Zum Inhalt der Seite

Seelensplitter

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Ein anderer Weg

Ja, da haben Sie recht! Warum waren meine Taten besser als die von Marshall oder Petricov?

Das waren sie eigentlich nicht. Im Grunde war ich auch nicht besser als die beiden, auch wenn meine Motive es durchaus waren. Aber gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht, nicht wahr?
 

***
 

„Noch einmal!“

Alera blockte Lucas‘ Schwinger und schlug ihm die Handkante in den Magen, wobei sie darauf achtete die Bewegung kurz vorher zu stoppen.

Der nächste Schlag zielte auf den Brustkorb und ihr Trainingspartner sank zusammen, als hätte sie tatsächlich getroffen, woraufhin sie ihn an den Schultern packte, ihm die Beine wegkickte und so auf die Matte beförderte.

Die schwarzhaarige bückte sich, klemmte seinen rechten Arm hinter ihr rechtes Bein und täuschte erneut einen Schlag auf die Brust an, während ihr linker Arm seinen Kopf festhielt.

„Sehr gut!“

Alera ließ den Butler los und streckte ihm die Hand hin, um ihm beim Aufstehen zu helfen.

Beide trugen lockere Sportkleidung, die ihnen aber momentan verschwitzt am Körper klebte, weswegen beide ein wenig an ihren T-Shirts zupften während sie zu den bereitgestellten Getränken gingen.

„Du solltest dich in einer Kampfsportschule anmelden, dort könntest du viel mehr lernen als von mir!“ der etwa dreißigjährige Mann setzte sich auf einen weich gepolsterten Stuhl.

„Du weißt doch selbst, wie Richard und Beatrice zu dieser Idee stehen!“ meinte die junge Frau und trank einen Schluck Apfelsaftschorle.

„Und seit wann kümmert dich das? An deinen Klamotten änderst du ja schließlich auch nichts, obwohl Beatrice sie am liebsten allesamt verbrennen würde!“

Diese Aussage brachte Alera zum Kichern, weswegen sie sich fast an ihrem Getränk verschluckte.

„Und genau deswegen versuche ich, ihnen in diesem Punkt etwas entgegen zu kommen.“

Diesmal musste Lucas lachen.

„Wissen sie das?“

„Nein!“ Alera fuhr sich mit dem Unterarm über die Stirn um den Schweiß wegzuwischen, der ihr beinahe in die Augen gelaufen wäre.

Langsam regulierte sich ihr Herzschlag wieder und sie wurde ruhiger.

Lucas war wesentlich schwerer und stärker, weswegen sie sich beim Training ziemlich anstrengen musste.

„Du, Lucas?“ fragte sie nach einiger Zeit, den Blick konzentriert auf ihr Glas gerichtet.

„Wenn mich jemand angreift, oder ich jemandem helfen will, dann ist es doch okay wenn ich die die Technik von eben einsetzte, oder?“

Verwirrt runzelte der Mann die Stirn.

„Wenn Lebensgefahr besteht natürlich. Aber du musst immer darauf achten, dass dein Verhalten in einem bestimmten Verhältnis zu dem deines Gegners steht. Wenn er einfach nur ‚Buh!‘ schreit, kannst du nicht einfach Grüngurttechniken anwenden!“

„Und wer bestimmt dieses Verhältnis?“ das Mädchen legte den Kopf leicht schief, weswegen eine lose Locke in Bewegung kam und über ihre Wange strich.

„Ich meine, wenn ein Kerl ein Messer hat und ein Kind abmurksen will, dann hätte wohl niemand was dagegen, oder?“

„Nein, wohl eher nicht. Außer vielleicht er selber und sein Anwalt. Worauf willst du hinaus?“

Ohne auf die Frage einzugehen sprach Alera weiter.

„Und wenn ich weiß, dass er ein Messer hat und ein Kind töten will? Wenn ich es weiß, er aber noch nichts getan hat? Darf ich dann zuschlagen?“

Lucas stieß einen tiefen Seufzer aus und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.

Warum hatte er nur so eine Ahnung, worauf das hinauslaufen würde?

„Wie willst du denn bitteschön beweisen, dass er jemanden verletzten wollte? Und selbst wenn du Beweise hättest, wer sagt denn, dass er die Sache wirklich durchgezogen hätte? Er könnte es sich ja auch anders überlegen, etwas könnte ihm dazwischen kommen, oder was auch immer du als Beweis hast könnte ja auch gefälscht sein. Und glaub mir, darauf würde sich ein Anwalt vermutlich einschießen!“

Große grüngraue Augen blickten ihn fassungslos an.

„Dann muss also erst jemand verletzt werden, damit man eingreifen kann? Worin besteht dann der Sinn des Ganzen…“ sie machte eine ausholende Handbewegung in Richtung der Bodenmatten, die den Sturz abzufedern sollten.

„…wenn ich doch nichts tun kann? Werde ich immer gezwungen sein zuzusehen? Kann ich denn niemals helfen?“

Alera stellte das Glas auf das Tablett zurück und ballte die Hände auf ihrem Schoß zu Fäusten, den Kopf hatte sie gesenkt.

„Schau mich an, meine Kleine!“

Eine sanfte Hand legte sich unter ihr Kinn und zwang sie den Kopf zu heben.

„Schlimme Dinge passieren eben, dagegen kann niemand etwas tun! Du nicht, ich nicht und auch niemand anders.“

Vorsichtig strich er ihr die losen Locken hinters Ohr.

„Du hast ein großes Herz, das ziemlich verletzt worden ist. Was mit deinen Eltern passiert ist war nicht deine Schuld, es gibt also nichts, was du wieder gutmachen müsstest. Versuche gar nicht erst die Welt zu retten, du würdest nur unter gehen!“

„Aber wie soll etwas besser werden, wenn niemand etwas tut?“ Alera schüttelte heftig den Kopf, wodurch sich ihr Haar wieder selbstständig machte.

„Ich habe nicht gesagt dass du nichts tun sollst! Ich meinte das du dir lieber realistische Ziele setzten solltest! Erfolgreiche Kleinigkeiten nützen doch viel mehr als ein gescheitertes Großprojekt, meinst du nicht auch?“
 

Die Kirche war totenstill.

Nur das Klacken von Aleras hohen Absätzen war zu hören, während sie zwischen den Bänken hindurch nach vorne ging.

Eigentlich war sie nicht besonders gläubig, aber Gotteshäuser hatten immer eine beruhigende Wirkung auf sie und die schwarzhaarige wollte nachdenken.

Was sie getan hatte war nicht falsch, aber warum fühlte sie sich dann so?

Sie wollte sich gerade auf eine der Holzbänke sinken lassen als eine Stimme die Stille Durchschnitt.

„Wer auch immer hier noch ist, ich muss die Kirche gleich abschließen. Wenn Sie also nicht beichten wollen, würde ich Sie bitten zu gehen!“

Der Klang der Stimme war tief und sanft und kam offenbar aus einem der Beichtstühle.

Ohne wirklich zu wissen warum stand die siebzehnjährige auf, öffnete eine der Türen und trat in die schummrige Dunkelheit der Kabine.

Eigentlich war sie ja evangelisch, aber vielleicht hatte der Pfarrer ja eine Idee, wie sie aus ihrem Dilemma wieder heraus kam.

„Ähm… ich will zwar nicht direkt beichten, aber… ich könnte einen Rat gebrauchen.“

Sie konnte den Mann auf der anderen Seite zwar nicht sehen, aber höchstwahrscheinlich zog er gerade die Brauen hoch.

„Wenn ein Mensch böses tut, dann verdient er doch strafe, oder?“

„Nun ja… ich denke, dass kommt auf die Tat und die Strafe an und darauf, ob derjenige sein tun bereut.“

„Okay… nehmen wir mal an, jemand tut etwas absolut abscheuliches und bereut es kein bisschen…“

Alera lehnte sich zurück und wartete gespannt auf eine Antwort.

Um ihr Gesicht machte sie sich keine Sorgen, das würde er höchstens erkennen, wenn jemand plötzlich das Licht eingeschaltet hätte.

Was die Frage aufwarf ob es in Beichtstühlen überhaupt Beleuchtung gab…

„Und soll ich auch noch annehmen, dass Sie ihn bestraft haben?“

Der Mann klang nicht, als würde er sich Lügen auftischen lassen, also antwortete sie mit der Wahrheit.

„Ja!“

„Hmmm… und wie fühlen Sie sich jetzt?“

„Furchtbar, wie ein Stück Dreck!“

„Und warum?“

Himmel, gab das hier etwa ein Frage-Antwort-Spiel?

Dafür brauchte sie nun wirklich keinen Pfarrer!

„Weil sie es verdient hatten, meine Taten aber im Grunde keinen Deut besser waren?“

Alera konnte den leicht verärgerten Ton in ihrer Stimme kaum verbergen und eigentlich… wollte sie es auch nicht.

Manchmal tat es gut zu zeigen was man fühlte, denn zählen und schlucken half nicht immer.

„Nun, dann ist das doch Ihre Antwort, oder? Was Sie tun ist nicht besser und Sie fühlen sich mies. Das heißt doch, dass es falsch ist, oder?“

Seine Stimme klang freundlich, ohne einen erkennbaren Vorwurf, was Aleras schlechtes Gewissen noch weiter verschlimmerte.

„Dann soll ich nichts tun? Sie sollen davon kommen?“

Ihre Stimme überschlug sich fast, das Kind in ihr heulte laut auf, schlug verletzt um sich, doch der mehr oder weniger erwachsene Teil brachte es schnell und effizient zum Schweigen.

‚Tief durchatmen und bis drei zählen!‘

„So meinte ich das nicht, auch wenn es eine Möglichkeit ist!“

Jetzt klang der Pfarrer beschwichtigend.

„So? Und wie meinten Sie es dann?“

Jetzt schwieg der Mann einige Zeit, offenbar dachte er über eine Antwort nach.

Alera selbst begann an einem Fingernagel herum zu kauen, lies es aber sofort wieder bleiben, als sie es bemerkte.

„Vielleicht gibt es noch einen anderen Weg… einen Weg Gerechtigkeit zu üben, ohne mit Ihrem Gewissen in Konflikt zu kommen…“

Man konnte die Zahnräder im Kopf des Mannes förmlich rattern hören.

„Sie meinen also ich muss ihn nur finden?“

„Genau!“

Der Pfarrer klang irgendwie erleichtert und auch Alera fühlte sich irgendwie besser.

Was sie getan hatte war falsch und irgendwann würde sie vermutlich dafür bezahlen, aber dafür war sie bereit.

Und sollte sie jemals wieder Racheengel spielen, dann würde sie einen anderen Weg finden, da war sie sich sicher.

Vorsichtig öffnete Alera die Tür des Beichtstuhls und machte sich auf den Weg nach draußen, allerdings nicht ohne vorher eine Spende in die Kollekte am Ausgang zu stecken.

Frischer Wind wehte ihre Locken nach hinten und sie wirbelte schon fast übermütig einmal im Kreis.

Laut der katholischen Kirche war sie doch jetzt von ihren Sünden befreit, oder?

Auch wenn sie nicht gebeichtet sondern um Rat gefragt hatte?

Alera hielt inne und runzelte die Stirn.

Dann wohl doch eher nicht, aber was sollte es?

Die Wahrscheinlichkeit, dass sie wieder so eine ‚maskierter-Rächer-Nummer‘ abziehen würde lag so ziemlich bei null, also würde sie sich über irgendwelche alternativen Lösungswege wohl auch keine Gedanken machen müssen.

Von diesen Gedanken beschwingt wirbelte sie noch einmal herum und machte sich anschließend auf den Heimweg.
 

***
 

Naiv, oder?

Ich kam mir damals zwar schon ziemlich erwachsen vor, aber in Wirklichkeit war ich nur ein schrecklich naives Kind mit einem Helferkomplex!

Himmel, heute erschrecke ich mich sogar darüber, wie dumm ich war!



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kiiy
2014-12-18T08:04:02+00:00 18.12.2014 09:04
Hätte Alera doch nur auf Lucas gehört. Wäre sie doch nur realisitisch geblieben. Oh man.
Mehr weiß ich zu diesem Kapitel tatsächlich nicht zu sagen, mh. Das Ende heißt wohl, dass sie noch mehr ermordet hat?


Zurück