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Der Wiedergeborene

von

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Wütend stapfte Caleb durch den Schnee nach Hause. Er war von Kopf bis Fuß durchnässt, was er seinem Zusammenstoß mit den anderen Teenagern aus dem Dorf zu verdanken hatte. Dennoch war ihm nicht kalt. Im Gegenteil. Ihm war sogar sehr warm! Und das bei diesen Minustemperaturen und der nassen Kleidung. Caleb war anders als die anderen Kinder. Er war schon immer … „komisch“.
 

Zum Beispiel trug er stets kurze Hosen und ein Hemd, selbst im kältesten Winter. Er verbrannte sich nicht, wenn er etwas Heißes aß oder trank oder mit Feuer spielte. Und angeblich hatte er letztes Jahr einem Mädchen weh getan. Wie genau das passiert sein sollte, konnte er nicht sagen. Er erinnerte sich noch genau. Es war Sommer und die Kinder hatten draußen Fangen gespielt. Als Caleb sich ihnen näherte, fingen sie an ihn zu ärgern und mit Sachen zu bewerfen. Ein Mädchen, Amy, hatte sich auf seine Seite geschlagen und verteidigte ihn. Doch er war bereits sauer auf die anderen und als Amy ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter gelegt hatte, schrie sie schmerzerfüllt auf. Später hatte er erfahren, dass sie sich die Hand verbrannt hatte. Daran gab man Ihm die Schuld … Jedoch konnte er es sich nicht erklären. Nie hätte er Amy wehtun können, ausgerechnet ihr, die immer zu ihm hielt. Doch seit diesem Tag, mieden sie Caleb noch mehr. Selbst in der Schule war er nicht gern gesehen, weshalb ihn seine Mutter zuhause unterrichtete. Und heute hatten sie ihn mit so vielen Schneebällen beworfen, dass selbst seine Knochen nass zu sein schienen.

Vor der Haustür blieb er stehen und atmete tief durch, bevor er die Tür öffnete und hineinging.
 

„Caleb, bist du das?“, hörte er seine Mutter aus der Küche fragen.
 

„Ja, wer sonst?“, gab er grummelnd zurück.
 

In der nächsten Sekunde stand seine Mutter schon in der Küchentür und sah ihn besorgt an. Wie sie so schnell sein konnte war ihm ein Rätsel, wie eigentlich alles in seinem Leben.
 

„Was ist passiert? Haben die Anderen dich wieder geärgert?“
 

Caleb verzog verärgert das Gesicht und deutete mit den Händen an sich herab, antwortete jedoch nicht.
 

„Ach Schatz“, sagte seine Mutter mitfühlend. „Das tut mir so leid, mein Kind.“
 

„Schon gut“, murmelte er und lief an seiner Mutter vorbei in die Küche. Er setzte sich an den Esstisch und fing an, an einer Kerze rumzuspielen.
 

„Weißt du Mom“, sagte er nachdenklich. „am schlimmsten ist, dass selbst Amy jetzt Angst vor mir hat. Sie war die einzige, die nett zu mir war. Warum sollte ich sie verletzen? Darüber denken die Anderen nicht nach. Selbst die Erwachsenen meiden mich. Ich weiß nicht, wie es passiert ist!“
 

Caleb bebte vor Wut und Verzweiflung und die Reaktion seines Körpers konnte er sich nicht erklären. Ihm wurde heiß und dass Wasser, was ihn durchnässte fing auf unerklärlicherweise an zu verdampfen.
 

„Caleb beruhige dich!“, mahnte ihn seine Mutter, doch Caleb wurde noch wütender und funkelte sie an.
 

„Mich beruhigen? Mom! Sieh mich doch an! Was passiert hier mit mir?“, erwiderte er etwas lauter, als er eigentlich wollte.
 

„Mein lieber Junge“, sagte sie verzweifelt und nahm ihn in den Arm.
 

Caleb wehrte sich, er wollte seine Mutter nicht verletzen, sowie es mit Amy passiert war. Doch sie schloss bestimmt die Arme um ihn und sprach beruhigend auf ihn ein. Er schöpfte Hoffnung, doch nicht Schuld an Amys Verbrennungen zu sein – seiner Mutter geschah schließlich auch nichts.
 

„Hab keine Angst Caleb. Schon bald wirst du verstehen“.
 

Kaum hatten diese Worte ihren Mund verlassen, wusste er, dass mit ihm doch etwas nicht stimmte. Und seine Mutter verschwieg es ihm. Doch bevor er etwas erwidern konnte, löste seine Mutter die Umarmung, lächelte ihn aufmunternd an und strich ihm durch sein rabenschwarzes Haar.
 

„Denk nicht mehr darüber nach mein Schatz“, sagte sie, beugte sich zu ihm herab und küsste ihn auf die Stirn. „Und jetzt geh und mach deine Aufgaben. Ich erwarte, dass sie noch vor dem Abendessen fertig sind.“
 

Stöhnend stand Caleb auf und schlurfte ins Wohnzimmer. Zwar war der Unterricht zuhause besser als in der Schule, dennoch … es waren Hausaufgaben. Kein Kind mochte Hausaufgaben.

Resigniert nahm er sich das Buch „Mythologie und Sagen“ aus dem Bücherregal und setzte sich auf einen Sessel am Kamin, in dem bereits ein Feuer vor sich hin prasselte. Kurz war er versucht, das Buch in die Flammen zu werfen, doch seine Mutter hatte noch viele andere Bücher über Mythologie. Sie hatte eine Vorliebe für dieses Thema, doch Caleb verstand diese ganz und gar nicht und er fragte sich, warum sie ihn solche Sachen lehrte. Im Lehrplan kam so was sicherlich nicht vor. Aber er hier fügte er sich seinem Schicksal und kämpfte sich mühsam durch diese “Märchen“. Er verzog genervt die Miene, als er das Buch an der Stelle aufschlug, wo er das letzte Mal stehen geblieben war. Im Kapitel über Einhörner … Uargh! Das war so öde und eindeutig ein Thema für Mädchen. Caleb war schließlich schon fast ein Mann und Einhörner interessierten ihn so gar nicht. Kurz überlegte er und linste über die Rückenlehne des Sessels, um zu schauen, ob seine Mutter in der Nähe war. Schließlich blätterte er im Buch, auf der Suche nach etwas, das eher für Jungs in seinem Alter von Interesse war. Er war schon im letzten Drittel des Buches angelangt, als er auf etwas stieß, das tatsächlich sein Interesse weckte.

Es war eine Abbildung von einem wunderschönen Vogel, dessen Gefieder golden und rötlich funkelte. Seine Flügel waren, wie zum Abflug bereit, ausgebreitet und die langen Schwanzfedern gingen in lodernde Flammen über. „Der Phoenix“ stand in altertümlicher Schrift über dem Bild. Caleb bestaunte ehrfürchtig diesen Vogel und strich sachte, schon fast liebevoll über das Bild. Irgendetwas regte sich in seinem Inneren. Eine Erinnerung an etwas,… etwas das längst vergessen schien. Doch als er versuchte diese Erinnerung zu greifen entschwand sie ihm. Dennoch hinterließ sie ein Gefühl in ihm, dass er nicht deuten konnte. Neugierig geworden, blätterte er abermals um und las den Text auf der nächsten Seite:
 

Der Phoenix, oder auch der Wiedergeborene, ist eins der mystischsten Wesen unserer Geschichte. Er wird meist in Form eines gold-roten Vogels der von Feuer umgeben ist dargestellt. Um den Phoenix ranken sich viele Sagen. So war er in der späten Antike das Symbol für Unsterblichkeit, weil er über eine Fähigkeit verfügt haben soll, dass er Wunden von selbst heilen konnte. Auch seine Tränen sollten eine heilende Wirkung sogar gegen Gift haben. Später jedoch stand der Phoenix als Symbol der Auferstehung. Es heißt, dass der Phoenix in Flammen aufgeht, wenn seine Zeit zu sterben gekommen war, um dann aus seiner Asche empor zu steigen. Die gesamten Sagen rund um den Phoenix konnten jedoch nie wirklich bewiesen werden, weshalb seine Existenz stark angezweifelt wird.
 

Caleb schreckte auf, als das Feuer im Kamin plötzlich aufloderte und ließ das Buch fallen.
 

„Was in Gottes Namen war das?“, fragte er atemlos und hielt sich die Hand an die Brust.
 

Als er sich schließlich von dem Schrecken erholt hatte, schüttelte er lachend den Kopf. Noch nie hatte ihn ein Text so sehr fasziniert, dass er alles andere um ihn herum ausgeblendet hatte. Und jetzt fand er seine Reaktion ziemlich lächerlich. Wahrscheinlich hatte sich ein Luftzug im Kamin verfangen und hatte so die Flammen auflodern lassen. Kichernd beugte er sich vor, um das Buch wieder aufzuheben, blieb jedoch verdutzt in der Bewegung stehen.
 

Das Buch lag offen auf dem Boden und zwischen den Seiten lugte eine Fotografie heraus. Caleb runzelte die Stirn, als er das Buch und das Foto aufhob und es sich anschaute. Ungläubig starrte er auf das alte Foto, dass seine Mutter in jüngeren Jahren zeigte. Sie strahlte glücklich in die Kamera und hatte sich bei einem jungen Mann unter gehackt, der frech grinste. Im ersten Moment dachte Caleb es sei sein Vater. Die Ähnlichkeit war verblüffend. Die gleichen Augen, dieselbe Nase, Lippen, selbst die Statur war ähnlich, nur dass Caleb um einige Jahre jünger war. Doch dann fiel ihm die Ähnlichkeit zwischen seiner Mutter und dem Mann auf. Sie waren sich wie aus dem Gesicht geschnitten. Die Beiden mussten miteinander verwandt sein, wenn sie nicht sogar Zwillinge waren... Aber noch nie hatte Caleb seine Mutter über ihren Bruder reden hören. Okay, wenn er es genau nahm, hatte sie noch nie über irgendjemanden aus der Familie gesprochen. Nicht einmal von seinem Vater. Doch bis jetzt war ihm das nicht sonderlich aufgefallen. Er nahm sich vor, seine Mutter später nach dem Mann auf dem Bild zu fragen, der ohne Zweifel mit ihm verwandt sein musste.
 

Plötzlich durchzuckte ihn ein stechender Schmerz, der ihm durch Mark und Bein ging. Keuchend hielt er sich den Kopf und krümmte sich. Ihm wurde schwindelig und alles verschwamm vor seinen Augen. Bilder flatterten in seinen Gedanken auf, Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit. Caleb stöhnte vor Schmerz und kniff die Augen zu. Doch weitere Bilder strömten auf ihn ein, so schnell, dass er fast nur verschwommene Farben erkennen konnte. Caleb fiel vom Sessel und musste sich mit den Armen abstützen, damit er nicht mit dem Kopf auf die Dielen knallte.
 

„Oh Gott“, brach er krächzend heraus, bevor er sich behutsam auf dem Boden zusammenrollte.
 

Der Schmerz betäubte seine Sinne, seinen Körper. Seine Ohren rauschten, als sei er unter Wasser. Seine Zunge fühlte sich dick und pelzig an … In seinem Kopf schien nichts zu existieren, außer diesem Schmerz.
 

Caleb wusste nicht, wie lange er dort gelegen hatte, unfähig zu denken oder sich zu bewegen, doch als er wieder zur Besinnung kam, befand er sich in seinem Bett. Ächzend versuchte er sich aufzurichten, doch sein Körper war schwer wie Blei und sein Kopf fuhr immer noch Karussell.
 

„Mom?“, stöhnte er, bekam jedoch keine Antwort.
 

„Mom?“, rief er abermals, diesmal etwas lauter und sofort öffnete sich seine Zimmertür und seine Mutter sah ihn besorgt an.
 

„Hey“, sagte sie sanft. „du bist ja endlich wach. Ich hab mir schon Sorgen gemacht und wollte gerade den Arzt holen.“
 

Während sie das sagte, kam sie auf ihn zu und setzte sich auf die Bettkante. Liebevoll strich sie ihm durchs Haar.
 

„Den Arzt?“, frage Caleb schwach.
 

„Ja Schatz. Du lagst bewusstlos auf dem Boden, als ich dich fand und hattest furchtbar hohes Fieber“, erwiderte sie und strich ihm abermals durchs Haar.
 

Caleb runzelte die Stirn. Fieber? Er hatte bisher noch nie Fieber gehabt. Er war bisher auch noch nie krank geworden, was schon allein ziemlich seltsam war. Aber an seltsames hatte er sich bereits gewöhnt.
 

„Was ist denn passiert, Caleb?“, fragte sie, klang jedoch so, als ob sie es schon wüsste.
 

Dennoch fing Caleb an zu erzählen und als er zum Ende kam, leuchteten die Augen seiner Mutter geheimnisvoll.
 

„Mom?“, fragte er unsicher.
 

„Ja, Schatz?“, erwiderte sie und durchbohrte ihn mit ihren schwarzen Augen.
 

„Mom, wer ist das auf dem Foto? Ist das dein Bruder?“
 

Seufzend nickte sie und schloss für einen Moment die Lider.
 

„Wie kommt es, dass du nie über ihn erzählt hast? Wie heißt er? Wo Wohnt er? Warum kommt er uns nicht besuchen?“, euphorisch setzte sich Caleb auf.
 

Er wollte einfach alles über seinen Onkel wissen. Doch ihm entging auch nicht der Blick seiner Mutter, der bei jeder Frage trauriger wurde.
 

„Mom? … Was ist los?“, frage er, als seine Euphorie sich schließlich in Luft auflöste.
 

„Es ist nichts, Schatz. Mach dir bitte keine Sorgen“, erwiderte sie heftig schluckend.
 

„Mom, bitte lüge mich nicht an, okay? Ich merke doch, dass etwas nicht in Ordnung ist.“
 

Lange sah sie ihm traurig in die Augen und schien nicht genau zu wissen, wo sie am besten anfangen sollte. Schließlich holte sie aus ihrer Schürze die Fotografie heraus, betrachtete sie eine Weile schweigend, bevor sie tief Luft holte und anfing zu erzählen.
 

„Er war mein Zwillingsbruder... sein Name war Caleb. Wir standen uns sehr nah und haben einfach alles zusammen gemacht. Wir sind in einem Heim aufgewachsen und wir mussten uns zusammen durchschlagen. Aber wir schafften es. Zusammen waren wir stark. Und dann … Eines Tages ... hatten wir einen schweren Unfall und … und Caleb … Caleb ...“
 

Ihre Stimme brach und Tränen liefen in Sturzbächen an ihren Wangen hinab. Caleb musste nicht weiter nachfragen, was passiert war. Sein Onkel war bei diesem Unfall ums Leben gekommen. Caleb fühlte sich schlecht. Er hatte seine Mutter so bedrängt, weil er unbedingt etwas über ihren Bruder erfahren wollte und hatte ihr damit wehgetan.
 

„Es tut mir Leid, Mom“, sagte er. „Ich … ich wollte nicht ...“
 

„Schon gut“, unterbrach sie ihn. „Du konntest es ja nicht wissen.“
 

„Dennoch, es war unhöflich dich zu bedrängen.“
 

Liebevoll strich sie ihm über die Wange.
 

„Wenn ich dich nicht hätte Caleb“, sagte sie.
 

„Dann wärst du ziemlich aufgeschmissen“, erwiderte er grinsend, in dem Versuch, seine Mutter aufzuheitern.
 

Und tatsächlich huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.
 

„Wahrscheinlich hast du Recht“, antwortete sie kichernd. „Und da es dir anscheinend wieder besser geht, kannst du ja deine Aufgaben weitermachen.“
 

„Moohhooom!!!“, beschwerte er sich, doch sie fing nur an zu lachen.
 

„Ich hab doch nur Spaß gemacht, mein Schatz. Ruh dich lieber noch aus, ich möchte nicht, dass du mir wieder umkippst. Ich bring dir dann gleich was zu essen, okay?“
 

Caleb nickte erleichtert, lehnte sich an das Kopfteil seines Bettes und sah seiner Mutter nach, die immer noch kichernd sein Zimmer verließ.

Als er die Fotografie, die seine Mutter auf dem Bett liegen gelassen hatte und seinen Onkel betrachtete, wurde er das Gefühl nicht los, dass seine Mutter ihm etwas verschwieg.

Die „Erinnerungen“, die er während des Anfalls gehabt hatte, konnten unmöglich seine Eigenen sein. Sein Erinnerungsvermögen war intakt, soweit er beurteilen konnte. Immerhin erinnerte er sich an seine gesamte Kindheit. Es war gut möglich, dass sein Kopf ihm nur einen Streich gespielt hatte, denn in den Bildern, die er gesehen hatte, trugen die Menschen seltsame Kleidung. Mal eine Robe, mal Rüstungen wie aus einer anderen Zeit.

Lange grübelte er über diese Bilder nach und betrachtete dabei seinen frech grinsenden Onkel auf dem Foto.
 

»Sei bereit! «, hallte plötzlich eine sanfte, männliche Stimme und ließ Caleb erschrocken herumfahren.
 

»Bald…«
 

Wie von einer Tarantel gestochen, sprang er aus dem Bett und schaute sich ängstlich im Zimmer um. Doch er war allein und dennoch hatte Caleb diese Stimme gehört, so klar und deutlich, als ob der Mann direkt neben ihm gestanden hätte. Er spürte dass er sich das nicht eingebildet hatte, spürte eine Präsenz in seinem Kopf … was auch immer das bedeutete.
 

»Erwache! «, dröhnte es erneut und Calebs Herz schlug ihm bis zum Hals.
 

„Mom!“, schrie er panisch und rannte aus seinem Zimmer. „Mom, Mom!“
 

Suchend lief er durch das Haus, doch seine Mutter war nirgends zu sehen. Wollte sie ihm nicht eben noch etwas zu essen bringen? Aber in der Küche war sie ebenfalls nicht.
 

»Vielleicht ist sie einkaufen gegangen? «, dachte er und blieb zögernd an der Haustür stehen.
 

Die Dorfbewohner wären sicherlich nicht erfreut, ihn zu sehen, doch er wollte nur seine Mutter finden und ihr von der Stimme in seinem Kopf erzählen. Sie würde ihm sicher glauben. Also gab er sich einen Ruck und zog schnell seine Schuhe an bevor er hinaus in den kalten Tag und runter zum Dorf rannte.
 

Auf einmal hörte er von weitem einen lauten Schlag. Frauen schrien und Pferde wieherten panisch. Caleb beschleunigte seine Schritte und ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihm aus. Kaum dass er die Hauptstraße erreicht hatte sah er von weitem, dass eine Kutsche auf der Seite lag. Die Männer versuchten die Pferde zu beruhigen und die Kutsche wieder aufzustellen, während die Frauen ängstlich ihre Kinder in den Armen hielten. Und dann fiel Calebs Blick auf ein Bein, das unter der umgefallenen Kutsche herausragte und sein Herz setzte für einen Moment aus.
 

„Nein …“, sagte er und lief wie betäubt auf die Kutsche zu. Und gerade als er dort ankam, schafften es die Männer die Kutsche wieder aufzustellen und gaben so den Blick auf die Person frei, die darunter lag.
 

„Oh nein, “ schluchzte Caleb und Tränen rannen ihm heiß über seine Wangen.
 

Leblos lag seine Mutter im Schnee, der sich bereits von ihrem Blut rot gefärbt hatte.
 

„Mom …?“, schniefte er und ließ sich neben sie nieder.
 

Sie hatte mehrere Wunden an Kopf und Körper und das waren nur die Verletzungen, die er sehen konnte. Caleb heulte auf und warf sich über seine Mutter.
 

„Bitte … bitte verlass mich nicht“, schluchzte er, doch er spürte dass sie bereits gestorben war.
 

Plötzlich schossen meterhohe Flammen aus dem Leichnam und Caleb wich erschrocken zurück. Seine Mutter brannte lichterloh und er wusste nicht, wie er die Flammen aufhalten sollte. Und dann … so plötzlich wie die Flammen gekommen waren, verschwanden sie und ließen nur einen Haufen Asche zurück.

Ungläubig sah Caleb auf den Aschehaufen vor ihm und bekam nur am Rande mit, wie die Leute um ihn herum anfingen zu tuscheln.
 

„Oh Mom, “ hauchte er.
 

»Amelia«, dröhnte es in seinem Kopf.
 

„A … Amelia, “ wiederholte Caleb und runzelte die Stirn.
 

Die Asche seiner Mutter bewegte sich auf einmal und als er sich neugierig darüber beugte, griffen kleine, dicke Hände aus dem Aschehaufen hervor. Caleb zuckte kurz zusammen und blickte erstaunt zu den kleinen, patsche Händchen, die immer wieder durch die Luft griffen. Einem Instinkt folgend griff er ganz vorsichtig mit beiden Händen in die Asche und zog behutsam das kleine Etwas heraus. Erstaunte Rufe hallten um ihn herum und er selbst konnte es ebenfalls kaum glauben. In seinen Händen hielt er ein Baby … ein kleines Mädchen, welches sich mit seinen Patschhändchen die Augen rieb und fröhlich gluckste. Und während die Menschen sich fragten, woher dieses Baby kam, erinnerte sich Caleb … an alles.
 

Er war Caleb Fénix, ein Phoenix, genau wie das Baby in seinen Armen.
 

„Amelia“, sagte er und lächelte.
 

Die kleine schaute ihn mit großen, dunklen Augen an und quietschte vergnügt.
 

„Du hast mir auch gefehlt … Schwesterchen.“
 

Vorsichtig legte Caleb sie auf seinem Schoß, zog sich schnell sein Hemd aus und wickelte das Baby darin ein. Dass sollte reichen, bis er seine Schwester nachhause gebracht hatte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Diese Kurzgeschichte hatte ich für eine Ausschreibung vor ein paar Jahren geschrieben. Eigentlich geht sie noch ein Stück weiter aber das Ende gefiel mir nicht wirklich. Es war zu übertrieben und ich fand es besser an dieser Stelle zu stoppen. Vielleicht, wenn ich irgendwann Zeit habe, werde ich mich der Story nochmal widmen. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Yamasha
2016-11-07T18:48:29+00:00 07.11.2016 19:48
Schöne Fanfic. Ich mag die Story. Mal was anderes und obwohl ein bisschen traurig trotzdem echt gut. Ich mag, dass die Phönixe in deiner Geschichte menschengestallt haben.


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