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Circular Motions

von

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Wir halten Wahrheiten für selbstverständlich: Die Erde dreht sich um die Sonne, der Frühling in der Soul Society ist atemberaubend und Byakuya Kuchiki hasst Büroarbeit.
 

Beim bloßen Anblick würde es niemand vermuten. Jedes Formular erhielt eine sorgfältige Unterschrift, jeder Antrag wurde vollständig geprüft, jedes Dokument komplett durchgelesen, bevor es seinen Schreibtisch verließ. Genauso, wie man es von einem Kommandanten einer Division erwartete. Tatsächlich sogar rühmte sich Byakuya damit, seine Division so zu führen, wie jeden anderen Aspekt seines Lebens: Methodisch, effizient und fehlerlos.

Er mochte es nur nicht.
 

Wie jede sperrige und schwerfällige Bürokratie, schienen die 13 Hofgarden keinen Mangel an Verwaltungstücken zu haben. Von den seltsamsten Ablagevorschriften (Wie man genau einen Höllenschmetterling beantragt in dreifacher Ausführung?) bis zu einem Aufzeichnungssystem, welches keinen Sinn ergab (die Dokumentation zu einem Rekruten, der fast seinen Arm vom Shikai eines schlechtgelaunten Vizekommandanten abgerissen bekam, benötigte nur 2 Formulare. Aber die Anforderung von zusätzlichen Leinen für die Quartiere erforderten mehr als 17). An manchen Tagen wünschte sich Byakuya, er könnte Senbonzakura geradewegs durch den Augapfel des Kuriers treiben, der jeden Morgen die Schreibarbeit vorbeibrachte.
 

An besonders schlechten Tagen zog er in Erwägung, sein Zanpakutō gegen sich selbst zu richten.
 

Und dieser war einer der Tage. Dank eines Gaslecks in der vorherigen Nacht, hatten sie die Hälfte der Quartiere evakuieren müssen. Deswegen war Byakuya bereits seit 3 Stunden im Büro gefangen und machte nichts anderes außer Schreibkram. Niemand war wirklich verletzt worden, nur ein betrunkener Rekrut war mit dem Kopf voran gegen eine Tür gerannt. Doch das minderte seinen Ärger nicht. Der weiße Haori proklamierte, dass er ein Kommandant war. Ein Krieger. Jemand den man fürchtete und respektierte. Nicht, dass er ein verdammter Sekretär war.
 

Ein geräuschvolles Seufzen riss ihn aus seinen Gedanken. Blinzelnd wandte er sich um, damit er seinen Vizekommandanten anschauen konnte, der an seinem eigenen Schreibtisch in der anderen Ecke des Büros saß. Abarai Renji sah ein wenig mitgenommen aus: ein Schmutzfleck auf seiner Wange, einige Strähnen seiner roten Haare hatten sich aus dem üblichen Pferdeschwanz gelöst, alles Souvenirs vom nachmittäglichen Training. Dunkle Tattoos bewegten und schlitterten wie Schlangen, während er die Arme hinter seinem Kopf in die Höhe reckte und eine Grimasse zog, als etwas in seiner Wirbelsäule knackste.
 

„Ich schwöre“, sagte Renji dann, schüttelte den Kopf und richtete sich hinter seinem eigenen Stapel Formulare auf. „Diese Dinger sind wie Medusas. Du erledigst eins und 2 weitere erscheinen an der Stelle.“
 

Byakuyas Lippen zuckten. „Du redest von Hydras.“
 

„Tue ich das? Was zum Teufel sind dann Medusas?“
 

„Medusa“, antwortete Byakuya, „war ein Monster, das Männer in Stein verwandeln konnte, wenn sie ihr in die Augen schauten.“
 

„Ah.“ Renji drehte den Kopf weit genug, dass Byakuya den Hauch eines Grinsens erkennen konnte. „Glauben sie, wir könnten sie dazu bewegen, hierher zu kommen und uns aus dieser Misere zu befreien?“
 

Von jetzt auf gleich waren die Langweile und der Ärger wie weggeblasen. Byakuya biss sich auf die Innenseite seiner Wange, um sich vom Lächeln abzuhalten und sagte „Schön wäre es.“
 

Damit erntete er ein leises Lachen und ein Kopfschütteln, während sich Renji wieder umdrehte und pflichtbewusst seinen Pinsel wieder aufnahm. Stille erfüllte wieder einmal das Büro der 6. Division. Doch irgendwie fühlte sie sich für Byakuya leichter als vorher an.
 

Während er mit dem hölzernen Ende seines Pinsels auf der Oberfläche seines Schreibtisches tippte, nahm er sich einen Moment, um seinen Vizekommandant anzuschauen. Es war schwierig, sich vorzustellen, dass vor nicht einmal 3 Wochen dieser kecke, sorgenfreie Mann zu einem kaum atmenden, blutigen Durcheinander reduziert worden war. Aufgeschlitzt von den singenden Klingen Byakuyas Blindheit. Schwankend und verloren, verzweifelt festhaltend, an der Welt, die erkannte. Dabei hätte er beinahe Renji getötet. Hatte es in dem Moment gewollt, als er sein Bankai einsetzte.
 

Er erschauerte bei dem Gedanken daran, was passiert wäre, wäre er den Weg weitergegangen.
 

Doch am Ende hatte er das nicht getan. Dieser Nervtötende, orangehaarige Ryoka hatte seine Augen geöffnet, hat einen Funken in den Zunder geworfen, den Renjis Entschlossenheit in seinem Herzen gelegt hatte. Und als er am nächsten Tag im Klinikflügel der 4. Division aufgewacht und Renjis Blick vom anderen Ende des Raumes begegnet war, sah er nichts weiter als Vergebung in dessen Augen. In diesem Moment hatte es Byakuya gewusst.
 

Sie würden niemals mehr so sein, wie vorher.
 

Er glaubte, dass Renji in den folgenden Tagen vermutlich ähnlich überrascht gewesen war wie er, dass sie irgendwie zu einem Verständnis untereinander gekommen waren, ohne ein einziges Wort auszutauschen. Es waren meist die kleinen Dinge. Renji war nun ein wenig fleißiger bei der Büroarbeit, ein wenig respektvoller, wenn sie sprachen. Nicht mehr nur der fleischgewordene, streunende Hund, der nur nach der Möglichkeit suchte, bei der ersten Gelegenheit zuzuschlagen. Im Gegenzug erkannte Byakuya, dass er dem weniger formalen Verhalten seines Vizekommandanten mehr nachgab, anstatt es zu ignorieren, seine Neckereien erwiderte, statt sie abzublocken und sich dazu entschied, einige Teile von sich zu zeigen, die er lange wegen verschiedener Erwartungen und Anstand unter Verschluss gehalten hatte.
 

Aizens Verrat und der drohende Verlust seiner Schwester hatte etwas zwischen ihnen losgetreten, hatte eine Anziehungskraft zwischen den beiden erzeugt, die sie beide zögernd in ihre Umlaufbahn brachte. Byakuya würde sie nicht als Freunde bezeichnen, nicht innerhalb dieser Wortdefinition. Doch er wusste nun, dass wenn er an Renji dachte, er es mit einer gewissen Wärme tat, die er schon lange nicht mehr gespürt hatte.
 

Es hatte keinen Namen, diese Gefühl. Und er war sich nicht sicher, ob er es überhaupt benennen wollte.
 

„…dant? Kommandant.“
 

Die Welt eilte zurück. Byakuya blinzelte und schaute auf. Renji stand vor ihm, im Arm einen sorgfältig aufgeschichteten Stapel Papiere. Sein Vizekommandant hob eine Augenbraue, die Mundwinkel zogen sich nach oben. „Viel Tagträumerei?“
 

Er spürte die Hitze in seinen Wangen. Byakuya presste die Lippen aufeinander. „Sicher nicht. Bist du fertig?“
 

Pflichtbewusst tilgte Renji das Lächeln von seinen Lippen, doch der Glanz in seinen Augen blieb bestehen, während er nickte und sich vorlehnte, um die Formulare auf den Schreibtisch abzulegen. „Die letzten Bedarfsformulare und alle Schadens- und Reparaturberichte von den Baracken aus der letzten Nacht. Himmel, bei all dem Papierkram könnte man meinen, dass Aizen persönlich vorbeigekommen ist und die Räume zerstört hätte.“
 

Byakuya hob eine Augenbraue. „Das würde ich bevorzugen, aalglatt wie er auch sein mag.“
 

„Ja, nun ja“, Renji hob den Arm, um sich den Nacken zu reiben. Die Bewegung verschob den Stoff der Uniform, enthüllte einen Hauch von Brust und ließ kontrastreiches Schwarz aufblitzen, das sich seinen Körper entlang wandte. Byakuya hob schnell den Blick zum Gesicht, als Renji fortfuhr. „Vermutlich ist dafür Kommandantin Soifons Division gut, oder? Wenn sie nicht herausfinden können, wo er sich versteckt, haben wir todsicher keine Chance.“
 

Byakuya runzelte die Stirn. „Irgendwie bekomme ich das Gefühl, dass klügere Köpfe daran arbeiten.“ Vor allem ein Kopf, der zu Kisuke Urahara gehörte.
 

Renji zuckte mit den Achseln und ließ die Schultern kreisen, dann richtete er sich auf. „Wie auch immer. Die Sache ist die, dass ich fertig bin und wenn da nichts weiter wäre…?“
 

Er klang sowohl hoffnungsvoll als auf resigniert zugleich, als würde er nur auf noch mehr Arbeit warten. Byakuya blickte zur Seite. Das Licht der Sonne schwand zu schmucklosen, pinken Streifen. Der Arbeitstag war bereits seit mehr als einer Stunde vorüber.
 

Damals, 3 Wochen zuvor, hätte er nicht gezögert, den Rest der Papierarbeit an Renji zu übergeben. Das war das Privileg eines Kommandanten, der in seinem Vizekommandanten nichts mehr als einen mäßig kompetenten Untergebenen sah. Doch das war vor ihrem Kampf, vor Rukia, vor Ichigo, vor allem, was Byakuyas Welt durchgerüttelt hatte und unwiderruflich neu angeordnet hatte in etwas, dass noch roh und neu und vielleicht sogar besser war.
 

Renji, dachte er, machte ihn besser.
 

„Nein, Vizekommandant. Du kannst gehen."
 

„Wirklich?“ Er erkannte die aufkommende Überraschung, bevor Renji es mit einem Räuspern überdeckte. „Ich meine, in Ordnung. Danke.“
 

In den nächsten Minuten konzentrierte sich Byakuya auf den Bericht vor ihm, bemerkte nur vage die Geräusche und die Schritte, während Renji zusammenpackte. Einen Augenblick später drang die Stimme des Vizekommandanten durch den Raum. „Gute Nacht, Kommandant.“
 

Er blickte nicht auf. „Gute Nacht, Renji.“
 

Das leise, schleifende Geräusch der Tür verkündete, dass Renji das Büro verlassen hatte. Als die Schritte im Flur langsam leiser wurden, ließ Byakuya seine Fassade endlich zerbröckeln. Der Pinsel fiel klappernd auf den Tisch. Mit einem Seufzen lehnte er sich auf seinen Stuhl zurück und schloss die Augen, gab der Erschöpfung nach.
 

Diese verdammten Formulare. Das nächste Mal würde er einfach die Rekruten sterben lassen und wäre fertig.
 

Verloren in der Vorstellung, wie Senbonzakura die Papiere vor ihm in winzig kleine Fetzen zerschredderte, hatte er die Geräusche von Draußen zuerst überhört. Doch dann hörte er plötzlich Renjis Stimme. „Oh, verpiss dich“, Byakuya riss seine Augen auf.
 

Sein Vizekommandant hatte wohl die Tür nicht richtig geschlossen, denn die Stimmen hallten durch den Flur. Entfernt und doch bekannt.
 

„Was?“, sagte Madarame Ikkaku, ein Schnauben untermalte seine Worte. „Du bist ein zu großer Schlappschwanz, um zu fragen? Wird es seine zarten Gefühle beleidigen, wenn er ‚Nein‘ sagt?“
 

„Ich werde deine Gefühle beleidigen“, murmelte Renji und Hisagi Shūhei lachte.
 

„Kommt schon, lasst ihn in Ruhe“, sagte er und Byakuya konnte fast schon sehen, wie er freundschaftlich einen Arm um Renjis Schulter legte. „Er ist nur außer Übung. Seine Verlobung ist ja schon was länger her.“
 

„Oh, unmöglich, Abarai-kun war verlobt?“, Yumichika schnappte nach Luft. „Wie hast du es geschafft, dass es jemand lange genug für sowas mit dir ausgehalten hat?“
 

Renji knurrte daraufhin. „Alles klar, wisst ihr was? Der Letzte, der in der Kneipe ist, bezahlt die erste Runde.“
 

„Oh, Scheiße!“
 

Das bekannte Geräusch von Shunpo war zu vernehmen und dann war wieder alles still.
 

In der plötzlichen Stille brauchte Byakuya einen Moment, um zu bemerken, dass er nicht mehr hinter seinem Schreibtisch saß. Er riss sich mit einer Grimasse von der Tür los. Er konnte sich noch nicht einmal daran erinnern, sich bewegt zu haben. Er erinnerte sich nur daran, dass als er Renjis Stimme gehört hatte, den unerklärlichen Drang gehabt hatte, näher zu kommen. Und nun hatte er gelauscht, wie ein niederer Bediensteter? Es war ja nicht so, als hätten sie überhaupt über etwas Wichtiges gesprochen. Nur Saufen gehen und Gerüchte. Eben genau das, was man von gewöhnlichen Shinigami erwartete.
 

Und über die Tatsache, dass Renji einmal, offensichtlich, verlobt gewesen war.
 

Für einen langen Moment stand Byakuya da und starrte auf seine Hände hinunter. Verlobt. Renij war verlobt gewesen. Er war verliebt gewesen, hatte vorgehabt zu heiraten. Er… wusste nicht, was er mit dieser Information anfangen sollte. In all der Zeit, die sie zusammen gearbeitet hatten, hatte sein Vizekommandant niemals irgendeine Art von Beziehung erwähnt, geschweige denn eine solche ernsthafte Beziehung. Tatsächlich sogar war Byakuya fast schon überzeugt gewesen, dass er nicht ausging, keine Interesse an etwas anderem zeigte, als seine Freunde, seinem Beruf und seinem Wunsch, seinen Kommandanten im Kampf zu schlagen.
 

Doch nun scheint es, als wäre er dahingehend sehr kurzsichtig gewesen. Es machte Sinn, denn die 13 Hofgarden forderten die Loyalität ihrer Soldaten, doch nicht ihre Herzen. Warum sollte Renji nicht das in seiner Freizeit tun, was er wollte?
 

Obwohl… warum hatte dann Byakuya, bis zum heutigen Tage, keinerlei Andeutungen in dieser Richtung gehört? Hatte Rukia davon einmal gesprochen? Wusste sie es überhaupt? Und wenn nicht, wer tat es?
 

Eine Brise rüttelte an der Tür. Byakuya machte einen Schritt zurück und runzelte die Stirn. Er sollte nicht einmal darüber nachdenken. Renji war ein guter Vizekommandant und loyaler Offizier. Warum sollte es Byakuya etwas angehen, was er in seiner Freizeit machte? Die Tatsache, dass Renji einmal jemanden genug geliebt hatte, dass er um ihre Hand anhielt, beeinflusste nicht seine Leistungen in der 6. Division oder sein Training oder die alltägliche Arbeit oder selbst sein Verhältnis mit Byakuya. Wenn Renji entschied, sich… sich mit jemanden…
 

Seine Schläfen pochten, plötzlich und schmerzhaft. Byakuya seufzte und zwickte sich am Nasenansatz zwischen seinen Augen. Vielleicht war er nur müde… Ja, das musste es sein. Der Kopfschmerz, die Weise, wie sich seine Brust zusammenzog und das Kalte Gefühl, welches sich in seine Eingeweide fraß… Er muss sich wohl heute überarbeitet haben. Typisch, dachte er und zog verärgert am Ärmel seiner Uniform. Er konnte schon fast Renjis schiefes Grinsen sehen: Besser, sie gehen es ruhig an, Kommandant. Immerhin würden sie nicht wollen, dass sie mir die Leitung der Division überlassen müssen.
 

Gott bewahre. Kopfschüttelnd verbannte er das Bild seines Vizekommandanten aus seinem Kopf und drehte sich zur Tür. Schlaf, das war es, was er brauchte. Etwas Gutes zu essen, ein Spaziergang durch den Garten des Anwesens und eine Nacht schlafen, ohne vom Alarm der Divisionsquartiere geweckt zu werden. Ja. Schlaf.
 

Morgen würde er all das schon wieder vergessen haben.
 


 

Außer, wenn es sich herausstellte, dass es nicht funktionierte. Das mit dem Vergessen. Tatsächlich sogar bemerkte Byakuya, dass er nicht in der Lage war, den ganzen Tag an etwas anderes außer Renji und seine mysteriöse Verlobte zu denken. Er konnte nicht verstehen, warum. Renji betrat das Büro mit seinem üblichen, fröhlichen „Guten Morgen, Kommandant“ und das Erste, was Byakuya in den Sinn kam, war: Ich frage mich, ob er sie auch immer so gegrüßt hatte. Sein Vizekommandant nahm sich einen Augenblick am Schreibtisch, um seinen Pferdeschwanz neu zu binden: Hat sie ihm seine Haare gekämmt? Während des morgendlichen Trainings zog Renji die armen Soldaten auf, die immer noch nicht in ihre Räumlichkeiten zurückkehren konnte: Haben sie zusammengelebt? Zusammen gegessen? Zusammen geschlafen?
 

Es war… gelinde gesagt, peinlich, wie leicht ihn diese Gedanken ablenkten. Er hörte kaum dem Bericht der logistischen und technischen Arbeiter über die Reparaturen der Baracken zu. Er war zu beschäftigt damit, sich zu fragen, wo Renji seine Verlobte getroffen haben könnte. Vielleicht damals im Rukongai, versucht Seite an Seite aus dem Leben auszubrechen? Oder hatte er sie in der Akademie kennengelernt, war sie auch ein Shinigami?
 

Und wie sie wohl ausgesehen hatte? Hatte sie auch Tattoos? Lange Haare mit einer solch strahlenden Farbe? War ihr Lachen herzhaft und einladend, waren ihre Berührungen frei und ohne Arglist? Oder vielleicht war sie ruhiger, reservierter. Vielleicht genoss sie lange, friedvolle Spaziergänge entlang des Flusses oder einen Nachmittag mit einem guten Buch. Vielleicht war sie schlank und dunkelhaarig, strategisch und intelligent, das perfekte Gegenstück zu Renjis feuriger Persönlichkeit…
 

„Hey, Kommandant.“
 

Er hob schnell seinen Kopf und sah, dass Renji ihn von seinem Schreibtisch aus mit einem Stirnrunzeln beobachtete. „Das ist das zweite Mal, dass sie mir abschweifen. Ist alles in Ordnung?“
 

Byakuya räusperte sich kurz. „Ja. Ich habe mich lediglich konzentriert.“
 

„Wiiiirklich“, das Stirnrunzeln wandelte sich in ein leichtes Grinsen, als Renji von der anderen Seite des Raumes grinste. „Etwas wirklich Faszinierendes über den Boden in diesem Büro, huh? Haben sie vielleicht sogar ein Haiku dafür gedichtet?“
 

Sein Lächeln war weich und sein Blick warm, eine ruhige Akzeptanz die unbeabsichtigt aus den vergangenen Wochen resultierte. Es ließ ihn im Inneren leicht anfühlen, fast verspielt. Also neigte er seinen Kopf und dachte einen Moment nach. Wie immer flogen ihm die Worte zu, wenn er nur darüber nachdachte. „Schelmisches Sonnenlicht… wischt über schattenbefleckten Boden… In Farben des Frühlings.“
 

Er blickte auf, als Renji durch die Zähne pfiff. „In Ordnung, nicht schlecht“, gab sein Vizekommandant zu und hob die Hände.
 

Es schien, als wolle er zu seiner Arbeit zurückkehren. Byakuya hatte keine Ahnung, was ihn dazu getrieben hatte. „Vielleicht kannst du es besser?“
 

Renji blinzelte ihn an. Dann wurde das Grinsen langsam breiter. Er war niemand, der jemals vor einer Herausforderung zurückschreckte.
 

Sein Vizekommandant blickte sich einen Augenblick lang im Büro um, bevor er tief einatmete. „Ok, um. Kirschblüten singen… eine feinfühlige Symphony…“
 

Byakuya erlaubte sich, die Augen zu schließen, ließ sich Renjis Worte über ihn und Senbonzakuras Blüten treiben.
 

„… übelriechende Insektenblume.“
 

Ein Lachen stahl sich über seine Lippen, bevor er es verhindern konnte. Kurz atmete er ein. Als er die Augen wieder öffnete, beobachtete Renji ihn. Das Grinsen breit und ansteckend. „Hätten sie nicht gedacht, dass ich es in mir habe, was?“
 

Byakuya schüttelte den Kopf. Es war zu spät, um die steinerne Fassade aufrecht zu halten und er realisierte, dass er es auch gar nicht wollte. Nicht mit Renji, nicht mehr. Also ließ er das Lächeln verbleiben und die nächste Frage kam ihm wie das Natürlichste auf der Welt vor. „Warum tust du das, Vizekommandant?“
 

Renji blinzelte. „Was tue ich?“
 

Byakuya gestikulierte vage mit der Hand zwischen ihnen. „Das. In letzter Zeit bist zu mir gegenüber viel…“ Offener. Wärmer. Du selbst. „…freier.“
 

„Oh.“ Man musste ihm zugutehalten, dass Renji aussah, als habe er ihn auf dem falschen Fuß erwischt. „Ist das ein Problem?“
 

„Das habe ich nicht gesagt.“
 

„Oh, ok. Gut.“ Der Vizekommandant schaute weg und fuhrmit seinem Daumen über die Unterlippe. Stille senkte sich für ein paar Augenblicke über sie. Lange genug, dass sich Byakuya zu fragen begann, ob er irgendwie eine Grenze überschritten hatte, als Renji plötzlich wieder sprach.
 

„Nun ja, Ich…“, er zuckte mit den Achseln. „Ich vermute nach all dem Schei… Krempel, die mit Rukia und Ichigo geschehen sind, haben sich die Dinge irgendwie… zwischen uns geändert. Ich weiß nicht, ob sie das gemerkt haben.“
 

„Das habe ich.“
 

„Richtig, also…“, Renji lachte schnaubend, doch es schien etwas nervös und gezwungen. „Und nachdem ich sie so gesehen habe… Ich meine, ich habe gemerkt, dass ich mich… gut fühlte.“ Er ließ seinen Blick noch einmal durch den Raum gleiten, bevor er schlussendlich tief einatmete. Als er sich umwandte, um Byakuya anzusehen, war es schwierig, die Emotionen in seinen Augen zu lesen: ein seltsame, irritierende Mischung aus Entschlossenheit, Hoffnung und Resignation.
 

„Lass uns einfach sagen“, sagte Renji dann nachdenklich „dass ich etwas Wichtiges realisiert habe.“
 

Stille kehrte ein. Byakuya blinzelte, während Renji ihn weiter ruhig anschaute.
 

Er… verstand es nicht. Die Geschehnisse um Rukias drohende Hinrichtung waren so chaotisch gewesen, dass Renji über irgendetwas sprach, dass Byakuya involvierte. Meinte er, wie er sein Leben dafür einsetzte, um seine Schwester zu beschützen? Wie er von Ichigo besiegt worden war? Wie er von Aizen hinters Licht geführt wurde?
 

Wie er Renji in seinem Krankenzimmer angeschaut und gefragt hatte, ob er ihn hasste?
 

Renji schaute ihn einfach nur an, braune Augen sanft und vollkommen unlesbar. Er schien keine Antwort zu erwarten, doch Byakuya stellte fest, dass er ihm unbedingt antworten wollte. Auch wenn er die Frage nicht erkannte, es fühlte sich so an, als sollte er die richtige Antwort kennen.
 

Er musste es irgendwie versuchen. „Renji, Ich…“
 

„Vergebt mir die Störung!“
 

Beide schauten auf, um zu sehen, dass Rikichi im Türrahmen stand. Der junge Offizier verbeugte sich. „Kommandant Kuchiki, Vizekommandant Abarai. Die divisionsübergreifende Versammlung beginnt gleich.“
 

Überrascht blickte Byakuya auf die Uhr, um festzustellen, dass sie tatsächlich dabei waren, sich zu verspäten. Er hatte vollkommen die wöchentliche Versammlung der Kommandanten und Vizekommandanten vergessen, obwohl sie schon seit seiner Übernahme der 6. Division stattfand.
 

… Er war abgelenkt gewesen. Von Renji.
 

Der Schuldige räusperte und erhob sich. „Großartig“, sagte er zu Rikichi. „Geh voraus. Kommen sie, Kommandant?“
 

Renjis Stimme war fröhlich und sein Gesichtsausdruck locker, kein Anzeichen mehr von dem seltsamen Aufblitzen von Verletzlichkeit, die Byakuya kurz vorher meinte, ausgemacht zu haben. Wäre Byakuya nicht dabei gewesen, hätte er vermutlich gedacht, dass er sich das eingebildet hatte.
 

Von der Tür aus blickte ihn Rikichi leicht drängend an. Byakuya unterbrach ein Seufzen und nickte, erhob sich dabei von seinem Stuhl. Er würde Renji später darüber fragen, wenn die Pflichten gegenüber den Hofgarden ihm nicht mehr im Weg waren. Gerade jetzt hatten sie etwas Größeres, worüber sie sich sorgen mussten: Aizen, Tōsen und Ichimaru; ihre finsteren Pläne mit dem Hōgyoku. Die Soul Society benötigte Kommandant Kuchiki und Vizekommandant Abarai, Leitung der 6. Division, Soldaten, Shinigami und nichts anderes. Es musste genug sein.
 

Und dennoch, selbst als er Renji und Rikichi aus der Tür folgte, konnte Byakuya nichts gegen das Gefühl machen, etwas Wichtiges verpasst zu haben.
 


 

Zum ersten Mal in seinem nicht unbeträchtlichen Leben, empfand Byakuya die Versammlung als schier endlos. Er wusste, dass er aufmerksam sein sollte: Soifons Nachforschungsergebnisse, wenn auch spärlich, waren alles, was sie hatten. Und die gemäßigte, nachdenkliche Art, in der Yamamoto sprach, verriet seine Sorge über den aufkommenden Krieg. Die Atmosphäre wog schwer und düster auf ihren Schultern, wie sie es schon den ganzen Monat über getan hatte. Die Bedenken waren greifbar unter dem immer noch dicken Mantel von Kummer, Schock und Verrat.
 

Was auch immer Aizen plante, es würde die Soul Society bis ins Mark erschüttern. Sie waren besorgt. Sie hatten Angst.
 

Und heute merkte Byakuya mit, nicht kleinem Anteil, Verwunderung, dass es ihn nicht interessierte.
 

Das war alles Renjis Werk. Sein Vizekommandant hatte Haltung angenommen und stand bei seinen Gleichgestellten auf der anderen Seite des Raums. Mit geradem Rücken und verfolgte aufmerksam den Beratungen, wie jeder gute Offizier. Und Byakuya konnteseine Augen nicht davon losreißen. Ihr Gespräch von vorhin schien Renji in ein neues Licht gerückt zu haben. Es war für Byakuya, als würde er ihn zum ersten Mal sehen. Er ließ sein Blick über Renji gleiten und fragte sich, ob seine Schultern schon immer so breit gewesen waren, seine Haare schon immer so leuchtend und feurig, die kontrastreichen Linien seiner Tattoos sich so sehr von der Haut abhoben. Hatte Renji schon immer derart gelächelt, breit und ein wenig schief, während Matsumoto ihm irgendetwas Amüsierendes ins Ohr flüsterte? Waren die Finger, die auf Zabimarus Griff ruhten, schon immer so lang, fähig und geschickt in jeder Hinsicht? Hatten seine Augen, wenn sie auf Byakuya ruhten, schon immer einen solchen sanften, braunen Ton, so voll von…
 

Moment. Renji schaute ihn an.
 

Die Scham kroch warm in sein Gesicht und Byakuya wandte sich schnell um, fokussierte seinen Blick wieder einmal auf Yamamoto. Doch sein Kopf wolltenicht folgen. Da warScham, ja, und kein bisschen Verärgerung. Es war mit Sicherheit nicht Byakuyas Schuld, dass Renji so ablenkend war. So aufdringlich, voller Leben, so sehr... Renji. Doch unter alledem, in einer Weise, die er nicht erklären konnte, flackerte etwas tief in seinem Inneren bei der Aussicht auf Renjis Aufmerksamkeit auf. Etwas Subtiles und Warmes, dass mit einem Gefühl in seine Wangen stieg, das nicht Scham war.
 

Er wollte, dass Renji ihn und nur ihn anschaute. Er wollte das Gewicht des Blickes seines Vizekommandanten spüren. Sein einziger Fokus, wollte die Wärme in sich ausbauen und wachsen lassen, damit er es schlussendlich benennen konnte. Doch mit einem Mal wusste Byakuya, dass er bereits Renjis Aufmerksamkeit besaß. Als sein kommandierender Offizier und Vorgesetzter, die eine Person, die Renji übertrumpfen wollte. Als Renjis Kommandant besaß er seine Loyalität und Vertrauen, hatte diesen Bund in den Tiefen des Schlachtfeldes mit Kampf und Blut errungen. Aber irgendwie merkte Byakuya, dass er etwas... Anderes wollte. Er wollte etwas Wärmeres, Näheres. Etwas, dass nur ihnen beiden gehörte, wenn an einem ruhigem sonnenbeschienenen Abend Renji sich zu ihm mit einem sanften Lächeln umdrehte und sagte, Ne, Kommandant....
 

„Entschuldigen sie, Kommandant?“
 

Er wurde zurück in die Realität gezogen. Byakuya blinzelte hektisch im Versammlungsraum umher, welcher plötzlich leerer schien, als noch vor ein paar Sekunden. Vor ihm, im einem Klemmbrett in der Hand, beugte Vizekommandant Hisagi seinen Kopf. „Sind sie in Ordnung?“
 

Ungefähr die Hälfte der Kommandanten waren bereits gegangen. Die restlichen Shinigami liefen im Raum umher und führten höfliche Gespräche. Byakuya sah in einer Ecke das vertraute Rot aufblitzen, in der Renji leise mit einem düster dreinschauenden Kira sprach. Dieser Anblick löste etwas irritierendes, aber nicht ganz unwillkommenes Ziehen in seiner Magengegend aus.
 

Er drehte sich zu Hisagi. „Bestens“, log er.
 

„In Ordnung“, der Vizekommandant der 9. Division sah nicht so aus, als würde er es ihm glauben, doch er war klug genug, es nicht zu hinterfragen oder zu zeigen. Stattdessen hielt er ihm das Klemmbrett hin. „Nun ja, ich habe den Unterschriftendienst, also wenn es ihnen nichts ausmacht...?“
 

„Natürlich“, sagte Byakuya und nahm das Klemmbrett, den angebotenen Pinsel und überflog die Seiten, um nach seiner Division zu schauen.Vielleicht war es, weil er sich leicht aus der Bahn geworfen fühlte oder weil er Hisagi Shūhei immer als vernünftig und ehrlich angesehen hatte. Vielleicht auch, weil sich einfach der Griff um seinen gesunden Menschenverstand für einen Moment gelöst hatte. Und doch kamen die Wörter einfach aus Byakuyas Mund, bevor er sie aufhalten konnte. „Mit wem war Renji verlobt?“
 

Stille. Es brauchte all seine Willensstärke, um nicht aufzublicken. Er zwang seinen Blick weiter auf die Papiere vor sich, auch wenn langsam leichter Schrecken in ihm hochkroch. Hatte er gerade...?
 

Hisagi schien überrascht zu sein, soviel konnte Byakuya sagen, wenn die leicht heisere Stimme ein Anzeichen dafür war. „Ich, uh. Ich habe nicht bemerkt, dass sie uns gehört haben, Kommandant.“
 

Mit viel Mühe hielt er seine Stimme ruhig, als er antwortete. „Die Wände des Büros sind nicht schalldicht, Vizekommandant.“
 

„Oh. Ich entschuldige mich, wenn wir letzte Nacht laut waren.“
 

„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“
 

Byakuya machte die Linie für seine Unterschrift in der Mitte der Seite aus, hielt lange genug inne, um die unordentliche Unterschrift von Renji neben dessen Namen zu bemerken, bevor er vorgab, dass er es komplett übersehen hatte und weiter umblätterte. Trotz der der Hitze der Verlegenheit, die langsam seinen Nacken hoch kroch, musste er einfach Hisagis Antwort hören.
 

Nach einem weiteren Moment räusperte sich der dunkelhaarige Vizekommandant. „Uh. Mit allem nötigen Respekt, Kommandant, ich fühle mich nicht in der Position, diese Information zu verbreiten.“
 

Nun schaute Byakuya auf. Hisagi sah noch etwas irritiert aus, doch er stand aufrecht da, Schultern gerade und Kiefermuskeln angespannt. Und wirklich, warum hatte Byakuya etwas anderes erwartet? Renjis Freunde waren auch immer bei einem Fehler loyal geblieben.
 

Seufzend unterschrieb er. „Also schön. Vielen Dank, Vizekommandant.“
 

„Wissen sie, Kommandant“, begann Hisagi dann, nachdem er das Klemmbrett wieder an sich genommen hatte. „Wenn sie nichts gegen meine Meinung haben, ich bin wirklich nicht derjenige, den sie darüber befragen sollten.“ Sein Ton war freundlich, fast schon... wissend.
 

Es war genug, um Byakuya wieder aus der Bahn zu werfen. „Das ist wohl kaum ein angemessenes Thema für ein Gespräch mit seinem Vizekommandanten.“
 

„Und doch ist es für sie in Ordnung, es bei mir anzusprechen.“ Hisagi summte und blickte kurz über Byakuyas Schulter, zu Renji und Kira. „Ich weiß es nicht, Kommandant. Aber ich denke, dass wenn sie es vielleicht versuchen, sie angenehm überrascht sein könnten.“
 

Die Art, wie er das gesagt hatte, fröhlich, fast vorsätzlich, als würde er etwas wissen, was Byakuya entgangen war... es nicht begriff. Die Tatsache, dass es da Dinge gab, die Hisagi über Renji wusste und Byakuya nicht, eine Seite des Vizekommandant, welche der andere Mann zu sehen bekommen hatte, aber für Byakuya weiterhin verschlossen war, wie ein ordentliche Abbildung eines eisernen Vorhangs... Der Gedanke löste ein seltsames, heißes Gefühl in ihm aus, als würde sein Herz verdreht werden. Es gab ihm das Gefühl, angespannt, unangenehm und furchtbar unzulänglich zu sein.
 

„Kommandant?“, Hisagi beobachtete ihn, die Lippen kräuselten sich in einem leichten Hauch eines Lächelns nach oben. Er lacht mich aus, dachte Byakuya und was dann passierte war Reflex, eine Verteidigung, alles, was er 3 Wochen zuvor noch gewesen war, kam ohne nachzudenken wieder hoch.
 

„Ein solcher Austausch zwischen dir und deinem Kommandanten wäre genauso nützlich gewesen“, kam es völlig ungebeten aus seinem Mund.
 

Wieder kurze Stille. Wie ein Schütze nach einer abgefeuerten Kugel, beobachtete Byakuya mit Bestürzung, wie der Glanz aus Hisagis Augen schwand, das winzige Lächeln in sich zusammenfiel und die Schultern zusammensackten. Er ließ den Blick zu Boden gleiten. „Ja, Kommandant“, murmelte er, bevor er sich zurückzog.
 

Byakuya sah zu, wie er ging. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte er sich wie ein vollkommener Idiot. Jeder mit Augen im Kopf konnte sehen, dass Hisagi nichts Respektloses gemeint hatte. Byakuya hatte kein Recht, in dieser Weise Tōsen zu thematisieren. Doch er fühlte sich so... angreifbar. Nach einem Tag voller Ablenkungen und Verwirrungen und der Zwiespalt in seinem Herzen, hatte er einen weiteren Angriff nicht ertragen können.
 

„Kommandant.“
 

Byakuya konnte kaum ein Seufzen zurückhalten, als er sich umdrehte und nickte. „Vizekommandant.“
 

Renjis Gesicht war vollkommen unlesbar, als er mit seinem Kinn zur Tür deutete. „Auf ein Wort?“
 

Byakuya hätte wirklich 'Nein' sagen sollen. Abgelehnt, Renji. Wir werden darüber nicht sprechen. Doch er tat es nicht. Trotz des Tumults in seinem Kopf und den Wirren an Emotionen in seinem Herzen, wusste Byakuya, dass Renji ein Recht darauf hatte, zu fragen. Er hatte es sich verdient, auch wenn Byakuya immer noch nicht sicher war, warum.
 

Er führte sie aus dem Versammlungsraum, ein paar Korridore hinunter und in ein seit Kurzem verwaistes Verwaltungszimmer. Ein weiterer, unglücklicher Nebeneffekt von Aizens Abtrünnigkeit.
 

Die Tür war kaum geschlossen, als sich Renji umdrehte und seine Arme vor der Brust verschränkte. „Erlaubnis, um offen zu sprechen, Kommandant?“
 

„Ich heiße es willkommen.“
 

Renji schnaubte. „So wie sie gerade Hisagi angefahren haben, ganz klar nicht.“
 

Byakuya antwortete nicht, was Renji offensichtlich als Aufforderung, weiterzureden, sah. „Was ich herausgefunden habe ist, dass die einzige Sache, die sie beide gemeinsam haben, ich bin. Das bedeutet, dass er sie irgendwie verärgert hat, während sie über mich geredet haben.“
 

Ausgerechnet jetzt musste Renji scharfsinnig sein. Byakuya seufzte. „Vizekommandant...“
 

„Und wenn es ihnen nichts ausmacht, Kommandant“, fuhr Renji fort mit dem ersten Anzeichen von echtem Ärger in seiner Stimme. „Wenn sie mich etwas zu fragen haben, dann fragen sie mich. Gehen sie nicht umher und schikanieren sie meine Freunde, sie haben nichts...“
 

„Warum hast du nicht geheiratet?“
 

„... getan, was... Warte, was?“, die Entrüstung schwand mit einer Schnelligkeit aus Renjis Gesicht, die schon fast komisch war. „Was haben sie gerade gesagt?“
 

Byakuya atmete tief ein. Es war passiert. Er konnte jetzt nicht zurück. Und er bemerkte auch schnell, dass er es gar nicht wollte. „Du warst einmal verlobt und doch bist du nicht verheiratet“, sagte er. „Was ist passiert?“
 

„Ich...“, Renji blinzelte. Es war offensichtlich, dass von allen Möglichkeiten, wie dieses Gespräch hätte verlaufen können, er das am Wenigsten erwartet hätte. „Warten sie. Warum reden wir darüber?“
 

„Ich möchte es wissen.“
 

„Ja, nun ja.“ Renji entfaltete seine Arme und rieb sich den Nacken. Wenn überhaupt, sah er noch irritierter aus. „Sie hatte sich in jemanden anderen verliebt, also hat sie Schluss gemacht. Es ist schon lange her.“
 

Byakuya starrte. „Warum?“
 

Renji zuckte mit den Achseln. „Tja, ich hörte, dass er superreich war, 3 Häuser besaß oder so etwas. Vielleicht jemand vom höheren Adel, keine Ahnung...“
 

„Nein“, Byakuya machte einen Schritt nach vorne und schluckte den plötzlichen Kloß in seinem Hals hinunter, denn er... er verstand es nicht. „Warum würde sie jemanden wie dich verlassen?“
 

Stille umfing sie, während sie da standen und sich anstarrten. Renji mit Verwirrung, Byakuya mit... etwas viel Komplexerem. Er... verstand es einfach nicht. Vielleicht, wenn Renji derjenige gewesen wäre, der sie verlassen hatte, ja. Aber sie hatte ihn verlassen. Warum? Er hatte kein Geld oder Macht oder ein riesiges Haus... Na und? Byakuya hatte all das und noch mehr. Und doch hatte er keine Hoffnung darauf, jemals ein so guter Mensch wie Renji zu werden. Wie konnte sie all das hinter sich lassen? Wie hatte sie Renji anschauen können, auf seine kraftvollen Schultern und feurigem Haar, seine wilde Hingabe und das große Herz und doch...?
 

So umgeben von verwirrenden Fragen, hätte er beinahe nicht mitbekommen, dass Renji sich bewegte. Der Vizekommandant legte den Kopf schief und langsam wurde aus dem irritierten Gesichtsausdruck etwas, dass mehr verstehend war. Renjis Lippen kräuselten sich ein wenig nach oben. „Hey, Kommandant?“
 

„Ja, Renji.“
 

„Ich habe mich gefragt, ob sie heute Abend mit mir einen Tee trinken würden.“
 

Und da Irritation offensichtlich das Thema des Tages war, konnte Byakuya nur blinzeln und „Tee?“, wie ein Kind wiederholen.
 

Renji schien das nicht zu stören. „Ja“, sagte er und zog an den Ärmeln seiner Uniform. „Der 7. Offizier hat welchen von der Familienfarm mitgebracht. Normalerweise ist der zur Mittagszeit schon weg, aber ich habe es geschafft, ein bisschen was gegen einen Wachdienst morgen einzutauschen.“
 

Byakuya runzelte die Stirn. „Das ist nicht angemessen.“
 

Renji grinste nur. „Ich nehme das als ein 'Ja'?“
 

Wenn Renji so lächelte, wie konnte Byakuya da ablehnen? Wenn überhaupt, würde es ihm etwas Zeit verschaffen, den rasenden Sturm seiner Gefühle abklingen zu lassen. Und vielleicht konnten sie dann reden. „Also schön.“
 

„Großartig. Sagen wir, um 7?“
 

„Das ist in Ordnung.“
 

„Ok. Bis dann.“ Ohne ein weiteres Wort wandte sich Renji um und ging hinaus. Byakuya sollte ihn maßregeln, weil er ohne Entlassung gegangen war, doch er war zu beschäftigt damit, sich zu fragen, was gerade passiert war.
 


 

Einige Stunden später stand Byakuya vor der Tür von Renjis Räumlichkeiten innerhalb der 6. Division und hatte es immer noch nicht herausgefunden. Er hatte seinen Vizekommandanten seit der Versammlung nicht mehr gesehen, da Renji den ganzen Nachmittag mit der Aufsicht des Trainings und der Reparaturarbeiten beschäftigt gewesen war. Byakuya hatte sich auch damit abgelenkt, die Büroarbeit zu erledigen und ihre Rukongai-Streife für nächste Woche zu planen.
 

Und auch wenn Renji nicht in seinem Blickfeld war, war Byakuya nicht in der Lage gewesen, nicht an ihn zu denken. Nicht nur wegen diesem wissenden Blick auf dessen Gesicht, als er Byakuya zum Tee eingeladen hatte. Auch wegen allem, was davor geschehen war. Was Renji realisiert hatte, all die Neckereien, die sie in den letzten Wochen ausgetauscht hatten, wie Renji ihn mit seinem albernen Haiku zum Lachen gebracht hatte. Und seine eigenen Reaktionen: Wie es in seinem Inneren wärmer wurde, jedes Mal, wenn Renji ihn anlächelte, wie sich der Knoten in seiner Brust löste, jedes Mal, wenn der Vizekommandant das Büro betrat, der heftige Beschützerinstinkt, den Byakuya gefühlt hatte, als Renji zugab, dass seine Verlobte ihn verlassen hatte.
 

War es vielleicht ein tiefgreifenderer Kommandanten-Vizekommdanten-Bund, von dem Byakuya noch nie etwas gehört hatte. Bedeutete das, dass sie Freunde waren? Warum dann spürte Byakuya, wie der Ärger in ihm aufflammte, jedes Mal, wenn er an Renjis frühere Verlobte dachte? Warum spürte er das Verlangen, zu schützen und sich in Renjis Namen zu empören, dass jemand, der ihn geliebt hatte so plötzlich losließ, als wäre er nichts?
 

Draußen schwanden die letzten Strahlen der Dämmerung und verschmolzen mit der Dunkelheit. Laternen flackerten, tauchten den leeren Hof in ein warmes und sanftes Licht. Immer noch im Chaos der Verwirrung verwickelt, hob Byakuya seine Hand und klopfte an Renjis Tür.
 

2 Sekunden später glitt die Tür auf und er vergaß zu atmen.
 

Sein Vizekommandant stand im Türrahmen, schaute ihn mit einem weichen Gesichtsausdruck an. Er hatte seine Shinigami-Uniform gegen einen dünnen Sommeryukata getauscht, rot wie Wein und mit einer Weichheit, die Byakuya schon fast unter seinen Fingern spüren konnte. Seine Haare waren frisch gewaschen und hingen in einem losen Zopf über der linken Schulter. Das Licht von den Laternen beschien seine Haut warm und dunkel, die Linien seiner Tattoos liefen glatt über die Flächen seiner Muskeln mit einem subtilen Hauch von Gefahr.
 

Renji war schön, in jeder Form, die das Wort beschrieb und noch unzählige weitere Formen darüber hinaus. Er war alles, was Byakuya jemals wollte und es war dieser Moment, als sich tief in ihm etwas rührte, als würde alles endlich auf den richtigen Platz rutschen. Die Verwirrung verschwand, hinterließ nur Zustimmung und eine Erkenntnis... eine Richtigkeit, fest wie ein Herzschlag. Und mit einem Mal wusste er es.
 

Er wusste, warum er Renji in den letzten Wochen all die Freiheiten im Büro mit ihm erlaubt hatte. Warum sie sich gegenseitig geneckt hatten und über ihre Schwertstreiche und ihrer Schreibarbeit hinweg gelächelt hatten. Warum er Hisagi angefahren hatte. Warum ihm Renjis Verlobung so sehr beschäftigt hatte.
 

Und wenn er Renji so anschaute, wie er eine Augenbraue hob, wusste er, dass er es für sich schon vor langer Zeit herausgefunden hatte. Er hatte nur darauf gewartet, dass Byakuya ihn einholte.
 

Auf dem Hof läutete jemand die Glocke, um 7 Uhr zu verkünden. Renji richtete sich auf und beugte seinen Kopf. „Kommandant“, sagte er, die Formalität des Titels versteckte die wissende Wärme in seinen Augen nicht. „Sie sind pünktlich.“
 

Byakuya seufzte. „Nein“, sagte er, als er die Wärme von Renjis Räumlichkeiten betrat. „Tatsächlich sogar bin ich spät.“
 

Das antwortende Lächeln des Vizekommandanten zu küssen, war für ihn das Einfachste der Welt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  MaiRaike
2017-03-16T12:48:27+00:00 16.03.2017 13:48
Oh, die Geschichte ist wirklich süß geschrieben! Danke für die Übersetzung!
Antwort von:  yezz
18.03.2017 15:00
Vielen Dank :)


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