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Haunted by madness

von

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3 ~ Thomas

Thomas fiel es schwer, sich an das Leben in der Realität zu gewöhnen. Seit sechs Monaten, versuchte er nun schon, endlich wieder Fuß im Leben zu fassen. Die Jobsuche hatte er mehr oder weniger erfolgreich hinter sich gebracht und eine Anstellung in einem Coffeeshop gefunden. Er arbeitete dort vier Stunden am Tag und konnte sich dadurch ein kleines Zimmer in einer Drei-Mann-WG leisten. Wohnen und Arbeiten konnte er also. Es waren auch viel mehr die kleineren Dinge die ihm zu schaffen machten. Rauszugehen, jeden Tag neuen Menschen zu begegnen und mit ihnen zu kommunizieren, einen geregelten Ablauf in dieses chaotische durcheinander zu bringen, was man `normales Leben` nannte. Die Anstalt hatte ihn seiner Freiheit und persönlichen Entscheidungskraft beraubt, hatte ihm aber auch Sicherheit und Stabilität geboten. Es war jeden Tag das gleiche gewesen: Aufstehen, Zähne putzen, Duschen, Frühstücken, Therapiesitzungen, Mittagessen, Sport, begleiteter Freigang auf dem Gelände, Abendessen und dann wieder aufs Zimmer und den Abend mit Büchern oder Musik verbringen, bis er endlich eingeschlafen war. Jeden Tag die gleiche Umgebung und die gleichen Leute. Ab und an ein paar neue Patienten, aber an diese wurde man meist langsam herangeführt. Als Unterstützung zu seiner Resozialisierung hatte immer noch drei Einzeltherapiestunden wöchentlich, sowie eine Gruppentherapie, alle zwei Wochen. Ohne diese Maßnahmen würde das alles kaum funktionieren und Thomas scheitern.
 

Als Thomas die Nachricht erhielt, dass sein Onkel gestorben war und beigesetzt werden würde, stand für ihn fest, nicht zur Beerdigung zu fahren. Diese Entscheidung hatte er mit dem Verbrennen der Einladung zur Trauerfeier untermauert. Er wusste, eine Zusage würde für ihn auch einen Rückschritt in seiner Therapie bedeuten.
 

In der Nacht vor der Beerdigung lag er wach. Die Erinnerungen plagten ihn und ließen ihn kein Auge zu machen. Es war, als würde er in dieser einen Nacht die ganzen Jahre des Schreckens noch einmal erleben. Die Gesichter seiner Peiniger und deren Komplizen tauchten vor ihm auf, er sah den gleichen Ausdruck in ihren Augen, als hätte jemand die Zeit zurück gedreht und hörte die Stimmen, die ihn verhöhnten und drohten, wenn er nicht tat, wie ihm gehießen wurde. Unter all den schlechten und schmerzhaften Erinnerungen, tauchte ein Gesicht auf, welches ihn damals wie heute, trösten und beruhigen konnte. Dass von seinem vier Jahre älteren Cousin Shane. Die Vorstellung von ihm an seiner Seite, ließ Thomas endlich in einen unruhigen Schlaf fallen. Als er am nächsten Morgen gerädert erwachte, nachdem er seinem gewohnten morgendlichen Ablauf nachgegangen war und eine Scheibe Toast mit Pflaumenkonfitüre frühstückte, hatte er eine andere Entscheidung getroffen.

Er würde zur Beerdigung fahren.

Er hatte Angst, sich selbst mit der Umgebung und der Familie zu konfrontieren, aber etwas zog ihn dort hin. Jemand. Er wollte Shane wieder sehen, und dieser musste doch schließlich zur Beerdigung seines Vaters fahren. Egal was vorgefallen war, der Rest der Familie und schließlich seine Mutter, würden schon dafür Sorge tragen, dass Shane kommen würde. Thomas hatte nichts mehr von ihm gehört, geschweige denn, ihn gesehen, seit er die Familie verlassen hatte.
 

Als Thomas sicher war, dass die Beisetzung bereits begonnen hatte, trat er die vierzigminütige Fahrt von Gloucester nach Ellwood an. Er hatte es durch seine psychischen Probleme nicht geschafft, weiter vom Ort seiner Qualen weg zu kommen. Aber die Stadt war zumindest gefühlt tausend Meilen von der vermeintlichen Dorfidylle entfernt. Es war auch das erste Mal seit seiner Einweisung, dass er in das kleine Dorf in der Nähe von Coleford zurückkehrte. Thomas wollte der Beisetzung und der Trauerfeier nicht beiwohnen, sondern in der Nähe des Hewitt-Anwesens im Auto warten, bis er Shane sah und ihn abpassen konnte. So, dachte er, kann er die Seelenpein gering halten. Seine Psychotherapeutin wäre nicht begeistert, würde sie von dieser spontanen Aktion Wind bekommen. Aber darum scherte Thomas sich im Moment nicht, er wollte, musste Shane sehen.
 

Langsam fuhr er an der Auffahrt zum Herrenhaus vorbei, offensichtlich war die Beerdigung noch nicht vorbei, denn es waren keine Wagen von Gästen zu sehen. Das Manor schien vollkommen leer zu sein, obwohl die Bediensteten im Inneren des großen Hauses bestimmt gerade die letzten Vorbereitungen für den Empfang trafen und emsig hin und her liefen. So blieb Thomas zumindest unentdeckt und er konnte den Wagen ungesehen am Haus vorbei, auf einen kleinen Feldweg führen. Der Weg führte an der Südseite des Hauses herum, und trennte die imposante Gartenanlage des Hewitt-Hauses vom Wald des Nagshead-Naturschutzgebietes. Thomas stellte den Wagen so hinter einen kleinen Biegung des Weges ab, dass er in den Garten sehen konnte, jemand der sich in ihm aufhielt, den silbernen Volvo allerdings nicht erblicken konnte. Shane war früher immer durch den Garten in den Wald geflüchtet und Thomas hoffte, vielmehr verließ sich darauf, dass heute irgendetwas in Shane den gleichen Impuls wecken würde.
 

Thomas kaute nervös die Haut seitlich seiner Fingernägel ab, manche Stellen bluteten schon und schmerzten. Während er wartete, füllte sich das Haus, was er daran erkannte, dass die breite Tür des Wintergartens aufgeschoben wurde und einige Leute der feinen Gesellschaft auf die Terrasse heraus traten um frische Luft zu schnappen. Er war ein wenig zu weit weg um jemanden zu erkennen oder um in das Haus hinein zu sehen. Die Anspannung in ihm wurde immer größer und obwohl er schon fast anderthalb Stunden wartete, liess er keine Zweifel an seiner Hoffnung zu.
 

Dann, als beinahe zwei Stunden vergangen waren, sah er jemanden geradewegs durch den Garten stürmen. Thomas platzte bald vor Anspannung, das musste Shane sein. Die dunklen, wirren Haare schwangen im Rhythmus seines energischen Ganges um das markante Gesicht seines Cousins. In den letzten zehn Jahren war Shane sehr muskulös geworden, sein breites Kreuz ähnelte stark dem eines Bodybuilders, ohne an einen kolossalen Fleischberg zu erinnern. Sein Gesicht hatte durch das breite Kinn und die starken Wangenknochen nichts jugendliches mehr an sich, wie noch vor zehn Jahren und trotzdem sah er dem jungen Shane noch sehr ähnlich. Thomas erkannte den Zorn in seinem Antlitz als er sich ihm näherte, es schien, als würde er zähneknirschend vor einem Streit davon laufen. Abwechselnd entspannte und ballte er die Hände zu Fäusten, als er in Rage durch die Büsche die Garten begrenzten, brach und den Waldweg überquerte. Er würde also tatsächlich seinen alten Zufluchtsort aufsuchen. In seiner Wut, schien Shane das parkende Auto und Thomas nicht gesehen zu haben, denn ohne zu zögern lief er in den Wald hinein. Thomas stieg hastig aus dem Auto, hatte es so eilig, hinterher zu laufen, dass er es nicht versperrte. Mit einigen Metern Abstand, schlug er sich durch das dicke Gestrüpp und den unwegsamen Waldboden. Mehrmals stolperte und fluchte er leise, er konnte kaum mit Shane schritt halten. Während Thomas überlegte, wie er seinen älteren Cousin ansprechen sollte, verhedderte sich sein Fuß in einer Wurzel am Boden, brachte Thomas zu Fall und nahm ihm die Entscheidung ab.
 

~
 

Thomas lag ein zweites Mal am Boden, als Shane ihn niederschlug. Er schmeckte Blut im Mund und spürte seine Wange pochen. Die Galle stieg seine Speiseröhre hinauf und erzeugte einen widerlichen Brechreiz, dem er auf dem Waldboden nachgab. Thomas war sehr oft so und ähnlich geschlagen worden und dieser Hieb, weckte mehr alte Erinnerungen, als er heute hätte verkraften können. Zögerlich öffnete er die Augen. Shane war weg gegangen, seine Schritte hatten sich entfernt. Hilfesuchend, verzweifelt sah er sich nach seinem Cousin um. Er richtete sich wieder auf, indem er sich an einem entwurzelten Baumstamm abstützte und hochzog. Sein Kopf drehte sich und ein zweites Mal überkam ihm betäubende Übelkeit. Jetzt konnte er dem Drang sich zu übergeben jedoch widerstehen und deckte stattdessen die erste Lache mit Laubwerk ab. Mit zitternden Knien setzte er sich auf dem Baumstamm, er brauchte kurz, um wieder zu Kräften und klaren Gedanken zu kommen. Shanes Verhalten war ihm suspekt. Ja, er war schon immer aggressiv gewesen und hatte sich stets gewehrt. Aber Thomas hatte er stets beschützt, zumindest hatte Shane es immer versucht. Er war Thomas einziger Halt gewesen, er hatte sich immer auf ihn verlassen. Und jetzt war seine erste Reaktion ihn zu beleidigen und zu schlagen wenn er ihn sah. In Thomas zerbrach etwas, er sah den Erfolg der jahrelangen Therapie in Gefahr und sein ganzes Weltbild wankte. Er war sich Shanes Wohlwollen so sicher gewesen. Thomas stellte sich die Frage, wieso er hatte hier her fahren müssen, für eine Person die er seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Thomas begann zu schluchzen, er verbarg das Gesicht in den Händen und wurde plötzlich von kräftigen Weinkrämpfen geschüttelt.



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