle des Handtuchs zurück. Manchmal war es merkwürdig, wie schnell sie sich änderte oder veränderte. Sie setzte sich neben ihn, sah einen Moment lang bedauernd, fast angewidert auf das Messer, dann streckte sie den Arm vor und schnitt sich ohne zu zucken und ohne den geringsten Laut quer über den linken Arm. Irgendwem gefiel das gar nicht, man hörte einen erstickten, keuchenden Laut und einen dumpfen Laut, aber keiner der nicht menschlichen Wesen im Raum achtete darauf. Lance kümmerte sich um Alicia, die blass, fast wie tot auf dem Boden lag, der Rest starrte Aleksiel an und das Blut, dass auf den Boden tropfte. Sie hielt ihren Arm Angel hin, der sie fassungslos anstarrte. "Na los, mach schon", sagte sie irgendwann, als er nicht reagierte. "Das tut scheiß weh, also bedien dich, es kotzt mich an, hier so rumzusitzen und zu verbluten." Jetzt sah er ihr ins Gesicht, schluckte, aber es war nur dieser Moment der Schwäche, dann grinste er. "Nein, nicht so. Nicht so, Süße." Dann legte er den Arm um ihre Taille, zog sie an sich, drückte ihren Kopf zur Seite und als seine Zähne in ihr weiches Fleisch eindrangen, stöhnte Arakune leise auf und vergrub das Gesicht in den Händen. Phil grinste lasziv. Lance sah nicht einmal auf. Er hob Alicia hoch und verschwand mit ihr aus dem Zimmer. Irgendwann ließ Angel von Aleksiel ab, setzte sich aufrecht hin und sah sie wieder an. Sie blickte ins leere, bleich und starr. Zwei kleine Löcher hoben sich leuchtend rot von ihrer weißen Haut ab. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis wieder ein Licht in ihre Augen trat und sie aufstand. Angel erhob sich und küsste sie sanft auf den Nacken, nachdem er ihr Haar zu Seite gestrichen hatte. "Ich danke dir, Süße." Sie ging einen Schritt vor, von ihm weg und ihre Hand berührte zitternd die zwei kleinen Wunden. "Du schuldest mir nichts", murmelte sie. "Wir sind quitt..."
 

Mit lautem Krachen zerbarsten Säulen und es regnete schwarze Steinsplitter in die Dunkelheit. Ängstliche Schatten flohen in die Finsternis. "Schon wieder gescheitert", murmelte eine Stimme wie das leise Raunzen eines Panthers. "Nichts können sie richtig machen." - "Vergib ihnen, Cherié. Sie sind nutzlos." Eine Hand strich über ihre Hüfte. "Sie können verschwendet werden. Was zählt ist nur, dass wir ihre Schwachstellen kennen." - ,Seid ihr noch immer nicht weiter?' Stille legte sich über die Dunkelheit und selbst die Schatten vor dem Brunnen wagten nicht sich zu regen. Tiefste, unmenschliche Angst erfüllte alles, sogar die Hoffnung, die so kurz aufflackerte, dass man kaum glaubte, sie wäre da gewesen. "Nein, Meister..." Ein Flüstern, kaum verständlich, mehr war nicht. Sie wagten es kaum, zu atmen, aus Angst, er könnte ihnen die Lunge herausreißen, wenn er es wollte. ,Dann strengt euch an.' Dann Lachen - und Ruhe. Als wäre alles nur Einbildung gewesen, aber das wäre zu schön. Noch Minutenlang geschah nichts, dann endlich hörte man erleichtertes Aufatmen, dass durch die Finsternis klang, nur um gleich darauf von einer scheinbar tausendmal härteren, kälteren Stimme unterdrückt zu werden: "Strengt euch gefälligst an!" Der männliche Schatten, kam näher, kicherte leise, verzweifelt im Angesicht der Situation. "Wen schreist du noch an? Wir sind die letzten. Schrei dich selbst an. Nur dich." Dann kicherte die männliche Stimme wieder und schlang die Arme fest um die weibliche Gestalt. "Verdammte Engelsschlampe..." Die Frau donnerte ihre Faust auf den Rand des Brunnens und sekundenlang durchzuckten eiskalte Blitze die Luft, dann war alles wieder ruhig. "Aber ich werde sie besiegen und wenn es mein letztes ist..." Der Mann hielt sie noch fester. Er schien zu wissen, was sie vor hatte. "Er wird dich töten." - "Ja", antwortete sie leise und lächelnd. "Aber erst, wenn sie nicht mehr da ist..."
 

Die Dämmerung hatte die Stadt verlassen, nächtliche Schatten durchstreiften die einsamen, verlassenen Straßen, die nur schwach erleuchtet waren. An ihren Körper schmiegten sich ein enges, schwarzes Kleid und hohe schwarze Stiefel. Ihre fast weißen Haare waren hochgesteckt und einzelne Strähnen fielen neben ihrem Gesicht herab. Ihre Lippen waren so rot geschminkt, dass sie blutig schienen. Um ihre Augen zogen sich tiefschwarze Schatten und ihre Farbe schien wie Feuer. Sie war beängstigend, wie sie da so allein und völlig sorglos, völlig furchtlos durch das düstere gelbliche Licht wanderte, als würde sie nichts, aber auch gar nichts Böses erwarten. Sie war so ruhig, dass sie naiv schien und ungefährlich und leicht zu überraschen und das dachte wohl auch der Mann mit dem Messer in der Hand, der plötzlich direkt vor ihr aus dem Schatten einer Gasse trat und ihr mit einem "Hallo Schätzchen" eine Schnapswolke ins Gesicht hauchte. Sie verzog keine Miene, als die Klinge über die Stoff ihres Kleides glitt, nach oben, zu ihrer weißen Haut. Sah ihm nur ausdruckslos ins Gesicht, als wäre ihr das egal, und dann sagte sie ganz ruhig: "Nimm das Ding da weg." Er grinste sie nur geil mit seinen fleckigen Zähnen an. "Ich warne nur einmal", sagte sie, aber als er weiter grinste, hob sie die Hand, schneller als er in seinem Zustand reagieren konnte, und es war zu spät...
 

Ihre Schritte klangen wie wenn Steine auf Marmor trafen und alle sahen zu ihr, halb hasserfüllt, halb liebevoll gierig. "Adonais kleine Hure", murmelte eine weibliche Stimme, die zu einem spinnenartigen, Körper und einem Kopf mit brennend roten Haaren und grünen Augen gehörte. "Der Kobold aus der Hölle", antwortete die angesprochene und lächelte sie an mit Lippen, die jetzt nicht mehr nur so aussahen, als wären sie voll Blut. "Du bist spät", meldete sich ein Mann zu Wort. "Du bist, wie immer, zu früh, Dagon", antwortete Aleksiel in lockerem Plauderton. "Hallo Süße", sagte jemand hinter ihr und sie drehte sich um, lächelte leicht wissend und genoss den Kuss, den Angel ihr auf die Lippen drückte. Auch er lächelte, als er das Blut schmeckte, und leckte die letzten Reste ab. "Ihr ändert euch nie", murmelte Aschera. "Verdorben." - "Sprich dich aus, wenn du was zu sagen hast", riet ihr der Ewigkeitsengel und lächelte dann genauso verdorben, wie Ascheras Worte geklungen hatten. "Ich weiß doch, dass du Blut willst... Aber nicht meins, Kleines. Nicht meins..."
 

Noch kein langer Kampf, nein, aber hart und gnadenlos bis hier und schmerzhaft. Keiner von ihnen schien der stärkere zu sein und keiner war skrupelloser als der andere. Es ging nur ums Gewinnen. Ums Überleben. Dämon gegen Dämon. Angel gegen Dagon. Irgendwo wirbelten sie durch die Dunkelheit mal lautlos, mal sich gegenseitig verspottend und beschimpfend. Und hier, im Licht der Straßenlaterne, Aschera und Aleksiel. Die eine am Boden, die andere grinsend über ihr mit einer Faust, die das Haar der anderen umklammert hielt und ihr den Kopf in die Höhe verrenkte. "Du bist tot, Engel", keuchte Aschera, froh, endlich wieder normal atmen zu können, und dieses widerliche Weib endlich loszuwerden. Sie hatte schon ihre Krallen geschärft, wusste schon, was sie tun wollte und... Ein Blitz schleuderte sie gegen die Laterne, die merkwürdig zitterte und man hörte das hässliche Knacken gebrochener Knochen. Aleksiel fiel keuchend nach vorn, sekundenlang benommen, dann erhob sie sich schwankend, aber schnell genug, bevor sich die Dämonen wieder auf sie stürzte, aber zu langsam, denn lange Krallen bohrten sich in ihr Fleisch, in Richtung ihres Herzens und nur eine weitere gleißende Energieladung verschonte sie einige Sekunden. Aschera keuchte nur noch und sicherlich hatte sie sich etwas gebrochen, irgendwelche Knochen, nur schade war, dass sie VERFLUCHT NOCH MAL NICHTS DAVON SPÜRTE! Der Engel schwankte, eine Hand auf ihre Brust gepresst, und zwischen ihren Fingern quoll Blut hervor. Sie spürte irgendwo hinter sich die Energie, die sich zusammenzog, zu einem dritten Schlag gegen ihre Feindin, diesmal viel, viel mehr als die beiden male davor und sie fragte sich noch schwach, wer ihr half, und ob sie sich bedanken oder denjenigen lieber umbringen sollte, da blitzte es schon. Diesmal so stark, dass sie geblendet die Augen schloss, dass die Nacht zum Tag wurde, aber obwohl die Welle aus Energie sie beinahe zum schwanken brachte, wusste sie, dass Aschera noch lebte und dass ihr auch nichts sonderlich passieren würde. ,Betrügst du deinen Herrn?!' fauchte eine Stimme wie die gequälten Seelen der Hölle vom Himmel herunter. Feuriger Ascheregen übersäte die Straße und einer der Bäume ging in Flammen auf. "Mich kannst du nicht belügen. Jetzt ist Schluss!"
 

Das war nicht gut. Das war ganz und gar nicht gut. Sie würgte Blut hervor und spuckte es auf den Boden. Die Wunde in ihrer Brust schmerzte höllisch und sie wusste, dass ihre Feindin sich nicht von einem gebrochenen Rückrad oder ein paar Zehntausendvoltblitzen würde abhalten lassen. Ein Blick zeigte ihr, dass Angel noch immer mit Dagon beschäftigt war, aber das war ja nichts Neues. "Miststück", murmelte sie, als ihr Blick auf Aschera fiel und die Nägel ihrer rechten Hand formten sich zu langen, schwarzen Krallen. "Ich hab jetzt ehrlich keinen Bock mehr..." Sie leckte sich nervös die Lippen, versuchte möglichst orientierungslos, möglichst hilflos zu erscheinen und vor allem die Krallen zu verstecken und hoffte, dass der Schatten, der sich ihr näherte, es nicht merken würde, damit sie dieses Aas endlich beseitigen konnte, damit sie endlich... "Aleksiel, nein!" Der Schatten fing ihre Hand mit erstaunlicher Kraft ab aber vielleicht war sie auch nur geschwächt, denn sonst hätte das kaum jemand geschafft, der nur Engel war. "Raziel..." Sie schluckte, versuchte nicht zu würgen und nach einer Weile klappte es. Dann sah sie ihrem Untergebenen, ihrem ehemaligen Helfer finster ins Gesicht. "Verschwinde, hast du verstanden? Ich brauche deine Hilfe nicht! Besonders nicht deine!" Sie sah hinter ihm Aschera auftauchen, schubste ihm weg und wagte es, mit der linken Hand Aschera einen Schlag mit einer weiteren Reihe gefährlicher Krallen zu versetzen. "Du hast wohl noch nicht genug?!" fauchte sie, obwohl ihr die Bewegungen einen rasenden Schmerz durch die Brust jagten. Dann wirbelte sie zu Raziel herum und fauchte ihn noch einmal an: "Verschwinde", aber er grinste nur finster. "Ich werde nicht gehen. Ganz egal, was du tust. Das hier kannst du nicht gewinnen." Da schlug sie ihn. Einfach mit der Hand, und ihr blutiger Abdruck blieb auf seiner Wange zurück. "Verschwinde", murmelte sie nur und als er stehen blieb und sie betroffen anstarrte, da traf sie die Entscheidung. Ein Windstoß schleuderte ihn weg, gegen einen Baum, schien ihn dort festzuhalten und ihre Stimme dröhnte auf ihn zu wie ein Faustschlag, so brüllend, dass er gequält die Augen schloss, unfähig, sich die Ohren zuzuhalten. "VERSCHWINDE!" war das einzige, was sie sagte, aber nicht mal mehr ein Ansatz ihrer eigentlich schönen Stimme war noch vorhanden.
 

Angel warf Dagon zu Boden, auf den Bauch, stellte einen Kopf auf sein Rückrad & bog seinen Kopf an den Haaren so weit zurück, dass er die Knochen mit einem widerlichen, Übelkeit erregenden Geräusch knacken hörte. Aber es nützte nichts. "Ist das alles, was du kannst?" höhnte der Dämon & sah ihm aus einem leicht merkwürdigen Winkel aus ins Gesicht. Angel wollte etwas erwidern, aber er spürte, wie die Stimme sich darauf vorbereitete, mit ihm zu sprechen. Er spürte auch die Übelkeit, die in ihm hochstieg, wie jedes mal. & jedes mal heftiger. ,Du kannst nicht gewinnen. Rette dich selbst.' Er würgte, merkte erst jetzt, dass er über Dagon kniete & sich mit einer Hand abstützte, während die andere den Hals es Dämonen tödlich umklammert hatte. Höhnisches Lachen sprang ihn aus einem verzerrten Gesicht heraus an. "Beweg dich nicht..." Dagons Stimme war nur ein heiseres Krächzen & auf einmal spürte Angel einen stechenden Schmerz kurz unterhalb seiner Rippen. "Beweg dich nicht, oder du stirbst."
 

Aleksiel keuchte, eine Hand auf die Wunde in ihrer Brust gepresst, die andere vor gestreckt. & sie wusste nicht, wie lange sie noch Zeit hatte, bis Aschera es für richtig hielt, den nächsten Angriff zu starten. "Du Schwächling." Die Dämonin stolzierte um sie herum, betrachtete sie von allen Seiten & lachte. "Ich hab dich so lange um deine Stellung bei Luzifer beneidet. & jetzt... bist du nichts mehr." Aleksiel beobachtete stumm die Schritte der Feindin. Sie bemerkte Unsicherheit. Gelegentliches Schwanken. Wunden, die ignoriert wurden, obwohl selbst sie diese nicht hätte ignorieren können. Sie atmete tief durch. Nein. Jetzt war keine Zeit mehr, über Wunden & Blut nachzudenken. Jetzt war es zu spät. & so sehr sie sich auch dafür verabscheute, so sehr sie sich auch davor ekelte, jetzt musste es sein.
 

Rote Augen blitzen Aschera an. Nein, nicht mehr rot. Jetzt brannten sie. Hitze schien daraus hervor zu leuchten, so dass die Dämonin eine Hand schützend vor ihr Gesicht halten wollten, zurücktreten wollte, aber sie tat es nicht. Keine Schwäche. Nicht hier und nicht jetzt. Aber sie wagte es, eine Sekunde länger die Augen geschlossen zu halten, als es ein normales Blinzeln ausgemacht hätte, und als sie sie wieder öffnete, starrte ihr eine dämonisch verzogene Fratze an. Kein Engel mehr. Wenn sie das je war... "Ich hoffe, du hast dein Testament gemacht." Raubtierartige Zähne blitzen sie an. Ein Gesicht, wolfsähnlich, & gut hörbares Grollen bei jedem Wort. Bei jedem Atemzug. Aber trotzdem noch Engelsschönheit. Was war das nur für ein Wesen? Jetzt machte der Ewigkeitsengel ein paar Schritte auf Aschera zu. Ohne Schwanken. Ohne eine Hand auf die Wunde in ihrer Brust zu pressen. Blut tropfte auf den Boden, hinterließ eine Spur. Spürte dieses Monster überhaupt Schmerz? "Sag auf Wiedersehen, Aschera..."
 

Er spürte die Krallen in seinem Körper. Die zehn, vielleicht auch zwanzig Zentimeter, die ihn durchbohrt hatten. Spürte die Ausweglosigkeit dieser Situation. Egal was er tat - Dagon würde ihn vernichten können. Ob er ihm nun die Kehle heraus riss oder nicht. Angel sah Dagon in die Augen. Beide atmeten schwer. Irgendwo hörte er die beiden Frauen, Donner grollte leise und lauter. Blitze erhellten die Szenerie. Alles schien irgendwie unwirklich. Angel verstärkte den Druck seiner Finger um Dagons Hals ein wenig & sofort drangen die Krallen weiter in seinen Körper ein. Vorsichtig bewegte er seine Knie näher an den Dämonen, provozierte weitere schmerzhafte Stiche in seinen Eingeweiden. "Aber mehr hast du nicht drauf..." Er versuchte zu lächeln, aber es wurde nur eine verzerrte Grimasse. Dagon lächelte genauso verzerrt zurück, aber höhnischer & gemeiner. "Dumme Sprüche, Arael. Ich will Taten sehen." Angel schob sein Knie ein Stück weiter vor. Wenn doch bloß... Es musste funktionieren! Er verlagerte sein Gewicht auf seine Beine, hob den Arm... "Du jämmerlicher Schwächling..." Dagon hustete. Blut floss aus seinem Mundwinkel. "Du kleine Schwuchtel... Komm schon, oder hast du etwa Angst?" Angel lächelte. "Du machst es mir viel zu leicht..." Er spürte, wie sich tödlich scharfe Krallen an seiner eigenen Hand materialieserten. Sie sendeten eine fast magische, pulsierende Energie aus, eine unglaubliche, spürbare Hitze. "Viel zu leicht..." Dagon stieß einen unterdrückten Schrei aus & Angel sprang auf. Schwankend, aber er blieb auf den Füßen. "Mehr kannst du nicht?" Er spuckte auf Dagon runter & riss dann den Handstumpf aus seinen Rippen. Zerquetschte mit hässlichem Knacken die Knochen & ließ das Blut auf Dagon herunter tropfen. "Na wie schmeckt das?" Er versetzte ihm einen Tritt in den Magen. "Wie schmeckt das?! Hast du jetzt noch was zu sagen?!" Dagon wand sich am Boden. Aus seinem Armstumpf quoll stoßweise Blut. "Das hast du nicht umsonst gemacht...", röchelte er. "Das wirst du bezahlen..."
 

Ein lebloser Körper? Aleksiel stolperte zurück. Schwankte. Kroch beinahe. & vor ihr lag die Dämonin. Aschera. Sie atmete noch, aber um ihren Hals waren rote Flecken zu sehen. Was war passiert...? Sie sah sich um, versuchte Angel zu finden. Da stand er. Blut tropfte von seiner Hand. Sein Blut? Vielleicht war etwas davon... Zersplitterte Knochen lagen auf dem Boden. Fleischfetzen. Krallenreste. & Dagon starrte hasserfüllt zu seinem Gegner auf. Er presste einen Arm gegen seinen Bauch. Die Hand davon war sauber abgetrennt. & sein Gesicht, auf dem sie die ersten Anzeichen dessen erkennen konnte, was sie so sehr hasste... "Bring es zum Ende..." Mehr brachte sie nicht heraus. Sie wusste, dass deshalb würde büßen müssen, aber es war die einzige Möglichkeit. Er sah sie an. Aleksiel wünschte, er hätte es gelassen. Sie konzentrierte ihren Blick auf die keuchende Gestalt neben ihm. "Bring es zum Ende..." Sie registrierte sein Nicken am Rande ihres Gesichtsfeldes. Dann verdunkelte sich der Himmel. Noch mehr... Sie sah die dunklen Fäden aus seinen Fingern wachsen. Sah, wie weh es ihm tun musste. Er hasste es auch. Sie schloss die Augen, um nicht sehen zu müssen, wie es passierte...
 

Er sah ihren leeren Blick, als sie der davon wehenden Asche nach starrte, sah das leichte Zittern, dass ihre Schwäche verriet & das Blut auf ihrer Hand, an dessen unverwechselbarem Geruch er ihr eigenes erkannte. Nur schwer schaffte er es, auf sie zuzugehen. Ihr Blick verirrte sich auf sein Gesicht & sie konnte einen Schauder nicht unterdrücken, genauso wenig wie die fast weiße Blässe, die ihr ohnehin schon bleiches Gesicht überzog. Kraftlos schloss sie die Augen & senkte den Kopf. "Entschuldige..." Er wusste nicht, warum er das sagte. Sie wandte sich ab, weil sie sein Gesicht nicht ertragen wollte, so wie es jetzt war, obwohl diese Veränderung zum dunkleren Teil seines Selbst ihr schon zweimal das Leben gerettet hatte. Aber dennoch ertrug sie es nicht. Oder gerade deshalb...? Es war schwer, wieder zurück zu kommen. Er durfte nicht zu plötzlich die Verbindung trennen. Nicht zu schnell loslassen... Aber Aleksiel schwankte, schien zu fallen & er spürte, wie ihm die Kontrolle entschwand. In Sekundenbruchteilen zog sich sein Körper zusammen. Die Umgebung raste von ihm weg, nur um gleich mit neuerlicher Gewalt auf ihn einzustürzen. Dunkelheit flackerte um ihn, hüllte ihn ein & er biss die Zähne zusammen, als aller Schmerz ihn einholte, der durch die Veränderung, durch die Verbindung mit seiner Welt zu etwas Höherem, weitgehend unterdrückt worden war. Feuerzungen fraßen sich durch seine Adern & Lichtpunkte tanzten schmerzhaft grell vor seinen Augen, während die langsam wieder klar werdende Welt ihm zeigte, dass er auf dem Boden kniete, die Hände in Steinen & Grasbüscheln verkrampft & Blut & Galle hustete. Er wusste, dass er nicht mehr würde aufstehen können ohne die Dunkelheit & er wusste, dass er die Dunkelheit nicht mehr zurück holen konnte. Jetzt nicht mehr.
 

Ihre Brust schmerzte & sie spürte noch immer das warme, pulsierende Blut, das daraus hervorquoll. Wenn sie nicht schnell... Sie fühlte die Veränderung. Fühlte den Feind sich nähern. Phil tauchte neben ihr auf & sie packte ihn am Kragen & zog ihn zu sich heran, dass sie ihm ins Gesicht sehen konnte, ohne dass es zu sehr weh tat. "Wo ist Angel?" Ihre Stimme war ein gepresstes Zischen. "Wo ist er?" - "Er ist da drüben." Mephisto zeigte auf ein schwarzes zusammen gekrümmtes Etwas, aus dessen Mund Blut tropfte. Sie zog sich an ihm hoch & stolperte, noch an ihn geklammert, auf den Dämonen zu. "Angel..." Sein normales Gesicht wandte sich ihr zu. Sie sank neben ihm auf den Boden. Blut sickerte aus seinem Mundwinkel & grinste schief, so weit er es vermochte. "Jetzt sitzen wir also hier...", er hustete, spuckte blutigen Schleim & wischte sich dann das Gesicht ab. Sein Blick war undefinierbar, als er sich weit genug aufrichtete, um sich nicht mehr abstützen zu müssen. "Ich gehe Risiken ein, dich mich viel Kraft kosten. Für..." Stumm beobachtete sie ihn, nicht wissend, was er meinte, aber ahnend, was er von ihr verlangen würde & sie sagte: "Nein", bevor er etwas sagen konnte. Er sah ihr in die Augen. "Du stirbst, Engel." Von irgendwo her war Phil zu hören, sein leises Fluche nach diesem Satz. Diesem Wort... Sie wusste nicht mehr, was es bedeutete. Schon lange hatte sie dieses Wort aus ihrem Gedächtnis gestrichen, reagierte nur noch, wenn sie es hörte. Reagierte wie immer. "Ich töte dich, Angel." Aber konnte sie denn... Durfte sie überhaupt... "Nein..." Nein. Sie hatte nicht das Recht, jetzt noch etwas von ihm zu verlangen. "Tu es." Sie atmete aus, schloss die Augen. Sie wusste, dass er sie zwingen würde, wenn er es für richtig hielt. Richtig und rettend für sie. Warum wehrte sie sich überhaupt?
 

Feuer, dann Eiseskälte wie Tausende spitzer Nadeln in ihrer Haut. Dann Ruhe. Friede. Süße Dunkelheit, die allen Schmerz auslöschte. Flackernd öffneten sich ihre Augen & sie zog keuchend den Atem ein. So viel von der köstlichen Luft, als hätte sie tausend Jahre lang nicht geatmet. Sie erhob sich langsam, prüfend, ob ihre Beine sie hielten & ohne Schwanken oder ein Schmerz verzerrtes Gesicht. Ihre Schritte waren sicher & ihre Hand, die über die Wunde in ihrer Brust tasten wollte, fand nur die mit klebrigem Blut verdreckten Risse in ihrer Kleidung. Energisch zerriss sie die Jacke & schmiss die Fetzen achtlos beiseite, bevor sie sich neben ihn auf den Boden kniete. "Das war dumm von dir." Sie war wieder die leicht spöttische junge Frau, die es hasste, von anderen abhängig zu sein. "Du wärst gestorben..." Sie schien auf das Wort zu warten, Engel, aber er sprach es nicht aus. Also zuckte sie nur unmerklich mit den Schultern & holte das kleine Messer aus ihrem Stiefel. "Was hast du vor?" Seine Stimme war rauh, gedämpfter Schmerz klang mit. - "Was denn wohl?" fragte sie gleichgültig. "Ich lasse mich nicht von dir beißen und dran hindern kann ich dich nicht." Er hob den Arm & schlug ihr das Messer aus der Hand. Es war ein leichter Schlag gewesen & die glänzende Klinge bohrte sich nur wenige Meter weiter in den Boden. "Nicht mal so", knurrte er so finster er es jetzt noch vermochte. "Nicht mal so... Gar nicht, verstehst du?" Sie musterte ihn ruhig & dann ging alles zu schnell, als dass er es ganz verhindern konnte & ihre plötzlich erscheinenden Krallen ritzen ihr Handgelenk, genau über der Schlagader. Beide starrten sie auf die Wunde, er umklammerte noch die Hand mit den Krallen. "Blut..." flüsterte sie heiser. "Siehst du das Blut...?" Sie zuckte zusammen, als sich seine Finger schmerzhaft um ihre Hand schlossen. Aber sie wusste, dass es sein musste. "Du willst es doch... Warum wehrst du dich so sehr...?" Sie hörte sein Knurren, dann riss er sie so hart zu sich heran, dass sie einen leisen Schmerzensschrei nicht unterdrücken konnte & starrte ihr mit rotglühenden Augen ins Gesicht, nah genug, dass sie alle Feuer der Hölle sehen konnte. "Du hast ja nicht die leiseste Ahnung..."
 

Seine Hand grub sich in ihr Haar, bog ihren Kopf zur Seite & er spürte seine Zähne in das weiche Fleisch ihres Halses eindringen. Spürte das süße Blut seine Kehle hinab rinnen & das Gefühl, dass in durchrieselte. Feuer & eisige Kälte. Ihr Feuer. Ihre Kälte. Spürte, wie sie sich wehren wollte, wie sie es hasste, und wie das noch mehr Hitze in ihr Blut brachte und ließ von ihr ab. Blut an ihrem Hals. Ihr keuchender Atem verriet ihren Schrecken. Sie hatte es gewusst. Sie hatte gewusst, dass er nicht würde widerstehen können. Sie hatte gewusst, dass nur ihr Blut imstande war, seine Wunden zu heilen. & sie hatte Angst gehabt. Aber er hatte es trotzdem getan. Er stand auf. Ignorierte die Schwindel & das Flackern der Welt, die schleichende Dunkelheit, die ihn sekundenlang umarmte. Die Kraft kehrte in seine Arme zurück. Er tastete über seine Rippen. "Ich danke dir, Süße, für diese großzügige Spende." Er grinste sie an, spöttisch & genauso arrogant wie immer. Sie lächelte nur, aber nicht freundlich, & strich sich leicht über die Wunde am Hals. "War mir ein Vergnügen." Sarkasmus. Ganz eindeutig, aber das sollte ihm egal sein.
 

Er hatte nur einen Tag verstreichen lassen. Nur ein Tag und dann, als die Dämmerung wieder vergangen war und die Lichter der Nacht sich stark und mild über allem ausbreiteten, brachen sie auf. Sie wanderten durch die einsamen Straßen, die jetzt noch leerer waren als sonst. Es war noch nicht spät. Zu früh, als dass niemand mehr da sein konnte, aber es war so. Kein Mensch war auf den Straßen. Kein Auto fuhr durch die Nacht. Niemand war zu sehen, alles wie leergefegt. Als wäre es klar, dass es so war, liefen sie durch die Stadt. Sie waren zu sechst. Ein Engel oder zumindest jemand, der so betitelt wurde, drei Dämonen und zwei Menschen. Vier von ihnen wussten, was auf sie zukam. Die anderen beiden waren völlig ahnungslos. Vielleicht war das auch besser so... Eigentlich hatten sie nicht mal dabei sein sollen, aber jetzt war es zu spät. Sie konnten natürlich zurück gehen, aber selbst dazu war es zu spät. "Ihr seid da." Von irgendwoher kam die Stimme eines Feindes. "Wenigstens habt ihr nicht getrödelt." Eine zweite Stimme, aber das wunderte sie nicht. Es waren immer zwei gewesen und heute standen sie hinter ihnen. Aleksiel drehte sich um mit einem freundlichen, aber dennoch eiskalten Lächeln, um sie zu begrüßen, aber es gefror auf ihrem Gesicht, zerbrach wie ein Spiegel und sie starrte angestrengt auf das Paar. Die anderen schwiegen und warteten auf ein Wort, aber vielleicht waren sie auch einfach nur entsetzt. Da standen Alicia und Lance und sahen gar nicht mehr freundlich aus. Und auch nicht mehr menschlich, als sie sich vor den Augen der anderen in Aschera und Dagon verwandelten. In die Aschera und den Dagon, die vor Angels letztem kleinen Zauber dagewesen waren. Die vor ihrem eigenen angeblichen Tod dagewesen waren. Jetzt lächelten sie mit tausend kleinen Wunden an jedem Teil ihres Körpers und... zerfielen zu Asche und eine schwarze Gestalt tauchte durch die Staubwolke wie ein Monster aus der Tiefsee, ließ die letzten Überreste verschwinden und sie wussten dass es keine Illusion war und kein Spielchen, dass er, wer auch immer er war, trieb und dass er sie wiedererweckt hatte um ihnen seine Macht zu zeigen und um ihnen zu zeigen, dass es von Anfang an nur ein Spiel gewesen war mit zwei angeblichen Menschen, deren wirkliches Inneres man nie gespürt hatte. "Ihr wart so leichtgläubig", lachte die Gestalt, ein Mann mit langen schwarzen Haaren, die im Wind wehten und, vielleicht aus Ironie, der Kleidung eines Erzengels. Und dann tauchte sein Gesicht aus den Schatten in die Helligkeit und grinste Aleksiel und nur Aleksiel an wie die Fratze des Todes, der er gern sein wollte und sein Grinsen wurde breiter, als sie seinen Namen hauchte, voller Hass und voller Gleichgültigkeit. "Du bist zurück, Abbadon...", murmelte sie und schien darüber nachzudenken, ob das gut war und dann lächelte sie, als wäre es das. "Ich hatte schon geglaubt, es würde schwer werden", murmelte sie und lächelte. Als wäre es einfach. "Ich werde dich töten", lächelte er zurück und trotz dem, was man in seinen Augen sah - da war ein Licht wie Wahnsinn und eins wie Tod - klang er freundlich und sah auch so aus. Dann sahen beiden zu den anderen, zu Angel, Phil und Arakune, die sie nur befremdlich und entsetzt anstarrten. "Ihr seid hier unerwünscht", sagte Abbadon. "Verschwindet oder bleibt", fügte Aleksiel hinzu, "aber mischt euch nicht ein."
 

Sie hatten es dann doch gelassen und sich nicht eingemischt, denn nachdem ein oder zwei ,kleine' Blitze sie beinahe getroffen hatten, war es sicherer, denn sonst hätten sie sicher nicht mehr helfen können. Jetzt war es aber auch egal. Es war eigentlich von Anfang an egal gewesen und niemand hatte etwas an der Situation ändern können. Jetzt tat Abbadon seinen letzten Atemzug und Aleksiel lächelte ungläubig auf ihn herab. "Ich hatte gedacht, dass du stärker bist", murmelte sie und er lächelte sie verzerrt an. "Süße, du weißt, dass es noch nicht vorbei ist", flüsterte er keuchend, weil er nicht mehr genug Kraft hatte. "Ich weiß", antwortete sie, hockte sich neben ihn und zog ihn beinahe brutal an seinem Kragen ein Stück hoch. "Wer ist es? Sag mir einfach, wer es ist. Dann kriegst du einen schnellen Tod." Er schüttelte nur den Kopf. "Das ist doch nicht wahr. Und jetzt geh. Ich sterbe auch ohne dich." Aleksiel ließ ihn los und er prallte auf die Straße. Seine Augen verschleierten sich und sie wusste, dass er tot war, ohne sich umdrehen zu müssen. "Ist er...?" fragte Phil schluckend und musterte sie verwirrt. "Er war es schon, als er das erste mal auftauchte", murmelte sie. "Ist es vorbei?" mischte sich Arakune ein, deren Anwesenheit nicht ganz begründet war. "Nein", antwortete ihr jemand, von dem sie diese Antwort ganz sicher nicht erwartet hatte. "Es ist noch lange nicht vorbei", sagte Angel und eine Kuppel wie aus Glas schloss sich um Phil und Arakune. "Es fängt gerade an, Spaß zu machen.
 

Sie saß auf dem Boden und wischte sich verwundert das Blut von der Stirn. Dann sah sie hoch zu dem schwarzen Mann vor sich und zu seinen Wunden, die ihn gar nicht interessierten, zumindest schien es so, und in dessen Augen Abbadons wahnsinniges Licht leuchtete. Er war nicht er selbst, aber vielleicht war er es nie gewesen, denn sie spürte keine Veränderung zu vorher. "Du meinst es also ernst", sagte sie ruhig und sah auf ihren Arm, der gebrochen und somit nutzlos an ihrer Seite herunter hing. "Habe ich es jemals nicht ernst gemeint?" fragte er zurück. "Woher soll ich das wissen." Aleksiel stand auf. Ohne Mühe. "Übrigens habe ich keine Lust mehr", gab sie zu. "Wir sollten es jetzt beenden." - "Meinst du?" Er lächelte ungläubig über ihren überlegenen Tonfall. Obwohl sie mehr Wunden hatte als er. "Ja", sagte sie. "Ich hoffe, du weißt, dass es bei einigen Dingen nicht mal für dich ein Entkommen gibt." Er wusste es. "Und ich hoffe, du lässt mich einfach machen, was sowieso vorherbestimmt ist. Dann tut es nicht so weh." - "Ich ergebe mich nicht freiwillig", sagte Angel. "Das habe ich nie." Das hatte sie auch nicht erwartet. "Tia mi aven...", sagte Aleksiel und genoss seinen überraschten Gesichtsausdruck. "...moridin..." - "Halt's Maul!" befahl er ihr, aber sie wäre nicht die gewesen, für die er sie hielt, wenn sie das getan hätte. "...isainde..." Eigentlich hätte er etwas unternehmen sollen, aber unsichtbare Stricke schnürten seine Gliedmaßen zusammen. Und unsichtbare Mauern seinen Zauber. "...vadin." Es war merkwürdig, dass er, hier im Angesicht des Todes, in dem Augenblick, in dem man ruhig und besonnen sein sollte, so viel Angst hatte...
 

Er hatte nicht geglaubt, dass es so war, zu sterben. Blendend weißes Licht, dass einem die Augen und das Gehirn wegbrannte und dann unsägliche Schmerzen, als würde einem die Haut vom Körper abgezogen. Und dann nichts. Völlige Leere. So groß, dass er sich wie ein winziges Staubkorn vorkam in einer unendlichen Wüste, und nicht einmal das beschrieb es annähernd. Es war, als wollte Gott einem zum Abschluss des ganzen noch zeigen, wie unbedeutend, nutzlos und winzig man im Vergleich zu dem ganzen verdammten riesigen Universum war. Wäre er nicht Arael, Prinz der Hölle, gewesen, würde er sagen, dass das ganze ziemlich gut geklappt hätte, aber er war es nun mal und er fand, dass diese Darstellung reichlich übertrieben war. Jetzt lag er irgendwo, wo es hart war und unbequem und sein Kopf fühlte sich an der Stelle, die den Boden berührte, irgendwie schmerzhaft an. Es war dunkel um ihn, aber nicht so dunkel wie in diesem merkwürdigen, von Milliarden und Trillionen Sternen durchzogenen Miniuniversum, das in sein Gehirn gestürzt war, bevor er hier wieder aufwachte. Er überlegte gerade, ob er lieber da geblieben wäre, wo auch immer das war, aber er überlegte es sich anders, als ein süßer, leichter Hauch von Rosen seine Sinne streifte, und richtete sich auf. Ein Mädchen, deren rechter Arm merkwürdig leblos an ihrer Seite herunter hing. Ihre irgendwie blonden, blauen Haare waren wirr hochgesteckt und einige Strähnen hingen an ihrem Gesicht herab, und sie strich sie sich hinter die Ohren. Wenn er sie so ansah, glaubte er, sie wäre ein Kind, dass die verbotenen Kleider seiner Mutter anprobiert hatte, aber als er in ihre Augen sah, bemerkte er, dass ihr enges, schwarzes, ziemlich kurzes Kleid - wenn sie ihren Rock noch zwei Zentimeter nach oben zöge, könnte man ihren Bauchnabel sehen - durchaus gerechtfertigt war. "Schwächling", sagte sie jetzt zu ihm und er fragte sich einen Moment lang, wie sie darauf kam. Dann spritzte sie ihm plötzlich mit ihrer gesunden Hand etwas von ihrem Blut ins Gesicht. "Ich will nicht mit einem reden, der alles vergessen hat." Er sah sie verwundert an, leckte sie dann das Blut von den Lippen... und noch einmal raste das ganze Universum auf ihn herab, spielte Fußball mit seinem Gehirn und saugte ihm den Verstand zu den Ohren raus, um ihn einmal kräftig durchzukauen und ihn wie einen Kaugummi in irgend eine Ecke seines Schädels zu kleben. Er blinzelte einmal. Er blinzelte ein zweites mal. "Das war nicht nett", murmelte er, als irgendwann seine Gedanken sich wieder auseinander gefaltet und zu sinnvollen Dingen zusammengesetzt hatten. "Hallo Aleksiel." Er sah zu ihr hoch und setzte er sich wieder auf. Er spürte, dass er schwanken musste wie eine Pappel im Sturm, aber er konzentrierte sich und auch wenn sich jede einzelne Faser seines Körpers dagegen sträubte, auch nur an ihrem Platz zu bleiben, gelang es ihm. "Ich konnte Nahtoderfahrungen noch nie leiden." - "Sollte das irgend jemanden interessieren?" fragte sie verächtlich und ihr Blick war kalt und hart wie bei einer Eisstatue. "Schwächling. Du hast wohl geglaubt, wegen dem bissen, was wir hatten, oder wovon du glaubtest dass es existierte, würde mich zum aufgeben bringen? Glaubst du, ich wäre so dumm?!" - "Halts Maul", sagte er nur. Einfach und ruhig und ohne Emotion. Anders als sonst. Er fühlte sich auch so und wusste, dass etwas passiert war. Und sie schwieg. Ließ ihren berechnenden Blick auf ihm ruhen und er unterdrückte ein Keuchen, als er aufstand, seine Hand gegen die Rippen gepresst und schwarze Punkte tanzten aufgeregt vor seinen Augen. "Geh schlafen. Du bist..." - "Oh halt du doch das Maul", sagte sie diesmal und es war genauso gefühllos wie bei ihm. "Wen interessiert schon dein Gelaber..." Sie tastete über ihren Arm, verzog leicht das Gesicht wegen dem Schmerz, und sah die anderen nicht an. Phil und Arakune standen da und musterten sie ängstlich und verwirrt, aber das war nichts neues. Seit ein paar Tagen war sogar er verwirrt. Und jetzt besonders... "Wir sollten uns nicht streiten", sagte er, bemüht um etwas Wärme, aber er schaffte es nicht, sie in seine Stimme zu bringen. Trotz ihrem abweisenden Gesicht ging er auf sie zu, um sie in die Arme zu nehmen. "Ruh dich erst mal aus, morgen sehen wir, wie es weitergeht." Sie hatte ihn ausreden lassen, aber jetzt lächelte sie ruhig und fies und genauso, wie ein hässlicher, niederer Aasfressender Dämon, der über einer wehrlosen Beute stand, nur dass sie wunderschön war und nichts von alledem, sondern ein zarter, zerbrechlicher Engel, in dem immer noch diese alles verschlingende Traurigkeit lebte, die er schon am Anfang bemerkt hatte. Die wohl niemals verschwinden würde... "Ausruhen... okay. Wie es weiter geht... auch okay. Aber ohne mich." Jetzt grinste sie nicht mehr, sondern sah ihn nur noch an, abgrundtief böse und voller Hass auf ihn. "Oder besser ohne dich. Verschwinde, Arael." Und sie nannte ihn nicht mehr Angel. "Und komm niemals wieder. Wage es nicht mal, daran zu denken." - "Was soll das?" fragte er verwirrt, als sie eine Pause machte, um Luft zu holen, aber vielleicht hatte sie nur auf seine Frage gewartet. "Weshalb bist du jetzt wieder sauer? Was hab ich getan?" Sie verzog die Lippen zu einem verächtlichen Fauchen. "Du warst mir schon immer zuwider. Jede Berührung von dir, jedes Wort, JEDE WIDERLICHE MINUTE, DIE ICH MIT DIR VERBRINGEN MUSSTE!" Sie war blass - vor Wut? Hass? Ekel? - und ihre Augen blitzten wild. "Aber ich musste ja. Musste jeden Tag überstehen, jeden Tag mit dem Gefühl, mich übergeben zu müssen. Und wozu?" Er packte sie an den Schultern, so dass sie schmerzerfüllt zusammenzuckte und schüttelte sie, ohne auf ihren Arm zu achten. "Ja, wofür? Wofür verdammt noch mal hast du diesen ganzen Zirkus veranstaltet?" Merkwürdiger, erschreckender Weise war seine Stimme, die eigentlich wütend klingen sollte, ruhig und überhaupt nicht aufgeregt. Nicht mal im mindesten... Aleksiel machte sich los, riss sich los und stolperte weg von ihm. Dann sah sie zum Himmel und jetzt schien sie wirklich wütend. "Was willst du denn noch? Hast du endlich genug? MUSSTEST DU MIR AUSGERECHNET EINEN VERLIEBTEN TROTTEL AUF DEN HALS HETZEN?!" Irgendwo in der Ferne grollte Donner. "Aber du warst ja schon immer so. Du musstest mir ja immer Steine in den Weg legen, weil du es nicht ertragen konntest, dass ich auch OHNE DICH glücklich sein konnte!" Das Grollen kam näher und Arael hatte das untrügliche Gefühl, dass er das, was auch immer Aleksiel vorhatte, unterbrechen sollte, wenn er sie behalten wollte. Er kam auf sie zu, aber sie wirbelte zu ihm herum und fauchte ihn an: "Bleib weg von mir, du widerliches Monster!" Er wollte erst nicht glauben, dass sie es ernst meinte, aber als ihm eine Feuerwand entgegen schlug, musste er es wohl oder übel. Ihre Worte hörte er jetzt nur noch bruchstückhaft, übertönt durch das Knistern der Flammen. Und dann noch den Blitzschlag, der den Regen brachte und das Feuer löschte, und eine schwarze Gestalt, die etwas mit langen, weißblonden Haaren mit sich fort trug, vor einem großen schwarzen Tor noch stehen blieb und ihn hasserfüllt anlächelte und dann spürte er, dass sie weg war. Und es fühlte sich an, als würde ihr Leben alles auf einmal ausgelöscht. Er war noch nie lange richtig von ihr getrennt gewesen und jetzt fühlte er sich leer und aufgebraucht. Ausgebrannt. Als hätte sie einen Teil von ihm zerrissen, als sie ihm sagte... "...dass sie mich hasst..." Er nickte langsam und dann verbrannte er den Stadtpark und die Hälfte einer Mietswohnung dazu und als er ging, rannten Menschen schreiend auf den Straßen herum. Musik in seinen Ohren... Und er fasste den Entschluss, dass der letzte Schrei, den er hören wollte, bevor er endlich Selbstmord beging, Aleksiels Todesschrei sein würde...
 

>Ende Teil 2<



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2001-12-17T21:02:30+00:00 17.12.2001 22:02
WOW!!! Deine Story ist echt super! ^.^ (und ganz schön lang *puuh*) ich hab mir bis jetzt nur die ersten 6 Seiten durchgelesen, aber ich finds trotzdem klasse (werd auch garantiert weiterlesen ^^)
Aber der Titel ist ja eigentlich "Himmel aus Blut 2" hattest du davor noch ein Kapitel geschrieben?
Ansonsten, mach weiter so, find ich echt super ^-~


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