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Alaska

von

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Langeweile…

„Habt ihr das schon gelesen?“ Janes Vater hielt ein paar Tage später beim Frühstück eine Zeitung in die Mitte des Tisches, so dass es jeder lesen konnte. Es war selten dass die ganze Familie mal zusammen am Frühstückstisch saß.

„‘Erdbeben der Stärke 7,1 in der Provinz Yunnan, Republik China, schätzungsweise 4.000 Tote, hunderte Menschen noch immer vermisst‘.“, zitierte Jane unbeeindruckt, woraufhin ihre Mitter Lachen musste.

„Jane, ich glaube dein Vater meint nicht die Schlagzeile.“

„Ups…“, kicherte Jane und las einen etwas kleineren Bericht unter der Schlagzeile. „‚Denkmal für Balto soll im New Yorker Central Park erbaut werden‘. Und?“

„Und? Ich finde das ist doch eine gute Idee“, entgegnete Janes Mutter „Es gibt doch so viele Denkmale von irgendwelchen großen Herren, warum also nicht mal eines für einen Hund, der mindestens ebenso viel Mut bewiesen hat?“

„Ach Mutter, ich finde das nicht gerecht. Balto war nicht der einzige Hund in dem Gespann, zudem ist er im Grunde auch nur den kürzesten Weg gelaufen. Die andere Hunde sind den ganzen Weg nach Nenana und wieder zurück gerannt, Balto hat sich denen nur irgendwo auf dem Rückweg angeschlossen.“, erklärte Jane.

„Seit wann kennst DU dich so gut mit solchem Schlittenhundzeugs aus?“, fragte ihr Vater amüsiert.

„Ach bitte, über die ganze Sache wurde doch ewig in der Zeitung berichtet. Sogar in den Zentralstaaten kennen die inzwischen die Geschichte.“

„Na wenn du meinst… Aber musst du nicht zur Schule?“

„Ja, aber ich hab noch genug Zeit… Ich hol mal schnell Futter für Kaskae.“ Jane stand auf und begann etwas von dem Robbenfleisch, welches sie draußen, in einem kleinen Behälter, auf dem Fensterbrett lagerten, auf dem Ofen aufzutauen um es dann Kaskae zu geben.

Sie nahm die Schüssel mit dem lauwarmen Futter und schulterte im Gang ihren Mantel.

„Auf Wiedersehen!“, verabschiedete sie sich von ihren Eltern und verließ das Haus. Draußen stand Kaskae bereits erwartungsvoll vor der Tür und blickte ihr Frauchen aus ihren großen, braunen Knopfaugen an.

„Ja hallo du Unschuldslamm“, begrüßte Jane sie und stellte ihr die Schüssel hin „Weißt du was, morgen ist Wochenende, da werden wir beide einen richtig schönen, langen Spaziergang machen, okay? Es gibt hier bestimmt eine zugefrorene Fläche und dort wirst du mich ein bisschen durch die Gegend ziehen, ja? Wie damals, in Ketchikan…“ Sie musste bei dem Gedanken daran unwillkürlich lachen. Ach ja, das war eine witzige Sache…

Seit etwa einem halben Jahr lebte Kaskae nun schon bei ihrer neuen Familie und nun war es wieder Winter.

Kaskae hatte sich bisher anständig benommen und kaum Tadel erhalten, was auch gut so war, sie wollte schließlich einen guten Eindruck hinterlassen und nicht eines Tages auf der Straße landen… Oder noch schlimmer: Wieder in diesem Zwinger.

Und das allerletzte was sie wollte war je wieder einen Schlitten oder ein Geschirr zu Gesicht bekommen, NIE MEHR!

„Miss Morris“ Jane kam mit Kaskae im Schlepptau in die Küche des Hauses gelaufen und setzte ihr bestes Unschuldslächeln auf „Darf ich mit Kaskae spazieren gehen?“

„Oh, frag einfach deine Eltern und…“ Miss Morris, die gerade am Herd stand, stockte „Was hat denn der Hund hier zu suchen? Du weißt dass ich sie nicht in der Küche haben will! Ich mache gerade Abendessen!“

Jane schluckte und schob Kaskae rückwärts aus der Küche heraus. „Entschuldigen sie Miss Morris, ich wollte nicht…“

„Ist schon gut! Ich erlaube es dir, aber sei pünktlich um sechs wieder da, ja? Deine Eltern erwarten heute Besuch von irgendwelchen hoch angesehenen Wissenschaftlern und sie möchten dich auf jeden Fall dabei haben. Darum sei am besten noch eine viertel Stunde vor sechs da, dann kannst du dich noch hübsch machen, immerhin soll dem Besuch deiner Eltern doch ein guter Eindruck hinterlassen werden. Und geh bloß nicht in das Viertel der Stadt, welches deine Eltern dir verboten haben! Dort laufen zu viele seltsame Gestalten rum. Das ist nichts für eine junge Dame wie dich!“, bläute Miss Morris ihr ein.

„Ich weiß, Miss. Natürlich werde ich da nicht hin gehen und selbst wenn, ich hab ja einen großen Hund dabei, allein bei ihren Anblick machen die Leute einen Bogen um mich.“, meinte Jane halb ernst, halb spaßend.

„Das will ich hoffen, immerhin haben deine Eltern dir diesen Hund geschenkt, damit er zumindest einen kleinen Nutzen hat…“

„Als Wachhund eignet sie sich schon mal nicht…“, meinte Jane kichernd und holte sich aus der Garderobe Kaskaes Leine.

„Oh ja! Die schlägt wirklich bei nichts Alarm. Na ja, ich sage deinen Eltern jedenfalls dass du mit Kaskae spazieren bist. Aber sei pünktlich wieder zu Hause!“

„Okay… Tschüss!“

Jane schloss die Tür hinter sich und bog dann auf die Hauptstraße Ketchikans ein.

In den letzten Jahren war die Bevölkerung hier stark gewachsen und ihr Vater sagte immer, er sei sich sicher dass in ein paar Jahren doppelt so viele Menschen hier leben würden. Okay, in dem Punkt war Jane sich nicht sicher, aber sie konnte sich gut vorstellen dass Alaska neue Anhänger finden würde.

Es gab hier viel Gold, Öl und die Fischerei boomte.

Natürlich, es war doch kälter als in den anderen Staaten, aber ein Winter in Virginias Bergen war genauso hart.

Und hier an der Küste gingen die Temperaturen auch nicht so ganz in den Keller… Nur ganz im Norden, wo es arktisch wurde, da fror es an der Küste ein.

Und Jane musste zugeben dass dieser Winter wirklich extrem war, vor allem für hier. Vor ein paar Tagen erst war sogar der Hafen zugefroren.

Aber nun wollte sie erst mal mit Kaskae spazieren gehen.

Jane war stolz auf Kaskae, sie fühlte sich mit dieser Hündin an der Seite immer stärker als sie eigentlich war. Einfach weil allein der Anblick dieser Hündin einer Menge Leuten Respekt einflößte. Jane verstand das jedoch nicht, für sie war Kaskae mehr wie ein riesiger Teddybär.

Zudem war Kaskae ein toller Hund und Jane hatte ihren Kauf nie bereut. Dabei war es purer Zufall gewesen dass sie sie überhaupt gesehen hatte. Hätte Kaskae damals nicht gebellt wäre Jane nie auf sie aufmerksam geworden.

Doch in diesem Moment wurde Jane aus ihren Gedanken gerissen, da Kaskae plötzlich heftig an der Leine zog und schwanzwedelnd zur Metzgerei sah, die um die nächste Ecke lag.

„Nein! Aus, aus! Kaskae, nein!“, wand Jane energisch ein. Irgendwas war an einem Punkt in Kaskaes Erziehung mächtig schief gelaufen. Sie gehorchte meist und war auch keineswegs aggressiv oder zerstörerisch, aber sie hatte, wenn es um ihren Willen ging, einen großen Sturkopf.

„Nein, nein, nein, komm jetzt.“, befahl Jane und zerrte den Hund mit aller Kraft in eine andere Richtung, was nicht einfach war, immerhin hingen da gut dreißig Kilo Hund an der Leine.

Missmutig gab Kaskae den Kampf gegen Jane schließlich auf und folgte ihr einen Pfad entlang, der hinunter zum Hafen und dem Meer führte.

Doch dieser Winter war so bitterkalt dass sogar das Ufer zugefroren war und die Hafenarbeiter den Hafen jeden Morgen mit Hämmern von dem Eis befreien mussten.

Das restliche Ufer fror nach und nach jedoch zu, man hielt nur den Hafen für Schiffe frei.

Als Jane den Pfad weiterlief und den Ort hinter sich ließ, hielt sie kurz an und ließ den Blick über das Meer schweifen. Sie setzte sich ans  Ufer und seufzte. Ihre Eltern hatten manchmal einfach zu wenig Zeit für sie, zumindest kam ihr das so vor. Wann waren die denn mal zu Hause? Ja, sie waren natürlich mal da, aber sehr unregelmäßig.

Jane wurde jedoch wieder aus ihren Gedanken gerissen, als Kaskae an ihrer Leine herumzerrte und hechelnd in die Ferne sah.

„So mein Mädchen, jetzt darfst du.“ Jane löste die Leine vom Halsband und ehe sie sich versah rannte Kaskae bereits den Strand entlang.

Eine Zeit lang saß sie einfach nur am Ufer und sah Kaskae dabei zu wie sie neugierig am Strand entlangrannte und an jedem Felsen anhielt nur um daran zu schnüffeln und dann wieder weiterlief.

Nur sie wieder einzufangen würde sich als etwas schwierig erweisen. Kaskae einzufangen war wie fangen spielen und Jane zog meistens den Kürzeren ziehen.

Dazu kam noch, dass Jane heute sowieso unter Zeitdruck stand, da sie allerspätestens um sechs Uhr wieder zu Hause seien musste. Hm, vielleicht sollte sie Kaskae jetzt wieder einfangen und dann gleich nach Hause gehen.

„Mädchen! Kaskae, komm her, bei Fuß“, rief Jane über den gesamten Strand, doch Kaskae sah sich nicht mal nach ihrem Frauchen um „Kaskae! Komm her“, rief Jane nochmals, jedoch wieder ohne Erfolg „Na warte, dann komm ich eben…“, murrte sie und lief mit der Leine in der Hand auf Kaskae zu.

Doch als sie kurz davor war sie zu erreichen, nahm die Hündin wieder Reißaus und rannte freudig bellend weiter.

Na toll, und da begann wieder dieses Katz-und-Maus-Spiel.

Jane machte noch ein paar Anläufe Kaskae zu fangen, doch sie gab schließlich auf. Jedoch nicht ohne einen Joker…

„Heeey… Was ist denn das?“ Jane wand Kaskae den Rücken zu, sprach jedoch noch laut genug dass der ganze Strand sie hätte hören können. Sie beugte sich über irgendetwas und tat ganz interessiert um in Kaskae Neugierde zu wecken und sie in ihre Nähe zu locken. Es war ein Trick, zu dem ihr Vater ihr geraten hatte. Sie solle so tun als ob sie etwas ganz tolles gefunden habe und wenn Kaskae dann glaubte dort wäre wirklich etwas Interessantes und nah genug war, dann solle Jane sich einfach auf sie werfen. Bisher hatte das immer gut geklappt.

Und so schein es auch dieses Mal.

Kaskae kam tatsächlich langsam  von hinten auf ihr Frauchen zu geschlichen um zu sehen was es da denn so tolles gab. Dass sie auf diesen Trick schon dutzende Male hereingefallen war, schien sie zu ignorieren.

„Nun zeig schon, was ist da?“, fragte Kaskae sich halblaut und stupste Janes Bein zur Seite.

„HAB ICH DICH!“ Jane schmiss sich regelrecht auf Kaskae und schlang die Arme um sie „Keine Bewegung mehr! Wir müssen jetzt nach Hause, klar? Ich hab mindestens schon zehn Minuten damit vergeudet dir hinterher zu rennen.“

Kaskae stöhnte auf. Sie war schon wieder hierauf hereingefallen! Wie konnte sie nur so blöd sein? Aber sie wollte noch nicht nach Hause gehen! Sie wollte weiter rennen egal was Jane ihr sagte! Hm… Das würde sie auch… Und zwar jeden Moment.

„So! Ha, jetzt hab ich dich wieder an der Leine.“, meinte Jane und wollte eigentlich den Pfad hoch in die Stadt laufen, doch plötzlich wurde sie zur Seite gerissen, dass sie beinahe den Halt verloren hätte.

„Kaskae! Aus! Bleib stehen du störrischer Esel!“, rief Jane, doch es half nicht wirklich.

Kaskae rannte einfach los, ohne überhaupt darauf zu achten, dass sie Jane am anderen Ende der Leien mit sich zog.

Kaskae hörte auf nicht auf deren Rufen oder die Tatsache dass ihr Halsband ihr gerade ein wenig die Luftröhre quetschte, sie rannte einfach zum puren Vergnügen. Um ganz genau zu sein, so lief sie auf das Meer zu und rannte dort über das Eis, welches sich an der Küste gebildet hatte.

Jane hatte sich inzwischen wieder auf die Beine gerungen, doch Kaskae zog sie über das Eis, als wäre sie nichts. Das hier erinnerte sie ein bisschen an Wasserskifahren oder Skifahren… Nur dass ein Hudn sie gerade über Eis zog.

Vielleicht machte sie das weil sie ja zum Schlittenhund ausgebildet wurde, dachte Jane sich und verlagerte ihr Gewicht nach hinten, doch Kaskae stoppte immenroch nicht. Dieser Hund schien eine solche Kraft in sich zu haben, dass sie einfach nicht anhielt, egal wie stark Jane sich auch dagegen wehrte.

Doch um ganz ehrlich zu sein… Es machte Spaß. Ja, es machte wirklich Spaß sich einfach nur an die Leine zu hängen und sich von Kaskae ziehen zu lassen.

Jane vergas einen Moment sogar, dass sie heute überpünktlich sein musste – Aber eben nur einen Moment.

„Kaskae! Halt an! Stopp, halt! AUS!“

Es klappte – Der Hund hielt an… Und Jane knallte in sie herein.

Und jetzt lagen sei beide am Boden.

„Oh Mann! Du blöder Hund, komm her“, seufzte Jane und stand auf, während sie sich den Hintern rieb „Meine Eltern bringen mich um wenn ich zu spät bin, komm endlich. Es geht heute um irgendwelche Wissenschaftskollegen, was ganz wichtiges. Komm jetzt.“

Kaskae hörte an Janes Stimme und sah an ihrer Körperhaltung, dass ihr Frauchen wütend war. Eigentlich hatte Kaskae sogar ein ziemlich mieses Gewissen. Sie wollte doch niemanden wütend machen, wirklich… Sie wollte nur Spaß haben.

„Aber weißt du was? Wir werden das, was wir gerade gemacht haben unbedingt irgendwann mal wiederholen“, meinte Jane als sie schließlich vor ihrem Haus ankamen „Und du geh in deine Hundehütte, ich mach mich jetzt fertig, ich will schließlich keinen Ärger.“

„Also dann, tschüss Kaskae.“, verabschiedete Jane sich und schloss das Tor hinter sich.

Kaskae war jedoch noch zu sehr mit ihrem Frühstück beschäftigt.
 

„Oh Mann, mir ist so langweilig…“, stöhnte Kaskae angeödet und starrte stur geradeaus. Janes Eltern waren gerade eben gegangen und Miss Morris hatte ihr ihr Mittagessen auch schon verfrüht gegeben. Das hieß für die nächsten sechs Stunden pure Langeweile.

Zwar war sie ein wenig durch den Schnee getobt, doch mit der Zeit wurde sogar das wirklich langweilig. Also blieb ihr nichts anderes übrig als sich ständig von einer Seite zur anderen zu rollen, aufzustehen, sich den Schnee wieder aus dem Fell zu schütteln und sich dann wieder umher zu rollen – Es gab sonst einfach nichts zu tun.

„Hey Kaskae, was machst du da?“

Steele stand verwundert am Zaun und sah Kaskae verwirrt dabei zu, wie sie sich im Schnee wälzte.

„Ääääh, gar nichts!“ Eilig rappelte sie sich wieder auf  und schüttelte sich schnell den Schnee aus dem Fell.

„Sah für mich aber anders aus.“, meinte Steele mit einem sarkastischen Grinsen.

„Äh, Steele, was willst du?“, fragte Kaskae um von dem Thema abzulenken.

„Eigentlich bin ich nur hier entlanggelaufen und dann hab ich dich hier dieses Zeugs machen sehen.“, antwortete er.

„Und das soll ich dir glauben? “, fragte Kaskae unbeeindruckt „Als ob du hier zufällig vorbeigekommen wärst. Ich bin nicht blöd.Wer kommt hier schon vorbei, das hier ist viel zu weit abgelegen von der Stadt. Also komm schon, was willst du von mir?“

„Uh, na blöd bist du zumindest nicht… Hätte ich auch nicht von dir erwartet.“ Steele grinste diebisch.

„Das hoff‘ ich auch für dich“ Kaskae rappelte sich auf und lief auf den Zaun zu „Danke übrigens dass du mir vor ein paar Tagen geholfen hast das Tor aufzubekommen. Ohne dich wäre ich richtig schlimm dran gewesen, weißt du das eigentlich?“

„Pfff, überhaupt kein Problem.“, meinte Steele mit einem selbstgefälligen Grinsen.

„Ähm, du, ich hab dich vor ein paar Wochen ja bei diesem Trainings-ding gesehen… Keine Ahnung, warst du das?“

„Es nennt sich Trainingsplatz.“, korrigierte Steele sie.

„Ja, was auch immer! Also, warst du das? Ich bin mir nicht ganz sicher, ist jetzt schon ‘ne Weile her und du bist nicht der einzige schwarzweiße Hund hier.“

„Ja, ich glaube das war ich. Ich hab dich auch gesehen… Was da eigentlich los mit dir?“

„Oh… äh…“ Kaskae erinnerte sich nur zu gut an diese extrem peinliche Situation und eigentlich hatte sie gehofft dass Jeder diesen kleinen Zwischenfall vergessen hatte – Anscheinend schien dem nicht so „Also… Ich hab mich erschrocken, das war alles.“

„Vor was denn? Es gab doch keinen Startschuss oder so.“, meinte Steele verwundert.

„Äh… Na ja, ich mag Schlitten nicht so… Oder Geschirre… Oder Musher… Oder so ziemlich alles was damit zu tun hat.“, antwortete sie verlegen und spürte wie ihr das Blut in den Kopf stieg – Ein Glück können Hunde nicht rot werden.

„Äh…“

„Frag nicht! Sagen wir mal ich hatte ‘ne schwere Kindheit“, unterbrach Kaskae Steele, noch bevor er etwas sagen konnte „Aber was willst du denn nun von mir?“

Steele schüttelte sich schnell, dann meinte er: „Eigentlich wollte ich dich fragen ob du noch was vorhast, aber da du nur hier rumstehst deute ich das mal als nein, nicht?“

„Steele! Ich sag’s dir gerne noch mal“, murrte Kaskae genervt „Ich DARF mich nicht einfach mal so, wann ich gerade Lust habe, von zu Hause entfernen und ein paar Stunden leichten Herzens durch die Gegend streunen. Da draußen lauern Wölfe und Eisbären und weiß die Hölle was und zudem erlauben meine Herrchen das nicht, ich würde wirklich Ärger bekommen wenn ich das tun würde.“

„Ach komm schon, die haben doch nicht ununterbrochen im Visier, oder? Und soviel ich weiß ist nur die alte Dame zu Hause, ist es nicht so?“, meinte Steele. Er würde alles versuchen um Kaskae davon überzeugen zu können mit ihm zu gehen.

„Ja, schon, aber… Hey! Woher weißt du das?“, fuhr Kaskae ihn an.

„So was spricht sich zwischen den Menschen um und was die wissen, wissen wir schon lange.“, antwortete Steele schnell.

„Oh… Aber trotzdem, Miss Morris ist ja nicht blöd, die merkt doch dass ich weg bin.“

„Ach wirklich? Und warum sollte sie das merken?“

Kaskae sah Steele genervt, gewissermaßen auch unsicher, durch den Zaun an.

„Nun komm schon? Langweilst du dich nicht furchtbar? Ich mein das ernst, überall ist es spannender als hier. Ich meine du bist allein auf diesem Grundstück, die alte Dame ist nicht bei dir, alle Anderen sind über alle Berge… natürlich langweilt man sich da. Nun komm, sag schon ja, du wirst schon nicht zu spät kommen.“

Kaskae sah ein paar Sekunden nachdenklich zu Boden, doch dann lächelte sie plötzlich. Steele hatte Recht! Warum zur Hölle sollte sie hier angeödet ihre Tage verbringen, wenn es da draußen Zeuges gab, was spanender war? Na gut, ALLES war spannender als das hier, aber Steele hatte recht.

„Okay, aber nur wenn wir wirklich pünktlich wieder da sind“, bläute sie ihm ein und lief zum Tor „Komm, mach’s auf, du scheinst ja zu wissen wie das geht.“

Selbstzufrieden stellte Steele sich auf die Hinterbeine und schob den Riegel mit der Schnauze vor, dann drückte er die Klinke hinunter. Zum Glück war das Schloss einfach zu öffnen.

„So, geht doch.“ Steele wollte ihr gerade das Tor aufhalten, als Kaskae es jedoch nur mit einer plumpen Pfotenbewegung aufstieß und es Steele um ein Haar in die Schnauze geknallt hätte.

„Oh, sorry, war keine Absicht!“, meinte sie und lächelte unschuldig.

„Schon gut.“, murrte Steele mit zusammengebissenen Zähnen und holte Kaskae schnell ein.

„Okay, und was wollen wir nun machen?“

„Was immer du willst“, gab Steele zur Antwort „Hübsches Halsband, übrigens.“

„Hmm… Oh, ja, danke. Äh, sag mal, können wir zu dir“, fragte sie „Also nur wenn du keinen Ärger von deinen Herrchen bekommst.“, fügte sie jedoch noch schnell hinzu.

„Äh… Meinetwegen, da bekomme ich eigentlich keinen Ärger…“ Etwas verwirrt zuckte Steele mit den Schultern und deutete in Richtung Nome „Wir wohnen auf der anderen Seite.“ Noch nie hatte ihn eine Hündin ihn gefragt ob sie zu ihm könnten, was das anging waren sie ihm eigentlich nur sabbernd und herzlich hirnlos hinterhergedackelt und sagten zu allem was er meinte ‚ja und amen‘. Er hätte mit denen sogar auf die Müllhalde gehen können und sie hätten eingewilligt.

„Äh, Kaskae, wenn wir davon schon reden, könnten wir vielleicht einen kleinen Umweg an der Küste entlang machen?“, fragte Steele plötzlich. Er wollte nicht gerade jetzt, wo er Kaskae an der Angel hatte, sich alles durch die anderen Hunde ruinieren lassen. Die würden… stören.

„Ach nee, warum denn?“, wand Kaskae ein. Sie wollte keine Umwege machen, bitte!

„Der Weg ist besser weil… Ich mag den Metzger im Ort nicht wirklich, der Typ mag generell keine Hunde… glaub mir, bei dem stellen sich dir die Haare auf.“, log Steele schnell.

„Der Metzger?“ Überrascht sah Kaskae zu Steele „Ich war mit meinem Frauchen vor ein paar Tagen dort… Der war ziemlich nett, der hat mir sogar ein Stück Fleisch gegeben.“

„War das der Alte oder der Junge?“

„Der Junge…“

„Ja, das dachte ich mir. Der Alte kann keine Hunde ausstehen, also kommst du jetzt?“ Steele deutete auf einen kleinen Weg, der um Nome herumführte, an der Küste entlang.

„Äh… Na ich weiß nicht, können wir nicht einfach nur ‘nen Bogen um die Metzgerei machen?“

„Oh nein, glaub mir… Es ist besser so.“

„Na meinetwegen…“ Genervt folgte Kaskae Steele, doch als sie erst einmal das Meer sah und den salzigen Geruch in der Nase hatte, schien sie ihm verziehen zu haben.

„Wow, ich hab fast vergessen wie schön das Meer ist… Das Eis schmilzt langsam, nicht? Das letzte Mal als ich hier war, war da noch überall Packeis.“

„Nun ja, Anfang Mai sind hier tatsächlich mal Plusgrade. Aber bis dahin sind es noch zwei Monate und… Hey, wir sind da.“

Kaskae sah auf und ihr Blick fiel auf ein Haus, welches nur ein paar Meter von der Küste entfernt war. Es hatte eine weiße Holzverkleidung, einen kleinen Schuppen, eine hübsche Veranda und sah ansonsten nicht viel anders aus als alle anderen Häuser sonst auch. Aber es sah ganz nett aus und es hatte keinen nervigen Zaun – Mann, hatte Steele es gut.

„So, da sind wir, und nun?“, fragte er gelangweilt.

„Jetzt… schau ich mich um. Ich war seit ich hier bin und das ist fast ‘nen Monat, noch nie jemanden anderem zu Hause. Habt ihr auch ein Hausmädchen oder so?“

„Äh… nein… Darum kümmert sich die Frau meines Besitzers.“

„Hm? Muss die denn nicht arbeiten oder so?“, fragte Kaskae verwundert und betrachtete das Haus genauer.

„Ähhh… Nein… Die kümmert sich eben um den Haushalt und so… Ach, nichts wirklich besonderes.“

„Das heißt dein Herrchen arbeitet ganz allein?“, fragte Kaskae verwundert.

„Na ja, nicht ganz allein, in der Goldmiene arbeiten noch andere Männer. Aber warum interessiert dich so was so sehr? Nicht mal mich selber interessiert das.“, gab Steele zu.

„Ach, pure Neugierde“, antwortete Kaskae lächelnd „Wo schläfst du eigentlich?“

„Na drinnen.“

Mit großen Augen sah Kaskae zu ihm und sah ihn bewundernd an – Lange war‘s her dass jemand ‚bewundernd‘ zu Steele gesehen hatte.

„Du darfst wirklich im Haus schlafen? Etwa auch noch hinterm Ofen?“, fragte Kaskae aufgeregt.

„Natürlich, du etwa nicht?“

„Nein, ich darf das nur wenn ich krank bin oder wenn Jane mich Abends mal mit in ihr Zimmer schmuggelt. Und Tagsüber darf ich auch in das Haus, aber das passiert meist nur wenn Jane anwesend ist – Und das auch nur bis zum Abendessen.“, erklärte Kaskae.

„Oh… Findest du das nicht alles zu streng?“

„Hm, ich bin so erzogen worden, ich kenn’s nicht anders und…“

„Hundis!“

Kaskae und Steele fuhren herum, als sie plötzlich eine quietschige Stimme hörten und ein kleines, blondes Mädchen, nicht älter als drei, vier Jahre, auf Steele zugestürmt kam. Sie trug eine dicke Jacke und war zudem in einen Schal, Mütze, Handschuhe und Stiefelchen gehüllt.

„Hallo Steele.“, begrüßte die Kleine Steele und umarmte den großen Hund innig, was Kaskae ein breites Grinsen entlockte.

„Oh, wie süß, wer ist das?“, fragte sie kichernd, als sie Steeles gequältes Gesicht sah. Verdammt, dabei hatte er genau DAS versucht zu verhindern.

„Melanie… Sie ist die Tochter meiner Besitzer…“, gab Steele nun kleinlaut zu. DAS war der mit Abstand peinlichste Moment seines Lebens. Noch nie hatte er sich vor einer Hündin so sehr blamiert.

„Oh, die ist ja niedlich.“, kicherte Kaskae begeistert, doch in dem Moment kam eine Frau durch den Schnee gestampft und erlöste Steele von Melanie.

„Melanie, ich sagte doch du sollst nicht immer so auf Steele zu rennen, er mag das nicht.“, ermahnte die Frau das Mädchen und sah dann verwundert zu Kaskae „Nanu, wer bist du denn? Dich kenn‘ ich gar nicht…“

Kaskae legte den Kopf schief und setzte ihren besten Hundeblick auf – Das klappte eigentlich immer… Auch diesmal.

„Oh, na du Süße? Na warte mal, ich glaub ich hab da was für dich.“, meinte die Frau und lief schnell ins Haus.

„Du… du hast es geschafft sie nur mit deinem Blick weich zu klopfen… Bei mir klappt das nie.“ Steele sah erstaunt zu Kaskae, doch die grinste nur und warf triumphal den Kopf zur Seite.

„Du hast ja auch blaue Augen – Natürlich klappt das nicht. Durch die blauen Augen bekommst diesen Knopfaugeneffekt nicht hin, dein Blick wirkt zu kalt. Es würde vielleicht klappen wenn es dunkler wäre, dann würde deine Pupille sich weiten und dadurch würden deine Augen dann dunkler wirken.“, erklärte Kaskae und war einen Moment über sich selbst erstaunt – Seit wann beherrschte sie eine solche Wortgewandtheit?

Auch Steele blickte sie merklich verdutzt an.

„Woher weißt du so was?“

„Hm… Liegt wohl daran dass meine Herrchen Wissenschaftler sind… Ich hab mal gehört wie sie letztes Jahr über Augen geredet haben… Das meiste von dem Geschwafel hab ich vergessen, aber an das mit der Pupille erinnere ich mich noch.“

Steele wusste tatsächlich nicht genau was er darauf erwidern sollte, aber glücklicherweise streckte seine Besitzerin in diesem Moment den Kopf aus dem Fenster und rief ihn zum Essen herein.

„Du kannst mitkommen wenn du willst.“, meinte er an Kaskae gewandt.

„Äh… ich hab zwar schon, aber wenn ich darf komm ich trotzdem mit.“, meinte sie. Sie musste zugeben dass sie neugierig war, wie es wohl da drin aussah. Bisher war das einzige Haus was sie von innen gesehen hatte, das ihrer Besitzer gewesen.

Steele lief mit schnellen Schritten durch die Haustür, doch Kaskae musste zugeben dass sie doch etwas unsicher war. Sie wollte keinesfalls Ärger bekommen, aber neugierig war sie auch… Und zwar sehr.

Also folgte sie ihm.

„Wow, nett hab ihr’s hier.“, meinte sie und sah sich zwischen all den Trophäen und Auszeichnungen, die im Wohnzimmer auf einem Regal standen, um. Steele musste ja ziemlich erfolgreich sein… Bei den Preisen…

„Na hallo Süße, du schon wieder“, Melanies Mutter ging vor Kaskae in die Knie und sah beeindruckt auf ihr Halsband „Wow… Schick…“ Sie nahm den kleinen Anhänger zwischen die Finger und las „Kaskae? Hm, noch nie gehört. Aber du findest schon wieder nach Hause, nicht?“

Sie stand auf und verschwand dann in der Küche, doch nur ein paar Sekunden später ertönte nochmals eine Stimme.

„Hallo Melanie!“

Kaskae sah sich um als sie eine weitere kindliche Stimme hinter sich hörte und sah nachdenklich zu dem kleinen Mädchen mit dem braunen Pferdeschwanz. Irgendwo hatte sie es schon mal gesehen, ganz sicher…

„Hallo Rosie, hallo Jack! Schön dass ihr hier seid, ich bin so froh dass Melanie zu euch kann, während wir den Schrank mit  Möbelpolitur behandeln.“, begrüßte Melanies Mutter Rosie und ihren Vater.

„Ach, kein Problem. Aber wie ich sehe habt ihr ‘nen neuen Hund gekauft… Wow, hübsches Mädchen.“

Rosies Vater beugte sich zu Kaskae herunter, welche ihn nur verwirrt anstarrte.

Von was redete der Mann da?

„Daddy, ich kenn den Hund“ Rosie sah grinsend zu ihrem Vater hoch „Das ist Kaskae, die gehört doch diesem neuen Mädchen was wir mal beim Einkaufen getroffen haben, weißt du noch?“

„Ach ja, genau! Jane hieß sie… Die hat ihren Hund aber schnell zum Verkauf gegeben... Na ja, ist besser so, immerhin ist dieser Malamute der geborene Schlittenhund, schau sie dir mal an Rosie. Sie nicht vor einen Schlitten zu spannen wäre beinahe schon eine Verschwendung. Hübsches Halsband übrigens.“

Kaskae starrte ihn immer noch völlig verwirrt an. Im Ernst, was redete er da?

„Ach was! Nein, das ist nur eine von Steeles Freundinnen“, gab Melanies Mutter zur Antwort und streckte kichernd den Kopf aus der Küche „Wir haben schon zwei Kinder und einen preisgekrönten Hund, wozu noch einen Zweiten?“

Wie auf’s Stichwort kam in diesem Moment Steele zwischen ihren Beinen zum Vorschein und zwängte sich an ihr vorbei zu Kaskae – Sie sollte bitte nicht zu viele Details wissen was das Wort ‚Freundinnen‘ anging.

„Ach, das ist gar nicht euer Hund…“, wiederholte Rosies Vater.

„Na komm, gehen wir lieber nach draußen, hier drin wird’s mir langsam zu voll…“, schlug Steele vor und eigentlich wollten er und Kaskae tatsächlich jeden Moment gehen, doch diese spürte plötzlich eine Hand an ihrem Halsband und blieb wie erstarrt stehen. Rosies Vater hatte sie geschnappt.

„Nana, komm her, ich will dich doch nicht entkommen lassen. Ich weiß doch dass du nach Hause gehörst, bestimmt macht sich da jemand schon Sorgen um doch. Du darfst doch sonst nicht allein raus.“

Woher weiß DER das?!, schoss es Kaskae durch den Kopf Vielleicht hat Miss Morris so was mal beim Einkaufen oder so erzählt, wäre ja möglich, die erzählt doch immer von Gott und der Welt, die alte Tratschtante.  Kaskae sah hilflos zu Steele, doch auch der konnte nun nichts mehr unternehmen – Denn jetzt war Kaskae in der Gewalt eines Menschen und die waren so gut wie übermächtig.

Wenn sie erst mal zu Hause war würde sie Ärger bekommen – Und das nicht zu wenig.



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