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Das Eis ist gebrochen

von

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in Thal…

die Schlacht der fünf Heere ist in vollem Gange…
 

Plötzlich werden die hölzernen Türen des Tors aufgerissen und darin erscheint, in vollem Galopp, ein riesiger Hirsch mit seinem Reiter.

„König Thranduil“, erkenne ich den blonden Elben, nicht wenig erstaunt, ihn aus solcher Nähe zu sehen. Doch noch bevor ich mir weitere Gedanken machen kann, prasselt ein Pfeilregen auf den riesigen Hirsch ein und das majestätische Tier geht zu Boden, augenblicklich tot. Sein Reiter hingegen ist unversehrt, mit einer eleganten Rolle federt er seinen Sturz ab und landet keine fünf Schritte vor seinen Gegnern auf den Knien. Für einen Moment senkt er leicht, kaum wahrnehmbar sein Haupt – mir scheint es, als wolle der Elb damit seinem toten Gefährten und Reittier noch einmal gedenken und sich vor ihm verneigen -; dann erhebt er sich schwungvoll, doch geräuschlos.

In sehr elegant aussehenden, geübten Bewegungen nimmt der Elbenherrscher den Kampf wieder auf. Sein Elbenschwert saust so schnell und tödlich präzise durch die Luft, dass ich Mühe habe, ihm mit meinen Blicken zu folgen.

Thranduils Miene zeugt von höchster Konzentration, von Anspannung und Aufmerksamkeit. Doch da ist noch etwas an ihm, irgendetwas anderes. Auf den ersten Blick würde man es nicht sehen, vermutlich auch nicht auf den zweiten und dritten; immerhin hat der Elbenherrscher den Ruf, besonders gut darin zu sein, seine Gefühle zu verbergen. Warum es mir dennoch auffällt, vermag ich nicht zu sagen. Schon länger frage ich mich solche Sachen nicht mehr. „Eine Gabe“, nennen sie es.

Es überkommt mich einfach, dieses Gefühl, dass es keineswegs so einfach ist, wie es wohl aussehen mag, dieses Gefühl, dass der Schein tatsächlich trügt. Und damit meine ich nicht das Kämpfen, ich meine nicht die scheinbar mühelosen Bewegungen oder den absolut einzigartigen Umgang mit dem Schwert. Ich meine Thranduil höchstpersönlich.

Wie viele Schlachten muss er schon geschlagen haben… Wie oft muss er schon dem Tod ins Auge geblickt haben… Und wie verdammt schwer muss doch diese Krone sein, diese Königs-Bürde…

Seine Situation, dieses „Gefangen-Sein“, diese Pflicht, zu dienen und nicht an sich selbst zu denken, dieser „Rund-um-die-Uhr-Job“,… die Schwere all dessen raubt mir den Atem und ich habe fast das Gefühl, zerdrückt zu werden. Dabei muss nicht ich all das aushalten, er muss es.

Noch immer starre ich den Elben an.

Eine tiefe Traurigkeit kommt plötzlich über mich. Die Einsamkeit, die ihn umgibt, die scheinbare Eiseskälte, mit der er alles und jeden auf Abstand zu halten versucht, die Müdigkeit, die er doch empfinden muss, die Müdigkeit und die Trauer…

Tränen sammeln sich in meinen Augen. Sie rinnen über mein Gesicht hinab und tropfen auf den Boden, zu Schnee und Blut.

„Warum weinst du, kleines Menschenmädchen?“, fragt mich eine klare, kräftige Stimme.

Thranduil sieht mich an, um ihn herum liegen seine Gegner, alle tot.

Ich will antworten, will etwas sagen, doch anhand der Tatsache, dass ich in seinen Augen keine Trauer, kein Mitleid erkennen kann, stimmt mich nur noch trauriger und macht es mir unmöglich, zu sprechen.

„Angst zu haben ist nicht nötig“, fährt der Elb sachlich fort. „Zumindest vorerst nicht; alle hier sind tot.“ Er deutet auf die über den Boden verstreuten Leichen.

„Ich habe keine Angst“, bringe ich nun doch hervor.

„Warum weinst du dann?“, will der Elbenherrscher wissen. „Hast du jemanden verloren?“ Irgendwie klingt es ironisch.

„Warum interessiert Euch das überhaupt?“, platzt es da so unerwartet aus mir hervor, dass ich mir schnell den Mund zuhalte, doch zu spät.

Mein Gegenüber taxiert mich. Täusche ich mich, oder ist in seiner Miene ein Anflug von Erstaunen zu erkennen? Doch schon im nächsten Moment ist sein Gesicht wieder spiegelglatt – Gewohnheit, schätze ich. Und erneut tropfen meine Tränen zu Boden. Niemand sollte zu so etwas „gezwungen“ sein, niemand sollte so viel von sich selbst aufgeben und verbergen müssen.

„Euretwegen“, antworte ich endlich, ohne Thranduil die Chance zu geben, auf meinen Ausbruch zu reagieren.

„Meinetwegen?“ Der blonde Elb ist sich offenbar nicht sicher, was er darunter verstehen soll.

„Ihr tut mir Leid…“ Es ist kaum mehr als ein Flüstern, doch nicht spöttisch, sondern ehrlich.

„Ich tue dir Leid, Menschenmädchen?“ Das scheint Thranduil nicht erwartet zu haben; vermutlich klingt es für ihn sehr absurd. „Warum? Du kennst mich doch nicht… Was glaubst du denn über mich zu wissen?“

Fühlt er sich etwa angegriffen von mir?

„Ich spüre… den Konflikt, den Ihr schon so lange mit Euch herumtragt…“, beginne ich und kann ein leichtes Zusammenzucken in Thranduils Miene beobachten, kaum wahrnehmbar, doch für mich genug, um zu wissen, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

„… Ich spüre das Gewicht auf Euren Schultern, auf Eurem Haupt und die Sehnsucht in Eurem Herzen, deren Stimme Ihr nicht mehr zu hören vorgebt…“

Eine einzige fließende Bewegung und der Elb, der vorher gute dreißig Schritte von mir entfernt war, steht plötzlich neben mir, sein Schwert an meiner Brust. „Pass gut auf, was du jetzt sagst, Menschenmädchen…!“, knurrt er bedrohlich.

„Ich spüre auch, dass Ihr genug habt vom Töten…“, füge ich mit zitternder Stimme hinzu.

Dies entgeht dem Elben nicht. „Du hast ja doch Angst“, meint er zufrieden. „Du hast vor mir Angst.“

Ja, ich habe Angst. Doch nicht davor, dass er mich töten könnte. Ich habe vor meiner sogenannten „Gabe“ Angst, vor Gefühlen, vor anderen Menschen und vor allem vor Nähe, vor Berührung – im Grunde bin ich dem dem Elbenherrscher nicht mal so unähnlich.

Er ist mir so nah, dass er mich beinahe berührt. Ich fühle mein Herz heftig klopfen, doch noch viel stärker nehme ich ihn wahr. Und es macht mich fast wahnsinnig, diese innere Spannung in ihm.

„Bitte tretet zurück…“ Meine Stimme zittert noch mehr.

„Weshalb sollte ich?“ Jetzt klingt er schon fast ein wenig arrogant. „Du fürchtest dich doch nicht…“ Spöttisch durchbohren mich seine Augen und er kommt mir noch näher, soweit das überhaupt möglich ist.

„Tut das nicht“, flehe ich und schließe die Augen. „Nicht so nah… Ich fühle doch alles…“ Meine Knie zittern und ich fürchte, jeden Moment umzufallen. Die Hitze, die von Thranduil ausgeht, macht es nur noch schlimmer.

Doch plötzlich, als ich schon zu kippen glaube, umfängt mich Kühle, angenehme Kühle. Ich schlage die Augen auf. Thranduil hat sich ein paar Schritte von mir entfernt; in seinen Augen lese ich Erkenntnis.

„Du bist eine Empathin, nicht wahr, kleines Menschenmädchen?“, stellt er in ruhigem und beruhigendem Ton fest. Ich nicke erleichtert.

„Du fühlst alles…“, fährt er fort, „…und ich nichts…“ Höre ich da Bedauern aus seiner Stimme heraus?

„Doch so war es nicht immer…“, kommt es von mir.

„Nein, so war es nicht immer…“, gibt er mir recht. „Aber wie damals kann es nie wieder werden.“ Eine Mischung aus Sehnsucht und einem Versprechen.

„Ich bitte Euch, erinnert Euch daran…“ Warum verlange ich das überhaupt von ihm? Wünsche ich mir nicht selbst oft genug, nichts fühlen zu können, nichts fühlen zu müssen?

„Das kann ich nicht. Ich kann nicht zurück.“ Vergeblich versucht der Elb nach wie vor den unnahbaren Herrscher zu mimen; das Leid und der Schmerz entgehen mir nicht, scheint doch sein Gesicht Bände zu sprechen.

Doch plötzlich wird seine Miene hart. „Was tue ich da überhaupt?“, scheint er zu denken und wendet sich ab, entfernt sich ein paar Schritte.

„Mein König…“, kommt mir da ein Gedanke. „Ihr seid nicht allein… Habt Vertrauen...“

Thranduil bleibt stehen. „Ebenso wenig wie du…?“, spottet er ungläubig und trifft damit ins Schwarze. „Du lässt doch niemanden an dich heran, Menschenmädchen, zuckst vor jeder noch so kleinen Berührung zurück. Also rede du mir nicht von Vertrauen.“ Es klingt wie eine Drohung, offenbar bin ich zu weit gegangen.

„Ich vertraue Euch“, entgegne ich schlicht.

Seine Augen verengen sich kurz. „Beweis‘ es!“, fordert er.

Ich schlucke und trete einen Schritt auf ihn zu, dann noch einen und noch einen, obwohl mir das Herz bis zum Hals klopft.

Der Elb bewegt sich nicht. Und als ich ihm dann so nah bin, dass ich wieder diese Hitze spüre, scheint er auch nicht mehr zu atmen.

„Ich vertraue Euch“, wiederhole ich mit so großer Überzeugung, wie mir nur möglich ist. Ich hebe langsam die Hand. Er wehrt sich nicht. Ich lege sie an seine Wange.

Kaum berühren wir uns, sehe ich eine Flut von Bildern: Schlachten, Tote, Tränen. Aber auch Hoffnung und Liebe, Ausritte, Blumen und Schmetterlinge.

Wir zucken beide zurück und ich lasse den Elben instinktiv wieder los.

„Du überraschst mich, kleines Menschenmädchen…“, raunt der König, schwerer atmend als sonst. „Und das schafft kaum jemand mehr…“

Ich sehe ihn an, sehe in seine klaren, blauen Augen. Die Hitze ist erträglicher geworden und ich fühle mich so leicht, wie schon lange nicht mehr.

„Dieses Kompliment gebe ich gerne zurück…“, erwidere ich.
 

Plötzlich versteift er sich. „Orks!“

Er schiebt mich hinter sich, das Schwert gezückt, kampfbereit.

„Gebt mir eine Waffe“, bitte ich. Er sieht mich verwundert an. „Du kannst nicht kämpfen. Du fühlst zu viel.“

„Das ist mir egal“, entgegne ich. „Ich sagte doch bereits: Ihr seid nicht allein.“

Der Elb scheint mit sich selbst zu ringen, zieht dann allerdings ein Kurzschwert hervor und reicht es mir widerspruchslos.

„Thranduil…“, spreche ich ihn noch einmal an. Er schaut erwartungsvoll. „Ich liebe…“ Da höre ich die Orks näherkommen. Ich berühre ich noch einmal, nehme seine Hand. „Erinnert Euch…“

Ohne mich noch einmal nach ihm umzusehen, stürze ich mich in den Kampf.

Schneeflocken fallen, der Himmel weint mit erstaunlicher Leichtigkeit, ohne Angst. Das Eis ist gebrochen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Hidan_1975
2015-11-22T03:40:51+00:00 22.11.2015 04:40
Diese FF ist mit sehr viel Dramatik,Feingefühl und Liebe geschrieben.Ja du hast Elb Thranduil genauso beschrieben wie er auch im Film Der Hobbit dargestellt wird.
Er ist neben Legolas Greenleaf mitunter einer der besten Charaktere.
Bitte mach weiter so.Daumen hoch

Lg Hidan_1975


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