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Sonne, Mond und Sterne

Löwenherz Chroniken III-0
von

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Im Labor

Er war nie zuvor in einem Labor gewesen. Deswegen war er von den vielen Computern, auf denen unentwegt etwas berechnet zu werden schien, absolut fasziniert. Genau wie von den Käfigen, in denen sich die unterschiedlichsten Tiere befanden, oder auch die mannshohen Kapseln, in denen manchmal gar nichts war, hin und wieder aber auch blubbernde Flüssigkeiten, in denen etwas schwebte, das er nicht erkennen konnte, ihn allerdings an Organe erinnerte. Aus Neugierde blieb er immer wieder stehen, um es genauer mustern zu können. Vermutlich war dies auch schuld daran, dass er plötzlich einen stechenden Schmerz in seinem Kopf spürte, ehe alles schwarz wurde.

Deswegen achtete er beim zweiten Versuch darauf, nicht zu viel Zeit mit seiner Faszination zu verbringen. Er ignorierte die Kapseln, die Käfige und die Computer und begab sich möglichst direkt zu seinem Ziel. Leider war ihm dabei nicht bewusst gewesen, dass seine Gegnerin ihn erwartet haben dürfte und ihn deswegen in eine Falle laufen ließ. Es war eine altmodische, in der Speere aus der Wand schossen und ihn einfach aufspießten.

Der nächste achtete deswegen auf auffällige Markierungen an den kahlen Wänden, um diesen auszuweichen. Unglücklicherweise wurde er dabei in einem Raum eingesperrt, dessen Wände sich aufeinanderzubewegten und ihn kurzerhand auslöschten.

Daraus lernend mied der nächste jenen Raum. Außerdem achtete er auch bei allen anderen, die er betrat, darauf, dass er keinerlei Kratzspuren auf dem Boden sehen konnte. Das hinderte einen wild umherstreifenden Zombie aber nicht daran, ihn von hinten anzufallen und ihm die Halsschlagader durchzubeißen.

Der darauf folgende tötete seinen zum Untoten gewordenen Bruder. Es gelang ihm sogar, Explosionsfallen auszuweichen, indem er die damit verbundenen Rätsel in der vorgegebenen Zeit löste. Er fühlte sich vollkommen sicher – bis er durch eine scheinbar harmlose Tür ging. Er hörte noch ein verräterisches Klacken, dann folgte bereits ein lauter Knall. Und dann nichts mehr.

Sein Nachfolger umging diese Schrotflinten-Falle, indem er das Schloss einer anderen Tür im selben Gang knackte. Der Lüftungsschacht ließ ihn dieses Problem ganz leicht umgehen. Außerdem war er umsichtig genug, weitere Fallen, die durch Draht ausgelöst wurden, gar nicht erst zur Gefahr werden zu lassen. Mit Säure-Angriffen hatte er allerdings nicht gerechnet.

Dem nächsten wurde erst wirklich bewusst, wie viele Fallen es waren. So viele, dass er sich zu fragen begann, wie es einer einzelnen Frau gelingen konnte, sich das alles einfallen zu lassen.

Etwa zehn Versuche und Körper später, gelangte er tatsächlich zu ihr. Sie war hübsch, das musste er ihr zugestehen. Nichts an ihr ließ darauf schließen, dass sie etliche seine Brüder bereits in den Tod getrieben hatte. Ihr weißer Laborkittel war makellos rein und umspielte ihre schlanke Figur, ihr grünes Haar war zu einem akkuraten Pferdeschwanz gebunden, ihre Brille saß perfekt auf der spitzen Nase in ihrem schmalen Gesicht. Ihre High Heels klickten auf dem Boden, als sie sich ihm näherte. Ihr Blick war dabei auf ein Klemmbrett in ihrer linken Hand gerichtet, ihre rechte steckte in ihrer Kitteltasche.

„Du bist bereits Subjekt Nummer 324 des Sternensplitter-Projekts.“ Ihre Stimme war eiskalt, frei von jedem Gefühl, als wären ihr solche vollkommen unbekannt. „Ich hatte eigentlich erwartet, dass bereits ein Vertreter einiger Generationen zuvor zu mir durchkommt. Waren meine Fallen so gut oder waren deine Brüder einfach nur dumm?“

Vor ihm blieb sie stehen, musterte ihn über den Rand des Klemmbretts. Seine Arme waren von Pfeilen durchbohrt, er hatte keinerlei Gefühl mehr darin, deswegen konnte er sie nicht heben. Seine Knie fühlten sich viel zu weich an. Aber er spürte keine Schmerzen. Zumindest etwas Gutes in dieser unschönen Situation.

Sie erwartete eine Antwort. „Wahrscheinlich beides. Nehme ich an.“

Ihr Blick wurde weicher, fast mütterlich. „Das ist gut zu wissen.“ Sie ließ das Klemmbrett sinken und raufte ihr Haar. „Aber gleichzeitig ist es auch ein großes Problem, dass du es bis zu mir geschafft hast. Schließlich bist du nicht ohne Grund hier.“

„Master hat mich geschickt.“ Damals, beim allerersten, der geschickt worden war, hieß es noch, die Sache sei einfach.

Infiltriere das Labor. Zerstöre die Ergebnisse.

Über eine Rückkehr war nie gesprochen worden. Aber der Weg hinein war schon derart schwer, da kam es ihm nicht unmöglich vor, wenn der hinaus nie geplant gewesen war.

Außerdem …

Sein Blick wanderte über die Reihen von Computern, deren leises Brummen verriet, dass sie fleißig am Arbeiten waren. Er wusste nichts über diese Technik. Hätte er einfach alle Computer zerstören sollen? Wäre das ausreichend gewesen? Oder ging es um das Fleisch, das auf Tafeln fixiert, auf den Tischen wartete, endlich aufgeschnitten und erforscht zu werden? Er wusste es nicht. Hätte er einfach alles vernichten sollen?

Sie fragte nicht weiter. Sicher kannte sie seine Pläne. „Ich kann nicht zulassen, dass du dein Ziel erreichst, auch wenn es mich mit Stolz erfüllen würde.“ Sie wandte sich ab und ging zu einem nahen Tisch, auf dem sie das Klemmbrett ablegte. „Und weitere Besuche deinesgleichen lenken mich nur von meiner Arbeit ab. Deswegen werde ich wohl oder übel ein Exempel statuieren müssen.“

„Was …?“

Sie nahm etwas in die Hände und hob es hoch. Da erkannte er es als kurzstieliges Beil. Die Schneide glitzerte im einfallenden Licht der Kunststoffröhren. „Das hier wird mir mit Sicherheit mehr wehtun als dir.“

Ihr Ton war derart schwerwiegend, dass er ihr das sogar glaubte. Selbst als sie herumfuhr, ausholte und das Beil auf seinen Hals niederfahren ließ. Sein letzter Gedanke, bevor alles schwarz wurde, war, dass es ihr wirklich Schmerzen bereiten musste, wenn sie sogar zu weinen begann.

Der nach ihm Folgende war sich allerdings nicht mehr so sicher, ob es sich um Tränen oder doch nur Blutspritzer gehandelt hatte. Er umging jede Falle, deaktivierte die Balliste am Ende, um den Pfeilen zu entgehen und gelangte so in voller Stärke ins Labor, wo er von dessen zornigen Herrin bereits erwartet wurde. „Ich dachte, ich hätte dir und deinem Meister verständlich genug gemacht, dass ich keine weiteren Einmischungen mehr dulden werde.“

Er wusste nicht genau, woraus ihr Exempel bestanden hatte, aber es war offenbar wirkungslos geblieben, da er nun hier war. „Ich bin nur hier, um meinen Auftrag zu erfüllen. Ich weiß, dass es sich nicht mit dem trifft, was du dir als Ausgang wünschst, aber bitte tu mir den Gefallen, dich nicht mehr zu wehren. Lass uns die Daten gemeinsam zerstören, dann steht einer Rückkehr für dich bestimmt nichts mehr im Weg.“

„Einer Rückkehr?!“, grollte sie. „Das ist das Letzte, was ich mir wünsche! Ich habe Master nicht verlassen, weil mir gerade danach war! Und schon gar nicht aus einem Grund, der es mir auch nur ermöglichen würde, wieder zurückzukehren, selbst wenn ich es wollte.“

Der Zorn in ihrer Stimme brannte wie eiskalte Nadeln. Sie musste mit Freude alle Brücken niedergerissen haben, als sie ihn verlassen hatte.

„Dann tut es mir leid.“ Er zog einen Dolch aus seinem Gürtel. „Ich habe keine andere Wahl.“

Sie seufzte. „Hätte ich euch nur mit weniger Ehrgeiz ausgestattet.“

Mit einem dröhnenden Röhren setzte sich eine Apparatur, die er nicht sehen konnte, in Bewegung. Sein Blick huschte nervös umher, er versuchte, den Ursprung des Geräuschs auszumachen, aber es gelang ihm einfach nicht.

„Falls er noch einmal jemanden schickt“, hörte er ihre Stimme über das Dröhnen hinweg, „hoffe ich, dass der ein wenig mehr zu bieten hat, als nur einen Dolch.“

Ehe er ihr zeigen konnte, dass er selbst etwas zu bieten hatte, öffnete sich der Boden unter ihm. Die Schwerkraft setzte augenblicklich ein und ließ ihn nach unten stürzen. Weg von ihr, weg von dem in den Augen schmerzenden Licht, weg von allem.

Ich glaube, das ist der falsche Ansatz. Das war sein letzter Gedanke. Dann spürte er einen scharfen Schmerz in seinem Rücken, alles wurde dunkel.
 

Als er diesmal erwachte, befand er sich nicht in einem weiß gekachelten Raum. Die fehlende Vertrautheit war derart irritierend, dass er mit dem Gedanken spielte, die Augen wieder zu schließen. Wenn er noch ein wenig schlief, war er vielleicht dort, wo er sein müsste.

Stattdessen betastete er aber mit einer Hand seinen Rücken, soweit es ihm möglich war. Er spürte keinen Schmerz. Er konnte sich bewegen.

Nur langsam, tröpfchenweise, kehrte die Erinnerung daran zurück, dass er von jemandem entführt worden war. Aber um wen es sich dabei handelte wollte ihm nicht mehr einfallen.

„Ist ja aber auch egal“, murmelte er sich selbst zu. „Ich muss herausfinden, wo ich bin.“

Er setzte sich aufrecht hin und sah sich um. Es gab keine weiße Kacheln, aber die Tapete hatte diese Farbe. Sie war sauber, zeigte keinerlei Risse, das verringerte schon mal die Möglichkeit, dass es sich hierbei um eine Falle handelte. Auch der Boden erschien ihm nicht suspekt. Warum er allerdings in diesem leeren Raum, in dem nur ein Bett stand, abgelegt worden war, erschloss sich ihm nicht.

Sein schmerzender Kopf lenkte ihn davon ab. Leise stöhnend griff er sich an die Stirn. Es war nicht nur Schmerz, es fühlte sich an als ob sein Schädel jeden Moment bersten müsste. Waren die Erinnerungen schuld daran? Es waren so viele, in so kurzer Zeit gewesen. Noch immer fiel es ihm schwer, das alles einzuordnen, aber zumindest war ihm nun etwas ein wenig klarer.

Das war alles ich. Und jedes Mal bin ich gestorben. Aber wie kann das sein?

Wenn er diese Forscherin fand, könnte er mit Sicherheit sie fragen. Vielleicht antwortete sie ihm ja, auch wenn er noch weniger drauf hatte als sein vermeintlicher Vorgänger. Er besaß nicht einmal einen Dolch.

„Das darf mich nicht aufhalten.“ Er wusste ja nicht einmal, was genau sie eigentlich von ihm erwartete, vielleicht war also gerade die fehlende Waffe das, was sie sich wünschte.

Um das herauszufinden, musste er aber endlich aufstehen und losgehen, sonst geschah gar nichts. Deswegen atmete er noch einmal tief durch, dann erhob er sich von dem Bett. Die Welt drehte sich um ihn, er glaubte, wieder auf dem Rücken zu liegen. Erst als er einen Schritt tat, fühlte er sich versichert, dass er noch aufrecht stand.

„Hoffentlich renne ich so nicht in irgendeine Falle.“ Sonst müsste er sich auch auf seinen Nachfolger verlassen, aber darauf verzichtete er lieber.

Noch einmal atmete er tief durch, dann trat er auf die Tür zu. Es wurde Zeit, dass dieser Stellaris herausfand, was hier eigentlich vor sich ging.
 

Es war dumm, im Labor zu rennen. Das war Lloyd bewusst, aber er konnte nicht anders. Er hatte Solaris schnell aus den Augen verloren, deswegen verlangte seine Ungeduld, dass er durch alle Gänge rannte und nach dem anderen suchte. Aber seine Vernunft riet ihm, ruhig zu bleiben, einen kühlen Kopf zu bewahren, um nicht in eine der Fallen zu geraten. Er war noch nie hier gewesen, aber er wusste von dem, was diese Frau alles tat, um sich und ihre Forschungen zu schützen. Falls er hier sterben sollte, gäbe es niemanden, der Solaris helfen könnte, also musste er vorsichtig sein.

Während er durch die Gänge lief, dröhnte die Stille in seinen Ohren. Nur wenn er an Türen vorbeikam, hörte er ein Schnaufen, das von mindestens einem der Tiere kommen musste, die hier als Versuchsobjekte lebten. Zumindest die lebten noch.

Aber abgesehen von diesen kurzen Unterbrechungen beherrschte Stille das Labor. Seine eigenen Schritte klangen wie Schüsse, obwohl er bereits so vorsichtig wie möglich auftrat.

Bei jeder Abzweigung musste er in seiner Erinnerung kramen, um die richtige zu wählen. Er konnte sich durch die Fallen nicht einmal eine Verzögerung erlauben. Er musste Solaris retten, so schnell wie möglich.

Er folgte einem Gang, der ihm sicher erschien – als er plötzlich etwas hinter sich spürte. Er fuhr herum, zog sein Schwert und hob es hoch. Metall klirrte, Funken sprühten, dann erst sah er Cordia. Sie sah ihn gewohnt emotionslos an, scheinbar vollkommen problemlos übte sie Druck auf sein Schwert mit ihrem aus.

„Du bist unvorsichtig“, sagte sie.

„Ich habe keine Zeit, mich um dich zu kümmern.“

Sie sprang zurück, hielt das Schwert aber vor sich. Selbst auf diese Entfernung kam es ihm vor als versuche ihr Blick allein ihn zu einem Eisblock erstarren zu lassen.

„Was tust du hier?“, hakte sie nach.

„Ist das dein Ernst?! Ich bin hier, um Solaris zu retten!“ Dass es einst um das Juwel gegangen war, hatte er bereits wieder vergessen. „Alles andere interessiert mich nicht!“

Ihre emotionslose Maske verschwand, für nur einen kurzen Atemzug sah sie fast traurig aus. Aber es gelang ihr, sofort wieder desinteressiert auszusehen. „Für ihn begibst du dich also in die Höhle des Löwen? Hat Master dir das befohlen?“

Lloyd schnaubte. Das schien ihr Antwort genug: „Für ihn widersetzt du dich also Masters Anweisungen? Du hast also deine kleinen Favoriten?“

„Du weißt genausogut wie ich, dass ich nichts hätte tun können“, fauchte Lloyd. Dabei gestikulierte er in Richtung ihres rechten Beins.

Im Moment war es aufgrund ihrer dunklen Hose nicht zu sehen. Aber diese saß derart eng, dass die Konturen eines künstlichen Körperteils deutlich hervorstanden.

„Du konntest nur fliehen, weil du dein Bein geopfert hast!“

„Was sich gut mit dem Plan von Master traf, mich loszuwerden.“ Sie überbrückte die Distanz zwischen ihnen, ließ das Schwert niederfahren.

Er wich zur Seite aus. In einer fließenden Bewegung zog er seine Pistole, zielte und schoss. Die Kugel streifte an ihrer Klinge entlang und traf ihre Hand. Achtlos ließ sie das Schwert fallen, zog mit ihrer unverletzten Hand aber direkt ein anderes Schwert. Lloyd parierte ihre Angriffe, wich ihnen aus, feuerte auf sie oder versuchte einen eigenen Klingenstreich zu vollführen. Doch Cordia war noch genauso beweglich wie damals, als sie Partner gewesen waren. Selbst als seine Pistole nur noch klickte, weil das Magazin leer war, zeigte sie keinerlei Zeichen von Müdigkeit, genausowenig wie er. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber in diesem Moment kümmerte ihn das auch überhaupt nicht. Es ging nur um diesen Kampf. Um nichts anderes.

Doch dieser Augenblick endete abrupt, als ein Pfeifton erklang. Er hallte durch die Gänge, wie ein böses Omen, und ließ sie beide innehalten. Lloyd sah sich automatisch nach Fallen oder sonstigem um, das sie angreifen könnte, aber da war nichts. Cordia stellte sich aufrecht hin. „Es sieht aus, als müsste ich gehen. Aber wir werden uns bestimmt bald wiedersehen.“

Ehe er reagieren konnte, war sie bereits wieder verschwunden. Misstrauisch blieb er dennoch einige Sekunden in Angriffsstellung stehen. Als nichts mehr geschah, tauschte er das Magazin seiner Pistole aus. Weiterhin geschah nichts, es war wieder Stille eingekehrt. Offenbar war es sicher.

Er steckte das Schwert in die Scheide zurück, behielt die Pistole aber in seiner Hand. So setzte er seinen Weg fort.

Doch schon nach wenigen Metern und lediglich einer Ecke, hielt er wieder inne. Hinter der nächsten Tür konnte er Schritte hören, dann bewegte sich die Klinke. Lloyds Körper spannte sich an. Langsam schwang die Tür auf – und Lloyd preschte mit erhobener Pistole voran.



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