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Fake for your life!

von

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{ 12. | Wertschätzung }

Sonntags war alles anders – oder zumindest vieles. Alfred musste sich zwar, wie an jedem anderen Morgen auch, auf die Waage quälen, aber weder Sport noch Gruppentherapie würden ihm diesen Tag vermiesen. Bestens gelaunt, da auch die kleine Fitnessstunde mit Feliciano ihre Wirkung gezeigt und Alfred trotz Törtchen nicht zu- sondern sogar 600 Gramm abgenommen hatte, hatte Alfred den Tag dazu genutzt, gleich nach dem Frühstück wieder ins Bett zu kriechen. Die Mahlzeit hatte er mehr oder weniger im Halbschlaf zu sich genommen. An Essen um kurz nach sieben in der Früh würde er sich nie und nimmer gewöhnen können. Nur gut, dass das ein Ende haben würde, sobald er wieder in die Freiheit entlassen wurde. Bis dahin hieß es schlicht: durchhalten!
 

Felicianos Hilfe und die 600 Gramm Gewichtsverlust waren da ein guter Anfang. Selbst Cleopatra hatte so was wie Zufriedenheit ausgestrahlt, als sie die Zahl in der Akte notierte und Alfred danach entließ.
 

Das anschließende Frühstück war eine eklige Mischung aus übersättigtem Schweigen und strenger Beaufsichtigung gewesen. Alfred hatte von sich aus kein Gespräch mit Arthur angefangen und jener hegte auch kein Bedürfnis dahingehend. Wie so oft, schien ihm irgendwas extrem Wichtiges durch den Kopf zu gehen. Für gewöhnlich wirkten Menschen beim Nachdenken abwesend, Arthur hingegen wirkte dabei besonders präsent. So als wären seine Augen überall, während er stumpf sein Brötchen kaute.
 

Zu Alfreds Leidwesen hatte der Vorfall mit dem Törtchen dafür gesorgt, dass es für nötig befunden wurde, wieder jemanden vom Personal in seiner Nähe sitzen zu lassen. An diesem Morgen traf es den Pfleger, mit dem Alfred erst am Vortag aneinander geraten war. Unter seiner ungenierten Beobachtung hatte Alfred sein Mehrkornbrot sowie seine spärliche Portion Müsli hinab gestürzt und bittersüß gelächelt, als alles endlich in seinem Bauch verschwunden war. Irgendwas hatte sein Körper gegen Nahrung zu dieser Uhrzeit; Alfred fühlte sich müde und schwer, als er wieder ins Zimmer kam und sich wie ein Stein auf sein Bett fallen ließ.
 

Der gestrige Tag war so verdammt anstrengend gewesen, dass selbst eine 8-Stunden-Nacht als Erholung nicht gereicht hatte. Alfred glitt zurück in einen leichten Schlaf, der den Vormittag zusammenschrumpfen und Alfred seine Hausaufgabe für die morgige Therapiestunde glatt vergessen ließ.
 

Erst kurz vorm Mittagessen wurde Alfred wieder wach. Wie so oft fehlte von Feliciano jede Spur. Er war nicht im Zimmer und auch auf der Station konnte Alfred ihn nirgends entdecken, als er aus seinem Zimmer schlenderte und einfach nur froh darüber war, dass man gerade keine anderen Erwartungen an ihn stellte als zu Mittag zu essen. Für so manchen Patienten beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, für ihn immerhin machbar.
 

„..das ist einfach nur eklig, Feliciano!“ Die tadelnde Stimme einer Krankenschwester eilte besagtem Jugendlichen voraus, der mit hängenden Schultern als letzter den Raum betrat, in dem schon alle zum Essen versammelt waren. Hinter ihm die deutlich verärgerte Schwester, deren Gesicht sogar einen empörten Rotstich aufwies.

„Iss jetzt! Und wehe, ich muss dich noch mal aus dem Wäschewagen fischen!“
 

„Wäschewagen?!“ Alfred vergaß glatt, seinen Löffel zum Mund zu führen. Selbst Arthur zeigte eine deutliche Reaktion, obwohl er bis dato genauso emotional verschnürt gewesen war wie schon beim Frühstück. Alfred kam es so vor, als würde unter Arthurs straffen Gesichtszügen etwas wüten, das sich ganz schnell versteckte, sobald Arthur sich wieder auf seinen Teller und das (Nicht)Essen konzentrierte.
 

Feliciano hingegen kauerte sich mehr denn je auf seinem Stuhl zusammen. Über einem bordeauxfarbenen Pullover trug er einen langen, hellen Cardigan, doch es schien nicht zu reichen. Alfred sah ihn deutlich zittern.
 

Im Wäschewagen... Feliciano hatte sich allen ernstes im Wäschewagen versteckt. Wie um alles in der Welt war er überhaupt auf diese Idee gekommen? Täglich wurde die Wäsche der Patienten am Vormittag abgeholt. Gelegentlich kam es dabei zu Verzögerungen, sodass die großen Wagen unbeaufsichtigt auf dem Flur standen. Dass der Braunhaarige nicht davor zurückgeschreckt war, sich zwischen benutzten Handtüchern, schmutziger Bettwäsche und getragener Kleidung zu verkriechen, machte Alfred fassungslos. Er war auch nicht gerne in dieser Klinik und, genau wie sein Mitbewohner, sehnte er sich nach seinem Zuhause und seiner Familie. Aber Alfred würde deswegen niemals so weit gehen...
 

„Bekommst du heute auch Besuch? Ist ja dein erster Besuchstag bei uns.“ Zu Alfreds Unmut schien sich der Pfleger gerade zu langweilen und seine Vorliebe für Smalltalk entdeckt zu haben. Seine Frage ließ Alfred jedoch seine Antipathie vergessen und erstaunt die Brauen heben.

„Besuchstag?“
 

„Ja, jeden Sonntag ist doch hier Besuchstag.“
 

„Was, echt?!“ Das war Alfred neu. Womöglich wurde es bei seiner Einweisung erwähnt, er hatte es aber nicht in Erinnerung behalten. Doch nun, da er verdutzt in den Raum schaute und dabei die übrigen Jugendlichen etwas genauer unter die Lupe nahm, fiel ihm auf, dass die meisten anders angezogen waren. Viele Mädchen hatten die Haare frisiert, anstatt sie nur schlicht zusammen zu binden, und auch was das Outfit betraf, wirkte die Garderobe heute um einiges bewusster gewählt als sonst. Lediglich Arthur zeigte mit seinem anthrazitfarbenen Hemd unter einer kurzen, schwarzen Weste keinen großartigen Unterschied zu seiner sonstigen chicen Garderobe. Ob er auch Besuch erwartete?
 

Alfred jedenfalls konnte sich nicht entsinnen, dass ihm seine Eltern angekündigt hätten, am Sonntag her zu kommen. Vielleicht hatten sie es ja vergessen? Oder gingen davon aus, das Personal sage ihm Bescheid? War das möglich? Riefen sie deswegen nicht an? Bestimmt!
 

„Meine Eltern kommen ganz sicher!“, freute er sich plötzlich, ohne es sich selbst so recht erklären zu können. Irgendwo in ihm war die Hoffnung, zurück nach Hause zu kommen, wieder aufgekeimt.

„Kommen deine Eltern auch?“
 

Arthurs mit andächtiger Leere aufgestockter Blick traf Alfred wie ein gut platzierter Kinnhaken. Sogleich bereute Alfred seinen Übermut, der ihn das tischliche Schweigen hatte brechen lassen.
 

„Nein, das brauchen sie nicht!“, machte Arthur unmissverständlich klar. Alfred hatte das Gefühl, in ein Wespennest gestochen zu haben. Was hatte er denn jetzt schon wieder falsch gemacht? Es war doch nur eine einfache Frage gewesen! Wahrscheinlich hatten Arthurs Eltern mittlerweile gar keine Lust mehr, herzukommen und sich den Tag von ihrem unhöflichen Sohn verderben zu lassen.
 


 

{ + + + + + }
 

Als um 13:30 Uhr die offizielle Besuchszeit anfing, waren die Plätze an den Esstischen längst geräumt. Alle hatten vorbildlich gegessen, selbst Lili war für ihre Verhältnisse zügig fertig geworden. Nur einer kehrte nicht ins Zimmer zurück: Feliciano.

Ob er direkt im Aufenthaltsraum geblieben war? Oder starrte er immer noch sein Essen an und wartete darauf, dass es sich unter seinem flehendlichen Blick in Luft auflöste?
 

Alfred wusste es nicht, sondern hatte, kaum dass er den Tisch verlassen durfte, in Windeseile seine wichtigsten Sachen zusammengepackt. Falls er seine Eltern überzeugen konnte, ihn wieder mitzunehmen, musste es schnell gehen!
 

Durch die halb offene Zimmertür hörte er, wie mehr und mehr Leute die Station betraten und über den Flur liefen. Fremde Stimmen, ausufernde Begrüßungen und viele Worte flogen dort draußen vorbei. Offenbar waren schon eine Menge Besucher eingetroffen, doch bis dato hatte Alfred noch nicht die ihm bekannten Stimmen vernommen.
 

Als er gegen 13:40 Uhr aus dem Zimmer zurück zum Aufenthaltsraum spazierte, war dieser mit reichlich Menschen gefüllt. Die Sofaecke war von Anya, Natalia und Sofia eingenommen. Zusätzlich waren noch einige unbekannte Besucher dabei. Eine üppig geschminkte und mit übertrieben viel Schmuck behangene Frau, die auf die 50 zusteuerte, hatte irgendwas auf dem Tisch ausgebreitet, worüber sich alle Anwesenden begeistert beugten. Entzücken und Staunen drangen aus der kleinen Menschentraube, während Anya etwas Verlegenes anmerkte. Ihr hübsches Gesicht war errötet, doch niemand schien ihr Unbehagen sonderlich zur Kenntnis zu nehmen.
 

Alfred konnte die Quelle der Begeisterung von der Tür aus nicht sehen. Doch es schien so, als würden Fotos oder etwas in der Art die Runde machen. Zusätzlich drückte die fremde Frau Anya stolz an sich und lächelte, wobei sich ihre gebleachten Zähne filmreif präsentierten. Ob das Anyas Mutter war? Zwar trug die Besucherin schwarze High Heels, die zu ihrer engen Jeans und dem modischen Oberteil sowie der Lederhandtasche passten, doch die Körpergröße kam in etwa hin. Nur dass Anya wesentlich mehr Speck mit sich herumtrug und ihr Gesicht nicht so zugekleistert war. Alfred bemühte sich um einen Vergleich der Gesichtszüge und glaubte, auch dort eine gewisse Ähnlichkeit ausfindig machen zu können.

Anyas Mutter war an und für sich aber keine attraktive Person. Alfred kam weniger wegen des Altersunterschiedes zu der Schlussfolgerung, als vielmehr wegen ihres Wesens. Wann immer Anya den Mund öffnete, unterbrach ihre Mutter sie und schien alles besser zu wissen. Den anderen Beteiligten fiel es gar nicht auf, aber Alfred bemerkte, dass Anya es irgendwann aufzugeben schien. Sie lächelte, doch sie war nicht mehr Teil der Unterhaltung. Sie war da, weil es erwartet wurde, aber nicht, weil es jemanden tatsächlich interessierte...
 

An einem anderen Tisch saß Lili, gemeinsam mit einem gut gekleideten, jungen Mann und einer zierlichen, blonden Frau. Hier war die familiäre Ähnlichkeit sofort sichtbar. Der junge Mann wirkte angespannt und tätschelte Lili einmal unbeholfen die Hand. Er wollte mehr für sie tun, wusste aber eindeutig nicht, wie. Lili schien es zu spüren.

Alles in allem wirkte die Stimmung am Tisch wesentlich häuslicher als beim Sofa. Lili redete leise, aber sie redete und wirkte dabei traurig und glücklich zugleich, weil ihre Familie ihr Gehör schenkte.
 

Wie zu erwarten war, stand Felicianos Mittagessen noch so gut wie unangerührt vor ihm. Gemeinsam mit der Krankenschwester, die ihn aus dem Wäschewagen gezogen hatte, saß er an dem kleinen Tisch neben dem Eingang und kämpfte gegen Tränen. Alfred verstand das nicht. Freute sich Feli denn nicht mal am Sonntag? Seine Familie würde ihn doch bestimmt besuchen kommen. Das musste ihn doch aufheitern! Wenn nicht das, was dann?
 

„Oh, mon dieu...“, hörte es Alfred plötzlich trüb hinter sich, ehe ein fideleres „Bonjour, Feli!“ erklang. Der blonde Besucher, der sich soeben elegant an Alfred vorbei in den Raum schummelte, löste bei Feliciano ein Zucken aus. Kein verschrecktes, sondern ein durchaus positiv überraschtes.
 

„Francis!?“
 

„Genau der!“ Der Fremde begrüßte Feliciano, indem er sich leicht hinab beugte und ihn kurz aber liebevoll drückte. Immer darauf Acht gebend, Felicianos ausgemergelten Körper nicht zusätzlich zu belasten.

„Bonjour, Mademoiselle!“, galt sein nächster Blick der Schwester, die, wie Alfred glaubte, vornehmlich errötete und eine Erwiderung zirpte. Dabei konnte sich Alfred gar nicht erinnern, die Frau je so bewegt erlebt zu haben.
 

Alfred war verdutzt, als er spürte, dass der Besucher auch ihm einen kurzen, tiefen Blick zuwarf. Er schien erfreut. Alfred spürte sich automatisch lächeln, ohne es bewusst zu realisieren. Zusätzlich wurde ihm unerklärlich warm ums Herz. Es musste daran liegen, dass sich schon lange kein Mensch mehr so froh über seine Anwesenheit gezeigt hatte.
 

„Ça va?“, erkundigte sich der Besucher bei Feliciano. Jener schaute verlegen auf sein Tablett und spielte nicht mal mit dem Besteck; so als befürchte er, durch die bloße Berührung würden Kalorien durch seine Fingerspitzen in seinen Körper kriechen.

„Ich will nach Hause...“
 

„Oui, je sais...“, hielt der Fremde seine Stimme positiver als sein Gesicht aussah, indessen er Felicianos Teller etwas näher an ihn heran schob. „Hmmm, gebratene Schweinefleischmedaillons an Wildreis, mit Champignon-Rahm-Soße und gemischtem Salat.“

Noch etwas Französisches ergänzend, was Alfred nicht verstand, schien der Mann Feli das Essen gut zu reden zu versuchen. Jedoch ohne sonderlichen Erfolg. Feli zog lediglich die Unterlippe tief zwischen die Zähne; seine Füße wippten manisch auf den Zehenspitzen.
 

Alfred konnte nicht sagen, warum er all das so interessiert verfolgte. Eigentlich müsste dem Fremden doch klar, dass Feli nicht essen würde? Alfred hatte auch schon sämtliche Überredungskünste und Euphemismen bei Feliciano versucht. Alles schien vergebens. Dass Feliciano mit der Gabel durch den Reis kratzte und die Körner zu zählen schien, bedeutete gar nichts. Außer dass er seinem Teller mehr Beachtung schenkte als seinem Gast.
 

Zumindest ging Alfred davon aus, dass der Fremde ein Besucher von Feliciano war – bis zu dem Zeitpunkt, als Arthur plötzlich in der Tür neben Alfred stand. Francis schien seine Anwesenheit instinktiv zu spüren und sah sogleich auf. Der teils besorgte, teils aufbauende Ausdruck auf seinem charmanten, wohl definierten Gesicht wich einem sanft-neutralen, als er Arthur entdeckte.

„Mon cher“, lächelte er selbstbewusst und verließ seinen Posten an Felicianos Seite. Alfred wollte nicht dreist starren, doch wegsehen konnte er aus unerfindlichem Grund nicht, als Arthur mit minderer Begeisterung, aber ohne Gegenwehr, französische Begrüßungsküsschen auf die Gesichtshälften gehaucht bekam. Ein Privileg, das nicht mal Feli zuteil gekommen war.
 

„Ist gut jetzt“, war alles, was Arthur sagte, um den Abstand zwischen ihnen wieder herzustellen. Verärgert schien er allerdings nicht. Als ihm der Fremde eine Hand auf den Rücken – direkt über eines der Schulterblätter – legte, vollführte sein Körper lediglich eine dezente Drehbewegung. Eine Geste des gekonnten Abstreifens, die Arthur im Schlaf zu beherrschen schien.
 

Alfred konnte nach wie vor nicht wegschauen. In seinem Bauch loderte etwas, das sich nicht in klare Gedanken fassen ließ. Wieso bekam jemand wie Arthur Besuch, wenn es ihn weder glücklich noch unglücklich zu machen schien? Und wo blieben nur Alfreds Eltern?
 

Francis, der beinahe so hoch gewachsen war wie Alfred, aber etwas älter wirkte – woran der verwegene 3-Tage-Bart gewiss nicht unschuldig war – grinste gönnerhaft.

„Wie sollte es auch nicht gut sein, jetzt wo ich da bin?! Aber...“ In dem Moment, als er zu Feli hinüber linste, erschlaffte sein Grinsen.
 

Arthur folgte dem deutlichen Blick und kniff betreten die Lippen zusammen. Als Francis ihn gestisch aufforderte, sich zu Feliciano zu gesellen, schüttelte Arthur sogleich den Kopf. Ein zischendes „Du weißt verdammt noch mal, dass ich nicht mit ihm an einem Tisch sitzen darf!“ verlierend.
 

Feliciano, der mit dem Rücken zu ihnen saß, schien immer noch primär damit beschäftigt, die Reiskörner zu durchkämmen. Alfred konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob der Italiener mitbekam, was hier vor sich ging oder ob er in einem Tagtraum versunken war.
 

„Aber er ist noch beim Mittagessen. Hast du mal auf die Uhr gesehen!? Démarre, bon Dieu démarre(1)! Hilf ihm!“ Francis’ Worte züngelten wie Flammen und schienen Arthur einen schmerzhaften Krampf durch den Körper zu jagen. Seine Augen spitzten sich, doch sein Mund blieb beherrscht geschlossen.
 

„Mademoiselle“, drehte sich Francis daraufhin wieder halb herum. „Ich bin mir sicher, solange Sie dabei sind, ist es okay, wenn sich mein Freund zu Feli gesellt?“
 

„Francis...!“, Arthurs zurechtweisendes Knurren kroch über den Boden, deutliches Unwohlsein äußernd.
 

Die Schwester, welche unterbewusst den Bauch einzog und die Brust herausstreckte, schien im ersten Augenblick etwas perplex ob der Frage. Doch je länger Francis sie mit dem Blick festhielt, desto mehr bröckelte ihre Strenge.

„Nun ja, eigentlich...Ach, so lange ich dabei bleibe, ist es in Ordnung, schätze ich.“
 

„Sie haben wirklich ein gutes Herz, Mademoiselle. Das sieht man Ihnen gleich an!“
 

Alfred konnte nicht fassen, was er da hörte. Noch weniger konnte er allerdings fassen, dass das Süßholzgeraspel tatsächlich Wirkung zeigte. Die Schwester lächelte von einem Ohr zum anderen und sah geschmeichelt auf die Tischplatte. Arthur verdrehte die Augen, Alfred dabei kurz taxierend.
 

Dieser Typ, dieser Francis, der sollte also Arthurs Freund sein? Der, der ihm die köstlichen Macarons zugeschickt hatte? Wie hatten die beiden sich bitte gefunden? Die zwei passten Alfreds Meinung nach ja noch viel weniger zusammen als Arthur und irgendein Mädchen.
 

„Na, ist das nicht schön, Feli? Arthur wird sich zu dir setzen. Dann bist du nicht so alleine.“ Einen Stuhl herausziehend, machte Francis Platz für Arthur. Jener stand mit zwei Schritten beim Tisch und riss den Stuhl an sich.

„Ich kann mich alleine setzen! Warum bist du überhaupt hergekommen? Nur um uns beim Essen zu begaffen?!“
 

Francis quittierte die Wut mit einem deutlich falschen Lächeln.

„Ja, das auch! Du machst doch so gute Fortschritte. Das hast du mir neulich noch berichtet.“
 

War das Spott? Alfred könnte schwören, hinter Arthurs grünen Augen wurde soeben ein perfider Mordplan geschmiedet.
 

„Mach ich auch und jetzt sieh zu, dass du Land gewinnst!“
 

Feliciano war der einzige, dem die Aggressionen gerade nichts auszumachen schienen. Vielmehr überraschte es ihn positiv, Arthur neben sich zu haben. Wenn Alfred es so recht überdachte, konnte er sich nicht entsinnen, die beiden je miteinander reden gesehen zu haben. Merkwürdig, wenn sie doch vor geraumer Zeit sogar Zimmergenossen waren und irgendwas vorgefallen sein musste..! Ob sie sich zerstritten hatten? Bei jemandem wie Arthur mehr als nur gut denkbar! Der schien ja ein wahres Talent dafür zu besitzen, Menschen zu vergraulen.
 

„Oui, oui, ich werde ein Ründchen durch den Park spazieren und auf euch warten.“ Francis’ Zwinkern sorgte dafür, dass Arthur ein bitterböses „Wichser!“ mit den Lippen formte, es aber wegen der observierenden Krankenschwester nicht auszusprechen wagte. Seinen Besucher kümmerte es auch gar nicht. Er wandte sich herum, der Schwester noch eine Verabschiedung zuflötend, und war im Inbegriff den Raum zu verlassen, als sein Augenmerk erneut auf Alfred fiel.

„Du bist neu hier, n’est-ce pas? Wenn du dir die Beine vertreten willst, komm ruhig mit!“
 

„Alfred hat was zu tun!“ Arthurs pikierter Aufschrei war der erstbeste Grund für Alfred, Francis zu folgen.

„Nope, hab gerade nix zu tun!“ Die Hände in die Hosentaschen steckend, schloss sich Alfred feixend Francis an. Arthurs Fassungslosigkeit war eine regelrechte Genugtuung.
 

„Komm sofort zurück, Alfred! Francis ist mein Besuch! Hey, hörst du schlecht oder was!? Alfred, du gottverdammter-!“
 

Francis lachte, den Kopf leicht zurückgelegt, und lief schnurstracks durch die geöffnete Türe von der Station. Alfred folgte breit grinsend und genoss die Tatsache, dass Arthur pflichtbewusst am Tisch zurückblieb und seine Stimme ganz umsonst vergeudete. Der Junge wusste doch seine Mitmenschen nicht mal zu schätzen, wenn sie ihm Geschenke machten oder ihre Freizeit für ihn opferten. Alfred wäre nie im Leben so undankbar.
 

An der Treppe holte er Francis schließlich ein. Unter dem hellen Jackett trug dieser ein frisch gebügeltes Hemd sowie eine farblich perfekt abgestimmte Hose. Um seinen Hals hing ein lockerer, aber teuer aussehender Schal. Das blonde Haar war mit einem unscheinbaren Gummi dezent zurückgebunden und ließ einigen Strähnen genügend Freiraum, um nach vorne zu fallen.
 

Alfred kam sich vor wie im siebten Himmel, als er ganz selbstverständlich durch das Klinikgebäude spazieren durfte. Seite an Seite mit Francis, öffnete der Sonntag wirklich Tür und Tor für ihn. Zwar warf das Personal ständig kontrollierende Blicke hinter ihnen her, aber die Tatsache, von jemandem begleitet zu werden, schien wahre Wunder zu wirken.
 

Anmerkungen:
 

1: Démarre, bon Dieu démarre! – Heißt laut dem klugen Übersetzungsprogramm so viel wie „Verdammt, komm schon!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Angel_ER
2013-03-11T18:23:10+00:00 11.03.2013 19:23
Oh tolles Kapitel!
Schön endlich mal wieder was von dir zu lesen.
Ich frag mich echt was jetzt noch kommt.
Was Francis und Alfred vielleicht draußen sprechen.
Freu mich schon aufs nächste Kapi.
LG Angel =D


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