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Human's Gears - Der Menschen Zahnräder

von

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Markttag

„Fin.“ Ich rühre mich nicht. „Fin!“ Diesmal hat die Stimme mehr Nachdruck. „Fineas!“ Widerwillig schlage ich die Augen auf. „Aufstehen.“ Es ist die Stimme meiner Mutter, die gerade wieder meiner Zimmer verlässt.

Eigentlich will ich nicht aufstehen. Ich liege in meinem weichen, zerwühlten Bett und habe etwas wunderschönes geträumt, auch wenn ich nicht mehr weiß, was es war. Trotzdem schlage ich die Decke zurück und schwinge die Beine aus dem Bett.

Meine Arbeitsklamotten liegen noch genau dort, auf meinem Stuhl, wo ich sie gestern hingelegt habe. Ich überlege kurz, ob ich für die Schule etwas anderes anziehen soll, aber da ich heute keine Zeit habe noch mal nach Hause zu fahren, entscheide ich mich dagegen. Rasch schlüpfe ich in das dunkle, verwaschene Achselshirt, die ausgebeulte braune Latzhose und die schweren Stiefel mit den Stahlkappen. Als ich die Treppe runter stampfe, binde ich mir noch mein ausgewaschenes Halstuch um, die Schweißerbrille setze ich mir auf das wuschelige Haar.

In der Küche hat meine Mutter bereits das Frühstück gemacht und öffnet grade das Fenster mit dem Kupferrahmen, um den Dampf und den Geruch nach gebratenen Speckstreifen und Weißbrot hinauszulassen. Mein Vater sitzt bereits am Tisch und sieht meiner Mutter auf den Hintern, während sie durch die Küche huscht.

„Dad.“, sage ich genervt.

„Guten Morgen, Sohn.“ Er schaut mich nicht einmal an. Blind tastet er mit der Gabel auf seinem Teller herum, noch immer nach meiner Mutter gaffend. Sie stellt mir grade einen Teller und eine Tasse Tee hin, als ich Geschrei von oben höre. Mom schaut mich besorgt an.

„Fin, hast du heute Morgen schon nach deinen Schwestern gesehen?“, fragt sie besorgt. Ich unterdrückte den Drang mit den Augen zu rollen. Jeden Morgen das selbe Theater.

„Nein.“, antworte ich wahrheitsgemäß. Eigentlich ist es mir auch egal. Wenn die beiden sich die Köpfe einschlagen, weil sie sich mal wieder darum prügeln, wer als Erstes ins Bad darf, dann ist das wirklich nicht mein Problem. Minutenlang ist es ruhig und ich wende mich meinem Frühstück zu. Mein Vater hat es inzwischen geschafft, die Hälfte von seinem über den Tellerrand zu verteilen, so sehr begafft er meine Mutter, während sie den Abwasch macht und den Gasherd putzt. Es poltert im Obergeschoss, ein spitzer Schrei ertönt. Mutter dreht zu mir und schaut besorgt und halb flehend.

„Ich gehe dann mal nachsehen.“, sage ich genervt. Ich habe es gar nicht eilig, als ich die Treppe wieder hinauf stapfe.

Wie erwartet stehen meinen beiden Schwestern vor der Badezimmertür am Ende des Flures und haben sich wortwörtlich in den Haaren. Milly, mit sechszehn Jahren die ältere von den beiden, hat ihre Hand gefährlich tief in Meredith's Haaren vergraben. Meredith keift mit ihrer viel zu hohen dreizehnjährigen Stimme ein paar sehr unschöne Schimpfwörter in Millys Gesicht. Sie bemerken mich gar nicht, bis ich sie jeweils am Kragen packe und mit einem entschiedenen Ruck auseinander ziehe.

„Hört auf damit.“, sage ich ruhig aber bestimmt.

„Sie will mich nicht ins Bad lassen!“, empört sich Meredith, Milly sieht sie vernichtend an.

„Ist mir egal. Wenn ihr nicht sofort aufhört euch gegenseitig die Haare auszureißen, schneide ich sie euch beiden in der Nacht ab.“ Beide sehen mich völlig entsetzt an, ich bleibe unberührt.

„Fin, heute ist Markttag!“, quängelt Milly. Ich seufze.

„Okay. Milly, du gehst zu erst.“ Sie macht einen triumphierenden Gesichtsausdruck. „Du hast genau fünf Minuten. Keine. Sekunde. Mehr.“ Meredith macht einen höhnischen Gesichtsausdruck, der von Milly verwandelt sich in Entsetzen. Ich verdrehe genervt die Augen. „Noch ein einziges, falsches Geräusch und keiner von euch geht mehr ins Bad. Dann gehe ICH und lasse mir eine ganze Menge Zeit.“ Es wirkt. Ich drehe mich um und gehe kopfschüttelnd nach unten. Eigentlich habe ich die beiden ja sehr lieb – wären sie nur nicht so anstrengend.

Mich meinem Frühstück widmend, lasse ich meine Gedanken kreisen. Vor allem auch, weil ich meinen Vater ausblenden will. Wir sind alle so unterschiedlich. Millicent und Meredith haben beide das dicke, goldene Haar meiner Mutter geerbt und es ist ihr ganzer Stolz. Meredith hat jetzt schon weiblichere Formen als, was ihr ganz schön zu schaffen macht. Mutter sagt immer, ihre jüngste käme mehr nach meiner Grandma Grace und wie Tante Ruth, sie selbst sei genauso spät gewesen wie Millicent. Dann ist da noch mein Vater, mit denhängenden Schultern und dem fliehenden Kinn. Er hat genauso schlammbraunes Haar wie ich, aber ich habe Moms schmale, aschgraue Augen und bin groß geraten. Weil ich auf der Arbeit oft schwer tragen und mich viel bewegen muss, bin ich recht muskulös. Ich glaube, es stört meinen Vater, dass ich stärker bin und mit meinem Job neben der Schule fast so viel verdiene wie er als Lehrer, aber meine Mom ist stolz auf mich.

Als ich nach dem Frühstück meinen Teller wegräume, kommen Milly und Meredith endlich die Treppe runter. Mom beginnt zu strahlen und stellt vor Milly ein Stück Kuchen auf den Tisch; sie streicht ihr durch das lange, glatt gebürstete Haar und lässt die Hände auf ihren Schultern liegen.

„Heute ist ein großer Tag!“, verkündet sie feierlich. „Millicent ist ab heute Nachmittag offiziell auf dem Markt.“ Meredith schmollt, weil sie auch ein Stück Kuchen haben will, aber Millys Wangen werden rosa. Ihr Blick findet mich und wird etwas höhnisch.

„Vielleicht bin ich ja dann die Erste in der Familie, die sich bindet.“ Sie lächelt. Ich weiß, dass sie es nicht halb so böse meinte, wie ich es ihr nehme, und ich weiß auch, dass die Retourkutsche für die Drohung von heute morgen war, aber allein, dass sie davon anfängt, nervt mich tierisch. Ich bin seit mittlerweile drei Jahren auf dem Markt und obwohl ich neunzehn Jahre alt bin, habe ich absolut keine Ambitionen zu heiraten und eine Familie zu gründen. Ich weiß, dass ich in einem Jahr etwas von meiner Marktwertigkeit einbüße, wie jeder ledige Mensch mit zwanzig Jahren, aber es ist mir völlig gleich. Deshalb stehe ich auf, wuschle Milly mit einem aufgesetzten, zuckersüßen Lächeln durch das Haar und stapfe ins Bad um Zähne zu putzen. Ich hole meine Schultasche und verschwinde, eigentlich viel zu früh, aus der Tür.

Etwas abseits unseres kleinen Hauses habe ich in den Garten einen Unterstand für mein Hoverbike in die Erde geschlagen. Es sind nur vier Holzpfosten und ein Wellblechdach, doch es reicht um das Bike vor dem Schlimmsten zu schützen. Ich bin der einzige in der Familie, der ein eigenes Transportmittel hat, alle anderen fahren jeden Morgen mit dem Zug in die Schule und auf die Arbeit. Ich schwinge mich auf das Hoverbike, trete den Kickstarter, höre grinsend wie die Düsen anspringen und presche im nächsten Moment aus dem Garten und über den rissigen Asphalt.
 

Die Schule ist ein riesiger Gebäudekomplex, ein Überbleibsel aus älteren Zeiten. Die Mauern sind dick und die Fenster Arkadenförmig. Die Einrichtung ist unterteilt in den Komplex für die Unterklässler, von fünf bis sechzehn Jahren und einen zweiten für die Oberklässler bis zwanzig Jahre. Die Unterklässler werden geschlechter-getrennt unterrichtet, sehen sich aber ansonsten in der Pausenhalle, wo sie auch auf uns Oberklässler treffen.

Ich steige von meinem Hoverbike und schiebe es die letzten Meter in die Scheune, die direkt neben der Schule steht. Die große Uhr an der vorderen Fassade der Schule, mit den langen verschnörkelten Zeigern, zeigt dass ich noch fast eine halbe Stunde zu früh bin. Also setze ich mich auf die Treppe, die zum Haupteingang hinauf führt, stecke mir eine Zigarette aus dem Etui in meiner Tasche zwischen die Lippen und warte, bis meine Freunde eintrudeln.

Keine drei Minuten später trudelt Ako ein. Sie ist eine dickliche junge Frau in meinem Alter, mit wuscheligem rotbraunen Haar und etwas zu großen Augen. Sie verzieht das Gesicht, als sie sieht, dass ich rauche. Demonstrativ schnicke ich die halb gerauchte Zigarette weg und grinse. Sie setzt sich neben mich auf die Treppenstufe und ich lege einen Arm um ihre Schultern.

„Bereit für das absolute Chaos?“, frage ich sie grinsend. Ako verdreht die Augen.

„Ist des schon wieder so weit?“, fragt sie genervt. „Markttag?“ Ich nicke. Jedes Jahr, wenn alle Sechzehnjährigen ihre Anerkennung als Erwachsene erhalten, bricht an der Schule die Hölle aus. Es gibt eine Zeremonie in der großen Pausenhalle, mit Reden und dem ganzen Pipapo und einer anschließenden feierlichen Verlesung aller Namen aller, die damit auf den Markt gehen. Zur Krönung des ganzen bekommen sie alle das Zeichen der Volljährigkeit eintattoowiert. Meine Schwester ist ab heute eine von ihnen, und ich komme mir vor, als wäre mein Markttag schon Jahrzehnte her.

„Sieh's positiv.“, sage ich leichthin. „Dafür fallen die dritte und die vierte Stunde aus und wir dürfen früher gehen.“ Ako verdreht noch mal die Augen und schiebt meinen Arm von ihren Schultern. Ich erinnere mich, dass sie schon damals unsere Zeremonie als viel zu überzogen erachtet hat. „Als ob man dafür irgendwas tun muss. Nein, man wird einfach sechzehn und die feiern das, als hätte man die verdammte Welt gerettet.“, hatte sie damals gesagt.

Kurz vor acht trudelt dann endlich der Rest der Gruppe ein, zusammen mit allen anderen, die mit dem Zug kommen. Grey, der mit mir arbeitet und deshalb die selben Klamotten anhat wie ich, Vico, der ein Auge auf Ako geworfen hat und Nym, der, klein, dürr und mit einer viel zu großen Brille für sein Gesicht, zwischen uns nie auffällt. Wir schlurfen zu fünft die Treppen hinauf.

Ein Knacken ertönt und aus den kupfernen Lautsprechern erklingt knarzend und verzerrt die Stimme des Rektors.

„Liebe Schülerinnen und Schüler.“, näselt er in das Mikrofon. „Wie Sie sicher alle wissen ist heute alljährliche Markttag. Wie immer wird die entsprechende Zeremonie in der dritten und vierten Stunde in der großen Pausenhalle stattfinden und ist verpflichtend für alle. Nach der fünften Stunde in der Unterricht aufgrund der Feierlichkeiten für alle Schüler beendet.“ Mit einem weiteren Knacken ist es wieder still und meine Freund ich setzen den Weg zu Maschinenkunde im vierten Obergeschoss fort.
 

Kurz vor der dritten Stunde herrscht bereits absolutes Chaos auf den Gängen. Vico und ich bahnen uns unseren Weg durch die Aufgeregt schnatterndes Sechzehnjährigen, die kreuz und quer durch die Schule rennen um ihre Freunde und Bekannten zu treffen, bevor es dann in die Pausenhalle geht. Ako, Nym und Grey sitzen hoffentlich schon dort und haben uns Sitzplätze freigehalten. Ich schaue mich im Gang halbherzig nach meiner kleinen Schwester um – und entdecke sie zu meiner Überraschung tatsächlich.

Sie steht zusammen mit ihrer besten Freundin an einer Ecke, reibt sich nervös den Oberarm und sieht gar nicht mehr so glücklich aus wie heute morgen. Ich bedeute Vico, dass er schon mal vorgehen soll und ich gleich nachkomme und gehe direkt auf meine Schwester zu.

Sie hat sich richtig chic gemacht, mit einem engen Kleid mit Unterrock und Spitze im Ausschnitt. Ihr goldenes Haar hat sie hochgesteckt und mit einem kleinen Spitzenhut gekrönt, eine lange Feder dekoriert sie. Sie sieht aus wie eine richtige Lady und erinnert mich an Mom.

„...wenn sie recht hat, und mich tatsächlich niemand haben will? Und wenn ich arbeitslos werde?“, höre ich Millys hohe Stimme. Gerade als ihre beste Freundin – Betty oder Tess oder so ähnlich – dazu ansetzt, etwas zu erwidern, erreiche ich meine Schwester und lege ihr eine Hand auf die Schulter.

„Hey, Mil.“, sage ich und Betty zuckt zusammen. Sie dreht sich und sieht mich mit riesigen, ehrfürchtigen Augen an.

„Fin.“, sagt Milly und ringt sich ein Lächeln ab. Ich weiß, dass es unecht ist.

„Nervös?“, frage ich. Sie nickt und weicht meinem Blick aus. „Wieso freust du dich nicht?“ Sie will mir nicht antworten, aber ich sehe sie so lange an, bis sie es tut.

„Na ja... Leslie Morrows hat gesagt, dass mich eh niemand haben will, und dass ich wahrscheinlich bis zur dritten Abwertung arbeitslos bin, und dass ich dann als Küchenhilfe arbeiten muss, bis ich tot bin.“ Ich lache.

„Milly, das ist absoluter Schwachsinn.“ Sie wird noch ein Stück kleiner. „Es ist scheiß egal, was eine Leslie-wer-auch-immer über dich sagt. Nimm das Kinn und zeig der Welt deine wunderschönen Augen.“ Ich stupse ihr Kinn nach Oben. „Wenn du dauernd nach unten guckst, siehst du gar nicht, dass sich hier grade drei Kerle fast auf die Nase gelegt haben, weil sie dich so ansabbern mussten.“ Sie sieht mir in die Augen und ein Lächeln kämpft sich auf ihre vollen Lippen. „Pass' mir nur auf, dass du nicht heute schon einem Kerl das Herz brechen musst.“ Jetzt lächelt sie aufrichtig, während Tess mich noch immer anstarrt als sei ich ein faszinierendes Phänomen. Ich schaue auf die Uhr an der Wand und lege meinen Arm um Millys Schultern. „Wenn ihr euch nicht langsam auf den Weg macht, verpasst ihr eure eigene Zeremonie.“ Bessy macht große Augen, als ich meinen Kopf drehe und unter dem Halstuch mein Volljährigkeitstattoo hervor blitzt.

„Tut es weh, wenn sie es stechen?“, fragt sie und wird knallrot.

„Höllisch.“, antworte ich und schiebe sie beide vorwärts. „Und jetzt los!“
 

Ich finde meine Freunde im Meer der Stühle und versuche so wenig Lärm wie möglich zu machen, als ich mich hinsetze. Der Direktor hat gerade mit der Rede begonnen.

„Wo warst du?“, flüstert Grey, der eine Reihe weiter vorne neben Vico sitzt.

„Unterwegs in geheimer Mission.“, antworte ich, während mein Blick über die hunderten von Sitzreihen streift, die normalerweise an langen Tischreihen stehen. Ich sehe Milly, in einer der vordersten Reihen, sie lacht. Dann sehe ich meinen Dad und mir vergeht die gute Laune.

Er tuschelt leide mit einer der neuen Lehrerinnen, während der Rektor, gekleidet in einem Brokatgehrock, mit Zylinder auf dem schmalzigen Haar und mit Gehstock, in seiner Rede an die stets anhaltende Bedrohung durch die Retronen erinnert, die entschieden gegen unsere Technik und unsere Fortschritt sind. Die Lehrerin kichert hinter vorgehaltener Hand.

„Dieser schwanzgesteuerte Idiot.“, murmle ich wütend. Ako, die neben mir sitzt, folgt meinem Blick.

„Ist das nicht dein Dad?“, fragt sie mich leise. Ich nickte mit bitterem Gesichtsausdruck. Mit verschränkten Armen lehne ich mich in meinem Stuhl zurück und lausche halbherzig den Reden von Schülervertretung, Vertrauenslehrern und dem Bürgermeister, während meine Freunde sich flüsternd über die Redner lustig machen.

Nach den langen, meist langweiligen Reden, tritt der Rektor zurück auf die Bühne und rollt ein langes Pergament aus.

„Und nun bitte ich alle, die heute marktfähig werden und die ich nun aufrufe, einzeln auf die Bühne.“ Er beginnt in alphabetischer Reihenfolge bei A.

Vico streckt sich demonstrativ und schielt hinüber zu Ako links von mir. Es gefällt ihm nicht, aber ich bin überzeugt, wenn er einfach mit ihr über seine Gefühle reden würde, hätten die beide eine realistische Chance. Inzwischen ist sie allerdings meine beste Freundin und scheint mich interessanter zu finden als ihn.

Ich nestle an meiner Schweißerbrille und versuche meinen Vater auszublenden. Da höre ich ihren Namen.

„Dice, Millicent Amber.“ Meine Freunde und ich springen auf, klatschen lauter als der Rest und jubeln, während Milly schüchtern auf die Bühne schleicht. Ich sehe zu Vater hinüber. Er sieht zwar zur Bühne, dich er tuschelt noch immer mit der Lehrerin, die ihn neckisch anstößt. Ich habe das Bedürfnis, ihm eine zu verpassen.

Milly schüttelt dem Rektor die Hand, wir setzen uns wieder. Sie gesellt sich zu den anderen, bereits aufgerufenen, die jetzt gespannt darauf warten, ihre Tattoowierungen zubekommen. Keiner hat so einen lauten Beifall bekommen wie sie und sie sieht glücklich aus.

Nach der Zeremonie dürfen die frisch Marktfähigen in der Halle bleiben und feiern. Eigentlich müssen wir Oberklässler jetzt zurück in den Unterricht, aber ich lasse mir Zeit. Nym, Vico, Ako und Grey stellen sich zu mir an die Tür.

„Leute, geht ruhig schon mal vor.“, sage ich.

„Kommst du dann noch?“, fragt Ako. Ich setze eines meiner schiefen Grinsen auf.

„Mal sehen.“, antworte ich und schiebe sie raus. Ako macht ein Peace-Zeichen und sie verschwinden mit der Masse. Ich lehne mich direkt an die Wand neben der Tür, verschränke die Arme. Als mein Vater an mir vorbei gehen will, er tuschelt noch immer und sieht mich deshalb nicht, stoße ich mich von der Wand ab.

„Vater!“, sage ich betont deutlich, damit die Lehrerin versteht, was Sache ist. Sie ist eigentlich ganz hübsch, aber ihre Hüfte ist zu breit und ihr Haar zu dünn. Sie ist vielleicht ein paar Jahre älter als ich. Fakt ist, mein Vater ist nun mal verheiratet und hat seine Finger bei sich zu behalten.

Er ist alles andere als erfreut, mich zu sehen.

„Lass' uns später weiter reden, Felicitas. Wir sehen uns dann geich im Lehrerzimmer.“, sagt er mit einer ekelhaft schmeichelnden Stimme, dass mir die Galle hoch kommt. Felicitas lächelt mir schüchtern zu und nickt.

„Bis dann, Ray.“ Damit verschwindet sie und ich ziehe meinen Vater unsanft bei Seite.

„»Ray?«“, spucke ich angewidert aus. „Was bist du für ein Vater, dass du nicht einmal an der wichtigsten Zeremonie im Leben deiner eigenen Tochter deine Triebe vergessen kannst?“, fahre ich ihn wütend an. Ich sehe, dass er das Bedürfnis hat mich zu schlagen. Er tut es nicht. Nicht etwa wegen der vielen Menschen um uns herum. Ich bin größer und auch stärker als er.

„Fineas, was in aller Welt gibt dir das Recht so mit deinem eigenen Vater zu reden?“, bellt er, so laut, dass einige Leute um uns herum stehen bleiben und gucken. Sein Gesicht wird puterrot. Es beeindruckt mich nicht.

„Du sagtest einmal, hier in der Schule bist du nicht mehr mein Vater sondern nur Mr. Dice, der Geschichtslehrer.“, knurre ich leise. „Und ich bin sicher, dass Lehrer, die dazu noch Ehemann und Vater sind, ein gutes Vorbild sein sollten!“ Er tippt mir mit dem Finger auf die Brust. Obwohl die Luft um uns herum knistert, ist es nicht besonders furchteinflößend, wenn man sich überlegt, dass er fast den Kopf in den Nacken legen muss um mich anzusehen.

„Das ist nicht deine Angelegenheit. Glaube ja nicht, dass du mir vorschreiben kannst, wie ich mich zu benehmen habe! Ich bin ein erwachsener Mann!“ Ich lache bitter und schiebe seinen Finger von meiner Brust.

„Dann solltest du dich auch entsprechend benehmen.“, knurre ich und lasse ihn stehen. Inzwischen bin ich so wütend auf ihn, dass ich zittere. Die letzte Unterrichtsstunde spare ich mir und gehe stattdessen hinaus um eine Zigarette zu rauchen.

Als ich mich etwas beruhigt habe, überlege ich mir nach Milly zu suchen. Ich stapfe zurück in die große Pausenhalle, wo nun zehn Tattoowierer die frisch auf den Markt gepurzelten versorgen. Milly steht etwas abseits und sieht mich, als ich durch die Tür komme. Mit einem breiten Grinsen läuft sie auf mich zu, ich lächle und nehme sie stolz inden Arm.

„Und?“, frage ich und suche nach der Tattoowierung. „Wo hast du sie?“ Sie hält mir ihr linkes Handgelenk entgegen, das mit Folie eingewickelt ist. Unter dem durchsichtigen Material prangt nun das verschnörkelte, noch etwas blutige Symbol der Volljährigkeit, das ich auch ich trage.

„Es hat höllisch wehgetan.“, sagte sie stolz. „Patricia Burton ist sogar ohnmächtig geworden und Leslie Morrows hat geschrien.“ Ich lache.

„Und du warst natürlich archaisch.“, sage ich grinsend. Sie nickt.

„Keinen Ton habe ich gemacht.“ Ich streiche ihr über den Nacken. Sie umarmt mich und sieht über die Schulter. „Beth ist auch gleich dran.“ Beth. So heißt ihre beste Freundin. „Ich glaube, sie ist voll verknallt in dich.“ Ich ziehe eine Augenbraue hoch.

„Sie kennt mich doch gar nicht.“ Milly schnaubt, als hätte ich etwas absolut lächerliches gesagt.

„So viel wie sie immer von mir über dich wissen will, könnte sie ein Buch über dich schreiben.“ Jetzt ziehe ich noch die andere Augenbraue hoch.

„Gut zu wissen, wie du die Privatsphäre deines Bruder wahrst, Millicent.“ Jetzt lacht sie und ich merke, dass sie richtig glücklich ist. Wahrscheinlich hat sie nicht mal gesehen, dass Dad besseres zu tun hatte, als ihr zuzusehen und ich werde es ihr sicher nicht sagen. Ich drücke sie noch einmal an mich.

„Ich hoffe, du hast einen schönen Tag.“, sage ich und meine es so. „Wenn ich heute Abend von der Arbeit komme, können wir ein paar Pfannkuchen essen gehen, wenn du willst.“ Sie rollt die Augen, aber sie lächelt dabei.

„Ich bin nicht Meredith, Fin. Pfannkuchen mag ich schon lange nicht mehr.“ Sie wendet sich ab und geht zurück, wo Beth grade mit Folie versorgt wird. „Außerdem gehe ich heute mit Beth und ein paar anderen weg.“ Ich grinse zum Abschied und kann es mir nicht nehmen lassen, Beth zuzuzwinkern. Sie wird knallrot.

Mit den Händen in den Hosentaschen stapfe ich zurück zu meinem Hoverbike, um dort auf Grey zu warten.



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