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Götterdämmerung

von

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Offenbarung

Yugi hatte gerade eine grundlegende Lektion gelernt: Die beiden großen Räume am Ende des Flurs waren Schlafgemach und Privatschrein des Pharaos und somit für ihn absolut tabu. Hilfreiche Unterstützung bei dieser Erkenntnis, waren ein Medjay und dessen vorgehaltener Krummsäbel gewesen.

Nachdem Yugi schnellstens kehrt gemacht hatte, wanderte er nervös im Privatbereich hin und her. Ein offener Durchgang am anderen Ende des Flurs führte in den königlichen Privatgarten und nach einem kurzen Zögern trat Yugi in den warmen Sonnenschein hinaus. Während seine nackten Füße durch das satte Gras streiften, zogen seine Gedanken ihre Kreise.
 

Wo Joey wohl war?

Ob es ihm gut ging?

In Yugis Brustkorb begann es schmerzhaft zu ziehen. Was sollte er jetzt nur tun? Sollte er fliehen und auf gut Glück nach Joey suchen? Oder zunächst abwarten, in der täglichen Hoffnung den nächsten Tag zu erleben, bis er mehr über die jetzige Situation herausgefunden hatte? Yugi ächzte erstickt. Er verstand plötzlich, wie sich ein wildes Tier in einem Käfig fühlen musste.


 

Von irgendwo her ertönte plötzlich ein leises Stimmengemurmel. Yugi schrak zusammen und sah sich hastig nach einem Versteck um. Sein Blick flog über kleine Büsche, zierliche Statuen und dünnes Papyrusschilf; nichts davon bot genug Schutz um sich dahinter verbergen zu können. Der bittere Geschmack von Panik kroch seinen Rachen hinauf und trocknete seine Zunge aus. Schritt um Schritt wich er zurück und versuchte die Richtung zu orten, aus der die Stimmen kamen, bis sich sein Fuß plötzlich in einer Wurzel verfing. Wie in Zeitlupe fühlte er, dass er das Gleichgewicht verlor. Er griff um sich, um Halt zu finden und schlug doch ungebremst rücklings auf dem Boden auf. Hastig biss er sich auf die Lippe um keinen Laut von sich zu geben und lauschte, ob ihn sein Sturz verraten hatte. Sein Herzschlag tönte aber so dumpf in seinen Ohren, dass er das Stimmengemurmel erst wieder wahrnahm, als es nah war. Zu nah für eine Flucht. Sein Atem stockte.

„Du hast echt nicht mehr alle Latten am Zaun, Mädchen!“


„Was denn? Du wolltest zu Yugi, oder nicht? Und das hier ist nun mal der einzige inoffizielle Weg.“ 


Yugis Herz schlug plötzlich schmerzhaft gegen seine Rippen. Er kannte diese Stimme! Er fuhr so schnell hoch, dass ihm schwarz vor Augen wurde, doch er kämpfte den Schwindel verzweifelt nieder. Atemlos zwängte er sich durch einen dornigen Busch hindurch und rannte auf die beiden Personen zu, die sich gerade in einer halsbrecherischen Aktion von einem nahegelegenen Balkon herabhangelten. 

 

„Joey… JOEY!“ 


Yugi rannte seinen besten Freund regelrecht über den Haufen, kaum dass dieser festen Boden unter den Füßen hatte. Er hörte, wie Joey unter der erdrückenden Umarmung ächzte, aber statt locker zu lassen, drückte er noch fester zu. Er war so unendlich erleichtert, ihn wieder zu sehen.

„Na, na, du machst mir Falten ins Hemd“, bemerkte Joey belustigt, was in Yugi ein albernes Kichern auslöste. Er lachte, bis ihm die Tränen in die Augen stiegen und er japsend nach Luft rang. Endlich fielen die ganze Anspannung, die Nervosität und die Angst für einen Moment von ihm ab. 


„Du weißt gar nicht … was ich mir … für Sorgen gemacht ... habe …“ presste Yugi angestrengt hervor, als er sich endlich etwas beruhigt hatte. Mit einem breiten Grinsen schlug Joey ihm so fest auf die Schulter, dass Yugi ächzend in die Knie ging und tönte: „Ach was, Unkraut vergeht nicht. Aber jetzt erzähl mal, Junge. Was geht hier ab? Was machst du beim Obermufti höchstpersönlich?“
 

„Zeig wenigstens einen Funken Respekt, Joey. Der Obermufti ist Pharao Atemu, klar?“ Tadelnd schob sich Mana in Yugis Sichtfeld und schüttelte den Kopf. Dann grinste sie und bedeutete den Beiden ihr zu folgen. „Man sollte uns besser nicht sehen. Kommt mit; der andere Teil des Gartens ist dicht bewachsen.“

Über einen Umweg führte sie Joey und Yugi an das andere Ende des Geländes. Dort zwängte sie sich zwischen zwei engstehenden Palmen hindurch hinter denen eine kleine, sonnenbeschienene Nische lag, die dank dichtem Gebüsch und hohen Blumenranken vollständig vor Blicken geschützt war. „Hier haben Atemu und ich uns auch früher immer versteckt, wenn wir wieder etwas angestellt hatten.“, erklärte sie mit einem raschen Seitenblick. „So schnell findet uns hier niemand.“

Seufzend ließ Yugi sich auf dem warmen Boden nieder und lehnte sich an einen abgestorbenen Baumstumpf. Neben ihm fiel Joey übermütig ins weiche Gras und grinste breit. „Mann, Mann, Mann… du machst Sachen, Alter.“

„Ist ja nicht so, als hätte ich mich absichtlich in diese Lage gebracht.“, maulte Yugi abwehrend und erntete einen milden Boxschlag in die Seite. 


„Ach, ist doch egal ob du schuld bist, oder du. Jetzt erzähl erstmal was dir überhaupt passiert ist, Yugi. Ich glaube, du hast mehr erlebt als ich.“


Yugis Augenbraue zuckte nach oben, als er seinen Blick über Joeys wertvolle Priesterrobe und schließlich sein eigenes, zerschlissenes Gewand gleiten ließ. Aber er sagte nichts, sondern seufzte nur ergeben und begann zu erzählen.


Es herrschte ein hilfloses und etwas betroffenes Schweigen, nachdem er geendet hatte. Yugi musterte Mana und Joey aufmerksam. Während Joey halb verwirrt, halb aufgebracht ins Nichts starrte, zupfte Mana abwesend einen Grashalm nach dem anderen aus. In ihren Augen lag ein so trauriger Ausdruck, dass es Yugi berührte.


„Aber es ist wirklich nicht soooo schlimm hier“, fügte er schnell hinzu und schenkte Mana ein aufmunterndes Lächeln. Joey schnaubte leise und warf Yugi einen seltsamen Blick zu. „Komm schon Yugi. Ich weiß, dass du immer versuchst alles positiv zu sehen. Aber sei ehrlich, das hier ist doch…“ 


Joey verstummte. Sämtliche Farbe wich von seinen Wangen , während er entsetzt in das dichte Buschwerk starrte, vor dem Mana saß und ihn fragend musterte. 

Yugi folgte Joeys Blick irritiert, wandte sich um – und sah direkt in das Gesicht einer ausgewachsenen Löwin. Sein Mund klappte auf und er versuchte zu schreien, aber ihm entkam nur ein heiseres Krächzen. Sein Kopf schrie ihm zu er solle aufspringen und davonlaufen, doch sein Körper war schwer wie Blei. Plötzlich fühlte er sich gepackt und zu Boden geworfen und noch ehe er verstand was mit ihm geschah, hatte Joey sich auf ihn geworfen.


„B-Bleib starr liegen Yugi! Mit d-dem Vieh n-nehm ich es schon auf! H-Hau ab, du z-zu groß gewachsenes K-Kätzchen!“


Die Löwin schien nicht sonderlich beeindruckt. Sie musterte Joey wie ein besonders langweiliges Insekt, ließ sich auf den Hinterpfoten nieder und gähnte so ausgiebig, dass Mana in helles Lachen ausbrach.


„Joey das ist zwar sehr heldenhaft, aber wirklich unnötig“, kicherte das Magiermädchen und lehnte sich vor um der Löwin sanft über den Kopf zu streicheln. „Darf ich vorstellen? Schesemtet: Atemus Haus- und Schoßtier.“
 


„Schoßtier?“ Joeys Stimme klang ungesund schrill. „So viel Schoß gibt es auf der ganzen Welt nicht, dass dieses Vieh da drauf passt!“


Sein eiserner Griff lockerte sich und gab Yugi endlich genug Bewegungsfreiheit um sein Gesicht aus dem Gras zu heben. Keuchend schnappte er nach Luft, hustete und spuckte ein paar Grashalme aus. Erst dann rappelte er sich langsam wieder auf, sorgsam darauf bedacht keine hektischen Bewegungen zu machen. Sein Blick klebte misstrauisch an der Raubkatze.
 

Im Sonnenlicht schienen ihre tiefgründigen Augen in einem goldenen Licht zu glühen. Sie saß reglos an ihrem Platz, die vorderen Pranken so parallel nebeneinander, wie die vielen Statuen, die den Palast schmückten. Yugi schluckte schwer. Etwas an diesem Anblick war so surreal, dass es ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Sein Blick glitt an dem massigen Tierkörper entlang zu Boden – und plötzlich fühlte Yugi sich, als wäre ein Eimer eiskalten Wassers über ihn ausgeleert worden. 


„Joey … Mana …“ Yugis Stimme war so heiser, dass sie sich überschlug. „Seht ihr … das auch?“ Mit bebender Hand deutete er auf den Boden, doch weder Mana, noch Joey schienen zu begreifen, was er ihnen zeigen wollte.


„Der Schatten“, erklärte Yugi mit nervösem Nachdruck „Er … er steht in völlig falschem Winkel zur Sonne!“

Er hörte, wie Joey ächzte, aber er konnte seinen Blick nicht von dem Schatten abwenden. Irgendetwas geschah dort. Es schien, als ob sich die Schwärze des Schattens bewegen würde, ganz so als wäre er lebendig. Jedes einzelne Haar auf Yugis Körper begann, sich aufzustellen als ihm plötzlich bewusst wurde, dass der Schatten der Löwin verschwunden war. Stattdessen spannte sich zu ihren Füßen die Silhouette einer Frau, auf deren Schultern das mächtige Haupt einer Raubkatze thronte.

Rechts neben Yugi zog Mana scharf die Luft ein. Sie war leichenblass und schien am gesamte Körper zu beben.

„Das ist…“ presste sie fassungslos hervor, „Das … ist …“

 

Ich bin Schesemtet, die Schützerin des Re.
 

Als eine durchdringende Stimme erklang, schlug Mana sich mit einem erstickten Aufschrei die Hände vor die Ohren.

Meine Zeit hier ist begrenzt und ich habe euch viel zu erklären. Habt keine Angst vor mir. Yugi, Joey. Es ist keine Laune des Zufalls, die euch hierher führte. Ihr seid hier, weil Nechbet euch gerufen hat.
 

„Die Beschützerin des Pharaos.“, flüsterte Mana tonlos und schrak zusammen, als der Schatten zu ihren Füßen den Kopf wandte.

Hört mir zu. Schesemtet klang ungeduldig. Die Aufgabe von Nechbet und mir ist es, die Pharaonen zu schützen. Vor einiger Zeit jedoch gelang es dem Gott Seth, Pharao Atemu auf seine Seite zu ziehen. Seitdem ist Seth so stark, dass wir den Kontakt zu Atemu gänzlich verloren haben. Der Pharao verehrt den Wüstengott von ganzem Herzen und stärkt ihn mit jedem Gebet und jeder Opfergabe.
 

„Soll das heißen, der Pharao ist irgendwie … besessen, oder so?“, fragte Joey etwas verständnislos, doch Schesemtet hob die Hand und schnitt ihm das Wort ab.


 

Ihr müsst eines verstehen: Sollte Seths Kraft noch weiter zunehmen, ist die Ordnung der Maat in Gefahr. Seth muss aufgehalten, seine Kraft wieder gebrochen werden. Erst dann ist es Nechbet und mir wieder möglich, den Pharao so zu schützen, wie es unsere Aufgabe ist. Wenn ihr den Bann durchbrochen habt, den Seth um Atemu gewoben hat, dann wird Nechbet euch wieder zurück in eure angestammte Zeit senden.
 

Yugi öffnete den Mund, schloss ihn wieder, schüttelte verwirrt den Kopf und versuchte es erneut: „Ich verstehe gar nichts“, gab er zu. „Was sollen wir – nein, wie sollen wir das alles tun?“


Der Schatten der Göttin flackerte leicht.
 

Um den Handel endgültig zu machen, fordert Seth Blutzoll. Atemu hat sich entschieden, den Pharao Unterägyptens als Opfer darzubringen. Ihr müsst dieses Ritual unter allen Umständen verhindern!
 

Mana entkam ein spöttisches Schnauben, doch sie zuckte sofort zusammen und biss sich auf die Unterlippe. „Verzeih mir, Schesemtet“, murmelte sie kleinlaut und senkte mutlos den Kopf. „Ich möchte nichts lieber, als Atemu zu helfen. Aber selbst ich, als seine engste Freundin, komme nicht mehr an ihn heran. Wie sollen wir ihn vom Einfluss eines Gottes befreien, wenn er nicht einmal mehr auf ein einzelnes Wort seiner loyalsten Gefährten hört?“
 

Das Auge des Re, begann Schesemtet, und Yugi glaubte ein kurzes Zögern in ihren Worten zu hören, ist mächtig genug, um Seths Einfluss einzudämmen. Nechbet war seit je her die Trägerin dieses Artefaktes. Als sie in Raum und Zeit eingegriffen hat, um Yugi und Joey hierher zu geleiten, hat sie einen großen Teil ihrer Kraft aufbringen müssen. Sie regeneriert sich an einem sicheren Ort und dort werdet ihr auch das Artefakt finden. Ihr müsst…

Die Göttin unterbrach sich. Mehrere Male flackerte die Silhouette unruhig.

Keine Zeit… .

Die Struktur des Schattens zerbrach und formierte sich erneut zu den Umrissen einer ägyptischen Kobra.

Seth nähert sich, zischte die Schlange… muss …. gehen…
 

Warte!“ Mana hatte die Hand gehoben, als ob sie nach dem Schatten greifen wollte, verharrte dann aber mitten in der Bewegung. „Wo ist das Auge des Re? Wo finden wir es?“

 

Auge… Pranken des Löwen… Bewacher der Toten. In Sa-

Der Schatten zerbarst. 


 

Der Körper der großen Raubkatze fiel schwer zu Boden und kam vor Mana zum Liegen. Mit zitternder Hand fuhr das Magiermädchen über den sandfarbenen Kopf und entlockte der Löwin ein kraftloses Schnurren.

„Was… soll das heißen? Was ist da eben passiert?“ Aufgelöst starrte Mana zu Yugi hinüber, der nur schwach mit den Schultern zuckte.

„Das fragst du mich?“, entgegnete er leise „Woher soll ich …“


„Mahad,“, murmelte Mana abwesend und schnitt Yugi das Wort ab. „Ich muss Mahad davon berichten. Er kann uns sicher weiterhelfen.“

Sie erhob sich wie in Trance, doch Joey packte sie hastig am Handgelenk und zog sie zurück.


„Warte mal, Mana! Was ist mit Yugi? Du kannst doch jetzt nicht einfach weglaufen und..“


„Ich muss zu Mahad, Joey! Du hast Schesemtet gehört, oder nicht?“


Joey schnaubte. „Lass mal überlegen: Mir hat grade eine zu groß geratene Schoßkatze erzählt, dass sie ‘ne Göttin ist und dass wir doch bitte so ein komisches Auge finden sollen, weil das dem Obermufti hier wieder etwas Verstand in die Birne prügelt, richtig?“

„Joey! Ich habe dir schon einmal gesagt, dass dich dein loses Mundwerk in Schwierigkeiten-“


„Ach, als ob’s mich kümmert. Ich sag dir mal was Überraschendes, Mana: Ich bin schon mitten in den Schwierigkeiten drin!“


„Hey… Leute…“ Yugi hob beschwichtigend die Hände. „Uns gegenseitig anzufahren bringt uns jetzt nicht weiter. Bitte, hört auf.“


Mana fuhr herum und funkelte ihn aufgebracht an, antwortete dann jedoch mit gezwungener Ruhe. „Du hast Recht. Ich wollte nur… wir müssen… Ach, ich weiß doch auch nicht was hier gerade geschehen ist. Aber ich bin mir sicher, dass Mahad uns helfen kann. Er ist nicht umsonst Hohepriester.“


„Natürlich,“, kam es bissig von Joey. „Er hat uns bis jetzt ja auch so wundervoll geholfen.“


„Verdammt noch mal!“ Mana schlug mit der flachen Hand auf den Rasen. „Dann sag du mir doch, was wir tun sollen! Los, her mit deinem supertollen Plan, der uns all das erklärt!“


„Ich hab‘ vielleicht keinen Plan, aber ich weiß eines: Ich lasse Yugi garantiert nicht zurück! Er ist mein bester Kumpel, glaubst du ich lass‘ den hier bei einem Oberguru versauern, der offenkundig nicht mehr ganz frisch im Kopf ist?“


Yugi sah zwar noch wie sich Mana spannte und sprang auf, aber er war zu langsam. Ihre Ohrfeige traf Joey so unvorbereitet, dass es diesem ein überraschtes Keuchen auf die Lippen trieb. 


Ohne eine Reaktion abzuwarten fuhr Mana ruckartig herum und hastete davon. Joey, der mit offenem Mund dagesessen war, sprang auf die Füße, erstarrte dann aber mitten in der Bewegung.

 


„Zicke…“, fluchte er leise und wandte sich nach kurzem Zögern wieder an Yugi. „Komm. Ich bring‘ dich hier erstmal raus. Alles andere überlegen wir später. Wir brauchen keinen Mahad, oder Seto oder sonst wen. Ich pack‘ das schon.“


Yugi zögerte. Er wollte nichts lieber als Joey zu folgen. Raus aus diesem Käfig, weg von dem Pharao und den Medjay. Aber dennoch… 


„Joey… ich… also weißt du…“


„Alter, du willst mir jetzt nicht ernsthaft sagen, dass du hier bleiben willst? Nee du.“

„Natürlich nicht. Klar will ich hier weg. Aber wir müssen logisch denken, Joey. Wo sollen wir hin? Wenn ich hier fliehe, haben wir dutzende Wachleute am Hals, denen es wahrscheinlich egal ist ob sie uns tot oder lebendig erwischen. Wir sind nicht nur in einem fremdem Land, sondern auch in einer fremden Zeit.“


Joeys dunkle Augen blitzten wütend. „Mann, weißt du wie schwierig es war, hier rein zu kommen? Ich hätte mir beinahe den Hals gebrochen und jetzt stellst du dich vor mich hin und erklärst mir, dass du lieber unter der Fuchtel dieses Oberpsychos bleiben willst?“


Yugi seufzte leise, aber erwiderte Joeys Blick standhaft und entschlossen. „Ich bin mir sicher, dass es nicht einfach für dich war und ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dich zu sehen. Trotzdem ist es jetzt das Beste erst einmal die Füße still zu halten. Wir sind hier vielleicht nicht gänzlich sicher, aber zumindest sicherer als allein auf uns selbst gestellt irgendwo im Alten Ägypten. Wir brauchen einen Plan und sollten jetzt nicht kopflos drauf los rennen.“


Joey schwieg. In seinem Blick flackerte Unschlüssigkeit und Yugi zwang sich zu einem Lächeln. „Vielleicht kann uns dieser … Mahad Informationen geben, die uns weiterhelfen. Ich komme hier schon noch eine Weile allein zurecht. Wirklich. Es ist nicht so schlimm wie du dir das vorstellst.“ 


 

Es dauerte einige Sekunden, bis Joey sich wieder rührte. Sein düsterer Gesichtsausdruck sprach Bände über seine Gedanken, doch er überraschte Yugi, indem er stockend nickte. „Also … gut. Dann schwirre ich erstmal wieder ab. Aber ich sag dir eins, Kumpel. Sollte dir was passieren oder solltest du mies behandelt werden, dann schlage ich dem Pharao so auf die königliche Schnauze, dass selbst den Götter die Zähne ausfallen, kapiert?“


Auch wenn Yugi nicht nach Lachen zumute war, flog ein ehrliches Lächeln über seine Züge. „Danke Joey.“, antwortete er leise. „Pass bitte auf dich auf, ja? Und hör ein wenig auf Mana. Sie ist die einzige Verbindung in diese Welt, die wir haben. Wir müssen ihr vertrauen.“ Joey schenkte ihm noch einen ungehaltenen Blick, wandte sich dann um und stapfte unwillig davon. Yugi stieß die Luft aus, die er angehalten hatte und fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht. 



Ein leises Schnauben ließ ihn aufhorchen. Sein Blick fiel auf die massige Löwin, die bis dahin erschöpft geschlafen hatte. Ihre Lefzen zuckten leicht und Yugi schob sich so leise wie möglich zwischen den Büschen hindurch und eilte in den Palast zurück. Er wollte nicht in ihrer Nähe sein, wenn sie erwachte.


 

Mit ungelenken Schritten hastete er in den nächstbesten Raum, ließ die Tür laut hinter sich ins Schloss fallen und ächzte leise. Seine Gedanken rasten wirr umher und er schloss einen Moment die Augen um sich zu sammeln. Er musste über all das nachdenken, was er gerade gehört hatte. Nachdenklich schürzte er die Lippen, öffnete die Augen – und sah direkt in das Gesicht des Pharaos, der mit hochgezogenen Augenbrauen vor ihm stand. Yugi spürte, wie ihm der Mund aufklappte und er schloss ihn so hastig, dass es ihm einen froschähnlichen Laut entlockte. Peinlich berührt kratzte er sich an der Nasenspitze.

„Oh… Ähm… ich wusste nicht, dass Ihr hier seid. Ich… dachte Ihr wärt bei der Prozession.“ Der Versuch sein überfallartiges Eintreten zu entschuldigen, brachte ihm nur einen abwertenden Blick des Pharaos ein.


„Ich bin dir keine Rechenschaft über meine Anwesenheit schuldig.“


 

Yugis Wangen brannten. Er öffnete mehrmals den Mund, aber da ihm keine intelligente Erwiderung einfiel, schwieg er. Nach einigen Augenblicken in quälender Stille trat ein Diener ein und begann damit Atemu das Leopardenfell abzunehmen und es mit dem blauen Schmuckgürtel auszutauschen, den er am Morgen noch getragen hatte.
 

„Sag mir, Yugi, was war deine Aufgabe in deiner Heimat?“


Irritiert sah Yugi auf, er verstand die Frage des Pharaos nicht richtig. „Meine Aufgabe?“ wiederholte er gedehnt. 


Atemu wandte seinen Blick betont langsam von dem Diener ab. „Aufgabe, Beruf – nenne es wie du willst, aber antworte, wenn dir Fragen gestellt werden.“ In seinen Augen lag eine spürbare Ungeduld. Und eine eisige Kälte.


Yugi versteifte sich unwillkürlich. „Nun… ich … ich war…“, begann er und zögerte dann. Wie sollte er dem Pharao verständlich machen, dass er eigentlich ein ganz normaler Schüler war, der gerade den Abschluss an der Oberstufe machen sollte? Er schüttelte leicht den Kopf und entschied sich für eine andere Variante. „Ich habe meinem Großvater geholfen. Er ist … Händler“


Atemu schwieg, aber er schien vorerst zufrieden mit der Antwort. „Kannst du schreiben? Lesen?“ 


Yugi nickte, stockte plötzlich und schüttelte den Kopf. „Nicht die hiesige Sprache“, gab er zu, was Atemu ein verächtliches Schnauben entlockte. 


„Zusammengefasst bist du also gänzlich nutzlos.“


Yugi schnappte empört nach Luft. „Nutzlos? Verzeiht, Pharao, aber das ist…“ eine Frechheit, dachte er „…nicht sehr gerecht.“ sagte er.


Atemu schlüpfte in die weißen Leinenschuhe, die sein Diener ihm bereit hielt. „Gerecht? Du bist in keiner Position um Gerechtigkeit einzufordern zu können.“ Er wandte Yugi den Rücken zu und trat näher an den Schreibtisch heran. „Du erhältst hier Kost und Unterkunft, glaubst du, dass ich dafür keine Gegenleistung erwarte?“


Yugi schnaubte und murmelte an sich selbst gewandt unter zusammengebissenen Zähnen: „Kost und Unterkunft? Ich lebe hier wie ein verdammtes Haustier.“

 

Die Ohrfeige traf ihn so hart und unvorbereitet, dass er mit einem unterdrückten Aufschrei zu Boden ging. 


"Ich würde dir raten, deine Zunge im Zaum zu halten, Gossenjunge." Atemus Stimme bebte vor Wut und Yugi biss sich auf die Zunge um jeden weiteren Laut zu unterdrücken. Mit zitternden Fingerspitzen fuhr er sich über die brennende Wange. Es war ein verdammt harter Schlag gewesen. Fassungslos hob Yugi seinen Blick und sah zu dem Pharao auf, der mit noch immer erhobener Hand vor ihm stand. Als sich ihre Blicke trafen, flackerte plötzlich etwas Atemus violetten Augen. Langsam senkte er seinen Blick auf die zum Schlag erhobene Hand, sah zurück in Yugis Gesicht und verharrte dort. Sekunden vergingen, in denen der Pharao reglos vor Yugi stand, der Blick starr, die Augen leicht geweitet. Seine Lippen öffneten sich, doch er sagte kein Wort. Mit einem Mal fuhr Atemu herum und verschwand zu schnell um noch gefasst zu wirken. Yugi starrte ihm nach, bis er ihn nicht mehr sehen konnte.


Seine Wange brannte noch immer.
 

~oOo~
 

„…und das war alles.“
 

Mahads rechte Augenbraue zuckte, als Mana ihre Geschichte beendetet hatte. Er schwieg lange, um vollständig nachzuvollziehen zu können, was er gerade gehört hatte. Ein Räuspern von Seto riss ihn schließlich aus seinen Gedanken. „Glaubst du ihr, Mahad?“


Mana zuckte unter dieser direkten Frage sichtlich zusammen. Mahad zögerte mit der Antwort. Nachdenklich ließ er seinen Blick über das Gesicht seiner jungen Schülerin schweifen. So blass und aufgewühlt hatte er sie noch nie erlebt. Auch wenn die Geschichte abstrus klang, hatte er das Gefühl, dass Mana die Wahrheit gesagt hatte.

Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung wahr und hob den Kopf, als Ishizu näher heran trat. Sie sah ihn an, aber schien gedankenverloren durch ihn hindurch zu blicken während sie sprach.
 

„Während meiner Zeit als Jungpriesterin habe ich einmal eine Schriftrolle gelesen, in der das Auge des Re als reales Artefakt dargestellt wurde. Ich habe es damals für eine Legende oder eine Art Metapher gehalten, aber vielleicht…“


Sie kam nicht dazu ihren Satz zu beenden, denn plötzlich fuhr Mana von ihrem Stuhl hoch. „Natürlich existiert es! Ich sage die Wahrheit! Warum sollte ich in so einer wichtigen Angelegenheit lügen?“


Seto schnaubte. „Es ist schwer, jemandem zu glauben, der es mit der Wahrheit oftmals nicht so genau nimmt.“ Mahad hob schnell eine Hand als er sah, wie die Farbe gänzlich aus Manas Gesicht wich. „Lass es gut sein, Seto. Es mag sein, dass Mana mehr Flausen im Kopf hat, als eine Jungpriesterin haben sollte, aber sie lügt nicht. Ich glaube ihr und das sollte dir genügen.“


Seto schnaubte erneut und stieß sich dann von der Wand ab, an der er gelehnt hatte. „Nun gut. Das Auge des Re also.“ Er schwieg einen Moment und warf Mana einen durchdringenden Blick zu. „Pranken des Löwen. Bewacher der Toten. Was soll das überhaupt heißen? Es klingt eher, als hättest du wieder einmal nicht richtig zugehört.“

„Seto, es reicht!“ Mahad spürte wie der Ärger in ihm aufstieg. „Es wäre uns mehr geholfen, wenn du deine Aufmerksamkeit mehr auf das vorliegende Problem und weniger auf Mana legen würdest.“


„Meines Erachtens sind das vorliegende Problem  und Mana recht eng miteinander verknüpft. Wie sollen wir mit diesen wenigen Angaben arbeiten?“


 

„Die Sphinx.“


Ishizus nachdenklicher Einwurf unterbrach Seto und zog die Aufmerksamkeit aller auf sich. Ihre blauen Augen schimmerten hell. „Es ist die Sphinx.“


Mahads Augenbrauen hoben sich überrascht. „Natürlich,,“ murmelte er. „Ein Löwe…“ 
„..…als Bewacher der Toten.“ Beendete Ishizu seinen Satz. „Das verkompliziert die Sache allerdings.“ 



Seto massierte sich mit spitzen Fingern die Nasenwurzel und schüttelte leicht den Kopf. „Sakkara also. Gut. Ich werde einen Trupp zusammenstellen und schnellst möglich aussenden. Dann sollte das Artefakt bald in unseren Händen sein, sofern es existiert.“

Mahad merkte, wie ihm einen kurzen Moment der Mund vor Überraschung offen stand. „Das meinst du doch jetzt nicht Ernst? Du willst nach Sakkara?“


Seto zuckte mit den Schultern und musterte Mahad abschätzig. „Ich gehe nicht davon aus, dass sich das Artefakt gnädigerweise selbst auf den Weg macht.“


„Muss ich dich daran erinnern, dass Sakkara mitten im Feindesland liegt? Seto, wir haben Krieg, wir können nicht einfach durch Unterägypten reisen!“


Ein durchdringender Blick von Seto traf ihn und Mahad verschränkte betont entschlossen die Arme. Setos Oberlippe zuckte unwillig. „Ich brauche keine Belehrungen, Mahad. Wenn das Auge in Sakkara liegt, muss es von dort geholt werden.“



Noch ehe Mahad etwas erwidern konnte, mischte Ishizu sich ein. „Es ist gefährlich,“ bemerkte sie nachdenklich. „An der Front herrscht eine sehr brüchige Ruhe. Wenn auch nur einer unserer Männer gefangen werden würde, könnte das zu einer Kettenreaktion führen.“


Seto massierte erneut seine Nasenwurzel. „Auch das ist mir bewusst, Ishizu, danke für diesen unnötigen Exkurs.“





Mahad spürte, wie eine Ader an seiner Stirn zu pochen begann. „Ich glaube tatsächlich, du bist nicht bei klarem Verstand.“, zischte er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. „Du stellst dich gegen jede Anweisung unseres Pharaos. Ist dir bewusst, dass du Landesverrat begehen willst?“


Seto knurrte leise und erhob sich. „Der Einzige, der nicht bei klarem Verstand ist, ist unser Pharao.“


„Achte auf deine Worte, Seto, ich lasse nicht zu, dass du in meiner Gegenwart so respektlos über unseren Pharao sprichst!“


„Willst du es nicht begreifen, Mahad? Der Pharao ist nicht mehr in der Lage, klare Entscheidungen zu treffen. Mir ist sein irrationales Verhalten schon lange aufgefallen. Wenn er so weitermacht, geht dieses Land vor die Hunde, zusammen mit allen, die sich in falschem Pflichtbewusstsein verrannten. Das werde ich nicht zulassen und wenn es gegen seinen Willen ist!“


Mahad erhob sich in einer so wütenden Bewegung, dass sein Hocker umkippte. „Du willst dich tatsächlich gegen eine Entscheidung stellen, die wir im Rat der Hohepriester getroffen haben?“


„Seit wann triffst du die Entscheidungen alleine?“


„Ich treffe sie nicht alleine. Ishizu ist der gleichen Meinung wie ich. Solltest du dennoch einen Trupp lossenden, werden wir alles in unserer Macht stehende tun, um das zu verhindern.“



„Nun hört doch auf!“ Ishizus Stimme peitschte scharf durch den Raum und hinterließ gepresste Stille. „Mahad, wir müssen handeln. Du warst doch selbst anwesend, als Pharao Atemu das Gebet im Tempel verweigert hat. Kein Pharao zuvor hat je…“

Mahad unterbrach sie mit einem harschen Laut. „Stellst du dich auf Setos Seite? Ich hätte dich für vernünftiger gehalten, Ishizu.“


„Das habe ich nicht gesagt. Ich sage nur, dass es so nicht weiter gehen kann. Eine überhastete Abreise nach Sakkara wäre jedoch der falsche Weg. Ihr habt beide Recht und Unrecht gleichermaßen.“


Setos Blick verdüsterte sich. „Du machst es dir ganz schön leicht, nicht wahr? Du sprichst jedem ein wenig nach dem Mund, aber deine eigene Meinung kund zu tun ist dir ein zu hohes Risiko. Ich für meinen Teil werde das tun, was ich für das Wohl dieses Landes als richtig erachte. Das ist meine Pflicht als Hohepriester. Versteckt ihr euch weiterhin hinter gedankenlosem Pflichtbewusstsein und feiger Kompromissbereitschaft.“

Mit diesen Worten fuhr er herum und verließ den Raum in weit ausgreifenden Schritten. Mahad sah ihm lange nach und versuchte das wütende Beben seiner Hände zu unterdrücken. Er musste Seto irgendwie aufhalten!


 

„Hörst du überhaupt zu?“


Mahad zuckte leicht zusammen und wandte sich Ishizu zu, die augenscheinlich schon eine Weile mit ihm gesprochen hatte, ohne dass er auch nur ein Wort wahrgenommen hatte.


„Ich habe…“, begann der Hohepriester, wurde jedoch sofort von Ishizu unterbrochen, die mit zornig blitzenden Augen auf ihn zu trat.  


„Nicht zugehört. Ja, das ist mir durchaus bewusst. Kannst du mir dein Verhalten gerade bitte erklären? Seit wann bist du der alleinige Vorsitz des Rates und kannst Entscheidungen fällen?“


„Fang jetzt nicht auch noch du damit an, Ishizu. Es ist doch...“


„Anfangen? Ich konnte bisher nicht einmal mitreden! Ich stehe auf der gleichen Ebene wie du, ich habe das gleiche Entscheidungs- und Vetorecht und doch erdreistest du dich, mir über meinen Kopf hinweg eine Meinung anzudichten!“


„Das war nicht…“


„Du behandelst mich vor Seto wie eine Schülerin, die nur dafür da ist, deine eigenen Entscheidungen zu bejahen. Und wenn ich das nicht tue, fühlst du dich persönlich angegriffen und sprichst mir jegliche Vernunft ab. Hast du schon einmal daran gedacht, dass vielleicht du derjenige bist, der falsch liegt?“


Mahad war zu überrascht, als dass er es auf eine weitere Erwiderung ankommen ließ. Stattdessen verschränkte er die Arme, wandte Ishizu den Rücken zu und starrte aus dem Fenster. Er hörte sie noch einmal aufgebracht schnauben, ihre schnellen Schritt, die sich von ihm entfernten und die Tür, die so heftig ins Schloss fiel, dass er zusammenzuckte. „Hysterische Gans“, entfuhr es dem Hohepriester leise und er wischte sich hastig mit der Hand über den Mund.


 

Es wurde still im Raum.

So still, dass er seinen eigenen, unruhigen Atem übermäßig laut hören konnte. Mahad schloss die Augen und atmete mehrere Male betont langsam ein und aus. Er war noch immer wütend. In diesem Zustand konnte er nicht klar denken. Waren Ishizu und Seto beide verrückt geworden? Sie konnten doch nicht tatsächlich auch nur einen Gedanken daran verschwenden, den Pharao zu hintergehen. Sollten sie in Unterägypten gefasst werden, würden sie entweder als Spione hingerichtet oder als Pfand gegen den Sieg eingetauscht werden. Doch egal wie – der Krieg würde erneut in aller Härte aufflammen.


Mahad seufzte. Was sollte er tun? Würde er sich offen gegen sie stellen, müsste er sie des Verrats bezichtigen. Und auf Hochverrat stand seit jeher die Todesstrafe.


 

„Ähem…“


Ein leises Räuspern ließ Mahad herumfahren. Auf einem niedrigen Hocker neben einem Schrank voll Papyrusrollen, saß noch immer, klein und verloren, Mana. Es dämmerte Mahad, dass seine Schülerin den Raum nie verlassen hatte. Er hatte ihre Anwesenheit völlig vergessen.


„Also…“, murmelte Mana langsam. „Was… ist nun mit der Reise?“


Der letzte, dünne Geduldsfaden in Mahad riss. Er schlug so heftig mit der Faust auf den Tisch, dass ein Tonkrug ins Wanken kam und unter lautem Klirren auf dem Boden zerbarst. „Es wird keine Expedition geben! Dieses vermaledeite Auge wird unter der Sphinx bleiben, bis es verrottet! Und wage es ja nicht auch nur daran zu denken, dich hinter meinem Rücken aus dem Staub zu machen! Wenn ich dich noch einmal dabei erwische, eine Anweisung von mir zu missachten, dann ist deine Ausbildung zur Priesterin noch im gleichen Moment beendet und ich werfe dich höchstpersönlich aus dem Palast, hast du das verstanden!?“


Als er den erschrockenen Ausdruck in Manas weit aufgerissenen Augen sah, wurde Mahad bewusst, dass er seine Wut nicht mehr unter Kontrolle hatte. Er musste hier raus. 


Mit wehendem Umhang eilte er den Flur entlang. Es war ihm gleichgültig, dass es wie eine Flucht wirken musste und er blieb erst stehen, als er die sandigen Ufer des Nils erreichte.
 

~oOo~
 

Die Sonne war schon längst untergegangen und hatte der Nacht Platz gemacht. Stumm saß Mana auf dem Flachdach ihrer Behausung und starrte zur Mondsichel auf. 


Sie hatte die Hohepriester noch nie so erlebt. Vor allem Mahad nicht. Sie hatte einen Moment lang tatsächlich Angst vor ihm gehabt. Würde Mahad die Drohung wahr machen? Würde er sie tatsächlich rauswerfen? Die Ausbildung zur Magierin war der größte Wunsch ihres Lebens, sie hatte doch so hart dafür gearbeitet.

Seufzend lehnte Mana sich zurück und baumelte mit den Beinen. 


 

„Ach da bist du. Ich hab dich schon überall gesucht. Und damit meine ich wirklich überall. Wusstet du, dass die Bediensteten in der Küche etwas verschnupft reagieren, wenn man da einfach rein latscht?“


Mana schrak zusammen, als plötzlich eine Stimme zu ihr drang und linste überrascht über die Dachkante. Joey grinste breit zu ihr auf und zog sich mit einem kräftigen Ruck nach oben, wo er sich mit einem schweren Ächzen neben sie fallen ließ. Eine Weile herrschte ein unangenehmes Schweigen, bis Joey schließlich seufzte und verlegen mit den Fingern Kreise in den Staub malte. 


„Du, ich wollte… hm… also… sorry, wegen vorhin. Ich hätte dich nicht so anschreien sollen. Das war alles irgendwie etwas viel und … ach, ich weiß auch nicht. Sorry.“

Mana zwang sich zu einem leichten Lächeln. „Schon gut. Heute ist alles einfach verrückt.“ 


Sie schwiegen wieder.


 

„Und was macht Yugi?“


„Der wollte bei dem Obermu-… Pharao bleiben. Er sagte, wir sollten erstmal einen guten Plan zurecht schustern, statt blindlings ins Verderben zu laufen.“


„Ja. Das ist vernünftig.“


Stille.


 

„Und was war bei dir so? Hast du schon mit Mahad gesprochen?“


Die Frage verursachte bei Mana Zahnschmerzen. „Ja. Aber irgendwie ist das alles aus dem Ruder gelaufen. Am Ende schrie jeder jeden an…“ 


Sie seufzte und schüttelte den Kopf, als könnte sie dadurch das schale Gefühl abstreifen, das zurückgeblieben war. 


„Ach, sowas gehört doch auch mal dazu. Einmal ordentlich Luft machen und dann sieht die Welt schon wieder anders aus.“ Joey fuhr sich salopp durchs Haar und schenkte Mana ein aufmunterndes Grinsen. Im Mondlicht glänzten seine hellen Haare wie silberne Fäden und zogen Manas Bewunderung auf sich. Erst nach einer Weile wurde ihr bewusst, dass sie Joey deutlich zu lang angestarrt hatte. Hastig fuhr sie sich mit einer Hand über das Gesicht um die Röte zu verbergen, die mit einem Mal über ihre Wangen floss. 


„Das ist nicht so einfach“, beeilte sie sich zu sagen, zog die Beine an und umklammerte ihre Knie mit den Armen. „Weißt du, Mahad und Ishizu sind für mich der Fels in der Brandung. Sie sind immer ruhig, gelassen und vernünftig. Ich wollte immer so sein wie sie.“ 


Nachdenklich legte sie ihr Kinn auf ihre Knie und sah zu Joey hinüber, der sie mit einem seltsamen Grinsen musterte. „Was ist?“ fragte sie herausfordernd, aber Joey grinste nur noch breiter, hob eine Hand und wuschelte ihr freundschaftlich durch die langen Haare. „Du passt genau so, wie du bist. Außerdem kannst du gar nicht so werden wie Mahad. Seine Tunika wäre dir viel zu groß.“


„Was …?“ Mana starrte ihn mit offenem Mund an, doch dann begann sie leise zu kichern. „Du bist echt ein Blödmann.“ 


Joey zwinkerte albern, wurde dann aber wieder ernst und starrte in den Nachthimmel. „Ich weiß schon was du meinst…“, murmelte er dann leise. „Für mich ist Yugi so eine Person. Er ist immer da wenn ich ihn brauche. Er rückt mir den Kopf zurecht, wenn ich wieder mal durchdrehe und ich kann mich immer auf ihn verlassen.“

Als er sich wieder zu ihr umwandte, strahlte er eine solche Ernsthaftigkeit aus, dass Mana eine Gänsehaut bekam. „Ich will und ich werde Yugi da raus holen“, fuhr er entschlossen fort. „Da wird mich niemand aufhalten. Und wenn ich dafür dieses Auge brauche, dann hole ich es.“


Mana spürte, wie ihr Herz einen Moment aussetzte, ehe es merklich schneller zu pochen begann. Unruhig rutschte sie auf ihrem Sitzplatz umher. „Das ist… nicht so einfach,“, entgegnete sie matt. „Der Weg ist sehr weit und wirklich gefährlich.“ 


Joey wischte ihren Einwand mit einer lässigen Handbewegung beiseite. „Besser als hier zu sitzen ist es aber allemal.“ 


 

In Manas Nacken begann es zu kribbeln. Sie wusste, dass Joey sie schon längst überredet hatte. Sie wollte nichts mehr, als Atemu zu helfen wieder zu dem zu werden, der er gewesen war – egal ob es gefährlich wurde oder nicht. Doch Mahads Worte hallten in ihren Ohren nach. Wenn sie Joey begleitete, würde sie alles verlieren, was sie sich aufgebaut hatte. Es stach schmerzhaft in ihrer Brust. 


„Du musst nicht mit, wenn du nicht willst. Sag mir einfach, wo ich hin gehen muss.“ 
Joeys Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Sie wandte sich zu ihm um und zuckte leicht zusammen, als sie sah, wie nah er ihr war. Er hatte sich zu ihr vorgebeugt und sah sie ernst an. In seinen braunen Augen lag eine solche Willensstärke, dass etwas in Mana zerriss. 


„Karten.“, murmelte sie leise. „Wir brauchen Landkarten.“


Wir?“ Joeys Mundwinkel zuckten leicht.


Mana holte noch einmal tief Luft, dann nickte sie.

„Ja. Wir.“ 






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