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Sengoku Otogizōshi

Eine mittelalterliche Geschichte
von

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Der Aufbruch

Inu Yasha

Rasch verschwand die rote Robe in den Baumkronen und er hüpfte mehr oder weniger von einem Baum zum anderen, entlang des Weges, den die Priesterin wieder zum Dorf zurückführte. Nie weiter als drei Bäume von ihr entfernt allerdings. Dort angekommen, machte sich der Halbdämon noch etwas rarer. Er blieb ausser Reich- und Sprechweite der Bewohner und schnappte sich lediglich einen riesigen Bottich mit dem er in Richtung Fluss verschwand und wieder zurückkehrte um ihn über noch lodernde Feuer zu leeren. Er tat dies so lange, bis auch das letzte Feuer erlosch und der morgen langsam zu dämmern begann.
 

Viele Häuser waren zerstört und Inuyasha beobachtet von einem hohen Vorsprung her, wie sich die Dorfbewohner neu arrangierten und jene, die ihr Hab und Gut verloren hatten vorerst bei anderen unterkamen. Erst dann, als sich das Treiben wieder beruhigt hatte und viele von ihnen einen unruhigen Schlaf gefunden hatten, sprang der Halbdämon von seinem Beobachungspunkt. Leise, fast lautlos suchte er den Platz auf an dem Kikyō mit ihrer Schwester nächtigte.

Wortlos setzte er sich neben die Miko.

„Wir sammeln die Splitter einfach wieder ein und setzen das Juwel neu zusammen.“ Eine simple Feststellung. Keine Wertung für ihre Tat, es war wie es war, der Halbdämon war nicht böse, sondern schlug einfach eine Lösung für das Problem vor.
 

Kikyō

Kikyō war ehrlich froh, dass Inuyasha sich nicht aufdrängte, obgleich ihr bewusst war, dass er weniger aufgrund seiner Art als aus Angst und mangelnder Erfahrung keinen Schritt auf sie zumachte. Auf seine Frage vorhin war sie nicht fähig gewesen, genauer einzugehen, aber nun schien es, dass eine Antwort vorerst überflüssig war. Der Hanyō nickte bloß und machte sich auf einem anderen Weg in Richtung des Dorfes auf. Die Miko tat es ihm gleich und ging schnellen Schrittes zurück.
 

Sobald die ersten Einwohner die Priesterin entdeckten, rannten ein paar davon auf die junge Frau hektisch zu. „Kikyō-sama! Kikyō-sama! Geht es Euch gut? Seid Ihr unverletzt? Was war das für ein ungewöhnliches Leuchten? Und habt Ihr den Hanyō erlegen können?“ Hiermit war Inuyasha gemeint, der nach wie vor bezichtigt wurde, das Dorf angegriffen und jenes verheerende Feuer gelegt zu haben, gegen das die Bewohner nach wie vor ankämpften. Als hätte er auf sein Stichwort gewartet, tauchte der Hunde-Halbdämon plötzlich auf, trug einen Bottich mit sich herum und schüttete Massen an Wasser auf die wenigen Feuer, die noch wüteten. Ein leichtes Lächeln erschien auf dem Gesicht der Schwarzhaarigen und mit ihren Augen fixierte sie den jungen Mann. Zuerst starrten die Dorfbewohner die Miko verwirrt an, folgten aber schließlich ihrem Blick und erkannten zu ihrer Überraschung, dass Inuyasha das Feuer versuchte zu löschen. „Ich denke, wir müssen Inuyasha unseren Dank aussprechen und ihn um Verzeihung bitten.“, antwortete die Miko auf einmal aus dem Nichts heraus und zog jegliche Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Es war nicht er, der uns dieses Leid angetan hat. Ein unbekannter Dämon hat diesen Schaden verursacht und…“ An diesem Punkt stoppte Kikyō plötzlich und hielt betreten inne. Die Scham über ihr Versagen und die hinzukommende Angst über die Folgen versiegelten ihre Lippen, sodass ihr vorheriges Lächeln mit einem Mal einer ernsten Miene wich. Diese Menschen hatten ihr blind vertraut und sich auf sie verlassen. Sie konnte doch nicht mit so einer Botschaft nun zurückkehren und darauf hoffen, nach wie vor dieselbe Akzeptanz zu erfahren. Die Bewohner hatten wegen ihrer Beziehung zu Inuyasha genug gelitten. Sie sollten nicht noch mit einer unfähigen Priesterin zusätzlich gestraft werden. Die Lippen öffneten sich, doch in jenem Moment, als Kikyō noch nach geeigneten Worten rang, durchdrang eine vertraute Stimme die Szene - Kaede!

Augenblicklich riss die Dunkelhaarige ihre Augen auf und hielt Ausschau nach ihrer geliebten, jüngeren Schwester. Diese rannte überglücklich und voll Erleichterung zu der Miko und umarmte sie letztlich stürmisch. Ein ebenso erleichtertes Auflachen seitens Kikyō erklang. „Kaede! Ist dir auch nichts passiert? Wie ich sehe, hast du mit den anderen den Brand so gut wie löschen können! Ich bin stolz auf dich.“ Liebevoll drückte sie die Jüngere an sich und strich ihr sanft über ihr braunes Haar. „Kikyō-Onee-sama! Ich bin ja so froh, dass dir nichts passiert ist!“ Es fielen einige Tränen der Freude, ehe Kaede wieder fähig war, weiterzusprechen. „Ich- Ich hatte solche Angst um dich! Ich hatte Angst, heute würdest du nicht mehr zurückkommen! Ich hatte eine böse Vorahnung, dass man dich zu täuschen versucht hatte und du dadurch umkommst!“ Kikyōs Lächeln erstarrte. Ihre jüngere Schwester hatte also eine Vorahnung gehabt? Sie war doch wesentlich reifer und empfänglicher, als sie gedacht hatte. „Aber ich bin so froh, dass es sich nicht erfüllt hat! Und – Ja, ich habe mit den anderen geholfen! Es ist niemandem etwas passiert, nur…“ Das Mädchen löste sich langsam von ihrer älteren Schwester und blickte sich um. Es war zwar dunkel, doch man konnte erahnen, wie schrecklich das Ausmaß des Brandes war. Viele hatten ihr Heim verloren und mussten sich ihr Zuhause komplett neu aufbauen. Es war schrecklich. "Ich sehe... Trotzdem. Solange es jedem gut geht, bin ich froh." Kaede nickte.
 

Da das Feuer so gut wie gelöscht war und Inuyasha den Rest erledigte, weswegen auch die restlichen, noch wachen Dorfbewohner kein böses Wort mehr über ihn verloren, konnte man sich endlich zur Ruhe begeben, um nach einer kurzen Nacht einem sehr langen Tag entgegenzublicken.

Das Haus, das die Shintō-Priesterin mit ihrer Schwester bewohnte, hatte sie einigen Einwohnern zur Verfügung gestellt. Sie selbst konnte nicht schlafen. Daher hatte die Miko den restlichen Menschen ohne Obdach geholfen, sich auf einer Wiese, welche gleich an einige der abgebrannten Häuser angrenzte, einzufinden und dort eine vorläufige Schlafstätte zu errichten. Es war noch recht provisorisch und musste am nächsten Tag etwas verbessert werden, doch es war besser als Nichts.
 

Als die letzte Familie fürs Erste versorgt war, ging die rastlose, junge Frau durch das Gras, zurück zu ihrem Heim und setzte sich auf die Treppe vor dem Eingang. Müde, aber nicht aufgrund von Schlafmangel, starrte sie Gedankenverloren auf den Boden und betrachtete die schemenhaften Umrisse, welche sich in der Dunkelheit abzeichneten. Plötzlich vernahm Kikyō einen dumpfen Laut, der sie aufsehen ließ. Inuyasha stand vor ihr und setzte sich sogleich neben sie. Ohne weiter darüber nachzudenken, lehnte sie ihren Kopf an den Hanyō und atmete schwer und laut aus.

„Wir sammeln die Splitter einfach wieder ein und setzen das Juwel neu zusammen.“ Aus dem Nichts heraus umgriff die Miko den Arm des Halbdämons und drückte ihn sanft.

„Derselbe Gedanken ist auch mir gekommen. Ich kann nicht verantworten, dass diesen Menschen hier noch mehr Leid zugefügt wird. Und auch nicht anderswo. Um meine Schuld zu begleichen, muss ich mich auf den Weg machen. Ich werde den Teufel stoppen, der das Juwel mit seiner Bösartigkeit beschmutzt hat.“ Kikyō sprach mit halblauter und ruhiger Stimme. „Da du ‚Wir‘ gesagt hast, gehe ich davon aus, dass du mich begleitest…?“ Ihre Stimme ging etwas höher am Ende des Satzes, um noch einmal eine Bestätigung von ihm zu erhalten, dass ihre Annahme stimmte. Sie wollte es auch einmal noch für sich selbst hören.

„Ich danke dir, Inuyasha.“ Langsam hob die Miko ihren Kopf wieder und drehte sich zu ihm. Mit traurigem, aber freundlichen Ausdruck schaute sie in die golden leuchtenden Augen ihres Gegenübers und verweilte für einen Moment. Wie hatte sie jemals annehmen können, er hätte sie betrogen? Es verunsicherte sie zwar nach wie vor, dass jemand sein Leben für sie so umstrukturiert hätte und in eine ganz neue Welt eingetaucht wäre, doch abgesehen von diesen Ängsten empfand sie tiefe Dankbarkeit und Anerkennung für den Hanyō. Unmerklich war ihre Hand tiefer gewandert und hatte sich vorsichtig auf die Seine gelegt, welche sie nun mit sanfter Bestimmtheit drückte.

Gut eine halbe Minute verging, als aus dem Nichts heraus eine Stimme erklang. „Kikyō-Onee-sama?“ Verschlafen tappte Kaede aus dem Haus, rieb sich die Augen und wirkte bedrückt. Anstatt aber nun Inuyashas Hand loszulassen, ließ die Priesterin diese an Ort und Stelle und wandte sich ihrer kleinen Schwester zu. Wie lange war sie bereits hier? Hatte sie das Gespräch gehört?
 

Inu Yasha

Auch wenn es schon lange her war, erinnerte sich Inuyasha daran, wie es war, sein Heim zu verlieren. Wie er kurz nach dem Tod seiner Mutter aus dem kleinen Palast gejagt wurde. Auch wenn man ihn dort nie gemocht hatte, von der Hausherrin abgesehen, so hatte er Nacht für Nacht ein Dach über dem Kopf, einen Futon und eine warme Decke. Er hatte warme Mahlzeiten und genug zu trinken. Sogar einen Ball zum Spielen hatte er besessen. All das war ihm am Todestag seiner Mutter ebenfalls genommen worden. Er wurde aus einem behüteten Heim direkt in den Wald gejagt, ungeschützt und ohne ein Hilfsmittel. Alles was er bei sich trug war seine Robe und ein einziges Andenken an seine Mutter.

Viele Nächte hatte er auf kaltem, hartem Boden verbracht, vor Angst kaum geschlafen, geweint, weil er sich nie wieder in den Armen seiner Mutter würde verstecken können. Erst nach und nach hatte er gelernt, dass er eigene Kräfte hatte und wie er diese einsetzen konnte. Hatte entdeckt, dass es half, wenn man weit oben in einem Baum schlief. Wie man ein Feuer entfachte und mit blossen Händen Fische aus dem Fluss holte. Wie lange es brauchte, damit diese gut durchgebraten waren und man das Fleisch von den Gräten lösen konnte. Er war nicht immer so wild gewesen, wie die Leute glaubten. Die ersten fünf Jahre seines Lebens hatte er in einem Palast gewohnt, wurde behütet und bekam sogar Anstand beigebracht. Er hatte später nur gelernt, dass einem all das in der Wildnis nichts brachte. Dort akzeptierte man ihn nur, wenn er stark und überlegen war und sich nicht scherte.
 

Kikyōs Berührung schien er im ersten Moment gar nicht zu beachten, doch jeder der ihn kannte, wusste ganz genau, dass es keine Selbstverständlichkeit war, dass er nichts tat. Dass er es ohne Wank zuliess, war eine schweigende Zustimmung. Er war für sie da, aufrecht und stark, damit sie sich anlehnen konnte, ohne weiter einsinken zu müssen.

„Derselbe Gedanken ist auch mir gekommen. Ich kann nicht verantworten, dass diesen Menschen hier noch mehr Leid zugefügt wird. Und auch nicht anderswo. Um meine Schuld zu begleichen, muss ich mich auf den Weg machen. Ich werde den Teufel stoppen, der das Juwel mit seiner Bösartigkeit beschmutzt hat.“ Inuyasha starrte weiter in die Nacht hinaus. „Du musst mich nicht schonen. Nenn ihn das was er ist. Ein Hanyō.“ Auch wenn es ihm nicht wirklich recht war, wenn er es hasste, so sehr wie er den Begriff hasste. Es war die Wahrheit und er würde sie nicht leugnen oder davor davonlaufen wollen. Lieber konfrontierte er sich von Anfang an damit. Dann konnte es später niemand mehr tun um ihn damit zu verletzen.

„Natürlich begleite ich dich!“, empörte er sich fast schon auf die Frage hin. Allerdings lag keine Wut hinter den Worten. Nicht viel. Er hatte es schliesslich gerade gesagt, da war das Hinterfragen etwas überflüssig. Aber gut, er konnte mittlerweile damit umgehen, dass manche Dinge einfach zwei oder drei Mal gesagt werden mussten, bevor sie angenommen wurden. Dafür erhielt er schliesslich auch gleich ein Dankeschön, was ihn wesentlich besänftigte, so dass er nicht einmal mehr schnauben konnte. Also war er lieber wieder ruhig.
 

Weiter kamen sie aber ohnehin nicht mehr im Gespräch. Kaede hatte den Strohvorhang beiseitegeschoben und trat zu ihnen in die Dämmerung. Der Hanyō wandte seinen Kopf ebenfalls dem kleinen Mädchen zu und das war die einzige Reaktion. Die Hand, die Kikyō ergriffen hatte, blieb ruhig liegen. Es war ein stilles Abkommen, dass er mit der Zehnjährigen hatte. Nie hatte einer von beiden wirklich etwas dazu ausgesprochen. Doch war es für beide klar, dass keiner die Gesellschaft des anderen verabscheute und man sich einfach akzeptierte, wie man war. Inuyasha hätte es zwar nie laut ausgesprochen, doch schon seit Beginn an hatte er das Bedürfnis verspürt auch das Mädchen zu beschützen. Er hatte es sogar getan, mehrmals. Sie war ihm irgendwie nah, auch wenn er sie kaum kannte. Aber sie war Kikyōs Schwester und hatte eine ähnliche Ausstrahlung… er hatte sich nie verabscheut gefühlt in ihrer Gegenwart. Angst war dagewesen, ganz am Anfang, doch auch das war schnell verflogen und hatte der Akzeptanz Platz gemacht.
 

„Onee-sama, du willst weggehen?“, fragte Kaede schliesslich und nahm die Hand wieder hinunter, der Blick zwar etwas ängstlich, aber auch neugierig.
 

Kikyō

„Kaede…“ Kikyō streckte die linke Hand nach ihrer Schwester aus, die sich dadurch dazu aufgefordert fühlte, sich neben die Miko zu setzen. Das Mädchen hielt die Arme dicht an ihren Körper gedrückt, da es sie gerade ein wenig fröstelte. Ihr Kreislauf war noch nicht ganz angekurbelt.

„Ja, Kaede, ich muss gehen. Ansonsten setze ich euch hier einer viel zu großen Gefahr aus. Und auch andere Menschen sind nicht sicher vor diesem…“ Kurz hielt die Schwarzhaarige inne und überlegte, wie sie den Räuber nennen konnte. Auch wenn Inuyasha ihr erlaubte, ihn das zu nennen, was er war – eben einen ‚Hanyō‘ - so wollte es die junge Frau trotzdem tunlichst vermeiden. Egal was er sagte, für sie war diese Bezeichnung ein Tabu in Gegenwart des Inu-Halbdämons. Ihm bereitete es Schmerzen und so auch letztlich ihr.

„…vor diesem skrupellosen Räuber.“ Kikyō war gerade nicht dazu in der Lage, sonderlich kreativ zu denken, daher nahm sie einfach das erste Wort, welches ihr in den Sinn gekommen war.

„Aber ich gebe dir mein Wort, dass ich bald wieder zurückkehren werde. Bis dahin musst du mir allerdings versprechen, dich gut um alle zu kümmern und sie mit deinen Kräften zu schützen!“ Liebevoll strich die Miko ihrer jüngeren Schwester ein paar Strähnen aus dem Gesicht und anschließend über ihre Wange. Die 10-Jährige begann zu schniefen, nickte aber letztlich und – umarmte mit einem Mal ihre geliebte, große Schwester. Ein wenig überrascht von der Geste, und auch selber mit sich ringend, ließ die Dunkelhaarige nun die Hand des Hanyōs los, um Kaede fest in den Arm nehmen zu können. „Bitte komm bald wieder zurück!“, murmelte das Mädchen mit gepresster Stimme und klammerte sich noch mehr am Gewand ihrer Onee-Sama fest. Kaede wusste, dass sie ihre ältere Schwester nicht aufhalten konnte oder durfte, aber es tat so weh, sie gehen zu lassen, nicht ahnend, was auf sie zukommen könnte. „Mach dir keine Sorgen, Kaede. Ich werde, gemeinsam mit Inuyasha, wieder ins Dorf zurückkehren. Und dann wird hoffentlich für lange Zeit Frieden herrschen.“ Ein trauriges Lächeln zeichnete sich auf Kikyōs Lippen ab, ehe sie die Jüngere sanft von sich drückte und ihr mit diesem Lächeln, obgleich es von Trauer geprägt war, Mut machen wollte. Kaede schniefte und nickte erneut. Sie verstand, doch ihr Herz musste dies erst lernen. Und das war auch der Priesterin bewusst.

Inuyasha…“ Nun wandte sich das kleine Mädchen an den Halbdämon, der die ganze Zeit über stumm daneben gesessen hatte. „Bitte pass auf Kikyō-Onee-sama auf! Du musst sie mit deinem Leben beschützen, hörst du! So wie sie es für dich tut!“ Ein wenig überrumpelt von dieser Aussage, zog die junge Frau die Augenbrauen hoch und betrachtete zum Teil verwirrt, zum Teil verlegen, ihre jüngere Schwester. Wie kam Kaede denn darauf? Sie wusste doch, dass Inuyasha stark genug war, um sich verteidigen zu können! War er es nicht, der ihnen immer wieder geholfen hatte im letzten Jahr? Und doch… Wenn Kikyō genauer darüber nachdachte, stimmte es sogar. Jedes Mal, bei jedem Kampf, hatte die Shintō-Priesterin auch für den Hanyō gekämpft. Sie hatte für ihn überleben wollen, und je mehr Feinde sie in die Flucht schlagen konnte, desto sicherer würde auch er letztlich in dieser Gegend sein. Hatte das die kleine Kaede alles selbst herausfiltern können? Wieder einmal befand die Miko für sich, dass ihre kleinere Schwester ein wirklich beachtliches und begabtes Kind war, dem sie voll und ganz vertrauen konnte. Gemeinsam mit den anderen und ein paar kleinen Kniffen, die sie ihr im Laufe der Zeit gezeigt hatte, würden sie fürs Erste keine Gefahr scheuen müssen.
 

Kikyō hatte nicht viel an Gepäck. Die Kleider, die sie am Leib trug, reichten. Ansonsten fielen nur noch ihr Bogen, der Köcher mit den Pfeilen, die Kette mit der sie zunächst Inuyasha bezähmen wollte und schließlich noch das Geschenk des Inu-Hanyōs an. Im Grunde genommen war das ein Utensil, welches keinen besonderen Nutzen hatte. Doch die Miko empfand es als Talisman und wollte es immer dicht an ihrem Herzen tragen. Es war ein Geschenk ihres Liebsten, und auch das Einzige, was sie jemals erhalten hatte. Für Kikyō das Kostbarste, was sie jemals besessen hatte.

Der Abschied war kurz, obgleich er beiderseits schweren Herzens fiel.
 

Gerade als das Dorf schon nicht mehr in Sichtweite war, begannen die ersten Sonnenstrahlen auf die taufrische Erde zu funkeln. Die erste Zeit über war Kikyō ruhig gewesen und hatte keinen Ton von sich gegeben. Sie wusste auch gar nicht, über was sie hätte reden sollen. Einerseits wollte sie den Abschiedsschmerz für eine Weile in Ruhe für sich spüren und sich damit auseinandersetzen. Andererseits hatte die Stille etwas wunderbar Beruhigendes an sich, welche einzig und allein von der erwachenden Natur unterbrochen wurde.
 

Kaede hatte sich in der Zwischenzeit nicht noch einmal Schlafen gelegt, denn auch sie wurde vom Kummer des Abschieds geplagt. Da aber das gesamte Dorf noch zu schlafen schien, beschloss das Mädchen nach einiger Zeit des ruhigen Dasitzens, dass sie zumindest etwas Nützliches tun und dem verletzten Onigumo ein Frühstück, inklusive Arzneien für seine Wunden, bringen könnte.

Gesagt, getan, wanderte die 10-Jährige zunächst zum Fluss, dann über eine Wiese, auf der sie ein paar wohltuende Kräuter sammelte. Anschließend führte sie ihr Weg zur Höhle, die der Dieb unfreiwillig behauste. „Guten Morgen!“, rief Kaede etwas unsicher hinein und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Dieser Mann war ihr noch immer nicht ganz geheuer und seine Wunden hatten ihn dermaßen entstellt, dass es jedes Mal schmerzhaft war, ihn anzusehen. Zudem roch es sehr unangenehm, aber heute irgendwie fast irgendwie noch intensiver, befand Kaede und rümpfte angewidert die Nase, wobei sie das Gesicht zu einer angeekelten Grimasse verzog.
 

Ich bringe Essen und Arznei! Ich bin gleich da!“ Kaede musste sich wirklich überwinden, nicht wieder hinauszulaufen, um nach frischer Luft zu schnappen. Ihr wurde regelrecht übel bei dem modernden Gestank.

Doch... Niemand war mehr da. Nur noch die feine Mulde, die den Körperabdruck des Räubers andeutete. Mit großen Augen stand das Mädchen verwirrt da und verstand nicht. Plötzlich erkannte sie Schmauchspuren und mit einem Mal wurde der Braunhaarigen bewusst, dass auch hier ein Feuer gewütet haben musste. Vielleicht war der Geruch daher kaum erträglich für sie? Aber ... War es dann nicht noch fragwürdiger, weshalb einzig die Stelle des Räubers noch sichtbar war? Aus dem Nichts heraus durchzog sie jedoch plötzlich ein mehr als unangenehmes Gefühl. Mit einem Mal spürte sie einen eisigen Schauer über ihren Rücken laufen und – augenblicklich rannte sie instinktiv aus der Höhle. Etwas Schreckliches war passiert, auch wenn Kaede noch nicht verstand, was.



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