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OS Sammlung

Verschiedene Kurzgeschichten
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Ich brauche dich, Bruder - (Neutral)

Es ist spät in der Nacht, als ich aufwache und mich in dem dunklen Zimmer umsehe. Meine Haare sind zerzaust und stehen ab, müde wandert mein Blick umher und wieder wird mir klar, dass ich nicht zu Hause, sondern im Krankenhaus bin. Es ist nicht die Umgebung, die mir dies sagt, nein es ist dieses Gefühl und das laute Schlagen meines Herzen, das mir erneut klar macht, dass etwas schon lange nicht mehr stimmt. Ich taste mit meiner Hand die Seite meines Bettes ab und finde eine kleine Erhöhung und weiß, dass es der kleine rollbare Tisch ist, den jeder Gast in diesem Hause bekommt. Meine Hand stößt gegen hartes Glas. Eine Wasserflasche, die ich zu mir nehme und einen Schluck davon trinke.
 

Langsam beruhigt sich mein Körper und ich lasse mich wieder in das plattgelegene Kissen fallen. Ein lautes Piepen aus dem Nebenzimmer hält mich wach, die Schritte der Menschen sind zu hören und lassen mir keine Ruhe. Obwohl ich weiß, dass ich hier bleiben muss, so wünsche ich mir nur nach Hause zu können. Mich in mein eigenes Bett zu legen und in Ruhe in meine Träume verfallen zu können. Zu lange ist mein Schlaf traumlos. Schon bald werde ich blind sein. Schon jetzt erkenne ich die Umgebung kaum mehr. Nie wieder werde ich ihn sehen können und dieser Gedanke tut mir weh, lässt mir jeden Tag aufs Neue den Atem stocken. Tränen rinnen über mein Gesicht.
 

Niemals werde ich sein fröhliches und mich erheiterndes Lächeln vergessen, wie er mich an der Hand hielt und mich führte. Diese Wärme, die von ihm aufging, die mir zeigte, dass ich nicht ganz alleine war. Doch unsere Eltern verstanden sich immer weniger und irgendwann fasste mich meine Mutter an der Hand und riss mich fort von unserem Haus, zog mich in das Auto und das letzte, an das ich mich erinnern kann, ist das tränenreiche Gesicht meines Bruders.
 

„Oh Katsuya…“, schluchze ich und wische energisch die Tränen weg. Mir sind nur die Erinnerungen von ihm geblieben. Einsamkeit zerfrisst mein Herz und ich fühle mich gefangen und weiß, dass es nicht nur ein Gefühl ist. Als Mutter und Vater sich trennen, erließ Mutter ein Kontaktverbot. Seit damals habe ich ihn nicht mehr gesehen und habe niemanden, der mir zuhört. Meine Mutter, Shino, arbeitet hart, umso die Behandlungskosten von mir bezahlen zu können. Selten sehen wir uns und seit nun über einem halben Jahr lebe ich im Krankenhaus. Da meine Mutter den halben Tag nicht zu Hause ist, habe ich nicht die Möglichkeit in unserer Wohnung zu verweilen. Zu gefährlich, wie sie mir alle sagen und ich weiß, dass sie im Recht sind. Doch mein Verstand lässt diesen Gedanken der völligen Hilflosigkeit nicht zu. Unter Tränen schlafe ich erschöpft ein und wünsche mir, dass es bereits vorbei wäre.
 

Vorsichtig greife ich nach dem Hörer und schlucke hart. Heute Morgen kam der Oberarzt und gab mir zu verstehen, dass es nur noch eine Frage der Zeit bis zu meiner völligen Erblindung sei und ich schon morgen mit dem Erlernen der Blindenschrift anfangen sollte. Mit einem matten Lächeln habe ich ihn abgespeist, mein Lebensmut ist schon längst vergangen. Mit zitternden Händen drücke ich die Tasten und ein Warteton kommt mir entgegen. Schließlich geht jemand ran und ich schlucke kurz. Meine Stimme ist ängstlich und leise, dennoch gebe ich mir größte Mühe stark zu bleiben.
 

„Mama? Ich möchte ein Video drehen.“, sage ich und mein ganzer Körper fühlt sich auf einmal schwach und zerbrechlicher als sonst an. Mein Herz rast und es scheint mir als würde jetzt gerade die Welt untergehen.
 

„Shizuka…“, ertönt die ebenso kratzige Stimme meiner Mutter und auf einmal kommen mir die Tränen und ich schluchze laut.
 

„Ich möchte mich von Katsuya verabschieden, bitte Mama!“, weine ich und es fällt mir schwer mich im Griff zu halten. Auch wenn es ihr nicht behagt, so gibt sie mir die Erlaubnis und wenige Stunden später erscheint sie im Krankenhaus. Mit leerem Blick starre ich aus dem Fenster und erkenne dennoch nichts. Alles ist verschwommen und es ist mir, als wäre es bereits vorbei. Noch immer trage ich den rosanen Pyjama als meine Mutter und eine Pflegerin reinkommen. Ich sammele meine Kräfte und drehe den Kopf zur Tür und versuche so gefasst wie möglich zu wirken. Denn mein großer Bruder soll mich nicht weinen sehen, ich möchte, dass er im guten Gewissen von mir Abschied nehmen kann. Wenn er mich nicht vergessen hat, aber ich glaube fest daran, dass er genauso wie ich jeden Tag an unsere schöne Zeit denkt. Die Kamera wird auf mich gerichtet, das Fenster hinter mir ist zu sehen.
 

„Lieber Bruder, wie geht es dir? Lange her, was? He he, damit du mich nicht vergisst, habe ich dieses Tape aufgenommen und dir geschickt. Schade, dass ich dein Gesicht nicht sehen kann. Ich würde dich so gerne wieder sehen. Aber du hast so viel zu tun und wohnst so weit weg. Jetzt am Ende…“ Kurz stocke ich und erneut sammeln sich Tränen in meinen Augen, dann spreche ich weiter und versuche so glücklich wie nur möglich zu wirken.
 

„…wollte ich dich noch einmal sehen. Alles Gute. Tschüss Katsuya.“
 

Sechs Jahre sind seit unseren traurigen Abschied vergangen. Sechs einsame Jahre. Sechs Jahre voller Hoffnungslosigkeit und ich weiß, dass es keinen Ausweg gibt. Die Aufnahme wird beendet. Meine Unterlippe zittert, erneut breitet sich unendliche Verzweiflung in mir aus und ich schluchze laut, verdecke mein Gesicht mit meinen Händen und versuche mich von den Blicken abzuschirmen, mich vor ihr zu verstecken. Vor dieser Hilflosigkeit. Meine Mutter kommt näher, ich höre, wie ihre Schritte in meine Richtung kommen. Ich will nicht, dass sie mich aufheitern. Ich will sie nicht hören! Ich ertrage diese Lügen nicht mehr.
 

„Alles wird gut, Shizuka.“, höre ich die sanfte Stimmer meiner Mutter, doch ich schüttele den Kopf, weigere mich, diese Worte anzunehmen, wo ich doch ganz genau weiß, dass nichts in Ordnung ist. Alles ist verschwommen. Mein Leben ist trost- und farblos. Woran soll ich noch glauben? Der Einzige, der mir immer Hoffnung gab und mir sagte, dass es in Ordnung sei, verzweifelt zu sein, war mein Bruder. Die Menschen um mich herum sagen mir dauernd, dass alles gut werden würde, doch warum sagen sie das? Verstehen sie denn wirklich nicht? Ich verliere mein Augenlicht, ich steuere auf eine dunkle kalte Welt zu und ich kann nicht einmal das Steuer rumreißen. Machtlos rast die Umgebung an mir vorbei und ich fühle wie sie mich ansehen, mir Mitleid entgegenbringen und doch fühle ich, dass ich ganz allein bin.
 

Verloren in meinen düsteren Gedanken springe ich vom Bett, knalle gegen den fahrbaren Tisch und keuche auf. Die schützenden Hände meiner Mutter nähern sich mir, das weiß ich, ohne, dass ich es sehen muss. Wutentbrannt schüttele ich sie von mir und laufe weg, als suchte ich nach einem Weg, dieses Schicksal abzuschütteln und einen Lichtblick zu finden. Auf wackligen Beinen erreiche ich den Klinikflur. Ich kann die Menschen um mich herum nicht sehen, doch ich höre ihre Worte und weiß, dass sie mich nicht verstehen können. Ich laufe weiter und weiter. Immer wieder stoße ich wogegen, verletze mich und doch suche ich nach einem Ausweg aus dieser Realität, die ich nicht akzeptieren kann.
 

„Wo bist du, Katsuya?“, sage ich und breche erneut in Tränen aus, falle schwach auf meine Knie und wünsche mir nichts sehnlicher, als meinen Bruder ein letztes Mal sehen zu können und ihm zu sagen, wie lieb ich ihn habe. Doch er kommt nicht. Er ist nicht hier. Ich bin allein. Völlig allein in dieser Dunkelheit, allein mit meinen Ängsten und Problemen und ich weiß, dass es nur schlimmer werden kann.
 

Anmerkung: Shino ist ein Fanname, da Shizukas Mutter keinen offiziellen Namen hat.
 

Ende



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  jyorie
2014-01-22T12:12:39+00:00 22.01.2014 13:12
Hallo ^.^

eine schöne Idee auch mal Shizuka Sicht zu schreiben, wie sie auf die Idee
gekommen ist das Video für Joey zu machen und wie sie fühlt, als es immer
dunkler um sie herum wird, auch warum das Video so kurz sein könnte, das
sie so verzweifelt ist und den Gruß an ihren Bruder abbricht um nicht weinen
zu müssen.

Liebe Grüße
Jyorie



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