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Stardust

[Rose & Scorpius]
von

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Part One ~ And now I'm all alone in the dark

Schachmatt.“ Selbstzufrieden beobachtete Rose, wie ihr Läufer den gegnerischen König in viele kleine Steinchen zerschlug. „Du schummelst doch“, nölte Hugo, der dem Spektakel mit angefressener Miene zusah. „Ich habe es gar nicht nötig zu schummeln, kleiner Bruder“, entgegnete Rose grinsend. „Aber ich gewinne sonst immer!“, protestierte Hugo. „Aber nicht gegen mich“, lachte Rose. Hugo murmelte etwas Unverständliches und sammelte missmutig seine Figuren ein. „Oh, komm schon, Hugo! Nun mach doch nicht so ein Gesicht. Man kann schließlich nicht immer gewinnen!“ Die Miene des Fünftklässlers hellte sich auf. „Sag das noch mal, wenn wir euch beim nächsten Quiddichspiel platt machen!“ „Das ist etwas ganz anderes!“ „Stimmt“, sagte Hugo, „Ravenclaw wird überhaupt nicht an den Ball kommen.“ „Derjenige, der dich zum Kapitän ernannt hat, muss vorher einen Schlag auf den Kopf bekommen haben.“ Hugo grinste. „Ach, komm schon Schwesterherz, nun sei doch nicht böse, dass du nicht Kapitänin bist – man kann schließlich nicht immer gewinnen!“
 

Rose warf ihm einen bösen Blick zu. Das musste so ein kleiner-Bruder-Ding sein, dass er ihre eigenen Worte sofort bei der ersten sich bietenden Gelegenheit gegen sie selbst richtete. Andererseits war es zur Abwechslung auch mal sehr schön einfach nur mit dem kleinen Bruder herum zu albern. Sie hatte genug Stress mit den Prüfungsvorbereitungen und dann musste sie es noch irgendwie schaffen, eine vernünftige Abschlussfeier auf die Beine zu stellen – ohne, dass die Scamanderzwillinge davon Wind bekamen und bereits im Vorfeld mit der Berichterstattung in der selbstgegründeten Schülerzeitung „The Whisperer“ loslegten. In der Vergangenheit hatten sie schon Sachen ans Licht gebracht, die zwar einerseits recht interessant waren. Andererseits – nun ja, sie hatte gehofft, dass manche besser ein Geheimnis geblieben wären. Rein aus Schulsprechersicht betrachtet natürlich.
 

„Glaub mir, Hugo, wenn ich mich auch noch darum kümmern müsste Trainingspläne aufzustellen, dann würde ich überhaupt nicht mehr schlafen.“ „Ausreden!“, krähte Hugo, „was gibt es Wichtigeres als Quiddich?“ Er hörte sich haargenau so an wie ihr Dad. Irgendwie war es ja niedlich, wie ihr kleiner Bruder in diesem Sport aufging. Rose warf Hugo einen belustigten Blick zu und tat dann so, als müsse sie scharf nachdenken. „Hm … ich weiß nicht. Vielleicht Sofia Bennet?“ Hugo lief augenblicklich rot an und Rose musste sich ein Lachen verkneifen. Hektisch blickte sich Hugo um, doch niemand im Gryffindorgemeinschaftsraum hatte etwas mitbekommen. Hugo, der es trotz seiner bulligen Statur schaffte klein und furchtbar nervös zu wirken, flüsterte ihr leicht panisch zu: „Rose, du hast es versprochen. Du darfst es niemanden erzählen. Dad bringt mich um – wenn Sofia es nicht schon vorher tut.“ Er stützte den Kopf in beide Hände und beobachtete, wie im nächstbesten Portrait zwei sehr vornehm gekleidete Damen mit ihren Sonnenschirmen einen kleinen Hund verprügelten, der ihren Picknickkorb um einen Kuchen erleichtert hatte.
 

Rose beobachtete ihren kleinen Bruder. Hugo war zwei Jahre jünger als sie, nicht ganz so brillant, aber durchaus ziemlich clever, was er vor anderen nur ungern zeigte, weil er nicht als Streber bezeichnet werden wollte. Er war recht kräftig für seine fünfzehn Jahre und zu ihrem Verdruss schon jetzt zwei Zentimeter größer als sie. Ein Grund, wie sie vermutete, warum er einen so hervorragenden Keeper und Kapitän der Gryffindorquiddichmannschaft abgab. Etwas, dass ihr Vater nicht müde wurde überall herum zu erzählen.
 

Zu Ronald Weasley grenzenloser Überraschung hatte Hugo außerdem ein herausragendes Talent für Verwandlung, was er erst geglaubt hatte, als Schulleiterin McGonagall es ihm persönlich gesagt hatte. Dafür bewies Hugo allerdings, dass er in Zauberkunst zu nichts zu gebrauchen war und man besser das Weite suchen sollte, wenn er sich an einem Zauber probierte.
 

Ihr kleiner Bruder hatte das dunkelbraune Haar ihrer Mutter geerbt, während Rose ihre roten Locken eindeutig von ihrem Vater hatte. Nur, dass sich die Gene ihrer Mutter was die Locken betraf wohl durchgesetzt hatten. Dabei hätte sie so gerne glattes Haar gehabt. (Eine Wunsch, der ihr so peinlich war, dass nur ihre beste Freundin Alice davon wusste.) Rose hätte sich ein Bein abgehackt, wenn sie die Haare ihrer Cousine Dominique gehabt hätte, dessen Frisur stets so wirkte, als käme sie vom Stylisten. Stattdessen kämpfte sie jeden Morgen mit einer riesigen Bürste und einem robusten Haargummi, die ihre Mähne gerade so besänftigen konnten. Was das betraf, hatte Hugo wirklich Glück gehabt.
 

Andererseits scherte ihn dieses Glück, das er vermutlich nicht mal als ein solches empfand, momentan herzlich wenig. Denn ihr kleiner Bruder hatte sich ausgerechnet in Sofia Bennet aus Slytherin verknallt, die es ihm im Quiddich, wie in der Liebe wahrlich nicht einfach machte. Hugo hatte sonst zwar öfter eine große Klappe, aber in Gegenwart der smarten Sofia war er ein hoffnungsloser Fall.
 

„Sag mal, hast du sie etwa immer noch nicht angesprochen?“ Hugo warf ihr einen düsteren Blick zu. „Wie soll ich das denn machen? Sobald ich auch nur einen Ton sage, geht sie an die Decke.“ Nachdenklich starrte Rose auf das leere Schachbrett. „Weißt du, was ich glaube? Ich denke, sie sieht dich nur als gegnerischen Quiddichkapitän. Dein Pech, dass sie alles andere vergisst, wenn es um Quiddich geht.“ Hugo vergrub theatralisch den Kopf in den Armen und wirkte so bedrückt, dass Rose ihre Direktheit gleich wieder leid tat. „Komm schon, Hugo. Du gibst doch sonst nicht so schnell auf! Du musst ihr einfach nur zeigen, dass du mehr bist, als nur der Gryffindorhüter!“
 

„Machst du Witze, Rosie? Hat Hugo je an was anderes als Quiddich gedacht?“ Rose sah auf und erkannte ihre Cousine Lily, die ebenfalls in Gryffindor gelandet war. (Auch sie hatte glatte Haare. Die Welt war ungerecht.) Schwungvoll quetschte sich Lily Potter neben ihren kleinen Bruder und knuffte ihn in die Seite. „L-lily, w-was machst du d-denn hier?“ Rose konnte förmlich sehen, wie es in Hugos Kopf ratterte. Lily nahm ihn in den Schwitzkasten. „Aber Kapitän, du wirst doch noch ein bisschen Zeit für deine beste Freundin haben!“ Lily grinste und auch Rose konnte sich kaum das Lachen verkneifen, als sie Hugos Miene sah. Lily Potter war ein Wirbelwind und sie nahm kein Blatt vor den Mund. In dieser Hinsicht glich sie mehr ihrer Mutter, denn dem berühmten Harry Potter und Rose hatte den heimlichen Verdacht, dass sie es genau darauf anlegte. Lily war selbstbewusst, beliebt und seit ewigen Zeiten mit Hugo und Louis Weasley befreundet.
 

„Du erdrückst mich“, knurrte Hugo missmutig und endlich ließ Lily ihn los. „Warum bist du eigentlich so schlecht gelaunt? Du hast heute doch noch nicht mal den Zauberkunstklassenraum in die Luft gejagt.“ „Lass mich doch in Ruhe.“ Lily schnippte mit den Fingern und ein wissender Ausdruck trat in ihr Gesicht. „Ach so, es ist immer noch wegen Sofia.“ „Was?!“ Wenn Hugo vorher blass gewesen war, als Lily aufgekreuzt war, so war es nichts gegen das, was jetzt mit ihm passierte. Lily zeigte sich vollkommen unberührt. „Ich bitte dich, das sieht doch ein Blinder! Sofia ist nur so sehr mit Quiddich beschäftigt, dass sie wirklich alles übersieht.“ Hugos Gesichtsfarbe wechselte von weiß zu dunkelrot. Lily machte munter weiter. „Weißt du, Rosie, unser Hugo hat ihr neulich sogar Blumen geschickt. Leider hat die gute Sofia das als Kriegserklärung aufgefasst.“ Lily kicherte.
 

„Woher sollte ich denn wissen, dass sie bei Maiglöckchen denkt, ich wolle sie schon vor dem nächsten Spiel trösten. Wer denkt denn bitte daran verspottet zu werden, wenn man Blumen bekommt?!“, verteidigte sich Hugo und haute mit der Faust so hart auf den Tisch, dass er nicht mal merkte, dass er mit seinem Zauberstab der Tischplatte einen Brandfleck verpasst hatte. Rose löschte die Gefahr vorsorglich mit Aquamenti. Frustriert stopfte Hugo sich seinen Zauberstab in die hintere Hosentasche und sank deprimiert in sich zusammen. „Mach dir keinen Kopf“, sagte Rose und griff nach ihrem Glas. „Lorcan ist Slytherins Kapitän, der wird schon aufpassen, dass sie sich nicht in irgendwas verrennt. Und irgendwann wird Sofia schon merken, was für ein toller Kerl du bist.“ Rose schenkte ihm ihr aufmunterndes Lächeln und trank einen Schluck Orangensaft.
 

„So wie bei dir und Malfoy?“ Rose verschluckte sich fast an ihrem Saft. „Du brauchst gar nicht so zu gucken, Cousinchen“, flötete Lily, „wirklich jeder sieht doch, dass da was läuft! Seit Jahren tänzelnd ihr umeinander herum und seid beide zu feige oder zu stolz den ersten Schritt zu machen. Guck dir bloß nichts von ihr ab, Hugo, sonst endest du noch genauso.“
 

„Malfoy?“ Für den Augenblick schien Hugo seine eigenen Probleme vergessen zu haben. „Natürlich Malfoy oder kennst du sonst noch einen Kerl mit dem Rosie seit Jahren flirtet.“ „Flirtet?“, fragte Hugo. Rose kippte den restlichen Orangensaft hinunter. „Lily, das ist Quatsch. Da läuft nichts. Wir müssen nur beide den Schulsprecherkram zusammen machen-“ „Und spielen beide Quiddich, sind in alles und jedem Rivalen und Projektpartner in Zaubertränke“, beendete Lily ihren Satz, „da läuft nichts, ist klar, Rose.“ „Lily!“ Rose spürte, wie die Wut in ihr langsam zu kochen begann. Außerdem war das Ganze lächerlich. Sie und Scorpius Malfoy! Ha! Eher würde die Hölle zufrieren. Gut, er war ziemlich attraktiv, er war clever und ein guter Quidditchspieler und endlich mal jemand, auf den man sich verlassen konnte, aber seine arrogante Art ging Rose bereits seit sieben Jahren auf die Nerven. Zudem glaubte der Mistkerl, dass ihm wirklich alle zu Füßen lagen. (Was nicht stimmte! Sie würde sich nie von so einem verwöhnten Schnösel unterbuttern lassen!) Außerdem war er nicht ihr Typ.
 

„Malfoy“, murmelte Hugo abermals und schüttelte den Kopf. Mittlerweile schien er vergessen zu haben, dass Lily vor zwei Minuten noch auf ihm rumgehackt hatte, der gemeine Verräter! Und sie hatte noch versucht ihn zu trösten! Dann schien er einen Geistesblitz zu haben und ein gefährliches Glitzern trat in seine Augen, das Rose noch von damals erkannte, als er ihr weis gemacht hatte, dass es eine gute Idee sei, eine ganze Handvoll Bertie Botts Bohnen gleichzeitig zu probieren.

„Das ist viel schlimmer, als bei mir!“, rief Hugo begeistert, „Dad kann mich gar nicht umbringen! Er wird viel zu sehr damit beschäftigt sein, Malfoy zu hassen. Er verabscheut die Malfoys!“ „Das ist so romantisch!“ Einen Moment lang sahen Rose und Hugo sie gleichermaßen verdutzt an, doch auch Lily hatte mittlerweile ebenfalls ein Leuchten in den Augen, bei dem es Rose kalt den Rücken herunter lief.
 

Wenigstens teilte Hugo ihre Euphorie dieses Mal nicht und starrte sie an, als wäre ihr gerade ein zweiter Kopf gewachsen. „Was soll daran romantisch sein? Rose braucht keinen Möchtegern-Casanova.“ Trotzig verschränkte Lily die Arme vor der Brust. „Gerade deswegen! Rose und Scorpius – das ist wie Romeo und Julia!“ „Wer?“, fragte Hugo. Lily winkte ab. „Das ist so ne‘ Muggelschnulze. Die Eltern hassen sich und am Ende begehen sie Doppelselbstmord.“ „Wie dämlich“, kommentierte Hugo. „Ja, aber eben auch ziemlich romantisch.“ Auf Hugos skeptischen Blick hin, verdrehte Lily nur die Augen. „Vergiss es, Hugo, das kapierst du dich.“ „Rose ist viel zu schlau, um sich wegen einem Kerl umzubringen, vorher würde sie ihn in der Luft zerreißen“, stellte Hugo ohne jeden Zweifel fest.
 

Rose hatte die Unterhaltung fassungslos verfolgt. Wann hatten sich Hugo und Lily eigentlich gegen sie verbündet? Fehlte ja nur noch, dass Louis auch noch auftauchte und mitmischte. Andererseits war Louis im Vergleich zu seinen beiden Kumpels die Höflichkeit in Person, was er wohl seinen französischen Genen verdankte, die auch für seine Attraktivität verantwortlich waren. (Und dafür, dass die Hälfte des fünften Jahrgangs in ihn verknallt waren) Nein, Louis würde ihr so etwas nie antun. Aber diese kleinen Satansbraten … Hier traf eindeutig die altbewährte Weisheit zu, dass man keine Feinde mehr brauchte, wenn man mit so einer Familie gesegnet war.
 

Wütend stand Rose so schnell auf, dass ihr Stuhl umkippte. „Ihr spinnt doch! Bevor ich was mit Malfoy anfange, tanze ich Tango mit dem blutigen Baron! Und jetzt entschuldigt mich, ich muss noch eine Vertrauensschülerversammlung vorbereiten und einen Aufsatz für Zaubertränke schreiben!“ Mit einer kurzen Handbewegung ihres Zauberstabes sorgte sie dafür, dass sich ihr Schachbrett selbst zusammen klappte. Ein bisschen zu fest packte sie es, rauschte Richtung Ausgang und hörte gerade noch, wie Lily ihr zu rief: „Mit Malfoy?“ Hugo und Lily brachen hinter ihr in Lachen aus und klatschten sich ab. Rose hätte ihnen am liebsten einen Fluch auf den Hals gehetzt. Gerade, als sie das Portrait zuknallen wollte, prallte sie mit Lucas Clancy zusammen. „Hey, Rose! Ich-“ „Jetzt nicht!“ Sie quetschte sich an ihm vorbei und ließ den verdatterten Gryffindor stehen.
 

Erst ein paar Gänge weiter, hatte sie sich halbwegs wieder beruhigt. Sie würde ihre Zeit sicher nicht damit verschwenden, darüber zu philosophieren, warum nun Scorpius Malfoy so toll zu ihr passte! Bei nächster Gelegenheit würde sie mit ihrem Onkel wohl mal ein ernstes Wörtchen über Lilys Liebesleben wechseln müssen. Lily’s Männerleben war mit fünfzehn nämlich schon zehnmal skandalöser als ihr eigenes. Letzte Woche war sie noch mit Adrian Cooper ausgegangen und gestern erst hatte ihr Caitlyn Steward aus ihrem Jahrgang erzählt, dass sie Lily dabei beobachtet hatte, wie sie mit Drew Crawford in der Bibliothek herum gemacht hatte. Dabei wusste sie von Alice, die es Lucy hatte, die es wiederum von Roxanne wusste, dass Lily schon immer ein Auge auf Lysander geworfen hatte. Sie hingegen mit den paar seriösen, netten Dates war jemand, der sich nicht ohne Weiteres auf jemanden einließ und keine Hoffnung säte, wo keine war. Und bei ihr und Malfoy bestand nicht mal der Hauch einer Chance, dass sie irgendwann einmal auch nur über etwas anderes nachdenken würden, als wie sie die gemeinsamen Schulsprecheraufgaben so effektiv wie möglich hinter sich bringen würden.
 

Rose sah auf die Uhr. Halb zehn. Langsam wurde es Zeit, dass sie zurück in den Ravenclawturm kam. Sie musste wirklich noch diesen elendigen Aufsatz für Zaubertränke schreiben und dafür brauchte sie all ihre Konzentration. Sie war ja nicht Malfoy, der dafür nicht mal nachschlagen brauchte! Konnte ja nicht jeder so ein Zaubertränkemeister sein, wie er. Zerknirscht nahm Rose zwei Stufen auf einmal. Zaubertränke war das einzige Fach, in dem Scorpius klar besser war als sie. Gut, sie war nicht schlecht, aber Malfoy war, um es schonend auszudrücken, einfach ein verfluchtes Naturtalent. Aber mit harter Arbeit konnte sie sicherlich ebenfalls so gut werden, wie er. Sie ballte die Hand zur Faust. Warum dachte sie eigentlich schon wieder über ihn nach?!
 

Eine Viertelstunde später kam Rose endlich vor dem Ravenclawturm an und sah sich dem bronzenen Türklopfer in Form eines Adlers gegenüber, der in diesem Moment zum Leben erwachte und fragte: „Hoch wie ein Haus, klein wie eine Maus, stachlich wie ein Igel, glänzend wie ein Spiegel – was bin ich?“ Einen Moment musste Rose nachdenken, aber mit der Zeit hatte sie sich an die täglichen Denkaufgaben gewöhnt, sodass sie nicht lange für die Lösung brauchte. „Eine Kastanie.“ „Das ist korrekt“, erwiderte der Türklopfer und die Tür schwang nach innen auf.
 

Vor ihr breitete sich der Gemeinschaftsraum der Ravenclaws aus, der mit Abstand höchstgelegenste Gemeinschaftsraum. Durch hohe Bogenfenster, fiel von allen Seiten Licht in den kreisrunden Raum und verlieh ihm einmal mehr den Eindruck in der Luft zu schweben, was durch die gewölbte Zimmerdecke, an der Sterne leuchteten, noch verstärkt wurde. Bei gutem Wetter hatte man sogar freie Sicht auf das Quiddichfeld und konnte fast bis zu dem in der Nähe gelegenen Bergen sehen. Bei Gewitter war es allerdings ziemlich ungemütlich, was auch die langen, ausladenen Samtvorhänge belegten, die bei diesen Gelegenheiten zum Einsatz kamen und von jedem Ravenclaw geschätzt wurden. Doch am meisten liebte es Rose, wenn sie morgens davon aufwachte, dass die Sonne in ihren Schlafsaal schien. Das waren die Augenblicke, in denen sie wirklich glaubte, im Himmel zu schlafen und der Grund, warum der Gemeinschaftsraum von den Ravenclaws auch liebevoll Adlerhorst genannt wurde. Nicht mal die üppigen Bücherwände oder die seidenen Wandverkleidungen in Blau und Gold konnten es damit aufnehmen. Und über allem thronte die weiße Marmorstatue von Rowena Ravenclaw, die gütig, aber auch fordernd auf ihre Schüler herabzublicken pflegte.
 

Im Augenblick war der Raum fast leer. Drei Schüler der dritten Stufe saßen brütend gemeinsam über einem riesigen alten Schinken und versuchten flüsternd die klein gedruckten Wörter zu entziffern. Um den Kamin herum, der sich in der Raummitte befand, hatten sich ein paar Sechstklässler versammelt, die mit verschiedener Wirkung die neusten Errungenschaften des Scherzartikelladens ihres Onkels testeten. Leider entdeckte Rose nicht ihre beste Freundin Alice, die um diese Uhrzeit normalerweise in einem Buch schmökerte und dabei Unmengen an Schokofröschen verdrücken konnte, ohne es überhaupt zu bemerken. Stattdessen wurde Rose Zeugin, wie Lorcan und Lysander Scamander einer ganzen Schar Erstklässlern in solcher Geschwindigkeit Fragen stellten, dass diese nicht mal dazu kamen, etwas anderes als „Ja“ und „Nein“ zu antworten. Sie wirkten allesamt verschüchtert und hatten den gleichen respektvollen Gesichtsausdruck, als wenn sie sich einem Professor gegenüber sahen. (Wovon die Scamanderzwillinge weit entfernt waren.) Dazu kam, dass Lorcan eine so gewichtige Kamera in den Händen hielt und Lysander in Rekordtempo protokollierte, dass selbst dem letzten Idiot klar war, dass man es sich mit der einzigen Schülerzeitung Hogwarts besser nicht verscherzen sollten.
 

„Und wie lange genau hat es gedauert, bis der Sprechende Hut sich für Ravenclaw statt Hufflepuff entschieden hat, Elijah?“ Interessiert hielt Lysander einen Moment inne und Elijah, ein kleiner Junge mit Topfhaarschnitt, starrte überrumpelt zurück. „I-ich w-weiß n-nicht m-mehr, Mr. Scamander“, stotterte er und wirkte so verwirrt, dass Rose augenblicklich Mitleid bekam. „Du musst doch wenigstens eine kleine Ahnung haben“, bohrte Lorcan weiter. (Eindeutig der skrupellosere der beiden Zwillinge – kein Wunder, dass der in Slytherin war.) „Eine Minute, zwei, drei?“ Elijah schüttelte schüchtern den Kopf und Lorcan wandte sich seufzend zwei Mädchen zu, die ihre Haare zu hübschen kleinen Zöpfen geflochten hatten. „Macie, du hast doch sicher aufgepasst, oder?“ „Aber der Sprechende Hut hat mich doch sofort nach Ravenclaw gesteckt“, antwortete Macie. „Wann sofort?“, hakte Lysander nach und Macie packte eingeschüchtert die Hand ihrer Freundin, als er auch gleich ein Bild mit gleißendem Blitz von ihr machte. Jetzt reichte es aber! Rose, dessen Wut auf Hugo und Lily ohnehin kaum verraucht war, knallte die Tür hinter sich zu und marschierte stinksauer auf Lorcan und Lysander zu.
 

„Und was ist mit dir, Oliver? Hat der Sprechende Hut bei dir auch mehrere Häuser in Betracht gezogen?“ „Und, wenn ja, wie viele?“, setzte Lorcan seinem Bruder nach. Oliver, ein spindeldürrer Erstklässler mit schwarzem Haar, wollte gerade antworten, als Rose ihm zuvor kam. „Könnt ihr mir vielleicht mal sagen, was ihr da macht?“, wandte sie sich erbost an Lorcan und Lysander. „Wir führen eine Befragung durch, um die statistische Wahrscheinlichkeit zu errechnen, nach denen der Sprechende Hut die Häuseraufteilung vornimmt“, erklärte Lorcan ohne das geringste Zögern. „Erscheint in der Oktoberausgabe“, fügte Lysander hinzu. Einen Moment lang starrte Rose sie nur fassungslos an. Dreister ging es fast gar nicht.
 

„Sagt mal spinnt ihr!“, explodierte sie, „ihr wisst ganz genau, dass ihr von Minderjährigen eine unterschriebene Genehmigung ihrer Erziehungsberechtigten braucht, wenn ihr ein Interview führt!“ Jetzt wirkte zumindest Lysander ein bisschen schuldbewusst. (Sie hatte diese Regelung selbst in ihrem ersten Jahr als Vertrauensschülerin durchgesetzt.) Zufrieden holte Rose Luft und machte weiter. „Außerdem sollt ihr eure Recherche-“ Sie spuckte das Wort regelrecht aus. „-nicht nach der allgemeinen Nachtruhe durchführen.“ (Es war exakt eine Minute nach zehn.) „Nun, beruhig‘ dich doch mal, Weasley“, versuchte Lorcan sie zu beschwichtigen. „Genau! Wir haben ihnen ja nichts getan. Oder?“ Lysander sah die Erstklässler auffordernd an, die bei dieser direkten Ansprache gleich noch ein paar Zentimeter kleiner wurden. Rose warf Lysander einen mörderischen Blick zu und schenkte den Kleinen im nächsten Moment ein beruhigendes Lächeln. „Ihr geht jetzt besser ins Bett. Ihr braucht ihre Fragen nicht zu beantworten, wenn ihr das nicht möchtet. Das wird keinerlei Konsequenzen für euch haben.“ Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Oliver und Elijah tauschten einen Blick, packten einen weiteren kleinen Jungen, der ständig niesen musste und machten sich gemeinsam mit Macie und ihrer Freundin aus dem Staub.
 

Kaum waren sie weg, richtete Rose ihren Zauberstab auf Lysander‘s Notizen. „Incendio!“ Das Papier fing Feuer und Lysander ließ es mit einem Aufschrei fallen. Noch bevor es auf dem Boden aufkam, war nur noch ein Häufchen Asche davon übrig. „Sag‘ mal spinnst du?!“, fauchte Lorcan. „Ihr habt sie doch nicht mehr alle!“, tobte Rose. „Ist euch eigentlich bewusst, wie eingeschüchtert diese Erstklässler waren? Solange ich hier Schulsprecherin bin, werdet ihr ihre Naivität nicht für euer Klatschblatt ausnutzen!“ „Und was ist mit Pressefreiheit?!“, entgegnete Lysander. „Genau!“, pflichtete ihm Lorcan bei, „du hast kein Recht uns vorzuschreiben, was wir schreiben dürfen und was nicht! In England hat es seit 1695 keine Zensur mehr gegeben!“ „Ihr könnt schreiben, was ihr wollt – doch ihr werdet es nicht tun, wenn ihr dafür Erstklässler missbraucht, das schwöre ich euch!“ Noch immer hielt Rose vor Wut zitternd ihren Zauberstab in der Hand und war so dermaßen aufgebracht, dass sie vermutlich einem der beiden einen Fluch auf den Hals hetzen würde, wenn sie noch einen dummen Spruch rissen.
 

Lysander und Lorcan tauschten einen Blick und schienen zur stillschweigenden Übereinkunft zu kommen, dass es besser war, sie nicht noch weiter zu reizen. Lysander hob die Hand. „Schon gut, Rose. Tut uns leid, aber wir wissen einfach nicht, was wir schreiben sollen-“ „Das ist doch nicht mein Problem! Dokumentiert meinetwegen Al’s Geburtstagsparty, wenn es euch Freude macht, aber lasst gefälligst die Erstklässler in Ruhe! Und was machst du überhaupt noch bei den Ravenclaws, Lorcan? Du hättest schon vor zehn Minuten im Slytheringemeinschaftsraum sein müssen!“ Lorcan öffnete den Mund zu einer Antwort, aber da war Rose auch schon abgedampft.
 


 

Den Rest der Woche verbrachte Rose damit für die nächste Zaubertrankklausur zu büffeln und gleichzeitig einen Patrouillenplan aufzustellen, mit dem alle Vertrauensschüler einverstanden waren. Das Lernen erledigte sie mit der gewohnten Routine zwischen dem Unterricht und ihren Schulsprecherpflichten, auch, wenn es sie wurmte, dass sie Scorpius nicht mal einen Finger krumm machen sah. Doch sie biss die Zähne zusammen und las sich abermals die korrekte Brauweise des Gripsschärfungstranks durch, wobei sie sich wünschte, sich den verdammten Trank vor der Prüfung selbst zu verabreichen. Nicht, dass sie es nötig hätte, aber es hätte ihr einen entscheidenden Zeitvorteil verschafft.
 

Die Erstellung eines vernünftigen Patroullienplans stellte sich da schon schwieriger dar. Zu ihrem Leidwesen lag über die Hälfte ihrer Vertrauensschüler miteinander im Clinch. Mohammed Steel aus Hufflepuff und Lewis Brackstone aus Gryffindor waren seit der ersten Klasse miteinander verfeindet. Summer Blair und Evelyn Turner waren beide in Callum Ridwell aus Ravenclaw verknallt, der – soweit Rose informiert war – mit beiden gleichzeitig etwas am Laufen hatte, wobei weder Summer noch Evelyn etwas von der jeweils anderen wussten. Lucas Clancy war noch am verlässlichsten, aber die Art und Weise, wie er ständig Scorpius widersprach, konnte manchmal ganz schön an die Nerven gehen. Dazu kamen noch Anna Roberts und Freya Durrant bei denen Rose froh war, wenn sie überhaupt zu den wöchentlichen Vertrauensschülertreffen aufkreuzten. Außerdem war ihr Schulsprecherkollege Scorpius Malfoy nun wirklich keine Hilfe. Im Normalfall war sie es, die die gesamte Verantwortung trug und das Zepter in der Hand hielt während er zwar seine Pflicht tat, aber auch nicht mit herausragender Initiative glänzte.
 

Während des Frühstücks hatte Rose nun schon die fünfte Variante eines Plans ausgetüftelt, aber irgendwie war sie mit dem Ergebnis immer noch nicht zufrieden. Als der Gong zur ersten Stunde ertönte, hatte sie es gerade mal fertig gebracht zwei Scheiben Toast zu essen und wäre ohne Alice, die ihr schlicht den Plan weggeschnappt hatte, vermutlich noch zu spät zum Zaubertrankunterricht gekommen.
 

„Sag mal, Rose, schläfst du eigentlich überhaupt nicht?“, fragte Alice, als sie beide den Gang entlang hasteten. Rose schrak aus ihren Gedanken und stellte fest, dass Alice sie besorgt musterte. „Wie kommst du darauf?“, fragte sie zurück, woraufhin ihr Alice im Laufen den unfertigen Plan in die Hand drückte. „Weil du eben fast so aussahst, als würdest du auf deinem Toast einschlafen“, sagte Alice und setzte dabei eine Miene auf, die ihr ungemeine Ähnlichkeit mit ihrem Vater, Professor Longbottom, verlieh. „Ehrlich, Rose, du solltest wirklich nicht so viel arbeiten. Dein Pensum kann doch kein normaler Mensch durchhalten.“ „Das ist noch gar nichts.“, schnaufte Rose, „Warte nur, bis wir kurz vor den Abschlussprüfungen sind. Außerdem bin ich Schulsprecherin, Alice-Schätzchen. Es hat schon einen Grund, warum nicht jeder den Job machen kann.“ Sie grinste, knuffte ihre Freundin in die Seite und hakte sich dann bei ihr unter. Alice seufzte und schüttelte nur den Kopf während sie fast zwei Gryffindors über den Haufen rannten. „Du bist wirklich unverbesserlich, Rosie!“, rief Alice, aber sie lachte dabei.
 

Ein paar Minuten später kamen sie völlig außer Puste im Kerker an und die düstere Atmosphäre legte sich wie ein Schaubstock um sie. Wo der Gemeinschaftsraum der Slytherins ihr auf Albus Geburtstagsparty fast heimelig vorgekommen war, so fühlte sie sich in den Gängen tief unterhalb des Schlosses seltsam beengt. Rose hatte keine Klaustrophobie, aber trotzdem mochte sie es lieber an der frischen Luft zu sein. Wenn sie es recht bedachte, hatte sie in letzter Zeit wirklich nicht so viel geschlafen … Oder hatte sie jetzt etwa schon Ringe unter den Augen? Beim Frühstück hatte sie Catherine MacLaine so merkwürdig angesehen und die war immer perfekt geschminkt.
 

„Hey, Weasley!“ Dimitri Iwanov grinste ihr und Alice entgegen. „Wusste gar nicht, dass du so leidenschaftlich bist!“ „Ich weiß nicht wovon du redest, Iwanov“, schleuderte Rose dem Slytherin entgegen, „aber wenn du meinst, dass ich leidenschaftlich werde, wenn Ravenclaw Slytherin beim nächsten Spiel vom Platz fegt, hast du recht!“ Iwanovs Grinsen erlosch. Rose wusste, dass er sie nicht leiden konnte und er ließ auch keine Gelegenheit aus, ihr das zu zeigen, aber heute hatte er sie an ihrem schlechten Tag erwischt. Gewöhnlich tat sie seine Bemerkungen mit einem Schulterzucken ab, immerhin war sie Schulsprecherin, aber erstens war sie mal wieder im Stress und zweitens hatte sie schlecht geschlafen. (Vielleicht sollte sie wirklich mehr auf Alice hören.) Trotzdem war es sehr befriedigend zu sehen, wie sie Dimitri, der Kapitän der Slytherin Quiddich-Mannschaft war, überrumpelt anstarrte, wenngleich sie noch immer keine Ahnung hatte, wovon er eigentlich geredet hatte. Doch als er gerade den Mund aufmachte, um etwas zu erwidern, gongte es.
 

„Nun aber rein!“ Professor Crane, tauchte im Gang auf, klatschte gut gelaunt in die Hände und öffnete mithilfe ihres Zauberstabes die Tür zum Zaubertrankklassenraum. Rose mochte Professor Crane. Die Professorin war eine Frau Mitte dreißig und so gar nicht das, was man sich unter einem Zaubertrankprofessor vorstellte. Erstens war sie seit vermutlichen mehreren Generationen die erste Frau in der Geschichte von Hogwarts, die Zaubertränke unterrichtete, zweitens war sie fair (wenn auch streng, wenn es sein musste) und drittens cool. Normalerweise hätte Rose dieses Wort nie mit einer Professorin in Verbindung gebracht, aber es war tatsächlich so. Professor Cranes gesamter rechter Arm war tätowiert, sie hatte ein paar Pfund zu viel auf den Rippen (und scherte sich nicht drum) und war so nett über die eine oder andere Untat ihrer Schüler hinweg zu sehen.
 

Rose hakte sich bei Alice unter und gemeinsam betraten sie das Klassenzimmer. Wie immer im Fortgeschrittenen-Kurs waren die Tische paarweise zusammen geschoben worden und so angeordnet, dass Professor Crane alle im Blick hatte. „Setzt euch, setzt euch!“, forderte die Professorin sie auf und setzte dann ebenso vergnügt hinzu: „Wir machen heute einen praktischen Test.“ Mit einem Schlag war es totenstill geworden. Albus starrte die Lehrerin so entsetzt an, dass Rose nur mutmaßen konnte, dass er noch nicht gelernt hatte und einigen anderen ging es ebenso. Nur Scorpius, der gerade seine Tasche neben ihrem gemeinsamen Arbeitsplatz sinken ließ, wirkte halbwegs entspannt. Rose warf ihm einen bösen Blick zu und war doch insgeheim froh, dass ihr Partner das Naturtalent der Klasse war. Professor Crane dagegen kam überhaupt nicht aus dem Takt. Gewohnt lässig platzierte sie ihre teuren Drachenhautlederstiefel auf dem Pult und erklärte dann: „Ihr arbeitet mit euren gewohnten Partnern zusammen. Schummeln bringt nichts. Jedes Team bekommt einen anderen Trank zugeteilt, den wir bereits durch genommen haben. Ihr habt zwei Stunden Zeit. Fangt an!“
 

„Aber Professor“, protestierte Albus schwach, „Lorcan ist heute krank und ich habe keinen Partner.“ Professor Crane ließ ihren Blick über die Klasse schweifen und stellte dann fest: „Sein Bruder ist ebenfalls entschuldigt, Mr Potter, daher werden Sie wohl mit Miss Longbottom zusammen arbeiten müssen. Problem gelöst.“ Al blickte Alice so dankbar an, dass Rose sich fast dafür schämte mit so einem Tunichtgut verwandt zu sein. Alice, die ihrerseits ganz passabel in Zaubertränke war, lächelte Al beruhigend zu. Trotzdem war es merkwürdig, dass beide Scamander-Zwillinge am gleichen Tag krank wurden.
 

„Aber wir sollten doch eine theoretische Klausur schreiben!“, quiekte Eugenia Harper aus der Ecke. Eugenia war wie sie in Ravenclaw und der Inbegriff einer Streberin, auch, wenn sie ganz nett war. „Wenn Sie die Theorie beherrschen, Miss Harper, sollte die Praxis kein Problem für sie darstellen. So werden Sie alle hoffentlich in Zukunft nicht nur etwas gezieltes Lernen, sondern ständig in meinem Unterricht bei der Sache sein.“ Sie lächelte noch immer und hatte mittlerweile die neueste Ausgabe der Hexenwoche aus ihrer Aktentasche gekramt. „Der Trank, der Ihnen zugeteilt ist, steht auf dem Zettel, der auf Ihrem Arbeitsplatz liegt, und nun fangen Sie an. Sie verlieren Zeit.“
 

Rose stellte ihre Tasche ab, nahm dann den Zettel und drehte ihn um. Auf der Rückseite stand gut leserlich Skele-Wachs. Rose tauschte einen Blick mit Scorpius, der jedoch nicht allzu überrascht schien. Rose sah zu Professor Crane hinüber, die bereits voll und ganz in ihrer Zeitschrift versunken war. „Das ist doch nicht fair“, flüsterte sie Scorpius zu, „das ist mit Abstand der schwierigste Trank, den wir kriegen konnten.“ Sie hatten den Trank nur einmal im Unterricht durchgenommen und soweit Rose wusste, war dieser Trank mindestens UTZ-Niveau und selbst da noch recht selten Prüfungsinhalt. Dunkel erinnerte sie sich an eine Geschichte von Onkel Harry, der diesen Trank einmal wegen eines Quiddich-Unfalls hatte schlucken müssen – oder war da wieder ein Todesser im Spiel gewesen. Sie hatte es vergessen.
 

„Es ist aber auch der Trank, der die beste Note einspielt, wenn wir ihn hinkriegen“, riss Scorpius sie aus den Gedanken.“ Dann lächelte er und eigenartiger Weise spürte Rose, wie seine Zuversicht auch auf sie übergriff. „Wir kriegen das schon hin, Rose“, grinste Scorpius, „besorg du das Feuersalamanderblut und das Einhornhorn. Ich sehe zu, dass ich Löwenfischgräten, Murtlap-Essenz und Belladonna-Essenz in die Finger kriege, bevor die anderen sie brauchen.“ Er hielt inne. „Ach ja, bring noch etwas Whiskey mit. Ganz hinten im Schrank steht eine kleine Flasche. Das sollte die Schmerzen unserer mutmaßlichen Patienten ein bisschen abmildern, wenn bei denen die Knochen nachwachsen.“ Einen Moment lang, bevor er mit der Whiskeyerklärung rausgerückt war, war ihr die Kinnlade runter geklappt, aber bei genauerem Überlegen, war der Gedanke gar nicht dumm und bei sowas hatte Scorpius leider meistens recht. (Auch, wenn das nie in den Büchern stand.) Außerdem glaubte sie sich zu erinnern, dass das Zeitlimit für ihren Trank gerade mal ausreichend war, was bedeutete, dass sie sich nicht ein einziges Mal vertun durften, wenn sie den verfluchten Trank hinkriegen wollten.
 

Knapp zwei Stunden später war Rose endgültig mit den Nerven am Ende und schwor sich in Zukunft wirklich früher schlafen zu gehen. Trotz Scorpius‘ Optimismus, wäre ihnen der Skele-Wachs-Trank zweimal fast angebrannt und einmal war ihr zum Glück noch eingefallen, dass man siebenmal gegen den Uhrzeigersinn rühren musste, ehe Scorpius das Gegenteil in die Tat umsetzen konnte. Scorpius dagegen machte seinem Ruf mal wieder alle Ehre und erinnerte sich fast haargenau an die Brauweise, wofür sie ihm höchst dankbar war. Außerdem erwies sich seine Idee mit dem Schuss Whiskey als wahrer Glücksgriff. Der Trank hatte mittlerweile eine orangerote Farbe angenommen und wies einen Bronzeschimmer auf, für den es hoffentlich Sonderpunkte gab. Nach fast zwei Stunden harter Arbeit sah der verdammte Trank endlich so aus wie er im Lehrbuch beschrieben war – soweit sie sich erinnern konnte.
 

Der Rest der Klasse wirkte im Gegensatz zu ihnen mittlerweile fast panisch. Dimitri, der Eugenia zugeteilt war, hatte versehentlich ein paar Aalaugen in ihren Zaubertrank gekippt, worauf der Trank angefangen hatte zu blubbern und faustgroße Blasen gebildet hatte. Eugenia sah aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. Von ihrer sorgsam einstudierten Reihenfolge war nichts mehr übrig. Alice und Albus kämpften dagegen mit einer Funken-Lösung, soweit sie es erahnen konnte. Allerdings ließen die gewünschten Funken noch immer auf sich warten und langsam brach beiden der Schweiß aus. Man musste ihnen allerdings zugutehalten, dass sie überhaupt so weit gekommen war, da sie das erste Mal zusammen arbeiten mussten. Rose konnte nur hoffen, dass die Scamander-Zwillinge bei ihrem Ersatztermin einen richtig schweren Trank bekommen würden.
 

Callum Ridwell und Freya Durrant, er aus Ravenclaw, sie aus Slytherin, hatten es indes geschafft ihren Trank versteinern zu lassen, was Rose nun wirklich in noch keiner Stunde erlebt hatte. Und dauernd hatten die beiden so merkwürdig zu ihr und Scorpius rüber geschielt, wenn sie sich beraten hatten. Glaubten die etwa nicht, dass jedes Team einen anderen Trank bekam? Rose machte sich keine Illusionen. Professor Crane mochte zwar cool sein, aber wenn es um ihr Fach ging, verstand sie keinen Spaß. Es war überhaupt nicht möglich zu schummeln. Einerseits taten die beiden Rose zwar ein bisschen leid, andererseits … ihre Vertrauensschülerkollegen waren in letzter Zeit auch absolut unzuverlässig gewesen. Geschah ihnen recht! Scorpius und sie mussten schließlich neben der Schule und ihren Pflichten noch die ganze Organisation der Vertrauensschüler übernehmen. Ha!
 

Der Raum selbst fühlte sich mittlerweile an wie eine Sauna. Sämtliche Strähnen hatten sich aus Rose‘ Zopf gelöst und kringelten sich nun in der feuchten Luft, als hätte sie sie nicht heute Morgen extra noch ordentlich gekämmt. Dazu kamen der würzige Geruch der Zaubertrankzutaten, der Rauchgestank und der Schweißgeruch, der dem ganzen noch einen netten Beigeschmack gab. Viel fehlte nicht und sie hätte sich in Scorpius‘ und ihren perfekten Trank erbrochen, was seine Perfektion mit Sicherheit beeinflusst hätte.
 

„Nur noch fünf Minuten warten und dann dreimal umrühren. Fünf Minuten, dann dreimal umrühren“, wiederholte Scorpius neben ihr wie ein Mantra. Rose sah auf die Uhr. Genau in diesem Moment gongte es. Professor Crane klappte die Hexenwoche zu, dessen Seiten sich mittlerweile ganz schon wellten, und erklärte dann vergnügt: „Abgeben!“ Sie ging mit ein paar Phiolen herum und füllte je eine Probe ab. Bei Callum und Freya benutzte sie einen Meißel. Alice und Al sahen einfach nur erleichtert aus, dass es vorbei war. Als sie an ihrem Tisch ankam, wollte Rose gerade nach einer Kelle fischen, als die Professorin abwinkte. „Nein, sie noch nicht Miss Weasley. Sie und Mr Malfoy bekommen noch zehn Minuten extra, weil selbst ich keinen Skele-Wachs-Trank in zwei Stunden brauen könnte. Dafür ist der Trank einfach nicht ausgelegt.“ „Danke, Professor“, sagte Scorpius für sie beide, als er gerade sein Mantra unterbrochen hatte. Rose warf der Professorin nur einen dankbaren Blick zu, ehe sie wie mit ihrem Partner vereinbart, die Temperatur um zwei Grad erhöhte.
 

Vier Minuten später schwitzten Scorpius und sie allein im Klassenraum. Nicht ohne, dass ihnen ihre Mitschüler einerseits neidische Blicke zugeworfen hatten, andererseits mit einem so wissenden Grinsen auf den Flur verschwunden waren, dass Rose sich fragte, ob sie irgendetwas verbrochen hatte, außer die Tochter von Ron und Hermine Weasley und Scorpius der Sohn von Draco Malfoy zu sein, was schon immer für Zündstoff gesorgt hatte. Irgendwie erwarteten die Leute ständig, dass sie und Scorpius sich deswegen an die Gurgel gingen. Dabei waren sie als Team eigentlich nicht schlecht. Und sie hatten schließlich den schwersten Trank gekriegt.
 

„Und jetzt umrühren“, keuchte Scorpius erschöpft. „Ich mach schon“, entgegnete Rose, „einmal im Uhrzeigersinn, zweimal dagegen, richtig?“ Scorpius nickte bloß und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Rose rührte einmal im Uhrzeigersinn und zweimal dagegen. Scorpius beobachtete zusammengesunken von seinem Stuhl aus, wie der Zaubertrank endlich die richtige Dicke ansetzte.
 

„Fertig?“ Professor Crane stand plötzlich vor ihrem Kessel und lugte hinein. Am liebsten hätte Rose ehrlich mit „Ja“ geantwortet – sowohl den Trank, als auch ihren Zustand betreffend, aber leider waren sie immer noch nicht soweit. „Wir brauchen noch eine Minute, Professor“, sagte sie. „Natürlich“, erwiderte Professor Crane, „ich habe nichts anderes von Ihnen beiden erwartet, als dass sie auf die Minute fertig sind.“ Rose fiel auf, dass sich tatsächlich ein Drachentatoo um ihr Handgelenk schlängelte und fast lebendig wirkte.
 

„Ich glaube, wir sind so weit“, sagte Scorpius, nachdem er erneut auf die Uhr gesehen hatte. Er erhob sich und inspizierte zufrieden den Trank. „Wunderbar!“, rief die Professorin aus und füllte eine Probe ab. Als Rose gerade dazu ansetzen wollte, das Feuer unter dem Kessel auszustellen und den Trank verschwinden zu lassen, rief Professor Crane aus: „Aber nicht doch, Miss Weasley! Das wäre ja glatte Verschwendung! Wie haben Sie nur diesen Bronzeschimmer hingekriegt?!“ „Das war ein Schuss Whiskey“, erklärte Scorpius verlegen und setzte dann nach: „Du kannst meinetwegen schon zum Mittagessen gehen, Rose, ich räume den Rest weg.“ „Danke“, seufzte Rose, schnappte sich ihre Tasche und hoffte, dass Alice ihr einen Platz freigehalten hatte. Sie hätte ein ganzes Buffet leer futtern können. Endlich … endlich raus aus dem Keller und da Professor Crane den Test vorgezogen hatte, brauchte sie nicht mal am Nachmittag lernen. Das Leben war schön. Im Gang hörte sie noch, wie Scorpius die Sache mit dem Whiskey erklärte.
 

Völlig groggy kam Rose in der Großen Halle an, wo es mit einem Schlag genauso still wurde, wie vor zwei Stunden, als die Professorin ihren Schülern die Sache mit dem vorgezogenen Praxistest beigebracht hatte. Rose sah sich um, aber außer ihr hatte niemand die Große Halle betreten und der Rest der Schüler saß bereits an den Haustischen. War es ihr Aussehen? Sie musste fürchterlich aussehen, nachdem sie über zwei Stunden geschwitzt hatte und ihre gesamte Schuluniform an ihr klebte. Hatte sie irgendwo Rußflecken im Gesicht? Sie kontrollierte anhand ihres Spiegelbildes im Stundenglas der Hufflepuffs, als sie daran vorbei kam. Nein. Noch immer starrten sie alle an, ehe sie zu flüstern begannen. Sogar Alice starrte sie an. Was war nur los mit denen?
 

„Hey Weasley! Wo hast du deinen Lover gelassen?“, feixte Dimitri vom Slytherintisch. Wen? Sie war Single. Rose starrte ihn verwirrt an, ehe sie sich dafür entschied, schnellstens zu Alice zu kommen, damit die ihr erklärte, was zum Teufel in ihre Mitschüler gefahren war. Als sie nach einer gefühlten Ewigkeit endlich bei den Ravenclaws ankam, rutschte Alice treuherzig zur Seite und machte ihr Platz. Das Flüstern um sie herum wurde lauter und ständig hörte Rose ihren eigenen Namen, der teils voller Bewunderung, teils voller Verachtung, teils mit Neugier ausgesprochen wurde. „Alice?“, flüsterte sie eindringlich, „kannst du mir mal erklären, was hier los ist?“ „Ähm“, machte Alice, „ich dachte eigentlich, dass du es mir erklären kannst.“ Doch bevor eine von ihnen der anderen auch nur irgendwas erklären konnte, baute sich Lily Potter vor ihnen auf.
 

„Rose Weasley“, sagte sie mit einer solch selbstzufriedenen Miene, dass Rose angst und bange wurde. „Da läuft nichts? Sag das nochmal.“ Und zu ihrem puren Entsetzen hielt Lily ihr die neueste Ausgabe von Lorcans und Lysander’s Schülerzeitung „The Whisperer“ entgegen, dessen gesamte Titelseite ein Foto einnahm. Ein Foto auf dem sie selbst zu sehen war, wie sie Scorpius Malfoy so leidenschaftlich küsste, dass es ihr die Röte ins Gesicht trieb und sie schwören könnte, dass dieses ein dunkleres Rot angenommen hatte, als ihre Haare.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Liebe Friday_Ocean, liebe Leser,

-ja, es geht noch weiter! Sehr viel weiter sogar. Merkwürdigerweise passiert es mir bei Harry-Potter-FFs IMMER, dass ich versuche sie als OS zu planen und dann so viele Ideen kommen, dass ich die Dinger als FF umkonzipieren muss. So auch dieses Mal. Ihr könnt mit einer Geschichte rechnen, die eine ähnliche Länge wie "Something that I want" haben wird und vermutlich mit 7 Kapiteln beendet ist.

Die Fertigstellung von Part One hat neben einer fast-Schreibblockkade auch deshalb so lange gedauert, weil ich so viel recherchieren musste. Sei es nun das Aussehen des Ravenclaw-Gemeinschaftsraums, (das Rätsel stammt übrigens aus meiner Grundschulzeit und irgendwie ist es hängen geblieben *lol*), die Pressefreiheit in England (das stimmt nämlich wirklich! Interesant was man bei Recherchen alles so lernt *lol*), nebst Zaubertränken und Trankzutaten. Für den Skele-Wachs-Trank sind die Zutaten wild zusammen gewürfelt und den Schuss Whiskey habe ich dazu gedichtet. Außerdem musste ich ständig englische Vor- und Nachnamen zusamen suchen, damit meine Protagonisten auch ein paar nette Statistiken abbekommen und ich nicht ständig schreiben muss "irgendein anderer Schüler". Wer also eine Sammlung guter englischer Vor- und Nachnahmen hat - immer her damit :)

So, nun hoffe ich natürlich, dass es euch gefallen hat. Ich gebe zu, das Ende des ersten Kapitels ist ein bisschen vorhersehbar, aber ab jetzt beginnt erst der ganze Spaß und es wird überhaupt nicht mehr vorhersehbar. ;) Über Lob & Kritik freue ich mich natürlich wie immer :)

alles Liebe
moony Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  phake59
2017-05-24T17:57:38+00:00 24.05.2017 19:57
Hallo moonlight_005,

ich finde Part 1 dieser fanfic sehr gelungen :)
Besonders gut gefallen hat mir, dass du all diese Details aus dem HP Universum in die Dialoge einbaust, wie Erwähnungen von Harry, Ron etc. und jetzt weiß ich auch endlich was Schulsprecher eigentlich so machen.. ;)
Rose hat eindeutig was von Hermine von wegen überarbeiten und Scorpius das Snape-Gen woher auch immer o.0
Es war sehr glaubhaft (und spaßig) wie du die Reaktionen und Lösungsversuche aller Schüler bei dem Überaschungs-Zaubertranktest beschrieben hast.
Da hat Rosie wohl einen kleineren Filmriss von der Party und Malfoy auch (?), weil er doch nicht besonders auf sie reagiert hat..
Und die Moral von der Geschichte ist, dass man sich ja nicht mit der Presse anlegen sollte. Die finden alle Leichen, die man so im Keller hat.
Ich würde mich sehr freuen, wenn es irgendwo (irgendwann) eine Auflösung der Geschichte gibt..!?
Du hast einen klasse Schreibstil!

LG
Phake
Von:  L-San
2014-08-25T16:31:17+00:00 25.08.2014 18:31


Yo, moony! ;D


Ich musste mich anfangs ein wenig reinlesen, weil ich ja noch deine andere Harry Potter im Kopf hatte und frage mich, ob beide Geschichten etwa zur selben Zeit spielen?
Ich bin schrecklich vergesslich, aber der Name Albus und Alice kam auf, und ich musste irgendwie diese FF sofort in die andere einordnen.^^
Wie dem auch sei, ich hab's doch noch geschafft, rein inhaltlich alles getrennt halten zu können.
Was Rose angeht, ihre Sorgen möchte ich mal gern haben.
Über Haare zu meckern, so was kann auch nur Frau denken, was? ;DD
Ich musste da ein wenig schmunzeln, vor allem wie neidisch sie dann auf Lily war.
Die Witze, die Lily und der andere da gerissen haben, fand ich nett.
Ja, wer kennt das nicht, man sagt, da läuft nichts, aber die anderen wollen das nicht glauben oder sehen das Ganze anders. ;D
Was mich beim Lesen ein wenig gestört hat, waren die Rechtschreibfehler, oder ab und zu haben Wörter gefehlt oder hätten durch ein anderes ersetzt werden müssen.
Ich denke, wenn du nochmal über den Text fliegst, könnte es vielleicht nicht schaden.^^
So, weiter geht's, das Interview der Zwillinge.
Ich ahnte bereits, dass Rose eine böse Überraschung erleben wird, als sie die beiden angeherrscht hat.
Und meine Vermutung hat sich bestätigt.
Mal schauen, wie sie sich aus dem 'Schlamassel' retten kann. ;DD
Ah, was mir einfällt, sie denkt ziemlich oft an ihn, und ist es nicht psychologisch erwiesen, dass, wenn man sich ständig einredet, die Person nicht zu lieben oder was auch immer, dann ist es genau das Gegenteil? ;D
Nettes Kapitel, das einen wirklich schön zum Schmunzeln bringt.^^


LG
L-San




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