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Wenn ich mich langweile…

von

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Die Zeit schleicht nur so vor sich hin. Es ist kein Tag wie jeder andere. Sonst gibt es immer etwas zu tun. Aber heute gibt es nichts, was danach ruft erledigt zu werden. Ich sitze vor dem Fenster und starre hinaus. Zum Glück hängt eine Gardine vor meinem Fenster. So kann mich niemand sehen.

Der Anblick nach draußen langweilt mich. Es gibt hier wirklich überhaupt nichts interessantes. Die Menschen gehen vorbei, immer nur mit sich selbst beschäftigt. Niemand achtet auf die anderen Menschen. Nicht einmal, wenn sie sich anrempeln. Manchmal, aber nur selten, wendet sich einer um und meckert. Doch niemand schaut sich um.
 

Ich kann diesen Anblick nicht mehr ertragen. Es reicht mir. Ich stehe auf und schaue mich um. Meine Wohnung ist schön eingerichtet. Zumindest denke ich das immer. Aber heute kommt sie mir furchtbar hässlich vor. Es liegt nicht an den Möbeln und wie diese stehen. Alles erscheint mir heute so trostlos und langweilig. Es ist wirklich zum kotzen. Mir ist nicht danach die Möbel umzurücken. Ich ziehe mein Telefon aus meiner Hosentasche und wähle eine Nummer. Nur wenige Male klingelt es. Dann informiert mich eine Stimme, dass der gewünschte Gesprächspartner momentan nicht erreichbar ist. Ich lege auf und wähle die nächste Nummer. Es klingelt.

"Hallo? Was gibt es? Ich bin gerade sehr beschäftigt. Rufe später doch noch mal an. Okay? Also bis dann."
 

Dann wurde aufgelegt. Ich wähle weitere Nummern. Doch entweder geht niemand ran oder sie sind beschäftigt. Mir reicht es. Ich gehe in den Flur, greife meine Schlüssel und schließe meine Wohnungstür hinter mir. Das Treppenhaus war leer. Keine Menschenseele war zu sehen oder zu hören. Die Wände sind kahl und in einem kalten Grau gehalten. Das Geländer ist völlig abgegriffen. Ich glaube hier hat schon die ganze Stadt gewohnt. Der Lack, der das Holz eigentlich schützen sollte, ist schon längst abgegriffen und auch die dunkle Farbe des Holzes ist schon nicht mehr erkennbar. Nur an wenigen Stellen kann man den Urzustand noch erahnen. Die einzelnen Stufen sind vollkommen abgelatscht. Es ist eine Kunst sich hier zu halten und keinen Abflug zu machen. Aber ich gehe diese Stufen zig mal am Tag. Es ist eine Leichtigkeit für mich hier hoch und runter zu gehen. Sogar mit geschlossenen Augen. Einige Etagen unter meiner Wohnung höre ich Stimmen hinter der Wohnungstür. Sie waren nicht gerade leise. Ihre Stimmen waren erregt. Sie schrieen sich an. Wie üblich. Worum es heute ging, weiß ich nicht. Und das will ich auch nicht wissen. Aber es kann nicht wirklich etwas Ernstes sein. Ein lauter Knall reißt mich plötzlich aus meinen Gedanken. Hinter der Tür ist etwas zu Bruch gegangen. Dann ist es wohl doch etwas ernster.
 

Die Stimmen aber verstummten nicht. Also wurde niemand getroffen. Spätestens heute Abend ist wieder alles gut und das Paar, welches in dieser Wohnung lebt, feiert ihre Versöhnung. Und das so laut, dass wirklich alle Wohnungen etwas davon haben. Vor drei Tagen war die Musik so laut, dass ich keine Probleme hatte den Songtext zu verstehen. Und das, obwohl ich vier Stockwerke über ihnen wohne. Jedoch stört mich das nicht. Ich habe immer einen guten Schlaf. Am nächsten Tag höre ich dann nur immer, wenn sich die anderen im Haus aufregen. Das Treppenhaus funktioniert wie eine Zeitung. Einen Tag passiert etwas und wenn es nicht mehr Vormittag ist, dann kann man am nächsten Tag alles erfahren. Ich brauche keine Zeitung. Warum? Ich muss nur ins Treppenhaus gehen und schon erfahre ich die neusten Nachrichten und den besten Tratsch. Nur heute ist es ungewöhnlich ruhig. Zumindest fast. Das Paar streitet noch immer lautstark. Ihre Stimmen sind noch gut zu hören, dabei ist es völlig egal, dass ich schon drei Etagen unter ihnen bin.
 

Endlich bin ich unten. Draußen. Ich schließe noch die Tür zum Treppenhaus und dann atme ich einmal tief ein und aus. Die Luft ist sauber und rein. Selten. Das kommt wirklich selten vor. Ich schaue nach Links und nach Rechts. Ich weiß nicht in welche Richtung ich gehen soll. Daher lasse ich die Münze entscheiden. Kopf für Links und Zahl für Rechts. Nur wenige Sekunden und Augenblicke später beschreite ich den rechten Weg. Die Münze hatte mir die Zahl gezeigt. Meine Hände lasse ich lässig in den Hosentaschen verschwinden. Ich schleiche durch die Straßen. Autos und Fußgänger ziehen an mir vorbei und keiner würdigt mich auch nur eines Blickes. Das ist so typisch. Die Menschen sind einfach furchtbar egoistisch. Ich auch. Meine Gedanken schweifen ins Leere, während mich meine Füße immer weiter die Straßen entlang tragen. Wohin ich gerade gehe, weiß ich auch nicht. Aber das ist auch nicht wichtig. Die Hupe eines Kraftfahrers schießt mich in die Gegenwart zurück. Ich schaue mich um. Ein Fußgänger steht am Straßenrand und nur einen knappen Meter vor ihm steht ein gelber Sportwagen und dessen Fahrer ist halb aus dem Fenster gelehnt. Er brüllt den erstarrten Fußgänger wütend an. Fast jedes zweite Wort ist eine Menschen entwürdigende Beleidigung. Ich wende mich wieder ab und schaue mich um. Überall stehen Hochhäuser. Viele davon kann man betreten und von dessen Dach aus die Umgebung bestaunen. Ich entscheide mich für ein Hochhaus nur wenige Hausnummern weiter.
 

Das Telefon klingelt. Doch ich habe keine Lust ran zu gehen. Ich lasse es klingeln. Endlich hört es auf. Dann vibriert es. Ich ziehe es heraus und schaue auf das Display. Die Mailbox hat mich gerade informiert, dass ich einen Anruf verpasst habe. Als hätte ich das nicht gewusst und mitbekommen. Nun geht eine Nachricht ein. Ich sehe sie mir an.

"Was ist los? Warum gehst du nicht ran? Du hast mich doch vorhin angerufen. Nun habe ich Zeit und du ignorierst meinen Anruf. Ruf gefälligst zurück, Mann!"
 

Doch diese Nachricht interessiert mich nicht. Ich stecke das Telefon wieder zurück und gehe meinen Weg weiter. Ich komme an einen Straßenmusikanten vorbei. Er spielt auf einer Gitarre und singt ein Lied. Seine Stimmt klingt gut und seine Fähigkeiten an der Gitarre sind auch nicht zu verachten. Vor sich hat er den Koffer der Gitarre aufgeklappt zu liegen. Einige Münzen und ungefähr drei Geldscheine sind darin zu finden. Nicht gerade viel für die schöne Musik, die er hervor bringt. Ich werfe auch etwas hinein. Sein Talent muss gewürdigt werden. Seine Melodie verstummt. Er ruft mir hinterher und ich drehe mich um.

"Sie haben versehentlich etwas fallen gelassen. Es ist Ihr Mobiltelefon."

"Nein. Ich habe es nicht versehentlich fallen gelassen." Ein Lächeln schenke ich ihm und wende mich dann wieder meinem Weg zu.

"Aber dieses Telefon ist doch sehr teuer. Wollen Sie es wirklich nicht zurück?"
 

Ich schüttle nur kurz meinen Kopf ohne mich umzudrehen. Dann wendet sie der junge Musiker wieder seiner Gitarre zu und beginnt erneut ein Lied. Seine Stimme wird immer leiser, desto weiter ich mich von ihm weg bewege. Ich komme an dem Hochhaus an und gehe hinein. In den Eingangshalle sehe ich mich um. Geradeaus ist die Rezeption. Gleich daneben befindet sich eine Infotafel, auf der steht, was sich in welchem Stockwerk befindet. Doch daran habe ich kein Interesse. Ich sehe mich weiter um. Rechts geht es zum Cafe. Der Weg dorthin ist mit Topfpflanzen geziert. Auf der anderen Seite, also links, befinden sich die Fahrstühle. Einige Meter weiter geht es zur Treppe. Aber ich habe keine Lust, den ganzen Weg nach oben die Treppen zu benutzen. Nach nur wenigen Etagen würde ich so erschöpft sein, dass ich das Gefühl hätte, dass meine Lunge hinausgeatmet wird. Das wollte ich wirklich nicht. Also benutze ich lieber einen Fahrstuhl. Es geht gut 30 Stockwerke nach oben. Ich drücke gleich den Knopf zur obersten Etage. Niemand stieg zu mir ein, weder im Erdgeschoss noch in irgendeiner anderen Etage. Ich bin überrascht. Ich kenne nicht viele Wolkenkratzer, deren Fahrstühle bis ins oberste Geschoss fahren. Hauptsächlich gehe ich in Hochhäusern ein und aus, die etwa zwei bis drei Fahrstühle benötigen, um bis ganz nach oben zu kommen. Auch dieses Hochhaus machte zuvor diesen Anschein. Aber das stört mich nicht. Warum auch? Es macht sich sowieso niemand darüber Gedanken, warum sollte ich das dann tun?
 

Endlich komme ich oben an. Doch ich muss noch die Treppe benutzen, um wirklich ganz oben zu sein. Das war aber so üblich. Vielleicht habe ich es anders erwartet, weil mich bereits der Fahrstuhl überrascht hat. Ich weiß es nicht. Und eigentlich will ich es auch gar nicht wissen. Gleich neben dem Fahrstuhl war die Treppe. Ich gehe hinaus. Was für eine wundervolle Aussicht. Man kann die ganze Stadt überblicken. Ich wusste gar nicht, dass diese Stadt so wenig Grünflächen hat. Traurig. Dabei wäre etwas mehr Grün zwischen diesen Betonriesen schön. Aber so ist es leider nicht. Das Geländer ist doppelt gesichert. Wenige Meter weiter vorn befindet sich ein zweites Geländer und erst dann kommt der Abgrund, der das Gebäude begrenzt. Überall sind Kameras. Sicher sitzt in diesem Moment ein Mann vom Wachschutz in seinem Büro oder im Kameraraum und sieht sich an, was alles in diesem Wolkenkratzer passiert.
 

Ich klettere über das erste Geländer. Eine Stimme taucht aus dem Nichts aus.

"Bitte begeben Sie sich wieder hinter das Geländer. Dort, wo Sie sich befinden, ist es gefährlich. Also drehen Sie um und kehren hinter das Geländer zurück. Wenn Sie dieser Aufforderung nicht Folge leisten, muss ich Sie dazu zwingen." Doch kein Mensch war weit und breit zu sehen. Erst jetzt bemerke ich, dass neben den Kameras noch etwas ist. Diese Dinger sind kaum zu erkennen, doch es ist gut möglich, dass es sich um Lautsprecher handelt. Ich stehe bereits am zweiten Geländer und beuge mich etwas hinüber, um besser nach unten sehen zu können.
 

Der Platz unter mit ist kaum gefüllt. Nur an den Häuserwänden rekeln sich vereinzelt Menschen. Allerhöchstens eine Hand voll sind dort unten. Ich wende mich um und grinse in eine der zahlreichen Kameras. Dann steige ich über das Geländer und lasse los. Der Wind pfeift mir um die Ohren. Die Stahlen der heiß leuchtenden Sonne fallen auf meine Wangen und meine Augen kneifen durch das grelle Licht zusammen, in welches in zwangsläufig schaue während die Schwerkraft in mir ihre Arbeit vollbringt.
 

Ich lande. Keine Schmerzen. Ich spüre nichts. Das letzte, was ich noch hören kann sind aufschreiende Stimmen von den Passanten weiter unten. Dann höre ich noch etwas aufschlagen, wie ein Ei, dass auf den Boden fällt und aufplatzt. Ruhe. Nun ist es völlig ruhig. Und dunkel. Die Sonne ist mit einem Schlag untergegangen. Ich habe Ruhe. Ruhe für immer. So kann es kommen, wenn man als zielstrebiger Jungunternehmer nur noch Arbeit im Kopf hat, kaum noch Freunde besitzt und drei Wochen Urlaub hat. So kann es kommen, wenn ich Langeweile habe.



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