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I hoss erm a

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I hoss erm a

Roderich Edelstein war ein Meister der deutschen Sprache.
 

„Eh…..Meista, I brauch nu oaaan…“ Glucks. Demonstrative Pause, betretenes, erwartungsvolles Schweigen. „Umadumkuglpunsch!“ Hallendes Gelächter und tosender Applaus. Gilbert zu seiner Rechten klopfte ihm anerkennend auf die Schulter, zumindest versuchte er das und streifte ihn nur, als er wie wild seine Handfläche in die kalte Luft rammte, und Roderich griente über beide Ohren. Ein Umadumkugelpunsch enthielt 56% Alkohol und war eine Spezialität des hiesigen Punschstandes, direkt am Christkindlmarkts des Universitätscampus erhältlich. Praktisch. Es war acht Uhr siebenunddreißig, die Vorlesung „Schwarze Romantik in der deutschsprachigen Literatur“ hatte vor anderthalb Stunden geendet und es waren schon alle betrunken. Alle außer Berwald und Tino, aber das waren Skandinavier und das zählte nicht. Die Gebrüder Beilschmidt – Roderich hatte sie nie direkt so angesprochen, aber er kam einfach nicht umher, das deutsche Geschwisterpaar, das seit letztem Semester mit ihm Germanistik studierte, zumindest gedanklich so zu nennen – lallten irgendwelche Volkslieder aus dem Piefkeland und das machte sie nur umso mehr zu Gebrüdern der Romantik.
 

Roderich Edelsten war ein Meister der deutschen Sprache, wenn er nicht gerade von seinen Mitstudierenden aufgefordert wurde, die unverschämte Nähe der Weihnachtswunder Punsch und Glühwein zu nutzen. So taten sie das auch jeden Mittwoch, nach „Schwarze Romantik in der deutschsprachigen Literatur“, so lange, bis ihnen selbst schwarz vor Augen wurde. Zumindest manchmal, wenn es etwas zu feiern gab und da gab es in einem Studentenleben viel („Oida, I hob den Rhetoriktest gschofft“ – „Hearst, morgn is mei Referat über Arthur Schnitzler, daun is da Stress endlich vorbei“ – „I hob endlich Literatur fia mei wissenschaftliche Oarbeit über die Bedeutung des Goartns im Vormärz gfunden – Gemma punschen!“)

Doch heute hätte sich Roderich eigentlich drücken wollen – mit Betonung auf eigentlich – denn es gab nichts zu feiern, ganz im Gegenteil, die Wahlen hatten am vergangenen Sonntag stattgefunden und er war entzürnt über den Ausgang, nicht direkt, über die Gewinner (obwohl man da auch lang und breit – in seinem derzeitigen Zustand vermutlich eher breit - hätte schimpfen und sudern können), sondern viel mehr um den erschreckenden Anstieg seines ach so verhassten H.C. Straches. Deswegen war die heutige Sitzung wohl auch kein Feierpunschen, sondern ein Frustpunschen. Er verstand einfach nicht, wie es die halbwegs gebildete österreichische Bürgerschaft dazu hatte kommen lassen. (Die 11% für Stronach waren ihm ohnehin ein Rätsel und er versuchte es auf die Punschstände in ganz Wien zu schieben, die die Hände beim Kreuzerlmachen ein wenig zittern ließen. Fürs Protokoll: keine Wahlen mehr im Dezember ansetzen.) Aber wie es aussah, war das der Wille der halbwegs gebildeten österreichischen Bürgerschaft, deren Wissen sich in anderen Bereichen ähnlich wie bei der Politik auf Dinge wie „Jaja, Goethe haben wir in der Schule gelesen“, „a²+b² = c², das weiß doch jeder Vollwappler“ und „Alles fällt runter und Strom kommt aus der Steckdose und schmeckt Aua“ beschränkte. Letzteres hatte Roderich mal bei einem Poetry Slam gehört und verwendete es seitdem liebend gerne nicht einmal unironisch, da sich sein Physikwissen wirklich nur darauf stützte, dass man Steckdosen nicht ablecken sollte und die Schwerkraft, na ja, existierte.
 

Das wurde ihm auch bewusst, als er auf dem Weg nach Hause – nicht einmal die Tatsache, dass Gilbert Schwachsinn über Dinge redete, von denen er keine Ahnung hatte und in diesem Zustand Roderich alles abkaufte, was er ihm sagte und diesen Schwachsinn dann in nüchternen Zuständen sogar gerne bei Klausuren notierte („Vexierbilder sind jene Bilder von vollen Obstschalen, die man sich im Barock gerne an die Wand über den Esstisch gehängt hat“), hätte ihm den Abend jetzt noch retten können - gegen eine mit einem Wahlplakat beklebte Litfaßsäule neben der Bushaltestelle knallte und zu Boden fiel.

Zumindest dachte er, er fiel zu Boden, aber etwas hielt ihm vom Aufprall ab. Er blickte nach oben, in ein von Schatten bedecktes Gesicht und fing lauthals an zu schreien und zu fluchen und zu lallen. „Deppada, was mochsssssssuu doa, geh we-hicks-gggg, los mi los, oiida, schleich di, I, I kumm scho aloa z’recht!“
 

„Okay, mein Freund“ sagte das Schattengesicht und ließ ihn erbarmungslos zu Boden plumpsen. Roderich zischte und fluchte noch mehr über den elendigen Schmerz, der sich in seiner Gesäßgegend ausbreitete und stützte sich an der Schulter der Gestalt neben ihn ab, die sich freundlicherweise hingehockt und ihm die Hand zur Hilfe gereicht hatte, die er gekonnt ignorierte, um aus eigenen Kräften aufzustehen. „Alles gut?“, fragte die Stimme und Roderich wandte sich um, sich nach vorne beugend, ungut nahe, da das Licht der Straßenlampe zu weit weg war und in der Innenstadt die Sterne nicht gut zu sehen waren, um das Gesicht des Fremden zu mustern. „Wer bischn du…?“, hauchte er schließlich und die Gestalt wich zurück, wandte den Kopf ab und hüstelte lachend, als ihn Roderichs Punschatem ohne Vorwarnung umschmeichelte. „Sadiq“, hustete er und grinste, die Hand ausstreckend. „Und du, mein Freund?“
 

Roderich hatte sich so weit nach vorne gebeugt, dass ihn das abrupte Zurücktreten von Sadiq etwas verwirrte, so taumelte er ihm noch ein, zwei Schritte entgegen, bis er wieder Halt fand. Er musterte das Gesicht ausgiebig. Dunkel. Sehr dunkel. Alles daran war dunkel, auch, wenn es hell gewesen wäre. Und nicht Nacht. Dunkle Augen, dunkle Brauen darüber, dunkle, zersauste Haarsträhnen, dunkle Bartstoppeln, dunkle, rauchige, angenehme Stimme. „Geschhhh-tatt‘n!“ Er räusperte sich und ergriff beim zweiten Versuch die Hand. „Roderich der Name.“ Sadiq bewahrte sein Grinsen und schüttelte Roderichs, vom Punsch pickende Hand, er schien sich allerdings nicht daran zu stören. „Freut mich. Was machst hier so spät noch, Kollege?“

Er dachte lange und intensiv darüber nach, verzog das Gesicht und antwortete schließlich: „Isch flanier‘ nach Haus.“ „Soso“, antwortete Sadiq, darauf er: „Und du?“ „Ich bin hier“ er schlenderte mit gemütlichen, doch bestimmten Gang an Roderich vorbei zu der Litfaßsäule, sein Rücken war gut durchtrainiert, er sah stark aus, musste Türke sein. Ein sehr attraktiver Türke mit schöner Stimme, Roderich schüttelte den Kopf. „Um unser‘n Freund hier hübscher zu machen.“ Sadig grinste immer noch, doch seine dunkle Stimme hatte einen verächtlichen Unterton, diese Art von Dunkelheit war nicht schön, sie passte nicht zu ihm. Er deutete auf das Wahlplakat neben ihm, auf dem Straches Gesicht prankte neben den Worten „Daham statt Islam“. Sadiq schnalzte mit der Zunge, als würde er jeden Moment eine eloquente, rhetorisch versierte Rede darüber starten, wie das eine nichts mit dem anderen zu tun hatte, die Heimat nicht an Religion gebunden war, sondern dort lag, wo dein Herz am schnellsten schlug.
 

„I hoss erm a so vü“, zischte Roderich und seine Augen verengten sich, nicht nur, um seine Aussage zu bekräftigen, sondern weil der Alkohol etwas an seiner ohnehin schon sehr eingeschränkten Sehkraft zerrte. Er kam einen gemächlichen Schritt näher, als Sadiq, dessen Mine plötzlich erhellter schien – komisch, dabei war er, es, so dunkel – einen Stift zückte und dem Gesicht auf der Litfaßsäule eine Monobraue malte, gefolgt von einem Bart und einfach so, weil er sich kreativ fühlte, ein paar Teufelshörner. Danach reichte er Roderich den Stift, der erst ihn, dann den Stift, dann das Plakat anstarrte. Er sagte nichts. „Alles gut?“, fragte Sadiq nach einer Weile vorsichtig, doch Roderich verblieb weiterhin schweigend.

Bis er ruckartig – Sadiq erschreckte sich und wich zur Seite – das Schreibgerät erhob und unter den markanten Wahlspruch schrieb:
 

„wovon I nu tram,

is a Wöd in der,

ah in Zeitn so schwer,

die Leit sie ned spoitn,

ned keilern, ned streitn,

über Sochn so, die interessieren mi nicht,

wia Religion oda Sproch oda Forb von deim Gsicht“
 

Klack. Der Stift fiel zu Boden und Roderich machte keine Anstalten, um sich zu bücken, ihn aufzuheben und Sadiq schien das nicht zu stören. Er betrachtete das veränderte Plakat, seine Augen weich und ein leises „Bu güzel...“, das über seine vollen Lippen schlich. So volle Lippen, auf denen des Studenten leicht verschwommene Blicke lagen. Seine Mundwinkel zuckten und sein Bus fuhr vorbei, keiner stieg ein und Roderich dachte auch nicht daran, sich umzuwenden und ihm nachzurennen. Im Licht der Scheinwerfer musterte er das Profil des anderen Mannes, es war kantig und übersäht von kurzen, kratzigen Bartstoppeln. Roderich war sich nicht sicher, ob sie kratzig waren, aber er vermutete es, dass sie kratzten würden, diese Lippen auf den seinen. Er lallte, als er sprach. „Weißssssu was ‚unser’n Freund‘ sicher ozipfn würd?“ Sadiq wandte sich um und blickte den Betrunkenen fragend an. Immer diese Studenten, dachte er. „Waun wia rummochn würdn.“
 

Die dunklen Augen weiteten sich und die bartbestoppelten, kantigen Wangen erröteten, als er ein gestammeltes „N-N-N-N-Ne? Was? Mein Freund, du bist breit.“ Ärgerlich blies Roderich die Backen auf und schnaufte. Hatte er ihn eben fett genannt? „Ich meine betrunken“, korrigierte er schnell als könnte er die Gedanken eines Mannes lesen, dessen kognitive Fähigkeiten im Moment leicht eingeschränkt waren. Roderich zuckte mit den Schultern, Sadiq zögerte und zuckte ebenfalls mit den Schultern. Sie kamen sich näher, nur einen oder zwei Schritt und der – normalerweise - Meister der deutschen Sprache beugte sich nach vorn und küsste flüchtig seine heißen Lippen. „Du bist woam“, brabbelte er leise und sein Punschatem umschmeichelte Sadiqs Kiefer, aber er störte sich nicht daran und lächelte sanft. Er umfasste ihn mit seinen starken Armen und presste Roderich näher an seine Brust. „Du auch, mein Freund“, erwiderte er und küsste ihn so lange und so innig, dass sie gar nicht merkten, als der letzte Bus der Nacht an ihnen vorbeifuhr.



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