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Fischfutter

von

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Die schmerzliche Wahrheit

Auf dem Rückweg zur Villa unterhielt ich mich lange mit Alfred, ausgelassener und glücklicher als zuvor, zugleich jedoch auch mit melancholischer Mimik. Nachdem er ein wenig über Jun im Bilde war, schwieg ich einen Moment lang und blickte auf den langen, mit Kieselsteinen gepflasterten Weg vor uns.

„Glaubst du… dass ich es diesen Monat noch schaffe, ihn wieder zu sehen?", fragte ich wie in Trance. Meine Stimme hatte wenig Gewicht, wie ein Blatt wurde sie vom Wind davon getragen. Alfred nahm mich zärtlich bei der Hand und antwortete: „Ganz bestimmt, Cloe, ganz bestimmt.", unsere Blicke trafen sich und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Er hatte wohl recht. Solange ich optimistisch blieb und mich nicht unterkriegen ließ, würde ich es sicherlich schaffen.
 

Das dachte ich zumindest, bis ich die Villa erreicht hatte.
 

Doch dann befand ich mich auch schon auf einem dieser widerlichen Bälle im Hause der Kies, einem hochrangigen Clan, der meine Eltern – und leider auch mich und dieses Scheusal von Gast – zu sich geladen hatte. Die Villa der Kies war mit unserer nicht zu vergleichen. Sie war in etwa doppelt so groß, mit einer schönen, naturfarbenden Marmorverkleidung und einem überaus großem und gepflegtem Garten, in den ein kleiner Teich mündete. Der Ballsaal befand sich seitlich vom Empfangsbereich. Er war mit langen, schönen Gardinen verkleidet, der edle, karmesinrote Teppichboden wies nicht einen Makel auf.

Dort stand ich nun also, mit einem Glas Champagner in der Hand, den ich sowieso nicht trank, einfach, weil ich Alkohol nicht mochte, und blickte in die unzähligen Gesichter der kleinen Adelsschicht unserer Region. Was an diesem Abend jedoch besonders auffiel, war die Anzahl der Mädchen, die dieselben Erbanlagen aufwiesen wie ich. Kreselien. Mindestens ein Dutzend von ihnen standen in der Masse.

„Na, amüsierst du dich?", ich drehte mich um und traf auf den strafenden Blick meiner Mutter. Sie musterte mich von Kopf bis Fuß. „Deine Schärpe am Kleid hat sich gelockert, dreh‘ dich zu mir.", ich tat, was sie verlangte. Einfach aus dem Grund, dass der Abend auch ohne Streitereien schon schlimm genug war. Das Kleid, das ich trug, war trägerlos und um den Brustbereich in weißen Rüschen zusammengerafft. Der Rest des Kleides war schwarz, lediglich die Schärpe, die an meinem Rücken herabhing, hatte weiße Verzierungen.

„Wie lange müssen wir noch hier bleiben?", fragte ich und knirschte leicht mit den Zähnen. Meine Mutter ging nicht weiter auf meinen Ärger ein, sondern zog lediglich die Schärpe fest.

„Solange, bis alle es begriffen haben.", antwortete sie nüchtern.

„Begriffen? Was denn?", fragte ich zurück, doch ich erhielt keine Antwort. Sie ging, setzte ihr gekünsteltes Lächeln auf und verschwand in der Menschenmasse. Ich starrte ihr eine ganze Weile hinterher und seufzte schließlich. Wie immer würde ich die Antwort auf meine Frage nie erfahren.
 

Nach dem Abendessen hatte ich mich in den Garten des Hauses zurück gezogen. Zum Glück hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt nur sehr wenig mit Theodor zu tun gehabt, das war allerdings auch das einzige positive an meiner Situation gewesen. Ich blickte mehrfach auf das Kleid herunter und wünschte mir, es in der Luft zu zerreißen. Es sah vielleicht schön aus, doch es war durch die Schärpe und die fehlenden Träger so unangenehm zu tragen, dass es mir zunehmend als Last vorkam. Ich zog es mit Mühe ein gutes Stück über mein Dekolleté und lief ein wenig durch den Garten. Die Rosenstöcke waren wirklich wunderschön, selten hatte ich so schöne weiße Rosen gesehen. Und doch war ich mir sicher, dass unsere Rosen dank Alfreds Fürsorge noch ein wenig schöner aussahen. Bei dem Gedanken an sein Gesicht lächelte ich ein wenig, verzog meine Miene jedoch gleich wieder, als ich sah, dass jemand auf mich zu lief. Überraschenderweise waren es drei dieser Mädchen, die mir so ähnlich sahen. Eines von ihnen trug ein orangenes, langes Kleid, ihr weißes Haar war aufwändig zurückgesteckt. Das andere trug ein Türkise Kleid und das Mädchen, das am Dichtesten bei mir stand, ein violettes.

„Guten Abend.", sagte ich höflich und senkte den Kopf zaghaft, doch die Geste schien sie nicht sonderlich zu stören. Statt auf meine Begrüßung einzugehen, griff das Mädchen in dem violetten Kleid zaghaft nach meinen Haaren und strich sanft durch sie hindurch.

„Unheimlich rein.", murmelte sie vor sich hin, kreuzte meinen verwunderten Blick mit ihren schönen, klaren grauen Augen und lächelte leicht.

„Wir wollten gerne mit dir reden.", fügten die beiden anderen hinzu. Ich nickte zögernd und bot ihnen an, ein Stück mit mir im Garten zu spazieren. Ich spürte, dass das Gespräch nicht für andere Ohren bestimmt war, deswegen wollte ich mich mit ihnen soweit es ging von der Villa entfernen.

Nachdem wir ein paar Minuten gelaufen waren, hielt ich an und fragte: „Also, worüber wolltet ihr mit mir sprechen?"

„Über dein Leben.", antwortete die in dem orangenen Kleid. „Mein Name ist Lilia."

„Ich bin Sou.", fügte das Mädchen in dem Türkisenen hinzu.

„Und ich Kalou."

„Mein Name ist Cloe, sehr erfreut.", entgegnete ich, die Mädchen schenkten mir allesamt ein schönes Lächeln.

„Ihr sagtet, ihr wollt über mein… Leben sprechen?"

„Besser gesagt über den weiteren Verlauf deines Lebens.", antwortete Kalou. Ihre Miene gewann an Ernsthaftigkeit. „Du bist verlobt, nicht wahr?", bei dieser Frage verkrampfte sich meine Haltung ein wenig. Ich lehnte mich an das Gitter, das die Rosenstöcke von einer kleinen Mauer trennte und nickte wehmütig. „Es ist alles… so kompliziert."

„Das wissen wir mindestens genauso gut wie du, Cloe.", Lilia schritt auf mich zu und packte mich sanft bei der Hand. Obwohl sie alle sehr höflich zu mir waren, hatte ich ein wenig Angst vor ihnen. Es waren nicht nur ihre Ausstrahlungen, die mich erschreckten, Lilias Hände waren zudem auch noch kalt wie Eis. Nun trat auch Sou einen Schritt auf mich zu und lehnte sich an Lilias Seite.

„Du hast jemanden, den du liebst, nicht wahr?"

„Woher-?"

„Ich sehe es in deinen Augen.", ich schreckte etwas hoch, als ich ihre Worte vernahm.

„In… in meinen Augen?"

„Ja.", antwortete Sou lächelnd. „Da ist ein winziger, heller Fleck in dem Grau deiner Augen.", fuhr sie fort. „Ein Symbol, das fast allen Kreselien wohlbekannt ist.", auf Sous Hinweis blickte ich den Mädchen behutsam und doch sorgfältig in die Augen. Sie alle hatten diese Punkte in ihren Augen, sogar mehrere. Ich wusste nicht genau, wie ich darauf reagieren sollte.

„Was hat das zu bedeuten?", Kalou schien zu merken, dass ich mich allmählich unwohl fühlte. Sie bat die anderen beiden, einen Schritt von mir zurück zu treten und sagte dann: „Wir alle wurden als Kreselien vermählt. Unsere Gatten sind Männer, die wir nie zuvor gesehen hatten. Dennoch wird von uns allen erwartet, sie aufrichtig und ehrlich zu lieben. Doch wie soll das gehen?", ihre Stimme klang auf einmal unsagbar traurig, fast so wie meine in den letzten Wochen. Aufmerksam hörte ich ihr zu. „Wir alle haben schrecklich Erfahrungen mit ihnen durchgemacht. Und es wurde meist noch schlimmer dadurch, dass wir Geliebte hatten. Geliebte, die wir nicht sehen durften.", mein Blick sank zu Boden. Je mehr sie mir erzählte, desto mehr schauderte es mich, Weiteres zu erfahren. Ich ballte meine Hände zu Fäusten zusammen und schloss meine Augen.

„Was… was wollt ihr mir damit sagen?", fragte ich ernst. „Dass ich ihn nie wiedersehen werde? Wollt ihr das sagen? Oder… oder wie schlimm mein Leben verlaufen wird?! ", meine Stimme gewann ungewollt an Kraft und Lautstärke. „Ich- Das weiß ich selbst, in Ordnung!? Niemand muss mich darüber aufklären, ich weiß, wie schrecklich es wird!", ich sank an dem Gitter zu Boden und zog meine Beine an meinen Körper, mein Gesicht verdeckte ich mit meinen Armen. Ich war so aufgewühlt. Mit einem Mal verschwand Juns Gesicht vor meinem Inneren Auge. Es war so, als würde er sich immer weiter von mir entfernen oder nein, vielleicht realisierte ich nur, in was für einer Misere ich wirklich steckte.

Und wie schwer es wohl war, ihr zu entkommen.

Ich spürte, wie eines der Mädchen sanft über meinen Kopf strich, es war wohl Sou gewesen, denn sie setzte sich nur wenige Sekunden später zu mir herunter.

„Du bist niedlich, Cloe. Ich mag dich.", sagte sie kichernd. Daraufhin setzte sich Lilia an ihre Seite und verzog das Gesicht auf kindliche Art und Weise. „Was soll das denn heißen, Sou?", auf ihre Frage hin drehte sich Sou lächelnd zu ihr herum und tat etwas, was ich wohl nie erwartet hätte.

Sie küsste sie. So sanft, dass ich wohl leicht in Verlegenheit geriet, sie dabei so angestarrt zu haben. Als sich die beiden voneinander gelöst hatten, war ich kaum in der Lage, auch nur einen Ton von mir zu geben. Kalou nahm mir das Wort ab: „Wir alle haben Geliebte, die wir nicht sehen können oder besser gesagt, nur unter unpassenden Umständen. Was denkst du, was all diese Menschen wohl sagen würden, wenn sie herausfänden, dass Sou und Lilia nie etwas für ihre Gatten empfunden haben und es auch nie können werden, weil sie nun einmal etwas für einander empfinden?... Sie würden sie verleugnen, verbannen, alles Mögliche tun, um sie zu trennen."

„…", ich brauchte einen Moment, um all das zu verarbeiten. Ich hatte begriffen, was sie mir sagen wollten, doch….

„Was hat das mit diesen Punkten zu tun?", die drei Mädchen seufzten fast zeitgleich. Sou strich sanft über ihr rechtes Auge. „Diese Punkte entstehen aus unseren Sehnsüchten. Je stärker sie sind, desto größer und heller werden die Punkte."

„Aber diese Punkte…"

„Du hast es bemerkt?", fragten sie mich. Ich wollte es nur ungerne aussprechen, aber es schien so, als würden meine Gedanken mit der Wahrheit übereinstimmen. Ich streckte meine Hand sanft vor Lilias Augen und merkte, wie langsam sie darauf reagierte. Ich schluckte.

„Sie… trüben… das Augenlicht?"

„Genau so ist es…", antwortete diese melancholisch und schmiegte sich an Sou.

„Ich fasse es nicht…", entfloh es mir leise. Ich konnte meinen Schock über diese Tatsache nicht verbergen.

„Das ist das größte und einzige Mysterium um unseren Gendefekt.", entgegnete Kalou. Ihr Blick schweifte durch die Gegend, sie blickte lange in den Himmel und konnte sich einen weiteren Seufzer nicht verkneifen. Diese drei Mädchen wirkten mit einem Male so hilflos. Dass all ihre Beziehungen so unerfüllt waren, dass sie so sehr darunter litten – vielleicht sogar noch mehr als ich – belastete mich sehr. Ehe ich etwas sagen konnte, sahen mich alle drei noch einmal eindringlich an und sagten: „Mach nicht den gleichen Fehler wie wir."

„Geh zu ihm, liebe ihn.", behauptete Sou sanft.

„Ring dich dazu durch. Du sollst nicht so enden wie wir, du sollst dein Augenlicht und deine Hoffnungen behalten, das war der Sinn und Zweck dieses Gesprächs!"

„Aber… was ist mit euch?", fragte ich und musterte ihre traurigen Blicke und Haltungen. „Gibt es nicht irgendetwas, was ich für euch tun kann?", die Eindringlichkeit meiner Stimme schien sie allesamt überrascht zu haben. Doch es war mir ein dringendes Bedürfnis, ihnen meine Hilfe anzubieten.

Hätten sie mich nicht gewarnt… mich nicht über die Konsequenzen aufgeklärt, die es mit sich zog, als Kreselia so viel Sehnsucht zu empfinden… wer weiß? Vielleicht hätte ich mein Augenlicht schon längst verloren. Doch es schien beinahe so, als hätten sie alle es akzeptiert. Mit einer nahezu stolzen Haltung erhoben sie sich und halfen mir ebenfalls aufzustehen. Kalou, die mich hinaufgezogen hatte, umklammerte noch einmal meine Hände und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Du bist ein nettes Mädchen, Cloe, und du scheinst zu wissen, was du willst. Erfülle deinen Wunsch.", sprach sie liebevoll. „Erfülle ihn, und du erfüllst den Traum von uns allen.", mein Blick senkte sich leicht. Ich drückte Kalous Hände sanft zusammen, nickte und versuchte, nicht zu weinen. Auch ihre Augen waren nahezu übersaht mit weißen Punkten, doch sie bewahrte ihr Lächeln voller Würde.

Was waren sie alle doch für tapfere junge Frauen. Mir wurde bewusst, welch eine Verantwortung sie mir in diesem Moment übergeben hatte.

Ich spürte, dass es allmählich Zeit für mich gewesen war, ihren Wünschen nachzugehen. Es war nicht nötig gewesen, noch mehr Worte zu wechseln. Entschlossen ließ ich Kalous Hände sanft los und Schritt voran, dicht gefolgt von ihr, Sou und Lilia. Ich denke, etwas in meinem Inneren hatte sich in diesem Moment verändert. Auf mein Ziel fixiert marschierte ich durch den Garten, die kleine Treppe der Veranda hinauf, in den Saal zurück. Ich musterte einige Menschen, die Stimmen im Saal wurden allmählich ruhiger. Es war kaum zu übersehen, dass es nun soweit war. Die wichtigsten Neuigkeiten sollten vom Oberhaupt der Kies‘ verkündet werden. Das war der Moment, mein Moment.
 

Der Moment, in dem ich uns alle, uns Mädchen, die wie Vögel im goldenen Käfig gefangen gehalten wurden, befreien und unseren Wünschen Flügel verleihen sollte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  HathorCat
2014-06-14T11:20:24+00:00 14.06.2014 13:20
Was?! nein, warum endet das kapitel hier Q.Q
das ist nicht fair, ich will die entscheidung des hauses hören und cloes!

da bin ich natürlich baff, dass die unerfüllten sehnsüchte das augenlicht trüben.. obwohl.. die augen sind der spiegel der seele und in der seele sind die sehnsüchte.. also ja schon verständlich^^

und schön, dass du wieder was hochlädst *-*
Antwort von:  YunYang
14.06.2014 13:22
Haha danke fürs Kommi<3 xD keine Angst, ich sitz schon am nächsten Kapitel, da kommt dann die Auflösung :p^^ und ja solangsam wirds spannend, es fehlt ja auch nicht mehr allzu viel von der Geschichte^^<3
Antwort von:  HathorCat
14.06.2014 13:23
was?! dann verlange ich ne fortsetzung XD
Antwort von:  YunYang
14.06.2014 13:26
Hahaha xDDD es wird noch ein paar specials geben, also kommen locker noch 3 zusatzkapis, wenn die hauptstory durch ist xD


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