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Wenn Du nur zu träumen wagst...

von

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Little Stories

"Hallo! Komm rein, Sarana-chan!" begrüßte mich Chigai freudig und fiel mir auch sogleich um den Hals. "Langsam, langsam! Ich muss doch erst mal meine Schuhe ausziehen!" lachte ich und schüttelte sie liebevoll von mir ab. Ich trug an diesem Tag Turnschuhe. Sehr bequem und nicht gerade das teuerste Modell, aber auch nicht hässlich. Ansonsten trug ich ein knielanges, schwarzes Kleid mit Blümchenmuster und mein Haar hatte ich zu einem seitlichen Pferdeschwanz geflochten. Ich sah einigermaßen schick aus und war auf alle Eventualitäten eines Besuchs bei Chigai vorbereitet, denn bei ihr wusste man nie. Sie brachte es sogar fertig, in der Großstadt Tokio (zugegeben; es war doch etwas außerhalb gewesen, aber doch nicht allzuweit) einen halben Urwald aufzutreiben und uns beide inmitten seines dornigen Gestrüpps hineinzumanövrieren. Meine Kleidung war nach diesem Ausflug reif für den Müll gewesen, meine arme, geschundene Haut hatte einiger Pflaster bedurft und ich musste nass und schlammverschmiert im Haus ihrer Eltern aufkreuzen, was mir aus meinem damaligen Standpunkt heraus gesehen mehr als peinlich gewesen war. Tatsächlich anwesend war aber nur ihre Mutter, was mich zumindest einigermaßen beruhigte. Bei ihrem Vater wäre es auch noch einigermaßen okay gewesen, aber ich weiß nicht, ob ich mit der Situation fertig geworden wäre, dass ihr älterer Bruder mich so gesehen hätte, der zugegebenermaßen nicht schlecht aussah. Er hatte dunkles Haar und war cool und beliebt, genau wie Iruka-sama, aber er war dann doch nicht so ganz mein Typ, was nur gut für mich war. Chigai hätte mich umgebracht, wenn sich zwischen ihrem vergötterten Onii-sama und mir etwas entwickelt hätte. Warum verstand ich nie so ganz, schließlich konnte man seine älteren Geschwister nicht für immer und ewig für sich selbst vereinnahmen und davon abhalten, einen Partner zu finden, außerdem hatte er ja auch schon einige Freundinnen gehabt. Da ich jedoch so oder so nichts von ihm wollte, konnte mir das eigentlich auch egal sein.

"Möchtest Du ein paar Dango essen?", fragte mich Chigai. "Ich habe sie gerade frisch aus dem Ofen geholt." "Seit wann verbringst Du Deine Zeit denn mit Backen?", fragte ich sie, statt zu antworten, da ich einen solch häuslichen Einsatz von ihr alles andere als gewohnt war. "Na, ich habe gerade meinen neuen Anime beendet und war zu faul, mir einen neuen herauszusuchen. Da habe ich halt was gebacken."

Inzwischen hatte ich meine Schuhe ausgezogen und war in die Hausschlappen geschlüpft, die in jedem japanischen Haushalt in großer Überzahl vorhanden waren, da sie nicht nur für dessen Mitglieder sondern auch für mögliche Gäste ausreichen mussten.

"Ja, ich hätte gerne ein paar Dango. Aber lass sie erst noch ein wenig auskühlen. Kashikoi wollte doch später auch noch dazukommen. Dann können wir ja zusammen essen." "Okay", sagte Chigai und zog mich am langen Arm hinter sich her in ihre Wohnung. Ich liebte ihre Wohnung. Sie war in Brauntönen gestrichen und dekoriert, was einen gleich in eine ruhige und glückliche Stimmung versetzte. Ich folgte ihr in ihr Zimmer und konnte ein Grinsen nur schwer unterdrücken. Unordentlich wie immer. Nicht, dass mich das weiter gestört hätte. Ich liebte es nur immer wieder, meine Freunde dabei zu ertappen, wie sie unwissentlich eines ihrer Markenzeichen zum Ausdruck brachten.

"Wie war es eigentlich gestern auf diesem Anime-und-Manga-Fantreffen?", fragte ich Chigai, denn als ich das Poster von "Higurashi no naku koro ni" an ihrer Wand kleben sah, fiel mir ein, dass sie ja gestern dort gewesen sein musste, sie hatte im Vorfeld schon so etwas erwähnt. "Oh, das war cool. Bis auf diesen einen Typen..." "Was für einen Typen?" "Ach, der hat sich anscheinend eingebildet, was besseres zu sein. Ich habe den neuen Manga von 'Higurashi no naku koro ni' gesucht, ihn aber nicht gefunden. Dann habe ich da so einen Typen stehen sehen, der so ausgesehen hat, als könnte er mir weiterhelfen, wie ein Verkäufer halt. Also bin ich zu ihm hin und habe gefragt: 'Entschuldigen Sie, könnten Sie mir bitte helfen? Wissen Sie, wo der neue Higurashi no naku koro ni - Manga steht?' Er hat sich umgedreht und ich habe gesehen, dass er nur eine Schuluniform getragen hat, die dem Verkäuferdress zum Verwechseln ähnlich gesehen hat. Ich wollte ihn gerade um Entschuldigung bitten, da hat der mich doch einfach angeknurrt und gesagt: 'Was willst Du kleiner Zwerg denn?' Ich wollte ihm gerade mal so richtig die Meinung sagen, also dass ich erstens genau so alt bin wie er und zweitens höchstens einen halben Kopf

kleiner, da hat irgendsoein anderer, wahrscheinlich ein Bekannter, gerufen: 'Ey, Narita-san, auch hier?'. Er hat sich umgedreht und gemurmelt: 'Schon wieder Menschen. Wie ich die hasse. Da will man einmal was einkaufen...' und ist gegangen. Also ich weiß echt nicht, was ich davon halten soll..."

"Schräger Typ.", meinte ich und spielte mit Chigai's Sailor Moon Figur, die auf der Fensterbank stand. Während sie gesprochen hatte, hatte ich mich auf ihrem blauen Schreibtischstuhl niedergelassen, von dem aus man einen wunderbaren Blick durch das Fenster auf die Stadt hatte. "Aber er sieht nach jemanden aus, hinter dessen Fassade mehr steckt. Eine Geschichte."

"Ja, das dachte ich auch schon. Seit diesem Vorfall muss ich immer mal wieder an diesen Typen denken.", murmelte Chigai grüblerisch. Da klingelte es an der Tür. "Ich gehe schon. Das kann nur Kashi-chan sein!", sagte Chigai, plötzlich wieder vom Enthusiasmus gepackt. "Ist ja auch Dein Haus!", rief ich ihr hinterher. Und - es war auch Kashikoi. Sie lief hinter Chigai in das Zimmer, in dem ich noch unverändert saß. "Hallo, Sarana-chan!", sagte sie. "Hallo, Kashikoi! Du bist aber spät dran heute.", entgegnete ich. "So, dann kann ich ja jetzt die Dango servieren", schoss Chigai als Quereinsteiger ins Gespräch, die wieder mal nur ans Essen dachte. Sie eilte in die Küche, so schnell man eben eilen konnte, ohne zu rennen. "Was ist los mit Dir? Du siehst irgendwie bedrückt aus.", meinte ich in Kashikois Richtung. "Der Grund, warum ich zu spät bin... Ich hatte wieder Stress mit der Freundin meines Vaters." "Oh nein! War sie wieder so doof zu Dir?", fragte ich mitfühlend. Ich hatte diese Frau ein einziges Mal bei einer Schulveranstaltung gesehen und das hatte mir schon gereicht. Sie war wirklich keine Person, in deren Nähe man sich länger als nötig aufhalten wollte. Kashikois Eltern waren nämlich getrennt. Ihre Mutter war bereits neu verheiratet und sehr glücklich. Auch Kashikoi mochte ihren Stiefvater, aber den echten würde er ihr bei aller Sympathie trotzdem nie ersetzen können. Ihr Vater hatte nicht wieder geheiratet, aber er war vergeben an eine Frau, mit der Kashikoi des öfteren Differenzen hatte. Und er schien es irgendwie nicht richtig wahrzunehmen, weshalb Kashikoi gerne mal mit ihm über ihre Probleme reden würde, was ihr aber nie möglich war, da seine Freundin sich immer in seiner Nähe befand.

"Ja, dieses Mal hat sie es echt übertrieben. Ich habe sie gefragt, ob sie Papa gesehen hat, denn ich wollte mir von ihm 700 ¥ leihen, um mir beim Bäcker an der Ecke was zu holen. Und sie hat gesagt, dass ich ruhig mein eigenes Geld verdienen könnte, bei dem, was mein Vater monatlich an Unterhalt für mich zu zahlen hat." "Was? Echt? Wie gemein! Das sind doch keine Kosten, die Du verursachst. Das ist bei der Scheidung nun mal gesetzlich so beschlossen worden. Außerdem hättest Du ihm das Geld ja sowieso zurückgegeben!"

In diesem Moment kam Chigai zurück in den Raum, in jeder Hand einen Teller mit einem Dango-Spieß tragend. Den dritten balancierte sie auf ihrem Kopf. Ich konnte es nicht fassen. Bei mir wäre er sicherlich längst zu Boden gefallen und in tausend Teile zersplittert. Dieses Mädel hatte echt mehr Glück als Verstand. "Zimmerservice!", rief sie und ein breites Grinsen erstrahlte in ihrem Gesicht. Sie ging ein weiteres Mal hinaus und kam mit einer Kanne dampfendem, grünem Tee und drei Tassen zurück. "Lass uns nicht weiter Trübsal blasen!", sagte ich zu Kashikoi. "Chigai muss Dir unbedingt die Geschichte mit diesem finsteren Typen erzählen!", sagte ich. Ich war mir sicher, dass das Kashikoi ein wenig von ihren traurigen Gedanken ablenken würde. Und das wollte ich. Ich mochte es überhaupt nicht, sie unglücklich zu sehen. So musste Chigai ihre Geschichte wiederholt zum Besten geben. Nachdem sie das getan hatte, wir noch ein bisschen über dies und jenes geredet hatten und alle Dangos verzehrt waren, machte ich mich auf den Nachhauseweg. Ich musste rechtzeitig zu Hause sein und sollte noch für meine Mutter einkaufen gehen. Ich sollte ihr Reis, ein paar Gewürze und eine Gurke mitbringen, denn das war es, was ihr für das morgige Mittagessen noch fehlte. Ich mochte es, einkaufen zu gehen. Das Gehen durch die Gänge auf der Suche nach der richtigen Ware und das Mitnehmen anderer Dinge, die einem sonst noch so ins Auge fielen, gab einem ein entspanntes Gefühl. Mir zumindest. Für andere mochte es simple Geldverschwendung sein, aber für mich war es ein Moment des Abschaltens und Durchatmens. Ich bezahlte mit 1400¥ und ging nach draußen. Dort schlug ich die neueste Ausgabe der "Shoujo" (meiner Zeitschrift) auf und begann, fieberhaft nach meinem Horoskop zu suchen. Was das betraf, war ich schon ein wenig abergläubisch, aber doch nicht allzu sehr. Sehr schnell fand ich es und schaute auf der Seite nach dem mich betreffenden Abschnitt. Hase.

"GELD: WENN SIE IHR AUSGABEVERHALTEN JETZT GUT KONTROLLIEREN, KANN AM ENDE DES MONATS EIN LOHNENDES GESCHÄFT FÜR SIE ENTSTEHEN.

GESUNDHEIT: TREIBEN SIE MEHR SPORT! DAS TÄTE IHRER FIGUR UND IHRER GESUNDHEIT GUT. ..."

Dieser Satz rang mir nur ein müdes Lächeln ab. Ich und Sport! Niemals! Ich selbst fand mich zwar ständig zu fett (obwohl meine Freundinnen immerzu das Gegenteil behaupteten), aber

lieber wäre ich der dickste Mensch im ganzen Universum, als mich in irgendeiner Weise körperlich zu betätigen! Nun gut. Ich fuhr fort. Den wegen des letzten und wichtigsten Punktes wollte ich mein Horoskop ja eigentlich lesen.

"...LIEBE: SIE WERDEN BALD IHRER GROSSEN LIEBE ÜBER DEN WEG LAUFEN. NUR MUT! SIE FÜHLT SICH VON IHNEN ANGEZOGEN."

'Ja, klar. Schön wär's.', dachte ich nur. Ich wusste ja nun nicht, ob es dem Verhalten eines von einem angezogenen Menschen entsprach, einen komplett zu ignorieren. Ich sprach Iruka-sama zwar auch nicht zuerst an, aber ich starrte ihn an, sofern ich ihn zu Gesicht bekam. Und sah er mal zu mir zurück, senkte ich schnell meinen Blick und hoffte, dass er mein Starren nicht bemerkt hatte. Sein Blick war völlig neutral, wobei in meinem klar die Sehnsucht und seelische Zerfressenheit zu erkennen waren. Ich klappte die Zeitung zu und steckte sie in meine Plastiktasche. Ich setzte mich in Bewegung und hing meinen Gedanken nach, stets versank ich in meiner eigenen Welt. Ich bog einmal nach links ab und einmal nach rechts und atmete tief ein. Die Luft war frisch und man spürre bereits deutlich, dass sie kälter und kälter wurde. Ich wendete meinen Kopf in Richtung Straße und - fiel beinahe in Ohnmacht. Auf der anderen Seite, auf dem Bürgersteig, lief Iruka-sama, die Kopfhörer auf den Ohren, perfekt wie immer. Er schien mich nicht zu bemerken. Das war auch gut so, anderenfalls wäre ich nämlich knallrot geworden und hätte wieder den Boden angestarrt. Wie peinlich! Er zog vorrüber und ich ging weiter meines Weges. Mir traten die Tränen in die Augen, ich liebte ihn so sehr, dass es wehtat. Nun huschte mir aber doch wieder ein trauriges Lächeln auf das Gesicht, denn mir fiel wieder das Horoskop ein. Ich würde bald meiner großen Liebe über den Weg laufen. Insofern hatte es recht gehabt.



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