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Leaves

von

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Er hörte das leise Knacken der Blätter unter seinen Füßen, als er allein durch eine der Straßen von Domino streifte. Jedes einzelne Blatt zerfiel in tausend kleine Stücke unter seinen schweren Schritten. Schwer wie der Schatten, der über ihm hing. Sie starben, wie ein Teil seiner Seele. Und so wie er, immer wieder.
 

Er hatte viele Fehler begangen. Er hatte sich für die falsche Seite entschieden und diesen Fehler erst zu spät bemerkt. Für ihn gab es keine Hoffnung, wie für die braunen und roten Tänzer, die unter seinen Füßen den Tod fanden, während ihre Brüder und Schwestern noch fröhlich im Wind tanzten. Ob sein Bruder und seine Schwester auch so froh tanzten?

Wohl kaum. Sie hatten keinen Grund und keinen fröhlichen Wind, der sie durch die Luft trieb.
 

Sein Blick ging ins Leere. Er wollte nicht denken, doch er fand nichts, was ihn von den Gedanken ablenken konnte. Er hatte nichts mehr, nicht einmal eine Familie. Keine Verbündeten. Keine Marionetten mehr.
 

Einst war er der Wind gewesen, der viele kleine Tänzer durch die Luft wirbelte. Er hatte ihnen gesagt, was sie tun sollten. Nun waren sie alle fort.
 

Er war in diese Stadt gekommen, um etwas zu finden, was ihn ausfüllte. Etwas, was seine stetige Gier nach Rache befriedigte. Seine Rache an einem Mann, der unschuldig gewesen war. Doch als diese finsteren Gefühle ihn vorangetrieben hatten, war er nicht allein gewesen.

Eine Psychose, die ihn durch das Leben getrieben hatte.

Wie der Wind, immer wie der Wind.
 

Nun war sie weg. Die fürchterliche Plage, die ihn belagert hatte, wie Läuse die schönen Tänzer, die er nun mehr vermisste, als er zugeben wollte.

Ebenso, wie der Stamm, der ihn einst festgehalten hatte. Er hatte seine Gier geteilt, hatte sie genährt. Hatte ihn dazu gebracht, nicht zu früh zu tanzen, sondern angekettet an den Hass zu schwingen.

Er war weg. Er war weg, wie alle anderen.
 

Er wusste nicht, wohin seine Schritte ihn führen sollten. Er war leer, sein Körper geschwächt von Hunger nach der einstigen Wertschätzung.

Er hatte zu spät vergeben. Er hatte zu spät vergeben, um die einstigen Wurzeln zu behalten, die ihn fest am Boden hielten und zu früh, um den Wind noch einmal unter seinem tanzenden Körper zu spüren.
 

Er lauschte bloß dem Sterben der Tänzer.

Als er an einem der vielen Häuser anhielt, schritt er zur Tür hinauf, ohne das Geräusch der Blätter. Sein Kopf war leer. Er hatte das Gefühl, die Welt drehte sich langsamer, als er die Hand zittrig hob, um zu klopfen. Er zögerte. Er wusste nicht, was er sich davon erhoffte.
 

Als er sich dazu durchringen konnte, wirklich zu klopfen, zitterte seine Hand noch mehr. Wie ein Blatt im Wind. Wie im Wind, immer wieder.

Mit einem leisen Knarren öffnete sich die Tür, wobei das Innere des Hauses eine Wärme ausstrahlte, die ihn erfüllte. Er war noch nie dort gewesen, hatte die Schwelle nie überschritten. Doch nun stand ihm der Weg offen, wie die Regenrinne stets die Blätter empfing, um sie in den dunklen Abgrund zu ziehen.
 

„Ich hab nicht erwartet, dass du kommst~“, empfing ihn eine gebrochene Stimme, doch er trat stumm in die Wohnung ein. Er wusste nicht, warum er es tat. Er wollte nicht zurück in die Vergangenheit, er wollte nirgendwo mehr hin. Er wollte bloß diese schreiende Stille und die Leere, die ihn von innen auffraß, loswerden.

Stumm ging er in das Wohnzimmer der warmen Wohnung. Die Wohnung war genauso leer, wie er. Kein Foto zierte eine Wand und er wusste, dass der Besitzer ebenfalls nicht mehr war, als ein Blatt, das einst glücklich tanzte und dann zertreten wurde.
 

Er nahm vor einem riesigen Brett Platz. Sah die genaue Nachbildung der Stadt, die ihn zerbrochen hatte. Sah das riesige Flugschiff, auf dem der Wind sich gelegt und der Stamm abgestorben war. Auf dem er die Wurzeln seines Lebens selbst ausgerissen hatte.
 

„Lass uns spielen~“, meinte der Bewohner, als er ihm eine Figur reichte, die aussah, wie er es eins getan hatte. Die Augen der Figur trotzten vor Stolz und seine Haare glänzten. Doch er sah nicht mehr in ihr, als eine Lüge.

Er umfasste eine andere Figur, welche einen schwarzen Mantel trug. Er umfasste sie so fest, dass die kleinen Hände sich in seine eigene bohrten und einige Tropfen Blut aus der Wunde hervorquollen. Warum tat der Junge ihm das an?
 

Enttäuscht warf er die Figur auf das Spielfeld, gefolgt von seiner eigenen. Das alles war eine Lüge. Es gab keine Zukunft für all das, was er dort sah. Und das dämliche Spiel könnte sein Schicksal nicht ändern.

Er erhob sich wieder, erneut ohne ein Wort und verließ die Wohnung mit einem Knallen der Tür.

Der Junge hatte ihm nicht helfen können – also wer könnte es dann? Niemand würde ihn wieder in den Wind hinauftragen und zum Tanzen bringen können.
 

Und doch, stellte er nach einigen Schritten fest, hatte der Besuch ihn verändert. Da war Wut. Ein kleines Fünkchen Wut, das sich in ihm breit machte. Keine Wut auf ihn selbst, sondern auf den Jungen, der ihm die Vergangenheit vor Augen geführt hatte.
 

Er gab sich der Wut hin. Ließ sich fallen. Hoffte, irgendetwas zurückzubekommen. Etwas, das ihn am Leben erhielt.

Er griff nach jedem kleinen Fächer, der die kleine Flamme mehr entzündete.

Er zerstampfte die Tänzer, trat sie durch die Luft und zog an seinen Haaren, versuchte, die Wut zu steigern. Er kämpfte gegen sich selbst, gegen all das, was ihn zerstörte.
 

Und dann, als er glaubte, es nicht schaffen zu können, hörte er den Wind säuseln. Er hörte ihn um seine Ohren pfeifen und wie er ihn mit seinem Lachen verhöhnte. Er spürte die geballte Kraft, die ihm ins Gesicht schlug, immer wieder.

Und so gab er sich dem Wind hin, der ihn letzten Endes nur dorthin führte, wo der Wind jeden der kleinen Tänzer hinführte – tiefer und tiefer in den Abgrund.

Aber ihm war es egal. Er tanzte für ihn, so lange er wollte, beugte sich völlig seinem Willen, ungeachtet von Konsequenzen, bis er stürzte und in der ewigen Dunkelheit verschwand.

Aber er hatte getanzt. Er hatte noch einmal getanzt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2014-01-15T19:41:07+00:00 15.01.2014 20:41
Wow, so wunderschön Erzählt.^^
Echt schön und ein bissen Traurig.^^

Good bye^^

LG^^
Von:  Ankh_sun_Amun
2014-01-14T19:16:10+00:00 14.01.2014 20:16
Wow, auch wenn ich eher selten sprachlos bin oder mich zumeist richtiger Worte zu bedienen weiß, um meine Fazination zu vermitteln - ne, heute will ich auch nur mal schreiben:

Ein sehr schöner OS!^^
Du hast einen sehr gefühlsvollen und schön zu lesenden Schreibstil. Das gefällt mir sehr.
Man kann sich super in Malik/Marik's Gefühle hineinversetzen. Sehr schön, wenn auch etwas traurig und grausam.^^
Zudem hat deine FF es reglich verdient in meine Favoritenliste geschafft. *klick* xD

Immer weiter so! ;)

lg Ankh


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